15. Der Wolf angelt.

Mündlich aus Brodewin in d.U.M.


Das war einmal eines Winters, da wars sehr kalt und gab wenig zu fressen, da ging der Fuchs im Wald umher und sann, wie er sich Nahrung verschaffte. Wie er noch so geht, sieht er einen Fuhrmann mit seinem Wagen daher kommen, der hat viele Fischtonnen auf seinem Wagen, und so denkt er denn gleich, da kannst du ja die schönste Speise haben. Sogleich schlich er[297] mitten in den Weg hinein und legte sich für todt hin und streckte alle Viere von sich. Wie nun der Fuhrmann herankam und ihn liegen sah, war er hocherfreut und sprach zu sich: »Das kam ja wie gerufen, der soll mir ein Paar prächtig warme Handschuhe liefern,« packte den Fuchs, der sich so steif machte wie immer möglich, beim Bein und warf ihn auf den Wagen. Kaum war der aber oben, so macht er sich ganz leise ins nächste Faß, hebt behutsam, daß der Fuhrmann nichts merkt, den Deckel auf und wirft ein Fischlein nach dem andern hinunter in den Schnee, und wie er genug hat, springt er selber hinab und läuft davon; aber der Fuhrmann fährt ruhig weiter und merkt nicht eher den Schaden, als er nach Hause kömmt. Unterdeß trug der Fuchs seine Fische im Walde zusammen und setzte sich nun ruhig hin und verzehrte sie. Wie er so in aller Ruhe da sitzt, kömmt von ungefähr der Wolf vorbei und sieht ihn: »Guten Tag, Bruder Fuchs, wo hast du denn die herrlichen Fische her?« sagt er. – Die hab ich mir geangelt, entgegnet der Fuchs. – »Wo denn da?« fragt der Wolf, der auch gern welche gehabt hätte. – Dort unten am See! – »Aber wie machst du denn das?« – »Ich stecke den Schwanz ins Wasser, und sowie einer anbeißt, zieh ich ihn schnell heraus. Machs nur auch so, das soll deinem Leibe schon wohl thun! Ich will auch mit dir gehn und dir das Loch zeigen, das die Fischer ins Eis geschlagen haben.« – Das war der Wolf wohl zufrieden, und so ging er [298] denn mit dem Fuchs hinab zum See. Sogleich ließ er hier seinen Schwang ins Wasser hinab, und das dauerte auch gar nicht lange, so war er angefroren; da fragte der Fuchs: Nun Bruder Wolf, beißen sie schon? – Der Wolf ruckte ein wenig mit dem Schwanze und da kam's ihm vor, als sei er schon ganz schwer, und rief: »Es muß ein recht großer dran sitzen, ich fühls am Gewicht!« – Sprach der Fuchs: So laß ihn nur ordentlich anbeißen, dann hast du ihn ganz sicher. Drauf fror der Wolf ganz fest an und der Fuchs ging davon und ins Dorf. Hier ging er in den ersten besten Bauerhof, trug so recht keck vor aller Augen ein Huhn weg und die Bauern liefen ihm eilends mit Knüppeln und Heugabeln nach. Er aber lief eilig zum See, grade dahin, wo der Wolf saß und angelte. Als den die Bauern sahen, ließen sie den Fuchs laufen und schlugen tüchtig auf den Wolf los, da verging ihm die Lust nach Fischen und er wollte davon eilen, aber er saß fest mit dem Schwanze, und die Bauern hätten ihn sicher zu Tode geschlagen, wenn er sich nicht endlich losgerissen hätte; aber seinen Schwanz mußte er im Eise sitzen lassen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Märkische Sagen und Märchen. Märchen. 15. Der Wolf angelt. 15. Der Wolf angelt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-C0F4-E