109.

Wenn am Hochzeitstage die Braut umgekleidet wird und das Festgewand ablegt, wird ihr das Käppchen (unterschieden von der Müsche oder Haube) aufgesetzt; um dies entspinnt sich indessen ein Kampf zwischen Frauen und Mädchen, in welchem jene zuletzt siegen und meistens den Sieg durch eine Weinkaltschale erkaufen. Aus Alten-Hundem. Diese Brautkaltschale heißt timpenbreï, tippenbreï, tüntenbreï, in Werdohl [38] brûttrieseck; trieseck heißt dort ein Brei von Brot und Buttermilch, welchen man bei Iserlohn greïse Graite nennt. Mittheilung Woeste's.


»In der Rheingegend ist es bei der Hochzeit ein besonders ergötzliches Kämpfen zwischen den Weibern und Jungfrauen des Brautzugs; jene suchen der Braut mit List oder Gewalt eine Haube, die der Hausfrau geziemende Kopfbedeckung, aufzusetzen; diese aber stehen der Braut zur Seite, es zu verhindern und die Braut möglichst lange im jungfräulichen Anzuge zu erhalten. Wenn es den Weibern gelingt, die Haube anzubringen, so ist der Jubel ohne Schranken. Die Braut wird dann als Frau betrachtet. Daher die sprichwörtliche Redensart: ›Unter die Haube bringen.‹ So auch muß die Braut vor den Weibern auf der Hut sein, daß ihr ein Schuh ausgezogen und vertauscht wird. Die Deutung ist, wie beim Ausziehen des Kinderschuhs, der Ernst des Lebensschritts.« Montanus, S. 85. Ueber das hier erwähnte Ausziehen der Schuhe vgl. Schmitz, S. 58: »Wenn das Mahl etwa zur Hälfte vorüber ist, sind die Mädchen darauf bedacht, die Schuhe der Braut, und die Jünglinge, die Schuhe des Bräutigams zu erhaschen. Gelingt dies dem einen Theile, so muß der andere Theil demselben die Schuhe abkaufen, damit der Bräutigam oder die Braut zu dem nach der Mahlzeit beginnenden Tanzen mit Schuhen versehen sind.« Winkel und Umgegend. Ebenso in Vorarlberg: »Bei Bauernhochzeiten wurde vor noch nicht langer Zeit der Braut, nachdem sie eine Runde getanzt hatte, ein Schuh ausgezogen«; Vonbun, S. 67. Ebenso suchen die Verheiratheten in Heßen der Braut den Kranz vom Kopfe zu reißen und den rechten Schuh auszuziehen; ehe sie sich unter die Verheiratheten setzt, bekommt sie ein Paar ganz neue Schuhe; Sander in Wolf, Zeitschrift, II, 78. Am Harz wurde früher gegen Ende des ersten Hochzeitstags der Braut der Schuh ausgezogen und auch den Brautjunfern wurden die Schuhe weggenommen; Pröhle, Harzbilder, S. 9. In England wurde ein alter Schuh, wie es scheint, dem Bräutigam nachgeworfen: »The ancient custom of throwing an old shoe after a person for luck, is not yet disused in the North. In the case of marriages it is often practised even among the great.« Brand. pop. ant., II, 490; Gloss. of North-Country words, s.v. old shoe. Entweder hat dieser englische Gebrauch nichts mit der obigen [39] Sitte zu thun, oder er beruht auf Entstellung; ursprünglich mußte der alte Schuh dem Bräutigam überreicht werden, welcher der Braut dafür ein Paar neue Schuhe gab, als Symbol, daß die Frau durch die Ehe in die Mundschaft des Mannes kam; auch bei der Adoption mußte der Aufzunehmende in einen frischen Schuh treten, in dem der Vater unmittelbar vorher gestanden hatte, und unterworfene Fürsten mußten den Schuh ihres Sie gers zum Zeichen des Gehorsams tragen; Weinhold, Deutsche Frauen, S. 228, welcher mit Recht an die Umkehrung des Verhältnisses erinnert, die sich in den Pantoffeln gebietender Ehefrauen erhalten habe. Ebenso sieht er in dem Tritt des Bräutigams auf den Fuß der Braut (schon im Meier Helmbrecht, 1534: »Si sungen alle an der stat: ûf den fuoz er ir trat«) ein Symbol der Besitzergreifung (Grimm, Rechtsalterthümer, S. 142); jetzt sucht gewöhnlich die Braut dem Bräutigam auf den Fuß zu treten, um die Herrschaft zu erlangen; Weinhold, a.a.O.; Märkische Sagen, S. 358. In der Bergstraße und dem Odenwald ist es bei der Hochzeit Sitte, der Braut einen Schuh auszuziehen und daraus zu trinken, Wolf; Beiträge, I, 211, Nr. 98. Im ganzen ähnlich ist der Gebrauch im Hildesheimschen, wo am dritten Tage nach dem Eßen die Braut in den Frauentanz gebracht wird. Mit Musik ziehen alle auf einen nahen Berg oder freien Platz, die junge Frau, noch immer Braut genannt, trägt den Brautkranz; ihr diesen zu nehmen und ihr dafür den Hut des Mannes aufzusetzen, ist die Aufgabe der Verheiratheten, während die Unverheiratheten dies zu verhindern und die Braut mit dem Kranz nach Hause zu bringen suchen. Die siegende Partei hat nicht nur von der unterliegenden eine Weinkaltschale zu erwarten, sondern auch von da ab bis zum Schluße der Hochzeit das Vorrecht beim Tanzen. Die Verheiratheten bilden einen Kreis, in welchem die Unverheiratheten tanzen. Der Brautknecht tanzt mit der Braut und versucht nun, unversehens den Kreis zu durchbrechen und mit der Braut zu entfliehen. Die Verheiratheten aber passen gut auf, verhindern das, umringen die Braut, nehmen ihr den Kranz ab und setzen ihr den Hut ihres Mannes auf, welchen des Freiwerbers Frau so lange unter ihrer Schürze verborgen gehalten. Von jetzt an heißt sie die junge Frau. Sie behält den Hut auf und muß nun mit den Frauen, welche sich [40] alle anfaßen, tanzen, d.h. sie wird in den Frauentanz gebracht; Seifart, S. 155. Das Aufsetzen des Huts ist Symbol der Besitzergreifung; es findet sich in gleicher Weise bei den Dietmarsen; wenn die Braut aus dem väterlichen Hause geholt wird, wird sie im jungfräulichen Schmuck, das Haupt ganz verhüllt, hereingeführt. Wenn alles zur Abreise fertig ist, wird sie von ihren nächsten Verwandten dem Brautknecht übergeben und ihr des Bräutigams Hut aufgesetzt u.s.w.; Grimm, Rechtsalterthümer, S. 148 fg.; Weinhold, Deutsche Frauen, S. 249. (Ueber den von Seifart [S. 168] besprochenen Geduldhahn, für den er S. 207 die Quelle vermißt, bemerke ich, daß diese Nachricht dem Bremisch-Niedersächsischen Wörterbuch, Zusätze, V, 384, entnommen ist.) Die Sitte, daß der Sieg der Frauen von diesen meist durch eine Weinkaltschale erkauft wird, geht wol auf den ursprünglichen Eheschluß durch Kauf zurück; denn es war Sitte im Mittelalter, einen eingegangenen Kauf durch Weintrunk zu feiern; Grimm, Rechtsalterthümer, S. 191 fg.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen. Zweiter Theil. Gebräuche und Aberglauben. Hochzeit. 109. [Wenn am Hochzeitstage die Braut umgekleidet wird und das Festgewand]. 109. [Wenn am Hochzeitstage die Braut umgekleidet wird und das Festgewand]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-CB8C-6