192. Der Graf von Reinstein.

Mündlich.


In Steckelnberg ist früher ein Burggraf gewesen, der hat wild in der ganzen Gegend gehaust, und man hat sich viel gemüht, ihn zu fangen, aber es hat nie gelingen wollen; denn er hatte seinen Roßen die Hufe verkehrt aufgeschlagen, und wenn man nun meinte, er sei in der Burg, so war er draußen, und wiesen die Spuren der Pferde nach dem Lande, so war er drinnen. So wild und grausam war er aber, daß er sich oft an einem Tage eine gewiße Zahl setzte, der er die Köpfe abschlagen wollte, und dann ruhte er nicht eher, als bis er sie erfüllt hatte. Aber mit dem Alter hat er doch Mitleid gehabt und als einmal ein steinalter Mann noch spät Abends die Straße kam, fragte er ihn, wie alt er sei, und als der es ihm nun gesagt, da ließ er ihn ziehen, obgleich er noch der letzte war, der ihm an seiner Zahl fehlte. So hat er es lange ungestraft getrieben, aber zuletzt haben ihn die Quedlinburger auf dem Regenstein, der ihm auch gehörte, gefangen und haben ihn mit sich nach Quedlinburg geführt. Da hat er ihnen denn, als [168] sie auf den Markt kamen, gute Worte gegeben, hat seine Lanze in die Erde gesteckt und gesagt, so weit sie hervorsähe, wolle er dengan zen Markt mit Gold anfüllen, wenn sie ihn frei ließen; aber sie haben sein Sündengeld nicht gemocht und ihn, wie ers verdiente, vom Leben zum Tode gebracht.

Andre erzählen, der Graf sei im Hackelndeich bei Gernrode, wo er sich auf der Flucht' versteckt, gefangen worden und darauf habe man ihn in einen hölzernen Käfig gesetzt und in Quedlinburg auf offnem Markte dem Hohne der Buben preisgegeben. Sein Bruder hätte endlich das geforderte Lösegeld aufgebracht und außerdem hätte er noch 7000 Morgen Wald auf dem Ramberg abtreten und sämmtliche Thürme der Stadtmauer bauen müßen.


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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. 192. Der Graf von Reinstein. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-BDB1-7