[108] [112]2. Clorinda ersiht unverhofft ihren himmlischen Daphnis, empfangt grossen Trost darab/ und neue Hoffnung/ etc

Audivit Dominus, & misertus est mei.

Psal. 29. v. 11.


Der Herr hat es gehört/ und sich meiner erbarmet.


1.
Die Nacht der Traurigkeit/
Sammt den Verzweifflungs-Schatten/
Die mich besessen hatten/
Verschwinden allbereit/
Und geht die Heils-Auror' 1
Erwünscht zu tausend malen/
Mit vollen Hoffnungs-Strahlen/
Die gantz verwelckt zuvor/
Trostreich in mir empor.
2.
Dann als ich gestern matt
Am Schatten der Cypressen
Gantz Hoffnungs-loß gesessen/
Und mir gewäinet satt
So/ daß ich Thränen-lähr
Nun nicht mehr könnte wäinen/
Da laufft ich in den Heinen 2
[112]
Weh-klagend hin und her/
Als wann ich närrisch wär'.
3.
Die Seufftzer schossen mir
So ungestümm von Hertzen/
Daß ich vor Angstes-Schmertzen
Lufft-loß gestorben schier/
Und wäre mir nicht gleich
Die Müder-Brust zerspalten/
Wodurch ich Lufft erhalten/
So wär' ich im Gesträuch
Dort worden eine Leich.
4.
Ich schaute hin und her
Nach jedem Ort der Winden/
Ob nicht ein Mensch zu finden/
Der mir verhülfflich wär/
Ach aber auch so gar
Auff Feldern/ Berg- und Auen/
So weit ich könnte schauen/
In meiner Tods-Gefahr
Kein Mensch zu spühren war'.
5.
Ich stellte mich alldort/
Und fienge an zu schreyen/
Daß in den Wüsteneyen
Erschallten meine Wort/
Und weilen ich sie schlimm
Mit seufftzen underbrochen/
[113]
Als hat der Wald entsprochen/
Wie ich geruffen ihm/
Auch nur mit halber Stimm.
6.
Ich bildete mir ein/
Es müßte die verliebte/
Um den Narciß betrübte
Thal-Göttin Echo 3 seyn:
Als welche in dem Thal/
Und duncklen Satyr-Hainen 4
Pflegt kläglich zu bewäinen
In ewiger Trangsal
Ihr strenge Liebes-Qual.
7.
Und weil ich mich befand'
In gleichem Läid begriffen/
Mit gleichen Unglücks-Schiffen
Gestrandet auff dem Sand/
So hab' ich auch mit Ihr
Den Jammer meiner Plagen
Gefangen an zu klagen
So/ daß die wilde Thier
Mit mir gewäinet schier.
8.
Ich stuhnde was erhöcht'
Von Bäumen abgesündert/
Auff daß ich ungehindert/
Dem Thal zuschreyen möcht'?
Sprechend: Ich frage dich/
[114]
O Echo, kan auff Erden
Ein Mensch an Läids-Beschwerden
Auch übertreffen mich?
Echo antwortet: Ich.
9.
Ach nein! das kan nicht seyn/
Sagt' ich/ dann niemand leidet/
So lang mich Daphnis meidet/
Wie ich/ so grosse Pein!
Sag' mir/ ist es' nicht schwär
In Gottes Zorn zu leben/
Wer kan vom Geist-auffgeben
Mich retten dann? Ach wer!
Echo antwortet: Er.
10.
Ach Echo, deine Wort
Sehr pflegen zu betriegen/
Indem sie halb nur fliegen
Aus deiner Kählen fort/
Du wilst darmit allein
Mich also unerschrocken
Zu dem Verderben locken
Tieff in den Wald hinein/
Echo antwortet: Nein.
11.
Wohlan dann wann ich dir/
Sagt' ich/ recht darff vertrauen/
Auff deine Wörter bauen/
So sag'/ ô Echo, mir/
[115]
Werd' ich dann (ungescheucht
So vieler meiner Sünden)
Verzeihung können finden
Bey Daphnis noch vielleicht?
Echo antwortet: Leicht.
12.
Vor Freuden muß mein Hertz/
Sagt' ich/ noch heut zerbrechen/
Wann dieses dein Versprechen
Herrührt aus keinem Schertz:
Soll Daphnis auff das neu
Sich lassen wohl versöhnen/
Ach was kan doch beschönen
Mein Eyd-gebrochne Treu?
Echo antwortet: Reu.
13.
Die Reu in mir ist groß/
Sagt' ich/ schneidt wie ein Messer/
Ist gleich groß dem Gewässer 5
In tieffer Thetys-Schoß: 6
Sie quälet mich so hart/
Daß ich gantz muß zerfliessen?
Wann werd' ich dann geniessen
Des Daphnis Gegenwart?
Echo antwortet: Wart'.
14.
Ach ja von Hertzen gern
[116]
Win ich anhier verbleiben/
Mich soll da nicht vertreiben
Der spahte Abend-Stern:
So soll sich dann allda
Mein Daphnis lassen sehen?
Ach wird es bald geschehen
O liebste Sylvia? 7
Echo antwortet: Ja.
15.
O grünes Trost-Gestäud/
O lang erwünschte Zeitung/
Du meines Läids Ausreitung/
Und Pflantzung meiner Freud!
O ein erwünschte Sach!
Sag'/ Echo, hab' ich aber/
Den himmlischen Liebhaber
Zu lieben/ nicht Ursach?
Echo antwortet: Ach.
16.
Die Stimm mir kame vor/
Als wäre sie sehr nahe/
Darumb ich mich umbsahe/
Eh sie sich gar verlohr'/
Und sehe: nächst bey mir
Ein Schäffer sich befande
Mit scheinendem Vorwande/
Als sucht' Er etwann hier
Ein irrends Wullen-Thier.
[117] 17.
Ich fragte stracks/ was Er
Auff diesem Abweg machte/
Ob Er der Herden wachte/
Und was sein werben wär'?
Er sagte mir/ Er hätt'
Mein Traur-Geschrey vernommen/
Darumb wär' Er gekommen
Zu meiner Hülff/ und Rett'
Auff diese Jammer-Stätt.
18.
Er wär' gegangen auß
Ein Schäfflein auffzusuchen
Im Forst der grünen Buchen/
Und braunem Tannen-Hauß:
Sein Schäfflein sey Clorind'/
Die Er nunmehr gefunden:
Darauff ist Er verschwunden/
Und mehr als Plitz-geschwind
Verstiegen in den Wind.
19.
Als ich das sahe/ bin
(Weil Daphnis es gewesen)
Ich/ wie geschnittner Fesen/
Krafftloß gesuncken hin:
Als aber bald hernach
In mir die Lebens-Geister
Der Ohnmacht worden meister/
[118]
Da fühlt' ich/ gleichwohl schwach/
Erquickung allgemach.
20.
Es scheinte mir der Psön
Leiß in ein Ohr zu sagen/
Clorind' hör' auff zu klagen/
Daphnis ist nicht mehr hön:
Worauff ich wohl getröst
Von hinnen mich begeben/
Gefangen an zu leben/
Der grossen Forcht entblößt/
Von allem Läid erlößt.

Fußnoten

1 Des Heils Morgenröthe.

2 Dicken Wald-Gesträuche.

3 Wiederhall.

4 Dickes Gestaud.

5 Velut mare contritio. Thren. 2. v. 13.

6 Thetys die Göttin des Meers. Poët.

7 Wald-Göttin.

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TextGrid Repository (2012). Laurentius von Schnüffis. Gedichte. Mirantisches Flötlein. Der Clorinden anderer Theil. [Die Nacht der Traurigkeit]. [Die Nacht der Traurigkeit]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DBAF-8