[254] 293. Weking als Bettler.
Einstmals hat Herzog Weking Bettlerlumpen angezogen, sodaß er gar unkenntlich und unscheinbar geworden. Und also ist er hingegangen, um zu erfahren, wie es in dem Lager des hochgewaltigen Karl aussehe und welche Macht und Pracht daselbst zusammengekommen sei. Als er nun aber eintrat in das Feldlager der Franken, so war gerade der Tag des Herrn, und beide, das Volk und die Fürsten, hatten sich versammelt im heiligen Bethause. Da hat sich Weking gesellt zu den andern Krüppeln, welche am Eingange des Heiligthums harrten, daß man ihnen ein Almosen darreichte. Denn hier, meinte der königliche Bettler, könne er am unbeachtetsten den gepriesenen Karl schauen, wenn er in der Mitte seiner Helden und Gewaltigen aus dem Gotteshause trete. Als er nun, hart an die Pforte gelehnt, sich hinüberbiegt und hineinblickt in die geweihte Wohnung, da soll vom Altare das Jesuskind ihn angelächelt haben. Und hier, sagt man, sei ihm zuerst der Gedanke entstanden, auch wol ein Christ zu werden. Als dann Karl heraustrat, ist ihm die hohe Gestalt und der gewaltige Gliederbau des fremden Bettlers aufgefallen, und er hat wol geahnt, wer es sei. Weking aber ist in Frieden und tiefen Gedanken zu den Seinen heimgekehrt.
Nach der ältern Legende, welche Klopp, Geschichten und Sagen, II, 171 fg., mittheilt, soll Wittekind, sobald es ihm war, als ob das Christuskind auf dem Arme der Jungfrau Maria ihm winkte und spräche: »Komm her zu mir«, sich vor dem Altar auf die Knie niedergeworfen haben und, als alle ihn erstaunt und verwundert umringten, gesprochen haben: »Ich bin Widukind, der Sachsenherzog, gebt auch mir die Taufe, daß ich ein Christ werde, wie ihr.«