102. Der vergrabene Schatz.

Mittheilung von Honcamp in Büren.


Vor vielen Jahren kommt einmal spät Abends zu einem Bauer in der Nähe von Drensteinfurt im Münsterlande ein Handwerksbursch, und bittet um ein Nachtlager. Der Bauer verweigerte es ihm, der Bursche schlich sich aber heimlich in einen Strohschuppen und legte sich auf die Hille. Gegen Mitternacht hörte er ein Geräusch und bemerkte zugleich den Bauer, der sich beim [100] Schein einer Laterne in die Nähe des Kuhstalls begab und anfing zu graben. Als er das Loch mehrere Fuß tief gemacht hatte, senkte er einen Kasten hinein, über den er den Bann sprach, daß er nur dann, wenn zwölf Söhne einer Mutter an dem Platze versammelt wären, solle gehoben werden können. Nun wußte der Bursch recht gut, daß der Schatz nur auf diese Weise gehoben werden könne, denn bei jedem andern Versuche würde er nur viele Klafter tiefer in die Erde versinken, er entfernte sich daher stillschweigend und ungesehen. Erst nach zwölf Jahren kam er wieder in dieselbe Gegend und die Neugierde trieb ihn, wieder in dem Hause des Bauern einzukehren. Hier fand er den Mann verstorben, die Familie verarmt, die Tochter aber mit einem jungen Manne verheirathet. Sie erzählten dem Handwerksburschen, wie sie nach dem Tode des Alten nichts als Unglück gehabt hätten; das Vieh sei ihnen gefallen, und hätten sie anderes angeschafft, so sei diesem in wenigen Tagen der Hals umgedreht gewesen; so seien sie immer mehr zurückgekommen und zuletzt ganz verarmt. Der Handwerksbursch wußte nun recht wohl den eigentlichen Grund des Misgeschicks, denn wer Geld vergräbt, kann nicht zur Gnade gelangen und muß als Poltergeist bei dem Schatze spuken, solange bis er gehoben ist. Er sagte aber davon nichts, sondern erbot sich nur, ihnen wieder aufzuhelfen, nur müßten sie thun, was er verlange. Er gab nun der Frau etwas Geld, daß sie dafür eine Glucke mit vielen Küchlein kaufe, sie that es, und es waren sechs Hähne darunter; nun wurde die Henne gut gefüttert, sie brütete, und man erhielt wieder sechs Hähne. Diese zwölf Hähnchen that der Handwerksbursche in einen Korb und ging nun mit demselben und dem Ehepaar nachts zwischen 11 und 12 Uhr zu der Stelle, wo der Schatz vergraben lag. Hier wurden [101] die Hähne niedergesetzt, und kaum war es geschehen, so wurden sie alle entsetzlich zerzaust und in Stücke gerißen, daß die Federn in der Luft umherflogen. Darauf gab der Handwerksbursche den Befehl, einen großen Stein wegzuheben; unter demselben fand sich ein Brett, und unter diesem sah der Handwerksbursch das Geld in einem Keßel blinken, die andern sahen aber nichts. Darauf steckte er einen Hebebaum durch die Henkel des Keßels, die beiden Eheleute müßen heben und sehen nun zu ihrem Erstaunen, daß sie einen Keßel emporheben. Als sie ihn glücklich heraufgebracht hatten, erklärte er ihnen den ganzen Zusammenhang und sagte, nun sei der Verstorbene zur Gnade gelangt, da der Teufel seinen Muth an den zwölf Hähnchen gekühlt habe. Das Ehepaar bedachte den Burschen mit einem reichlichen Geschenk, und er ging wieder von dannen.


Aehnlich Schambach u. Müller, Niedersächsische Sagen, Nr. 261, 2, vgl. die Anmerk., Pröhle, Oberharzsagen, S. 195; noch näher schließt sich eine Erzählung bei Rußwurm, Sagen aus Hapsal, Nr. 9, an, wo sieben Hähne statt unserer zwölf; zu der Bannung des Schatzes noch Rußwurm, ebendaselbst, Nr. 8, 10. Ein zur Hebung des Schatzes erforderliches kohlschwarzes Huhn bei Seifart, Hildesheimer Sagen, Nr. 31, vgl. Norddeutsche Sagen, Nr. 11 mit der Anmerkung; wer zwei schwarze Hühnlein aus dem Ei brüten und sie über die Schlucht im Rüderthal schlüpfen ließe, der würde den dort liegenden Schatz gewinnen, und das bei demselben weilende Weib erlösen; Rochholz, I, 259, Nr. 178, vgl. auch Grimm, Mythologie, S. 929 und 961, wo Huhn, Hahn, Bock und Schaf, sämmtlich schwarz als zur Hebung des Schatzes erforderliche oder anderweitige Teufelsopfer erscheinen; vgl. auch Simrock, Mythologie, S. 503, selbst Menschen, Schambach u. Müller, Nr. 193, 2, vgl. zu 137. Schwarze Hähne und Hühner werden auch sonst dem Teufel geopfert; Nordd. S., Nr. 24, Anm.; ebd. Gebr., 104, Anm.; ein verzaubertes Schloß, das durch einen hinkenden schwarzen Hahn erlöst werden kann, bei Müllenhoff, Nr. 467, ein schwarzer Geißbock zur Hebung des Schatzes bei Baader, Nr. 235, Schambach u. Müller, Nr. 139, 2. Dem h. [102] Veit werden für Gichter bei Kindern schwarze Hennen, in frühern Zeiten auch Geld und Zwiebeln geopfert; Wolf, Zeitschrift, I, 407. Wenn jemand einen schwarzen Hahn, eine schwarze Katze oder ein schwarzes Lamm auf der verfallenen Alm dreimal zum Schreien bringen könnte, so würde sie wieder vom Schnee befreit werden; Wolf, Zeitschrift, II, 31. Um den Kobold zu begütigen, opfert man eine Henne; Rochholz I, 370; schwarze Hühner als Opfer einem alten Gott dargebracht (?); Wolf, Heßische Sagen, Nr. 10 mit der Anmerkung. Im Gegensatz zu den schwarzen Schatzopferthieren wird ein schneeweißes Huhn, an dem kein schwarzes Pünktchen sein darf, zur Hebung des Schatzes verlangt; Schambach u. Müller, Nr. 137, 1.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen. Erster Theil. Sagen. 102. Der vergrabene Schatz. 102. Der vergrabene Schatz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-D56D-C