[260] Märchen.

[261]

[262] 1. Die Königstochter beim Popanz.

Mündlich aus Paretz.


Es war einmal ein König, dessen Frau war gestorben und hatte ihm nur eine einzige Tochter hinterlassen, die noch sehr klein war, und von der Amme auf den Arm getragen wurde. Der König liebte die Kleine über alles, und begleitete sie, wo sie ging und stand; da fuhr er auch einstmals mit ihr und der Amme in einem Boot zur See, als sich plötzlich ein gewaltiger Sturm erhob, der das Schiff gegen einen großen Felsen warf, daß es von vorn bis hinten barst und alle, die darin waren, jämmerlich in den Wellen umkamen; nur die junge Königstochter wurde wunderbarer Weise erhalten, indem sie von einer Woge ans Ufer einer Insel getragen ward, auf welcher der Popanz mit seiner Frau in einer Höle wohnten, die hierher verwünscht waren. Der Popanz aber war ein gar grausamer Mann, und als er das kleine Mädchen fand, wollte er es sogleich ums Leben bringen, aber seine Frau ward durch das Lächeln des Kindes gerührt und bat ihn deshalb: »Lieber Popanz, laß sie doch leben, wir wollen sie erziehen, [263] damit sie, wenn wir alt werden, uns hülfreich zur Hand gehe!« Da ließ sich der Popanz erbitten und sie nahmen nun die Kleine mit sich, die bald heran wuchs und eine wunderschöne Jungfrau wurde. Nun fuhr einmal der Brudersohn des verstorbenen Königs ebenfalls zur See und sein Schiff scheiterte an demselben Felsen, wo das Schiff, in welchem die Königstochter gesessen, zu Grunde gegangen war, aber er rettete sich auf ein Brett und wurde auch an das Ufer der Insel des Popanz geworfen. Die Königstochter ging grade am Ufer spatzieren, und sah das Brett, auf dem ein Mensch saß, daher treiben, sie verweilte deshalb ein wenig, denn es war nun so lange Jahre her, daß sie keinen Menschen, sondern immer nur den wilden Popanz mit seiner häßlichen Frau gesehen, und ihr Herz ging ihr auf vor Freuden, als sie nun den Königssohn ans Land treten sah. Sie trocknete ihm das Haar mit ihrem Kleide und stillte seinen Hunger, denn der war gar groß, da er schon viele Tage auf der See umher getrieben war und sich nur von Wasserwurzeln, die er hier und da fand, genährt hatte. Aber bald wurde sie betrübt, denn sie gedachte an den grimmigen Popanz, und erzählte ihm daher mit Trauern, daß der ihn wohl gleich ums Leben bringen würde. Der Königssohn war aber ein muthiger Jüngling und fürchtete sich nicht, sondern ging mit dem Mädchen zur Höle; als sie nun dahin kamen, wollte ihn zwar der Popanz gleich umbringen, allein die Königstochter bat ihn so beweglich, daß er ihn doch möchte leben lassen, daß er sich endlich erbitten ließ;[264] jedoch mußte ihm der Königssohn versprechen, daß er, sobald sich ein Schiff an der Insel zeigen würde, auf demselben davon segeln wolle. Das war jener auch zufrieden und blieb nun bei dem Popanz und seiner Frau. Da geschah es einst, daß er an der Hand der Königstochter einen schönen Ring bemerkte und an einem Zeichen, das darin eingegraben war, erkannte, daß er seinem Vaterbruder, der, wie er wußte, vor vielen Jahren auf der See umgekommen war, gehört habe. Nun erinnerte er sich aber auch, daß des Königs Tochter damals mit auf dem Schiffe gewesen, und sogleich wurde ihm klar, daß das Mädchen, die ihn hieher gebracht, nicht wie er es auch nie recht geglaubt, des Popanz Tochter, sondern die seines Vaterbruders sei, die man in dem Wasser umgekommen meinte. Da erzählte er ihr denn alles, und beide wurden gar froh in ihren Herzen und sannen nun mit einander, wie sie von der Insel fortkämen. Die Königstochter hatte aber während der langen Jahre, die sie nun schon bei dem Popanz war, von ihm auch etwas zaubern gelernt, und wie er einst abwesend war, verschaffte sie sich seinen Zauberspiegel, in den schaute sie und erfuhr, daß ein Fußsteig von der Insel führte, auf dem sie entkommen könnten, wenn sie nur den Zauberstab besäßen. Das alles entdeckte sie sogleich dem Königssohn, und als es nun Abend wurde und der Popanz mit seiner Frau fest in ihrer Stube schliefen, schlich sie leise hinein, nahm den Zauberstab fort, stellte einen Topf, in den sie eine Bohne that, in der Küche ans Feuer, und sagte zu ihr: [265] »Nun antworte du für mich, bis du gekocht bist!« darauf machten sie sich beide auf und gingen davon. Nicht lange danach wachte die Alte auf, und da sie das Mädchen nicht auf dem Lager fand, rief sie nach ihr und fragte, wo sie wäre; da rief die Bohne: »ich stehe am Feuer und wärme mich!« und als die Alte zum zweiten und dritten Male, nachdem einige Zeit vergangen war, wieder rief, antwortete die Bohne wieder, wie vorher. Endlich aber antwortete die Bohne nicht mehr, und da sprang die Alte auf, die Königstochter und den Königssohn zu suchen, aber da war alles fort. Nun weckte sie schnell den Popanz, der wurde gar zornig, als er seinen Zauberstab vermißte, und zog seine Siebenmeilenstiefeln an, und dachte, er wolle sie wohl bald einholen, dann sollten sie's aber auch entgelten. Unterdessen waren die beiden schon weit fort, sahen sich aber immer um, ob ihnen der Popanz auch nicht nachfolge; da erblickten sie ihn endlich, und nun nahm die Königstochter den Zauberstab und verwandelte die ganze Gegend in einen schönen Garten, den Königssohn in eine Biene, sich selbst aber in eine schöne Blume. Da konnte sie nun der Popanz nicht finden und mußte unverrichteter Sache wieder heimkehren. Wer aber vorüberging, der wunderte sich über den schönen Garten, und besonders wollte ein jeder gern die schöne Blume brechen, aber das litt die Biene nicht, die, so wie einer sie nur anrühren wollte, ihm in die Hand stach, daß er sie eilig zurückzog. Nachdem nun der Popanz lange genug fort war, verwandelten sie sich wieder in [266] Menschen, zogen weiter und kamen endlich in das Land, das dem Vater des Königssohns gehörte. Da freute sich der alte König über die Maaßen, sie heirateten sich nun beide und lebten glücklich und zufrieden, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Märkische Sagen und Märchen. Märchen. 1. Die Königstochter beim Popanz. 1. Die Königstochter beim Popanz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-C633-0