185. Die gefangene Mahre.

Mündlich.


Eine Straußberger Frau erzählte, der Alb oder die Mahre das sei einerlei, sie käme aber des Nachts durch das Schlüsselloch, lege sich dem Schlafenden auf den Leib und drücke ihm so das Herz, daß er jämmerlich schreien und wimmern müsse, und ihm oft noch drei Tage nachher alle Knochen davon weh thäten. Verstopfe man aber das Schlüsselloch, oder mache ein Kreuz auf der Thürschwelle, so könne sie nicht hinein; man könne sie aber auch fangen, wenn sie schon im Zimmer sei, indem ein dritter, sobald er das Wimmern und Aechzen höre, schnell das Schlüsselloch verstopfen müsse; will man das aber nicht, so kann man den Schlafenden wenigstens dadurch von seiner Pein befreien, daß man ihn bei seinem Taufnamen ruft.


Ein Mann in Straußberg wurde auch oft von der Mahre geplagt, und sagte deshalb seinen Schlafgenossen, wenn sie nun wiederkäme, sollten sie rasch das Schlüsselloch [197] verstopfen und sie so fangen. Das geschah denn auch, und als er des andern Morgens erwachte, sah er zu seiner Verwunderung ein Frauenzimmer an seinem Bette sitzen, dem er vor langer Zeit die Ehe versprochen, sein Wort aber nicht gehalten hatte. Da ging er denn in sich, heiratete sie und lebte glücklich und zufrieden mit ihr, sprach jedoch nie ein Wort über jene Nacht. Aber einst, als er bereits vier Kinder von ihr hatte, mochte er doch seiner Neugierde nicht widerstehen können und fragte: »Nun sage mal, wie kommt denn das, daß du eine Mahre geworden bist?« und kaum hatte er das Wort gesprochen, so ist auch seine Frau verschwunden und nie wiedergekommen.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. 185. Die gefangene Mahre. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-BBA6-4