[62] Zweite Ekloge

Der Sonntag-Morgen

[63][65]
Und das Dunkel zerfloß. Ein wehender, glänzender Morgen
Folgt' auf die sternige Nacht. Aus den funkenstäubenden Fluten
Tauchet' entwölkt hervor und schimmerrollend die Sonne.
Freude wirbelnd begrüßte die Lerche den heiligen Sabbat,
Welcher gewünscht erschien den arbeitseligen Menschen,
Die von den Schweissen der Woch' erschöpft und den Lasten der Erndte
Länger heute der Ruh und des Schlummers pflegten. Auch wach noch
Dehnten sie wollustvoll auf hartem Pfühle die Glieder.
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Du nur, Bothe des Herrn, ehrwürdiger Pfarrer von Medow,
Frühe geweckt von der inneren Glut, und dem mächtigen Drange,
Deine Brüder das Recht und die Pflicht zu lehren, den Lüstling
Aufzuschrecken vom geistigen Schlaf durch Sinai's Donner,
Gnade hingegen und Heil zu bieten der Buß' und dem Glauben,
Darzuhalten dem Wackern im Streit die Kron' und den Palmzweig;
Du nur standest bereits anbetungtrunken am Fenster.
Froh des gefristeten Seyns, umjauchzt vom Jubel der Frühe,
Athmend die Frisch' und den Duft des balsamhauchenden Gartens,
Lüstern schlürfend den flüssigen Strahl des geläuterten Aethers,
Standest du, hochaufschauend zum Vater des Lichts und des Lebens,
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Flamm' im Auge, die Lippe geregt von betender Inbrunst.
Lang' schon stand betrachtend also der begeisterte Lehrer,
Anzustimmen gedacht' er so eben den preisenden Frühpsalm,
Siehe da trat wie die Frühe so frisch, wie der röthliche Morgen
Blühend, zur Thür herein sein erstgeborenes Mägdlein.
Blumen, so eben entblüht, von des Frühthau's Tropfen noch blinkend,
Brachte die fromme Tochter dem blumenliebenden Vater;
Goldlack, Heliotrop, duftströmende dunkle Levkojen,
Sprenklichte Nelken, geplatzt von der Blätter drängendem Reichthum.
Auch ein Röschen noch brachte sie ihm, erblüht in des Gartens
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Tiefster Beschattung, da längst die Zeit der Rosen dahin war.
Lächelnd reichte die Blumen dem Vater die kindliche Jungfrau,
Welcher, nachdem er genommen den Strauß, und höchlich gelobet,
Also begann, unmuthig fast, doch mildernd die Stimme.
»Giebt es doch immer Verschwörungen nur, und geheimeren Anschlag,
Wenn zwey Mädchen die Köpfe zusammen stecken. Da hab' ich
Eben ein Briefchen empfangen von Fräulein von Thurn. Dich soll ich
Zu ihr senden, ihr lassen das Kind für den Tag und den Abend.
Viel verlangt fürwahr von dem hochgebietenden Fräulein!
Ungern miß ich dich, Kind, im Tempel des Ewigen, ungern
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Nach dem eifrig verkündeten Wort am erheiternden Tischchen.
Aber was hilfts? Es bettelt so süß die Schmeichlerinn! Nimmer
Kann ich mich ihrer erwehren. So magst du denn gehen, Jucunde.
Aber fein frühe, mein Kind, und bevor man geläutet, auf daß nicht
Etwa das Volk, so von fern des Wegs herwandelt zur Kirche,
Schlendern dich sehe, dem Sabbat zu Trotz, auf offener Straße,
Dich, die Tochter des Pfarrers! Kein löblich Beyspiel in Wahrheit!«
Ihm antwortete drauf die kindlichgesinnete Jungfrau:
»Lieber Vater, vernimm mein Wort, und glaube der Rede.
Gern zwar weil' ich bey Thecla, der Weisen und Gütigen; nimmer
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Scheid' ich von ihr, daß nicht mein Geist durchstrahlt von dem Ihren,
Nicht mir die Seel' erhöht, und das Herz mir gestillt und erquickt sey;
Dennoch verweil' ich am liebsten in deiner Nähe, mein Vater.
Ruht dein Aug' auf mir voll milden Ernstes, so dünk' ich
Mich von dem Auge beschirmt der sanft uns leitenden Vorsicht.
Seh' ich so starr zu Zeiten dich hinschaun, grad' als schautest
Ueber das Meer du hinaus zu fern aufdämmernden Ufern,
Siehe, so dünkt mich so klein die Welt; gering und verächtlich
Dünkt mich, was diesseits ist, und nur das Droben begehrbar.«
Ihr erwiederte drauf mit milderem Tone der Vater:
»Gehe denn, Kind, geh' immer! Und falls du auch lieber bey Thecla
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Weiltest, als bey dem Vater, dem Ernstern; nimmer verdächt' ich
Solches dem jungen Gemüth; denn Gleiches gesellt sich zu Gleichem.
Wohl geziemet auch uns, die wir schon aus der Erde hinausschaun,
Euch, die ihr kaum noch die Schwelle der Lockenden lüstern beschrittet,
Willig uns nachzusetzen. Genossen doch wir auch das Unsre!
Gehe denn, gutes Kind, und grüße Theclen, und sag' ihr,
Daß ich sie sicher erwarte sammt dir in der Stunde der Feier,
Draußen im Tempel des Herrn, der nicht mit Händen gemacht ward,
Nicht nach der Schnur gestreckt, und nicht erhöht nach dem Lothe.
Gehe, mein Kind, und ordne zuvor, wie du pflegest, den Haushalt.«
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Solches sagte der Vater. Behend' enteilte die Jungfrau,
Ordnete klüglich sofort den Haushalt; für das Gesinde
Hieß sie beschicken zuvor die Frühkost; auch für den Mittag
Sorgte sie treulich; und als sie es alles beschickt und bestellet,
Schlüpfte sie in ihr Gemach, von Reseda duftend und Goldlack,
Festlich sich anzuziehn, wie sichs gebührt für den Sonntag.
Aus dem geglätteten Schrank, der treu ihr die Kleider verwahrte,
Nahm sie heraus vorsichtig den lilienweißen Anzug,
Den ihr der Vater geschenkt zu ihrem jüngsten Geburtstag.
Solchen hatte sie selber mit Ranken der bräutlichen Myrte
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Stickend besäumt, sie hatte geschmackvoll hiehin und dorthin
Einzelne Veilchen gestreut; die Kunst war höchlich zu loben.
Und nun hüllte behende die blühenden Glieder die Jungfrau
In das schöne Gewand, das, genau anliegend, in weiten
Wallungen niederfloß, den dunkeln Teppich erleuchtend.
Unter der Brust dann schürzte sie sich mit der glänzenden Schärpe,
Die ihr die Freundinn verehrt; aus veilchenfarbiger Seide
War sie gewürkt mit Gold, in goldenen Troddeln sich endend.
Dann umschlang sie den Hals mit dem güldenen Kettchen, von welchem
Niedergesenkt, die Brust ihr schmückte der Mutter Vermächtniß,
Ein bernsteinernes Kreuz, mit reinem Golde gerändelt.
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Als sie die zierlichen Hände sodann und die schwellenden Arme
Fast bis zur Schulter hinauf gehüllt in die seidenen Handschuh,
Deren Violenglut zum lilienweißen Gewande
Schön abstach, ergriff sie den feingeflochtenen Spanhut,
Beides zur Zierde des Hauptes geformt, und zum Schutze der Wangen,
Welche das bräunliche Haar, von keiner Schlinge gezügelt,
Noch von des Weizens Blüthe bestäubt, in üppigen Ringeln
Weich, wie Seid umwallt', und wie Kastanie glänzend.
Also stand sonntäglich geschmückt die rosige Jungfrau,
Schlank von Wuchs, von Gestalt holdselig, edelen Anstands,
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Sonder Tadel vom Wirbel des Haupts bis zur schwebenden Sohle.
Als vom Thurm nun so eben erscholl das erste Geläute,
Dachte Jucund' an des Vaters Gebot. Sie eilte; sie trat noch,
Eh' sie ihr stilles Gemach verließ, an das Bettchen der Schwester,
Welche in selbem Moment aus des Schlafs Betäubung emporkam.
Leise regte die Wimper das Kind, ihr zuckten die Lippen.
Hell auf schlug sie die Augen, die blauen glänzenden. Schimmernd
Sahe sie stehn die Schwester. »Jucunde, liebe Jucunde,
Rief sie ermuntert, du siehst ja so weiß und so schön wie ein Engel.
Sage, was hast du? was giebt es? ... Doch ich besinne mich. Sonntag
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Ist es ja heut, und vielleicht schon Zeit, zur Kirche zu gehen;
Und ich liege noch hier und träume? So will ich denn eilig
Aufstehn, hurtig mich kleiden, und dich begleiten zur Kirche.«
Ihr antwortete drauf die festlich gekleidete Schwester:
»Nicht für heute, mein Kind, gedenk' ich zur Kirche zu gehen.
Ich gedenke zu wandern zur grünenden Juliusruhe.
Thecla von Thurn hat mich los vom Vater gebeten. Für diesmahl
Bleibst du zu Hause, du Gute, du nimmst mir den gütigen Vater
Eben in Acht, und verwahrst mir treulich die Schlüssel. Zu Mittag
Sehn wir uns wieder. Du fährst mit dem Vater an das Gestade.
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Dorthin kommen auch Thecla und ich. Steh auf denn und kleide
Schnell dich an. Ich habe dein Zeug dir geholt, und es sauber
Ueber die Stühle gebreitet; dein rothes Kleid mit der Schärpe,
Welche zur Weihnacht dir die freundliche Pathinn verehrte;
Ferner das bastene Tuch, das zierlich befranzte; die grünen
Korduanenen Schuhe mit seidenen Bändern; die Handschuh,
Die bis zur Schulter dir reichen hinauf; den niedlichen Spanhut;
Alles hab' ich geholt, und zurecht dir geleget. So steh nun
Eilends auf, und kleide dich an; es hat schon geläutet.«
Also das Mägdlein und nahm von des Armstuhls Lehne den schweren
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Seidnen azurnen Schawl, durchwirkt mit güldenen Sternen,
Den ihr zum heiligen Christ die Pathinn gesandt aus der Hauptstadt.
Solchen warf sie behend' um die Schultern, knüpfte die Enden
Unter der Brust, zog dann sie zurück, verschürzte zur Linken
Beide, den Leib umschlingend, in doppelter Schleife, daß tief noch
Niederwallten die Zipfel des unermeßlichen Schleiers.
Länger nicht säumend, verließ das vertrauliche Zimmer die Jungfrau
Eilend, jedoch zuvor zum Abschied küssend die Schwester.
Aber indem sie den Flur hinüber schlüpfte – gefegt war
Sauber und flammig der Flur, und bestreut mit Nadeln des Holders –
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Sahe sie wandeln den Vater im fächelnden Schatten der Bäume,
Welche beschirmen das Haus vor dem Mittagsbrande der Sonne.
Höchlich ergötzte den Vater zu schaun sein blühendes Mägdlein,
Schlank von Wuchs, von Gestalt holdselig, edelen Anstands,
Sonder Tadel vom Wirbel des Haupts bis zur schwebenden Sohle.
Und es gefiel ihm, ans Herz ihr zu legen ein Wort der Vermahnung:
»Liebe Tochter, gewiß! du weißt, was kleidet und wohlsteht.
Köstlich bist du geschmückt mit güldenen Ketten und Spangen,
Mit vielfärbiger Seid' und glänzender Locken Geringel.
Nicht verdamm' ich es, Kind, den Leib zu zieren, den Gott schuf.
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Aber entsinnst du dich auch, was der heilige Petrus im Ersten
Seiner Brief' uns schreibt, Anfangs des dritten Capitels?«
Lächelnd erwiederte drauf die kindlich gesinnete Jungfrau:
»Nicht entsinn' ich mich, Vater, was uns der heilige Petrus
Schreibt im Ersten der Brief' Anfangs des dritten Capitels,
Sey so gut und sag' es, damit auch die Tochter es wisse.«
Ihr antwortetest du, ehrwürdiger Pfarrer von Medow:
»Also schreibt Sanct Peter im ersten der Brief' am dritten:
›Nicht auswendig allein mit güldenen Ketten und Spangen,
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Nicht mit geflochtenem Haar und schön genähten Gewändern
Sey der Frauen Geschmuck. Der verborgene Mensch nur des Herzens,
Welcher ist stillen Sinns, einfältig, züchtig, zufrieden,
Dieser ist köstlich vor Gott. Mit solchem Geschmucke vor Alters
Haben geschmückt sich die heiligen Fraun der heiligen Männer,
Haben vertraut auf Gott, und die Männer Herren geheißen.‹«
Lächelnd erwiederte drauf die kindlich gesinnete Jungfrau:
»Lieber Vater, nicht hoff' ich, daß mich der fromme Apostel
Meine mit solchem Wort. Zu verschmähn die Gabe der Pathinn
Stände nicht schön, noch minder das Erbe der seligen Mutter.
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Dennoch gelob' ich, so weit nur der Menschheit Schwäche verstattet,
Treu zu bewahren die Still' und Zucht des verborgenen Menschen,
Mich zu verlassen auf Gott, und die Männer Herren zu heißen.«
Also sprach sie, und sank an die Brust des gütigen Vaters,
Der an sein Herz sie druckte mit überwallender Liebe.
»Gehe, sprach er, mein Kind! mein Kleinod! Gut und verständig
Warst du und wirst du seyn. Ich weiß es« ... Und es entwand sich
Schluchzend den Armen des Vaters, des Tiefgerührten, die Jungfrau.
Als sich nun Beyde gefaßt, und der Vater die Tochter beurlaubt,
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Schied sie von dannen, gewann die innere Pforte des Gartens,
Eilte die schattigen Gäng' entlang; durch die Pforte nach außen
Trat sie schauernd hinaus auf den pappelbeschatteten Kirchhof,
Sahe blinken den Thau auf der Gräber üppigem Graswuchs,
Schlüpfete grüßend vorüber die traulichen Hütten des Dorfes,
Kam zum knarrenden Gatter unfern des Fliedergebüsches,
Hob mühsam aus dem Ring das unbehülfliche Gatter,
Trat dann fröhlich hinaus in das unermeßliche Freye.
Gülden wallte zur Rechten des Wegs die Fülle des Waizens,
Silbern zur Linken die Kraft der weithin schimmernden Gerste.
Grillengeschwirr erscholl aus der Näh' und Ferne. Der Lerchen
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Freudiges Wirbeln durchjauchzte die Luft. Fernher aus dem Aufgang
Tönte Gebrüll des Meers, erwühlt vom Athem des Ostwinds.
Fröhlicher schwebte Jucunde dahin; die geflügelte Ferse
Beugete kaum nur die Spitzen der nickenden Gräser; mit Wollust
Sog sie den Heiltrank ein des lebendigen Aethers; das Mägdlein
Wähnt' auf hebenden Wellen zu schreiten der Kraft und des Wohlseyns.
Jetzt erblickte Jucunde die Gipfel des alternden Maales;
Und sie gedachte der gestrigen Nacht, und der heißen Gespräche,
Die sie mit Thecla gewechselt, belauscht von den schweigenden Sternen.
Heimliches Bangen ergriff die Jungfrau; höheres Roth flog
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An die Wangen, sie ging langsameren Schrittes; mit Unruh
Dachte sie schuldbewußt an die hellen Augen der Freundinn.
Aber es wanderten Leute desselbigen Weges; der Andacht
Wollten sie pflegen zu Medow, wie sichs geziemt für den Sonntag.
Höchlich befremdete diese die schöne Begegnung. Es staunten
Manche die Jungfrau an, und sprachen verwundernd; »Wo mag doch
Pfarrers Jucund' hingehn allein in der Frühe des Sonntags.«
Andre, welche vielleicht erst jüngst bezogen das Kirchspiel,
Fragten den Nachbar: »Wer ist doch diese, die schön wie die Engel
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Und wie die Bräute geschmückt, die staubige Straße daher kömmt!«
Solchen erwiederte dann der kundige Nachbar: »Und kennt ihr
Pfarrers Jucunden nicht, die so gut und lieb ist, und freundlich
Gegen die Aermsten im Volk, und nicht hoffärtig im mindsten?«
Andere traten hinzu, und boten biederen Handschlag,
Sprachen auch wohl: »Mit Verlaub, wohin gedenkt doch die Jungfer!«
Solchen erwiederte dann die freundlich lächelnde Jungfrau:
»Lieben Freund', ich gedenk' in die grünende Juliusruhe.
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Fräulein von Thurn hat mich losgebeten vom Vater. Zu Mittag
Wollen wir fahren ans Ufer, die Predigt zu hören. Ihr kommt doch
Auch, ihr Nachbarn. Ich dächt', ihr kämt! Bequem ist das Wetter.
Gern auch hat es der Vater, wenn Gottes Kirche sich anfüllt.«
Und die Rede gefiel den Wundernden. Höchlich sich freuend,
Daß schon heut' am Gestad' anhübe die Feyer, verhießen
Alle zu kommen, damit die Kirche Gottes gefüllt sey.
Höher wandelt' indessen die Sonn' und sengender schossen
Ihre Strahlen herab. Aus der dörfergattenden Straße
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Wandte Jucunde sich rechts, um die grünende Juliusruhe,
Welche, von Bäumen umkränzt und labyrinthischen Gärten,
Kühlenden Schatten verhieß, des kürzeren Wegs zu gewinnen.
Sehnend schaute Jucund' umher, ob etwa die Freundinn
Ihr entgegen käm' in der Wohnung Nähe; doch einsam
Waren die Pfad' umher, und gar entvölkert die Landschaft.
Also trat sie, beklommen ein wenig und klopfenden Herzens,
Zur Thorfahrt hinein der grünenden Juliusruhe.
Siehe da stand auf dem bunten Gerüst, das weit in des Hofes
Raumigen Teich vorspringt, erhöht auf Säulen; auch hat man
Stufen gebaut in das Wasser hinab zur Wäsche der Leinwand;
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Sieh' auf solchem Gerüst stand Thecla von Thurn, an des Weihers
Brüstung gelehnt, und schaut' in das fischdurchwimmelte Wasser.
Leis' auftretend, sich nahend dem Teich auf der Spitze der Zehen,
Schlich Jucunde hinan, und umschlang von hinten die Freundinn.
Froh aufschauernd, sofort die erwartete Freundinn erkennend,
Wandte sich Thecla und schaute mit liebeglänzenden Augen
In der Vertrauten entflammtes Gesicht. Die erröthende Jungfrau
Senkete zweifelnd den Blick, verbergend das glühende Antlitz
In der Freundinn Busen. Und Thecla sagte verschonend:
»Armes Kind, wie glüht von der Sonne Brand das Gesicht dir,
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Und von des Gehns Erhitzung. So komm denn, Trauteste. Wehrt doch
Hie im offenen Hof kein Dach der Sonne noch Schatten.
Laß in den Garten uns gehn, in der Lauben grünende Kühlung.«
Arm geschlungen in Arm lustwandelten also die Mägdlein
Zwischen den Bäumen und Büschen des labyrinthischen Gartens.
Schön ist der Garten, ein Traum aus idealischen Welten
Niedergewallt, ergriffen mit sehnender Liebe, gehalten
Mit ausharrender Kraft, und ausgesprochen mit Anmuth.
Lange wallten verschlungenen Arms die liebenden Mägdlein
Zwischen den Hecken hinab, verlohren in süße Gespräche,
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Ruheten dann und wann in der Lauben dunkler Umschattung,
Irreten jetzt im Gebüsch, von Orant duftend und Geisblatt,
Musterten jegliche Blume der weithin funkelnden Beete,
Stiegen die Rasenstufen hinab zum blinkenden runden
Binsenbewachsnen Bassin, sich freuend der Kühl' und der Frische;
Klommen die Warte hinan, die weitausschauende: düster
Blaut' in der Ferne das Meer, besäumt vom Silber der Dünen.
Wiederum stiegen die Mägdlein der Warte stickelen Abhang
Oft ausgleitend hinab. Und Jucunden gefiel es, die Insel
Jetzt zu besuchen, die stille, die heimliche; Pappeln bekränzen
Säuselnd des Eilands Rand; von des Gartens offnern Gefilden
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Scheiden sie Graben und Wall. Alsbald beschritten die Mägdlein
Arm geschlungen in Arm die schöngebogene Brücke,
Und die Insel empfing sie, die Selige. Plötzlich vom Herzen
Lösete jegliche Bangigkeit sich. Das Toben der Pulse
Schwieg. Frey hob sich die Brust, und im Antlitz strahlte die Heitre.
Und es erwählten die Mägdlein, gekühlt vom Schatten der Pappeln
Niederzusitzen ins Gras, noch niederliegend von Theclens
Lieber Last; es war das Lieblingsplätzchen des Mädchens.
Aber Jucund', am Fuße des Baums im geschorenen Grase
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Liegen sehend ein Buch, ein zierlich gebundnes, mit güldnem
Schnitte geschmückt, die Deckel gemarmelt purpurn und gülden,
Faßt' es behende, sich freuend, ein Werk zu finden von Göthe,
Oder dem Sänger des Wilhelm Tell. Mit lüsterner Neugier
Schlug sie es auf, und warf alsbald weit weg es mit Unmuth.
»Ziemt es auch, sprach sie verweisend, also zu täuschen die Einfalt,
Anzulocken das Aug' und die Hand mit des güldenen Schnittes
Leuchtendem Schein und dem Schimmer des purpurfärbigen Marmels.
Solchen Büchern fürwahr mit solchen verzweifelten Ziffern,
Welche zu deuten wohl kaum dem Pastor ziemt und Professor,
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Welche wohl Gräber zu stöhren vermöchten und Geister zu bannen;
Solchen, bedünkt mich, genügte zu Deckeln die Schwarte des Ebers,
Von altmodischen Bildern umstarrt des Drachen und Lindwurm.«
Also sprach unwilligen Muths die kindliche Jungfrau,
Welcher Thecla sofort die scherzenden Worte zurückgab:
»Nicht zu sehr erzürne dich, Kind! Es dürfte dir schaden
Auf den Limonientrank, den du so eben genommen.
Uebrigens steht es nicht frei, was man nicht kennt noch verstehet,
Noch zu verstehen begehrt, so unbarmherzig zu richten.«
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Ihr antwortete drauf die heiterlächelnde Jungfrau:
»Eben, daß du es verstehst, verdrießt mich, Thecla. Dich schämen
Solltest du solcher Gelehrtheit, die nicht den Mädchen geziemet.«
Drauf antwortete schnell und schalkhaft lächelnd das Fräulein:
»Also ziemte wohl gar Unwissenheit besser den Mädchen!«
Schnell antwortete drauf des Pfarrers bescheidene Tochter:
»Nicht Unwissenheit, Kind! doch auch nicht Männergelahrtheit.«
Ihr antwortetest du, Amalrichs trefliche Schwester:
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»Liebe Jucunde, zu viel erzeigst du Theclen der Ehre,
Wenn du gelehrt sie wähnst gleich Pfarrern oder Professorn.
Nur für das Haus gehört, und nicht für Katheder und Kanzel,
Auch für das Schreibpult kaum das Wenige, was ich für mich nur,
Bruchstückweise nur, und nur gelegentlich lernte.
So auch dank' ich Amalrich und einem verdrießlichen Winter,
Welcher uns über Gebühr langweilte, das wenige Griechisch,
Was ich versteh', und was zu verstehn mich nimmer gereun wird.
Eines Genusses Quell hat so mein treflicher Bruder
Mir entsiegelt, der nimmer sich trübt und nimmer vertrocknet;
Hat mir den güldenen Schlüssel gereicht, der des Alterthums Schätze
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Mir aufschleust, zurück mich führt in die kindliche Vorzeit,
Wo ein Mensch noch der Gott und Götter waren die Menschen.
Die Ziffern, mein Kind, einfach, sinnvoll und bedeutend,
Diese Züge, die dich, wie bannende Sprüche gemahnen,
Bannen uns wirklich den Geist der alten Weisen, den hohen,
Neinen, kräftigen, zarten, der, was er nur Schönes und Wahres
Ahnt' und schaut' und empfand, in diese Züge gesenkt hat.
Wüßt' ich, mein Kind, du entflöhst mir nicht voll Grauens, ich wollte
Dir zu deuten versuchen, was diese Züge verbergen.«
Also Thecla. Und schnell versetzte die kindliche Jungfrau,
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»Laß doch hören, du Gute! Gewiß mich verlangt, zu vernehmen,
Ob solch heidnisches Buch, von den alten Griechen geschrieben,
Etwas enthält, was das Herz anspricht und erhebet die Seele.«
Willig gehorchte der Freundinn die edele Thecla. Vom Rasen
Nahm sie das glänzende Buch, des göttlichen Platon Gespräche,
Schlug es auf, und blättert', und fand das Gespräch, das mit Phädros
Sokrates führt, mit dem Schönen der Weisere. Aber Amalrich
Hatte die Schwester geübt, mit teutonischem Fittig der Hellas
Flug zu fliegen. So fort nun las sie dieses der Freundinn:
»Wahnsinn wäre die Liebe, so sagen sie, wähnen, nicht ärger
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Schmähen zu können, als so, die Heilige; wenig bedenkend,
Daß nichts Edlers der Gott den Menschen gab, als den Wahnsinn.
Göttlichen Wahnsinns voll, gewährten Dodona's und Delphi's
Priesterinnen dem Volk der Hellas Rettung und Sühne,
Während sie nüchternen Muths ihm wenig frommten, und gar nicht.
Auch die Sybillen, und wer nur immer der göttlichen Mantik
Sich befliß, wahnsinnig nur haben sie Künftigs verkündigt.
Darum hieß auch den Alten Manie, was die Neueren klügelnd,
Aber nicht weiser darum, die Mantik nannten. Die Mantik
Stammt aus menschlicher Kunst, die Manie von den ewigen Göttern.
So viel trefflicher nun an Namen und Wesen der Götter
[99]
Gabe die Mantik ist, als die Oionistik der Menschen 1;
So viel vortrefflicher ist der gottabstammende Wahnsinn,
Als die menschliche Klugheit. Besessen vom Gott und begeistert,
Haben Propheten hinweggeweiht die Sünden der Väter,
Haben die Gottheit versöhnt, und die Eumeniden beschwichtigt.
Angehaucht von den Musen, umspielt von lieblichem Wahnsinn,
Haben die Dichter, die Menschen mit zarter und lauterer Seele,
Singend die Zeitgenossen entzückt und begeistert die Nachwelt.
[100]
Wer verwegen sich naht der Dichtkunst goldenem Thore,
Eiteler Regel vertrauend, ermangelnd göttlichen Wahnsinns,
Schaal bleibt dessen Gesang, er selbst ein Wörtler. Beschämt wird
Aller Besonnenen Kunst von der Poesie der Beseßnen.
Solches wissend erdulden wir gern, wenn das Volk uns des Wahnsinns
Zeiht. Nichts Edleres gab den Menschen der Gott als den Wahnsinn,
Keinen begeisterndern nicht von allen Arten des Wahnsinns,
Als des Deinigen heilige Wuth, hochheilige Liebe!«
Also las erhöheten Tons die edele Thecla,
Fügete dann hinzu, die sinnige Freundinn betrachtend:
»Aber du sitzest so träumend. Mich dünkt, du hörst nicht, Jucunde.«
[101]
Schnell antwortete, drauf das zartempfindende Mägdlein:
»Träum' ich, trauteste Thecla? Wohl macht mich träumen der Träumer!
Dennoch vernimmt, was er lallt, das innerste Ohr und bewahrt es.«
Ihr antwortetest du, Amalrichs treffliche Schwester:
»Höre nun weiter, vernehmend, was uns der begeisterte Träumer
Ueber der Seele Natur enthüllt und das Wesen der Liebe.«
»Seel' ist, was frey sich regt. Was sich frey regt, reget sich ewig.
Was der eignen Bewegung beraubt, durch andres bewegt wird,
Solches entsteht und vergeht. Was aber sich selber beweget,
[102]
Quell ist solches und Brunn des Bewegungslosern und Trägern;
Nimmer entstand es und wird nicht vergehn, ob die Welt auch verginge.
Fragst du, wo weilte die Seele, die nimmer gewordne, bevor sie
Sich zu dem Leibe gesellte, dem irdischen, sterblichen, trägen?
Droben im Reiche des Lichts, in dem überhimmlischen Orte,
Welchen kein Dichter bis jetzt nach Würden besungen, noch wird ihn
Einer nach Würden besingen; denn farblos ist er und formlos,
Nicht zu ersehn mit dem Auge, noch mit der Hand zu ertasten,
Nicht zu ergründen vom Sinn, wahrnehmbar allein und erkennbar
Dem anschauenden Geist. Dort wohnen die seligen Götter,
Unzugänglich dem Schmerz, und dem Tod und jeglicher Unruh
[103]
Dort auch wohnt mit den Göttern, was Gut, was Wahr und was Schön ist.
Dort auch wohnt' im Beginn die unvergängliche Seele,
Anschauns selig, sich weidend am Guten, Wahren und Schönen.
Aber es haben nicht alle die selige Stätte behauptet.
Niedergestürzt sind viel in die unterhimmlischen Orte,
Schleppen nun hier sich umher elend mit gebrochenem Fittig.«
Also las melodischen Tons die erhabene Thecla,
Fügete dann hinzu, die sinnige Freundinn betrachtend:
»Aber du träumst, Jucunde; du sinnst, wie es scheint, auf was anders.«
[104]
Schnell antwortete drauf das stillaufmerkende Mägdlein:
»Nicht auf was anderes sinn' ich. Versenkt mit Sinn und Gemüthe
Bin ich, du traust es mir zu, in die schönen Träume des Träumers.«
Drauf antwortetest du, des göttlichen Platon Vertraute:
»Höre denn weiter, vernehmend, was uns der begeisterte Seher
Tiefer noch offenbart vom Wesen der Seel' und der Liebe:«
»Auf dem geflügelten Wagen, ihn ziehn unsterbliche Rosse,
Fährt allwaltend daher der Vater der Götter und Menschen.
Auf dem geflügelten Wagen, auch ihn ziehn willige Renner,
[105]
Folgen dem Führer des himmlischen Zuges die übrigen Götter
Sämmtlich; Hestia allein, die Häusliche, wartet des Heerdes.
Auch die geflügelten Seelen begehren zu folgen ... Vergebens!
Denn zween Rosse sind ihnen geschirrt an den Wagen; das Eine
Willig und zahm und dem Zügel gehorsam; störrig das Andre,
Kollernd, sich bäumend, mit Noth gehorchend dem Zaum und der Geißel.
Jenes strebet nach Oben; nach Unten dränget das Andre.
Nach Ambrosia lüstert und Nektar Jenes, dem Andern
Rohern gelüstet allein nach der gröbern irdischen Speise.
Welche der Seelen nunmehr mit geschwungener Geißel, mit straffem
Zügel das wildere Roß nicht kräftiglich bändigt ... hinunter
[106]
Taumelt solche zuletzt, zerbricht die Flügel, und schleppt sich
Elend hinfort, dem Leibe gesellt, im Schlamm und im Staube.
Welche dagegen geläuterten Sinns und edlerer Art war,
Welch' am liebendsten hing an dem Wahren Guten und Schönen;
Solche fühlet hienieden sich fremd, gebehrdet sich seltsam,
Scheint wahnsinnig den Menschen, als der nicht gnügt das Gemeine.
Immer strebt sie nach Oben und stets in die Ferne; nicht eh' auch
Lernt sie sich selbst verstehn und ihres Sehnens Bedeutung,
Bis ihr das Schön' erscheint, des Urschöns irdisches Abbild.
Solches gewahrend, durchblitzt sie der vorigen Freuden Erinnrung.
Wieder erkennend das vormal Erschaut' im irdischen Abglanz,
[107]
Schaudert sie, stockt, besinnt sich, entbrennt für das Schöne, verfolgt es
Tag und Nacht, vergißt der Speis' und des Trankes, versäumet
Jegliche Pflicht des Bürgers, verschmähet die Ehr' und den Reichthum,
Einzig bedacht, im Schaum sich zu berauschen des Schönen,
Einzig befriedigt sich fühlend in dessen Näh' und Umarmung.
Denn, in des Schönen Bewundrung erwarmt und erweichend, beginnen
Sich zu erschliessen die Schalen, die hornigten, welche der Flügel
Knospen verhüllen; das Horn zerschmilzt allmälig; die Flügel
Schwellen und schossen und dehnen mit jedem Moment sich. Gewaltig
Schlägt sie die Seel' auseinander, und schwingt sich zurück zu des Urschöns
Anschaun, selig hinfort mit den ewigseligen Göttern.
[108]
Also entspringt von des Wahnsinns Arten die Heiligst' und Höchste;
Also erzeugt sich, was Eros, was Liebe nennen die Menschen,
Pteros, den mächtigen Flug ins Unendliche, nennen's die Götter 2
Also las mit erhöhetem Ton die edele Thecla,
Fügete dann hinzu, die sinnige Freundinn betrachtend:
»Wahrlich, Jucunde, du träumst und sinnst, wie es scheint, auf was anders!«
[109]
Ihr antwortete schnell die tiefempfindende Jungfrau:
»Ich auf was Anderes, Thecla? Gefangen den Sinn und die Seele
Hat mir die Rede des Sehers. Das dicke Dunkel erleuchtend,
Hat er das Wort gesprochen zu des Herzens heimlichsten Rätzeln.
Ja, ich kenn' ihn, den Schauder, den heiligen, wenn auf sich selber
Nun sich die träumende Seele besinnt. Ich empfand ihn; vom Auge
Rauschte die Decke, die Schalen zersprangen, mit Schmerzen empfand ich
Sprossen die geistigen Flügel, die mächtigen, die uns erstarkt einst
Aus der Verbannung tragen zurück zur glänzenden Heimath.«
Also sprach, nicht anders, als wäre sie selbst von dem Wahnsinn,
[110]
Welchen das Buch beschrieb, umspielt, die kindliche Jungfrau.
Aber bewundernd der Rede Gewalt, in die Tiefen des Herzens
Schauend der Zarten und Schönen, vermochte die edele Thecla
Kaum nur zu wehren der Thräne, der Heißhinstürzenden. Mühsam
Faßte sie sich, und sprach sodann die scherzenden Worte:
»Wenig hat es bedurft, zu meinen Büchern, Jucunde,
Dich zu bekehren, dich auszusöhnen mit meiner Gelahrtheit,
Und mit der Chifferschrift der alten Beschwörer. Ich dächte
Wirklich, mein Kind, du ließest den Campe hinfort und den Salzmann,
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Kämest zu mir in die Schul' und triebst den Homer und den Platon.«
Also schwatzten vertraulich die Mägdlein; manches gescherzte,
Manches auch ernstere Wort sprach zu der Freundinn die Freundinn,
Bis der Bediente kam, zu Tische zu laden. Für diesmal
Wurde bei Zeiten gespeist. Es scheueten billig die Mägdlein,
Etwa die Letzten zu seyn bey der herrlichen Fey'r am Gestade.

Fußnoten

1 Manie, der Zustand des Außer sich Seyns, den wir Wahnsinn nennen. Mantik die Wissenschaft des Weissagens. Oionistik, derjenige Zweig der Mantik, der aus dem Vogelflug die Zukunft deutete.

2 Platon, wortspielend, wie auch Salomo, Baco, Ivo, Shakespear, Herder, Thorild es liebten, reimt bedeutend Eros, und Pteros; grade wie auch unsre Sprache das Sehnen mit dem Dehnen, das Schmachten mit dem Trachten, die Liebe mit dem Triebe reimt.

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TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Jucunde. Zweite Ekloge: Der Sonntag-Morgen. Zweite Ekloge: Der Sonntag-Morgen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B742-F