[32] [168]Vermischte gereimte Gedichte

1785.

Erstes Buch: Vermischte geistliche Gedichte.


4. Wenn nur Christus verkündigt wird!

oder: Empfindungen eines Protestanten in einer katholischen Kirche


Im März 1781.


Der kennt noch nicht Dich, Jesus Christus,
Wer deinen Schatten nur entehrt,
[168]
Mir sey, was Dich nur, Jesus Christus,
Zu ehren meynt, verehrenswert!
Wenn's Täuschung nur, nur Fabel wäre,
Es fable nur zu Deiner Ehre!
Es mag mich drücken und betrüben,
Um Deinetwillen will ich's lieben,
Erinnert's nur an Dich, trägt's nur
Von Dir die allerschwächste Spuhr.
Nicht lachen will ich, lieber weynen –
Es lache, wer hier lachen kann! –,
Verliert das Große sich im Kleinen,
Verhüllt die Wahrheit sich im Wahn!
Die Wahrheit in dem Wahn zu finden,
Zu ahnden sie, sie zu empfinden,
Mich aus dem Schutt empor zu heben,
Sey meine Freude, mein Bestreben!
Umringen schwache Brüder mich,
Die Dich verehren nicht wie ich.
Was ist es, das ich um mich sehe?
Was ist es, das ich höhre hier?
Spricht nichts in der gewölbten Höhe,
In dieser Tiefe nichts von Dir?
Das Kreuz, dein Bild, dort übergüldet,
Ist's nicht zu Ehren Dir gebildet?
Das Rauchfaß links und rechts geschwungen,
Das Gloria, im Chor gesungen,
Des ew'gen Lichtleins stiller Schein,
Der Kerzen Licht meynt Dich allein!
Warum wird, als um Dich zu loben,
Den Tod der Liebe Jesu Christ,
Die Hostie empor gehoben?
Weil sie nicht mehr, weil Du sie bist!
Dir beugt die glaubende Gemeine
Das Knie! Dir macht, nur Dir, die kleine
[169]
Schon früh belehrte Schaar der Jungen
Das Kreuz, regt Lippen Dir und Zungen,
Schlägt Dir mit Andacht und mit Lust
Mit kleiner Hand dreymahl die Brust!
Geküßt wird Dir zu lieb die Stelle,
Die trug dein angebehtet Blut!
Der Chorknab klingelt Dir die Schälle!
Dir thut der Küster, was er thut!
Vereinter Reichthum ferner Länder,
Die schwehre Pracht der Meßgewänder,
Der Schnörkel an des Ritters Schilde,
Das Flittergold am Mutterbilde,
Am Hals die falsche Perlenschnur
Meynt Dich doch, Jesus Christus, nur.
An marmorgleichen Hochaltären,
Wem ziert mit Zweigen sich die Wand?
Am Leichnams-Feste, wem zu Ehren
Enttröpfelt Wachs des Sängers Hand?
Wem streut man Blumen auf die Bahnen?
Wem trägt man goldgestickte Fahnen?
Wem die Ave Maria schallen,
Bist Du's nicht, dem sie niederfallen?
Ist Mette nicht, nicht Vesperzeit,
Nicht Prim' und Nona Dir geweiht?
Den Glocken in zehntausend Thürmen,
Mit ganzer Städte Gold erkauft,
Dem Blitzstrahl und den Donnerstürmen
Zu wehren, feyerlich getauft,
Ward ihnen, da in Gluht sie flossen,
Dein Bild am Kreuz nicht angegossen?
Gezogen oder schwehr getretten –
Zur Arbeit rufend und zum Behten,
Schallt Dir, schallt Dir nicht überall
Der Glocken andachtreicher Schall?
Nach deiner Huld nur, Christus, sehnet
Sich jeder Freund der Einsamkeit!
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Nur Dich glaubt, Dich nur meynt und wähnet,
Wer sich der keuschen Armuth weyht!
Nicht Benedikts, nicht Bernhards Orden
Wär' ohne Dich gestiftet worden!
Von Dir zeugt Gottshaus, Klaus und Kloster,
Tonsur, Brevier und Paternoster!
Und wem steht, wem, als Dir zum Ruhm
Im Klostergang: Silentium?
O Wollust, Christus, deines Jüngers
Auch da, wo Einfalt fehlt und flieht,
Zu sehen Spuhren deines Fingers,
Da, wo kein Aug der Welt sie sieht!
O Wonne Dir ergebner Seelen!
Auf jedem Fels, in allen Höhlen,
In jedem Kruzifix der Hügel,
In jedem an der Straße Siegel,
Wie abgenutzt das Siegel sey,
Zu seh'n von Dir und Deiner Treu!
Wer freuet sich nicht jeder Ehre,
Von der Du Ziel und Seele bist!
Wem regt beim Gruß sich nicht die Zähre,
»Gelobet seyst Du, Jesus Christ!«
O Heuchler der, der Christi Namen
Sonst nennt und nicht ein frohes Amen
Antwortet, nicht mit Bruderblicken,
Nicht sagt mit innigem Entzücken:
»In Ewigkeit! In Ewigkeit
Sey Jesus Christ gebenedeyt!«

[171] Fünftes Buch: Trauer- und Trostgedichte samt einigen Grabschriften


4. Auf den Tod des Herrn Pfarrers Johannes Schmidlin

Zugeeignet der christlichen Gemeine zu Wezikon und Seegreben


Ach! Ihn hat Gott uns weggenommen!
Auch Schmidlin folgt des Todes Ruf!
Weynt ihn, den Redlichen und Frommen,
Der tausend Freuden uns erschuff!
Ach! Wie sein Leben schnell verblühte!
Sein Aug voll Heiterkeit und Güte,
Wie schnell es jedem Aug sich schloß,
Das reine Thränen ihm vergoß!
Auf sanfter Harmonieen Flügel
Flog er empfindungsvoll uns vor,
Riß sanft uns mit sich! Über Hügel
Der Erde trug er uns empor!
Er strömte Lust um sich, beseelte
Des Dichters Lied, dem Leben fehlte!
Wie gab's dem heißen Wandrer kühl
Der Auferstehung Vorgefühl!
Wie viele tausend stille Freuden
Verbreitet' er stets um sich her!
Wie manchen Trost in dunkeln Leiden,
Wie manche süße Thränen er!
[172]
Warum ließ uns den frommen Sänger,
Gott, Deine Vaterhuld nicht länger!
Du, Dem nur seine Sayte klang,
Deß Leben wie sein Lied Dich sang!
Doch war es vielleicht seines Strebens
Dir, Vater, längst bekanntes Ziel!
Du fandest eines bessern Lebens
Ihn werth, den Mann, der Dir gefiel!
Du bist gerecht! Doch unsre Klagen
Kann auch Dein Vaterohr vertragen!
Ist er nicht mancher Thräne werth,
Der Mann, der Dich uns singen lehrt?
Der Mann voll Redlichkeit, voll heller
Zufriedenheit und edler Ruh'!
Wer war zum Dienst des Bruders schneller?
Wer sah' ihm ohne Liebe zu?
Wie sanfte lehrt er milde Sitten,
Und pflanzt in Häusern und in Hütten
Der Zweytracht und Unwissenheit
Erkenntnis und Vertragsamkeit!
Wie warst du seine Freude, Jugend!
Wie laut schlug ihm sein Herz für dich!
Wie sanfte führt er dich zur Tugend,
Wie reizend und wie väterlich!
Nie mit der trüben Schwehrmuth Stimme!
Mit Bitterkeit nie, nie im Grimme!
Du mußtest dich der Tugend freu'n!
Er sang sie dir in's Herz hinein!
Wie edel war bey jedem Streite,
Wie fest sein Herz! Wie sanft sein Ton!
Stand er nicht stets auf deiner Seite,
O Wahrheit und Religion?
Die gute Sache rechnet' immer
Zuerst auf ihn, betrog sich nimmer;
[173]
Ob er zuerst, zuletzt er sprach;
Er gieng vorher und folgte nach.
Die schwache Bürde seiner Hütte
Zog nie vom Guten ihn zurück!
Er folgte schnell der Kranken Bitte,
Und heiter war des Kranken Blick!
Die Wahrheit troff von seinem Munde,
Und Balsam auf die offne Wunde
Der Reue, die den Stolz bezwang
Und dürstend nur nach Gnade rang!
Ach! Noch, da ihm die Krankheit drohte,
Noch trat er auf die Kanzel hin –
»Mein Leben«, rief, ach, der nun Todte,
»Ist Christus! Sterben mein Gewinn«!
Er sprach's, stieg von der Kanzel nieder
Voll Todesahndung, Todeslieder
Noch waren's, die er singen hieß,
Eh' er der Schaafe Schaar verließ.
Schon lag er an des Todes Pforte,
Schon zitterte sein kaltes Knie,
Gesang noch waren seine Worte,
Und die Gebehrden Harmonie.
Und, nun! Nun schwieg des Sängers Ehre!
Er schlummerte in jene Chöre
Des Lichts hinüber. Jubel war
Der Geist bey der Verklärten Schaar!
Er starb, und Thränenströme flossen
Dem nun verstummten Sänger nach!
Wer war vom Kleinen bis zum Großen
Deß Thräne nicht vom Todten sprach?
Die Greise weynen, Kinder sammeln,
Die Trauerlieder nachzustammeln,
[174]
Um Greise sich und Männer her ...
Und jeder singt: »Er ist nicht mehr«!
Ach! Nicht mehr, unser Vater, Lehrer,
Der uns empor vom Staube singt!
Der Gottheit kindlicher Verehrer,
Den keine Klage wiederbringt!
O! Könnten wir Dich nun erblicken,
Dich einmahl höhren! In Entzücken
Käm' uns auch nur ein Laut von Dir,
In Wonne, wie zerflössen wir!

Sechstes Buch: Reimen an Verschiedene


20. An die Natur

Herrn Wilhelm Heinrich Tischbein, Mahlern, gewiedmet


1781.


Erscheine mir im Taggewand,
Im Nachtgewand, Natur!
Reich deinem Sohn die Mutterhand,
Ihm einen Finger nur!
Dich zu erkennen, welch ein Glück,
Zu fühlen, welche Lust!
Natur! Entwölke meinen Blick,
Enthülle deine Brust!
[175]
Ein Strahl von dir umleuchte mich,
Ich sitze oder geh'!
Still steh' mein Odem, wenn ich dich
Im Menschenantlitz seh'!

26. An Herrn und Frau Pfarrer Däniker in Oberried

1781.


Bescheidenheit ist stets geduldig,
Die wahre Güte immer gut!
Und ächte Dankbarkeit fühlt immerdar sich schuldig
Dem Freunde, der ihr Gutes thut.
Von vielen stillen, guten Thaten,
Die Euer gutes Herz erzeugt,
Und Euer Mund dem Freunde selbst verschweigt,
Sind die für jene Welt gewiß fruchtreiche Saaten,
Die kein Gewitter nie, kein Zufall macht misrathen,
Die keine Zeit zerstöhren kann,
Die Ihr so oft an mir gethan.
O könnt' ich große Wünsch' in kurze Worte fassen,
Welch einen Seegen würd' ich Euch zurück itzt lassen!
Er würde herzlich, himmelrein,
Voll Einfalt und voll Kraft, wie Gottes Gnade seyn.

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TextGrid Repository (2012). Lavater, Johann Kaspar. Vermischte gereimte Gedichte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DC04-F