[125] Der Wagen des Himmels

1778.


Wie fährst du langsam, heilig und feierlich,
Du goldner Himmelswagen, in blauer Luft!
Ich höre deiner Räder Rasseln,
Höre das Wiehern von deinen Rossen!
Sieh! wie sie Flammen schnauben, die Wieherer!
Sieh! wie sie Funken schlagen, die Schnaubenden!
Horch! wie die hohe Himmelstraße
Hallt von dem Stampfen der Demanthufe.
Ich liebe dich. Ich habe dich längst geliebt,
Du königlicher Wagen! Mein Knabenblick
Hat oft in tiefen Mitternächten
Ahndend und staunend an dir gehangen!
[126]
Nun lieb' ich dich noch heißer, du Herrlicher!
Ich seh' dich oft mit inniger Wehmuth an,
Und eine leise Thräne bebt mir
In dem entbrannteren Jünglingsauge.
Ein sanftes Thränchen weint' ich an Jinny's Brust,
Ein sanftes Thränchen weinte die herrliche,
Als wir uns im vertrauten Garten
Busen an Busen umschlungen hielten!
Tiefe Mitternacht war um uns. Der blühende
Jasmin der Laube duftete um uns her,
Der Leu, die Beier, und die Bären
Blinkten uns an durch das Grün der Laube.
Da fuhr mir durch die Seele ein düsterer,
Ein Wehgedanke, dumpf wie ein Unkenruf,
Und scharf wie Schwert in Mörderhänden –
Ach! ein Gedanke von nahem Scheiden.
[127]
Ich drückte heiß mein holdiges Kind an mich.
Ich riß mich ungeduldig von ihrer Brust
Empor, und sah des Himmelswagens
Goldene Deichsel das Laub durchfunkeln.
Ich fühlte dunkle Wonne mit Weh gemischt.
Ich sprach zu meines Herzens erwählter Braut:
»Siehst du des hohen Himmelswagens
Goldene Deichsel? Sie sey uns heilig!
Wenn ich mich um dich gräme in öder Fern',
Wenn du dich um mich grämest in öder Fern',
So wollen wir bei diesen Sternen
Inniger einer des andern denken!«
Ich sprach's, und eine Thräne der Wehmuth rann
Von Jinny's Rosenwange. Sie rinnt seit dem
Ihr oft die Wang' hinab, wenn's dunkel
Rund um sie ist, und die Sterne funkeln!
[128]
Der du den weltenwimmelnden Sternenplan
Mit spiegelblauem Marmor gepflastert hast –
Der du die goldgemähnten Rosse
Schirrst an die Deichsel des Flammenwagens,
O höre, was ich flehe, Allliebender!
O reiß mich nicht von meiner erwählten Braut!
Laß meine Jinny mir! Laß Jinny,
Jinny am Arm mir durchs Leben wandeln!
Von ihrem Engellächeln zu That entflammt,
Von ihrem keuschen Kusse mit Kraft beseelt,
Werd' ich mit Adlerflug der Tugend
Sonnigste, schwindelndste Höhe erfliegen!

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TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Gedichte. Der Wagen des Himmels. Der Wagen des Himmels. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B759-C