Heinrich Lautensack
Die Documente der Liebesraserei

[53] Das Lied zur Laute

Dein Leib, der ist ein Garten reich,
darin ich selig weide;
in seiner Mitten glüht ein Teich ...
Über den Spiegel beug ich mich hin,
schau mein eigen Bild darin,
über den Spiegel beug ich mich hin,
schau mein eigen Bild darin,
tu meine Lippen bis an den Flaum
des Wassers – aufspritzt Schaum,
heißer Schaum,
weißer als weiße Seide.
Dein Leib, der ist ein Garten reich,
darin ich selig weide.
In seiner Mitten glüht ein Teich ...

[53] Von der Judentochter die Novelle

Es war eine schöne Jüdin,

ein wunderschönes Weib,

sie hatt ein schöne Tochter,

ihr Haar war schön geflochten,

zum Tanz war sie bereit.

(Des Knaben Wunderhorn)

I

Sei fremder zu mir, fremd. Laß toten Raum
von jetzt sein zwischen meinem Atem und
dem deinen. Denn heut wissen wir ja kaum
die Grenze mehr von deines Busens Rund
zu meinen Augen, deines Schoßes Schaum
zu meinen Lefzen, Lefzen wie ein Hund.
Komm mir mit Lippen, Zähnen, Zung und Gaum
so nicht entgegen mehr! Flieh mich, du Schlund!
Drei Tage waren, daß ich dich nicht sah,
seit wir uns kennen. Und in dieser Zeit
grub ich drei Zeichen in die Ewigkeit,
in den drei Tagen, die du mir nicht nah ...
Nun wieder aber stehen dir die Zitzen
geil ab vom Leibe, spitz wie Nadelspitzen!

II

Küßt mir den Mund und saugst, ihn küssend: »Nennt
er, den ich küsse, mich denn nie mehr wieder
scherzend wie oft: Mein Altes Testament ...?
Weißt du, das singt, das klingt! Wie Marsch und Lieder
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einst an die Mauern Jerichos, so rennt
das wider all mein Blut! ... Ja! hier durchs Mieder
bohrt Judenmädchenbusen! ... Ein Percent
vom Juden, Christ, hast auch!«
Und ihre Glieder
aufrauschen wie der Wildstrom in dem Walde
in meiner Heimat. Und ihr Haar ist Sausen
in Wipfeln. Ihre Brüste Speere. Grausen
zielt nach mir, und ich bin gehetzt.
»Du! Skalde!
Barde! Sing mir des Judenvolkes Schrei,
als ob es Jagd in Odins Wäldern sei!«

III

Eß ich den Staub von deinen Füßen: wie
von Wüste Staub so schmeckt er. Und vermengt
mit Manna mundets. Opferblutbesprengt
auch. Deine Füße, deine Sohlen, sie
haben Vernarbtes, blasse Narben, die
sind, weil der Väter Fuß einst ward versengt,
von gottszornglühenden Splittern ward versengt
aus jenen weggeschmissenen Tafeln. Und nie nie
mehr heilt das vollends ...
»Wie? Und euere Füße?
Wateten euere denn nicht in Meth,
bis an die Knöchel in Honigbier? O Süße,
längst abgestandener Zucker! O noch weht
mich euer Meth-Rausch an aus deinem Mund!
Iß dich von meinen Füßen nüchtern und gesund!«
[55]

IV

Und dieses Spiel, grad eh der Vorhang fallen muß:
Eine Judenwohnung. Juden an den Wänden
auf Bildern. Aus der Abgemalten Lenden
lebendige Juden um den Tisch hier. Allen
ist Gleiches eigen. Und sie schweigen. Und gefallen
sich in dem Schweigen ... Wie soll ichs beenden,
der ich hier steh, wie mit gefesselten Händen?
Wie? welche Worte mir zum Wurfe ballen
und schleudern auf sie alle?
Da! vom Wein
Trunkene könnten nicht so ähnlich schrein
als die Entsetzenstrunkenen hier –
Trat ein
die meine, durch die Tür, ganz nackt am Leibe.
Und sang: »Ihr Judenvolk!« Und tanzte fein:
»so hatte je und je er mich zum Weibe!!«

Von der Ehe die Komödie

Pierrot medisiert

Der Mond, der Mond, der Mond, der lästert mich! –
Schlittert er nicht (seht, seht!) auf glitzernd Füßen
mit meinem schwangren Fräulein minniglich
jetzt unter jenen Sommerbaum: zu süßen
dem zitzenstarrnden Weiberleib und sich
den bittren Erdentrunk? – aus speichelnd Drüsen
[56]
aus seinem Mund erst feuchtend ihren Strich
und dann unter viel zotigen Exküsen
mit seiner blauen Sichel (quasi läutend:
so sirrts, so sirrts!) ihr ihre fettste Mahd
abmähnd –
Und Colombine schrie und schrie und schrie,
den letzten Rest des Hymens weg sich häutend
und ganz auftrennend ihres Schoßes Naht,
schrie: »Kam schon jetzt mein Söhnchen –
oder nie – – – –«

Pierrot läßt uns (in einem Brief an seine nunmehrige
Braut) einem Einblick in seine Dichterwerkstatt tun

Gleichschön gewölbt die Nägel deiner Zeh'n
und deiner Augen Weißes, diese beiden
erschimmerten, als schimmerten sie seiden
oder wie Perlen oder Mond – vor Schier-vergehn
nach mir! – Und wie Harzruch entquolls den zween
bräutlichen Brüstlein dir! – Und wie von Weiden,
aus denen sich die Knaben Flöten schneiden
um Ostern an den österlichen See'n:
von solchem Safte war dein Herz erfüllt
und strömte über ... durch die Herzschlucht brausend
herab! herab! ... so wie ein Sturzbach brüllt –
Ich aber lag vor deiner schlanken Pforte
und formte mir – in Fiebern, wie mit tausend
Zungen und Zungenspielen – nie erhörte Worte.

[57] Pierrot bemerkt ausdrücklich, daß er an diesem ersten Sonett Colombinens: »Farbenlehre« geheißen, welcher Titel indes noch nicht als der endgültige angesehen werden soll, nichts ... vornehmlich nichts an aller Interpunktion geändert


Mein Mond – erfüllte sich. (O Weibes Not! ...)
Ich schlief – getrennt von dir. Da scholl Gewinsel
– von meinem Hund – vor meiner Tür. (Gerinnsel
von Blut – die Schenkel längs – wie tat das rot! – –
weckte mich vollends ...) Auf. Zu dir ... Und bot
dir meine Hände: (»daß sie eine Insel
seien dir Uferlos-hintreibendem! – Ja – eine Insel!«)
Die Hände – schwer –; – schwer wie ein bleiern Lot
sanken sie mir – in deinen Schoß hernieder –
(Mein Mund – derweil – sog Küsse aus der leeren Luft ...)
und ruhten da – die Hände – immer wieder – –
und ruhten doch nicht, eh daß blauer Duft
aufquoll! aufquoll! aus einem weißen Gischte ...
eh daß (o Leibes Mystik!) Blau mit Rot sich mischte – – – –

Pierrot, da er seinen Vater begraben hatte
Pieta

Ihn, der mich zeugte ...! (Zeugte? Was ein Sinn!
Zähren, versiegt, versiegt! – Man »zeugt« nicht: man
faßt eine Dralle um die Hüfte an
und krault ihr scherzend um das flaumige Kinn
und langt ihr unter ihre Röcke dann
und – – grad als wüschest du ein altes Zinn
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mit heißem Zinnkraut ... wie die Kellnerin – –
fingern die deinigen Finger dann und wann – – – –)
Ihn, der mich zeugte ...! Ihn begraben haben ...!
Und nun zurückgekehrt von all dem sein ...!
– Soll ich mich ewig nur an Trauer laben
und nie mehr trinken feuriger Brüste Wein
und nie mehr hegen neue schießende Stöcke? –
Entblöß die Brüste und enthüll die Röcke!

Vom Übermut einer Tänzerin zur Nacht

So hantiert ein stämm'ger Fischer
tief gebückt in seiner Zill'n
an sein'm Netz –
Die Beine breit –
mit den Schuhen schier ausgleitend
rechts und links die Seitenwänd'
schier hochgleitend –
und die ganze Zill'n, die wackelt dabei wie ein einzig's Brett –
so wie ich jetz', jetz' und jetz'
von dem pflasterten Boden der Besinnung verlassen
und die gache Böschung der Gesittung einfach rrrrrunterg'saust
in dein'm Bett steh –
in ... dein'm ... Bett –

*


Segel mein Korsett,
So war ich dir noch nie zu Will'n.

Notes
Erstdruck: Berlin 1910.
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TextGrid Repository (2012). Lautensack, Heinrich. Die Documente der Liebesraserei. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DBEC-F