289. Wölpe.

Mündlich.


Bei Nienburg an der Weser liegt das jetzige Amt und ehemalige Schloß Wölpe, auf dem hat in alter Zeit ein Graf Erich (andre sagen, es sei ein Amtmann gewesen) gewohnt, deßen Frau hat auf einmal zwölf Knaben geboren, und ist so grausam gewesen, der Magd zu befehlen, daß sie einen zurückbehalten, die andern elf aber im Bache, der am Schloße vorüberfließt, ertränken solle. Die Magd hat auch dem Gebot Folge leisten wollen, hat die Kleinen in einen Korb gethan und ist hinausgegangen; wie sie aber draußen auf den Damm kommt, begegnet ihr Graf Erich, der fragt sie, was sie in dem Korbe habe? und sie antwortet in ihrer Angst, um nur davonzukommen, es seien junge Wölfe, deren es zu damaliger Zeit sehr viele in dieser Gegend gab. Der [257] Graf aber verlangte die Thiere zu sehen und erblickte nun die elf Knäblein, eins gestaltet wie das andre. Da hat er der Magd geboten, ihm zu folgen, und keinem Menschen von dem, was er thun würde, ein Wort zu sagen. Er hat darauf die Kinder bei verschiedenen Leuten in der Nachbarschaft untergethan, und da sind sie denn bis zur Confirmation geblieben; als diese aber geschehen war, hat er sie dem zwölften völlig gleich ankleiden laßen, hat sie so zur Gräfin gebracht und ihr gesagt, sie solle aus ihnen ihren Sohn heraussuchen; das hat sie aber nicht gekonnt. Nun hatte er aber früherhin bereits einmal die Frage an sie gethan, was wohl einer Mutter geschehen müße, die ihre eignen Kinder umbringe, und sie hatte gesagt, daß eine solche werth sei, in siedendes Oel geworfen zu werden, oder dem ähnliches. Daran erinnerte sie nun der Graf und sagte ihr zugleich, das seien ihre zwölf Kinder, die sie geboren, und diese elf seien von ihm gerettet und er habe sie auferziehen laßen, aber er wolle nun nicht nach ihrem eigenen Urtheil, das sie sich gesprochen, an ihr verfahren und wolle sie am Leben laßen, daß sie sich noch ihrer Kinder freuen möge. Und so hat er auch gethan, er hat mit ihr und den zwölf Kindern noch lange gelebt, den Ort aber hat man von dieser merkwürdigen Begebenheit seitdem Wölpe genannt.

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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche. A. Sagen. 289. Wölpe. 289. Wölpe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-D54B-7