[275] [280]6. Clorinda beklagt sich/ daß ihr Himmlischer Daphnis bey ihr nicht eingekehrt/ vermerckt aber/ daß die Welt-Sorgen/ welchen sie noch nicht völlig abgesagt/ wie auch/ daß Er seine Liebhaber bißweilen mit der Verlassenheit zu prüfen pflege/ dessen Ursach sey

Pessulum ostii mei aperui Dilecto meo, at ille declinaverat, atque transierat,

Cant. 5. v. 6.


Da ich meinem Geliebten den Riegel meiner Thür auffgethan hatte/ war' Er hinweg/ und hingegangen.


1.
Wie pflegt verdiebt
Nicht immer mit vielen
Die Liebe zu spielen/
Insonderheit wann
In hefftigem Brann
Die Menschen seynd verliebt?
Sie schärfft nur immerzu/
Und räizet das Verlangen
Laßt aber schmertzlich hangen
Die Hertzen in Unruh'.
[280] 2.
Diß Jacob hat' 1
Erfahren auch müssen
Nicht ohne Verdriessen/
Als ihme zur Burd'
Getrungen auff wurd' 2
Lea an Rachels-statt/ 3
Mit vielem Streit/ und Zanck
Die Rachel müßt erwerben
So/ daß er von dem herben
Verlangen/ offt schier kranck.
3.
Ich hab die Thür
Gelassen was offen
Mit gantzem Verhoffen
Mein Daphnis werd' auch/
Nach seinem Gebrauch/
Heut kehren ein bey mir/
Er aber/ läider! ist
Vorüber sacht' geschlichen/ 4
Gantz heimlich abgewichen
Als einer/ der entrüst!
4.
Es macht die Sach
Nicht ohne Bekräncken
Mir schwäres Nachdencken/
Indem Er sonst nie
Wie spat es auch je/
[281]
Verschmächt mein armes Tach:
Was muß die Ursach seyn/
Daß Er heut ausgeblieben?
Hab' ich Ihn dann vertrieben?
O Schmertz/ O Qual/ O Pein!
5.
Als in dem Meer
Leander gesuncken/
Armselig ertruncken/
Und nimmer verrucht
Die 5 Liebste besucht/
Hat es sie kränckt so sehr/
Daß in den Hellestont 6
Sie eylends sich gestürtzet/
Das Leben ihr verkürtzet
Des Schmertzens ungewohnt.
6.
Wie kan dann ich
Von Atropos-Ketten 7
Nunmehro mich retten/
Wann Daphnis nicht meh
Mit seinem Einkehr
Forthin wird trösten mich?
Ich will ja tausendmahl
Eh-zeitig lieber sterben/
Als Hoffnung-los abserben
In stäter Liebes-Oual!
[282] 7.
Man sagt/ ein Löw/ 8
Der Wunden genesen/
Sey nachmals gewesen
Aus Viehischem Raht
Nach schlechter Gutthat
Dem Artzten also treu/ 9
Daß er auff dessen Grab/
Der ihn zuvor geheilet/
Die Nahrung mitgetheilet/
Sich todt geheulet hab'.
8.
O treues Thier!
Soll meine Lieb deiner
Dann weichen/ und kleiner
Zurücke weit stehn/
Nicht trauren umb Den/
Der gar vermählt mit mir!
Soll minder ich betrübt
Dann seyn umb Den/ der sterbend'/
Am Creutz mein Heyl erwerbend'
Mich mehr/ als sich/ geliebt?
9.
Ach nein/ O Gott!
Ich lasse den Löwen
Mit seiner so trewen
Vergeltung mir nicht
Zu einem Gedicht
[283]
Erweisen solchen Spott:
Niemand soll diese Schmach/
(Ich hab so schlecht geliebet/
Daß ich mich nicht betrübet
Umb Daphnis) sagen nach.
10.
Wann Er mich solt'
Hinfüro verschmähen/
Nicht lassen mehr sehen
In meinem Hauß sich/
Vor Traurigkeit ich
Zu tod mich wainen wolt';
Mit Myrrha 10 wolt' ich seyn
Bald in den Baum verkehret
Der vast niemahl auffhöret
Zu zähern seine Pein.
11.
Wo Daphnis nicht
Sich würcklich befindet/
Gleich alles verschwindet/
Was tröstlich je war'/
Unlustig so gar
Wird auch des Tages-Licht/
Und wo er sich auffhält/
Da ist der Trost vollkommen/
Wird alles hingenommen/
Was sonsten schmertzt und quält. 11
[284] 12.
Wie kanst du doch/
O Daphnis mich hassen/
So gähling verlassen/
In dem du doch mir
Unlängsten allhier
Verpflichtet dich so hoch!
Ist das die Liebes-Art/
Daß man so bald abbauet/
Versagt die Gegenwart! 12
13.
Ich halt' darfür/
Ich hab mich verschossen
(So Daphnis verdrossen)
Weil nemlich ich heut
Eröffnet zu weit
Den Rigel meiner Thür:
Des Menschen Hertz soll seyn
Ein gantz verschloßner Garten/ 13
Wo niemand zu erwarten/
Als eintzig Er allein.
14.
Merckt diese Lehr/
Ihr keusche Jungfrauen/
Nicht leichtlich zu trauen;
Ach stosset der Thür
Die Rigel doch für/
[285]
Wann lieb euch eure Ehr:
Ein Hauß/ so immerdar
Auch bey der Nacht steht offen/
Nichts anders hat zu hoffen/
Als eine Diebs-Gefahr.
15.
Weil/ läider! ich
Mit etwas Verlangen
Noch schwanger gegangen/
Und dessen nicht gar
Entäusseret war'/
Hat Er gemeydet mich:
Er/ wie die Arch/ kan nicht
Bey sich den Abgott 14 leyden/
Er pflegt das Hertz zu meyden/
Wo Er Mitfreyer 15 sicht.
16.
Zu dem pflegt Er
Die Liebe der Hertzen
Durch Kummer/ und Schmertzen
Zu prüfen/ ob man
Beständig auch dann/
Wann man des Trostes lär?
Es aßt sich durch kein Weh'
Die wahre Lieb zertrennen/
[286]
Das gabe zu erkennen
Gar schön Penelope. 16
17.
Und wann offt schon
Sich Daphnis erzeiget
Sehr übel geneiget/
Als wann Er nunmehr
Erzörnet/ sich fehr
Gemachet hätt' darvon;
Bleibt Er doch an der Thür/ 17
Und schaut/ wann dein Hertz bitter/
Heimlich durch das Gegitter
Mitleidenlich herfür.
18.
Als Daphnis dort
Der frommen Cathrinen
Von Senis erschienen/
Als welche sehr lang
Durch Beriths 18 Bezwang
Geängstigt fort und fort:
Sagt sie; wo waret Ihr/ 19
Mein Herr/ in meinem Schmertzen?
Er sprach: in deinem Hertzen/
Und halffe streiten dir.
[287] 19.
So will ich ihn
Dann nimmer verdencken/
Noch hefftig mich kräncken/
Ob schon Er mir nicht
Stäts tröstlich zuspricht/
Wann ich betrübet bin:
Genug ist es/ wann Er
Mich nur nicht gar verlasset/
Als eine Feindin hasset/
Wie ich es würdig wär'.
20.
Ich will fünfffach 20
Die Thüren verriglen/
Ja gar sie versiglen/
Auff daß mir kein Dieb
Durch weltliche Lieb
Mein Hauß verdächtig mach';
Damit Er die Clorind'
Allein in ihrem Zimmer
Den Dagon 21 aber nimmer
In ihrem Hertzen find'.

Fußnoten

1 Gen. 29.

2 vers. 25.

3 vers. 25, 26.

4 Cant. 5. v. 6.

5 Die Ero.

6 Das enge Meer zwischen Sest und Abidus, nicht weit von Constantinopel.

7 Von dem Tod.

8 Sophronius in Prato Spir. c. 107.

9 Dem H. Abbt Gerasimus, der ihme einen Dorn aus den Klawen gezogen. Sophron. in Prato spir. c. 107.

10 Myrrha ist vor Läid in einen Myrrhen-Baum verwandlet worden. Ovid. 10. Met. Poët.

11 Thom. de Kemp. lib. 2. c. 8. v. 11.

12 Thom. de Kemp. lib. 2. c. 8. v. 1.

13 Hortus conclusus Cant. 4. vers. 12.

14 1. Reg. 5. v. 3. & 4. Dagon.

15 Mitbuhler.

16 Die Frau Vlißis, welche 20. Jahr dem abwesenden Mann getreu verblieben.

17 Prospiciens per cancellos. Cant. 2. v. 9.

18 Geist der Unremigkeit.

19 Valent, Leuchtius in vitu SS. 29. April.

20 Die. 5. Sinn.

21 Welt-Sorgen/ dann Dagon heißt Geträid/ und Fisch.

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TextGrid Repository (2012). Laurentius von Schnüffis. Gedichte. Mirantisches Flötlein. Der Clorinden dritter Theil. [Wie pflegt verdiebt]. [Wie pflegt verdiebt]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DB50-9