[352] 12. Von der Königstochter, die den heiraten will, welcher ihr etwas erzählt, was sie nicht glaubt.

Schriftlich von Herrn Schullehrer Hille in Liepe bei Rathenow.


Es war einmal ein König, der hatte eine Tochter, welche denjenigen zum Manne nehmen wollte, der ihr etwas erzählen würde, was sie nicht glaubte; wer ihr so etwas erzählen würde, daß sie sagen müßte: »Das ist nicht wahr!« der solle ihr Gemahl werden und nach des Königs Tode das Reich bekommen; wenn sie aber glauben würde, was einer ihr erzählte, dann sollte ihm der Kopf abgeschlagen werden. – Waren nun schon viele gekommen, um ihr Glück bei der Königstochter zu versuchen, denn sie war gar schön, aber was sie auch Wunderbares erzählt hatten, die Königstochter hatte es doch geglaubt und allen war der Kopf abgeschlagen worden. Da kam auch einst ein alter abgedankter Soldat in die Stadt und wollte sein Glück auch versuchen. Die Königstochter ließ ihn vor sich und freute sich, daß sie wieder einen Kopf mehr auf ihr Gitterthor spießen laßen könnte, und sagte zu dem alten Invaliden: »Nun erzähle!« Der Alte besann sich auch nicht lange, und fing an:

»Ich bin gar weit umhergereist und bin auch sogar nach dem Himmel gewesen. Als ich mir da alles besehen hatte, wollte ich wieder hinunter auf die Erde, aber ich konnte den Weg nicht finden. Als ich nun danach suchte, kam ich zu einem Häckselschneider, den fragte ich: ›Lieber Freund, ihr wißt wohl hier Bescheid; könnt ihr mir nicht sagen, wo der Weg zu Erde geht.‹ Da machte er eine Klappe auf und sagte: ›Da geht's hinunter!‹ – Ja, sprach ich, das ist ja so tief, da breche ich mir Hals und Beine, wenn ich hinunterspringe! Der Mann aber zeigte mir einen großen, großen Berg Häcksel, den [353] er schon geschnitten hatte, und der war so fein wie Staub. ›Den knüpfe zusammen,‹ sagte er, ›und du wirst ein so langes Seil bekommen, daß du dich daran auf die Erde hinablaßen kannst.‹ Ich that es, band allen Häcksel zusammen, machte das Seil an der Klappe fest und rutschte daran hinab; aber als ich am Ende war, da war ich noch lange nicht auf der Erde und schwebte und zappelte da mitten zwischen Himmel und Erde. Zuerst wußte ich nicht, was ich thun sollte, bald aber besann ich mich, holte ein Meßer hervor, schnitt das Seil oben ab, drehte es um und rutschte nun von dort, wo ich geschwebt hatte, wieder weiter hinab, aber immer war ich noch weit von der Erde entfernt, und umdrehen konnte ich doch das Seil nicht wieder, da ich es schon einmal gethan hatte. Darum versuchte ich's nun mit Springen, ich sprang hinab, und so weit und gewaltig war der Sprung, daß ich bis an die Arme in die Erde sank. Da steckte ich nun fest drin und wußte nicht wie herauskommen. Als ich so schon lange, sehr lange in der Erde festgeseßen hatte, kam ein Fuchs ganz nahe bei mir vorbei, den packte ich beim Schwanz und darüber erschrak er so, denn er hatte mich nicht gesehen, daß er einen ungeheuren Satz machte und ich mit einem Ruck aus der Erde fuhr. Aber der Fuchs hatte sich so erschrocken, daß er jetzt mit so großer Schnelligkeit den Schwanz zwischen die Beine klemmte, daß ich mit aller Gewalt ihm in den Hintern geworfen wurde und wohl noch zehn Klafter weit in seinen Leib hineinfuhr.«

Die Königstochter hatte das alles ruhig mit angehört und es geglaubt, darum fuhr der Invalide fort: »Als ich nun im Bauche des Fuchses war, ging ich ein wenig spazieren und kam in eine große Stadt, darin war eine Kirche, in der predigte ein Prediger, und das war so rührend und herzzerreißend, daß alle Ziegel auf den [354] Dächern klapperten.« – »Sieh!« sprach die Königstochter und war schon etwas verwundert, »was predigte er denn?« – »Er predigte, du Königstochter wärest eine Metze!« – »Das ist nicht wahr!« platzte die Königstochter heraus, und da mußte sie den Invaliden zum Manne nehmen und ihn behalten bis an ihr Ende.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche. B. Märchen. 12. Von der Königstochter, die den heiraten will. 12. Von der Königstochter, die den heiraten will. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-D44D-7