Johann Kaspar Lavater
Unveränderte Fragmente aus dem Tagebuche eines Beobachters seiner Selbst
oder des Tagebuches
Zweyter Theil, nebst einem Schreiben an den Herausgeber desselben

[Widmung]

An den

Herausgeber

des

geheimen Tagebuches.

An den Herausgeber des geheimen Tagebuches

[5] Mein theuerster Herr und Freund!

Sie müssen es sich vorstellen können, wie einem Menschen zu Muthe seyn mag, der durch die Post, ohne Briefe, ohne einige weitere Anzeige, ein Buch erhält, das den ungewöhnlichen Titel führt: Geheimes Tagebuch von einem Beobachter seiner Selbst; und das ihn fast auf allen Blättern an seine eigenen, besondersten, und wie er glaubte, keinem Menschen bekannten Situationen, Gesinnungen und Handlungen erinnert; ein Buch, worinn ihm ein wichtiger Theil seiner Privatgeschichte, auf mancherley weise zerstückt, versetzt, verändert, umgestaltet und gedruckt – und hiermit dem Publicum zugleich – vor Augen gelegt wird.

Ich las, blätterte, wollte lesen, und blätterte wieder; lächelte, erröthete; freute mich; schämte mich; wußte nicht, was ich sagen und nicht sagen sollte .... und dennoch versichere ich Ihnen, daß ich über den Herausgeber nicht einen Augenblick [5] unwillig seyn konnte. So viele Discretion, so viele Weisheit in der Wahl, so viele Feinheit in der Umkleidung eben derselben moralischen und unmoralischen Verfassungen mußte ich billig bewundern.

Ich hoffte ganz verdeckt zu bleiben; und hoffte, daß dieses Buch von nicht geringem Nutzen seyn würde. Ich legte die Sache einigen meiner vertrautesten Freunde vor, die ich in dem Verdachte hatte, daß sie Hand dabey gehabt, und Ihnen meine Handschrift oder vielmehr die Handschrift zum gedruckten Tagebuche überliefert haben möchten. Sie lächelten, freuten sich; stellten sich fremde; nahmen das Buch; lasen; lächelten wieder, und sprachen immer nur von der Discretion des Herausgebers – und ich konnte den menschenfreundlichen Verräther noch nicht mit Gewißheit entdecken.

Ich war indessen so glücklich, einen Brief von Ihnen zu erhalten, der mir Licht genug gab, und mich zugleich mit einem hinlänglichen Rechtfertigungsschreiben gegen alle die versah, die argwöhnisch genug [6] waren, mich für den unmittelbaren Herausgeber und einzigen ächten Verfasser des Tagebuches zu halten.

Seit dem mußte ich, wie Sie sich leicht vorstellen können, tausend unerwartete, und sich widersprechende Urtheile hören. Stellen genug waren noch da, die mich, wenigstens in meinem Vaterlande, vollkommen kenntlich machten. Aber nun konnte man sich in das übrige ganz und gar nicht finden. Von gewissen Seiten her kannte mich niemand.

Das deutsche Publicum urtheilte eben so verschieden, wie das Vaterländische.

Weltleute, Philosophen, Theologen, Fromme .... Feinde, Freunde .... beynahe alle schienen sich, wie mir die Sache vorkam, dadurch von dem rechten Beurtheilungspunkt entfernt zu haben; daß sie mehr den vermutheten Verfasser, als sein Tagebuch, das Beobachtete, als den Beobachter beurtheilten.

Und gewiß, wenn derjenige Freund, er Ihnen, mein Theurer, das Manuscript des Tagebuchs überliefert hat, [7] Weltkenntniß genug gehabt hätte, sich dieses vorzustellen, so würde die Welt vermuthlich niemals etwas von diesem Buche unter keinerley Gestalt und Umbildung gesehen haben.

Es ist nun aber geschehen, und die Ueberzeugung, daß diese Schrift ihren mannichfaltigen Nutzen haben werde, ist bey allen denen, die an der Verfassung und Bekanntmachung derselben Theil haben, so fest, daß die widrigsten Urtheile des Publicums – das heißt: einiger, die mehr Gelehrte, als Menschen zu seyn, mehr – Philosophen zu scheinen, als Christen zu seyn, sich angelegen seyn lassen, sehr wenig Eindruck auf sie machen.

Sie können es wissen, mein Freund, daß sehr wenige Leser dieser Schrift dieselbe als eine Beobachtungsgeschichte gelesen und beurtheilt haben. Die Einen haben sie als eine Vorschrift, als ein Beyspiel, als eine in Geschichte eingekleidete Sittenlehre, andere als einen dem Publicum zur Beurtheilung vorgelegten [8] Charakter eines vermischten, morali schen Menschen, und andere als eine Schmähschrift auf das Christenthum angesehen und gewürdigt, und mir ist kein Urtheil weder zu Gesichte, noch zu Gehöre gekommen, welches immer auf dem Gesichtspunkt, auf dem Beobachter stehen bliebe. Dieses, ich gestehe es, verursachte mir einige Mühe, und bisweilen gerieth ich in starke Versuchung, diese Arbeit schlechterdings von mir abzulehnen; gleichwie ich mich auch gerade diesen Augenblick in einer starken Versuchung befinde, Ihnen, mein Freund, wenn Sie wollen, allenfalls zu handen des Publicums, über die erbärmliche Verfehlung der Gesichtspunkte, die unsere heutige Critik oft so unerträglich seichte macht, mein Herz auszuleeren. Mag es unter tausend Lesern zehen, und unter hundert öffentlichen Beurtheilern Einen geben, der sich vor allen Dingen den Standpunkt des Schriftstellers ruhig aussucht? diesen keinen Augenblick verläßt? der erst insbesondere die Absicht und den Zweck der Schrift aus dem Gesichtspunkte des[9] Verfassers würdiget? – und so dann erst das Buch, den Innhalt, die Wendungen, den Styl u.s.f. genau nur nach diesem Zweck, nur als Mittel beurtheilt? – Doch hiervon au einem andern Orte. Dem Verständigen sind wenige Winke genug.

Um wiederum auf das Tagebuch zurück zu kommen, so haben sich gar viele sehr darüber aufgehalten, daß in dem Vorberichte gesagt werde: Man liefere das wahre und ächte Tagebuch – ohne Zusätze, und daß ich in einem Briefe an Herrn Reich, der in der Vorrede zur zweyten Auflage abgedruckt ist, behaupte: »Der Herausgeber habe solche Veränderungen, Versetzungen, Zusätze, zu machen gut gefunden, die mich vollkommen berechtigen könnten, diese Schrift nicht für mein Werk zu erklären. Ich habe mich, so viel ich weiß, in meinem Leben nie frisiren lassen; – so wenig ich auch auf einem Schlitten gefahren bin. Ich verstehe von der Musik so wenig, wie von der Tanzkunst, um noch sehr vieles zu übergehen.« –

[10] Man hat hierinn einen schrecklichen Widerspruch sehen, und deswegen den ganzen Werth des Buches sehr erniedrigen wollen. Zu Ihrer Ehrenrettung, mein Theuerster, sage ich es vor der ganzen Welt, daß Sie die Wahrheit gesagt haben, ohne daß ich jedoch ein Wort von meiner Behauptung zurücknehmen dürfte. Sie haben zu der Handschrift nicht das mindeste hinzugethan; nichts eingeschoben; Sprachfehler, Styl, und einige mit Klugheit weggelassene Stellen ausgenommen, haben Sie, wie ich nun gewiß weiß, an dem Manuscripte, das Ihnen überliefert worden war, nichts geändert. Alle Zusätze, Einschiebsel, oder vielmehr alle Versetzungen, alle Umkleidungen fallen lediglich auf den lieben Freund zurück, der Ihnen das Manuscript in dieser Gestalt überliefert hat.

Und dieser Freund, verdient er deswegen getadelt zu werden? .... Ich, an meinem Orte kann es nicht, wenn ich mich in seinen Gesichtspunkt setze! Fürs erste hat er mir keine Tugend und kein Laster, keine Empfindung und Nichtempfindung [11] angedichtet, die er nicht auf diese oder jene Weise in meinem Manuscripte aufgezeichnet vorgefunden hätte.

Ich verstehe freylich z. Ex. von der Musik nichts; und jene Stelle, die sich darauf bezieht, ist ganz sein Gemäche – seine Geschichte; aber wenn es mir z.E. bey einer Sammlung vermischter Poesien gerade so ergangen wäre, wie ihm beym Claviere, und er hätte meine Beobachtungen in die seinige umgekleidet, mich unkenntlich zu machen; wäre dieses denn unklug, oder untreu, oder indiscret, oder Erdichtung gewesen?

Ich bin nie auf einem Schlitten gefahren (nicht, daß ich es eben so schlechterdings für Sünde hielte, wie so manche der mir nähern Leser, die es mir kaum verzeihen konnten, da sie es von mir geschehen zu seyn glaubten, dafür halten, und davor ein Kreuz machen); ich habe mich nie frisiren lassen – Durfte aber der freundschaftliche Ueberlieferer nicht ähnliche Eitelkeiten in diese umkleiden, um seinen Freund den Augen des oft indiscreten Publicums zu entziehen?

[12] Zweytens – gesetzt dieser Freund hätte den Zweck und die Absicht gehabt – das christliche Publicum bloß zum Beobachten seiner selbst zu veranlassen; ihm hiezu einige Anleitung zu geben? Manchem wichtige aufschließende Winke auf sein eigen Herz zu geben; und neben her noch sonst manche lehrreiche Anmerkung vorzulegen? – Gesetzt, er hätte in dieser gewiß würdigen Absicht wahre und erdichtete Situationen in der interressanten Form eines Tagebuches zusammengetragen? Hätte, um seinen Zweck glücklicher zu erreichen, kleine gleichgültige, an sich vollkommen nichtsbedeutende Umstände, die dem Werke die vollkommene Gestalt der Wahrheit gegeben hätten, mit angeführt, und hätte es eben deswegen noch durch eine andere Hand gehen lassen, damit dieselbe ohne Lüge sagen könne: »sie liefere dem Publicum ein ächtes Tagebuch.« – Gesetzt (das Schlimmste, das man setzen kann, und das dieser Freund dennoch gewiß nicht zugeben wird) gesetzt; er wäre also zu Werke gegangen, hätte er denn Tadel oder Lob, Dank oder [13] Verwerfung verdient?– Oder hätte er von dem erleuchteten, geschmackvollen, feinen, empfindsamen Publicum, und von dem seynwollenden Hofe des lesenden Publicums, den Journalisten, jene Inquisitionen, jene Torturen aller Arten erwarten sollen: »Wer ist der Verfasser? Wer der Herausgeber? Ist das Tagebuch ächt? Unächt? Was ist unterschoben? Was nicht?« – Hätte er die Urtheile von so vortrefflichen und äußerst billigen Männern erwarten sollen: daß das ganze Werk keinen Werth habe, wenn es nicht ächt, wenn es erdichtet sey; – gerade, als wenn es darum zu thun gewesen wäre, die Geschichte irgend eines besondern namentlichen Menschen, die Geschichte dem Publicum vorzulegen, damit das Publicum von dem Manne urtheilen, und seinen Charakter würdigen könne? Könnte denn das Buch, gesetzt, daß es auch durchaus im höchsten Grade erdichtet wäre, nicht immer noch in mancher Absicht großen Nutzen haben, wenigstens eben den Nutzen, den man jedem moralischen Romane gern eingesteht? ....[14] Würde nicht immer mancher Leser bey mancher Stelle gleich gesagt haben: Hier erkenne ich mich! da stehe ich – dieser Fehler und diese Denkungsart sind die meinigen; – hier wird mir deutlich und auf eine sanftbelehrende Weise vorgesprochen, was ich oft so tief bey mir empfinde, und mir so ungern heraussage? Ich will also gern gestehen, daß mir diese Urtheile einige Mühe gemacht; und versichern kann ich Ihnen, daß der erste Ueberlieferer dergleichen und andere Urtheile und Begegnisse, bey seinem einfältigen, geraden Wahrheitsinne unmöglich vermuthen konnte.

Aber noch einmal! – Er befindet sich nicht einmal in diesem Falle – Nichts Moralisches oder Unmoralisches im Tagebuch ist erdichtet; wenn gleich viel an der äußerlichen Geschichte, an der Form erdichtet, oder stark verändert und versetzt ist.

Und, was soll ich nun von den häufigen Urtheilen über die sogenannte Strenge, die Uebertriebenheit, die [15] Aengstlichkeit, die Schwärmerey, u.s.f. die in diesem Tagebuche herrschend seyn sollen, sagen?

Wahrlich, mein Freund, ich bin fast müde, für ein Publicum zu schreiben, dem man bey einem Buche, das den Titel führt: Beobachter seiner Selbst, nochsagen muß; dessen Censoren man noch vorbuchstabiren muß: Es ist Beobachtung; was Beobachtung ist, ist nicht Vorschrift, nicht Regel, Grundsätze für alle, Beyspiel ohne Einschränkung! Und wenn in dem Charakter, dem Betragen, den Empfindungen des Beobachters wirklich Uebertriebenheit, Aengstlichkeit, unnöthige Scrupulosität wäre; so wäre es ihm in der Folge der Zeit dabey entweder wohl oder übel gegangen? Er hätte im Christenthume, das ist, im Glauben an den in Christo geoffenbarten Gott, und in der Liebe des Nächsten entweder Fortschritte oder Rückschritte gemacht? – Beydes würde sein Tagebuch so klar, wie möglich gezeigt, und der erste Herausgeber[16] würde ganz gewiß nicht unterlassen haben, alle gute und schädliche Folgen seiner bisherigen Grundsätze und Lebensart dem Publicum gewissenhaft vorzulegen? – und wäre denn dieses nicht weit nützlicher gewesen, als so fort bloß ein untadelhaftes Ideal zu liefern? .... Ach! wer kann doch so kurzsichtig seyn, die unendliche Wichtigkeit der Beobachtung des Ganges oder Irrganges einer nicht ganz unredlichen Seele, und wie sie zurückkömmt, wenn sie allenfalls irre gegangen, nicht einzusehen? Nicht so stark einzusehen, daß man sie tausendmal lieber wünschte, als ein Ideal, ein vollkommenes Bild, das so, wie es gemahlt wird, nirgends vorhanden ist, und nirgends vorhanden seyn kann ..... Statt dieses abzuwarten; was that man? .....

Aber damit will ich lange noch nicht zugegeben haben, daß die Hauptsache, das Wesentliche derMoral des Beobachters, übertrieben und schwärmerisch sey. – Hierüber aber will ich mich nicht hier, sondern an einem andern Orte mit der Hülfe Gottes so deutlich erklären, daß [17] jeder Unpartheyische leicht wird urtheilen können, ob ich von den Menschen und von mir selber zu viel oder zu wenig fordere.

Itzt sage ich nur mit zwey Worten so viel: Es ist in dem Evangelio kein Gebot, keine Vorschrift, die nicht dem Wesen nach in aller Menschen Herzen geschrieben sey; ja, das menschliche Herz ist immer noch viel größer, weitumsichgreifender, erhabener, als der strengste Buchstabe des Evangeliums. Das Evangelium bringt nichts in unser Herz herein, so wenig als ein treuer Ausleger in den Text. Es soll nur das aufwecken, was in dem Herzen ist. Das Evangelium fordert nur mit Tönen und Buchstaben und in leuchtenden Beyspielen – was unser Herz durch Triebe und Empfindungen fordert. Das Evangelium ist nur der Commentar (die Auslegebibel) über unser Herz. Gott und der Mensch ist immer der Text. Alle Buchstaben sind nur Auslegung; was sage ich, sind nur Bild, Copie, Umriß, Schatten ..... Hierüber, mein Freund, möchte ich Ihnen [18] einmal meine Gedanken ausführlicher sagen ... Lieber aber mit Ihnen, zum Theil auch mit in Rücksicht auf eine Ihrer Anmerkungen im ersten Theile des Tagebuches, einmal mündlich über diese Sache nicht so wohl reden, als mit Ihnen empfinden, daß unser Geist bezeuget, daß der Schriftgeist die Wahrheit ist.

Aber nun! wie ist es mit der Fortsetzung des Tagebuches beschaffen? .... Wahrlich eine schwierige Sache! .... Hätte das Publicum mich nicht errathen, so hätten Sie immer noch einen Band herausgeben mögen. Aber nun; nun will das Publicum ganze unverstellte Wahrheit haben? Nun kann man ihm nicht mehr Stückwerk geben? Und Etwas will es – auch deswegen, weil von Seite des Herausgebers eine Art von Versprechen geschehen ist! – Von allen Seiten werde ich dazu aufgefordert; die verehrungswürdigsten Menschen scheinen eine Fortsetzung aufrichtigst zu wünschen – aber, wie schwer ist es, ihnen nun zu willfahren. Sehr leuchtend schweben [19] mir alle die Gründe vor, die mich von der Einwilligung dazu abschrecken sollten. Ich höre Leute genug sagen, Leute, die über allen Verdacht niedriger Leidenschaften in Urtheilen dieser Art erhaben seyn mögen ... »Was soll sich die halbe Welt mit der allerspecialsten Privatgeschichte eines einzelnen Menschen beschäfftigen? Wie wichtig muß sich L. in seinen Augen dünken, wenn er sich anmaßt, daß es einige tausend Menschen wissen sollen, um welche Zeit er aufsteht und schlafen geht u.s.w. Wird er sich verwundern, – und wie erbärmlich wenig Weltkenntniß muß er haben, wenn er sich nicht verwundert – – wird er sich verwundern, wenn man dieses als die äußerste Unbescheidenheit auslegt; wenn man dieses als die augenscheinlichste Probe seiner Eitelkeit und einer hohen Meynung von sich selber ansieht? – – Wenn Er Recht hat; seine Person und seine allergleichgültigsten Geschäffte so wichtig zu machen; so haben es alle Menschen so gut, als er – und wenn es alle haben, und nun jeder Privatmann [20] uns sein Tagebuch aufdringen will, was wird daraus werden? Diese Vertraulichkeit mit dem Publicum – wofür soll man sie ansehen?« –

Dieses, mein Freund, wird unfehlbar gesagt werden; – und, was wollen wir darauf antworten, wenn wir uns entschließen, den Wünschen so mancher anderer zu entsprechen? wie wollen Sie mich allenfalls auf eine vernünftige Weise beruhigen? was wollen Sie diesem Theile des Publicums zu meiner Entschuldigung sagen?

Ich könnte manches sagen; – aber lieber wollte ich, daß ich weniger Beweggründe, weniger Nothwendigkeit vor mir sähe, einige Fragmente meines ächten, wahren, itzigen Tagebuches herauszugeben.

Sagen Sie davon was Sie wollen. Ihnen will ich von dem Vielen, was ich sagen könnte, nur dieses vorlegen.

Ich habe den Menschen noch nicht gefunden, der so wenig menschlich wäre daß ich ihn unwürdig fände, ihm das, was ich itzt, wofern Sie es gut finden, dem Publicum von meinem Tagebuche [21] vorzulegen wage, vorzulesen, oder mit nach Hause zu geben, wofern ich glaubte, daß es zu seinem Vergnügen und Nutzen gereichen würde. Darf ich nun nicht voraussetzen, daß die Leser dieser Schrift überhaupt nicht die schlimmsten Leute seyn, die ich kenne?

Ferner wünschte ich, daß alle, welche die oben angeführte scheinbare Sprache natürlich und vernünftig finden, die Billigkeit und Gütigkeit haben möchten, sich nur an meine Stelle und in meine Umstände zu setzen .... Mußte ich mich nicht einmal wenigstens über das Geschehene erklären? – Mußte ich nicht einige unrichtige Deutungen von mir ablehnen? Nachdem ich einmal für den Verfasser, und von vielen für den Herausgeber des ersten Theils gehalten worden bin. Nachdem so verschiedene Urtheile, Urtheile von Einfluß, in Absicht auf das Werk und den Verfasser, oder vielmehr meinen Charakter, gefällt worden sind? Nachdem die Einen sich geärgert, daß ich .... und die andern, daß ich mir darüber Vorwürfe machte? Und, wie? wenn [22] meine Grundsätze, zwar im Grunde eben dieselben, sich in der Anwendung noch mehr geläutert bestimmt, und meine Einsichten sich in vielen Stücken aufgeheitert hätten, daß ich nun durch die gerade Darlegung einiger unausgesuchten Fragmente meines wahren ohne einige Rücksicht auf das Publicum verfertigten Tagebuches allen Mißverstand des vorigen, sey nun ich, sey der Ueberlieferer, oder der Leser, oder meine ehemalige geringere Einsicht und Erfahrung Schuld daran, heben, und alles Unrichtige zurücknehmen könnte; wäre nicht dieses allein schon Entschuldigung genug für mich?

Ich glaube nicht, daß ich schlimmer geworden, wenn ich gleich mit mehr Erkenntniß und Freyheit handle; .... ich glaube nicht, daß meine Grundsätze weniger evangelisch seyn, wenn ich gleich ruhiger bey meinen Geschäfften, meinen Schwachheiten und Fehlern geworden bin; ich sage nicht: gleichgültiger – ich sage: ruhiger; das ist, weniger knechtisch, weniger ängstlich.

[23] Aber – das muß ich auch nicht vergessen, noch beyzufügen – wenn ich etwas dazu beytragen kann, die so sehr unmenschliche Unvertraulichkeit zwischen Menschen und Menschen; das fremde Wesen, daß sie wechselsweise annehmen, auch nur einigermaßen verächtlich, und brüderliches, vertrauliches, aufrichtiges Mittheilen seiner Selbst, und brüderliches Theilnehmen an den häuslichen und moralischen Angelegenheiten anderer, auch nur ein wenig gemeiner zu machen; wenn ich nur wenigstens den Gedanken mit auf die Bahn bringen helfe, daß Schriftsteller Menschen, und Leser Menschen, und Schriftsteller und Leser Geschwister sind; – und wenn die Bekanntmachung dieses Werks (welches zwar eigentlich schlechterdings nicht als ein schriftstellerisches Werk angesehen werden sollte) zu diesem Zwecke beförderlich ist, so kann ich mich auch schon in dieser Absicht für manche Misdeutung schadlos halten. – Uebrigens hat freylich jeder das Recht, das ich habe; und ob ich gleich mit ziemlicher Zuverläßigkeit voraus sagen kann, [24] daß eben sich nicht ein jeder dieses Rechts bedienen wird, so muß ich dennoch das dabey sagen, daß ich jedem herzlich danken würde, der mir eine solche wahre Geschichte seines Lebens und seines Herzens mit so vielen Kleinigkeiten, mit diesem Detail von fehlerhaften, guten und gleichgültigen Handlungen und Gesinnungen vorlegte. Ich will jede andere ausserbiblische Lesung einer solchen nachsetzen. – Klagen nicht alle philosophische Historiker, daß man bisher deswegen von der Geschichte der Menschen so wenig moralischen, gemeinnützigen Vortheil habe, weil man von ihrer Privatgeschichte, von den eigentlichen Details ihres Lebens so wenig wisse?

Den Einwurf, der selbst einigen der weisesten Männer entronnen ist, (verzeihen Sie mir diesen unbescheidenen Ausdruck) daß die allergleichgültigsten Dinge nicht hinein gehören – mögen Sie, mein Theurer, selbst beantworten. Der Verfasser oder Herausgeber eines Tagebuchs – will er bloß Tugenden oderSünden darlegen? – ..... Hat [25] nicht jedes Gemählde einen Grund; und manche Arzney will auch eine Capsel, ein Gefäß, oder ein Vehiculum haben ..... Wasser hat keinen Geschmack, und es nährt nicht. Es ist aber doch ein schönes Vehiculum und Führmittel für manche Speise .... Ich könnte hierüber noch einiges sagen; Sie thun mir aber eine Gefälligkeit, wenn Sie es statt meiner sagen.

Da ich Ihnen, mein Freund, einige Fragmente meines wahren unveränderten Tagebuches, welches durch keine fremde Hand gegangen, übersende, so habe ich alle mitlaufende Anmerkungen, Urtheile, Gespräche, so wie ich sie bald kürzer, bald länger hinzuwerfen, Lust und Muße hatte, stehen lassen ... Ueber alles, was nicht Beobachtung meiner Selbst ist, welches nun nothwendig mehr seyn muß, als die Absicht des ersten Herausgebers, der sich mehr bloß moralische Situationen aussuchte, will ich Ihnen ganz freye Hand lassen. Wenn Sie es weder an sich, noch als Geschichte, noch als Ergänzung, noch als Grund undBoden schicklich und nützlich finden, so lassen Sie[26] es ohne Bedenken weg. Mannichfaltigkeit aber, denke ich, wenn es auch weiter nichts, als das wäre, sollte doch, als untergeordnetes Mittel zu einem andern guten Zweck einigen Werth haben. Thun Sie aber, was Sie wollen. Gewiß werde ich nicht empfindlich darüber werden.

Ja, ich übergebe Ihnen diese ganz Schrift, oder vielmehr dieses Stückwerk einer Schrift, welche ich bloß zu meinem, meiner Kinder, und etwa einiger allervertrautesten Freunde unmittelbarem Gebrauche aufgesetzt habe, – auf Leben und Tod. – Finden Sie, mein Freund, auf dieses alles, daß der Nutzen der Bekanntmachung dieses Tagebuches größer, merklich größer ist, als der Schaden; finden Sie, daß alle zu erwartende Urtheile und Inconvenienzen mit dem Nutzen nicht in Vergleichung kommen, der sich daher bey vielen Lesern versprechen läßt; so mögen Sie es, aber ohne die geringste Veränderung des moralischen Textes, allenfalls mit berichtigenden, warnenden, belehrenden Anmerkungen, herausgeben. [27] Finden Sie aber das Gegentheil; so belieben Sie, mir mein Manuscript zurück zu senden, und dann will ich etwa bey einer künftigen Auflage, oder auf andere Weise dem Publicum sagen, daß der Herausgeber des ersten Theils keine Unredlichkeit begangen, und daß seine Aussage mit der meinigen an Herrn Reich gar wohl bestehen könne. – Geben Sie es nicht heraus, so bin ich ganz ruhig, zufrieden, und in mancher Absicht herzlich froh, daß ich mich den Augen des Publicums entziehen kann. Finden Sie aber gut, es herauszugeben, so will ich mich gegen alle Mißdeutungen und unangenehme Urtheile, und gegen die weit empfindlicheren Vorwürfe meines eignen Bischens von Bescheidenheit mit dem Gedanken waffnen, den ich einigen verständigen Lesern abgeborgt habe: »daß ich noch nichts nützlicheres geschrieben habe, und nichts nützlicheres schreiben werde, als ein solches Tagebuch,« und ich will mich mit der Ueberzeugung trösten, daß ich mir itzo dabey nicht der geringsten Eitelkeit bewußt bin, und wenn ich jemals, [28] aus reiner Absicht meinem Nebenmenschen Vergnügen und Nutzen zu schaffen, ein Werk oder Werkchen herausgegeben habe, so ist es dieses mal; und ich getraue mir vor Gott Ihnen die Versicherung zu thun, daß ich aufrichtig wünsche, daß zu meinem Lobe bey Anlaß dieses Werkes kein Wort gesagt, alles aber, was in der That tadelnswürdig ist, nach Verdienen und ohne alle Schonung getadelt werde. Leben Sie recht wohl, und verachten wenigstens Sie mich nicht, wenn Sie noch so viele Fehler an mir wahrnehmen.


Oberried

den 19. Junius.
1773.

Johann Caspar Lavater. [29]

Antwort des Herausgebers an den Verfasser

Antwort des Herausgebers an den Verfasser.

Nein, theurer Freund, so ungerecht bin ich nicht, daß ich eine Schrift, wie diese ist, zum Tode verurtheilen sollte. Ich weiß, daß die Fortsetzung Ihres Tagebuches von vielen redlichgesinnten Christen mit Verlangen erwartet wird, und ich habe alle Ursache zu hoffen, daß Sie unter dem göttlichen Segen viel Gutes stiften, daß der Nutzen ihrer Bekanntmachung den zufälligen Schaden der vielleicht aus dem Misbrauche einiger unrecht verstandener Stellen entstehen möchte, weit überwiegen werde.

Freylich kann diese Fortsetzung nicht völlig den Nutzen haben, den das Tagebuch selbst haben mußte. Die Hauptabsicht desselben war, christliche Leser zum Nachdenken über sich selbst, zur genauen [30] Beobachtung und Prüfung ihrer Gesinnungen und ihres Verhaltens zu erwecken, und ihnen in Beyspielen zu zeigen, wie man dieses Geschäffte vornehmen, und worauf man dabey sehen müsse. Es kam dabey nicht sowohl auf den historischen Innhalt des Buches, als vielmehr auf die Schicklichkeit desselben zur Beförderung dieser Absicht an. Dieß haben, wie ich zuverläßig weiß, viele Ihrer Leser, Philosophen und Nichtphilosophen, Christen und Nichtchristen erkannt, und sie würden bloß aus diesem Grunde Ihr Buch allemal für nützlich gehalten haben, wenn auch der Innhalt desselben weniger interessant und gut wäre. Diese Hauptabsicht nun konnte freylich ohne die Fortsetzung erreicht werden.

Allein, warum hätten Sie das Verlangen so vieler Ihrer Leser nach dieser Fortsetzung nicht befriedigen sollen, da Sie dasselbe befriedigen konnten? Warum hätten Sie diese Gelegenheit nicht ergreifen sollen, sich und den Herausgeber in einigen Stücken zu rechtfertigen, einen [31] sehr scheinbaren Widerspruch zwischen unsrer beyderseitigen Aussage zu heben, und vornehmlich den Ihnen gemachten Vorwurf der Aengstlichkeit dadurch von sich abzulehnen, und den schädlichen Folgen desselben zu begegnen, daß Sie wirklich mehr Freudigkeit und Freymüthigkeit in allem, was zur Religion und zum Christenthume gehört, äußern?

Freylich konnte man diesen Vorwurf nicht dem Buche selbst machen; das ist, wie Sie wohl erinnern, nicht Vorschrift, nicht Beyspiel, sondern Beobachtung. Aber Beobachtungen und Erfahrungen eines Mannes, der in einem gewissen Ansehen steht, können leicht für Vorschriften und Beyspiele gehalten oder dazu gemißbraucht werden. Um so viel mehr freuet es mich, daß Sie nun Ihre Leser selbst vor dieser Aengstlichkeit gewarnet, und ihnen in so manchen Fällen das Beyspiel eines freyen Geistes, eines frohen Muthes, und eines getrosten Wesens in Religionssachen gegeben haben; so wie es mir auch ein besonderes Vergnügen [32] machet, daß Sie sich so oft und so nachdrücklich gegen alle Schwärmerey erklären, und manche unverwerfliche Beweise Ihrer Entfernung von derselben ablegen. Ein empfindsames Herz und ein lebhafter, geschäfftiger Eifer für das Gute sind gewiß keine Schwärmerey, aber sie grenzen oft nahe daran. Vielleicht finden manche Leser auch in diesem Buche Stellen, wo diese Grenzen überschritten zu seyn scheinen. Ich zweifle aber nicht daran, daß die Kürze Ihres Ausdrucks und die daraus entstehende unvermeidliche Dunkelheit Sie bey allen billigen Lesern so wie bey mir völlig entschuldigen werde. Je mehr Sie sich daran gewöhnen werden, theuerster Freund, Ihre Ideen aus einander zu setzen, (und das können Sie gewiß, denn Sie haben es schon oft sehr glücklich gethan) und je mehr Sie, anstatt Ihren Lesern bloße Winke zu geben, ihnen deutlichen und ausführlichen Unterricht ertheilen werden, desto mehr werden Sie allen Verdacht der Schwärmerey von sich ablehnen.

[33] Uebrigens finde ich in Ihrem Buche nichts, das Lesern, die nicht schlechterdings alles nach ihrem Sinne und nach ihren Einsichten gedacht, empfunden und ausgedrückt haben wollen, anstößig oder gar lächerlich seyn könnte. Am wenigsten kann ich mir vorstellen, daß ihre Landesleute und Mitbürger, bey denen doch gesunder Verstand mehr als Witz, und ernsthaftes, ruhiges Nachdenken mehr als lustige Einfälle gelten müssen, etwas gegen die Herausgabe dieser Fortsetzung des Tagebuches haben, oder gar den Innhalt und den Verfasser derselben zum Gegenstande eines eben so ungegründeten als beleidigenden Spottes machen sollten. – Stimmt der Ton, der darinnen vorkommt, nicht immer mit sich selbst überein, so wird wohl diese Verschiedenheit keinen vernünftigen Leser ärgern, da sie selbst in dem Leben des weisesten und heiligsten Menschen ganz natürlich und unvermeidlich ist. – Finden sich in einigen Briefen freye und diktatorisch klingende Ausdrücke, so sind esBriefe an vertraute Freunde, denen diese Sprache [34] die liebste seyn muß. – Kommen endlich Sätze oder Gesinnungen vor, die andere nicht für wahr und richtig halten, so werden sie niemanden aufgedrungen, geben doch immer Gelegenheit zum Nachdenken, und üben uns in der brüderlichen Verträglichkeit, die ein Hauptgesetz des Christenthums ist.

Kurz, da ich einmal entscheiden soll und muß, so halte ich die Bekanntmachung dieser Schrift für sehr nützlich. Kann sie schon nicht mehr eine solche Erbauungsschrift seyn, als der erste Theil des Tagebuches, weil hier nichts ausgesucht noch verändert ist, so wird sie doch noch immer viel Erbauung stiften können; und der nachdenkende Leser wird zugleich aus diesem schlechterdings ächten und wahrhaften Tagebuche verschiedene scheinbare Widersprüche in Ihrer Denkungsart, Ihrem Charakter, Ihren Schriften zufälliger Weise aufgelöset sehen, und erkennen können, wie unrichtig er Sie vielleicht in verschiedenen Absichten beurtheilet hat.

[35] Dieß gilt selbst von manchem Recensenten Ihres Buches. Sie haben Recht, werthester Freund, wenn Sie sagen, daß einige von ihnen den Gesichtspunkt verfehlt haben, aus welchem sie dasselbe hätten betrachten sollen. Wenigstens ist das, was sie Ihnen und dem Freunde, durch dessen Hände das Tagebuch erst gegangen ist, zum vornehmsten Fehler anrechnen, daß man nämlich nicht gewiß wissen könne, was eigene Beobachtung und wahre Geschichte sey oder nicht, nach meinen Gedanken ein wahrer Vorzug des ersten Theils vor dem zweyten. Dieser vorgegebene Fehler hat mehr Mannichfaltigkeit in das Werk gebracht; und was kann dem Leser, der Belehrung und Erbauung suchet, daran gelegen seyn, ob sich z.E. meine Eitelkeit bey dem Frisieren oder bey dem Gespräche über ein Buch geäußert habe, wenn nur die Beobachtung selbst wahr, und die Anmerkungen, die ich darüber mache, richtig und lehrreich sind?

[36] Noch muß ich Ihnen und dem Publico Rechenschaft von demjenigen geben, was ich bey der Herausgabe dieses zweyten Theils gethan habe. Sie haben mir viel Freyheit gelassen, werthester Freund; mehr als ich vielleicht von irgend einem andern Schriftsteller angenommen hätte. Daß ich mich vor dem Mißbrauche derselben sorgfältig gehütet habe, das weiß ich: ob ich aber auch immer den besten Gebrauch davon gemacht habe, das ist eine Frage, deren Beantwortung ich Ihnen und Ihren Lesern überlasse.

Viele kleine historische Umstände, die mit keinen moralischen Beobachtungen zusammenhiengen, habe ich weggelassen. Nicht, als ob ich sie schlechterdings für unschicklich gehalten hätte. Ich habe sie nicht ungern, manche davon habe ich mit Vergnügen gelesen. Aber sie waren nicht für alle, nicht für die meisten Leser. Einige kamen zu oft wieder, und hätten bloß dadurch ermüden können. Andere setzten eine edle Einfalt der Sitten voraus, davon leider nur in wenigen gesiteten [37] Ländern noch merkliche Spuren zu finden sind. Noch andere waren in der That unbedeutend, und konnten schlechterdings Niemanden als den Verfasser und sein Haus interessiren. Nach dem Geschmacke der meisten Leser habe ich vielleicht noch zu viel Dinge von dieser Art stehen gelassen. Oft habe ich es bloß um des Zusammenhanges, oft um der größern Mannichfaltigkeit willen, oft aus Gewissenhaftigkeit gethan, weil ich etwas anderes an die Stelle davon hätte setzen müssen, und doch den Text in keinem Stücke, das nicht zur Sprachrichtigkeit gehöret, verändern wollte und durfte.

Es ist allerdings ein besonderes Vergnügen, einen Mann, dem man hochschätzet, und der sich durch mancherley Vorzüge und Verdienste von andern unterscheidet, den ganzen Tag über zu begleiten, und ein unbemerkter Zeuge aller, selbst der kleinsten und gleichgültigsten seiner Handlungen zu seyn. Wenn man aber dieses Vergnügen etliche male genossen[38] hat, so befriedigt man sich nachgehends gern damit, nur das Merkwürdigste von dem zu erfahren, was er an andern Tagen gedacht oder gethan hat, und denket sich die kleinen unbedeutende Geschäffte und Vorfallenheiten, die täglich wiederkommen, lieber selbst hinzu, als daß man sich dieselben so oft und so umständlich vorerzählen ließe. Wer bloß zu seinem eigenen Gebrauche, so wie Sie, mein Freund, es Ihrer ersten Absicht nach gethan haben, ein Tagebuch schreibt, kann zwar auch aus der Bemerkung solcher Kleinigkeiten Nutzen schöpfen. Er kann nach dem Verlaufe einer Woche oder eines Monates nachrechnen, wie viele Stunden er zu dieser oder jener Art von Beschäfftigungen, zur Arbeit und zur Ruhe, in der Einsamkeit und in Gesellschaften, mit zufriedenem oder bekümmertem Herzen, in eigenen oder fremden Angelegenheiten, in einer guten oder nicht guten Gemüthsfassung, in eigennützigen oder gemeinnützigen Absichten zugebracht, wie viel Zeit er ohne oder durch seine Schuld verloren, oder hingegen [39] durch Fleiß und Ordnung gewonnen habe, u.s.w. Aber die Umstände des Lesers sind zu sehr von den Umständen des Verfassers unterschieden, als daß er eben denselben Vortheil aus solchen gar zu sehr ins Kleine gehenden Nachrichten ziehen könnte. Ihm ist es schon genug, aus einigen wenigen Beyspielen zu lernen, wie man die Sache anzufangen, und worauf man dabey zu merken habe, wenn man solche moralische Rechnungen machen will.

Was endlich meine Anmerkungen betrifft, theuerster Freund, so müssen Sie dieselben als wohlgemeinte, aber vielleicht nicht immer wohlgerathene Beyträge, die größere Brauchbarkeit Ihres Buches zu befördern, betrachten. Ich habe diese Anmerkungen nicht für Sie, sondern für Ihre Leser gemacht. Mit Ihnen kann ich mich schriftlich über dasjenige unterreden, worüber wir vielleicht, unsrer Freundschaft und brüderlichen Liebe unbeschadet, verschiedener Meynung seyn mögen. – Habe ich, wie es wohl seyn [40] kann, Ihre Gedanken nicht allemal richtig genug gefaßt, oder bin ich in meinen Besorgnissen, daß gewisse Stellen nicht recht verstanden oder mißbraucht werden möchten, zu weit gegangen, so hat mich die Vorstellung der sehr zahlreichen Classe von Ihren Lesern, die mehr gute, fromme Empfindungen, als deutliche und richtige Einsichten zur Lesung Ihres Buches mitbringen, dazu verleitet. An diese Leser und Leserinnen habe ich vornehmlich gedacht; diesen habe ich alle Gelegenheit zum Mißverstande oder Mißbrauche abschneiden wollen. – Den polemischen Ton habe um so viel leichter vermieden, um so viel weniger er mir natürlich ist; und wenn ich ja zu widerlegen scheine, so habe ich meistens nicht so wohl den Satz, der im Texte steht, als vielmehr die falschen Schlüsse, die man daraus ziehen möchte, zu widerlegen gesucht.

Mehr darf ich Ihnen, mein werthester Freund, zu meiner Entschuldigung nicht sagen. Nein, ich würde Sie beleidigen, wenn ich Sie wegen des Gebrauchs[41] der mir von Ihnen gegebenen Freyheit um Verzeihung bäte.

Gott erhalte und stärke Sie, und lasse Sie immer mit dem besten Erfolge an der Beförderung der christlichen Rechtschaffenheit und der menschlichen Glückseligkeit arbeiten! Ich bin mit wahrer Hochachtung und Liebe


Ihr treuergebener Freund,

der Herausgeber.

Den 19. September.
1773.
[42]

Unausgesuchte Fragmente aus meinem Tagebuche

Jenner. 1772
Dienstags den 10. November 1772
[1] Dienstags den 10. November 1 1772.

Indem ich gegen Abend mit meiner Frau Thee trank, klagte ich über die Menge meiner Geschäffte, und berathschlagte mich mit ihr über die Einschränkung meines Briefwechsels – Ich nahm mir vor, ohne Noth, keinen neuen mit jemanden anzufangen – Nur Einen noch, sagte ich, mit einem Manne, den du nicht kennest, der muß mir, wills Gott, noch werden; ohne den kann ich nicht fortkommen; für den hat mein Herz schon mehr geschlagen, als ich sagen dürfte; dem wollte ich schon zehnmal schreiben; weil ich aber nicht wußte, wo er war, weil ich auf einen Brief vor vier Jahren keine Antwort erhalten hatte, und hauptsächlich, weil es mich unbescheiden dünkte, ohne nähere Veranlassung einen solchen Mann zu bemühen, so unterließ ichs ....... und dieser war – N.

[1] Eine Freundin kam, weil ich etwas unpäßlich war, mich eine Stunde zu besuchen, – wir redeten viel Gutes, das ich itzt nachzuhohlen nicht Zeit habe. Leonhard brachte mir einen Brief von der Post – Eine unbekannte Handschrift – »Wieder ein neuer Brief, sagte ich gelassen zu meiner Freundin, und erst diesen Abend nahm ich mir vor, ohne dringende Noth mich in keinen neuen Briefwechsel einzulassen« –! Ich zerbrach das Siegel – sah nach der Unterschrift – N.! rief ich zweymal aus; N.! o du guter, guter Gott! Ists möglich – Ich wollte lesen, und konnte nicht – erzählte – stammelte – legte den Brief weg – O du väterliche, freundschaftliche, zärtliche Fürsehung meines Gottes! – Die geheimsten Wünsche meines Herzens gewährest du mir, ehe ich sie ausgesprochen hatte. –

Ich gieng zu Bette; las den Brief – zitterte vor Verlangen, es P. zu sagen, der aber nicht mehr kam. Ich schrieb noch – keine Antwort – nur Ausguß meiner Freude – ein Blatt voll der aufrichtigsten Herzlichkeit an N. 2

[2] Hier sind einige Stellen seines Schreibens: »Allerdings hat ein gewisser kalter, nervenlose Ton, wie über manches andre, sich auch übers Christenthum ausgebreitet, und die Moral ist, zu folge insonderheit englischer Philosophen in der Theologie, mehr eine gewisse gesunde Politik von außen, und leere Ruhe von innen geworden, als es, ich will nicht sagen, nach dem Geiste der Religion, sondern nur selbst nach der Beschaffenheit und den Forderungen der Menschheit, die doch gewiß nicht so ein kaltes Abstractum, sondern Ein Ganzes sehr vieler wirkenden Kräfte ist, seyn sollte. Selbst bey Ihrem Freunde N., so sehr ich ihn schätze, ist das die Erbsünde aller seiner Schriften, womit er wider seinen Willen so viel Böses stiftet; obs wir noch nicht erkennen – doch über das alles ein andermal. Itzt nur bey dem Hauptzwecke Ihres Buches, und darf ich mir da, zum voraus (nicht von meiner Seite Freyheit; die müssen Sie mir zugestehen) sondern von Ihrer Seite die Entäußerung von ihnen selbst, die Resignation ausbitten, ohne die Sie, wie ich auch aus vielen Stellen Ihres Buches sehe, alle Sachen, als gegen sich gesagt, ansehen. Das ist einmal nicht recht, und so sanftmüthig Sie auch antworten – Man sieht, Sie sprechen (z. Ex. in der Vorrede des II. Th. u.s.w.) immer über die Ewigkeit, als über Ihr eigen Werk, und nicht als ein Werk [3] Gottes. Ueberhaupt hat Sie die lange Beschäfftigung in dieser Art schon im zweyten Theil weit verführet: Man sieht, Sie sind nicht mehr Seher, Schauer göttlicher Geheimnisse, sondern willkührlicher Baumeister eigner, oft sehr subalterner, unwesentlicher und kleiner Ideen, freuen sich über Gerüste, die zum Gebäude gar nicht gehören. Lieber Lavater, das ist schon wirklich Zustand der Strafe eigner Sinn, und Sie wissen, was darauf folgt, wenn man dahineingegeben ist. Die Ewigkeit ist eine große, ja die größte Sache Gottes, die wir, liebster Lavater, am ersten dadurch ehren, daß wir Sie mit aller Resignation von Selbsterfindung anschauen, also Maaß halten, auch zu rechter Zeit die Augen niederschlagen, und nicht wissen wollen. Das ist thätliche Verehrung, gegen die alle Worte nichts sind! Was kann Gott in Einer, in der kleinsten, in allen Welten thun? und was kann Lavater rathen?

Sie sehen, wie viel dieser stille Wink durchaus und insonderheit im II. Theil von Ihrem Buche wegschmilzt, wo es bloß Maulwurfwerkmeisterey und (so tief und unschuldig das sitzen möge!) Klügeln eines Kindes ist ..... – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Blatt und Zeit ist zu Ende, und ich habe noch eigentlich nichts gesagt, was ich sagen wollte – – wenn wir nur erst über den [4] Gesichtspunkt einig sind, zu dem sich alles allein fügen soll, hier bloß den künftigen Engel in uns zu wecken, und über alles andre uns mit völliger Resignation, Gott allein aufopfern zu lehren.«

Ich bezeuge vor Gott, daß, so viel demüthigendes auch dieser Brief für mich enthält, ich doch selbst bey den wenigen Stellen, die mich unrichtig dünken, nicht den mindesten, auch nicht den geheimsten Unwillen empfunden, sondern Gott innigst für diesen für mich äußerst lehrreichen Brief gedanket habe. – Nichts demüthigt mich mehr; nichts erhebt mich mehr; nichts giebt mir mehr moralische Stärke und Erhabenheit, als so zärtliche Beweise der göttlichen Güte über mich.

Nun – sollte ich dieß nicht aufzeichnen? ... Ach! wenn ich doch mehr Zeit hätte, viel, recht viel von dem aufzuschreiben, was Gott an mir thut .... wie oft würde ich hintennach erstaunen und anbethen! Eine neue Ermunterung, mein lang unterlaßnes Tagebuch wieder fortzusetzen!

Fußnoten

1 Bis auf diesen Tag Abends hatte ich lange unterlassen, mein Tagebuch fortzusetzen.

2 Ich rücke einige Stellen aus dem erhaltenen Briefe bey, die mich so lehrreich dünken, daß es Ungerechtigkeit und Undankbarkeit gegen die Fürsehung meines Gottes wäre, wenn – – Eitelkeit mich abhielte, sie dem Publicum mit dem Tagebuche mitzutheilen.

Den 12. November 1772
An die Frau B.

den 12 November 1772.


Ist es möglich, meine werthe Frau B. (ich antworte auf Ihr Briefchen an unsre liebe Frau H.) daß Sie – bey einer so guten Fürsehung Gottes – so glaubenlos seyn können?

[5] Nun – was soll ich Ihnen sagen – werden Sie gerade der einzige Mensch seyn, den Gott ohne väterliche Absicht heimsucht? wird er alle nicht von Herzen strafen – und Sie allein mit unerbittlichem Grimm verfolgen?

Gottes Güte soll es seyn, die Ihnen ein Kind – durch die Natur – gegeben? Und nicht diese Güte soll es seyn – die Ihnen dasselbe durch den Weg der Natur genommen hat?

Fiengen Sie doch nur an, die wirklichen, die unläugbaren Beweise der göttlichen Güte, die Sie täglich, die Sie gerade heute erfahren, sich vorzuzählen – wird die kleine Portion von beygemischtem Scheinübel jeden Funken von Glauben – der sich auf zehentausend Beweise stützen kann, in Ihnen ersticken?

Kurzsichtigkeit – Blödigkeit – Eigenwillige Rechthaberey wider Gott wäre es – wenn Sie im Ernste behaupten wollten: Sie wären vergnügter und glücklicher, wenn Ihr Kind noch lebte – ach das wären Sie nicht, sonst würde Ihr Kind leben – Fragen Sie alle leidende Aeltern, ob mitleidende Kinder Trost oderLast seyn?

O meine liebe gute Frau B. glauben Sie doch nur dieß – Gott ist Ihr besserer Freund – liebt Sie mehr als Frau Sch. und als kein Mensch einen Menschen lieben, keiner des andern Freund seyn kann. Zu Hause den 12. November 1772.


J.C. Lavater. [6]

Den 14. November 1772
An Hasencamp.

den 14 November 1772.


Lebt Hasencamp noch? Ist er noch dein Freund? – Diese Fragen that ich mir oft – Eine gedruckte Vorrede sagt mir ja – Dank, mein Bruder, für diese Vorrede. Oetingers Schrift vom Hohenpriesterthume Christi fang ich den Augenblick, denn erst heute erhielt ich sie, zu lesen an, und will sie redlich prüfen – aber so viel fällt auf, daß der Ueberzeugungsgeist Jesu und Pauli nicht in ihm ist. Er dringt mit seinen empörenden Ideen allenthalben durch, oder stößt vielmehr allenthalben an. War das auch Jesu Christi Methode? Er zog hervor, was da war; bauete immer auf das, was gesunder Verstand und Gewissen zugaben; verband die neuen Wahrheiten mit den erkannten, zeigte die Analogie jener mit diesen.

Sonst habe ich große Ideen darinn gefunden, die ich vor kurzem, zum Theil – auch durch Gottes Licht, entdeckt habe. Dieß soll aber noch kein Urtheil seyn.

Der III. Theil der Aussichten ist nach Duisburg abgegangen, und erwartet sein Urtheil von dem redlichen, freyen, erleuchteten Hasencamp.

Ich bin nicht vollkommen gesund. P. der Erstling meiner Herzensfreunde ist bey mir – und grüßt unsern Bruder; er am letzten Tage seines 25. ich am letzten Tage meines 31. Jahres.

[7]
Sonntag den 15. November 1772
Sonntag den 15. November 1772.

Ich hatte, Dank sey dir, mein guter Vater, eine gute, ruhige Nacht, und mein Husten beunruhigte mich nicht im geringsten.

Ich erwachte vor 6 Uhr, und gerieth ins Staunen über mein Leben, Gottes Führungen, meine Bestimmung, mein Entstehen und Sterben – Ich bethete laut und leise mit Empfindung.

Es war acht Uhr, da ich aufstund; der Husten war stark und betäubend für den Kopf. Es wurde eben zur Kirche geläutet. Mir war es etwas ungewohntes, so einsam und stille unter dem Geläute zu Hause zu sitzen; und jede neue, ungewohnte Situation hat Einfluß – sehr merklichen Einfluß auf meine Empfindungen. Eine süße, sanfte Melancholey zitterte durch meine Brust hin – Prediger und Zuhörer giengen vor meinen Gedanken vorüber – ich selbst, als Prediger und Zuhörer – beobachtete und – schämte mich, und freute mich. »So viel Gutes wird doch heute gehört! So viele leichtsinnige werden doch hie und da zum Nachdenken erweckt! So manches erbauungsbegieriges Herz erquickt – So viel Böses würde auch schon die bloße Unterlassung des Gottesdienstes und das Nichtpredigen im Ganzen veranlassen und befördern und vermehren«[8] – warum sind wir gegen diese seegensvolle Einrichtung der Fürsehung so unempfindlich? – warum ich, Prediger, so unempfindlich? und ich, Zuhörer, der ich doch in der Kirche, die ich besuche, größtentheils sehr nützliche, und an mir selbst so gesegnete Predigten höre!

Es hatte ausgeläutet. Ich trank meinen Kräuterthee und spatzierte eine halbe Viertelstunde ruhig in meinem Zimmer auf und nieder. Mein kleiner Sohn leistete mir gute Gesellschaft. Meine Frau hatte bey ihrer kranken Schwester übernachtet. Ich schlug die neue Ausgabe der Zürcher Bibel auf, und las das 15. und 16. Capitel im Ersten Buche der Chronike. Wie lieb ward mir David aufs neue! Wie sehr empfand ich die Wahrheit seiner Begeisterung! Es freue sich das Herz derer, die den Herrn suchen! Suchet den Herrn und seine Stärke! Suchet sein Angesicht allezeit! – Die Himmel sollen sich freuen! Die Erde soll in Freude aufhüpfen. Das Meer soll brausen und seine Fülle! Das Feld soll fröhlich seyn und alles, was darinn ist. Lobet den Herrn, denn er ist gut, und seine Barmherzigkeit währet ewiglich. Wie hätte ich ihn umarmen mögen, den Gottgesalbten König, da er sich vor den Herrn setzte, und sprach:Wer bin ich, Herr Gott? und was ist mein Haus? daß du mich bis hieher gebracht hast? [9] und das hat dich noch zu wenig gedünkt, o Gott! sondern du hast über das Haus deines Knechts noch vom Zukünftigen geredet; und hast mich, Herr Gott angesehen wie einen hohen Menschen! Was kann David mehr zu dir sagen, daß du deinen Knecht so herrlich machest? – Jedoch, du kennest deinen Knecht! Und was soll ich zu dir sagen, Herr, mein Gott, an diesem meinem 31sten Geburtstage! was hast du an mir gethan von meiner Jugend an, bis auf diese Stunde: Vor wie vielen Tausenden hast du mich vorzüglich gesegnet! Wie groß ist die Menge selbst deiner ausgezeichnetesten Wohlthaten! Wie viel hast du mich durch Freunde und Feinde, durch Schriften und Umgang, wie viel durch dein Evangelium gelehrt, erleuchtet, weiter gebracht! wie viel heiterer, freyer, ruhiger bin ich! Es ist wahr, mein Herz ist nicht immer, nicht ganz dein! Aber, ich suche dich dennoch mit mehr Zuversicht, mehr Sicherheit, dich ganz zu finden! Meine Gebete um Erleuchtung und Weisheit, wie augenscheinlich hast du sie erhört: wie vielmehr sehe ich dich in allen Dingen! wie viel offener ist mein Auge und Herz, in allen, auch äußerlichen, auch den geringsten Veränderungen der Dinge dich wahrzunehmen, zu verehren, lieb zu gewinnen! So weit ich noch vom Ziele, nach welchem ich streben soll, entfernet bin; so sehr ich täglich erfahre, [10] daß noch andere Triebe, als die Liebe Christi und seiner lieben Menschen in mir lebendig sind, und sich unter meine bessern Triebe einschleichen und sie vergiften; so sehr ich noch über meine fast unüberwindliche Trägheit, ach, insonderheit auch in Absicht auf das Gebet zu klagen Ursache habe: so bemerke ich doch bey dem allen Wachsthum im Glauben, in der Liebe, in der Hoffnung; es wird mir immer leichter, meinen Willen dem allwirksamen und allerbesten Willen der Fürsehung hinzugeben; zu glauben, wo ich nicht sehe; zu lieben, wo ich nicht geliebet werde.

O wie innigst freue ich mich der wahrheitsvollen Worte Jesu – Einen jeglichen Reben an mir, der Frucht trägt, reinigt mein Vater, daß er mehr Frucht trage.

Indessen bin ich freylich in manchen Stücken nicht einmal so gut, als es die Menschen glauben, als es meine Freunde mir vorsagen wollen. – Wirklich nicht so liebreich, nicht so bescheiden, nicht so mäßig! Nein! Ich bin es nicht! Gott weiß es, daß ich ihnen nicht aus falscher Bescheidenheit widerspreche. Ich weiß es, ich empfinde es; ich muß es gestehen. Ich schäme mich! aber! ich will nicht muthlos seyn! Gott hat bisher über Verdienen geholfen! er wird weiter über Verdienen helfen! wird das gute Werk, das er in mir angefangen hat, zu vollenden wissen auf den Tag Jesu Christi.

[11] Aber, ja! der Gedanke ist mir unerträglich, daß ich so vielen besser scheine, als ich bin. Ach! es ist einem so wohl, wenn er das wirklich ist, wofür er angesehen wird; wenn er noch mehr ist vor Gott, als er den Menschen zu seyn scheint; und bis ich durchaus mehr vor Gott bin, als ich vor den Menschen zu seyn scheine, will und kann ich nicht mit mir zufrieden seyn. Aber, nie will ich den Glauben an Gottes weiterer Forthülfe, die Hoffnung, daß ich alles werden könne, was Gott will, daß ich werden soll, von der so gerechten, so natürlichen Unzufriedenheit mit mir selber trennen.

Wenn ich nur öfter und anhaltender betete! – Ach! mein Gott! wie viele deiner Kinder mögen sich vorstellen, daß ich ganze Stunden 1 bey Tag und Nacht vor dir stehe – und ach! wie äußerst selten geschieht das! Ich weiß, Vater, Ein Augenblick des kindlichen Glaubens ist ein Tag des wörtlichen Gebetes. 2

[12] Aber! es ist doch Trägheit, Weichlichkeit, Abneigung von dir, Mangel an Erkenntniß, an Liebe, an Empfindung deiner beseligenden Liebenswürdigkeit, daß ich so selten, so flüchtig bete.

Wie oft und wie lange werde ich noch diese Klage wiederholen müssen!

Wie nöthig ist es, daß ich eine besondere Zeit dazu aussetze, weil ich sonst immer über diese allerwichtigste, allernatürlichste und seligste Uebung hinglitsche, bis ich des Abends vor Müdigkeit mich des Schlafes nicht mehr erwehren kann.

Wenn Gott mich itzt schon so sehr segnet, wie viel fähiger werde ich nicht seines [13] Segens durch anhaltendere Gebetsübungen werden! 3

Mein kleiner Sohn unterbrach mich oft mit Fragen. Erst wollte ich ein wenig ungeduldig werden, ließ es ihn aber doch nicht merken und antwortete ihm immer; und am Ende war er und ich zufriedener.

Ich laß noch in Klopstocks Oden, und betete ihm nach:


O laß mich leben, daß am erreichten Ziel
Ich sterbe! daß erst, wenn es gesungen ist
Das Lied von dir, ich triumphirend
Ueber das Grab den erhabnen Weg geh'!
O du mein Meister! der du gewaltiger
Die Gottheit lehrtest! Zeige die Wege mir,
Die dann du giengst! worauf die Seher,
Deine Verkündiger, Wonne sangen!
Zeig mir die Laufbahn, wo an dem fernen Ziel
Die Palme wehet! daß mein geweyhter Arm
Vom Altar Gottes Flammen nehme!
Flammen ins Herz der Erlösten ströme!

[14] Ich schrieb am Tagebuche, spielte mit meinem kleinen Mädchen, und aß zu Mittag.

Die Magd kam, sich nach meinem kleinen Sohne umzusehen. Wir riefen ihm, suchten ihn, und fanden ihn nicht. Angst befiel mich. Ich fühlte, ich fühlte, wie schwer es mir seyn würde, ihn – dem Willen meines Vaters aufzuopfern. – Ich schickte aus, und man fand ihn bey seiner Mama, zu welcher er ohne Hut ins Salzhaus gelaufen war, weil er sie nicht zu Hause gefunden, und wider die Gewohnheit den ganzen Morgen noch nicht gesehen hatte.

Nach dem Essen schrieb ich nach Frankfurt, und las weiter in Klopstocks Oden. Ich überschlug einige, und las und wiederlas nur die auch in Absicht auf denInhalt erhabenen: dem Erlöser; dem Allgegenwärtigen; das Anschauen Gottes; die Frühlingsfeyer; der Erbarmer; die Welten; die Gestirne. Keine andere, als solche Oden wünscht ich von ihm, wiewohl auch in solche mehr neue Lichtgedanken. Keine, die mit aller Erhabenheit der Dichtkunst eine nur kleine, wenn gleich unschuldige Lust mahlt. Auch gefällt mir die zur Mode werdende Einführung und Wiederauferweckung der alten deutschen Mythologie [15] und Bardensprache, so sehr sie blos poetischen Ohren gefallen mag, ganz und gar nicht. Als Uebung möchten dergleichen Stücke angehen! Aber sie sollten dem zur blinden Nachahmung so bereitwilligen Publicum nicht von einem Autor vorgelegt werden, dessen großes Ansehen nicht anders, als sehr verführerisch seyn kann. Von Herzen freute es mich, daß bey den Nachahmungen des ehemaligen Schlachtliedes, das Trinklied und das Liebeslied in dieser vortrefflichen Sammlung weggeblieben, und also, wie ich hoffe, von dem frommen Dichter verworfen worden sind. Es waren wirklich schlechterdings unverzeihliche Stücke, deren sich gewiß der große Verfasser, dieser Vertraute der Engel, oft genug von Herzen geschämt haben wird.

Meine Frau kam nach Hause, und legte ihrer Mutter und Schwester Segen mit dem ihrigen liebevoll auf mein Angesicht nieder. Wir saßen eine Weile bey einander, Hand in Hand, und sprachen nicht viel. Der Husten hatte mich ermüdet. Sie gieng zu den Kindern. Ich las während der Abendpredigt die Epistel an die Epheser. Wie voll Erhabenheit, großer Winke und herrlicher Aufschlüsse ist sie! Wie umfassend und allenthalben eingreifend die darinn herschenden Ideen! – Gott hat uns in Christo vor der Grundlegung der Welt erwählet, daß wir heilig und unsträflich vor ihm in der Liebe seyn – [16] wie unendlich viel liegt in diesen Worten! Welcher Weltweise vom Aufgange bis zum Niedergange spricht in dieser Sprache! wo finden sich sonst so vielbedeutende, reichhaltige Ausdrücke, Ideen, Winke, Aufschlüsse, als z. Ex. die Ausdrücke mit sich führen: 4 Erkennen [17] den Reichthum des göttlichen Erbes unter den Heiligen – Erkennen die unermeßliche Größe der göttlichen Kraft an denen, die da glauben – die Gemeine (Die Gesellschaft von allen durch Christum gutgewordenen Menschen) ist der Leib Gottes; die Fülle dessen, der alles in allen erfüllet. – Gott hat uns, weil er reich ist an Barmherzigkeit, aus großer Liebe, womit er uns geliebet hat, mit auferwecket und mit gesetzt in den Himmel durch seinen Sohn. – Er wollte auch den künftigen Zeiten den vortrefflichen Reichthum seiner Gnade durch seinen Sohn in großer Güte gegen uns erzeigen. Wir sind Gottes Geschöpfe, erschaffen durch seinen Sohn zu guten Werken, zu welchen uns Gott zuvor zubereitet hat.

Wir haben alle durch den Sohn den Zutritt in Einem Geiste zum Vater. Wir sind nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes. –

[18] Wir müssen uns zu einem heiligen Tempel für den Herrn zurichten lassen. –

Den Fürsten und Gewalthabern im Himmel sollte durch die Gemeine die mannichfaltige Weisheit Gottes kund werden.

In der Liebe müssen wir gewurzelt und gegründet seyn.

Die allen Verstand übersteigende Liebe des Sohnes Gottes erkennen; mit aller Fülle Gottes erfüllet werden. –

Gott kann überschwenglich thun über alles, was wir bitten und verstehen. –

Es ist Ein Leib, Ein Geist, Eine Hoffnung, Ein Herz, Ein Glaube, Ein Gott und Vater aller, über alle, durch alle, in uns allen – Darum sollen wir in aller Demuth und Sanftmuth, und Langmuth, und aller Liebe einander ertragen. –

Wir sollen alle zur Erkenntniß kommen – Ein vollkommener Mann werden; das vollkommene Ebenbild Christi.

Rechtschaffen seyn, mit der Wahrheit haushalten in Liebe – gütig, inniglich barmherzig – einer dem andern vergeben, wie Gott uns in seinem Sohne vergeben hat; Gottes Nachfolger seyn, wie die lieben Kinder; in der Liebe [19] wandeln, und uns Gott für einander aufopfern, wie der Sohn Gottes sich Gotte für uns aufgeopfert hat.

Ein Licht Gottes seyn; – verstehen, was sein Wille sey – Voll seines Geistes nur nützen und vergnügen. Gott immer danken; einander vor seinem Angesicht unterthan seyn in der Liebe.

Den Ehegenossen lieben, wie der Sohn Gottes die Menschen liebet, die seines Fleisches und von seinem Gebeine sind.

Alles mit Aufrichtigkeit des Herzens, als dem Sohne Gottes thun – immer auf den Herrn im Himmel, vor dem kein Ansehen der Person gilt, sein Augenmerk richten.

O mein Herz! wie hast du doch jemals diese Stellen, diese Ausdrücke lesen können, ohne zu empfinden, daß das die Sprache der erhabensten Wahrheit; die Stimme dessen ist, dessen Werk du bist, und den du nie süßer und seliger empfindest, als wenn du liebest, einfältig, uneigennützig ihn, den alles belebenden, in deinen Brüdern und Schwestern liebest – wer aus der Wahrheit ist, der höret, verstehet und folget Gottes Stimme.

Ich schrieb eine Ode – Mein Werk. – Hernach am Tagebuche, und saß noch eine Weile stille – ein paar Minuten bey meiner Mutter. Ich wurde abgerufen, laß einige herzliche, [20] beschämend gütige Glückwünsche, und antwortete mit ein paar Zeilen ungefähr so: »Ach! ihr liebenden, Geliebten! Ihr seyd zu gut! Ich darf Eure Güte nicht annehmen, bis ich mich durch und durch Euch zeigen darf; bis nichts mehr in mir übrig ist, das sich vor Euch zu verbergen suchet; dann bin ich Euerer Liebe und Eurer Wünsche werth.«

Einige Freundinnen kamen zu uns – Wir lasen in Klopstocks Oden; sprachen vom Eigensinne, und der übeln Laune der Kinder. Umgang mit Größern und Geringern ist ihnen auch deswegen sehr nützlich, daß sie sich gewöhnen zu empfinden, daß andere Menschen, Größere und Geringere, mit ihnen in gleichen Rechten stehen. Ich sende meinen Sohn beynahe bloß deswegen in die vermischte Schule, um ihn gesellig zu machen; ihn an Menschen zu gewöhnen; wenn er da sonst auch nicht das mindeste lernte; ja, wenn er auch, wie ich nicht zweifle, manches unartiges und schlimmes lernen sollte – Dieß Uebel scheint mir in keine Vergleichung zu kommen mit dem schrecklichen Uebel der Ungeselligkeit, der Menschenfliehenden, Menschenverachtenden Laune. Einzelne Unarten und Fehler, die er nach Hause bringen wird, und die gemeiniglich gleich bey ihrer Entstehung, oder bald hernach zu merken sind, lassen sich viel leichter von einem male zum andern, da sie wahrgenommen werden, heben, als die furchtbare Wendung eines ganzen[21] Charakters zur Menschenfeindlichkeit, übeler Laune und schalkhafter Grillenfängerey. Ueberdem, däucht mir, sollte das nicht vergessen werden, das ein beständiges Augenmerk aller seyn, die von der Erziehung schreiben, und sich mit der Erziehung abgeben, gleichwie es überhaupt das beständige Augenmerk aller Prediger, aller moralischen Schriftsteller seyn sollte: wir müssen einmal die Welt nehmen, wie sie ist. Wir können die Ordnung und Einrichtung derselben nicht ändern; die Umstände und Verbindungen, in welchen wir uns befinden, mögen gut oder schlecht seyn; sie sind allemal so, wie sie sind. Es ist also Thorheit sie ändern zu wollen; und wenn man sie nicht ändern kann, sich davon abzusondern und loszureissen. Man muß also Menschen und Kinder gewöhnen in derjenigen Welt, in denen Umständen weise zu seyn, und recht zu thun, die nun einmal nicht zu ändern sind; man muß also die Kinder nicht nur gewöhnen, allein und zu Hause zahm und tugendhaft zu seyn; nicht glauben, daß man sie weislich erziehe, wenn man sie immer von der Gesellschaft, und vom Lärme der Kinder abgesondert hält. Sie müssen lernen und sich üben, unter schlimmen gut zu seyn, weil es unmöglich zu vermeiden ist, daß sie nicht unter schlimme gerathen. Sie müssen, wenn sie weise und glücklich seyn sollen, eine eigene, von aller gesetzgebenden Aufsicht freye und unabhängige [22] moralische Festigkeit und Selbstständigkeit haben; diese aber kann ihnen keine Art von künstlicher Erziehung geben.

Ich durchlas noch Oetingern vom Hohenpriesterthume Christi. 5 Einige wenige, aber lange nicht genug entwickelte, große Ideen ausgenommen, habe ich wenig darinn gefunden, weniger, als der redliche und an Verstand und Herzen sonst so gesunde Hasencamp mich davon hoffen ließ.

Aber Herz! – Warum freute es mich nicht so sehr, von Oetingern angeführt zu werden, [23] als von einem beliebten Manne? – warum kann ich mich einer geheimen Scheue, Malaise, einer dunkeln, sich vor mir schämenden, und eben deswegen schnell vorübergehenden Unzufriedenheit nicht erwehren, wenn ich meinen Namen gedruckt neben Oetingern und Bengeln sehe? Ist das nicht Eitelkeit? Nicht kindische Besorgniß, als ein Anhänger von ihnen verlachet zu werden? – und doch sagt mir mein Herz, daß beyde redliche, fromme, und in mancher Absicht verdienstvolle und tiefsehende Männer sind: sagt mir mit lauter Stimme, daß alles meines Stylruhmes ungeachtet, ich weder an Gottseligkeit noch Gelassenheit ihnen beykomme; daß ihnen, so viel Schwachheit, Eigenheit und Dunkelheit sich auch in ihren Charakter und ihre Schriften gemischt haben mag, Gottes Sache und Christi Reich noch mehr am Herzen gelegen ist, als mir; daß ich noch viel ablegen, mich, (nach der brüderlichen Erinnerung meines Bruders Hasencamp)weit mehr von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes reinigen muß, wenn ich in jener Welt, wo der Herzenkenner sie gewiß hervorziehen, und mit herrlichem Licht umstralen wird, nahe bey ihnen, mich ihres und unsers Gottes in ihnen von ganzem Herzen ewig freuen soll.

Ach! Herr! reinige mein Herz von allen Schlacken der Eitelkeit, der Selbstsucht, und des seelvergiftenden Neides! – Nur die, [24] welche reines Herzens sind, werden dich anschauen.

P. kam noch, und freute sich, uns so vertraulich und ruhig beysammen zu finden. Wir sprachen von der Frau B ... die noch immer über den Verlust ihres einzigen Kindes, ihrer einzigen Freude auf Erden untröstbar wäre. Ich meynte, wenn man noch etwa Einen schriftlichen Versuch gethan hätte, so sollte man alsdenn wenig mehr sagen; sie nicht mehr ausdrücklich und geradezu trösten; vielleicht verliere sich der Kummer eher. Man kann wirklich bisweilen durch Trostgründe, die nicht genau treffen, den Kummer nur unüberwindlicher machen. Wer recht traurig ist, nämlich über ein geschehenes, gewisses Uebel, welches nicht mehr zu ändern ist; der will eigentlich nicht getröstet seyn; versinken in Traurigkeit ist seine Wollust. Jeder direkte Versuch, ihn dieser wollüstigen Trauer zu entreissen, ist gleichsam eine Art von Gewaltthätigkeit, gegen die sich seine ganze Seele empört ......

P. sagte mir, daß er das nächstemal über die Worte predigen wolle: Wer unterscheidet dich? Was hast du, o Mensch, das du nicht empfangen hast? Wir können den Gedanken nicht genug ausdenken: daß alles an uns nur empfangen ist: es ist, in einem eigentlichen Verstande Gott geraubt, wenn wir uns auch nur das allermindeste beymessen; im aller ausgedehntesten Sinn ist es buchstäblich [25] wahr: Wir sind nicht geschickt, von uns selbst etwas Gutes zu gedenken, als aus uns selbst, sondern alle unsere Geschicklichkeit ist aus Gott. Es gehört mit zu der kränkelnden Auslegungsart unsers in mancher Absicht so sehr wie möglich unphilosophischen Jahrhunderts, daß wir Sprachkunst und Gelehrsamkeit aufbieten und verschwenden, um die allgemeinsten Wahrheiten, darum, weil sie etwa von Christo, oder den Aposteln gelegentlich auf einen besondern Fall angewendet worden sind, auf einen Localsinn einzuschränken, und diejenigen mit einer Art von Verachtung zu belegen, die eine allgemeine Wahrheit deswegen nicht zu einer Localwahrheit erniedrigen, weil sie auf einen besondern Fall angewendet ist!!!! 6

[26] Wir kamen auf den erhabenen Ausspruch Pauli zu reden: Alles ist Euer! Ihr Christi! Christus Gottes. Gott hat Christo, Christus den Seinigen alles abgetreten, und dennoch behält jedes seine Rechte! Was Gott hat, hat Christus, was Christus, die ganze Gemeine Christi. 7 – Ach, Gott, öffne uns die [27] Augen, unsere Würde und den Reichthum der Herrlichkeit des Erbes der Heiligen zu kennen.

Ich war noch eine Weile vor dem Nachtessen alleine. Mein Husten war sehr stark. Der Auswurf hatte Blutgeschmack. Todesgedanken wurden dadurch veranlaßt. Sanfte, kindliche Unterwerfung rang mit geheimer Sehnsucht länger zu leben; erst noch dieses und jenes auf Erden zu vollenden. Nicht, was ich war, wollte ich itzt sehen; nicht, was ich that; – sondern, was ich hätte thun können; was ich hätte seyn sollen. O Gott! wie demüthig sollte ich seyn!

[28] Ich aß mit meinen Aeltern zu Nacht, war ruhig im Geiste; doch bisweilen mischten sich beynahe Thränen unter den Gedanken: – »Wie? wenn ich nun nach und nach meine Lebenskräfte weghusten müßte!«

Fußnoten

1 Ganze Stunden sich mit Andachtsübungen, mit Nachdenken, Lesen, Beten u.s.w. beschäfftigen, ist sehr gut und heilsam; aber ganze Stunden bloß mit dem, was eigentlich beten heißt, zubringen, ist in den allermeisten Fällen weder möglich noch rathsam, wenn man nicht in das fehlerhafte Plappern verfallen will, vor welchem uns Jesus warnet, Matth. 6. u. 7. Anmerk. des Herausgebers.

2 Auch Eine gute, gottgefällige, unsern Brüdern nützliche, mit redlichem Herzen verrichtete That ist mehr werth, als das längste wörtliche Gebet, das uns nicht zum Thun antreibt, oder gar daran verhindert. Irre dich nicht, christlicher Leser. Das Gebet ist nur ein Hülfsmittel zur Frömmigkeit und Rechtschaffenheit, aber nicht die Frömmigkeit und Rechtschaffenheit selbst. Wer die Empfindung seiner Abhängigkeit von Gott in sich unterhält, und nach seinem Stande und Berufe den Willen Gottes gern und willig thut, weil er weiß, daß es der Wille Gottes ist, der betet ohne Unterlaß. Anm. des Herausg.

3 Nicht nur das Gebet, sondern jede rechtmäßige, treue Anwendung der uns von Gott verliehenen Fähigkeiten und Kräfte, Gaben und Güter machet uns eines höhern Grades und eines reichern Maßes derselben fähig. Das Gebet soll uns nicht über die Menschheit erheben, sondern zur Erfüllung der Pflichten, die uns als Menschen obliegen, willig und geschickt machen. Anm. des Herausg.

4 So wahr und vortrefflich alle die folgenden apostolischen Lehren und Vorschriften, und so würdig sie eines von Gott vorzüglich erleuchteten Lehrers der Menschen sind, so hüte dich doch, christlicher Leser, vor dem schädlichen Irrthume, als ob die Worte der Schrift alles bedeuteten, was sie nur bedeuten können, oder als ob jeder Spruch der Bibel eine unerschöpfliche Quelle von besondern Ideen und Aufschlüssen in Religionssachen wäre. Dieß wäre der gerade Weg, die Schrift zu einem höchst dunkeln und unverständlichen Buche zu machen. Willst du dieselbe verstehen, so frage nicht: was läßt sich, oder was kann ich bey dieser Redensart oder bey dieser Stelle denken? sondern frage: was mag und muß wohl z.E. Paulus, der vorher ein jüdischer Gelehrter war, was mögen und müssen wohl die Epheser, die Colosser u.s.w. die neubekehrte Christen aus den Juden oder Heiden waren, dabey gedacht haben? Entkleide dabey, wenn du besser unterrichtet bist, die Redensarten, die etwas sonderbar klingen, von dem hebräischen Gewande, das sie noch in unsern Uebersetzungen tragen. So wirst du z.E. finden, daß erkennen den Reichthum des göttlichen Erbens unter den Heiligen nicht wohl etwas anders heißen könne, als: erkennen, was für große Vortheile die Christen vor andern Menschen besitzen. Anm des Herausg.

5 Da ich Oetingers Schriften nicht gelesen habe, so kann und darf ich auch nicht davon urtheilen. Sie sollen aber nach dem Zeugnisse einsichtsvoller und unpartheyischer Richter sehr dunkel, und zum Theil ganz unverständlich seyn. Also werde ich sie wohl ungelesen lassen. Und das wollte ich auch einem jeden unstudirten Christen wohlmeynend rathen. Wer nur wenige Zeit aufs Lesen wenden kann, und kein so genannter Gelehrter ist, der muß in der Wahl der Bücher, die er list, sehr behutsam seyn, und sich bloß an solche Schriften halten, die er ohne große Mühe verstehen, und zu seinem Unterrichte und zu seiner Besserung gebrauchen kann. Das Wichtigste und Nützlichste in der Religion ist allemal auch das Leichteste und Faßlichste. Anmerk. des Herausg.

6 Sollte das auch unphilosophisch seyn, wenn man jeder Schriftstelle einen nach dem Sprachgebrauche, nach der Absicht und Verbindung der Rede, und nach den besondern Umständen des Hörenden genau bestimmten Sinn zu geben sucht; und nicht aus allem alles machen, oder alles in allem finden will? In jenem Spruche: Wir sind nicht geschickt von uns selbst etc. redet doch der Apostel offenbar von sich und seinen Mitaposteln, und von ihrer Geschicklichkeit zum evangelischen Lehramte. Warum sollte ich ihn denn nicht davon, sondern von einer andern, zwar wahren, aber nicht hieher gehörigen Sache erklären? Daß alle unsre Fähigkeiten und Kräfte von Gott kommen, und von ihm erhalten werden, wird gewiß niemand läugnen, und wer dieses von ganzem Herzen glaubet und empfindet, der kann unmöglich stolz seyn. Aber folget wohl daraus, daß wir mit den uns von Gott verliehenen Kräften gar nichts ausrichten können, wenn nicht Gott beständig auf eine unmittelbare oder außerordentliche Weise auf uns wirket? Wir Apostel, sagt Paulus in der angeführten Stelle, haben unsre Lehre nicht selbst erfunden; sie kömmt von Gott. Darf ich nun daraus schließen, daß auch alle meine guten Gedanken auf eben diese Art und in eben demselben Verstande von Gott kommen, und folg ich göttliche Offenbarungen seyn. Anm. des Herausg.

7 Sollte diese Stelle, wenn man sie im Zusammenhange mit dem Vorhergehenden und Folgenden betrachtet, wohl etwas anders heißen als: Folget nicht auf eine sektirische Art irgend einem besondern Lehrer. Rühmet euch nicht des einen so, daß ihr die übrigen verachtet und euch von ihnen entfernet. Werdet nicht der Menschen Knechte. Alles ist euer: Alles, was Gott durch uns redet und thut, zielt zu euerm Besten ab, und ihr könnet und müsset euch alles zu nutze machen, so verschieden auch unsre Gaben und unser Vortrag seyn mögen. Ihr seyd Christi, seine Jünger, sein Eigenthum, und nicht Jünger oder Knechte Pauli, oder Kephä, oder irgend eines andern Menschen. Christus aber ist Gottes: er selbst ist Gottes Gesandter, der bloß dasjenige lehrete und that, was ihm Gott zu lehren und zu thun aufgetragen hatte, und der nicht seine eigne, sondern die Ehre seines himmlischen Vaters suchte. Anm. des Herausg.

Montag der 16. November 1772
Montag der 16. November 1772.

Beym Frühstück gab ich meiner Frau die Vorrede zu Oetingers Priesterthum zu lesen. »Mir wäre es am liebsten, sagte sie, wenn man nichts Gutes und nichts Böses von dir schriebe!«

Ich schrieb ein paar Kleinigkeiten: berichtigte einige öconomische Sachen mit meiner Frau, bat P., der eben vorbey kam, meine Stunde im Waisenhause zu versehen. Ich hieß ihn, etwas unter meinen Papieren zu suchen; er fand es nicht gleich. Die Ungeduld wollte sich in mir regen; eben dasselbe begegnete mir eine Viertelstunde hernach mit meinem Bedienten. Ich machte die Verse für die Waisen, und ruhte etwa noch eine halbe Stunde unter vermischten Gedanken im Bette; stund nach 9 Uhr auf und vollendete mein gestriges Tagebuch; erhielt einen weitläuftigen Brief von einer mir bekannten, armen, verdienstlosen [29] Person. Sie glaubte, mich beleidigt zu haben, oder bey mir verläumdet worden zu seyn, weil ich ihr so lange nicht nachgefragt, sie so lange vergessen hätte. Ich nahm mir gleich vor, ihr zu schreiben, legte den Brief auf die Seite, und wollte die Epistel an die Philipper lesen, wurde aber unterbrochen. Vormals wäre das kränkend für mich gewesen; itzt nicht mehr. Es ist mir sehr wohl dabey, wenn ich auch hierinn keinen eignen Willen habe, und mich gänzlich und kindlich dem Willen der Fürsehung unterwerfe. Je weniger ich will, je weniger Eigenwillen ich selbst in Absicht auf das Gute, oder vielmehr in Absicht auf die Wahl des Guten habe; je mehr ich mich hierinn blindlings jedem Rufe der Fürsehung dahin gebe, desto ruhiger, desto augenscheinlicher gesegnet bin ich.

Die Hälfte meiner Predigten über den Jonas kam aus der Censur mit dem Probat zurücke; und mein Manuscript für Dienstboten von einem meiner Freunde mit einigen Anmerkungen und Zusätzen, die sehr brauchbar und schicklich waren, und die ich sogleich einrückte, und mir zu nutze machte.

Jungfer A. kam; klagte sanft, bescheiden und Thränenvoll über die körperliche und sittliche Zerrüttung ihrer Natur ..... Sie blieb bis gegen Mittag da. Ich suchte sie aufzumuntern, und ihr Glauben an Gott durch Glauben an die Menschen einzusprechen.

[30] Ein Packet von Leipzig kam mit dem zweyten Stücke der Abhandlung über die Physiognomik. Ich zittere allemal ein wenig, so bald ich etwas neugedrucktes von mir zu Gesichte bekomme. Gedruckt machen meine eignen Aufsätze einen ganz andern Eindruck auf mich als geschrieben. Ich beurtheile sie auch ganz anders. Ich durchblätterte die Abhandlung, las die Vorrede und die Anmerkungen; erschrack vor einigen aus Versehen ganz leer gelaßnen Blättern; ..... schrieb noch ein Briefchen; und gieng zum Mittagsessen. Man sprach von dem kranken Herrn Cammerer Schmidlin, wie viel seine Gemeine an ihm verliere, und wie sehr ihr, wenn er sterben sollte, ein wackerer Mann zu gönnen wäre. In der That ist er ein guter, redlicher, dienstfertiger Mann. Seine musikalischen Talente weiß ich nicht zu schätzen; doch habe ich einige Compositionen von ihm mit ausnehmender Rührung angehört: Sein Staub beym Staube etc. habe ich mir von meinen musikalischen Freunden schon für mein Sterbebette ausgebeten.

Nach dem Essen überbrachte mir eine Bürgersfrau einen Brief von ihrem armen Manne um Beyhülfe zur Fortsetzung seines Handwerkes. Ich konnte ihr wenig Hoffnung dazu machen; verhieß ihr, mit meinem Vater zu reden, und ihr die Antwort sagen zu lassen. Mein Vater gab mir etwas für sie – Ich [31] schrieb an meinem Tagebuche, und versendete einige Exemplare von der Physiognomik.

Meine Frau kam mit meinem kleinen Mädchen zu mir – Die kleine Unschuld und Liebe! Wer gab ihr die Unschuld und Liebe! – Für wie viele Millionen Kinder hat der Vater aller – Anmuth, Unschuld und Liebe vorräthig! Herr Gott .... wer hat je ein Kind auf seinen Arm nehmen und den Greuelgedanken, den ich einmal in einer Predigt!!! hörte, ertragen können: Die kleinen Kinder sind eine Behausung der Teufel. Daß wir das werden sollen, wird doch der Heiland nicht wollen, wenn er uns Kinder werden heißt!!!

Ich las die Epistel an die Philipper. Ich möchte immer alle Stellen, Gedanken, Ausdrücke, die mich besonders rühren, und mir einer genauen Erwägung vorzüglich würdig scheinen, auszeichnen. Wir überhüpfen freylich gar viel, das von sehr großer Wichtigkeit ist. Unser christlicher Geschmack sollte sich dadurch bilden. Wie viel sagen z. Ex. die Ausdrücke und Bezeugungen, wie sehr erhöhen sie unsern moralischen Geschmack, wenn wir sie nicht über unser Ohr wegglitschen lassen ..... Unanstößig und rein seyn auf den Tag Jesu Christi. – Erfüllet mit Früchten der Gerechtigkeit, durch Jesum Christum, zur Ehre und zum Lobe Gottes. –

Wenn nur Christus auf alle Weise verkündigt wird; wenn nur er allezeit [32] und in allwege an meinem Leibe groß gemacht wird; es sey durch Leben oder Tod – Christus ist mein Leben; Sterben mein Gewinn; welches mir auch viel besser wäre – Ach! Herr! Herr! Dieser Geist und diese Einfalt, und dieser reine freundschaftliche Eifer erfülle alle deine Knechte! Erfülle meine Seele! Begeistere mich, so oft ich handle, rede, schreibe, bete, leide, ehre, geehrt werde; – – Augenblicke giebt es, wo ich meyne, so etwas dem Apostel in einiger Entfernung nachsprechen zu dürfen; aber tausendmal erschrecke ich noch, wenn ich an die Herrlichkeit und Liebe Christi empor blicke – Wo ich bin, sagt die himmlische Wahrheit: da wird auch, wird nur mein Diener mein Nachfolger seyn! .....

Ich kann den Mann nicht genug schätzen, bewundern und lieben, der an Menschen, die vormals in Unwissenheit und Lastern versenkt waren – schreiben kann – Aus Gnaden ist Euch gegeben, daß ihr nicht allein an Christum glaubet, sondern auch um seinetwillen leidet.

Achte eine aus Demuth den andern höher, als sich selber! Seyd gesinnet, wie Jesus Christus auch war.

Seyd unsträflich und ungeheuchelt, untadelhafte Kinder Gottes. Lichter unter dem verkehrten Menschengeschlechte! –

[33] Freuet Euch im Herrn allezeit; und abermal sage ich Euch: Freuet Euch. –

Lasset Euere Leutseligkeit gegen alle Menschen sehen! –

Sorget nichts, sondern lasset in allen Dingen Eure Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundbar werden.

Gottes allen Verstand übersteigende Liebe bewahre Euere Herzen und Sinnen in Christo Jesu. –

Was liebenswürdig ist, dem denket nach –

Die Gnade unsers Herrn Jesu Christi sey mit Euch allen!

Wie können wir Lehrer, ich Lehrer des Evangeliums, die schönen und schlechten Züge – göttlicher und ungöttlicher Lehrer, ohne tiefe Erschütterung lesen: Sie suchen alle das Ihrige, nicht die Angelegenheiten Jesu Christi!

Epaphrodit ist um des Werkes Christi willen dem Tode nahe gekommen.

Was mir Gewinn war, habe ich um Christi willen für Schaden geachtet.

Mein Bestreben ist, Christum zu erkennen, und die Kraft seiner Auferstehung – und seinem Tode gleichförmig zu werden. –

[34] Ich vergesse dessen, was hinter mir ist, und strecke mich nach dem, was vor mir ist.

Ich sage es mit Weinen, daß viele Feinde des Kreuzes Christi sind. Ihr Gott ist ihr Bauch, ihre Ehre ist Schande; ihr Ende Verderben; sie denken nur auf irrdische Dinge.

Wenn wir den Apostel sagen hören: Christus hat Macht, sich alle Dinge unterthan zu machen – Gott hat ihm einen Namen geschenkt, über allen Namen. In dem Namen Jesu sollen sich beugen alle Knie, derer im Himmel und auf Eden, und unter der Erden, und alle Zungen bekennen, daß Jesus Christus der Herr sey zur Ehre Gottes des Vaters. –

Ach! – wie dürfen wir, Christusleere Lehrer, wir, denen Christus nicht ihr Erstes und Letztes ist, dürfen wir neben diesem, von Christus, von nichts als Christus begeisterten Apostel – auch nur die Augen aufschlagen? – 1

[35] Es ist umsonst, und wenn die ganze Welt, und wenn die lichtvollesten Köpfe sich des Namens Christi schämen, und gleich von Uebertriebenheit und Schwärmerey reden, wenn Christus, Christus selber gleichsam mit Gewalt hervorgedrängt, und auf die Höhe gestellt wird – Es muß seyn; und mein Auge will ich nicht schließen; und diese Hand soll nicht erstarren; Jesus Christus muß auch noch groß gemacht werden an meinem Leibe. 2 Es sey durch Leben oder durch Tod!

[36] Ich beantwortete noch das Schreiben, das ich frühe erhalten hatte; nach der strengsten Wahrheit konnte ich sagen, daß nichts als mein Unvermögen Schuld sey, daß ich sie nicht weiter unterstützt hätte, und sie gänzlich vergessen zu haben schien.

Ich war eine Viertelstunde ganz stille, dachte dem zerfallenen Zustande der Theologie in Deutschland nach – und seufzte zu meinem Herrn im Himmel!

P. kam. Ich bath ihn, bey mir zu bleiben. Er willigte darein. Wir lasen mit einander die II. und III. Epistel Johannis, und hernach noch eine Abhandlung von Benson, aus dem Britischtheologischen Magazin, von den auferstandnen Heiligen, die nach der Auferstehung Christi vielen Heiligen zu Jerusalem erschienen waren. Daß es bloß Christen oder Gläubige an Jesum, mithin kurz vorher Verstorbene gewesen, die von den Ihrigen noch haben erkennt werden können, und daß ohne diese Kenntniß der Eindruck, den sie gemacht haben würden, fruchtlos gewesen wäre, weil sie Heilige genennt werden, und dieser Name in dem neuen Testamente nur Christen gegeben werde, schien uns noch lange nicht wahrscheinlich genug gemacht zu seyn, weil doch offenbar Moses und Elias von den drey Aposteln auf dem heiligen Berge erkennt worden, und ihre Erscheinung Nutzen genug für sie hatte, ungeachtet diese beyden Männer viele [37] Jahrhunderte vorher die Erde verlassen: und also vorher nie von den Aposteln gesehen worden waren. – Benson ist ein fleißiger Schriftforscher: aber meines Bedünkens nur Tagelöhner, freylich ein sehr brauchbarer wackerer Tagelöhner, in der Exegetik! wie wenig Ueberschauung! wie wenig Gefühl.

Bey dieser Gelegenheit erinnere ich mich in der Erzählung des Eusebius von dem Briefe Christi an Abgarus gelesen zu haben, daß der Apostel Thaddäus zu diesem Könige gesagt haben soll: »Allein kam der Herr vom Himmel herab; und mit vielen tausend Heiligen kehrte er in denselben zurück.«

Fußnoten

1 In diesem Satze ist viel wahres aber auch viel unbestimmtes, das leicht mißbraucht werden könnte. Wer die Lehre Christi prediget, wer gleich ihm mit redlichem Herzen Wahrheit, Tugend und Rechtschaffenheit unter den Menschen auszubreiten und zu befördern suchet, der ist kein Christusleerer Lehrer, wenn er gleich nicht immer den Namen Jesus oder Christus im Munde führet. Finden wir doch ausführliche, weitläuftige Reden Jesu, ganze apostolische Briefe, wo seiner Person kaum gedacht wird! Und wer weiß nicht, daß der Name Christus in den Schriften der Apostel sehr oft nichts anders als die christliche Lehre bedeutet? Anm. des Herausgebers.

2 Heißt dieß etwas anders als um Christi willen leiden, ein Märtyrer für seine Lehre werden? Dazu dürfen wir uns aber nicht unnöthiger und gewaltsamer weise drängen. Man kann gewiß ein rechtschaffener Christ seyn, ohne als Christ zu leiden. Die Gottseligkeit hat, in unsern Tagen noch weit mehr als zur Zeit der Apostel, auch Verheißungen des gegenwärtigen Lebens. Anm. des Herausg.

Den 16. November 1772
An die Frau B.

den 16. November 1772.


Meine gute Frau B.


Ich will Ihnen, so viel Sie wollen, zugeben, das Sie unaussprechlich leiden – Aber, Sie haben meinem Rathe nicht gefolgt; haben die Hauptpunkte meines letzten Billets nicht beantwortet; Sie müssen erstVersuche machen; und erst dann gebe ich Ihnen zu, daß Sie untröstbar sind.

Gottes unzählbare Wohlthaten, die er Ihnen erwiesen hat, und wirklich täglich erweiset, die müssen Sie sich so deutlich wie möglich vorzuzählen [38] anfangen – – So lange Sie nur auf die Wagschaale der Leiden zulegen, nur auf diese sehen, sind Sie ungerecht gegen Gott, und eben darum keines Trostes fähig.

Darüber, meine betrübte Frau B., haben Sie unserer Freundinn auch nicht geantwortet – daß es gewiß ist, daß Gott mehr hat, als er einzelnen Menschen geben kann – Mehr Macht, mehr Weisheit – und auch endlich mehr Liebe, als keiner Ihrer Freunde haben, und von ihm empfangen kann. Was dürfen Sie von der Sonne erwarten, wenn ein Stral der Sonne sättigen kann. Gott ist größer als unser Herz. Dieß haben Sie nicht erwogen!

Ach, ich muß auf der Wahrheit stehen bleiben – daß ich hart sey, das denken Sie ja nicht. Ich empfinde ihr Elend – – Aber wenn Sie Ruhe wollen, so kann und soll ich Sie nur dahin weisen, wo sie zu finden ist.

[39]
Dienstag der 17. November. 1772
Dienstag der 17. November. 1772.

Ich kann einige merkwürdige Auftritte dieses Tages nicht aufzeichnen; aber das muß ich zu meiner Belehrung mir anmerken, daß ich einigen Freunden, die ein paar Personen, welche sie bey mir antrafen, für unredlich halten wollten, äußerst unrecht that; äußerst unwillig über sie in meinem Herzen war – Unschuld, wie ich glaubte, vertheidigen wollte, und dadurch meinen viel unschuldigern Freunden in die Seele griff, wenigstens in den tiefsten stillen Urtheilen meines erhitzten Herzens.

Ich erhielt des Abends einen Brief von dem redlichen Krämer aus Düdelsheim. Dieser kranke und bedrängte Rechtschaffne – beschämte mich durch seine allzudankreiche Freundschaft – Ach! ich glaubte, ihm den so sehnlich von ihm verlangten III. Band derAussichten geschickt zu haben, und der gute arme Mann kauft sie aus Begierde, sich noch auf die Ewigkeit zu stärken. Dergleichen Uebersehen und Vergessenheit von meiner Seite haben mir schon manche Kränkung verursacht. Ich tröste mich aber mit dem Glauben an den Glauben meiner Freunde.

In seinem Briefe lag ein Brief an ihn von dem verständigen und rechtschaffenen Herrn Hebebrand in Büdingen, worinn er [40] über den III. Band der Aussich ten, insonderheit die willkührlichen Strafen, einige vortreffliche Anmerkungen macht, die ich von ganzem Herzen billigen mußte. Wir sind in der Hauptsache Eins. Das, was uns itzt willkührliche Strafe scheinen möchte, ist im Grunde dennoch für ein höheres, überschauenderes Wesen natürliche Strafe. Die Absonderung des Gottlosen von dem Frommen; seine Versetzung in einen qualenvollen Ort; mühsame Arbeiten; Hitze und Frost, und dergleichen, können uns itzt freylich als willkührliche Strafen vorkommen. Sie können aber dennoch ihren innern natürlichen Grund in der moralischen und in der genau damit verbundenen physischen Beschaffenheit des Menschen haben. Die Verwandtschaft unsers Körpers mit gewissen ähnlichen, gleichartigen Stoffen kann die Versetzung desselben in die allerschlimmsten Climata der Schöpfung natürlich machen; und diese Verwandtschaft kann größtentheils von unsrer moralischen Beschaffenheit, und von den Eindrücken abhangen, die wir hienieden durch unsre Leidenschaften und Handlungen dem, was in unsrer Natur zur Unsterblichkeit bestimmt ist, eingeprägt haben.

Einen kleinen Unwillen empfand ich, daß der liebe Mann meine nicht zu stummen Winke in Absicht auf die Strafen der Gottlosen nicht verstanden zu haben schien, wenigstens es [41] bey dieser Gelegenheit nicht merken ließ. Nichts reizt mich mehr zum Unwillen als Mißverständniß, oder Nichtverständniß meiner so klar und einfältig dargelegten Meynungen.

P. kam; (J.M. war auch da) und brachte mir den Band der deutschen Bibliothek der schönen Wissenschaften, worinn das geheime Tagebuch recensirt ist. Ich hatte die Recension bereits gelesen, und las sie also itzt nicht ganz. Einige Stellen frappirten mich sehr, die ich das erste mal, gewiß deswegen, weil ich einige male ganz erröthete, und mit einigen – Anmerkungen unzufrieden war, übersehen hatte. Wahrlich, ich that dem Verfasser bey mir selber unrecht, und ich schäme mich herzlich darüber. Freylich befremden mich auch itzt noch einige Stellen recht sehr.

P. aß bey mir. Ich durchgieng Weißens niedlichesAbc Büchlein; wir sprachen von Brands Verbrechen. Mein Bruder der Doctor kam, und erzählte von Herrn Schmidlins Krankheit und Tode, und rühmte bey dieser Gelegenheit den Herrn Dec. E.

P. wünschte die Ausarbeitung einiger Capitel der Physiognomik. Ich wiederholte ihm die Gründe, warum ich es schlechterdings nicht thun würde, wenn ich auch könnte. »Alles, sagte ich, was ich noch thun könnte, wäre, vermischte physiognomische Beobachtungen mit einigen Reflexionen herauszugeben, und hiezu fände ich unter meinen Zeichnungen [42] schon ein schönes Stück Text. – Damit wollte ich allen Zweifeln durch Thatsachen den Mund stopfen können. – Aber ich will noch erst mehr sammeln.«

Ich verlor mich einige Augenblicke im Nachstaunen über die moralische Disharmonie Eines und eben desselben Menschen ..... Pfenninger! sagte ich mit einer starken »Bewegung – Das will ich doch auch noch der Welt sagen, so stark ich kann, will ich allen Tugendhelden, Moralisten, Schriftstellern, Predigern, Sentimentalisten, Richtern, Sprechern und Gewalthabern im Reiche der Tugend zurufen: O ihr lieben, guten, verehrenswürdigen, besten Menschen – wenn es nicht auch bey Euch Augenblicke, Minuten, Viertelstunden giebt, da ihr Euch selbst verabscheuen müsset, da Euch die ganze Welt verabscheuen würde, wenn sie Euch in diesen Augenblicken und Viertelstunden das Herz durchschauen könnte – und sonst nichts von Euch wüßte, – o so schließet mich freyerlich aus Eurem heiligen Kreise aus! Ich gehöre nicht zu Euch! Ich bin entweder der unglücklichste oder scelerateste Mann, der auf dem Erdboden herumgeht, denn sicher bin ich noch nicht, daß es nicht noch jede Woche bey mir eine solche Minute – eine solche halbe Viertelstunde gebe« –

[43] – »Ich will meinen Namen auch hergeben, lächelte Pfenninger – auch mich sollen sie ausschließen, wenn sie nichts dergleichen an sich selber wahrnehmen« – 1

Noch sagte mir mein Freund von einem neuen musikalischen Instrumente, das in der Bibliothek der schönen Wissenschaften recensirt wäre, und vor den bisher gewöhnlichen große Vorzüge hätte.

Nach 9 Uhr gieng er nach Hause. Ich schrieb noch ein wenig am Tagebuche; und durchgieng meine heutige Aufführung. Ich hatte zu wenig an Gott gedacht. Es ist wahr, ich war ohne meine Schuld in einer beständigen Zerstreuung gewesen, und weiß mir keine Unredlichkeit gegen einen Menschen vorzuwerfen.

[44] Nützlich und gesegnet war meine Zerstreuung andern. Aber möglich und natürlich schöner wäre es doch gewesen, des V ... Angelegenheit mehr als Gottes Angelegenheit zu betrachten – und wie leicht wäre mir das gewesen, wenn ich mehr auf Gott hin geblickt hätte. Daß ich nicht in der Schrift gelesen und nicht darinn lesen können, das kränkt mich gar nicht. Nicht ich, sondern die Fürsehung wollte es, daß ich nun handeln und nicht lesen sollte. – Einige allzuschnelle Unwilligkeiten konnten mir auch an mir nicht gefallen. Die Magd kam mir zu sagen: daß meine Frau, so bald sie nach Hause gekommen, sich aufs Bette hingeworfen habe. Das Mißvergnügen darüber, daß sie nicht noch vorher, auch nur Einen Augenblick zu mir gekommen, eilte dem Mitleiden augenscheinlich vor, war offenbar meine erste, stärkere Empfindung – ich verdrang sie aber doch bald – durch meinen Glauben an sie. Und wie natürlich handelte das gute Kind; sie hatte starke Magenschmerzen; ich war nicht allein – sie furchte, mir Sorge zu machen, und aufgehalten zu werden. Kaum hatte sie sich erholet, so kam sie zu mir, ob sich gleich ihre Beschwerden noch nicht ganz verloren hatten – O wie herzlich beschämte und freute mich ihre Güte.

Fußnoten

1 Sollte diese Erfahrung nicht sehr oft eine blosse Täuschung seyn? Wenn unvermeidliche Eindrücke von außen, oder eine unwillkührliche Association der Ideen von innen böse, schändliche Gedanken und Begierden in mir erregen, die ich aber sogleich für das, was sie sind, erkenne, und mit Unwillen verwerfe und unterdrücke, sollte mich das wohl so verabscheuungswürdig machen? Vielleicht in den Augen der Menschen, die nur die Wirkung, aber nicht ihre Entstehungsart und meine herrschenden Gesinnungen sähen; aber in den Augen Gottes, der beydes zugleich sieht und beurtheilet, gewiß nicht. Anmerk. des Herausg.

Mittwoche der 18. November 1772
An die Frau F-
[54] An die Frau F –.

Meine liebe Frau F –!


Verzeihen Sie mir vor allen Dingen, daß ich ihre letzte, mit einem so ganz unerwarteten und unverdienten Geschenke begleitete schwesterlich gütige Zuschrift, erst itzt beantworte. Es war kaum eher möglich. Ihr gütiges Andenken war mir überaus erfreulich. O! wenn ich nicht immer von so vielen guten Seelen getragen würde, wo wäre ich? wie vielen bin ich Dank und herzliche Liebe schuldig, die ich kenne und nicht kenne! – o wenn ich allen diesen nur auch etwas mehr als ein todter Buchstabe wäre! wann wird doch einmal der Geist der Kraft, der Liebe, und der himmlischen Weisheit mit einem solchen belebenden Glanz aus meiner armen Hütte hervorstralen, daß das Leben Jesu an meinem sterblichen Leibe offenbar wird – Ach! glauben Sie mir es doch, – damit Sie erweckt werden, desto eifriger für mich zu beten, – daß ich noch unaussprechlich viel schwächer bin, als Sie sich in Ihrer Liebe gegen mich vorstellen. Doch ich mochte Sie dadurch im geringsten nicht niederschlagen, oder muthlos machen. Die gränzenlose Geduld und Langmuth, die Gott an mir beweiset, giebt mir viel Muth und Freyheit – allen auch den schwächsten Seelen Muth einzusprechen, und seine Barmherzigkeit[54] anzurühmen. Ich habe schon einige male zu meinem Vertrauten gesagt: »daß alle Sünden, die ich begangen, Wohlthaten für mich, und Segen für andere werden, daß ich Gott also auch für diese 1 danken müsse.«

Alles treibt uns zu dem – in dem Gottes Weisheit, Kraft und Liebe am herrlichsten glänzet – zu dem, dessen Name Hülfe und Heil ist. O laßt uns auf ihn sehen; uns seiner freuen; seinen Geist durch den Glauben in uns erwecken. Der Geist Christi ist allenthalben. Er ist in mir – und ist in Ihnen; er ist in allen, auch den schrecklichsten Sündern 2 – Aber nur diehaben ihn, spüren [55] ihn, genießen seine Lebenskraft, die da glauben, daß er in ihnen sey. Wer das recht glauben kann, der ist lebendig, ist fähig, Christo ähnlich zu werden, und des ewigen Vaters Ebenbild auf Erden darzustellen.

Lassen Sie mich Ihrem Gebete, Ihrer Liebe und der Gemeinschaft Ihres Geistes empfohlen seyn.

Gottes Liebe offenbare sich in Ihnen, nach dem Maße Ihres Glaubens, den Gott mehre!

Machen Sie Christo, wie Christus seinem Vater Ehre. Ich bin Ihr schwacher Bruder und Diener Lavater.

Nachschrift. So bald meine Predigten gedruckt sind, werde ich Ihnen ein Exemplar davon senden. Vielleicht kommen sie noch vor dem neuen Jahre. Empfehlen Sie mich, mit Versicherung meiner beschämten Dankbarkeit Ihren Hausgenossen. Gott erleuchte uns alle, seine anbetenswürdige Herrlichkeit in der Person Jesu Christi so zu sehen, wie sie ist. Christus Jesus werde in uns das, was er außer uns,für uns war – Das Opfer der [56] Liebe – Nichts für sich; alles für Gott, um der Welt willen.

Nehmen Sie mir doch meine Kürze nicht ungütig auf, ihr lieben Seelen – Ich habe noch verschiedene Briefe zu schreiben. Die Gnade des Herrn Jesu Christi sey mit Euch allen. Amen.

Fußnoten

1 Man mißbrauche diese Stelle nicht! der Verfasser danket Gott nicht für die Sünden und Fehler, die er begangen hat, sondern dafür, daß Gott durch seine weise und gütige Vorsehung aus diesen Sünden und Fehlern mancherley Gutes hat entstehen lassen. Aber wehe dem der Böses thut, damit Gutes daraus entstehe! Anmerk. des Herausgebers.

2 Der Verfasser muß durch den Geist Christi etwas besonders, uns unbekanntes, verstehen. In der heiligen Schrift wird dadurch gemeiniglich der Sinn Christi, seine Denkungsart, sein moralischer Charakter verstanden. Diese aber können nur bey guten Menschen Platz haben. Anmerk. des Herausgebers.

Den 9. December 1772
An Herrn Sp – zu C.

den 9. December 1772.


Mein werthester Herr Professor!


Wahrlich, Sie beschämen mich durch Ihre allzugütige Zuschrift recht sehr. Ohne allen Umweg muß ich Ihnen sagen, daß Sie sich ganz unrichtige Vorstellungen von mir machen. Ich bin gerade so ein armes schwaches Geschöpfchen wie Sie. Ueberhaupt, mein Lieber, müssen Menschen nicht Menschen, am allerwenigsten Christen Christen bewundern. In Einer Linie stehen wir vor Gott. Der Geist, der in mir ist, ist auch in Ihnen. Sie sind ein Haus des Allmächtigen. Ich bin ein Hauch des Allmächtigen .... Zween Würmer neben einander auf Einem Staubhaufen, sollen die einander erhöhen, an einander hinaufsehen? Einander bewundern?

[57] O mein Theurer, lassen Sie mich Ihnen zwar für Ihre Güte danken, aber Sie auch bitten, es für gerade, wahre, natürliche Aufrichtigkeit anzusehen, wenn ich Ihnen sage, daß ich mich so wenig für der besten Sterblichen Einen halten lassen kann, als Sie sich dafür ansehen lassen wollten. Es ist nicht alles verwerflich an mir. Gott hat viel an mir, und durch mich gethan; aber ich bin dennoch gewiß ein so schwacher Wurm, daß ich meine Augen oft auch nur vor halb guten Leuten kaum aufheben darf.

Ich bitte Sie nun noch um Eines. Zehen Stunden Vorlesungen des Tages – das ist wenigstens um die Hälfte zu viel; das ist unertragbar; koste es, was es wolle, Sie müssen abbrechen. Nur die Vorstellung davon macht mich krank. Ich kann es nicht ausstehen. Wenn Sie Familie haben, so beschwöre ich Sie zehnfach; aber siebenfach auch, wenn Sie keine haben, oder ich erdreiste mich, an ihren Fürsten zu schreiben, ihn um das Leben eines Menschen zu bitten, der ihn liebenswürdig nennet, und sein Leben nicht sparen will.

Sie werden, sagen Sie, so oft von der Welt hingerissen? Vielleicht kränken Sie sich über Dinge, die unschuldig, oder, die bloß Schicksal sind? .... Wenn Sie es aber auch im schlimmsten Sinne sagten, meine Antwort [58] ist kurz: Fürchte dich nicht; glaube nur. 1 Es ist Ihnen schon vergeben; glauben Sie es nur! Ihre Sünden sind schon versenkt; Gottes heiliger Geist ist schon in Ihrem Herzen. Glauben Sie es nur. Sie sind Gott lieber, als Sie sich vorstellen können! Glauben sie es nur. Können Sie von Ihrer Würdigkeit nicht klein genug, so können Sie von Ihrer Würde nicht groß genug denken. Sie verdienen nichts, und haben alles. Auch der kränkste Prinz ist noch Prinz; auch der größte Sünder (und was ist Sünde anders, als Krankheit und Verfall der menschlichen Natur) ist Gottes Geschöpfe. Gott kann sein Geschöpfe nie hassen: nur das hasset er, wodurch sein schönes Geschöpfe verunstaltet wird; und dieses aus der menschlichen Natur auszurotten, [59] ist Christi Werk. Laßt uns glauben, und uns seiner freuen. Wenn Sie sich auch tausend und zehntausendmal verachten müssen .... Diese Bußempfindung ist heilsam; nur bleiben Sie dabey nicht stehen! Zum Glauben fort! Zum Glauben fort!.. Ein Mensch, für den Gottes Sohn auch nur einmal eine Sylbe gebetet hat; ein Mensch, für den er sich an ein Kreuz heften ließ, ist mehr werth in Gottes Augen, als zehntausend Welten ohne Seelen – und wie viel muß eine Welt dem seyn, der auch ein sinkendes Härchen mit seiner Macht und Weisheit leitet. Fürchte dich also nicht, glaube nur. 2

Nehmen sie dieß kleine Gedenkzeichen von mir an. Empfehlen Sie mich allen, an denen Gott meine geringen Arbeiten segnet. Ich bin Ihr aufrichtiger Diener und Bruder im Herrn.


J.C.L.

Fußnoten

1 Um dem Mißbrauche vorzubeugen, setze ich noch hinzu: werde nicht muthlos und verdrossen in dem Kampfe gegen die Sünde und die bösen Beyspiele der Welt: Höre nicht auf, an deiner Besserung zu arbeiten, wenn es dir gleich nicht immer nach Wunsche damit gelingt: bleibt nicht liegen, wenn du gefallen bist, und verschwende deine Zeit und deine Kräfte nicht mit unthätiger Reue, sondern wende sie zur vorsichtigern Fortsetzung deines Laufes an. Anm. des Herausg.

2 Merke wohl, christlicher Leser, daß hier der Verfasser von einem Glauben redet, der sich durch eine aufrichtige Liebe Gottes und des Nächsten, durch ein ernstliches und beständiges Bestreben den Willen Gottes zu thun, wirksam beweiset. Anmerkung des Herausg.

Den 19. December 1772
An die Frau D ....

den 19. December 1772.


Meine liebe Frau D ....!


Sie haben vollkommen recht, daß es seltener Seelen giebt, welche in der Geduld, in der stillen leidsamen Tugend, im negativen Gehorsame treu sind, als solche, die es in der ausübenden positiven Tugend sind. Wiewohl auch die ausübende Tugend, wofern sie nicht eigenwillig, sondern eine kindliche Dienerinn der Fürsehung ist, unaufhörlichen Anlaß zum leidenden Gehorsame hat.

Es giebt, wie Sie sagen, wenig Herzen, die einer wahren Gemeinschaft der Gesinnungen und der äußerlichen Güter fähig sind. Indessen wird der, der selbst einer solchen Gemeinschaft fähig ist, leicht eine ähnliche Seele finden. Denn Gott wirkt keinen Wunsch, den er nicht gewährt. 1

Darf ich ein Exemplar meines neuen Jahrbüchleins beylegen? Leben Sie recht wohl, und vergessen Sie meiner nicht über das bevorstehende heilige Weyhnachtsfest, auf welches [61] ich mir I. Joh. 1, 1-5. zum Text erwählet habe. O Gott, welche Decke liegt auf unsern Augen! wie wenig wissen wir, was wir an Gott und Christo haben!

Meine liebe Frau fängt an, sich von ihrer schweren Krankheit ein wenig zu erholen.


Ich bin Ihr ganz ergebener Freund und Bruder Lavater.

Fußnoten

1 Aber hüte dich, christlicher Leser, jeden etwas lebhaftern stärkern Wunsch, der in dir entsteht, für eine besondere Wirkung Gottes zu halten. Anmerk. des Herausg.

Den 23. December 1772
An Herrn G.

den 23. December 1772.


Mein lieber Herr G.!


Lassen Sie es mich auch über diese Weyhnachtstage empfinden, daß Sie für mich um Weisheit, Kraft und Salbung bitten. Was Sie mir erbitten, erbitten Sie sich. Was ich empfange, das gebe ich wieder. – Meine liebe Frau ist immer noch sehr krank! aber ein Lamm an Geduld und Güte; voll Seelenruhe, ohne Eigenwillen – im Schoosse der himmlischen Liebe ruhend.


J.C.L. [62]

Den 23. December 1772 [1]
An Herrn E. Gp.

den 23. December 1772.


Hochgeschätzter Herr und Freund!


Nur zwo Zeilen. Meine liebe Frau hat heute (seit dem ich Ihrem Herrn Vater ein Zeilchen geschrieben) den allerschlimmsten ihrer Lebens und Krankheitstage. Wirklich nur eine göttliche Geduld kann aushalten, was sie aushält.

Das Herz des lieben Bischoffs hat eine sehr schöne Seite; aber ich fürchte: Mangel an Licht, Schwachheit des Glaubens, und Eigensinn seyn merklich an ihm. Ueberhaupt mache ich immer häufigere Bemerkungen, daß die besten Seelen noch so eigensinnig sind. Es ist eine schreckliche Sache darum; und eine herrliche Gottessache um die willenlose Einfalt eines Kindes. Wir herrschen doch gewiß nur nach dem Maaße, wie wir dienen. Wir sind gewiß nur nach dem Maaße frey, nach welchem wir uns andern zu Knechten machen. Wer alles will, muß nichts wollen. 1 Glauben, mein werther [63] Herr, ist eine so unaussprechlich einfältige Sache, daß die meisten Seelen bloß deswegen nicht dazu kommen; weil sie meynen,Glauben sey etwas mehr als glauben. Wer recht glaubt, weiß kaum, daß er glaubt.

Itzt, da ich mit Geschäfften, Leiden und Sorgen beladen bin, erfahre ich Gottes stärkende Hand. Ich will nichts, und bin ruhig: ich glaube, und mein Glaube wird überwinden.

Fußnoten

1 Wo ich nicht irre, will der Verfasser mit dieser Vorstellung nichts anders sagen, als: wir müssen uns der weisen Fürsehung Gottes gänzlich, im Kleinen wie im Großen überlassen, alles was sie uns thun heißt, willig thun, alles, was sie uns zu leiden aufleget, geduldig leiden, und nicht daran zweifeln, daß ihr Wille stets der beste sey. Anmerk. des Herausg.

Den 25. December 1772
Den 25. December 1772.
Um Erbarmung:
Gott, du Vater aller Väter!
Naher Hörer der Gebeter!
Ach! des Aermsten aller Armen!
Wann, wann willst du dich erbarmen?
Dich nur will die Seele finden!
Dich nur kennen, dich empfinden!
Dich sich immer nahe wissen!
Vater, dich im Sohn genießen?
Lenk auf dich nur alle Triebe!
Gieb mir deine Menschenliebe!
Deinen Willen, wenn ich leide!
Wenn ich bete, deine Freude!
Ja, du Vater aller Väter!
Naher Hörer der Gebeter!
Ja, des Aermsten aller Armen,
Wirst du heute dich erbarmen.
[65]
Den 26. December 1772
Den 26. December 1772.
In heitern und in dunkeln Tagen
Im Herzen Jesus dich zu tragen!
In dir mich den und stets zu freun,
Und voll von dir, von dir zu seyn;
Nur dir zu reden, dir zu schweigen,
In allem dich in mir zu zeigen!
Was du den Menschen warst auf Erden,
Vor Gott ihr Opfer nur zu werden,
Das ists, o Herr, was mein Gebet
Herab von deiner Liebe fleht.
Heiland in des Himmels Höhe!
Heiland, wo du immer bist!
In der Fern' und in der Nähe!
Freund, wie sonst nicht einer ist!
Voll Empfindung deiner Güte,
Voll von dir sey mein Gemüthe!
Deine Kraft und Liebe sey
Meiner Seele täglich neu!
Jesus Christ durchleuchte mich!
Wer mich siehet, sehe dich!
Jenner. 1773
Freytag der 1. Jenner 1773
Freytag der 1. Jenner 1773.

Ein vollständiges Tagebuch zu machen, dazu habe ich keine Zeit mehr; ich will also nur, so viel meine übrigen Augenblicke, die ich nicht besser anwenden kann, zulassen, meine merkwürdigsten Stunden, Beschäfftigungen, Situationen, Vorfallenheiten, Empfindungen, Schwachheiten, Uebereilungen, Fehler, so kurz, und für mich so lehrreich, als es mir möglich seyn wird, aufzeichnen; desto umständlicher, je mehr ich Zeit habe; desto kürzer, je weniger. Es soll mich nicht unruhig machen, wenn ich daran gehindert werde; ich will mich auch in diesem Stücke ohne alle Aengstlichkeit nach der Schickung der Fürsehung kindlich und einfältig bequemen.

Itzt wünschte ich freylich mehr aufgezeichnet zu haben, und in dem vorigen für mich so merkwürdigen Jahre weniger nachlässig gewesen zu seyn – Indessen ist es nun, wie es ist. Ich will mich über solche Dinge immer weniger kränken; für die Zukunft mir immer weniger gesetzlich vornehmen –

Sey es Schwachheit, oder Kinderey, oder unerklärbares melancholisches Zittern über den Verlust eines Jahres, über den scheinbaren Anfang eines neuen Lebensabschnittes – Sey es, was es wolle – Ich konnte die erste mitternächtliche [69] Stunde dieses neuen Jahrs nicht verschlafen – Bis 11 Uhr konnte ich nicht zu Bette – und von 11 bis 12 Uhr hatte ich, sanfterweckt vom fernen zusammentreffenden Geläute dörflicher Glocken, genug nachzudenken – Ich wollte danken und konnte nicht; wollte beten – und betete mehr mit Thränen, und zitternden süßen Beklemmungen – dürstete nach Licht und Weisheit zu allem – Großem und Kleinem – Meine Mutter und meine Frau und Kinder, und einige meiner Freunde, hatten den meisten Antheil an meinen Wünschen – und dann noch einige besondere drückende Angelegenheiten – ich entschlief –

Erst ein wenig vor sieben Uhr erwachte ich wieder – und legte mich der väterlichen Güte Gottes mit Verlangen nach Weisheit dar – Ich hörte die Stimme meiner lieben Frau – Gieng zu ihr hin – und mit der süßesten, sanftesten, unschuldigen Zärtlichkeit segneten wir einander – und sprachen von den uns in diesem Jahre so viel als gewiß bevorstehenden Schicksalen – Ich laß das Neujahrslied; vorzüglich erwärmt –


Kein Jahr sey diesem Jahre gleich!
So herrlich mehre sich dein Reich!

Etwas hatte ich mich zu lange bey ihr verweilet – und war nahe daran – allzustürmisch mich anzukleiden, und das zu fordern, [70] was man vergessen hatte, in Bereitschaft zu legen.

Ich will doch das Jahr nicht unruhig anfangen – Dieser Gedanke zog mich zurück, und besänftigte mich.

Jedem aufstoßenden Glückwunsche bereit zu seyn – – kostete mich einige Ueberwindung. –

Unaussprechlich beschämte, demüthigte mich der Segenswunsch meines Amtsbruders: O Gott! wie wirst du anders urtheilen als die Menschen – Sie sehen was vor Augen ist, du aber siehst das Herz an.

Ach – meiner elenden mit körperlichen Leiden überladnen Mutter, was sollte ich ihr wünschen! So viel Geduld, als Leiden! So viel Glauben als trübe Tage! Nach dem Essen – 4 Cartesblanches für meine Freunde – P. – sandte mir eine mit seinem Namen darunter. Ich schrieb drein »Vergessung aller Thorheiten und Schwachheiten; Erduldung aller Kaltsinnigkeit; tägliche Fürbitte; ausdrückliche Ermunterung und Bestrafung; mehr Ernst in treffenden Beschämungen – Mehr Belehrung, weniger Achtung, mehr Demüthigung, weniger Erhöhung verspricht seinem Freunde« L –


J.C.Pf.


Da ich auf der Canzel stund, wurde mir beynahe übel; Kopfweh und Erhitzung drohten mir stark. Die Predigt aber gieng mir [71] ziemlich gut von statten. Bey den Wünschen war ich etwas zerstreut. – Bey dem Gebete um Weisheit für mich war ich am aufrichtigsten und wärmsten.

Reizungen zur Ungeduld – durch leere Gespräche – an einem Orte, wo ich Glück wünschte – überwand ich – durch Glauben an die Fürsehung. Unvorsichtiger weise zog ich einen Brief hervor, den ich eben erhalten und noch nicht gelesen hatte – las ihn laut – und einige possirliche Einfälle darinnen hätten leicht zu Profanationen Anlaß geben können, wenn ich nicht abgesprochen und abgebrochen hätte.

Glauben an die Fürsehung – beruhigte mich darüber, daß ich mit einer christlichen Freundinn kein christliches Wort reden konnte –

Mein Sohn betete auf dem Bette meiner Frau seine – und einige ohne mein Wissen gelernte mir nicht gefällige Gebetlein – Unterdrückter Unwillen.

Vom Herrn G .... ein Brief voll Güte – den ich meiner Frau las. »Demuth ist nichts als Erkenntniß der Wahrheit – anders nichts, mein lieber Freund; – Kein Mensch darf weniger aus sich machen, als er ist – Nur nach der Wahrheit geurtheilt – Nur den Urheber alles Guten nicht vergessen.«

Unschlüssigkeit, am nächsten Sonntage zu predigen – Gründe dafür – und darwider! [72] Ich bemerkte keine Nebenabsichten bey dieser Abwägung – und bis itzt kein Uebergewicht.

Mit Ruhe – schrieb ich bis 7 Uhr dies Tagebuch – P. kam, wir wurden unterbrochen; doch konnten wir noch ein paar Augenblicke mit einander reden, von der Nichtkenntniß, Nichtbeobachtung, Ueberschielung unser selbst – – Ich blutete, – und meine Frau bath mich, die Predigt einem andern zu übertragen – Nun war ich entschlossen – und ruhig dabey.

Ich las noch – Herrn Irmingers letzte Predigt vom vorigen Jahre über Prediger Sal. XII, 13. 14. mit Vergnügen und Erbauung.

Nach dem Nachtessen lasen wir, nach unserer Ordnung 2 Samuels – .. David wird mir immer lieber, je mehr ich ihn studire – wie sehr ist er Mensch! .... und immer muß ichs wieder sagen, und kanns nicht genug sagen: Ein interessanteres Geschichtbuch giebts in der Welt nicht, als die Bibel! welche Charakter – immer in Handlungen! Immer so menschlich, so wahr, so wahr in tugendhaften und lasterhaften Situationen!

Mein Bruder kam noch: wir sprachen von den Umständen unserer Mutter – und von der Geduld – von andern großen Schmerzentragern, die auch ihr endlich erstreben mochten, und gewiß nach ihrer Erlösung keinen [73] heissen Augenblick weniger erduldet zu haben wünschen. –

Ich schrieb noch das Tagebuch, und einige Reimen für meine leidensvolle Mutter –


Schau auf meine müden Glieder
Allbarmherziger herab!
Gieß Erbarmen auf mich nieder!
Sey mein Trost Du! Sey mein Stab!
Höre Deines Kindes Fleh'n!
Laß auf Dich, auf Dich mich sehn!
Kann ichs gleich nur schwach empfinden!
Dennoch bist Du Gott mein Gott!
Bist Vergeber meiner Sünden!
Bist mein Fels in jeder Noth!
Kannst mein Weinen nicht verschmähn:
Laß auf Dich, auf Dich mich sehn!
Drückt mein Elend mich zum Staube,
Neigst Du in den Staub Dein Ohr!
Richtest dennoch, wenn ich glaube,
Mich zu Deinem Licht empor!
Hörst auch, wenn Du schweigst, mein Fleh'n:
Laß auf Dich, auf Dich mich sehn!
[74]
Sonnabend der 2. Jenner 1773
Sonnabend der 2. Jenner 1773.

Ein Brief von Schlosser. Ich antwortete. Einige Ideen von der Bibel. Alle Glaubenslehren sind historisch. Der Glaube an die Unsterblichkeit ist der Glaube an die Auferstehung Christi; der Glaube, daß Gott durch Jesum uns Unsterblichkeit schenken werde, ist der Glaube, daß Gott durch ihn bereits Kräfte des Lebens austheile, etc. Dies gab Gelegenheit mit einem Freunde von der jüdischen Theokratie zu reden. Unter dem Gespräche flossen mir einige neue Gedanken von dem erreichten Endzwecke Gottes bey der Erziehung der jüdischen Nation zu, die einer weitern Prüfung und Entwickelung würdig sind.

Um drey Uhr besuchte ich ein krankes Mägdchen, das mich darum ersucht hatte. Ich trug ihr, weil sie es verlangte, die evangelische Methode den sündigen Menschen zu beruhigen und zu verbessern, aufs einfältigste vor. Ohne Zutrauen, ohne Freundschaft wird kein Mensch moralisch gebessert. Was keine Vorschrift, kein Gesetz vermag, vermag das Zutrauen. Daher zielt das Evangelium immer zuerst auf das Zutrauen, oder den Glauben. Dies simple Principium, das in jedem andern Falle so wirksam ist, sollte ja von den heutigen Sittenlehrern, die so viel von Menschenkenntniß [75] zu besitzen scheinen wollen, nicht so sehr vernachlässigt, ignorirt, und mit dem Gehorsame, der erst daraus entspringt, so schlechterdings verwechselt werden ......

P. und ich sprachen vom Fanatismus. So sehr die ganze Schrift mit wunderbaren Geschichten und mit Verheissungen der Gemeinschaft mit Gott angefüllt ist, so ist dennoch dem Fanatismus so sehr wie möglich vorgebaut. Die Gottheit spricht nie zweydeutig, nie, wie die Imagination; sie spricht durch Thaten, von denen das ganze Menschengeschlecht vom Philosophen an bis auf das Baurenkind wissen muß – daß sie alle bekannte Menschenkräfte übersteigen. Der Fanatismus erhöhet jede natürliche Begebenheit zu einer wunderbaren und übernatürlichen – Er heißt die Wiedererfrischung eines Ohnmächtigen – die Auferweckung eines Todten – die himmlische Weisheit aber sagt von dem Todten: Er ist nicht gestorben, sondern er schläft.

Wir sprachen noch von einer gewissen neuen Classe geistvoller Schriftsteller, denen man es zu sehr ansehe, daß sie sich im Besitze der Wahrheit glauben, und sich einbilden, von diesem himmlischen Lichte bloß aus Gnaden Funken ausgehen lassen zu können, so viel sie wollen – die mit ihrem unvergleichlichen Scharfsinne oft zu muthwillig daher triumphiren; und bey aller Toleranzanpreisung gegen [76] verschiedene ehrliche und verdienstvolle – aber schwache Menschen sehr intolerant seyn – die sehr fein sentimentalisch schreiben – und denen doch von der gemeinen, natürlichen, schlechten und rechten Brüderlichkeit in ihren Beurtheilungen wenig Spuren entrinnen; die vor lauter Größe und Erhabenheit sehr oft die ersten Anfangsgründe der Billigkeit ganz aus dem Gesichte verlieren –

Ich rühmte ihm noch den Bogen von der deutschen Baukunst.

Meine Mutter schien mir schwächer – Ach! wie ohnmächtig bin ich, sind wir alle, ihr zu helfen! und warum ist mein Herz so gehemmt, um Erlösung für sie zu beten?

Ich las noch eine Predigt von P. über 2. Petr. III, 13. 14. und schrieb mir eine Stelle daraus ab: »Warum machen wir uns doch nach allem dem, was die heiligen Schriften uns von den Freuden des Himmels sagen, nicht die natürlichen Vorstellungen, daß wir alles das, was uns hier unschuldige Freude macht, in sehr erhöhtem Grade und Maße dort genießen werden? – Beym Anblick eines jeden schönen Geschöpfes, bey jeder schönen Aussicht, bey dem heitern Himmel, bey jeder Harmonie, die unser Ohr vergnügt, und unser Herz erhöht, bey jedem Zuwachse nützlicher Erkenntniß, bey jedem Anblicke eines glücklichen Menschen, bey jeder süßen Empfindung der Freundschaft u.s.f. [77] dürfen wir ja nur denken, der gleichen Freuden werden wir einst viel mehrere, viel lebhaftere, viel größere und ungestörter, ungehemmter und unvermischter genießen.«

Heute muß ich mich der Trägheit beschuldigen – Auch war ich nicht mehr so kindlich einfältig im Gebete .... Zerstreut und etwas ungeduldig – Doch war dieser Tag nicht segenlos –

Mittwoche der 6. Jenner 1773
Mittwoche der 6. Jenner 1773.

Ich erwachte mit dem Gedanken an meine Gemüthsverfassung, die den letzten Theil dieses Tages vor einem Jahre auszeichnete. Innigst mußte ich mich darüber schämen, daß ich ein ganzes Jahr hindurch niemals wieder drey solche schöne Stunden gehabt habe, wie damals – Ich ermannte mich; betete – – – Der ganze Tag gieng mit Glückwünschungen und Besuchen hin.

. – Ich habe nicht Zeit etwas davon nachzuholen.

[78]
Sonnabend der 9. Jenner 1773
Sonnabend der 9. Jenner 1773.

Oeffne mein Auge mir, Vater des Lichts! Gieb mir Weisheit zu erkennen, zu beten und zu handeln! – So seufzte ich, als ich meine Augen diesen Morgen öffnete ....

Mit einiger Unruhe sahe ich auf die Geschäffte des heutigen Tages hinaus, und hatte einige Abneigung, meinem kleinen Sohne, der eben zu mir kam, mein gestriges Versprechen zu erfüllen, und ihm das Unser Vater zu erklären – Ich that es aber doch mit Ruhe und Freude – setzte die Sonntagspredigt fort, hatte Beschwerden von Schnuppen und fliegenden Zahnschmerzen, und wurde sehr unwillig, weil man zweymal ohne Noth die Stubenthür gegen mir über offen gelassen hatte. Dieser Unwille mag vielleicht auch durch eine Indiscretion, die ich zu verschlucken hatte, vermehrt worden seyn. Aber – nun sollte ich die Predigt von der Freude der Religion fortsetzen; mit diesem Herzen! das kann nicht seyn! das muß nicht seyn –

Ich schrieb also mein Tagebuch – und unterdessen hatte ich Zeit, mich zu beruhigen, und zu erholen. Mütterliche Scherze mit meinem Töchterlein, die ich hinter mir hörte, heiterten mich wieder auf. Auch zog ich mich wärmer an. Schon oft habe ich bemerkt, daß Nachlässigkeit und Unvollständigkeit des Anzugs [79] des Morgens nicht vortheilhaft für mich ist, und mich verdrüßlich macht; insonderheit auch, weil es mich ins Gedränge bringt, wenn ich ohne Anstand wohin zu gehen gerufen werde.

Ich erhielt eine Antwort, die mir zeigte, daß ich die eben erwähnte Indiscretion zu hoch aufgenommen, und unrecht verstanden habe – »Unerkenntniß, Mißverstand, Unwissenheit,« schrieb ich ja den Augenblick in meine Predigt, »ist eine unerschöpfliche Quelle von Trübsinn, Traurigkeit, Mißvergnügen, Schwermuth, und Melancholey« – Wahrlich, dieß ist im ausgedehntesten Sinne wahr. – Wie nöthig also die Bitte um ein einfältiges, gesundes Auge! um ruhige himmlische Weisheit.

Herr H .... kam. Vom Schreiben und der Figur der Buchstaben; vom leserlichen Schreiben; und der Pflicht und Menschlichkeit leserlich zu schreiben – Die Leserlichkeit beruhet auf der Distanz der Zeilen; der Höhe der langen Buchstaben, und dem Leibe der kurzen.

Ich fertigte einige vorgestern schon geschriebene Briefe aus, und schrieb an Herrn Iselin, der mich um meine Gedanken über Eberhards Apologie fragte:

»Eberhards Apologie ist ein gut geschriebenes, wahrheitreiches, lichtvolles Werk, welches in mancher Absicht trefflich niederreißt; aber nicht auf baut – Ein Schriftsteller, der auf den Titel seines Buches setzt: Prediger, sollte sich doch vorstellen, daß der billigste Leser [80] von ihm verlangen werde, daß er da, wo er abgeschmackte Schulbegriffe, die doch immer in der Schrift ihre erste Veranlassung, oder nachher ihre Unterstützung gefunden haben mögen, glücklich bestreitet, bessere an die Stelle setze, und die richtigen Schriftbegriffe, nicht ganz und gar ignorire, und als nicht vorhanden ansehe. Ueberhaupt, mein lieber Freund, so sehr ich allen heitern, aufgeklärten und aufklärenden Köpfen in Deutschland gewogen bin, so gefällt es mir dennoch durchaus nicht, daß sie beynahe einmüthig zur Entbehrlichmachung Erniedrigung der heilsvollen Person Christi durchReden und Schweigen so geschäfftig sind. Er, Er selber, das große Ziel aller Offenbarungen Gottes wir immer mehr ins Dunkle gestossen! Seine Lehre – d.i. einige Punkte seiner Lehre werden auf Unkosten seiner Person erhöhet! Seine Lehre aber, mein Freund, ist nicht Er selber. Er giebt uns Unsterblichkeit; nicht seine Lehre. Die Auferstehung und das ewige Leben in einem himmlischen Körper ist eine physische Sache, die seine (physische) Schöpferskraft uns giebt, und nicht eine moralische Vorschrift.« 1

[81] Ich erhielte Briefe und einige gedruckte Bogen von meinen Predigten von Frankfurt. Ich mußte an mich halten, sie nicht zu lesen; [82] was es doch anzügliches – schauervollanzügliches hat, wenn ein Autor sein Manuscript in den Druck umgegossen zum erstenmale sieht!

Ich schrieb noch einige Billiete, und gieng zum Essen. Meine Mutter saß am Tische, aß aber nichts, und schlummerte fast immer, Mitten im Unser Vater erschrack ich über die Nachlässigkeit, womit ich – nicht betete, nur die Worte hersprach –

Ich schrieb noch an Herrn Steiner. Einige Balien mislungenes allzudickes Papier, das wir zu den Predigten über den Jonas brauchen wollten, nöthigten mich nachzudenken, wie dem Schaden auszuweichen wäre. Ich kam auf den Gedanken, daß es sich sehr gut zu einer Schrift schickte, die dem Landvolke in die Hände gegeben werden müßte. Schon lange empfand und bedauerte ich den Mangel eines kleinen, wohlfeilen, durchaus brauchbaren Andachtsbuches für das Landvolk. Ich schlug ihm also diesen Ausweg für sein Papier vor; welches zu diesem Zwecke auserlesen gut ist. – Nachher – an der Sonntagspredigt – – Inzwischen einige male zu meiner Mutter, die immer schlummerte. – – Ich suchte die Herrn Brönnern versprochenen Festpredigten zusammen. Einige fand ich nicht. Ich mußte an mich halten um nicht ungeduldig zu werden. Ich habe schlechterdings nicht Zeit, alle meine Schriften in guter Ordnung zu halten, so sehr ich sonst auch die Ordnung [83] liebte. Auch diese Quelle aller übeln Laune, der Todfeindinn der Liebe, muß noch verstopfet werden. Auch dieß will ich mit ins Auge fassen, wenn ich Gott um Weisheit bitte.

Man erzählte, daß ein Hospital zu Paris abgebrannt, und alle Einwohner desselben in den Flammen zu Grunde gegangen wären. – Sogleich wandte ich meine Gedanken auf etwas ganz anders – da man sagte: Es seyn viele Blinde darinn gewesen – Ich konnte es – Dießmal habe ich Leiden genug auf mir. Auch itzt, da ich dieß schreibe, steht es in meiner Gewalt, mich diesem allzumarternden Gedanken zu entreißen – Gott Lob! es ist vorbey! und helfen kann ich nicht – Aber wehe der vorsetzlichen oder unvorsichtigen Ursache dieser schrecklichen Flammen!

Ich setzte meine Predigt fort und vollendete sie, nicht ganz, wie ich wünschte! Welche Kunst, immer und genau nur das zu sagen, was man sagen will. Ich las meiner Frau ein Stück von der Predigt. Ich ließ meinen Abraham von Toblern hohlen. Gewiß kann ich sagen, daß es mich gefreuet haben würde, wenn er Zeit gehabt hätte, recht viel daran zu corrigiren; – Er hatte sie nicht, schien aber doch überhaupt wohl damit zufrieden zu seyn.

– – Nach dem Nachtessen lasen wir Davids Geschichte bey Achis – Das unerklärlichste in Davids Geschichte – Entweder [84] scheint er ein Rebelle gegen seinen König und sein Vaterland, oder ein Verräther seines Wohlthäters zu seyn – Doch es ist schwer über einzelne Handlungen zu urtheilen, wenn man sich nicht genau in alle Umstände des Handelnden hineinsetzen kann. – Die göttliche Fürsehung verhinderte indessen den David das eine oder das andere wirklich zu seyn.

Es ist seltsam, wie unsere Empfindungen von den geringsten Kleinigkeiten abhängen. Ich hatte die Mütze wegen des Kräuterküssens, das ich auf meine geschwollne Backe legen mußte, fest angebunden, und hatte also bey dem Gebete die Hände ganz frey, mit denen ich sonst die Mütze hielt. Ich wußte erst nicht, was mir fehlte. Die Andacht gewann indessen augenscheinlich dabey. Meine Stellung war freyer und natürlicher – und die Empfindung dessen, was ich that, ungehinderter –

Ich durchlas und corrigirte noch die Predigt; balbirte mich, und fand, daß die Backe merklich dicker geworden war – wie doch eine solche Zufälligkeit die Physiognomie schon verunstalten, und etwas unedles und schiefes über ein Gesicht verbreiten kann – Wie sehr soll mich das im Urtheilen über Physiognomien sorgfältig und vorsichtig machen, die durch dergleichen Zufälle zu ihrem Nachtheile verunstaltet worden sind.

Fußnoten

1 Alles dieses ohne Einschränkung zugegeben, so wird doch allemal weit mehr darauf ankommen, daß wir im Glauben an die Lehre und an die Auferstehung Jesu die Unsterblichkeit und das ewige Leben von Gott erwarten, und uns des damit verbundenen Glückes durch christliche Rechtschaffenheit und Tugend immer fähiger zu machen suchen, als daß wir die nächste physische Ursache der Unsterblichkeit und des ewigen Lebens genauer zu bestimmen uns bemühen, als es die Schrift selbst gethan hat. Daß wir unsterblich seyn und ewig leben werden, das müssen wir zu unsrer Beruhigung und Besserung nothwendig wissen und glauben: wie und wodurch wir es eigentlich seyn und werden sollen, das können wir dem Gott, der uns durch Jesum davon versichert hat, getrost überlassen. Uebrigens können wir Jesum nicht besser ehren und verherrlichen, als wenn wir uns seine Lehre richtig vorstellen, sie mit Ueberzeugung annehmen, und seinen Vorschriften und seinem Beyspiel willig folgen. Jesus ist ein ganz uneigennütziger Arzt, dem es weit mehr darum zu thun ist, die Kranken, die sich ihm anvertrauen, gesund zu machen, als ihnen eine ganz genaue und ausführliche Erkenntniß seiner persönlichen Eigenschaften, Kräfte und Vorzüge beyzu bringen. Anm. des Herausg.

Sonntag der 10. Jenner 1773
Sonntag der 10. Jenner 1773.

Mein Bruder erzählte mir diesen Morgen von einer Frau, deren Mann gestern begraben, und die nun auch plötzlich todt krank worden – woe tkdi wefs ekf mfkdifo volptufo wkfm nfis ls bfoluf bmt wefs efs wfsmwtu kisst nboot

– – – Meine Predigt hielt ich ziemlich glücklich. Einige Stellen giengen mir recht von Herzen. Beym Gebete hätte ich einmal über die entsetzliche Kaltsinnigkeit, womit wir vor unserm gemeinschaftlichen Schöpfer und Vater standen, weinen mögen! Ach! wie ist alles Schall und Leichnam! Wo ist Geist? Wo Natur? Wo Leben und Empfindung?

– – – Ueber dem Mittagsessen sprach man von dem schmerzhaften Zustande der Tante. Sie bat um Fürbitte für ihre Erlösung. Ach! wann wird mein Herz liebreich und vielfassend genug seyn, fremde Noth wie eigene dringende Noth dem Herrn vorzutragen. Ich erschrecke, wenn sich jemand meiner Fürbitte empfiehlt; so viel fehlet mir noch an der Liebe und am Glauben, und an lebendiger Erkenntniß Gottes, um der Erwartung meiner mir zu viel zutrauenden Brüder und Schwestern auch nur einigermaßen zu entsprechen. – Ich gieng einige Augenblicke zu meiner Frau, die einen ziemlich guten Tag hatte; nachher [86] wieder zu meiner Mutter, die schlummerte. Jungfer A ... kam. Ich konnte wenig mit ihr reden, doch etwas bey Anlaß der heutigen Predigt: wie die Freude über Gott in uns zu erwecken sey. Sie ist die natürliche Folge des Glaubens, oder der Erkenntniß. Siehe auf die dir vor Augen liegenden stralenden Beweise der allgegenwärtigen Güte Gottes – Betrachte die Vortheile, die dir daher zufliessen – Versetzte dich in die Umstände eines Menschen, dem diese Beweise mangelten – Erkenne nur recht; so wirst du von selbst empfinden! Glaube – auf das, was du siehest; so wirst du dich dessen freuen, was du noch nicht siehest.

Mein Oncle kam. Eine Stadtgeschichte. Ich hörte sie mit der Aufmerksamkeit an, als wenn ich sonst nicht in der Welt zu hören oder zu thun hätte, und es wurden dadurch manche gute, mit der Zeit brauchbare Reflexionen in mir veranlaßt. Ueberhaupt bemerke und erfahre ich mit einer Zuverlässigkeit, die mir keinen Zweifel übrig läßt, daß dieses einfältige Hören bey den allergleichgültigsten Reden, diese Unterwerfung unter alle Fügungen der göttlichen Fürsehung auch bey den alltäglichsten Dingen dieser Welt eine unvergleichliche Sache, eine vortreffliche Schule der menschenliebenden Demuth, ein herrliches Mittel ist, andern zu nützen und von andern Nutzen zu haben. – – –

[87] Herr S. kam noch. Wir sprachen von der Toblerschen Abendpredigt, daß man ganz Gottes seyn müsse, und vernünftiger weise nicht sagen könne: ich will nur mittelmäßig gut seyn – – – – Hernach von dem fast allgemeinen selbst gute Herzen beherrschenden Eigensinne, von der groben und feinen Rechthaberey; von dem unendlichen Schaden dieser so wenig erkannten Fehler; von der Verbindung der unüberwindlichsten Standhaftigkeit mit dem allerkindlichsten Nachgeben etc.

Da wir wieder allein waren, gieng ich zu meiner Mutter, und wir lasen auserlesene Schriftstellen für Kranke. Sie schien mir äußerst schwach und kraftlos, doch auch sehr aufmerksam auf das, was gelesen wurde. – – –

Montag der 11. Jenner 1773
Montag der 11. Jenner 1773.

Herr Bürkli sandte mir ein Verzeichniß aller meiner Schriften zum Durchsehen. Ich mußte es abschreiben, um es in Ordnung zu bringen, und vollständig zu machen. Ich erschrack wirklich vor der Menge meiner Schriften, und erröthete einige male weil ich mich an die Eilfertigkeit erinnerte, womit ich, besonders anfänglich, einige verfertigt und herausgegeben hatte. Schon manchmal ist mir der Gedanke [88] durch den Kopf gegangen, daß es gut wäre, wenn ich einmal eine scharfe Critik darüber machte, und sie entweder selbst herausgäbe, oder nach meinem Tode herauszugeben verordnete. Auch beunruhigte oder verdroß es mich ein wenig, bey dieser Gelegenheit zu sehen, wie durch die zwar unschuldige Schuld meines Verlegers meine gemeinnützigsten Schriften, besonders die für Kinder in Deutschland ganz unbekannt seyn. Ich schäme mich, daß man daselbst bisher nichts von mir hat, als Poesien, oder Schriften für Gelehrte – und das um so viel mehr, weil ich gewiß weiß, daß ich manchem bloß als ein geräuschmachender Schriftsteller, der nichts als Schriftsteller ist, und nur Gelehrten gefallen will, vorkommen muß, und vorkomme.

Ein Bettler mit ganz zerrissenen Kleidern kam – Aber, ach so gern ich wollte, konnte ich ihn doch nur schwach trösten. –

Bald darauf kam Schn. F. über – S.S. zu klagen, und mit Grunde. Ich entsetzte mich, und erschrak über das menschliche Herz; die Sache betraf einen Züchtling in dem Zuchthause – –

Da sich mein Bruder, der Doctor, von einigen Erleichterungsmitteln für die liebe kranke Mutter mit mir unterredete, wünschte ich ihm herzlich zu seinem Namenstage Glück. Wirklich verdient ers – Er kann gewiß noch vielen Menschen zum Segen werden. Er[89] sagte: daß die Tante es gerne sähe, wenn ich sie heute besuchte.

Ich gieng noch ein paar Augenblicke zur Mutter; dann zur Tante, und fand sie still und gelassen. Ich war allein bey ihr, und hatte eine gesegnete halbe Stunde. Selten floß es mir so bey einem Kranken.

Als ich nach Hause kam, fand ich meinen Abraham auf dem Tische, mit einem Billiet von der Frau B: »Freylich würde auch nur Ein Funke von Abrahams Glauben Stärke und Trost in meine Seele bringen; aber worauf soll ich meine Hoffnung gründen? – Mein Opfer ist vollendet; ich sehe nichts als Asche, statt meines Eingebohrnen. Gott hat mehr, als mein Herz, mehr als mein Leben zum Opfer genommen. – Ich kann nur im Staube anbeten, und weinen.«

L.Z. war bey meiner Frau, und sie hatten gute Gespräche. Ich will der Frau B. antworten, dachte ich – vollendete aber vorher noch das Bücherverzeichniß, und ein Billiet; – – – gieng zum Mittagsessen. Meine Mutter saß am Tische, schlief aber fast immer. Wir sprachen sehr wenig. Ich beobachtete sie genau, und es war mir einige male bey gewissen Reflexionen, die in meiner Seele helle wurden, unaussprechlich wohl. Gottes Erkenntniß ist das ewige Leben – wie unbegreiflich wahr ist das! Aber, es läßt sich nicht davon reden und schreiben. Empfindungen haben [90] keine Bilder in der Natur; und was sind Worte anders als Bilder. Ich spazierte noch eine halbe Stunde bey meiner schlummernden Mutter auf und nieder. Nachher schrieb ich an meinem Tagebuche; gieng mit meiner Frau, die wieder ziemlich bey Kräften war, in der Stube auf und ab, und redete mit ihr von einigen öconomischen Sachen. Sie las im Abraham: ich schlug auf eine kleine Veranlassung den Musen Almanach von 1771 nach; legte ihn aber bald wieder weg. Dies veranlaßte mich den Göttingischen, der in den Frankfurter Anzeigen, die gewiß kein schlechtes Buch loben, so gelobt war, holen zu lassen.

Frau St. kam ihres Mannes wegen. Ich hatte die Schrift, die sie mir übergeben hatte, verlegt, und erschrack also zum Theil über sie. Unordnung – welche Quelle von Unruhen; von Lieblosigkeit; von unfreundlicher Begegnung ...

Einer unsrer Pathen, C.D. brachte uns eine deutsche und lateinische Schrift zur Probe seines Fleisses. Wir bewunderten des Knaben offne Physiognomie, und gaben ihm Gebeter und Lieder für Kinder.

Hr. Schwager T. und seine Frau besuchten uns, und blieben etwa eine halbe Stunde bey mir und meiner Frau. Eine Stadtgeschichte. Ueber eine Conversation. Von der Mutter. Von der Tante. Von dem jungen[91] Schw. der nach Marseille gehen sollte. Mit einiger Hitze sagte ich, daß ich dieß für sehr übel gethan hielte. Es sey beynahe unmöglich, daß ein junger Mensch ohne öffentlichen und besondern Unterricht in der Religion, und ohne Freundschaft mit zuverlässig guten Menschen, entblößt von aller moralischen Aufsicht, auch nur erträglich gut bleibe, sollte er auch noch so gute Grundsätze mit sich bringen. Sie bedauerten es, daß es nun zu späte sey.

Ich beantwortete das von der Frau B. erhaltene Billiet: »Es ist wahr, Sie sehen nur Asche; aber der Glaube sieht Unsterblichkeit. – Sie mußten doch ihr Eingebohrnes nicht schlachten ... Wenn das Opfer im Glauben vollendet wäre, so würden Sie – Ihr Kind möchte immer im Grabe bleiben – dennoch die Herrlichkeit Gottes sehen. Aber Sie wollen erndten, ehe Sie gesäet; Gott sehen, ehe Sie ihm geglaubt haben – Auf das, was Sie von ihm in der Natur, in IhremHerzen, in der Schrift sehen, hätten Sie Ursache genug, ihm da zu glauben, wo Sie nicht sehen.«

– – – Da der Hr. Schwager Qu – S. zu uns kam, und mein Abraham eben auf dem Tische lag, las ich ihm die zwo ersten Handlungen davon vor. Ich bin sonst gar nicht gewohnt, meine Arbeiten jemanden vorzulesen. Ich finde es aber doch für den Verfasser sehr vortheilhaft. Er fühlet die Stärke [92] und Schwäche seiner Arbeit alsdann selbst viel feiner, als es ihm kein Kunstdichter sagen kann.

P. kam – Bey Anlaß – H. Ov. sprachen wir von der Schwärmerey. Sie verwirft alle Mittelursachen; sie hat einen Abscheu vor der Natur – da doch die ganze Natur beweiset, daß Gott durch die Natur, wie unser Geist durch den Körper handle. – Wo verwirft die Schrift die Mittelursachen? »Wenn die Schrift einen wichtigen Satz lehrt, sagte P. sehr richtig, so fehlt es ihr nicht an Deutlichkeit, Stärke, Lebhaftigkeit, Bildern, Gleichnissen, ihn so zu sagen, daß jeder redliche aufmerksame Leser ihn finden und verstehen muß; – und wenn die Verwerfung aller Mittelursachen, die doch, nach dem Sinne der Schwärmerey, die höchste Weisheit seyn soll, das wirklich wäre, wie deutlich hätte sich die Schrift darüber erklären müssen? Sie thut aber allenthalben gerade das Gegentheil.« – Wir konnten es nicht begreifen, daß diejenigen Personen, die uns zu diesem Gespräche Anlaß gaben, noch so viel auf die Schrift hielten, so viel, daß sie neben der Schrift nicht das geringste lesen würden. Wir besorgten, daß es dazu kommen würde, daß sie nach und nach auch diese verwerfen, wenigstens als etwas für sie ganz entbehrliches ansehen werden.

Die lebendige Erkenntniß Gottes, sagte ich, ist von solcher Wirksamkeie in Absicht auf [93] Liebe, auf Menschlichkeit, daß die, die dazu gekommen sind, ganz Demuth, ganz Geduld, Nachsicht, Liebe, Dargebung ihrer selbst sind – und das alles auf eine gerade, simple, unkünstliche, ganz natürliche, harmonische, allenthalben sich passende Weise – daß sie auch da, wo sie nicht nachgeahmt werden, wo sie unerträglich sind – dennoch nicht lächerlich werden.

Man rief mich zum Nachtessen. Die Mutter schlief im Bette – erwachte – und hatte grimmige Schmerzen. Ich durfte mich nicht in ihre Schmerzen hineinsetzen; – ich war betäubt. Allzunahes Elend betäubt. Wenn ich ihre Umstände erzählen hörte, und sie mich nichts angienge, so würde ich vielleicht herzlicher über sie weinen und für sie bitten können. Itzt ist mein Herz so gepreßt, daß ich keines von beyden kann, wie sie es verdienet.

Wir beteten unser Abendgebet, und lasen das erste Capitel im 2. Buch Samuels. Wie groß, wie königlich ist das Trauerlied Davids über seinen Verfolger Saul!

Da ich meiner Mutter eine gute Nacht wünschte, sagte sie noch: Denk Morgen auch wieder an arme Kranke! Vergiß es nicht! Schieb es nicht auf ...

Ich schrieb noch an meinem Tagebuche; corrigirte den zweyten Bogen der Predigten über den Jonas; und suchte einen Brief, den [94] ich diesen Abend erhalten, und zu lesen vergessen hatte; ich fand ihn nicht; aber einen andern von einem würtembergischen Weingärtner M.H. an Herr S. den ich noch las; die Stelle frappirte mich: »wenn unser Leben von lauter Tugenden glänzte und starrte, und jedermann lobt und spricht gut von einem; und unsere eigene Einbildung läßt uns denken: es kann nicht anders seyn; ich muß nothwendiger weise selig seyn; es billigt aber der Heiland eine solche Seele nicht, und Er lobt sie nicht; so steht eine solche Seele auf einem gefährlichen Posten. Der Heiland weiß immer eine Ursache, warum er eine Seele nicht loben kann, ob sie schon alle Menschen loben – Und Er, der Herr, weiß Ursachen, warum er eine Seele loben und rühmen kann, wenn auch alle Menschen sie schelten würden.« Doch muß ich gestehen, daß mir der übrige Ton dieses Briefes nicht lichtvoll und reinevangelisch genug war. 1

[95] Es giebt so gewisse angenommene Redensarten und Ausdrücke aus Bibel und Gebetbüchern und Postillen zusammen geschmolzen, die schrecklich vielem Mißverstand ausgesetzt, und dem simplen gesunden, evangelischen und apostolischen Tone sehr zuwider sind, ob sie gleich bisweilen, wenn man sie mit Billigkeit und Nachsicht beurtheilet, auch nicht so unrichtig gemeynt sind, als sie einer strengen logischen Stirne zu seyn scheinen.

Fußnoten

1 Eben dieses Urtheil ließe sich auch auf die oben angeführte Stelle dieses Briefes anwenden. Der Verfasser will vermuthlich so viel damit sagen! Gott urtheilet nicht allemal so von uns und von unserm Verhalten, wie die Menschen davon urtheilen, und an dem Wohlgefallen Gottes ist uns doch weit mehr gelegen, als an dem Beyfalle der Menschen. Anm. des Herausg.

Dienstag der 12. Jenner 1773
Dienstag der 12. Jenner 1773.

Ich erwachte erst um 1/27 Uhr. Meiner Mutter Elend war mein erster Gedanke! Wieder eine Jammernacht überstanden! Ja wohl eine Jammernacht! Meine Schwester kam, uns Nachricht davon zu geben. Ich konnte es kaum mehr ausstehen, ihr zuzuhören; ...

– – – – Nachdem ich meine Mutter besucht, und ihr Elend mit der innigsten Rührung angesehen hatte, las ich die erste Epistel an den Timotheum im griechischen Testamente, die ersten Capitel allein, die andern mit meiner Frau, die im deutschen Testamente nachsah. Nein! ich kann es nicht aussprechen, wie ich allemal, so oft ich das N.T., [96] insonderheit diese Briefe Pauli an den Timotheus und Tirus, lese, die Göttlichkeit des Evangeliums empfinde; die Unmöglichkeit empfinde, daß ein Betrüger, oder Schwärmer also schreiben könne; und allemal gerathe ich in Unwillen, in Entsetzen vor der menschlichen Natur, die von Betrügerey, oder Schwärmerey reden kann, nur daran denken kann, wenn sie Menschen also mit Menschen reden höret. Und ich weiß es nicht, ob es unedel und Sauerteig der Intoleranz ist, wenn ich in diesen Augenblicken der innigsten moralischen Freude über die so einfältige, so verständliche Stimme der himmlischen Wahrheit diejenigen Menschen mit Verachtung ansehen muß, die bey solchen Ergießungen der heitersten Vernunft, und der innigsten Empfindsamkeit kalt bleiben, und – spotten oder cavalierisch darüber lächeln können.

– – – – Nach dem Essen einige Sachen versandt, einen Bogen revidirt, und in Brechters Anmerkungen über das Basedowsche Elementarwerk mit Nutzen und Vergnügen gelesen: wiewohl ich gewiß das eine und andere aus der augenscheinlichsten Erfahrung widerlegen könnte. Es läßt vortrefflich menschenliebend auf dem Papier, die Ruthe zu verbannen. Kein größerer Feind der Ruthe kann seyn, als ich. Ich habe meinen Sohn noch niemals damit gezüchtigt, nur aus Furcht, allzuheftig zu werden, überließ [97] ich es allemal meiner viel sanftern Frau. Mein Kind hat das beste Herz von der Welt, und dennoch möchte ich ohne Ruthe für die vier ersten Jahre nicht Vater seyn, so wie die heutigen Aerzte ohne China nicht Aerzte seyn möchten. Es läßt vortrefflich auf dem Papiere, »daß man sie den Folgen ihrer Handlungen bloßstelle« – Guter Gott! Wer mit Kindern umgeht, der wird wissen, daß dies unter tausendmalen einmal und mehr nicht, möglich ist. Gerade das, was so natürlich bey dieser Regel scheint, machet die Erziehung künstlich. Ich bin hierinn von Salomons Glauben: Wer die Ruthe sparet, der hasset seinen Sohn. Ich muß z.E. Scheere und Federmesser auf dem Tische liegen lassen. Es ist unmöglich, sie immer zu verwahren; und wenn es möglich wäre, so thät ichs nicht. Warum nicht? Die äussern Umstände sollen sich nicht nach meinen Kindern, sondern meine Kinder nach den Umständen bequemen. Sie sollen nicht lernen – kein Federmesser nehmen, wo keines ist, sondern sie sollen keines nehmen, wo zehen sind. Den natürlichen Folgen ihres Ungehorsames würde ich sie herzlich gerne bloß stellen, wenn ich gewiß wäre, daß sie sich nur wenig verletzten. Aber wenn sie sich ein Auge oder die Hand zu sehr verletzten – O ihr zu weisen Freunde der Kinder, wo stünden wir dann? – Willkührliche Strafen kann ich so gelinde machen, als ich will, natürliche [98] nicht – Was thue ich also? Ich verbiete ihm, das Messer anzurühren; und wenn es darnach langt, so ziehe ich es weg, und gebe ihm einen empfindlichen Schlag. So empfindlich dieser Schlag auf die Hand seyn möchte, so ist er dennoch eine gelindere Strafe, als die kleinste Verletzung. Ueberhaupt, dünkt mich, wenn man die Sachen ansähe, wie sie sind, und nicht nach abstrakten Begriffen ansehen wollte, so würde man tausendmal Gelegenheit haben, die Beobachtung zu machen, daß der Urheber der Natur willkührlich straft, (wenigstens also zu strafen scheint) und daß, wenn alles durch natürliche Strafen zu corrigiren wäre, wenigstens Er, der allweise, keine willkührliche brauchte. Wie viel tausendmal kann durch eine hart scheinende willkührliche Strafe ein entferntes zehenmal härteres natürliches Uebel abgewendet werden.

In Ansehung der Nachlassung gedroheter Strafen denke ich auch etwas anders, als Herr Brechter; und zwar abermal, durch die Erfahrung belehrt. Gottes Psychologie, die er in der Erziehung des Menschengeschlechts befolgt, ist ein Augenmerk für mich bey der Erziehung meiner Kinder. Mein Sohn weiß, daß er kein scharfes Messer anrühren soll. Letzthin fand ich mein Scheermesser voll Scharten. Ich wollte auffahren; besänftigte mich aber sogleich – »Hast du das[99] Scheermesser so zugerichtet« – fragte ich in einem ernsten Tone – »Ja! Papa!« – »Nun, weil du die Wahrheit gesagt hast, so will ich dich nicht züchtigen – Siehe! wie du so unglücklich hättest werden können, wenn du dir einen halben oder ganzen Finger weggeschnitten hättest.« – Hätte ich ihn dabey angetroffen, so hätte ich ihn, ohne Gnade gezüchtigt – oder züchtigen lassen. Aber nun, weil mir alles daran liegt, daß mein Sohn nicht lüge, oder mit andern Worten, weil Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe die Tugend aller Tugenden ist, habe ich die Strafe, die ich solchen Uebertretungen gedrohet, aufgehoben. Kinder werden gewiß nicht anders als aus Furcht für der Strafe lügen. Lieber die Strafe geschenkt, als sie der allzustarken Versuchung preis gegeben. Ich besorge auch gar nicht, daß die Kinder deswegen schlimm werden. Man trifft sie immer noch genug bey Uebertretungen an, wo man den traurigen Anlaß hat, die Drohungen zu vollziehen, und sie also wirksam zu machen. Strafe, ohne vorhergegangene Drohung, dünkt mich Grausamkeit. Und gar nicht strafen, willkührlich strafen, züchtigen – dieß ist entweder unmöglich oder gefährlich. Ich möchte mich hierüber gern einmal, vielleicht etwa in den vermischten Schriften, weitläuftiger erklären; und mich schlechterdings auf die Erfahrung aller Väter, die Väter [100] sind, berufen. Ueber ein Versehen meines Bedienten war ich unwillig; doch nur ein paar Augenblicke.

Herr Buchdrucker Z. kam ... ⊙e1 ⊙n9+erge+ ⊙ ±+.

Ich erhielt ein Billiet, und ließ im Lesen merken, daß ich unzufrieden damit war, stund auf, und wollte antworten. – »Ich wollte mich mäßigen – mein Schatz – lieber itzt nicht gleich geantwortet,« sagte meine liebste Frau. Ich wurde sogleich kühl, und ließ in der Antwort nichts von meinem Unwillen merken.

– – – Ich erhielt einen Brief von dem redlichen Hebebrand, worinn er mir Krämers Tod und Armuth meldet. – Nun ist mir wieder Eine Last, eine halbe wenigstens abgenommen. Oft macht mir die Betäubung, in die mich das Elend geliebter Personen setzt, bange, ob es nicht Härte, Unempfindlichkeit, Kaltsinn sey; – aber, ich kann mir doch, ohne mir zu schmeicheln, sagen, daß mir schon ein leichtes Elend, und eine kleine Unbehaglichkeit eines Menschen Mühe macht; – und daß ich allemal, wenn ein solches Elend, das mich mehr betäubte, als rührte, ein Ende nimmt, eine schwere Last von meinem Herzen weggehoben fühle, und Gott oft mit Thränen für eine solche Erlösung danke, wenn ich gleich für den lebendigen Elenden, insonderheit wenn ich ihn [101] sähe, oder wenn er mich sonst nahe angienge, keine Thräne vergießen könnte. –

Ich bin nun ruhig – (aber gerade itzt liegt zu viel Elend auf mir, als daß ich es so empfinden könnte, wie wenn ich weniger nähere Leiden hätte,) daß der redliche Krämer sein Ziel erreicht hat. In Ansehung seiner Hinterlaßnen, dieß hoffe ich zu Gott, wird auch Fürsorge gethan werden. Ich kann wenig, oder gar nichts thun. Wenn auch nur noch einige Gemeinschaft unter den Christen Statt hätte, so wäre es doch so leicht, seine Bibliothek ohne Schaden für seine Hinterlaßnen zu verkaufen! 1 Nun, ich will warten, was Gott mir in den Sinn geben wird.

Ich ruhte ein wenig; gieng die Stube auf und nieder. Meine Backe war erhitzt; meine Frau betrachtete sie, und fand sie gefährlich. P und mein Bruder der Doctor kamen. Man untersuchte, und besorgte eine Zahnfistel. So empfindlich ich auch gegen Schmerzen bin, und so wenig Stärke ich mir auch zur Erduldung der geringsten Operation zutraue, so daß ich mich unmöglich entschließen könnte, einen Zahn, zumal einen so tiefen, überwachsenen, bereits gebrochnen ausziehen zu lassen – so hatte ich dennoch vor diesem [102] wahrscheinlichen Uebel keine Furcht. – Das Leiden meiner Mutter giebt mir vermuthlich diese Stärke. Ueberdieß so sehr ich auch im Anfange und bey der ersten Regung einer Krankheit zur Ungeduld geneigt bin, so bin ich doch allemal von dem Augenblicke an, da ich mich legen oder innen bleiben mußte, ruhig geworden; und alle meine Krankentage sind die ruhigsten und glücklichsten Tage meines Lebens, und wahre Rasttage für mich gewesen. Ich habe mich selbst, meine Freunde nie mehr und eigentlicher genießen können, als in denselben; und immer bin ich doch wenigstens noch etwas zu verrichten vermögend gewesen. – Ich will also erwarten, was Gott über mich verhängen wird. Ich will nicht für den folgenden Tag sorgen. Ueberhaupt hätte ich, hätten meine Freunde schon oft die Reflexion machen sollen, daß es mir, wenn ich wirklich mehr Christ wäre, als ich bin, leicht fallen müßte, das zu seyn, was ich bin – weil ich mit Freuden und Vergnügungen aller Art umgeben bin; und alles, was ich zu leiden habe, weder mit meinen häufigen Freuden und Vergnügungen in Vergleichung kömmt, noch auch meiner Leidensfähigkeit angemessen ist. – Ich will hierinn nichts bitten, nichts verbitten – Vor zweyerley leiblichen Leiden allein habe ich eine entsetzliche unüberwindliche Furcht, – vor chirurgischen Operationen, und vor Hals- und Schlundkrankheiten. Was ich während [103] der Zeit von Zimmermanns Operation in Berlin ausgestanden – und wie mir das Elend der kranken Frau S ... zu Herzen geht – das könnte ich nicht sagen. Den Augenblick, da ich dies schreibe, fällt mir ein, daß mich heute eine Freundinn gebeten, Erleichterung für die arme geduldige Patientinn von Gott zu erflehen – Warum ist es mir leichter, dies zu thun; wiewol leider auch nicht mit der schönen Wärme eines ganz brüderlichen Herzens – als für meine arme Mutter – und sie rief mir doch und meinem Bruder diesen Abend, da wir Abschied von ihr nahmen, zu – Ach, betet doch auch für mich – Nun, in Gottes Namen; ich will hingehen; alles liegen lassen – und Gottes Erbarmung für diese Leidenden suchen – –

Sie rsc hic h⊙e r ±D rnD che ine hsl 1es +⊙n +e⊙ Drh er T ite ine 1⊙e rge 1li che n?i n+1 sch en1 esc hse fst ig⊙ ng!

Fußnoten

1 Dieß ist nun wirklich durch Veranstaltung einiger sehr verehrungswürdigen Personen geschehen.

Mittewoche der 13. Jenner 1773
Mittewoche der 13. Jenner 1773.

Nicht erwarten durft' ich den Bericht von der Nacht meiner Mutter – Ach! wie niederschlagend war er! ... wie verabscheute ich meine Trägheit im Gebete!

Ich sprach mit meiner Frau von unsern Kindern: »Ich hätte gleichsam eine Ahndung, [104] sagte ich, daß sie nicht alt werden würden, wenn sie gleich überhaupt recht gesund wären.« – Es beruhigte mich gar sehr, daß sie mit völliger Resignation sagte: »Nun es geschehe, was Gott will! Gottlob, daß sie nun einmal sind! Sie sind nicht umsonst da! Sie sind unser und Gottes, sie mögen leben oder sterben.« – 8 ℧. Meine Backe stach mich einigemale heftig; und da ich aufstund, stieß ich mit der Hand daran, und hatte heftige Schmerzen davon – doch blieb ich ruhig.

Meine Mutter saß zitternd vor Elend ausser dem Bette, da ich ihr einen guten Tag wünschte. Ich konnte ihr nichts sagen, als eines meiner Leibstücklein von Klopstock:


Noch ist meines Helfers Rechte;
Sieht sie gleich mein Auge nicht!
Weiter hin im Thal der Nächte
Ist mein Retter, und sein Licht!
Ja, dort wird mir Gott begegnen!
Dort wird mich sein Antlitz segnen!
Itz, itzt ist die Prüfungszeit!
Itzt sey, Seele, stark im Streit!

Ich erhielt einen Brief von Herrn H. von St. Gallen über die Physiognomik, die Aussichten und übergeistliche Erfahrungen; viel Gutes, aber ermüdend war mir der bloße Gedanke bey meiner gegenwärtigen Situation zu antworten; und nicht zu antworten, wird[105] für Indiscretion und Stolz angesehen werden. –

Ich schrieb noch ein Briefchen an Herrn Haas nach Basel wegen einer kleinen Taschendruckerey, um meinem Sohne damit eine angenehme und nützliche Beschäfftigung zu verschaffen.

Ich las meinem Vater einen Brief von dem lieben Herrn Pfr. S. von Hohentwiel; corrigirte einen Bogen; und machte für einen redlichen aber oft zweifelvollen und ängstlichen Freund in eine gedruckte Einfassung folgende Reimen:


Mein Herz von bangen Zweifeln voll,
Weiß nicht, wofür es bitten soll;
Drum fleh ich dich, so gut ich kann,
O Vater, nur um Weisheit an;
Mit Kindlichkeit auf dich zu sehn,
Und keinen eignen Weg zu gehn!
Nur Glauben, Liebe, Hoffnung, Ruh;
Nur Freude, Freude, Gott! willst du!
O schenk den Geist der Freud' in dir,
Durch Weisheit und durch Glauben mir!
O Vater, der du nur erfreust,
Auch, wenn du züchtigst, wenn du dräust,
Bewahre den zu schwachen Geist
Vor jeder Art der Schwärmerey,
Vor ängstlich frommer Künsteley,
Daß ich mich deiner kindlich freu,
Ganz Glaube, Hoffnung, Liebe sey!

[106] Ach! was litte nicht meine Mutter übers Mittagsessen. – Auch mein Schmerz vermehrte sich – Nach dem Essen ein paar Billiete in freundschaftlichen Reimen – – – –

Donnerstag der 14. Jenner 1773
Donnerstag der 14. Jenner 1773.

Ich hatte, Gott Lob! eine über Erwarten gute Nacht. Ich erwachte nach 6 Uhr, und die Schmerzen an der Backe waren sehr erträglich. – Mein erster Gedanke war meine Mutter; und meine Beklommenheit und mein Unvermögen, für sie zu beten. Ich seufzte aber doch um Erleichterung ihrer Schmerzen; aber ohne Glauben, ohne Kindlichkeit – Mein Sohn, der auch ein wenig kränkelnd war, kam zu mir, und ich gab ihm einige zärtliche Ermunterungen. –

Ich stund nicht lange vor 8 Uhr auf, las die geschriebene Zeitung von H. – meistens nur Unglücksfälle ... ließ den L. Papier falten, und machte es ihm, mit einer ihn beschämenden Hastigkeit vor, da ers ungeschickt zur Hand nahm; – da ers wieder nicht recht machte, – sanfter –

Ich wünschte meiner Mutter einen guten Tag. Sie hatte entsetzliche Schmerzen. Man hob sie aus dem Bette; so wenig ich ihr, [107] wegen eigner Beschwerden, helfen konnte; und so sehr mein sonst mit der Ungeduld kämpfendes wundes Herz durch diesen Anblick gekränkt wurde; so konnte ich dennoch nicht weggehen. Es ist dem Leidenden vielleicht schon Labsal, auch nur einen Zeugen seines Elendes, und wenn er auch in Absicht auf ihn ganz hülflos und trostlos ist, vor sich zu sehen. Da sie wieder im Bette war, gieng ich auf meine Stube. – Verschiedene zusammen treffende Berichte und Antworten, die ich geben sollte, hätten mich beynahe wieder zur Ungeduld gereizt. Doch überwand ich mich. Ich schrieb also die Antworten, und rächte meine geheime Ungeduld damit, daß ich dem Knaben, der vor mir stand, ein kleines Geschenk machte. Zugleich heiterte mich ein Billiet von einer Freundinn auf: »Mein Gott wird Sie gewiß nicht sinken lassen; den freudenreichen Botschafter am Sonntage« ... Ich schrieb an meinem Tagebuche; – setzte mich zu meinem Sohne aufs Bette, und sagte ihm (Brechter hatte mich gestern wieder daran erinnert) daß ich nun ein weisses und schwarzes Büchelchen für ihn machen wollte; jenes für seine guten, dieses für seine schlechten Handlungen. Ein Ehrenbüchelchen und ein Schandbüchelchen. Er ließ es sich gefallen. Ich machte es sogleich vor seinen Augen, und die Mutter war auch gar wohl damit zufrieden. Ich hörte eine Frau vor meiner [108] Thüre ächzen ... Ich vermuthete, daß sie anklopfen wollte, und es doch nicht wagen durfte. Ich gieng also sachte unter die Thüre, und gab ihr etwas weniges – und ganz zufrieden gieng sie hinweg.

L.Z. kam. Wir hatten ein recht vergnügtes Halbstündchen ... Von der Einfachheit des praktischen Christenthums. Alles ist Liebe. Weise Gottseligkeit und weise Selbstverläugnung ist nichts als Liebe. Gott ist nichts als Liebe. Nichts als Liebe soll der Mensch seyn. Jede Selbstverläugnung, deren Zweck nicht Güte ist, die die Güte nicht befördert, ist Tugendpedanterey, Leichnam ohne Geist. Wenn ich meinen Leib brennen ließe, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Dieß ist meine Lieblingsidee, die ich bey mir, bey allen meinen Zuhörern, bey allen Lesern meiner Schriften, bey allen meinen Freunden ganz praktisch machen, so anschaulich machen möchte, daß es unmöglich seyn sollte, weiter darüber zu disputiren. – Dieß bey Anlaß einiger ängstlichen guten Herzen, die Gott zu ehren glauben,Gotte eine Freude zu machen glauben, wenn sie sich selbst willkührliche Enthaltungen und Ermüdungen ihres Körpers, ohne von Liebe dazu beseelt zu seyn, auch ohne die weise Absicht zu haben, sich selbst Stärke zur Aufopferung ihrer selbst um andrer willen, zu erwerben, aufladen, und dann Stundenlang darüber weinen, und sich [109] ängstigen können, und Gottes Gnade sich wieder mit Zittern und Winseln herabflehen zu müssen glauben, wenn sie etwa eine solche selbst gemachte Vorschrift nicht aufs gewissenhafteste befolgt. – Ist das auch evangelischer, kindlicher Geist? Ist das auch offne erleuchtete Erkenntniß der Wahrheit? – Es gab auch Zeiten, oder vielmehr wenige Tage, da ich so knechtisch dachte; nun aber weiß ich etwas von dem: wo der Geist des Herrn ist, da ist Freyheit.

Ich erhielt einen Brief von dem wackern Herrn Präsidenten Ulysses von Salis, der einem ihm von mir empfohlnen Armen ... eine Versorgung verschaffet hatte, und mich zugleich um ein Verzeichniß aller meiner Schriften bat, welches mir eben der Buchdrucker zur Correctur sandte ... Freude, wieder eines Armen los zu seyn, und vielleicht auch die Forderung eines Verzeichnisses – meiner Schriften, das ich eben corrigiren sollte ... heiterten mich merklich auf. Zugleich auch noch ein Brief von dem Buchhändler Haller – der eine mir angenehme Beylage enthielt; und in demselben Augenblicke ein ehrlicher Schwabe mit einem Briefe von Herblingen. Ich hörte ihn in seiner naiven Sprache mit Lust: »Gott, der Herr, hat einen Ruf an mein Herz ergehen lassen; ich nähme die Stadt Zürich nicht dafür!« ... und, da ich hauptsächlich seine Liebe prüfte, sagte er so natürlich, ungezwungen [110] einfältig – »Ach, sagte er, das ists eben, die Liebe fehlt; doch besserts immer: Ein Nachbar hieb meinem Sohne Zolltief mit einem Beil in den Leib; wie einen Floh hätte ich ihn zermalmen mögen im Zorn; – aber; da ich das letzte Mahl geschlachtet, habe ich ihm ein Stück davon geschickt, und sagen lassen: wir wollen gute Freunde seyn. Itzt ist alles wieder gut.« Ich gab ihm einige Erinnerungen, mit der innigsten Ueberzeugung, daß ich mehr Nutzen von ihm, als er von mir hatte. –

Ich hatte noch ein paar kurze Besuche. Mein Gevatter N. bat mich, ihm etwas Geld zu wechseln; er dankte mir noch für ein kleines Anleihen, das ich vergessen hatte, und bat um Geduld – mit Gründen, die nicht zu verwerfen waren. Seine Bescheidenheit und Armuth ließen mich keinen Augenblick anstehen, ihm diese bereits vergeßne Kleinigkeit nachzulassen.

M. kam. Vom Leiden, Gebet, und der wahren Erkenntniß des unerkannten Gottes: doch ach – dießmal, beynahe nur Worte!

Ich gieng zu meiner Frau; wir saßen bey der Dämmerung, bis das Licht kam, vertraulich beysammen. Meine Geschwulst an der Backe war auf die Hälfte verschwunden, und die Schmerzen hatten sich völlig verloren ... Es wär mir so wohl. So oft ich etwas zu leiden hatte, war allemal der darauf folgende leidenlose Zustand – nicht nur Leidenlosigkeit, [111] sondern Wollust. – P. kam; ich ließ ihn an meine Backe fassen, und wie die Liebe selber lächelte sein Auge, da ich seine Hand hart drauf drückte, um ihm zu zeigen, daß sich der Schmerz völlig verloren hätte. Wir sprachen noch von dem Unterrichte der Kinder in der Religion. Ihnen, ohne allen Zwang, mit der natürlichsten heitersten Miene, alles von Gott und Christo erzählt, vorgemahlt, sinnlich gemacht, was Zutrauen und Liebe er wecken kann; ihnen den Heiland, bald auf der Straße mit Elenden, denen er hilft, umgeben; bald mit seinen Jüngern in sanften vertraulichen Gesprächen; bald im herablassenden Gespräche mit einer gemeinen Frau; bald bey einer Mahlzeit; bald mit Brodaustheilen unter tausend Hungrige beschäfftigt; bald mit Kindern herzend u.s.w. kurz und empfindsam vorgestellt – – Wenige Lehren gegeben; viel Geschichte – die das moralische Gefühl aufweckt, hinreißt, mit dem seinigen zusammenschmilzt – Guter Gott, wie viel mehr würde damit, als mit dem ewigen trocknen Dogmatisiren ausgerichtet seyn. Wir geriethen beyde in einen beynahe intoleranten Unwillen über alle Catechismen, worinne gerade das wesentlichste, der moralische Reiz einer anschaulich gemachten Geschichte gänzlich fehlt ...

Meine Schwester kam, mir zu sagen, daß sie eine merkliche Aenderung an unserer lieben Mutter wahrzunehmen glaube. Ich nahm [112] Abschied von P. – und fand es auch so. Ich fragte sie, ob sie Schmerzen habe? »Nein gar nicht mehr,« sagte sie – wie von neuem belebt stand ich auf dieß Wort an ihrem Bette – Sie sahe aber dabey so verstellt aus, daß wir ihre nahe Auflösung vermutheten. Nun wurde mein Herz zum Gebet aufgeschlossen – Zum Gebete, daß Gott durch alles Leiden dieser Zeit, und alles, was noch in ihr vorgehen möchte, ihre Seele von allem ungöttlichen Wesen reinigen, und sie durch einfältigen Glauben mit reiner himmlischer Liebe erfüllen möchte.

Ich schrieb noch ein paar Billiete an Freunde, von den Umständen meiner Mutter, und empfahl sie ihrer Fürbitte; und noch einen Brief an Herrn Pf. S. – zu Handen meines Bruders. Sie hieß uns alle zur Ruhe gehen. »Wir sollen sie nur schlafen lassen; Gott segne und behüte euch – Ich will mich einzig an Gott halten« – Es schien aber, daß sie nicht ganz bey sich selbst war.

Sie drang darauf, weil sie glaubte, daß es bereits Mitternacht wäre, daß wir zur Ruhe gehen sollten. Wir aßen also in der hintern Stube zu Nacht. Ich gieng einige male hervor; und da sie die Augen öffnete, verwunderte sie sich, daß ich wieder aufgestanden wäre. Ich sagte ihr einige Schriftstellen langsam vor. Es schien aber doch nicht, daß sie viel darauf achtete – Sie hohlte tiefen Odem, und rief: [113] »Athem! Athem!« ... Ich glaubte, daß ihr Ende nahe wäre; ich sagte es dem Vater und den Geschwistern. Sie kamen; ich betete ... Sie wollte auf. »Es ist noch kein Tod da« sagte sie. Mein lieber alter Vater weinte laut, wie ein Kind – Sie wurde wieder ins Bette gehoben; sehr aufgeblasen – Ich betete noch einige Lieder; und bath die Geschwister, sich nun zur Ruhe zu begeben, weil wir sahen, daß noch keine Aenderung da war. Mein Bruder und ich wollten bey ihr im Alcoven bleiben. Tei nez ⊙ T⊙ th⊙ nga nsi ege rad eie tzn Dch z⊙+ er T ⊙tto erho era bzu geho ens she sie beo ihr en⊙ mst aen +en f⊙r in+ isc ret anu ndd ies ese rre gte ein ekl ein ee T pfi n+l oich kei tal lei nic hkD nnto esie nic ht⊙ er ± sss enb 1sD ic⊙ D ± ± kD T men ber ⊙hi grw aro.

Als ich wieder zu meiner Mutter kam, fand ich sie sehr unruhig; sie seufzte beynahe die ganze Nacht hindurch in körperlichen Beklemmungen. Bis 11 Uhr saß ich im Sessel, meistens für sie seufzend; nachher legten wir uns aufs Bette. Es wäre mir unmöglich gewesen, immer zu wachen, zu beten; so müde und erschöpft war ich.

[114]
Freytag der 15. Jenner 1773
Freytag der 15. Jenner 1773.

Ach! vermuthlich der Sterbetag meiner lieben Mutter – Mit diesem Gedanken richtete ich mich in meinem Bette auf, und fieng an laut zu beten; aber, sie schien es nicht zu achten. –

Ich gieng zu meiner Frau herauf, und blieb fast eine halbe Stunde an ihrem Bette. Wir versprachen einander – vcs obd ien upe fef snw ssf stp wof khf oow fsa khx kfn pfh mkd iwo taw cfa fkh fo.

Hernach redete ich mit meinem guten, guten Vater über einige häusliche Anordnungen; beantwortete kurz einen Brief; gab einige Berichte – und dann bey meiner im Sessel ziemlich sanft schlafenden Mutter – den Rest gestrigen Tagebuches – alles mit sanfter Ruhe; ohne Aengstlichkeit und Heftigkeit. – Ich bat Pf. meine Stelle im Waisenhause zu vertreten; führte den Tuttlinger Bauer zu meiner Frau – gab ihm ein Billiet – und gieng wieder zu meiner Mutter – – sagte ihr einige Stellen aus der Schrift vor; und machte mit meinem Bruder D. einige Reflexionen über Leben, Sterben und Unsterblichkeit.

Etliche male sagte meine Mutter: »verlaßt auch den H. nicht. Vergesset alle Fehler! alle! rückt ihm nichts vor!«

[115] Ich erhielt einen Brief mit zwo Weyhnachtspredigten von einem Candidaten aus dem Berngebiete zur Beurtheilung. Ich las nur Eine Seite, und legte sie auf eine gelegnere Zeit weg.

Ein sehr freundschaftliches Billiet von einer Freundinn, das ich mit ein paar Zeilen beantwortete: »Gott segne Sie, hieß es, mit dem ganzen Segen des heutigen Tagspruches (im Jahrbüchlein).« 1

Um den Mittag glaubten wir, daß nun endlich die letzte Leidensstunde unsrer lieben Mutter gekommen wäre. Ich betete mit Thränen, doch nicht so, wie etwa auch sonst bey minder wichtigen und nicht so rührenden Vorfallenheiten. – Mein Bruder betete die Fürbitte für einen Sterbenden aus dem Liederbuche. Nun konnte ich schon etwas herzlicher beten; aber, ach! – doch lange noch nicht, wie der rechte kindliche Glaube betet. –

Nach und nach erholte sich die liebe Mutter wieder. Man setzte sie in den Sessel. Ich hielt ihr eine Weile den müden Kopf – Sie schlummerte, und wurde wieder ins Bette gehoben. Ich schrieb noch einen Brief an meinen jüngern Bruder von den Umständen und den letzten Worten unsrer Mutter: ein Billiet an Herrn Antistes, ob ich ihn ersuchen dürfe, [116] bey diesem stürmischen Wetter zu uns zu kommen? Er kam bald – vorher redete ich noch Titm eine mbr⊙ +erv Dn⊙ nser T⊙st eroo.

Hr. Antistes kam, konnte jedoch nicht viel mit der Patientinn reden. Sie schien aber alle Worte zu verstehen. Er betete also für sie; wir beteten nach. Die Menge der Umstehenden schien ihr bange zu machen; wir entfernten uns also ein wenig, und hatten noch eine halbe Stunde nützliche Gespräche – wie wenig können wir, mußten wir einander gleichsam aus Einem Munde sagen – »wie wenig können wir bey den Sterbebetern ausrichten! wie wenig eigentlich treffendes läßt sich mit einiger zuverläßigen Hoffnung sagen, besonders, wenn wir die Kranken nicht aufs genaueste gekannt, und uns nicht einen vertraulichen Ton mit ihnen angewöhnt haben.« – –

Noch einige andere Anmerkungen vom Segen der gleichgültigsten und an sich unfruchtbarsten Handlungen und Gesprächen, die nach den Umständen, in denen wir uns befinden, in einfältigem Glauben an die allwaltende göttliche Fürsehung, und im Gehorsam gegen unsere Pflicht geschehen u.s.w. ferner von selbstverschuldeten Vertändelungen der kurzen Lebenszeit – Da er weg war, hatte ich einen Bogen zu revidiren; und führte, auf Herrn Ant. Erinnerung meine müde Frau wieder auf ihr Zimmer – wohin ich ihr, nach [117] einem kurzen Gebete mit meiner Mutter, nachfolgte. –

Der redliche, bescheidene, erleuchtete Sch. H. aus dem Hirzel war da; ich hatte ein recht gesegneten halbes Stündchen bey ihm. Vom Gebet um Weisheit; vom Nichtsorgen für den folgenden Tag, auch in Absicht auf seine moralische Verbesserung; von dem Wesentlichen der Buße und des Glaubens, als dem Wesentlichen aller und jeden Handlungen; nämlich,Empfindung eines Bedürfnisses, und Erwartung, daß dieß Bedürfniß durch das, was wir vornehmen, gehoben werden könne – Endlich noch von unevangelischer Aengstlichkeit und Schwärmerey – In Absicht auf das, was ich sagte, habe ich mir eben nichts vorzuwerfen; aber Einfalt und Demuth Christi – gänzliche Selbstlosigkeit – fehlte mir doch merklich genug dabey.

Meine Frau erinnerte mich wieder an meine Mutter, die eben, da ich zurückkam, aus dem Bette gehoben wurde. Ich hieß meinen Freund P. hineingehen; sie kannte ihn nicht; wenigstens sagte sie nichts. Halb lebendig und halb todt saß sie da. Wir empfanden beyde gleich stark die Unmöglichkeit einer moralischen Wirkung auf einen so kranken, so leidenden Menschen. Das, was er sieht und höret, machet beynahe eben so wenig Eindruck auf ihn, als auf einen ganz Todten. Einige andre Reflexionen über den Zustand der Seele, [118] oder vielmehr des unsichtbaren Menschen, nach dem Tode. – Ich erzählte ihm einige schöne Züge aus dem Charakter meiner Mutter – Ich erhielt einen Brief von der christlichen Wittwe G ... zu S. – Sie fragte darinn nach der Fortsetzung des geheimen Tagebuches ... Ich gestehe, daß, seitdem ich wieder, wiewohl unterbrochen, ein Tagebuch schreibe, mir der Gedanke schon einige male aufgestiegen ist, daß es eine nicht ganz vergebliche Arbeit sey. Ich für mich, sagte ich mir, bin versichert, daß ich keinen Reiz zur Unredlichkeit dabey habe, und gewiß meine Fehler und Schwachheiten, in so fern dadurch andere Nutzen haben können, ohne Scheu, ja ich darf wohl sagen, lieber als das Gute bekannt mache. Doch, ich will hierüber ein ander mal nachdenken. Ich las meinem Vater den erhaltenen Brief vor. – – – Bey dem Abendessen erzählte ich von dem Tuttlinger, der heute bey mir gewesen war. »Daß er schon so viele harte Prüfungen erfahren habe; ein Kind sey ihm von einem Ofen herunter todtgefallen; ein anders, jedoch ohne Schaden, zum Fenster heraus; ein drittes sey mit einer Axt tief gehauen worden; über ihn selbst sey schon, jedoch ohne merklichen Schaden, ein Wagen gefahren. Auch sagte er« (o wie schlug mir, wie beschämte mich mein oft so kleingläubiges, zum Gebete so träges Herz!!) »daß er einen äußerst ruchlosen Sohn gehabt, [119] der, wie er sagte, härter war, als dieser Ofen da, der ihm nicht einmal einen guten Tag gewünscht; daß er aber Gott innigst um seine Bekehrung angefleht, und daß er nun der beste, gehorsamste, sanfteste, liebreichste Mensch, und Ein Herz und Eine Seele mit ihm sey« ... 2 Ich gieng noch ein wenig[120] zu meiner Frau. Man hatte unterdessen die Mutter wieder einmal aus dem Bette gehoben, und mit Schmerzen wahrgenommen, daß sie vom Liegen ganz wund war ... doch bald entschlummerte sie wieder.

vcsf kol wsa fst usf kuf ost boe wef sfk ofn nkt twf stu bfo eok ttx fmd ift efs wbu fsi pdi bwg obi nkd ilp oos fnk usf dis fos tdi wme khf okd hef ibw qsf sff stua wwf stk dis mkd ieo onk ufk ofn ifg guk hfo bcf sxb isf ohp uux fht fte btt thd ief swb ufs kss fkd ifs tdi sbd ieb kdi tbi fxk ftf isf teo xbu fst din fsu auf.Wer in der Rede nicht fehlet, der ist ein vollkommener Mann, mächtig auch den ganzen Leib im Zaum zu halten.

Wir lasen in unserer Ordnung das 6. und 7. Capitel des Buches Samuels; und beteten das Lied für Kranke etc. ... Mein guter Vater redete noch recht herzlich und christlich mit der Mutter, und vergoß häufige bittere Thränen. Es hatte allen Anschein, daß es noch wohl 24 Stunden währen dürfte. Die meisten giengen also zur Ruhe; ich blieb noch auf, nicht allein um meiner Mutter willen, zumal ich ihr nichts seyn konnte, sondern um noch ein Gebet, Bekenntniß der Sünden, welches mich mein Vater für ihn zu schreiben gebeten hatte, zu vollenden. Ach! [121] alles traf mich, was ich schrieb; aber lebendige Empfindung wars doch noch lange nicht.


Meine Mutter rief in bangen Schmerzen, doch immer außer sich. Sie schien nichts zu empfinden, was man ihr auch vorbetete. Sie wollte noch einmal auf – ach! wills Gott – das letzte mal ... nun schlief sie eine halbe Stunde ruhiger; und ich konnte für sie ruhiger seufzen; aber – s⊙u Tc⊙ iq⊙ eoo –; ooo. – ei, nez. ⊙fse; ±lige: r⊙ueis. een: tb. ±De; sst! et⊙s – te! in; er⊙u; ser; te; ri; nnz! ers – tr; e⊙e; etem; ich; ei! n⊙! ueni? gd? Dc; hri? ssi? ch! Tic; hbs, Id⊙! ⊙ie; +eo: rlo. soo.

Fußnoten

1 Freuet euch im Herrn ihr Gerechten, und frohlocket alle, welche ein aufrichtiges Herz haben.

2 Bete für deinen bösen, lasterhaften Sohn, Bruder, Freund u.s.w. christlicher Leser. Dieses Gebet wird dich, wenn es vernünftig und ernstlich ist, desto williger und geschickter machen, mit sanftem Geiste und unermüdetem Eifer an seiner Besserung und Zurechtbringung zu arbeiten. Aber denke ja nicht, daß dein bloßes Gebet seine Bekehrung auf eine wunderthätige Weise bewirken werde. Dieß hat uns Gott nirgends verheißen, und wenn das Gebet diese Kraft hätte, so müßten schon längst alle Menschen fromm und tugendhaft seyn. Vermuthlich ist der ehrliche Landmann, von welchem hier die Rede ist, durch sein ernstliches und anhaltendes Gebet bewogen worden, sich seinem Sohne zu nähern, sanfter und liebreicher mit ihm umzugehen, und sich vergebliche Versuche nicht abschrecken, oder aufbringen zu lassen, und so ist es ihm unter dem Segen der göttlichen Vorsehung, die alles leitet, gelungen, sein Herz zu erweichen, seine Gegenliebe zu gewinnen, und seinen Vorstellungen, und Ermahnungen zum Guten Eingang bey ihm zu verschaffen. Anm. des Herausg.

Sonnabend der 16. Jenner 1773
Sonnabend der 16. Jenner 1773.
Der Todestag meiner Mutter.

Ach! wie viel hätte ich zu denken, und wie wenig kann ich denken! – Der allergemeinste Mensch würde mich vielleicht beschämen. Aber ich bin doch auch nicht Schuld an dem Gewirre, welches mich von allen Seiten umgiebt ... Itzt in der Mittagsstunde will ich mich hinsetzen, die Geschichte dieses wichtigen Tages hinzuwerfen ... Wills Gott [122] werde ich diesen Nachmittag doch ein wenig zu mir selber kommen können –

Gerade nach 4 Uhr kam die Magd – »Sie meynte, daß es sich ändern würde« – Ich stand eilends auf, (meine Frau war sehr erschrocken) ich gab ihr noch die Hand ... und kam, und sahe die – durch die mich Gott in diese Welt einführte – tief herauf Odem holen – ihre Augen sich verdunkeln – – und Erbarmen Gottes rief ich über sie ... Meine älteste Schwester betete ... ich gieng, den Vater zu wecken – und betete ... und dachte, was ich ihr mehr hätte seyn können, als ich ihr gewesen war, betete brünstiger ... neigte mich gegen sie, und rief ihr langsam mit möglichstverständlicher Seimme, so viel es die Thränen gestatteten, die trostvollsten Verheissungen Gottes in ihre entfliehende Seele ... und um halb fünf Uhr lag sie entseelt vor uns – was ich zu den Umstehenden gesagt, weiß ich nicht mehr, nur das weiß ich noch, daß ich sie an ihre Sterblichkeit und Unsterblichkeit mächtig zu erinnern suchte. Ich las darauf, was sich aus dem Abschiedslied eines Sterbenden für uns schickte ... wir giengen aus einander. Man kleidete sie ins Todengewand. Ich gieng zu meiner Frau; dann zu meinem Vater. Ich hatte nicht Zeit, an mich selbst zu denken. Mein lieber Vater war nun mein erstes Augenmerk. Wir hatten verschiedenes anzuordnen. – – – –

[123] Ich schrieb ein paar Billiete an Freunde – gieng wieder auf einige Augenblicke zu meiner Frau, die den etwas kränkelnden Knaben bey sich hatte ... »Ja, sagten wir zu einander, in jedem einzelnen Augenblicke wollen wir so handeln, wie wir im Tode wünschen werden gehandelt zu haben; bey jedem, auch dem allerweltlichsten Geschäffte ruhig seyn, wenn es gethan seyn muß – und ein jedes Geschäffte so gut machen, als wenn wir sonst nichts als das in der Welt zu machen hätten, und als wenn es das letzte wäre.« – – Ich erhielt ein Billiet aus dem Sch – »Gott segne durch dich auch itzt besonders alle die Deinigen: manches Wort des ewig bleibenden Segens fließe aus deinem Munde über sie – Ach! erhebe sie über diese Nichtigkeit – und dann lerne leben, und lehre leben, daß du deine Freunde vielleicht einst mit unaussprechlichen Freuden sterben sehest« ...

Ich schrieb an die Vettern S. auf Bern, und an meinen Bruder zu H. Nachrichtsbriefe, mit kurzen Erinnerungen.

Ich sollte jemanden was zu copiren geben, und verlor fast eine Viertelstunde mit vergeblichem Suchen – die Ungeduld regte sich gewaltig – und äußerte sich wenigstens durch angestrengtere Blicke. Eine andere kleine Veranlassung kam noch hinzu. Ich besänftigte[124] mich aber sogleich. Wenn ich mich in diesen Augenblicken nur des Redens enthalten kann; so ist alles bald überwunden.

Ich erhielt von Straßburg eine kleine Brochure; dieAufopferung Isaaks; die ich, weil sie nur Einen Bogen stark war, und ich sonst gern ein wenig ausruhen wollte, geschwinde, aber eben nicht mit vieler Erhebung des Herzens durchlas, doch fand ich eine Zeile darinn, die ich in meinen Abraham übertragen will.

Einige kurze Besuche. – Trost einer Schwermüthigen ... Durch den Gedanken: »was ich kann, das kann Gott. Gott ist grösser, als mein Herz!«

Ein Billiet von der Jungfer von M. – »Nur dieses einzige; unaussprechlich hat mich schon oft das Verschen erquickt.


Deinem besten Glück entgegen
Führt dich Gott durch jede Nacht!
Was er giebt und nimmt, ist Segen!
Ueberlaß dich seiner Macht.
Sey, o Seele, ruhig, freue
Dich des besten Vaters Treue,
Huld ist, was er spricht und thut!
Alles, alles macht er gut!« –

Als ich zum Essen gieng, sagte mir meine Frau, daß unser kleiner Sohn recht krank zu werden anfange. Wirklich sah er blaß aus. Ich kann wohl sagen, die Last, die mir Gott [125] durch die Erlösung meiner leidenden Mutter von ihrem Elend und Jammer abgenommen, machte mich so zufrieden mit ihm, daß es mich nicht sehr afficirte. Er ist immer in Gottes Händen.

.... Nach dem Essen gieng ich zur Tante. Sie kam mir äußerst schwach vor, und schien mir nicht fern vom Tode zu seyn. Ich gebe ihr nur noch wenige Tage ... Ich sprach und betete mit ihr so gut ich konnte, das ist ... schwach ... Stark genug wäre es gewesen, wenn es mehr eigene lebendige, gegenwärtigeErfahrung gewesen wäre ... Ich mußte mich auf einige Augenblicke entfernen ... Mein Oncle erzählte mir unterdessen die Geschichte ihrer Krankheit.. Ich hörte es kaum ... so viel anderes gieng mir durch den Kopf ... »Auch ich bin ein Schatten, von Gottes Lichte begränzt ... eine Hand voll Staub von einer unsichtbaren, unerforschlichen Kraft beseelt« ... Das war itztWahrheit in meiner Seele ... Man rief mich wieder herauf; ich blieb noch eine Weile, und weil ich sahe, daß sie sich zum Schlafe neigte, so empfahl ich sie der Gnade Gottes.

Gleich als ich nach Hause kam, gieng ich zum Mahler, der meine Mutter, die so ruhig, wie eine Erlöste, die überwunden hat, im Sarge schlief, abzeichnete ... »Wahrlich, wenn ich nicht an die Auferstehung Jesu glaubte, mußte ich ihm sagen, so könnte ich[126] keine Unsterblichkeit glauben. 1 Der erste Mensch, der dem gesammten Menschengeschlechte die Auferstehung, ein physisches Leben in einem neubelebten Körper verkündigt und verheißt – der stirbt aufs gewisseste, war so todt, wie meine Mutter hier im Sarge – und steht wieder lebendig auf. Hier wird alles metaphysische Räsonnement auf einmal abgeschnitten, welches, wider alle Erfahrung, von Leben ohne Körper redet; von Seele [127] als Seele, und das immer trennt, was Gott immer und allenthalben zusammengefügt hat – Hier wird den Augen Erfahrung, Thatsache, Auferstehung eines Todten vorgelegt.« Auch nur von dieser Seite betrachtet, welchen Dank verdient der erste Verkündiger und der erste Beweis der Unsterblichkeit, nicht der Seele, sondern desMenschen; des Menschen.


Mein Kleiner bat mich, ihm die Großmama zu zeigen; ich trug ihn herunter; er betrachtete sie genau – ohne ein Wort zu sagen: ich sprach ihm auch nichts vor.. als zuletzt: »Das ist ein Leib ohne Geist; darum heißt er todt. Das, was diesen Leib belebte, wenn man es gleich nicht mit Augen sahe, ist der Geist« – »Wo ist nun der Geist?« fragte er – »Bey dem lieben Gott, sagte ich, von dem er hergekommen.«

Oeconomische Sachen ... dann beschrieb man das Elend einer Kranken – Ich glaubte nun von allem Elende frey, und stark genug zu seyn, alles fremde und eigene Elend zu ertragen, weil mir Gott das Elend meiner Mutter abgenommen hatte ... aber – ach! das Elend der alle Menschen um Erbarmung anflehenden Frau S. – ist noch größer, als dasjenige, unter welchem meine nun erlöste Mutter beynahe verschmachtete.

[128] Ach! gieb mir doch auch, mein unaussprechlich guter Gott und Vater, ein recht reinedles, menschliches, liebesvolles Herz, das bey dem Elende anderer so gerührt, und so sehr, wie bey seinem eigenen, auf Hülfe, Labsal Erleichterung bedacht sey! Es ist noch ein Sauerteig in meinem Herzen, der mir die hohe Seligkeit einer reinen ungefälschten brüderlichen Liebe noch so oft wegstiehlt. Ist es Trägheit, ist es Eitelkeit, ist es zu hohe Einbildung von mir selbst, was ist es, das meiner Liebe so oft gleichsam Fesseln anleget? ...

Frau Pfr. Pf. war etwa eine Viertelstunde bey uns – wir sprachen von Elenden, Kranken und Sterbenden ...

– Da ich wieder hinauf kam, gab es bey Anlaß eines leichtsinnigen Menschen im Zuchthause Gelegenheit, von verschiedenen Graden der Verbrechen und der Immoralität gewisser Sünden zu reden; nachher ein paar Minuten von dem englischen Prediger Duchal – von der glücklichen Einfalt, sich dem in allen Dingen uns begegnenden Willen Gottes zu unterwerfen, und nach demselben zu bequemen. Je mehr wir gehorchen, desto herrlicher herrschen wir – nicht nur erst dort; hier schon! Kein Leben ist ruhiger, ist augenscheinlich gesegneter, als das einfältige, thätige, sich nach jedem Winke der göttlichen Fürsehung[129] schnell richtende Kinderleben. 2 – Doch dieß werde ich mit Gottes Hülfe bey einer andern Gelegenheit besser ins Licht setzen.

[130] P. war auch noch zu uns gekommen. ⊙Dni acD1h efs. ⊙ond er T ⊙tt ers psrhs fen ... von denen, die die Schrift Gottlose nennt; von der innern natürlichen Gesundheit der Seele bey der Liebe. Barmherzigkeit ist weniger als Liebe. Die Barmherzigen werdenBarmherzigkeit erlangen. Die Liebenden werdengeliebt werden. Von keiner Sache in der Welt bin ich gewisser, als daß die Liebe das Wesentlichste der menschlichen Natur ist. Liebe kann uns niemals verleiden, niemals Ueberdruß und Ekel erwecken – Liebe aber ist Freude an andern; Andern Freude machen wollen ist das unmittelbarste Mittel der reinsten Freude für uns. Alle Liebe, die uns gereuen kann, muß eigennützig, eigensüchtig gewesen seyn, so wenig sie sich vielleicht für das erkannte. Alle Worterkenntnisse, Wortgebete, alles symbolische bildliche Wesen ist nur Gerüste, nur über die Seele geworfen, nur Zeit-und Ortsache. Die Liebe ist Empfindung und Leben, nicht Bild und Wort. Alles Gerüstwerk, alle Zeichen müssen im Tode wegfallen. Die Liebe muß bleiben. So viel einer Liebe mit sich in die Ewigkeit nimmt, so viel und mehr nicht nimmt er Seligkeit mit sich: nurin so fern der Glaube [131] moralischer weise Liebe wirkt, nur als Mittel, nicht als Zweck, hat er Werth. Der Glaube wirkt nur moralischer Weise ... und was ist aller Glaube den das Evangelium fordert: Vergegenwärtigung der Liebe Gottes: – wir haben geglaubt und erkannt die Liebe, die Gott gegen uns hat. Wenn uns nun Gott also geliebet hat, so sollen auch wir einander lieben. Gott ist die Liebe, das müssen wir glauben – und dann können, dann werden wir Liebe werden, wie er Liebe ist; dann geben, wie er giebt; dann vergeben, wie er vergeben hat. – Ueber dem Nachtessen von der lieben Mutter ... Tei nkn sie r⊙⊙ D ±led iegr Dss Ts Ts +⊙rchs ge1 eth⊙⊙i e+e r ±e1 en+ g T sche noo ...

Ich schrieb noch am Tagebuche. Die Augen sanken mir zu, weil ich die vorige Nacht wenig geschlafen hatte. Ich mußte ins Bette eilen. Doch las ich noch einen Brief eines jungen Frauenzimmers an ihren Lehrer in der Religion, den mir ein Freund zu lesen gegeben hatte, worinn einer der Hauptgedanken dieser ist.. »Niemals sollen mir die drey Hauptquellen der Tugend – die beständige Vergegenwärtigung des Todes; die Erkennung der göttlichen Fürsehung auch in den kleinsten Vorfällen – und die Liebenswürdigkeit der ganzen Religion, aus dem Sinne kommen. An diesen [132] Gedanken, die die Quellen aller Tugenden sind, will ich mich fest halten; sie nie aus dem Sinne verlieren, dann hoffe ich zu Gott, daß Ihre Arbeit in dem Herrn nicht vergeblich seyn werde« – Es war 11 Uhr als ich zu Bette gieng.


Ach! ferne, Vater, sey der Schlummer
Von meinem Auge diese Nacht,
Bis ich mit liebevollem Kummer
Der Leidenden vor dir gedacht.
Erleichtre deiner Kinder Schmerz!
Und gieße Ruh' ins bange Herz! ...
Fußnoten

1 Freylich hat Jesus durch sein Evangelium und durch seine Auferstehung, Leben und Unsterblichkeit ans Licht gebracht. Eine Wohlthat, für die wir Gott niemals genug danken können! Alle andere Beweise für die Unsterblichkeit sind für die allermeisten Menschen zu schwer, und selbst diejenigen, die sie fassen können, werden nicht immer völlig dadurch beruhiget. Allein deswegen dürfen wir doch diese Beweise nicht verwerfen, nicht herunter setzen oder schwächen. Sie kommen eben so wohl als jene ausdrücklichen göttlichen Versicherungen von Gott, und sie haben für den Menschen, der über Gott, sich selbst und seinen gegenwärtigen Zustand nachdenken gelernt hat, eine sehr große Stärke. Das Christenthum soll die menschliche Vernunft nicht entbehrlich oder verächtlich machen, sondern ihr aufhelfen, und sie auf den Weg der Wahrheit leiten. Anm. des Herausg.

2 Freylich müssen wir uns nach den äußerlichen Umständen richten, sie in ihrer Abhängigkeit von Gott und seinem Willen betrachten, und jede Gelegenheit, andern nützlich und gefällig zu seyn, gern ergreifen, und treulich gebrauchen. Aber immer können und dürfen wir uns doch nicht bloß nach äußerlichen Umständen richten. Die Vernunft unterrichtet uns eben so wohl, und gemeiniglich noch sicherer, von dem, was Gott will, daß wir in jedem einzelnen Falle thun sollen, als die äußern Dinge, die uns umgeben. Wir können und müssen weiter sehen, als Kinder sehen können. Diese richten sich bloß nach dem Gegenwärtigen: wir müssen auch auf die entfernten Folgen unsrer Handlungen merken, und das Gegenwärtige mit dem Zukünftigen vergleichen. Unser Verhalten kann also dem ihrigen nicht ganz ähnlich seyn. Das Kind läßt sich von sinnlichen Eindrücken regieren: der Mann folget den Grundsätzen, von deren Richtigkeit er einmal überzeugt ist. Und wie viele Pflichten des Standes, des Amtes und Berufs giebt es nicht, an deren genauen und unverzüglichen Erfüllung uns keine äußerlichen Umstände hindern dürfen? – Doch der Verfasser wird dieses alles weit besser aus einander setzen, wenn er einst sein hier gethanes Versprechen hält. Anmerk. des Herausg.

Sonntag der 17. Jenner 1773
Sonntag der 17. Jenner 1773.

– – – Gleich beym Erwachen ließ mich die Tante zu sich bitten, weil sie so schwach und beklommen wäre ... ich zog mich unverzüglich an, und gieng hin. Ich fand sie in der That sehr schwach und trostlos. Die Natur ihrer Krankheit aber brachte das mit sich. – Ich mußte mich aufraffen, die Last der Schläfrigkeit, die auf meinen Augen lag, abzuschütten; – ich betete ihr das Bekenntniß der Sünden vor, welches ich gestern aufgesetzt hatte; ich finde wirklich, wenn man nicht aufs allervertraulichste [133] mit Kranken geradezu reden kann (ein Fall der äußerst selten ist) daß man vermittelst Gebeter und Lieder, ohne zu beleidigen, und ohne sich das unentbehrliche Zutrauen des Kranken zu rauben – alles sagen kann, was man sagen sollte, und dennoch nicht sagen dürfte; wenn nur die natürliche Vorsicht dabey beobachtet wird, daß man beym Allgemeinern anfängt, und nach und nach immer specialer und treffender wird.

– – – – Da ich wieder allein war, dachte ich ein wenig über Begräbniß, Grab und andere angränzende Dinge nach; ich kam unschuldiger weise auf den Gedanken an vcx mdh mdf qza rbg qhe set dql hbg ... Hier ist rhdoo.


Vas.


»Efs ekftfo Tubwc efs Fsef hkfcu,
Fs xbs hftffhofs woe hfmkfcu.
Fs ibssf efs Wotufscmkdilfku.
Ko tfkofs Obdiu tkdi pgu hfgsfwu!
Ft gsfwf tkdi, xfs ekftft mkftu,
Ebtt Fs, hmfkdi kin wotufscmkdi ktu.«

Einige zum Theil nothwendige öconomische Gespräche mit meinem Vater und Bruder ⊙Dm +fr T⊙u⊙fsuft ub Tfo u+f s T⊙ uu fsw o+ efot dixf +fso ... +⊙ 1kt⊙f 1fo b ±mf kox ktakh, s+fs ± ..

Herr Schwager Sch. kam. Man sprach von einer Handlung, die dem ersten Anscheine nach sehr niederträchtig war. Ich ereiferte [134] mich anfangs mit ihm darüber ... allein ein ruhigeres Nachdenken zeigte mir, daß ich mich übereilt hatte. Ich setzte mich zu dem Ende nur in einen ähnlichen Fall, – und fragte? – Man mußte gestehen, daß viel von der scheinbaren Unbilligkeit verschwinde. Es gehört mit zur gemeinsten Eitelkeit besserer Herzen, daß sie sich über gewisse Handlungen, und gewisse Arten des Betragens zu schnell und zu heftig ärgern. – Es läßt so moralisch und empfindsam – bey gewissen Fehlern anderer Menschen eine verachtende Miene anzunehmen; – aber, ach, wie meisterlich verbirgt sich Stolz und Richtersucht unter dieser Miene ... Lieber will ich mich gewöhnen, mich allemal an die Stelle des andern zu setzen, die Namen zu verwechseln, – und bey der Beurtheilung anderer, mich selbst nie aus dem Gesichte zu verlieren ...

Ich revidirte einen halben Bogen. ⊙D 1fr s⊙ kst riw ei fs⊙ n+ki ens sto.

Nach dem Mittagessen kleine Besuche. Tagebuch. Unterdrückter Unwille, daß ich vier bis fünf mal dem Bedienten vergeblich gerufen hatte – und daß ein erwarteter Freund aus Besorgniß mir bey den gegenwärtigen Umständen beschwerlich zu fallen, mir ein Billiet schrieb, daß er nicht kommen wolle ... P. kam: »wie mir doch zu Muthe sey?« Ich wisse es selbst nicht. Sehr ruhig in Rücksicht auf das nun verschwundne Elend meiner [135] Mutter – aber, dann doch in mancher Absicht nicht ohne Kummer. Von dem Zustande unsers Hauses – Er gieng mit mir in die unterste Stube, den Leichnam zu sehen. Ich stand oben am Sarge, er zur Seite – ich legte meine Hand auf ihre ... kalte ... Stirne ⊙n+s e⊙ft zten Dchei n Ts ±⊙ Ter1sr Tenf ⊙ri hrese e ±e ... Wir klagten beyde über den geringen Zufluß von wichtigen Gedanken und Empfindungen bey einem so wichtigen Anblicke. 1 Der Leib, in dem ich zu werden, zum lebendigen Menschen zu werden anfieng – der liegt nun entseelt – und kalt und [136] starr vor meinen Augen ... was ist mein Auge das ihn sieht, und das erstarrte Auge das nicht sieht ... was ist Leben und Tod? – ... Dieses dachte ich, und gieng, nachdem mich mein Freund verlassen hatte, in das Zimmer meiner Frau, setzte mich stille neben sie, hieng meinen Gedanken nach ... und war sanfte andächtige süße Meditation und Gebet ... Mein Vater ließ mich rufen, ihm und dem Schw. eine Predigt vorzulesen. So sehr ich mich auf diese stille Stunde gefreut hatte; so nahe ich schon dem herzlichsten Gebete und der seligsten Entzückung in Gott war – stund ich doch nach wenigen Augenblicken auf. Jeder Ruf der Fürsehung soll von mir, dieses ist seit einiger Zeit mein Bestreben, so schnell, so gern, so kindlich, wie Gottes unmittelbarste Stimme, befolgt werden. Ich suchte unter meinen Predigten eine schickliche aus, und fand eine über die Worte: Darum, so wachet; denn ihr wisset weder den Tag noch die Stunde, in welcher der Sohn des Menschen kommt. Ich las sie ... und mein Herz schlug mir ... Nein! ich schlafe oft, ich wache selten. Wie oft müßte ich noch vor meinen Herrn erschrecken! – wie oft fände er mich nicht in seinen Geschäfften!

– – – – Ich sprach mit einer Freundinn, die zu meiner Frau gekommen war, von der Abendpredigt; – (mit Gleichgültigkeit) von meiner Situation; dem Gange [137] meines Herzens bey dem Leidens- und Sterbebette meiner Mutter. Sie konnte nicht begreifen, wie ich diesem Tode, und dem Tode meiner beyden allerliebsten Herzensfreunde habe zusehen können ... Ich sagte: viel eher zusehen, als nicht zusehen. Die Imagination schafft sich die Sache immer furchtbarer, als die Natur ist. Nebst dem sind immer so viele die Empfindlichkeit mäßigende, beschäfftigende, zerstreuende Umstände; u.s.f. daß ich es immer wohl aushalten – sehr oft nicht weinen konnte, wenn auch alle neben mir weinten ... aber dann nachher in der Stille erwachte die Sehnsucht der Liebe, und die Melancholey des verlangenden Nachwehes ... Saß ich einsam bey ihnen; so genoß ich sie, so gut ich konnte, und konnte den Gedanken ihres Todes, ihres Wegseyns, ihrer Unsichtbarkeit nicht ertragen ... Bey der Beerdigung des Felix Hessen hätte ich zerschmelzen mögen; und ich hatte doch noch seinen Bruder übrig ... uns beyden war der Verlust nachher beynahe unerträglich. Es fehlte uns zur Rechten und zur Linken ... Aber, da auch der zweyte Bruder starb ... da war ich betäubter. Ueberhaupt stehen die Empfindungen nicht in unserer Gewalt ...

Noch von andern wichtigen Dingen, von Leben und Tod, und Hoffnung und Zweifel, Christus und Unsterblichkeit sprachen wir ... ooi 3h⊙ T sr T1g esi s1r⊙n ost9go.. 8.

[138] Die Freundinn gieng weg, und Herr Helfer Tobler kam. Eine recht vergnügte Stunde mit ihm. Ich wünschte Zeit zu haben alle unsere Gespräche nachholen zu können. Viel von dem Leiden der Verstorbnen, ihrer guten Seite, ihrem Tode; ihrem vermuthlichen Schicksale nach dem Tode; der tiefen Unwissenheit, in welcher wir uns in Absicht auf die Natur des unsichtbaren belebenden Theils des Menschen befinden; von der unendlich beruhigenden Geschichtswahrheit der Auferstehung Jesu ... von den natürlichen Zweifeln, in die ein jeder nachdenkender Mensch bey dem Anblick eines Kranken und Sterbenden in Absicht auf Unsterblichkeit und Wiederaufleben fallen muß; von der unterstützenden Kraft der evangelischen Offenbarung über diesen Punkt; – – von Krankenbesuchen; von unserer Nichtgewalt über unsere Empfindung; von der aus der anschauenden Erkenntniß natürlicher weise entstehenden Empfindung; von dem gesunden einfältigen Auge, alles zu sehen, wie es ist, und nicht wie wir wünschen, daß es seyn möchte; von der Weisheit, sich immer der Fürsehung aufzuopfern, und ihrem kleinsten Rufe hinzugeben; von dem Frappanten in dem Schicksale Jesu, der sich auf diese Weise immer der Fürsehung hingab; von der Einerleyheit des moralischen Leidens und Thuns – ferner – von meinem Vater, seiner Güte, seiner ausgezeichneten Billigkeitsliebe; [139] seiner Delicatesse, keinen Menschen zu kränken, und immer nachzuspüren, ob jedermann seine Sache richtig – und noch immer etwas drüber bekommen habe ... etc.

Da er weg war, schrieb ich noch ein wenig bey meiner Frau am Tagebuche. Die häufigen unnützen ermüdenden Fragen, womit mich mein Kleiner beunruhigte, machten mich beynahe ungeduldig ...

Bey Tische wurde, einige öconomische Sachen ausgenommen, nichts erträgliches geredet. Meine Gedanken aber waren bey meiner Mutter ... »Hat sie vor jenem Richter – oder seinen heiligen Wächtern nichts wider dich zu klagen?« ...

– – – Da ich zu Bette gieng, und meinem Sohne, weil er eben erwachte, gute Nacht wünschte, sagte er mir. »Papa! wisset ihr, was ich denke ... ich denke allem dem Guten nach, das mir die Großmama gethan« ... Ich freute mich, und segnete ihn.

Fußnoten

1 So wichtig die Dinge sind, die wir sehen und hören, so können sie doch nicht immer dieselben lebhaften und tiefen Eindrücke auf uns machen. Es kömmt dabey sehr viel auf unsere jedesmalige Leibesbeschaffenheit, auf die vorhergehende Reihe von Gedanken und Beschäfftigungen, und oft auf kleine Umstände an, die nicht in unsrer Gewalt sind. Aengstige und beklage dich also nicht darüber, redlicher Christ, wenn es dir nicht immer gelingt, so viel Gutes zu denken und zu empfinden, oder deine guten Gedanken und Empfindungen zu einem solchen Grade der Lebhaftigkeit und der Stärke zu erheben, als du es wünschtest. Je ängstlicher du darnach strebest, desto weniger wirst du deine Absicht erreichen. Anm. des Herausg.

Montag der 18. Jenner 1773
Montag der 18. Jenner 1773.

Der Begräbnißtag meiner Mutter.


Ich erwachte um 6 Uhr, und ermunterte mich mit Gellerts: Meine Lebenszeit verstreicht etc. Ich war entsetzlich träge, und bloß – athmend, als wenn ich keine Seele hätte, lag ich eine Weile da. Der Gedanke an meinen abwesenden Bruder, der nun die Nachricht von dem Tode unserer Mutter vernommen haben, und unfehlbar die bittersten Thränen darüber vergießen würde, – der erweckte mich zum empfinden; zum Gebete für ihn und für mich.

– – – – Ich gieng zu meinem Vater; ... Ein schwerer Tag für ihn; ich wollte ihn vorläufig bereden, daß er zu Hause bleiben möchte, wenn das Wetter, wie es den Anschein hatte, zu schlecht wäre. Er wollte aber nichts davon hören. Er hieß mich aus Weißens Gebettuch das tägliche Morgengebet beten. Einige dunkle Ausdrücke, bey denen ich nur zu gewiß war, daß sie nicht verstanden würden, zerstreuten mich ein wenig ... Nach dem Gebete gieng ich noch zum Sarge, den man aus dem Alcoven heraustrug, und in den Hausgang stellte. Ich deckte das Tuch ab, und vergoß eine kindliche Zähre ... wir ließen [141] ihn noch nicht zuschrauben, weil sie, die Mutter, es auch so mit allen ihren Todten gehalten.

– – – Ich schrieb am heutigen Tagebuche. Man ließ mich zum Frühstücke rufen ... Fast bis zu Freudenthränen gerührt war ich bey der niedlichen Gruppe: Meine liebe Frau im Bette, der kleine Heinrich zu ihrer Linken bey ihr – Nettchen in dem Kinderstuhle auf zween Sesseln vor dem Bette. Sie gab beyden Suppe ... Geschwind nahm ich Bleystift und Papier, und entwarf das Familienstück mit ein paar Strichen ... »Aber Eines, sagte meine Frau lächelnd, vergissest du – Es gehört auch dazu, und hat mit uns Freude ... Nun war meine Freude vollkommen ... Gott segne euch ihr Lieben! der Freudengeber ... Gott ... Gott segne euch« ... Geschwind eilte ich, nachdem ich mein Frühstück genommen, diese Scene mir unvergeßlich zu machen. Es ist gar zu süße, sich an dergleichen Auftritte zu erinnern, besonders wenn sie auf solche Tage fallen, die sich noch durch andere Umstände in unserm Leben auszeichnen.

Ein Billiet an S. nsbctdiskgs. – – – Bey der Tante, die ich besuchte, sprachen wir – von Andachtsbüchern, und Treschos Sterbebibel, die offen auf dem Tische lag. Ich blätterte und las, wo aufgeschlagen war ... Ich urtheile sehr ungern von Schriften dieser Art; ich darf fast keine empfehlen und keine verwerfen. Es ist grausam, einem Kranken ein [142] Buch zu verleiden, aus dem er Trost und Erbauung schöpft; und doch auch sehr bedenklich, ein Buch zu empfehlen, welches so viel dunkle, verworrne, unevangelische, manchen Mißdeutungen ausgesetzte Dinge enthält, und überhaupt nicht in dem gesunden, heitern, männlichen Tone des Geist und Herz zugleich erhebenden Evangeliums geschrieben ist – und doch daneben auch sehr viel Gutes und Vorzügliches enthält, das vielleicht allen besorglichen Schaden überwiegt. – Aber, welches ist vollkommen? Allemal gerathe ich in Verlegenheit, wenn ich diese Frage beantworten soll. Alle die Bücher, die ich in gewissen Absichten mit guter Ueberzeugung empfehlen kann, als z.E. Tobler, Spinkes, ein paar Liedersammlungen, die Unterhaltungen der ascetischen Gesellschaft sind dennoch bey weitem das nicht, was man bedarf und will, und was immerfort sowohl erleuchtet als erwärmet. Es sind so viele Dinge, die sich die wenigsten Kranken mit Nutzen können vorlesen lassen; so viel Untreffendes, oder gar zu Speciales, oder in einer dem Kranken zu fremden oder zu bekannten und geläufigen Sprache. Für Leute, die des Lesens gewohnt sind, sind sie größtentheils vortrefflich – aber unter hundert Kranken sind nicht zween geübte. Man sollte kein Gebet, kein Lied für einen Kranken, keine Betrachtung für ihn publiciren, bis sie sich am Krankenbette bewährt, und [143] wenn ich so sagen darf, bis zum Anpassen abgeschliffen hat. Ich habe schon verschiedene aufgesetzt, und die wenigsten ganz brauchbar gefunden. Auch in dieser Absicht soll ich Gott um Weisheit bitten.

Ich bekam ein Billiet von einem Buchbinder: etwas unwillig über die vermeyntliche Indiscretion, mich an diesem Tage zu bemühen, sagte ich beym Eröffnen: »Hat er denn nicht eher Zeit gehabt, als eben heute! –« Es war aber eine Entschuldigung, daß er nicht zum Leichenbegängnisse kommen könnte; seine Frau sey krank; sogleich änderte ich den Ton und schämte mich ein wenig ... Mittagsessen. Von der lieben Mutter Gleichgültigkeit auf dem Krankenbette gegen alle öconomische Angelegenheiten; von den Geistlichen bey den Sterbebetten; von der Gabe des Herrn Pfr. N. mit Kranken und Sterbenden umzugehen ...

Nach dem Essen gieng ich, um doch eine halbe oder Viertelstunde mich dem Getümmel zu entreissen, in die untere Stube, wo ich ganz einsam war; erst schrieb ich ein wenig am Tagebuche; dann ...

Man machte den Sarg zu. Ich gieng hinab. Sie war noch ganz unverstellt; die Zeichnung ihres Gesichtes schöner und bestimmter, als ich sie in ihrem Leben jemals wahrgenommen habe. Ich legte meine Hand noch einmal ... zum letztenmal auf ihre kalte [144] Stirne ... Mein Bruder stund stille mit nassen Augen an der Seite, ich oben am Sarge; meine älteste Schwester neben mir – und nun verschloß man – Noch einmal schob ich den Deckel zurücke, da die andern weg waren – und nun schraubte man ihn zu; ich stützte mich auf den Sarg, der im Hinterhause auf einem Tische stand ... und dankte Gott mit Thränen für alles Gute, das er mir durch meine in ihm nun ruhende Mutter erzeigt hatte ... ach! wie vielmehr hätte ich ihrs vergelten können ... Vergilt du Erbarmer, und thue, was ich nicht mehr thun kann – Vergieb! Sie hat auch vergeben! ... Das war mein erster Gedanke, und mein zweyter ... »Wann wird man meinen Sarg zuschrauben? wann werden meine Frau, meine Freunde, meine Geschwister um meinen Sarg herumstehen? und was werde ich dann seyn, wenn sie also um mich herum stehen?«


Mein Engel maß mir schon den Ort in Gottes Garten,
Wo mich Verwesungen in tiefer Nacht erwarten;
Vielleicht ist schon der Baum zu jenem Sarg gefällt,
In dem den Meinem mich der Tod zur Seite stellt ...
[145]
Mit ihnen auszuruhn, mit ihnen zu erwachen ...
Was Gott unsterblich schuf, wird er nicht sterblich machen.

Man trug den Sarg hervor; bedeckte ihn mit einem weißen und schwarzen Tuche; jeder Nabel, womit man sie aufheftete, gieng der Gedanke nach ... wieder ein Schritt ferner von mir ... So wirst du einst bedeckt werden ...

– – – – – Ich gieng in die Versammlung der Leidtragenden, war still und nachdenkend; aber man sprach von den allergleichgültigsten Dingen; ... traurig gieng ich zwischen den schwarzen Tüchern die Treppe hinunter und starr wie ein Stein – stund ich vor dem Hause; das Wetter war schlecht ... Man brachte die Leiche zum Hause heraus – fast weinte ich vor Unwillen darüber, daß ich bey einem Anblicke von dieser Art nicht aus Liebe weinte. Die Betäubung aber war leicht zu erklären. Ich suchte mich übrigens so wenig wie möglich zu zerstreuen. Ich betete so gut ich konnte in der Kirche und beym Heimgehen.

– – – Bey dem Nachtessen sprach man von der Mutter Krankheit, vom Sterben; von Gerichte nach dem Tode; ... der Gedanke kam mir immer und immer wieder ... »Wir alle ... und dann wandelte mein Blick[146] von einem zum andern ... jedes von uns wird einst an einer Krankheit oder plötzlich, entweder vor mir, mit mir, oder nach mir sterben ... und wie wird dann dem Sterbenden, dem Gestorbnen, den Ueberlebenden zu Muthe seyn! ... Ich betrachtete ein Auge um das andere ... du wirst einst brechen; du dich einst schließen; nicht mehr sehen, und nicht mehr gesehen werden ... sagte ich leise bey mir selber zu jedem – und dann folgte der tiefe Seufzer: O Gott öffne mir doch die Augen, zu sehen, was ich bin, und was aus mir werden soll.« – Wir beteten die Lieder aus der Zollikoferschen Sammlung: Herr, ich hab' aus deiner Treu etc. und, Warum erbebst du meine Seele etc.

[147]
Dienstag der 19. Jenner 1773
Dienstag der 19. Jenner 1773.

»Ich erwache; das erste mal ohne weder eine lebendige noch todte Mutter mehr in meinem Hause zu finden; ... Ich suche sie umsonst die, bey allen ihren Schwachheiten, außerordentlich redliche Mutter.. auch keinen Schatten mehr sehe ich von ihr. So viel hat sie an mir – so gar wenig ich an ihr gethan. So bald – (so lange auch ihr Leiden für sie, die Leidende, war) so bald ist sie mir verschwunden; auf immer verschwunden, ohne daß ich sie, ohne daß sie mich genossen hätte, wie eine Mutter mit diesen Eigenschaften, und ein Sohn von meiner Gesinnung einander in den fliehenden Tagen eines mühevollen Lebens genießen sollten ... Ach! hätte ich mehr Geschicklichkeit, ach! hätte ich ein nachgebenderes Herz gehabt, ihre Schwachheiten zu verbessern, und mir ihre vortrefflichen Eigenschaften zu nutze zu machen ... Itzt würde die Kenntniß des menschlichen Herzens, die ich einer bessern Erfahrung zu danken habe, mich gelehrt haben, mehr das Gute, das ich so häufig an ihr wahrnahm, zu ergreifen; mehr auf diesen Grund zu bauen, als nur das Fehlerhafte mit Blicken, oder Worten, oder Unwillen zu bestreiten ... und dennoch habe ich dieß [148] sehr selten gethan, – und kann es itzt nicht mehr thun ... welche Vorwürfe würde ich hierüber von mei nem Herzen anzuhören haben, wenn ich sie anzuhören redlich und demüthig genug wäre ... Nun – wenn auch das itzt nicht mehr zu ändern, und in Absicht auf sie selber nachzuhohlen ist ... Ich habe noch fünf Geschwister, Kinder dieser uns nun auf immer entflohenen Mutter – Ich habe noch einen alten guten redlichen schwachen Vater – diesen also will ich nun desto mehr Vergnügen zu verschaffen, diesen nun nützlicher zu seyn, mir bestens angelegen seyn lassen; diesen das vergüten, was ich in so mancher Absicht an meiner Mutter, die dennoch so vorzüglich viel auf mich hielt, und meinen Umgang auf eine für mich beschämendschmeichelhafte Weise suchte und schätzte, – auf eine kaum verantwortliche Weise versäumt habe ... Ich will, – denn Gottes Erbarmen ist nicht nur auf wenige Tage eingeschränkt; denn Jesus Christus ist der Herr über Todte und Lebendige – ich will auch itzt noch dem Vater aller Geister kindlich einfältige Gebete darbringen, daß er ihren Geist auf den Tag Jesu Christi unsträflich darstelle.« – – Dergleichen und ähnliche Gedanken und Empfindungen würde vermuthlich die Welt, würden wenigstens meine Freunde mir an dem ersten Morgen, da ich meine Mutter nicht mehr, weder todt noch lebendig, im[149] Hause finde, zutrauen; – so etwas mit allem Rechte von dem erwarten, der seinem Vaterlande und der ganzen Welt in Prosa und in Versen prediget, und des ewigen Moralisirens nicht müde wird; – aber die Welt, und meine Freunde würden sich entsetzlich geirret haben ...

An diesem ersten mutterlosen Morgen erwachte ich ohne alle Gedanken, ohne alle Empfindung; träge, wie ein seelenloses Stück Fleisch; hart, wie ein Stein; – – wann werde ich aus diesem Schlummer erwachen? 1 ... ich konnte kaum aufstehen ... Nach und nach erholte ich mich ein wenig, und ... gieng an meine Arbeit ... Fast den ganzen Tag öconomische Geschäffte; die mir wenig Zeit ließen, an mich selber zu denken.

Nach dem Nachtessen fieng ich noch eine Rechnung an, die mir mein Vater zu machen aufgetragen hatte. Nach 11 Uhr gieng ich [150] zur Ruhe ...

.. voll Unzufriedenheit über mich selber, und – dennoch nicht ohne Hoffnung – 1e⊙g Dt tsc hDn ⊙ng⊙ n+e r1sr Tenz ofi nod eono.

Fußnoten

1 Wo ist der Mensch, der seine Geistes Kräfte stets nach Wunsch gebrauchen könnte? der nicht zuweilen mehr Fleisch als Geist wäre? der nicht oft ohne seine Schuld in eine Art von Unempfindlichkeit und Unthätigkeit verfiele? Die denkendsten Köpfe und die empfindsamsten Herzen sind solchen, freylich unangenehmen, aber unvermeidlichen Abwechselungen, vielleicht am meisten unterworfen. Anmerk. des Herausg.

Mittewoche der 20. Jenner 1773
Mittewoche der 20. Jenner 1773.

Ich erwachte um halb sieben Uhr, aus schrecklichen Träumen – und müde. Ach! »Herr! öffne mir die Augen zu sehen, was ich sehen soll!« ... 1 Ein Blick auf das [151] Daseyn, und das Nichtmehrseyn meiner Mutter ... und ich empfand, wie mein Leben an einem Haare hängt ... Ich suchte mein Herz zu Gott zu erheben; aber ... ihn fand das zu beladne, zu zerstreute Herz nicht. Ich mußte aufstehen; und meine gestrige Arbeit fortsetzen; fast mit Widerwillen; – aber, es muß seyn ...

Oft unterbrochen vollendete ich das Angefangne, und half in meinem Zimmer aufräumen. Von 11 bis 12 Uhr war ich allein in meines Vaters Stube, und machte einen kleinen Entwurf im öconomischen Fache; eine Freundinn schickte mir ein Billiet, einen Brief an Frau G. und eine kleine Beylage für sie. – Ich las den Brief – Gott weiß, wie sehr mich mein Herz verdammt, wenn ich über Verdienen, auch in den besten, unschmeichelhaftesten Absichten gelobt werde; denn wenn auch allenfalls das Gute, das man von mir sagt, wirklich wahr wäre, woran jedoch immer noch gar vieles fehlt, ... warum schweigt man denn von dem Fehlerhaften, dem Bösen, welches doch, bey der Vertraulichkeit meines Herzens, dem Offnen meines Charakters, [152] meinen nähern Freunden auffallend seyn muß. Oder, wenn man es nicht sagen will, warum mäßiget die Erkennung dieser Schwachheiten die Beschreibung nicht, die man von mir macht? Sollte es möglich seyn, daß einer meiner Freunde das Flüchtige, Leichtsinnige in meinem Charakter, die noch so vielen, für mich selbst demüthigenden Proben von Eitelkeit, von Trägheit, Nachlässigkeit, Sinnlichkeit ganz verkennen könnte – so müßte nicht nur die Liebe, auch die Freundschaft müßte blind seyn ... Ich schrieb noch eine halbe Seite – und gieng zum Mittagsessen ... Man sprach von Angewohnheiten; vom Tabakschnupfen; vom Vermehren und Vermindern seiner Bedürfnisse; von dem seligen Herrn Pfr. Schmidlin; von der Zubereitung, dem Nutzen des Essigs; vom Weingeist; von Vermischung beyder; von der Vervollkommnung des Weines; von ähnlichen Vervollkommnungen – u.s.f.

P. kam, und blieb etwa eine halbe Stunde da. VonWieland; Er wolle nun ein neues Journal, er allein herausgeben. Ich freue mich darauf. Da wird er ernsthaft schreiben – und sein Witz, seine Gelehrsamkeit, sein Geschmack, seine eignen Blicke, werden uns vielleicht das beste, originellste Journal liefern.

– – – – Herr Pfr. Heß besuchte mich, um von Waisenhausangelegenheiten mit mir [153] zu reden. Er hatte ein paar rechte gute Ideen auf die Bahn gebracht, die bessere Erziehung der Mägdchen betreffend. Noch etwas vom Zuchthause. – – – – Frau Gem. meldete mir ihre Verlegenheit in Ansehung des Kostgelds für ihren Sohn, einen sehr wackern Knaben. Die ganze Sache betraf 4 fl ... Ich gab sie ihr sogleich, (von dem Gelde, das mir mein Vater in dem Namen der Mutter für die Armen gegeben) sie nahms mit Dank an. Noch ein paar Worte von ihrem ältern Sohne ...

Ich gieng wieder meine Sachen in Ordnung zu bringen. Wie oft mußte ich mich an den Gedanken: Es muß, es muß seyn, anschmiegen ... Kein größeres Werk der Liebe kann ich thun, als dieses; nicht nur, weil ich damit meiner Ordnungliebenden Frau viel Vergnügen mache; nicht nur, weil ich dadurch in den Stand gesetzt werde, jedem, der mir Schriften oder Bücher geliehen hat, und vielleicht zu höflich oder zu nachlässig ist, mich Unhöflichen und Nachlässigen an die Rückgabe zu erinnern, das Seinige wieder zuzustellen; – sondern vornehmlich darum, weil das immerwährende Suchen mir Zeit und gute Laune raubt. Ueble Laune ist das gefährlichste Gift für die Liebe. Ueble Laune ist die erste natürliche Wirkung des Suchens und Nichtfindens. Suchen und Nichtfinden ist eine Folge der Unordnung – die allemal [154] diese übeln Folgen nach sich zieht, wenn sie auch noch so unverschuldet, noch so unvermeidlich wäre. – Aber der Anblick der vollen überladnen Tische, Commoden, Stühle, Kisten – und die Hinaussicht auf die folgende Woche, wo ich kaum mehr einen Augenblick dazu finden würde, und einige gegenwärtige dringende Geschäffte – das rief der übeln Laune mit lauter Stimme. Mein Gehülfe munterte mich auf.

L.Z. kam. Es freute mich; anfänglich war ich zwar wegen meiner Arbeit, und weil ich nicht einmal einen Stuhl bey der Hand hatte, ein wenig verlegen. Ich fand mich aber doch bald, und hatte ein sehr vergnügtes Halbstündchen mit dieser guten wahrheitbegierigen Seele. Von der Religion bey allem. Den Fall möchte ich sehen, wo die Liebe sich nicht hineinzuschleichen wüßte! Das todte, seelenlose, trockne Geschäffte oder Geschäfftchen möchte ich sehen, dem sie, die allgenugsame Liebe nicht Licht und Wärme geben könnte 2 .... [155] von dem Ruhigen, Unhastigen, Unängstlichen in dem Charakter Christi; u.s.f. Ich wünschte, daß ich immer die Gedanken, die mir beym ruhigen vertraulichen Gespräche mit einem wahrheitliebenden Freunde größtentheils viel glücklicher, als bey allen vorsätzlichen Meditationen einfallen, aufbewahren könnte: überhaupt kann ich den Gedanken noch nicht aufgeben, daß ich, wofern ich Zeit hätte, für meine Kinder, meine Freunde, und vielleicht auch nach meinem Tode für die Welt kaum etwas Nützlicheres und Unterhaltenderes schreiben könnte, als ein umständliches Tagebuch; – aber, hiezu habe ich schlechterdings keine Zeit. Bin ich kurz, so ist der Nutzen für mich immer noch beträchtlich genug, aber dann hat mein Sohn, haben meine Freunde nach meinem Tode sehr wenigen Nutzen davon. Und weitläuftig zu seyn, dazu finde ich keine Zeit. Ich habe auch in dieser Absicht schon sehr oft gewünscht, [156] einmal einen stillen, ruhigen Tag zu finden, wo ich aufgelegt wäre, eine Universalabreviaturschrift zu entwerfen, welche, wenn sie uns einmal geläufig wäre, wenigstens die Hälfte von Raum und Zeit ersparen würde. – Einer der vornehmsten Gedanken, der mir diesen Abend mit vollem Lichte einleuchtete (– Sollte nicht jeder Mensch die Geburtstage seiner besten Gedanken aufzeichnen?) war dieser: »Auf dreyerley Weise läßt sich die Güte, die Gesundheit, die Integrität eines christlichen Religionssystems, bestimmen. Es giebt drey Arten es zu prüfen. 1.) Es muß dem ganzen Systeme, dem ganzenGeiste der Offenbarung Gottes durchaus angemessen seyn. Alle und jede einzelne Theile der Offenbarung müssen sich auf die Begriffe, die man seine Religion nennt, beziehen. Die Religion muß nicht nureinseitig seyn, sie muß den allerverschiedenst scheinenden Vorstellungsarten der von Gott ausgezeichneten und bevollmächtigten Verfasser zugleich angemessen seyn; Wort und Geist, und Beyspiel und Schicksal Christi müssen aufs einmüthigste auf diese Begriffe zusammen treffen. – 2.) Sie muß den edelsten, reinsten, erhabensten Trieben und Empfindungen eines jeden gesunden Menschenherzens gleich laufen – das allerbeßte menschliche Herz muß ihr Urbild seyn. 3.) Sie muß sich zu allen Umständen schicken, in denen wir uns immer [157] befinden mögen. Sie muß die Natur der Dinge nicht ändern wollen, sondern uns geschickt machen, bey der Natur der Dinge, die da ist, ruhig, zufrieden, und glücklich zu seyn. Sie muß sich so fort von allen Menschen, zu allen Zeiten, an allen Orten, unter allen Umständen, anwenden lassen; durch Thun oder Leiden äußern und wirksam erzeigen können. Nichts muß von derselben ausgeschlossen seyn!« – Noch unreif ist dieser Gedanke! aber er entzückt mich – meine Religion hat das –

– – – – Gegen Abend gieng ich noch auf eine Stunde zu P. – Von meiner Mutter; von ihrem Leiden; von der noch vielmehr leidenden, unaussprechlich elenden Frau S ... von der Liebe – von der Kürze des Lebens ....

...... Pf. schrieb eben an einer Predigt von der Liebe, davon ich mir die Hauptsätze ins Gedächtniß prägen will: 1.) Aufopferung der Güter, ja gar des Lebens macht die Liebe noch nicht aus. 2.) Es kömmt bey der Liebe auf die Beschaffenheit des Herzens an. 3.) Die Liebe äußert sich in mancherley Wirkungen, und unterscheidet sich aufs deutlichste von allem falschen Scheine der Liebe. 4.) Ohne die Liebe ist alles Christenthum falsch und unnütz.

Der goldne Spiegel von Wieland lag auf dem Pulte. Ein unvergleichliches Titelkupfer, eine glückliche Familie. Pf. war halb [158] bezaubert von dem schönen Ideal eines glücklichen Volks, das er darinn gefunden hätte. Er erzählte mir noch einige andere Ideen daraus, die mir sehr wohl gefielen. Ich läs es herzlich gern, wenn ich Zeit dazu finden könnte. Solche Schriften in diesem Geschmacke, mit dieser Herzens- und Menschenkenntniß, dieser Naivetät geschrieben – sind gewiß für männliche Seelen vortreffliche Nahrung – So wenig ich ganz mit W. zufrieden seyn kann, nicht, weil er heiter, sondern weil er zuweilen ausgelassen ist, und die guten Sitten beleidiget, – so lese ich dennoch nichts von ihm ohne Nutzen. Ja, ich sollte gestehen, (und ich würde es öffentlich thun, wenn ich nicht voraussähe, daß manche, theils schwache – theils falschandächtige – jene insonderheit, die W. wie ich beym Aufschlagen fand, Zwitter von Heucheley und Schwärmerey nennet, mein Geständniß mißverstehen und mißbrauchen würden,) ich sollte gestehen, daß ich aus manchen sogenannten Erbauungsschriften, nicht den moralischen Nutzen ziehe – (von der Bildung des Geschmackes, die so unendlich vielen Einfluß auf die Sittlichkeit hat, nichts zu sagen) wie aus einzelnen Stellen seiner Schriften. Wahr ists, es ist für ein nicht ganz verwildertes Herz sehr anstößig auf Stellen zu kommen, die sich ohne Erröthen weder laut vorlesen – noch für sich allein lesen lassen. Das Vehikulum des wirklichen Guten [159] ist oft wirksamer als die Arzney. Gerade so kommts mir vor, als wenn ich jemand eine bittere Arzney in süßem Gifte eingeben wollte. Doch sagte mir Pf., dieses letztere Werk sey ohne Vergleichung besser und gemeinnütziger als alle bisherigen. 3 – – – –

Fußnoten

1 Erwarte nicht, christlicher Leser, daß dich Gott durch Träume unterrichten werde. Er hat es dir nirgends verheißen. Wir haben sicherere Mittel, seinen Willen kennen zu lernen, als diese sind. Wer auf Träume merket, ist in großer Gefahr, von seiner Einbildungskraft getäuscht, und auf Abwege verleitet zu werden. Die Seele kann sich wohl beym Schlafe des Körpers gewisse Dinge deutlicher und lebhafter als sonst vorstellen, oder auch auf gewisse Ideen kommen, die sie im Zustande des Wachens nicht gefunden hätte. Aber die Zukunft kann sie weder in dem einen noch in dem andern Zustande mit Gewißheit erkennen. Mehr hat auch vermuthlich der Verfasser mit dieser Stelle nicht sagen wollen. Er schätzet Vernunft und Schrift zu hoch, und kennet den Gang der menschlichen Seele zu gut, um viel auf Träume zu halten. Anmerkung des Herausgebers.

2 Es ist allerdings vortrefflich, wenn uns eine aufrichtige, herzliche Liebe des Nächsten bey allem, was wir mit ihm oder für ihn zu thun oder zu reden haben, beseelet, und wenn sie uns auch die kleinsten, gleichgültigsten Geschäffte und Dienstleistungen wichtig und angenehm machet. Nur warne ich dich im Namen des Verfassers, christlicher Leser, daß du die freundlichen Mienen und Geberden, den sanften und schmeichelhaften Ton der Stimme, und das äußerliche liebkosende Wesen, wodurch sich zuweilen die Liebe äußert oder äußern soll, nicht für die Liebe selbst haltest, und diejenigen ja nicht verachtest oder verdammest, die nicht auf diesen Ton gestimmt, sondern in ihrem äußerlichen Betragen kälter und ernsthafter, aber doch dabey redlich gesinnt sind. Anmerk. des Herausg.

3 Ich habe seit dieser Zeit dieses Werk gelesen, und mit einem Vergnügen gelesen, das durch nichts als das Ende desselben unterbrochen wurde. Wohl dem vortrefflichen Verfasser, und wohl dem Publicum, das seine originellen und anmuthreichen Schriften beynahe verschlingt, wenn er sich nie mehr zum Priester der sinnlichen Wollust erniedrigen, und allem seinem Genie, seiner Sprachmacht, seinen Grazien, seiner Gelehrsamkeit und Kritik aufbieten wird – Wahrheit, Tugend, Ruhe, Zufriedenheit und Seeligkeit im Genusse der allbeseelenden Gottheit auszubreiten.

Im Junius 1773.

Donnerstag der 21. Jenner 1773
Donnerstag der 21. Jenner 1773.

Ich erwachte erst um 7 Uhr; abermals entsetzlich träge, und voll allerley Verlegenheiten ... mächtige Erweckungen zum Gebete ...

Herr VCST kam, und blieb etwa eine Stunde da. Wichtige Angelegenheit, die ich auch nicht einmal meinem Tagebuche anvertrauen mag. Sehr lehrreich für mich; – ich versprach, mein Möglichstes zu thun – und nicht ohne Hoffnung. –

Donnerstag der 28. Jenner 1773
Donnerstag der 28. Jenner 1773.

Es war mir einige Tage beynahe unmöglich gewesen, mein Tagebuch fortzusetzen. Ich will es heute wieder versuchen. Sonst würde ich diese für mich so nützliche Beschäfftigung schon dadurch schwerer machen, daß ich sie zu lange unterließe. Bloß die Unterlassung einer guten Sache, so sehr sie anfangs zu entschuldigen, so nothwendig sie vielleicht gewesen seyn mag, bloß diese Unterlassung kann sehr oft der Grund werden, warum wir eine gute Sache gar nicht mehr fortsetzen, wenn auch die Hindernisse, die uns davon abgehalten [161] haben, gänzlich verschwunden sind. Wir mögen nicht mehr anfangen, bloß darum, weil wir aufgehört haben. Wir schieben die Fortsetzung so lange auf, bis wir uns schämen, wieder anzufangen. Dieses ist insonderheit bey der Beantwortung erhaltener Briefe eine für mich beynahe tägliche Erfahrung. Wenn ich die Beantwortung auch nur einige Tage aufschieben muß, so schiebe ich sie gemeiniglich noch viel länger auf, als ich muß.

Ich hatte P. gebeten, oder vielmehr hatte er sich anerboten, mir zur Aufräumung und Anordnung meiner Schriften und Briefschaften (womit ich schon einige Tage, wiewohl unter beständigen meine Geduld beynahe ermüdenden Unterbrechungen beschäfftigt war) behülflich zu seyn. Wir fiengen gleich nach sechs Uhr an. Es gieng ziemlich gut bis 1/29 Uhr ... Inzwischen kam ein bekannter junger Landmann, der mir etwas unruhig und zerstreut, und der Verrückung nahe schien ... Er blieb etwa eine halbe Stunde. Er war sanft, hörte zu, schien aber das, was ich ihn fragte, nicht zu verstehen. Ich hatte auch, die Wahrheit zu sagen, weil ich mitten unter ganzen Haufen von Papieren stund, wenig Lust, mich mit ihm einzulassen, zumal da ich bald gewahr wurde, daß es nicht viel nützen würde. – – Frau N. kam auch noch ihres Sohns wegen. Sie war furchtsam, wenigstens stellte sie sich so ... Ich werde durch nichts so sehr beleidigt, als [162] wenn man sich vor mir fürchtet. Und man kann gegen mich nicht unhöflicher seyn, als wenn man mir das Compliment machet: Ich will das Herz in beyde Hände nehmen etc. Je mehr man mir zutraut, je weniger man bittet, desto lieber, desto schneller helfe ich. Ich wünschte, mich hierüber einmal recht erklären zu können. Die Sache ist in Absicht auf die Religion von eingreifender Wichtigkeit. Jedes Mißtrauen, jede Furchtsamkeit ist eine Beleidigung für mein Herz. – Diese Beobachtung sollte mir das geringste Mißtrauen gegen Gott, den Urheber, den Vater meines Herzens, unmöglich machen. Gott ist größer als mein Herz. Dieses ist für mich die allergewisseste und allertrostvolleste Wahrheit; die allernächste, die ich immer ergreifen, immer festhalten kann. Und mich däucht immer, wenn bey irgend einer Gesinnung der sonst so unschickliche, und so vielem Mißverstand ausgesetzte Ausdruck, Beleidigung Gottes, schicklich werden könnte, so müßte er es in Absicht auf dasMißtrauen gegen Gott seyn. Unser Glauben an Gott wird mit dem Glauben an unser eigen Herz in gleichem Verhältnisse wachsen ..........

[163]
Freytag der 29. Jenner 1773
Freytag der 29. Jenner 1773.

Nicht ganz ohne gute Empfindungen erwachte ich diesen Morgen vor 6 Uhr; ... Mein Herz wurde stark erweckt, Gott noch mehr zu suchen, um durch ihn den vielen Menschen, denen ich den Weg zur Tugend und Seeligkeit weisen soll, zum Segen zu werden; mich noch mehr zu ermannen, anzugreifen, aufzuraffen – und strenger gegen mich selbst zu seyn. Unaussprechlich empfand ich es wieder, was ich schon tausendmal unaussprechlich empfunden habe, daß man mir mehr Religion, mehr Gottes- und Menschenliebe zutraut, als ich wirklich besitze, und daß die, welche ich besitze, noch in keine Vergleichung kömmt mit der, die ich besitzen sollte und könnte. Nicht ein unmögliches, ein mögliches Urbild habe ich meinem Herzen eingeprägt; ich drücke mich unrichtig aus, – mein eignes Herz hat mich schon tausendmal die Möglichkeit einer ungleich erhabnern Tugend fühlen lassen, als die ist, die ich besitze, als die ungleich größere ist, die man mir zutraut.

Nachdem ich aufgestanden, schrieb ich eine halbe Seite am Tagebuche und den Entwurf für das Waisenhaus von der werkthätigen Liebe, den Anfang an der künftigen Sonntagspredigt. – – – – – – Ich las noch die zwo mir vor 14 Tagen gesandten Weyhnachtspredigten [164] von F., strich die Stellen an, die mir nicht gefielen; besorgte, daß ohne nähere Erklärung (und dazu hatte ich nicht Zeit) einige Anstriche ihm bedenklich vorkommen möchten. Man hat sich gewöhnt, gewisse geweihete Formuln, ohne Vermuthung, daß sie vielleicht die Behältnisse der größten Irrthümer seyn, nachzusprechen; und es ist schwer, sie nur zu nennen, ohne sich in eine weitläufige Erörterung darüber einzulassen. – – –

Sonnabend der 30. Jenner 1773
Sonnabend der 30. Jenner 1773.

Beym Erwachen überdachte und prüfte ich den gestrigen Tag. Ich ließ mich in allen Situationen vor meiner Imagination vorübergehen. Wie oft hatte ich Ursache zu erröthen! Wie ganz anders sehen und beurtheilen wir uns doch, wenn wir uns bloß mit den Augen eines unpartheyischen Zeugen ansehen. In dieser Absicht wünschte ich mehr Zeit und Fertigkeit im Zeichnen zu haben, um so manche Situation meines Lebens, die sich kaum mit Worten beschreiben läßt, vermittelst der Zeichnung fixiren zu können. Ich bin völlig davon überzeugt, daß eine Sammlung von getreuen Gemählden dieser Art eines der allerwirksamsten Verbesserungsmittel für mich [165] wäre. Ich wollte mich auch hierinn auf die Empfindung aller Menschenherzen sicherlich berufen dürfen, daß dergleichen Zeugnisse und anschauliche Urkunden unsers Lebens von merklichem Einflusse seyn müßten. Wie? wenn ich das, was ich itzt thue, einen andern thun sähe? Einem, der so denkt, wie ich itzt denke, in die Seele hineinsähe? Wenn ich diese Situation durch eine Zeichnung aufbewahrte ... wie würde ich mir dann in den ruhigen Stunden, wo die Leidenschaft schweigt, vorkommen?

Mit diesen Gedanken verband ich einige Seufzer und stund auf. Meine liebe Frau befand sich nicht wohl. Meine kleine Nette jauchzte mir entgegen, ich mußte mir Gewalt anthun, sie nicht aus ihrem Bette herauszunehmen, um mich nicht zu versäumen; denn ich wollte mein gestriges Tagebuch nachholen. Ich schrieb eine Weile fort ... konnte aber nicht länger, nahm das Kind auf meine Arme, und brachte es seiner Mutter und seinem Bruder. Die gute Mutter konnte sich nicht sehr mit ihr abgeben; sie hatte Schmerzen. Ich setzte mich eine Weile zu ihr. Von ihren Umständen. Vom Aufräumen. Ich schrieb nachher am Tagebuche fort. Ein Briefchen an Herrn Pastor Brunner in Moscau für S., und einen an S. nach Genf. – – – Einige Kleinigkeiten wollten mich verdrüßlich machen; meine Frau merkte es, both mir schweigend die Hand – »Ich will gut seyn,« sagte [166] ich ihr mit einer kindlichen Stimme, und war wieder heiter. Sie las mir einen Brief von einer Freundinn von St. Gallen vor, den sie eben bekommen hatte, von dem Charakter und Tode eines dreyzehnjährigen, zehn Jahr elenden, und immer geduldigen Gott ergebenen Mädchens. Nach einigen kleinen Geschäfften schrieb ich noch an den redlichen Herrn Spörlein in Mühlhausen, und an Deinet. – –

Nach dem Essen gieng ich gleich in Sch. H. um da auf meine Predigt zu studieren, und dem Anlaufe zu entgehen. Ich sprach noch mit P. über die Schwierigkeit, eingesandte Predigten und Aufsätze zu beurtheilen. Man läuft immer Gefahr, entweder nicht aufrichtig zu seyn, oder durch Aufrichtigkeit zu beleidigen. Auch in dieser Absicht ist Weisheit, Weisheit der brüderlichen Liebe nöthig. Ich redete eine Viertelstunde mit der Frau Pf. über das Wachsthum im Guten. Die gute Seele vergoß die schönsten Thränen über ihre moralische Schwachheit. Ich konnte sie in mehr als Einer Absicht aufmuntern. Sie klagte insonderheit über ihre Nachläßigkeit im Gebete; sie habe vordem eifriger und herzlicher gebetet. Freylich sey sie in der Erkenntniß und in der kindlichen Freyheit weiter gekommen, habe manches Vorurtheil, manche kleine Aengstlichkeit abgelegt; aber die lebendige Empfindung der Liebe, der wirksame Glaube an die allgegenwärtige Gottheit fehle ihr [167] noch. Einige von meinen vornehmsten Reflexionen waren diese ... Sie sey gewiß viel besser als sie glaube. Ihr Eifer für alles Gute, und alle Guten nehme doch offenbar zu. Wenn sie sich gewöhnen werde, alle ihre Pflichten unterEinen Gesichtspunkt zu fassen – Menschenliebe im Glauben an Gott – Wenn sie in allem, großem und kleinem, Gottes leitende Fürsehung erkenne; allen Menschen um Gottes Willen, nach ihren Kräften und Umständen einfältig diene, Gott in allen ehre und liebe; aus der Religion und Tugend nicht zwo von einander abgesonderte Sachen mache; so werde sie viel ruhiger, viel freudiger, kindlicher, immer nahe bey Gott, und nie fern von dem Menschen und von ihrem eigenen Herzen seyn. Ich befinde mich, so häufig auch und so tiefbeschämend meine täglichen Gebrechen seyn, überhaupt sehr wohl bey dieser Vereinfachung aller meiner Pflichten; mich Gott in den Menschen mit völliger Zuversicht, daß es mir dabey am Ende nicht fehlen werde, aufzuopfern ..... Gott dabey immer nach meinem eignen Herzen zu messen; 1 auf [168] die unzähligen Beweise der göttlichen Güte, besonders gegen meine eigne Person, mein Nachdenken zu richten, und von dem, was vor Augen liegt, auf das zu schließen, was sich weiter von einem solchen Gott erwarten lasse; alle Gedanken, als wenn Gott eigentlich beleidigt werden könnte, als wenn man nach tausend und zehentausend Fehltritten ihm weniger lieb sey, 2 als Vorurtheile zu entfernen – Gott [169] immer als bereitwillig, immer als mächtig genug zum Vergeben anzusehen, nachdem er einmal diese Bereitwilligkeit und Macht, alle übeln Folgen der Sünden aufzuheben, alles was wir durch unsre Leidenschaften in Unordnung gebracht haben, wieder in die beste Ordnung zu bringen, in Jesu Christo uns glaubwürdig genug vor Augen gelegt habe. – Könne sie ihren Schuldigern und Beleidigern vergeben, so werde es der noch vielmehr können, der ihr Herz zum Vergeben geneigt mache, [170] und alle Liebe, die sie besitze, ihr geschenkt habe. u.s.w.

Ich mußte sie bitten, mich allein zu lassen, weil ich mit der Predigt noch sehr weit zurück war. –

Den Gedanken eines Freundes muß ich nicht vergessen aufzuschreiben: Er finde auch in der Natur eine Aehnlichkeit mit der Begebenheit der Früherauferstandnen, deren Matthäus beym Tode Jesu gedenket. In der Natur habe freylich alles seine bestimmte Zeit zur Zeitigung; es gebe aber dennoch Ausnahmen. Durch Menschen, mithin durch vernünftige freye Mittelwesen können verschiedene Dinge, sogar animalische Geschöpfe, früher zur Entwickelung und Zeitigung gebracht werden.

Ich schrieb nun an meiner Predigt. Man rief mich zum Thee. Wir sprachen von Herrn S.J. Ich behauptete, daß ich in ihm den scharfsinnigen Mann nicht gefunden, den so viele bewunderten. Ueber sein Herz wollte ich nicht entscheiden. Es ist ein Unterschiedheucheln, und aus Gewohnheit ohne Empfindung von der Religion reden. Dieses ist freylich schlimm genug, und der nächste Weg zur Heucheley ...

Ich gieng wieder an meine Arbeit über 2 Cor. 5, v. 1-9. Wie würde der sprechen, der rühren und erheben, der wüßte, der empfände, was er sagte, wenn er dem Paulus nachspricht: Wir wissen, daß wenn unser [171] irdisches Haus dieser Hütte zerbrochen wird, wir einen Bau aus Gott, ein von Gott bereitetes Haus haben, ein Haus, nicht von Händen gemacht, son dern das ewig ist in den Himmeln?

Ich unterbrach mich bis um 1/26 Uhr oft; grs⊙t ±eh⊙fi irei sne s⊙ g Tk oe1 s⊙s ⊙ftd. Wir sprachen eine halbe Stunde mit einander: Ich glaube, daß mich Gott nicht mehr lange würde leben lassen; wofern er mich aber leben ließe, sollte mein Leben erst recht anheben. Ich sey gar noch nicht das, weder meinem Hause, noch meinen Zuhörern, was ich ihnen seyn sollte, und seyn zu können mich fühle. Ich erzählte einige Anecdoten von meiner Jugend. Eine schöne halbe Stunde – +Dsco h ±ftk hssn gsng ⊙us oro ... Ich schrieb bis um 7 Uhr unverrückt an meiner Predigt, bis sie fertig war. Nun eilte ich nach Hause, hatte mich nach einigen Briefen von H. und D. gesehnet, aber es waren keine da. Ich räumte noch ein wenig auf, durchlas noch einige meiner von meinem neuen Amanuensis copirten auf dem Tische liegenden Briefe. Bey dem Nachtessen sprach man von dem Tode des Herrn H. Mein Vater bedauerte ihn. Ich machte mir einige stille Vorwürfe darüber, daß ich ihn bey dem letzten Besuche, den ich ihm in diesem Jahre gemacht, nicht nützlicher gewesen. Wir lasen das 11 Cap. im 1 Buch der Könige, und ich suchte bey meinem Vater [172] den David und Salomo zu entschuldigen; überhaupt lehren mich diese Geschichte, wie unendlich schwer es ist, einzelne Handlungen richtig zu beurtheilen, besonders Handlungen von großen und aufs Ganze sehenden Männern.

Fußnoten

1 Der Verfasser will wohl damit nichts anders sagen, als: wenn ich gerecht, billig, gütig, wohlthätig, mitleidig, nachsichtsvoll, versöhnlich seyn, wenn ich Treue und Glauben halten kann u.s.w. so muß und wir Gott, der mein Herz dieser guten Empfindungen, dieser Tugenden fähig gemacht hat, dieses alles noch unendlich mehr seyn und thun. In eben diesem Sinne sagt unser Heiland: wenn ihr, die ihr fehlerhafte Menschen seyd, euren Kindern gute Gaben gebet, wie vielmehr etc. Uebrigens müssen wir uns sorgfältig hüten, daß wir Gotte dem vollkommensten Wesen, ja keine menschliche Schwachheiten zuschreiben, und jedes, selbst das beste, menschliche Herz hat doch auch seine schwache Seite. Anm. des Herausg.

2 Gottes Liebe zu uns oder sein Wohlgefallen an uns kann freylich nicht so leicht verscherzt oder geschwächt werden, als die Liebe und Gunst der Menschen. Er weiß Schuld und Unglück, Schwachheit und Bosheit auf das genaueste von einander zu unterscheiden. Zehntausend unvorsetzliche Fehltritte und Uebereilungen können uns in seinen Augen nichts schaden; denn er weiß, was für Geschöpfe wir sind, er denket daran, daß wir Staub sind. Aber Mangel der Rechtschaffenheit, Heucheley und Verstellung, vorsetzliche Sünden, Bosheit und Verbrechen, müssen ihm nothwendig stets misfallen, und ob er gleich auch dadurch eigentlich nicht beleidiget, d.i. nicht beschädiget, beunruhiget und aufgebracht werden kann, so muß ihm doch ein vernünftiges, freyhandelndes Geschöpf immer um so viel lieber seyn, oder er muß um so viel mehr Wohlgefallen daran haben, um so viel schuldloser und vollkommener es ist. Freylich liegt bey dieser Vorstellungsart vielleicht noch viel menschliches zum Grunde, und Gottes Gedanken sind auch in dieser Absicht nicht unsre Gedanken. Aber wir sollen und müssen menschlich denken, weil wir nicht anders denken können. Anm. des Herausg.

Sonntag der 31. Jenner 1773
Sonntag der 31. Jenner 1773.

Meine Phantasie hatte mich mit ängstlichen Träumen beunruhiget. Ich war, wie es mir vorkam, gestorben, hatte noch die Umstehenden dunkel und wie in einer Entfernung sagen gehört: »Er ist verschieden« – und erst hernach zitterte ein aufbäumender Schauer durch die Nerven meines Herzens, und mir däuchte, ich wollte noch die Hände falten – und vermochte es nicht mehr – und entschlief. Ich erwachte mit klopfendem Herzen, und suchte Beruhigung. Erst wollte ich mich nicht bewegen, sondern sogleich wieder einzuschlafen suchen, um den Traum noch einmal zu haben, oder die Fortsetzung desselben möglich zu machen. Denn ich habe schon oft beobachtet, daß, wenn ich mich beym Erwachen von einem Traume, er mag wichtig oder unwichtig seyn, genau in derselben Lage erhalten, und in dieser Lage sogleich wieder einschlafen kann, derselbe Traum entweder nochmals kommt, oder sich [173] fortsetzt. Diesesmal aber sehnte ich mich zu sehr nach einem beruhigenden Tone von meiner lieben Frau. Ich schlief wieder ein, und nun war ich ganz mit Microscopien beschäftigt. Ich konnte diese beyden Träume beym Erwachen fast nicht aus dem Sinne bringen. Ich setzt schon Gläser zusammen, und hätte mich vermuthlich ganz in diesen Experimentalgedanken verloren, wenn sich nicht der Gedanke an meinen Tod immer hervorgedrängt hätte. – »Und, wenn ich dann nun wirklich einmal so sterbend da liege! wenn dieser letzte Schauer nun einmal wirklich meine Gebeine und mein Herz durchwandelt, – und so vieles, das ich noch thun könnte, und nach den Trieben und Anlagen meiner Natur, und den mannichfaltigen Erweckungen Gottes noch thun und zu Stande bringen sollte, noch nicht gethan, sondern durch meine eigne Schuld vernachläßigt worden ist –« ... Diese und andere ähnliche Gedanken giengen mir durch die Seele. Ich erweckte mich aufs neue vor Gott, die Sache Gottes und der Religion allem andern vorzuziehen, mir mehr als alles andere am Herzen liegen zu lassen; ich bat Gott um neue Kraft, ganzen Ernst, ganze Redlichkeit, Weisheit, Muth, Segen. –

– – – – – Ich gieng in die Kirche. – Herr Pfr. Heß predigte über Matth. X, v. 26. von der Heucheley, recht [174] viel Gutes, Wahres, Treffendes. Die Worte: Es ist nichts verborgen das nicht offenbar werde, und nichts heimlich, das man nicht wissen werde, die er mit einem besondern Nachdrucke aussprach – trafen auch nicht ohne gute Wirkung auf meine Seele. Ich war überhaupt ziemlich aufmerksam. 1

Fußnoten

1 Ich muß noch einmal erinnern, daß hier nichts vorsetzlich unterdrückt oder weggelassen ist. – Ich konnte nicht weiter schreiben; und um andre Geschäffte nicht zu versäumen, konnte ich gemeiniglich des folgenden Tages nicht das mindeste von dem nachholen, was ich den vorigen Tag versäumen mußte, oder etwa auch aus Nachlässigkeit versäumt hatte. Ich habe keine Zeile mehr Tagebuch seit dem 10. Nov. 1772. für mich geschrieben, und keine weniger, als ich hier dem Herausgeber des ersten Theils übersende.

Beschluß dieses Monats
Beschluß dieses Monats.

Also ist auch dieser für mich so wichtige Monat vorbey. Wie viel Leiden, wie viel Erlösung! wie viele Schwachheiten! wie viele Gnaden – was habe ich vorgeschlagen? – Lebendigeres Andenken an meinen immer nähern Tod! Mehr Ruhe, mehr Freyheit des Geistes, mehr Kindlichkeit in Absicht auf Gott. – Aber, noch immer zu sinnlich, zu träge, zu eigensinnig, zu bequem bin ich. Ich überlasse mich noch zu leicht meinen Launen und Einfällen; aus Gefälligkeit gegen andre, aus Schwachheit, aus Eitelkeit, aus Bequemlichkeit behaupte ich meinen Charakter, meine Grundsätze noch zu wenig, zu zweydeutig. Ich bin bey weitem noch nicht das, was ich in meinen Umständen, mit meinen Fähigkeiten und Kräften doch wirklich seyn könnte. Mein eigenes Ich ist noch viel zu lebendig in mir, oder mit andern Worten: meine Liebe ist noch nicht rein, nicht herzlich, nicht thätig, nicht leidend, nicht allgemein genug; – ich dürfte weder alle meine Worte hören, noch alle Gedanken und Empfindungen meines Herzens sehen lassen; fast alle Nächte erzittere ich noch vor mir und meinem eignen Herzen, wenn ich – aus allem betäubenden Geräusche herausgehoben – mich bloß vor dem Allwissenden richte ... Noch keinen Tag dieses Jahres konnte ich vollkommen mit mir zufrieden seyn; [176] und ich fordre doch keine idealische, keine unmögliche Vollkommenheit von mir; keine als die von meinem Charakter, meinen Umständen erwartet werden darf. Ich weiß, was der menschlichen Natur, und was mir möglich ist. Ich weiß es nicht aus Büchern; aus eigener, unmittelbarer häufiger Erfahrung, Gott Lob! weiß ichs. Weil ich wahre Liebe kenne, so kenne ich auch der Liebe Leichnam; das mechanische der Tugend – Ich weiß, daß unsre Empfindungen nicht immer gleich stark und lebendig seyn können – aber den stärkern, edlern, menschlichern Empfindungen nicht Raum geben wollen; sie von seinem Herzen wegzulenken suchen; mehr sinnlichangenehmen nachsinnen und nachhaschen – wenn wir mit wirklichen Einladungen zu edlern und bessern umringt sind, ach – wie will ich mirs verheelen, daß dieses nicht recht, nicht zu verantworten sey?

Nein! genug kann ich mirs nicht wiederholen: Ich muß mich üben, es mehr, es unmittelbarer mit Gott zu halten. Ich muß meinen Glauben an ihn und seine Fürsehung – durch Aufmerksamkeit auf seine Werke, seine Führungen, seine Offenbarungen, lebendiger und wirksamer zu machen suchen. – Aufmerksamkeit aber fordert Stille; – und Stille – wird durchs Gebet feyerlich – und zur Aufmerksamkeit begeisternd. Ich muß stiller, ruhiger werden. Ich bin es, [177] Gott Lob, schon zum Theil geworden; aber bey weitem noch nicht genug. Je mehr ich an Gott glaube; je anschauender ich das Unsichtbare durch die Vernunft und den Wahrheitssinn, oder auch durch das moralische Gefühl erkenne; je mehr der Allerliebenswürdigste, das unmittelbarste Ebenbild Gottes, der Innbegriff aller menschlichen und göttlichen Vollkommenheiten – Jesus Christus, meinem Gemüthe gegenwärtig, je näher er mir ist, desto lieber wird er mir seyn, desto lieber alles, was er will, was ihm ähnlich ist, was seines Geistes ist.

Meine Freunde – ob die in diesem Monate immer mit mir werden zufrieden gewesen seyn, weiß ich nicht; oder vielmehr: ich weiß es, sie sind es, aber ich verdiene es nicht. Wenigstens habe ich Ursache, es mit ihnen zu seyn; aber ganz gewiß sind sie doch noch viel zu nachsichtig gegen mich. Ich überlasse mich zu leicht ihrer Güte, und bin zu bequem, zu nonschalant, ihnen das zu seyn, was ich ihnen seyn könnte und sollte. Ich wüßte ihnen oft manches zu erzählen, oder sonst zu sagen, das ihnen angenehm, interessant, und vielleicht auch nützlich wäre; aber – ich bin zu bequem, zu träge – und wenn ichs ihnen gestehe; so kommen sie mir mit dem allzugütigen Compliment entgegen: Du heißest Müdigkeit – Trägheit – ruhe nur; rede nichts, wir sind zufrieden – bleib nur sonst bey uns[178] wem sollte das nicht schmeicheln? – Aber wen sollte es nicht zugleich aufwecken, ihre Güte mit thätiger Güte zu vergelten; und bin ich nicht im eigentlichen Sinne undankbar und niederträchtig, daß ich mich durch ihre Nachsicht so einschläfern lasse? – Es ist vielleicht ohne Beyspiel, was unsere Freunde und Freundinnen, diesen und den vorigen Monat meiner kranken Frau für Dienste geleistet haben – Ich weiß, sie wollen keinerley Art von Vergeltung, keinen Dank – aber, mit wie leichter Mühe – könnte ich ihnen so manche herzliche Freude mehr machen, als ich wirklich thue? – O verzeihet mir, liebe Seelen ... und wenn ihr einst, nach meinem Tode auch dieses Tagebuch finden, und zu dieser Stelle kommen werdet – so nehmet dieses Bekenntniß meines öftern Kaltsinnes, das ich euch schon oft gethan, und itzt mit vieler Schaam meinem Herzen vor Gott ablege, – weil ihr doch alles, auch das geringste von mir für Etwas anzunehmen gewohnt seyd – auch für Etwas an.

Ich muß noch ein paar Anmerkungen machen.

Ich habe diesen, und so viel ich weiß, den ganzen vorigen Monat, etwa eine Vorrede, oder ein Blättchen ausgenommen, keine Zeile für das Publicum geschrieben ... und ich sehe dennoch so viel angefangene, unvollendete, wie ich glaube, äußerst wichtige Werke vor mir, die ich vor die Hand nehmen sollte. Wenn[179] ich alle Tage nur eine Stunde früher, als gewöhnlich aufstehe; und das würde meiner Gesundheit nicht nur ganz unschädlich, sondern unfehlbar sehr vortheilhaft seyn; denn wirklich schlaf ich noch viel zu lange: So kann ich mit leichter Mühe so vieles nachholen, das mir sonst durch den Kopf kreuzt, mich zerstreut und beunruhigt. Wenn ich nur so viele Festigkeit hätte, dieses ins Werk zu setzen, so bin ich vollkommen überzeugt, daß ich mit jedem Tage ruhiger werden würde, wofern ich nämlich dabey zugleich die Entschlossenheit hätte, – Nichts neues anzufangen, es sey denn, daß ich einen unmittelbaren besondern Beruf dazu erhielte. Begränzen sollte ich mich mehr; nicht ausbreiten; ich könnte treffender, entscheidender – und eben dadurch mehr wirken, je weniger ich zu wirken scheinen würde ... Lieber mein Tagebuch unterlassen, oder nur mit wenigen Worten und Zeichen hingeworfen, als von dem etwas versäumt, was ich nun zu machen und zu vollenden Beruf – oder bereits ein ausdrückliches Versprechen gethan habe. Dahin will ich nicht das Gedicht von der Ewigkeit rechnen: das mag immer unvollendet bleiben – aber was ich für andere bereits übernommen habe; was immer vor meinen Augen liegt; wovon der bloße Gedanke: Es sollte gemacht seyn, und ist nicht gemacht, mich beunruhigt, mich in üble Laune, wenigstens augenblickliche hineinwirft; in eine [180] ähnliche Empfindung stürzt, als den Schuldner überfallen muß, wenn er seines Gläubigers ansichtig wird – das sollte nach und nach vorgenommen, davon wöchentlich etwas abgethan werden.

Zu diesen beunruhigenden Gedanken, die meiner Tugend, meiner Geistesfreyheit, Ruhe, Freudigkeit, Energie so offenbar nachtheilig sind, kommt noch die Unordnung in meinen Briefschaften und Manuscripten; die ich nun aber ohne weitern Aufschub, so gut wie möglich aufzuheben, und durch eine beßre Einrichtung fürs künftige zu verhüten suchen werde. Wenn ich nur mit dieser weitläuftigen, ermüdenden, aber für mich und andere, und insonderheit für mein Herz und meine Tugend äußerst wichtigen Arbeit nicht aussetze, nicht müde werde, bis sie vollendet ist!

In diesem Monate hat sich meine liebe Frau von ihrer gefährlichen und schmerzhaften Krankheit wieder vollkommen erholet – und auch die Beschwerde an meiner Backe, die mir bald peinlich genug hätte werden können, hat sich gänzlich verloren; ich preise dich auch dafür besonders, allsegnender Vater – und danke dir noch mehr, als für diese Errettung – für die sanfte Zufriedenheit, womit du am Ende des vorigen, und am Anfange des gegenwärtigen Jahres unter einigen schweren Prüfungen, mein Herz erfülltest – wirklich schien es mir, daß ich zu jeder Resignation bereit[181] gewesen sey. Nicht stolz war ich deswegen; aber eine stille Freudenzähre entfloß mir, da ich so stark an dich glaubte – daß ich keinen Willen mehr hatte, als den deinigen.

Dieser Monat ist mir besonders durch den Tod meiner Mutter wichtig. Einen Menschen sterben zu sehen – wer, als ein Leichtsinniger, kann hierbey gleichgültig seyn? und wenn dieser Mensch unter allen Menschen auf dem Erdboden der war, mit dem wir im allergenausten Verhältnisse stehen, der mit vielen guten und liebenswürdigen Eigenschaften, so viele Menschlichkeiten auch mit unterlaufen seyn mögen, noch das verbindet, daß er uns – zum Theil sein eignes Leben mitgetheilt hat – was für einen tiefen Eindruck sollte sein Hinschied auf uns machen! ... Ich habe ein zartes, empfindliches Herz – und dennoch ist mir der Tod meiner Mutter, die eine so vorzügliche Liebe zu mir hatte, nicht sehr tief zu Herzen gegangen. Ich suchte mich zwar damit zu beruhigen, daß die großen Beschwerden, und die fast unerträglichen Schmerzen, von denen sie durch ihren Tod erlöset worden, die Ursache meiner mir selbst so überlästigen Kaltsinnigkeit seyn; allein, wenn ich auch gleich dieses in Anschlag bringen will; so hätte ich mich dennoch bey einem solchen – in seiner Art ganz einzigen Vorfalle, mehr dem Nachdenken überlassen sollen! Mehr das Gute übersehen, und mir vorzählen sollen, daß mir die väterliche [182] Güte Gottes durch sie mehr als 30 Jahre lang schenkte. Ich hätte ihre unläugbar guten Eigenschaften und ihre Verdienste um uns, deren Andenken doch so oft in mir aufstieg, mehr hervorziehen, und den Meinigen anpreisen sollen; das hätte, ohne Schaden für irgend ein anderes nützliches Geschäffte, oft und leicht genug geschehen können. Ich überließ mich zu sehr der wollüstigen Ruhe, die aus der Freyheit von den drückenden Gedanken an ihre Leiden, die mir oft auch mehr nur Empfindlichkeit und bloße Nervenleidsamkeit, als wahre Zärtlichkeit zu seyn scheinen wollten – entsprang. Vielleicht wirkte auch die stille Ahndung mehrerer Freyheit mit. Kurz, mein Ich war auch in diesem Falle noch zu lebendig 1[183] Ich bin mir noch zu sehr Absicht, Ziel, Augenmerk, Mittelpunkt. Und das ist doch einmal unwidersprechlich die Hauptquelle aller meiner Unruhe. Je weniger ich in mir lebe; desto mehr leben andre, lebt [184] die Liebe, lebt die Gottheit in mir ... dieses sage ich nicht andern nach. Ich habe es erfahren. Ich weiß es, so gewiß ich weiß, daß ich gesunder bin, wenn ich nicht zu viel esse, als wenn ich unmäßig bin .....

Diese stillen Betrachtungen, Vater der Wahrheit – o möchten sie mich dir und meiner völligen Freyheit von der Sünde, die mir um und um anliegt, näher bringen! – Möchte ich mehr auf dich, und weniger auf Menschen sehen – mehr hören und weniger reden; mehr lernen und weniger lehren! mehr glauben, um mehr zu lieben – Amen.

Fußnoten

1 Hüte dich, christlicher Leser, das, was der Verfasser hier und bey andern Gelegenheiten von dem allzugroßen Einflusse sagt, den die Rücksicht auf ihn selbst in seine Empfindungen und Handlungen habe, zu mißbrauchen oder falsch zu verstehen. Lerne Selbstliebe und Eigenliebe wohl von einander unterscheiden, und verdamme nicht jene zugleich mit dieser. So strafbar diese ist, so unschuldig ist jene. Von meinem Ich oder von mir selbst habe ich die unmittelbarste klarste Empfindung: alle übrige Dinge, die außer mir find, sind mir fast nicht anders bekannt als in so weit sie in gewissen Verhältnissen gegen mich stehen. Welch eine unnatürliche, und welch eine vergebliche Bemühung würde es denn nicht seyn, wenn ich mich selbst gleichsam vergessen oder nach dem Ausdrucke einiger sogenannten Mystiker mein Ich tödten wollte? Nein, auch die heiligste Moral kann und darf mit unsern natürlichen Empfindungen und Neigungen nicht streiten: sie soll dieselben nur gehörig einschränken und ihnen die beste Richtung geben. Wir können nicht immer unmittelbar und mit Absicht gemeinnützig denken und handeln; aber wir können niemals an unsrer eigenen wahren Vollkommenheit und Glückseligkeit arbeiten, ohne zugleich dadurch die Vollkom menheit und Glückseligkeit anderer mittelbarer weise zu befördern. Bloß für sich und in sich, und bloß für andere und in andern leben und glücklich seyn wollen, sind beydes Abwege, vor welchen wir uns hüten müssen: jenes ist niederträchtige Eigenliebe, dieses ist unmögliche und unnatürliche Uneigennützigkeit. Der Tugendweg liegt auch hier in der Mitte. Anmerk. des Herausgebers.

Den 4. Februar 1773
An N ....
Den 4. Februar 1773.

Mein theurer Freund! wenn ich an einen Freund glaube, so calculiere ich nicht mehr – so glaube ich.. Er sey nicht N.., ich nicht L.. sondern er Mensch, ich Mensch; voll Geistes Gottes er, voll desselben Geistes ich – ich bitte nicht, danke nicht, entschuldige nicht, verzeihe nicht ... untersuche nicht, glaube nur an ihn, wie an mich, mehr noch als an mich ... und nun, mein Bruder, lassen Sie mich sagen, daß ich Ihnen in vielem Recht geben muß. Die Aussichten als Buch mögen nützen, aber als Rathserholungen sehr wenig; [185] doch genug, daß sie mir Sie um einige hundert Schritte näher gebracht haben. –

Ich habe noch nichts – – geschrieben; sondern nur gelernt, daß ich nichts weiß, und ein Thor bin – und doch fahre ich fort zu schreiben, was Gottes Fürsehung und mein Herz mich schreiben heißen, weil Gott mein Schreiben segnet.

Ein Augenblick des freyen Anschauens, des einsamen, stillen Anschauens beym stillen Schauer der Mitternachtsbegeisterung, der Kleid, und Form und Namen versengt – Schwachheiten, Thorheiten versengt, nur den Menschen weckt – und mit Menschen zusammenschmilzt – den erwarte, den erglaube ich – und ich bin selig genug. Von dem rede ich nicht – der ist nicht Brief; nicht Dinte und Papier – nichts zum mittheilen –

An meinem Gedichte .... noch kein Wort, als eine Skitze zu einem simpeln Anfang in Jamben. Ueberhaupt ist das Schreiben fürs Publicum mir viel weniger, als es scheinen muß.

Zwanzigmal freue ich mich meines Ewigseyns, meiner Gottähnlichkeit, meiner Mitunsterblichen, ohne an mein Gedicht zu denken. Auch ekelt mir oft vor allem Aufschreiben. Am besten ists, wenn ich ohne vorher zu denken, so von ungefehr im Schreiben an Freunde propiorem Deum merke und fortschreibe .....

[186]
Den 8. Februar 1773
Den 8. Februar 1773.

An Ss .... Einmal muß ich doch auch wieder ein Wort reden – wann werdet Ihr Augen haben zu sehen, und Ohren zu hören, daß Ihr die Feinde des Herrn lästern machet? Aber, es wird umsonst seyn, weil Ihr nicht lernen, sondern lehren wollt; – o du himmlischer, evangelischer Kindersinn, wann wirst du den unerbittlichen, eisernen Eigensinn dieser gesetzlichen Seelen verschlingen! – O du göttliche Menschenliebe, du eigentlicher Stral der Herrlichkeit Christi, wann wirst du leuchten aus ihrem Auge! O meinwortreicher Freund, wortreich andere zu belehren, und die, so Euch aus Gottes Wort belehren wollen, zu übertäuben und abzutreiben. – Wann wird die Bitte eines Menschen, dessen Arbeit an Euch von Gott gesegnet gewesen, ich sage die Bitte (denn Beschwörungen ohne Gründe und ohne Wunder sind Zauberformeln einer aufgeblasenen Eigenliebe und eines den schrecklichsten Demüthigungen entgegen rasenden Stolzes) wann wird die Bitte eines ehemaligen Bruders sich auch nur eine Viertelstunde des ruhigen Anhörens von Euch erflehen können –

Leset die Geschichte dieses großen Beters, und lasset mich Euch sagen: wenn das am grünen Holze geschiehet, was wird dem dürren geschehen – –

[187]
Den 22. Februar 1773
Den 22. Februar 1773.
1.
Herr! Gott! dich loben wir!
Das Herz fliegt auf zu dir!
Du Erster! Letzter! Einziger!
Du bist, wie du ist keiner mehr!
Auf alles, was lebendig ist,
Ergießest du durch Jesum Christ
Des Lebens Odem! Alles schwebt
In dir, der ewig, ewig lebt!
Du bist, du bist allein!
Du warst! wirst seyn!
Es werden ewig dein
Sich alle Wesen freu'n!
2.
Der Engel unzählbare Schaar
Bringt dir des Lobes Jubel dar!
Propheten und Apostel steh'n
Um deinen Thron, dich zu erhöh'n!
Der Herr, der Herr ist namenlos:
Singt, wer für dich sein Blut vergoß!
Aus allen Nationen nah'n
Erlößte dir sich, beten an!
Auch stammelt in dein Vater Ohr
Dein Volk dir Preis vom Staub empor!
Wo ist ein Volk, das von dir hört,
Das, Unsichtbarer, dich nicht ehrt!
[188] 3.
Des Unsichtbaren Abglanz bist,
Du bist sein Tempel Jesus Christ!
Du kamst mit Gottes Huld und Macht
Mit seinem Licht in unsre Nacht!
Du Sohn der Liebe! Liebe kamst
Vom Himmel, aller Himmel, nahmst,
Daß wir vertraulich zu dir nahn,
Die Staub-Gestalt des Menschen an!
Barmherzigkeit war jeder Schritt!
Du littest, was kein Sünder litt!
Du starbst! unsterblich eiltest du
Verklärt der Rechten Gottes zu!
Und alles war dir unterthan,
Dich beteten die Himmel an!
4.
Und nun mit eines Bruders Blick
Schaust du noch auf die Welt zurück,
Die deines Blutes Ströme trank,
Und hörst von tausend Zungen Dank!
Ja! Schau, schau unverwandt herab!
Vom Thron des Vaters auf dein Grab!
5.
Es schmachtet unser Herz nach dir!
Voll deines Preises, Herr, sind wir;
In deiner, deiner Hand nur steht,
Steht Tod und Leben! Alles geht
[189]
Nach deinem Winke nur! Bewahr
Uns vor Versuchung! vor Gefahr!
Verlaß uns, unsre Zuversicht,
Im Leben und im Tode nicht;
Freytags den 26. Februar 1773
Freytags den 26. Februar 1773.

Endlich muß ich doch wieder ans Tagebuch. Diesen ganzen Monat habe ich, einige Copien von Briefen ausgenommen, noch nichts aufgezeichnet, und dennoch hatte ich einige so wichtige Auftritte, die für mich sehr lehrreich waren, und deren Beschreibung vielleicht einst meinen Freunden, oder meinen Kindern lehrreich werden könnte. Es ist augenscheinlich, ach, es ist ein Beweis der unaussprechlichen Vaterliebe und Zärtlichkeit Gottes für mich, daß er mich so gewaltig von aller religiosen Schwärmerey zurückzieht. – Ehrgeiz, lebhafte Einbildungskraft, und ein gutes empfindsames Herz, – diese drey Dinge zusammen, wie leicht reissen sie uns zur Schwärmerey fort! – Wie oft rissen sie mich nahe an diesen schrecklichen Abgrund, aus welchem keine menschliche Hand mehr erretten kann! Aber von früher Jugend an arbeitete die göttliche Fürsehung durch Freunde und Feinde daran – mich von diesem Abgrunde [190] zurückzuziehen. – Die unüberwindliche Neigung zum deutlichen Denken, die Gott immer mehr in mir stärkte und segnete; die vielen Beschäfftigungen; einige nur meinen Freunden noch zu rechter Zeit bekannt gewordene religiose Mißtritte und fromme Ausschweifungen; – und vornehmlich die Fehler anderer, die mir Gottes Fürsehung nahe vor die Augen brachte, und das beständige Lesen der Schrift, die, ungeachtet sie unaufhörlich von außerordentlichen und wunderbaren Begebenheiten, Begeisterungen, göttlichen Offenbarungen redet, dennoch das wirksamste Gegengift gegen die Schwärmerey ist, weil sie allemal handgreifliche Beweise von der Offenbarung und der gegenwärtigen Gottheit giebt, die sie dem Glauben der Menschen darstellt – durch dieses alles verwahrte mich mein guter, väterlicher Gott vor dieser Pestilenz der Seele.

Der gegenwärtige Monat insonderheit war vorzüglich fruchtbar an solchen Aeßerungen der Fürsehung, – vielleicht auch deswegen, damit ich mich übte, solche Menschen, die große Tugenden mit großer Schwärmerey vereinigten, nicht mit stolzem Lachen anzusehen, sondern mit demüthigem, bescheidnem Mitleiden – als einer, der Barmherzigkeit erlanget hat.

Einer der edelsten, gelehrtesten, frömmsten Männer schickte mir diesen Monat ein gedrucktes furchtbares Denkmal der Schwärmerey, [191] bey dessen Lesung ich einmal über das andere ausrufen mußte: Herr Jesu! Herr Jesu! So viel Wahres, göttlich Wahres, – schrecklich übel angewandt, und mit der unerträglichsten Eitelkeit vermischt. – Zu gleicher Zeit erhielt ich auf ein warnendes Billiet, das ich einem recht erhabnen Schwärmer mit dem gedruckten Werke des erstern sandte, eine Antwort, – die so fürchterlich dreist, so richterlich, so ganz vom Geiste der Demuth, Sanftmuth und Liebe Christi entfernt war, daß ich – nicht wegen der Vorwürfe, die mir gemacht wurden, sondern wegen der schrecklichen Unbrüderlichkeit, womit sie mir gemacht wurden, in Erstaunen und Betrübniß gerieth. Ich drang auf eine Unterredung und sanfte Untersuchung. Man ließ mich rufen. Ich gieng hin. Ich war in der Verfassung, alles anzunehmen; anzuhören, recht zu geben, wo ich immer konnte. – Allein, so wenig ich die mindeste Unredlichkeit vermuthen durfte; so sehr ich den Eifer für Gott und die Tugend, den ich wahrnahm, so sehr ich die Beredsamkeit und den Zufluß von biblischen Stellen und Beyspielen, bewundern mußte; so sehr ich mich dadurch erniedrigt und beschämt fühlte, so war dennoch in dem ganzen Discurs so wenig Licht und Bestimmtheit, so wenig wahrer biblischer Geschmack; so wenig wahre Erleuchtung, so wenig Menschlichkeit; so viele Verworrenheit und Widersprüche; so viele unbeantwortliche [192] Ungereimtheiten, daß ich mich einiger heftiger Ausdrücke nicht enthalten konnte; mitSchwärmerey und Verworrenheit tapfer um mich herwarf – so daß man nöthig fand, abzubrechen, und mit dem Versprechen aus einander zu gehen, für einander zu beten. Vergessen aber muß ichs nicht, hier anzumerken, daß Herr F – bey aller seiner billigen Achtung für Ss. und bey aller Zuneigung seines Herzens zu den Seinigen, ein Muster und Beyspiel einer ungewöhnlichen Redlichkeit, Bescheidenheit und richtigen Beurtheilungskraft abgegeben hat. Wirklich lernte ich von ihm vieles. Es ist wahr, ich darf es mir nicht verhalten, der Sieg, den ich zwar nicht erhielt, aber den ich dennoch zu verdienen glaubte; die Billigkeit dieses kaltblütigern, weisen, bescheidnern Freundes, der mir einige male wider seine nähern Freunde recht gab, wenigstens ihnen deutlich genug sagte, daß sie mir auf meine klaren Fragen keine klare Antwort gäben – und die Hoffnung, wenigstens so viel ausgerichtet zu haben, daß dieser weisere Freund nun alle aufsehenmachende Ausschweifungen der schwärmerischen Denkungsart seiner Freunde, denen sie mir so nahe zu seyn schienen, verhüten würde – und dann auch die Vorstellung von der Zufriedenheit, der Billigung, dem Lobe, die ich nun von den wenigen vertrauten Freunden, denen ich diese ganze Scene umständlich zu erzählen [193] gesonnen war, gewiß erwarten konnte – schmeichelten mir im Rückwege und einige male nachher, und veranlaßten eine – zwar bald wieder verdrängte – aber dennoch merkliche Aufblähung in mir. Bey allem dem demüthigte mich doch die ganze Geschichte noch weit mehr; nicht nur deswegen, weil ich vielleicht selbst vor einigen Jahren durch unbestimmte Sätze und zu viele Hitze wenigstens zu einigen Funken dieses Uebels die Veranlassung gewesen seyn mag, sondern auch deswegen, weil so manche Vorwürfe, die sie mir machten, gegründet waren. Dieses alles erweckte in mir neue Entschlüsse, Gott mit Einfalt und Demuth zu suchen, und dem Beten und Wachen mehr obzuliegen.

Gerade wenige Tage nach dieser für mich in mancher Absicht äußerst wichtigen Begebenheit erhielt ich von meinem Freunde H – ein großes Stück seiner Lebensgeschichte. Es ist nicht zu sagen, wie vortrefflich dieses Stück war. Hundertmal hätte ich den redlichen, den gesunden, den verfolgten, den irrenden, den zurückkehrenden Mann küssen mögen. O wenn doch alle Menschen so ihr Leben beschrieben – und es dann herausgäben – das wäre Vergnügen und Belehrung. Auch diese Geschichte war sehr lehrreich und warnend in Ansehung der religiösen Schwärmerey.

Eben diesen Morgen, da ich im Begriffe war, diese Bemerkungen niederzuschreiben, erhielt [194] hielt ich einen Brief von Herrn Pfarrer Meyer von Pfungen, sammt einigen Beylagen von Herrn B. von S. über das Tanzen und die Schaubühne. Herr M. siehet diese Stücke als Beweise an, daß Herr von S. am Gemüthe krank sey. Der liebe redliche Mann! wie redliche und verständige Leute dieselben Sachen doch so gar ungleich ansehen können! – Ich muß gestehen, ich, der ich den Augenblick vorher in mein Tagebuch hingeschrieben habe, daß ich den Verfasser dieser Schriften für einen Schwärmer halte – würde gerade durch das Lesen derselben, wenn sie mir zuerst in die Hände gefallen wären, geneigt gemacht worden seyn, die zwar auch redlichen Männer, die ihn widerlegen, für Schwärmer, und ihn S. für einen vernünftigen Mann zu halten. Wirklich sahe ich diesen Zufall als einen Wink der Fürsehung an, von diesem Manne mit der äußersten Bescheidenheit und Sorgfalt zu urtheilen. So viel Vernunft, solche Stärke im Räsonnement hätte ich ihm wirklich nicht zugetraut. Ich schrieb an Herr Meyer: »Was werden Sie, redlicher Mann, von mir denken, wenn ich Ihnen sage, daß ich zwar allerdings den Herrn von S. für einen Erzschwärmer, aber diese Schriften bis auf wenige Ausdrücke oder Zeilen für sehr vernünftig halte, und als das Gegentheil der Schwärmerey ansehe. Nach diesen Stücke zu urtheilen, (wiewohl mir weder der Ton, der [195] darinn herrscht, noch die Publication derselben in dieser Form ganz gefallen will) ist Herr von S. ein sehr vernünftiger räsonnirender Mann. Aber sehen Sie ja zu, daß er es nicht erfahre, daß ich ihm dieses Lob beylege, sonst lesen wir in der nächsten Broschüre, die der liebe krankmüthige Mann herausgeben wird – ›Herr Lavater – (und gewiß kriege ich irgend ein ruhmvolles Epithet) giebt mir in einem Briefe an einen seiner Freunde das Lob eines sehr vernünftigen, räson nirenden Mannes. Ein Mann aber, der vernünftig ist und rässonirt kann kein Schwärmer seyn. Schwärmerey und Räsonnement widersprechen sich geradezu; also bin ich, nach dem Zeugnisse des Herrn L. kein Schwärmer« – Denn im Ernste, der »gute Mann kann das geringste Lob nicht ertragen. Die ganze Welt muß es ihm tragen helfen, und gewiß hätte ich, in meinem letzten Schreiben an ihn, mehr Gutes von ihm sagen können, und hätte es ihm gesagt; wenn ich nicht hätte besorgen müssen, daß er es sogleich drucken lassen, und als ein Argumentumex concessis inimici brauchen würde.

Was nun die Sache selbst, das Tanzen und dieSchaubühne betrifft, so wird wohl kein Vernünftiger daran zweifeln, daß an sich beydes unschuldig sey; und daß beydes sehr nützlich seyn könnte; ob aber die gegenwärtige [196] Beschaffenheit der Bühne es nicht gewissermaßen nothwendig mache, daß man – aber nur mit sanfter Weisheit – oder vielmehr – durch bessere Anstalten dagegen eifere, das wird wohl keine Frage seyn. Inzwischen ist es schlimm, von diesen Dingen öffentlich zu reden. Ist man mit noch so vielen Einschränkungen und Behutsamkeiten dafür, so schreyt der Pöbel, so schreyen alle Freunde der Andacht, alle Nichtkenner der Unschuld: Seht! dieser fromme Mann, dieser Geistliche vertheidigt die Comödie, diese Schule des Teufels – und was noch schlimmer ist; die allermeisten Menschen setzen sich mit dem größten Leichtsinn über alle Behutsamkeiten, alle Einschränkungen, die man beyfügt, hinweg, und citiren uns vor dem Publicum, aber citiren uns falsch, und ohne dasjenige merken zu lassen, was wir zur Abwendung alles Mißverständnisses und Mißbrauches sagen. – Ist man darwider, und eifert man noch so behutsam, mit noch so vielen Gründen, nicht wider die Sache an sich, sondern nur wider die gegenwärtige Beschaffenheit der Bühne, wider den Schaden, deritzt beynahe unausweichlich mit der Bühne, und mit dem Tanzen verbunden ist, so sind die witzigen Lustigmacher unsers jovialischen Zeitalters gleich fertig, so fort ihr beissendes Anathema über uns auszusprechen, und mit der stolzen Miene der Gesundheit [197] uns als Kränkler zu taxiren. Und diese allgemeinen Toleranzprediger verfahren nicht nur auf die intoleranteste Weise mit uns; sondern verhören uns nicht einmal« etc. etc.

Ich las Nachmittags die Intercession auprès des Souverains en faveur du Clergé – mit ausnehmendem Vergnügen. Wie viel gesunde Vernunft hat ein Verfasser, der bisweilen handelt, als ob er alle gesunde Vernunft mit Füßen träte.

Die Lehre von der Sanftmuth, die ich heute im Waisenhause zu erklären und anzudringen hatte, schien heute einigen Einfluß auf mein Gemüthe zu haben. Es fiel mir einige male recht leicht, die ersten Regungen des Zornes zu unterdrücken. Ich hatte Reizungen dazu im Zuchthause, aber ich hielt vollkommen an mich. Es gelang mir ziemlich, einem neuen Züchtlinge mit einiger Kraft zuzureden. Ich traf vor dem Mittagsessen Herrn P. an, der eben zu mir kommen wollte, wegen einer schwermüthigen Person mit mir zu reden, die sich »fürchten soll« zu mir zu kommen. Sie war wirklich in 8 Tagen zweymal zu mir gekommen. Ich sagte ihr alles, was ich sagen konnte, aber kurz. Lange kann ich mich nicht verweilen; und die guten lieben Leute vergessen es immer, daß wir wenig Zeit haben, wenn sie gleich viele haben. Nun, das ist ihnen sehr leicht zu verzeihen. Aber – eine gewisse religiöse Weichlichkeit, ein träges [198] bangsüchtiges Aufsichselbersitzen, verbunden mit Abneigung vor Belehrung und Arbeit; ein unaufhörliches Sehnen, sein Herz auszuleeren, und eine vollkommene Unaufmerksamkeit auf alles, was man ihnen zum Troste, zur Ermunterung, zur Warnung sagt; eine sich selbst verdeckende Unzufriedenheit mit jedem noch so wohlgemeynten und noch so guten Rathe, den man ihnen giebt; – diese Art von Schwermuth – die gar nicht selten ist, und wovon mir beynahe alle Wochen Beyspiele vorkommen – ist freylich verwickelt und widrig genug, um meinem Blicke und meinem Tone eine Form zu geben, die der Eigenliebe nicht ganz gefällt, und leicht jemand sagen lassen kann: Ich furchte mich! Ich durfte mich nicht herauslassen! Doch kann ich aufrichtig sagen, daß wenn ich auch so was an mir beobachte, ich es weit weniger merken lasse, als ich es wirklich empfinde oder zu empfinden glaube.

Ich schrieb noch ein Briefchen an den redlichen Herrn G. in Schafh. »Je mehr Sie sich die Mannichfaltigkeit und Größe der göttlichen Gutthaten vergegenwärtigen: je mehr Sie sich die große Grundwahrheit der Religion, ich möchte bald sagen: die einzige Wahrheit Gott ist die Liebe, lebendig zu machen suchen; je mehr Sie selber Ihre Schwachheiten, Ihre Sünden als Dinge ansehen, die, so sehr sie an sich Verachtung [199] verdienen, dennoch von dem Gott, der lauter Liebe ist, und alles in seiner Hand hat, sogleich zum Segen für Sie und andre gemacht werden, 1 so bald sie sich derselben [200] schämen – und mit dieser Schaam die Zuversicht auf Christi Macht und Güte verbinden; kurz: je mehr Sie Muth haben, desto leichter wird es Ihnen seyn, tugendhaft zu werden. Ohne diesen Glauben, diese frohe Erhebung der Seele zu Gott, dieses zutrauensvolle Hinblicken auf Jesum, das sichtbare Ebenbild der wesentlichen Güte – dieses ruhige Einsenken in Gottes Liebe – ist kein wahres Leben der Tugend möglich.«

Ich schrieb bis nach 4 Uhr des Nachmittags (einige male von

+ encnichg erng si unterbrochen) am Tagebuche. – – – Ich trug mein kränkelndes Kind etwa eine Viertelstunde auf dem Arme, recht stolz darauf, daß es immer bey mir bleiben, und auf keinen andern Arm wollte. Nachher gieng ich zum Reechberg. Wir lasen vom 1. bis zum 6. Capitel an die Römer. Ich erklärte die schwersten Stellen, die durch die Undeutlichkeit unserer Uebersetzung noch viel dunkler geworden. Um 7 Uhr kam ich nach Hause. – Die Freundinn, die ich noch bey meiner Frau anzutreffen hoffte, war weg; das beunruhigte mich ein paar Augenblicke; so gleich verlor sich die Unruhe, da mir meine Frau sagte, daß ihnen so wohl bey einander gewesen wäre. Ich schickte [201] auf die Post mit einiger Ungeduld nach Briefen aus Deutschland. Ich erhielt ein Briefchen und Gedichtchen von Ströhlin. P. kam. Wir sprachen vom Herrn von S. – und ich weiß nicht mehr von wie vielen andern Dingen. Wenigstens auch davon, daß ich es nicht mehr ausstehen könne, daß ich meinen Freunden, die mich so herzlich lieben, so gar wenig sey, und daß ich mich in dieser Absicht oft als einen Betrüger ansehe .... Man rief mich zum Nachtessen. – Ich las einige Briefe von D. Wir sprachen von bevorstehenden Revolutionen in der politischen Welt; lasen im 2. Buche der Könige das 11. und 12. Capitel. Mit einiger Ungeduld blickte ich auf meine etwas schlummernde Frau, und drückte ihr liebreich die Hand. Ich las ihr nachher eine Stelle aus der Auferstehung der Gerechten, und ein Lied aus Klopstock vor. Wir giengen um 10 Uhr zu Bette. ( 8. Etwa noch eine Viertelstunde wachte ich, ziemlich mit dem heutigen Tage zufrieden – wiewohl noch unendlich von einem auch nur mittelmäßigen Ideale eines christlichen Menschen zurück ....

Fußnoten

1 Denen, die Gott lieben, muß freylich alles zum Besten dienen, nämlich, alle, selbst die widrigsten und unangenehmsten Schicksale, die sie treffen; aber auf die Sünden, die sie begehen, läßt sich dieses wohl nicht schlechterdings anwenden. Die Sünde ist und bleibt immer ein wahres und das größte Uebel; sie ist uns immer schädlich; sie schwächet immer unsre Vollkommenheit und Glückseligkeit, und gemeiniglich leiden auch andere Menschen mehr oder weniger darunter, wenn sie gleich Gott durch seine Vorsehung zur Beförderung guter Absichten zu gebrauchen weiß. Hüte dich also, christlicher Leser, deine Schwachheiten und Sünden darum für geringer zu halten, oder dich weniger davor in Acht zu nehmen, weil Gott aus diesem Gifte eine heilsame Arzney für dich und andere bereiten kann. Du würdest in diesem Falle die Ermunterung des Verfassers zu einem frohen und getrosten Christenthume sehr mißbrauchen. Er will nur, daß du deine Zeit nicht mit einer ängstlichen, unfruchtbaren Reue verschwenden, sondern sie unverzüglich zu einem vorsichtigern und bessern Verhalten anwenden, und dabey die Erfüllung der uns durch Jesum gegebnen göttlichen Verheißungen zuversichtlich erwarten sollst. Anmerk. des Herausg.

Sonnabend der 27. Februar 1773
Sonnabend der 27. Februar 1773.

Ich erwachte um 6 Uhr, lag mit müder und schwerer Brust noch bis um 7 Uhr unter mancherley guten Gedanken, Empfindungen und stillen Seufzern im Bette. Insonderheit giengen mir die Waisenkinder und die meinigen durch den Kopf. Ich stund um 7 Uhr ruhig auf, und da ich beym Anblicke der verschiedenen Geschäffte, die ich heute vornehmen und abthun sollte, in Unruhe und verdrüßliche Laune kommen wollte, setzte ich mich gleich hin, ein Verzeichniß von allem zu machen, und dann eins nach dem andern mit möglichster Ruhe zu besorgen. Ein Mittel, das mir schon oft zur Besänftigung und Aufheiterung gedient hatte. Ich fieng also ganz gelassen bey der Durchsicht eines Predigtbogens an; schrieb an Herrn Brenner in Basel einen ziemlich weitläuftigen Brief über ein Büchelchen, Weg zum Heil. Das Facit meines Urtheils war: »So wenig ich mir ein gutes Arzneybuch, oder eine gute Anweisung zur Gesundheit gedenken kann, worinn kein Wort von der Gesundheit steht, oder, worinn die Gesundheit nicht als der Hauptzweck zum Grunde gelegt wird, so wenig kann ich das Buch ein seinem Zwecke nach gutes Buch heißen, das als ein Weg um Heil angesehen [203] sehen seyn will, und von der Liebe, als der wahren einzigen Gesundheit und Seligkeit des Menschen, nicht immer, als von der Hauptsache redet, so viel Gutes es sonst auch neben ein enthalten möchte.«

Frau Z. kam mit einem Aufsatze von ihrem Manne, der beweisen sollte, daß Paulus in der Epistel an die Hebräer auf römische Gebräuche anspiele. Ich las ihn, weil sie da war, sogleich durch, um nichts aufzuhäufen. Alles kam mir äußerst gezwungen, und – am Ende – wenn er auch recht hätte – äußerst unwichtig vor. Ich schrieb ihm dieses in einem Billiet, – und empfand die Nothwendigkeit, auf eine andre Beschäfftigung für den redlichen, und sonst verständigen und gelehrten Mann bedacht zu seyn, weil ich wohl sahe, daß er sich sonst von seiner Meynung nicht würde abbringen lassen. Nachher schrieb ich noch ein Billiet an Herrn Ströhlin; ein Briefchen an Hasencamp, »daß ich die Recension seiner Oratiuncula in den Frankfurter Anzeigen für eine Satyre auf den Recensenten ansehe, und es für den Hauptfehler dieser sonst feinen und gelehrten Kunstrichter halte, daß sie sich nicht die Mühe nehmen sich in die Gesichtspunkte der Verfasser zu setzen.« –

Eine arme Frau von W. kam – sich von mir in der Religion unterrichten zu lassen; »sie wollte ein anderes Leben führen.« – – O Gott, wie wenig bin ich noch der Mensch, [204] der mit Kraft und Licht jeden – auch den schwächsten soll zu dir führen! Allemal erschrecke ich, ungeachtet ich mich allemal freuen sollte, so oft ich solche Personen vor mir sehe ... Ich redete indessen so gut mit ihr als ich konnte, und mir däuchte, daß sie doch wenigstens etwas davon verstanden und aufgefaßt hatte. Noch eine andere Frau kam, dem Scheine nach, in ähnlichen Absichten; – ich machte noch mein Tagebuch, und so war der ganze Morgen ordentlich und ruhig vorbey gegangen. – Ueber dem Mittagsessen sprachen wir von Münzsachen; – von dem vielen Unglücke und Leiden eines unserer Freunde. – Ich nahm weniger Antheil daran, als ich hätte thun sollen, und konnte mir doch die Ursache davon gar nicht angeben. Ob das viele Elend, die mannichfaltige Noth, davon ich täglich hören muß, mich vielleicht gewissermaßen abhärtet, oder weniger empfindlich macht? Ich bin mir wenigstens in dem gegenwärtigen Falle nicht der mindesten weder mittelbaren noch unmittelbaren Leidenschaft bewußt. –

Ich berichtigte noch eine Summe Geldes im Namen meines Vaters für Arme, zog mich an, um dem Anlaufe zu entgehen, ward aber noch bis um 3 Uhr aufgehalten. Ich gieng in Schh. las ein paar Briefe auf Pf. Pult; er gab mir ein Billiet von einem verständigen Manne zu lesen, die Schrift von S. betreffend. »Ich ließ mich durch einige vorgegangne [205] Erzählungen – und durch die vorangeschriebne Anmerkung unsers lieben Herrn D.L. in das übereilte Vorurtheil hinreißen: dieser Mann müsse ein completer Fanatiker seyn; allein, da ich den ganzen Traktat, wiewohl mit eilenden Augen, durchlesen, so muß ich gestehen, daß ich mich verpflichtet halte, mein Urtheil zurück zu nehmen, ihn dem Herrn, und dessen allein guten und getreuen Führung und Bewahrung vor Abwegen – – innigst zu empfehlen, und indessen in Gedult abzuwarten, was es mit dieser seiner außerordentlichen Führung ferner für einen Fort- und Ausgang nehmen werde.« Ich trage dieses Billiet zu meiner Belehrung hier ein. Wirklich bin ich noch zu voreilig im Urtheilen, wiewohl ich mich täglich befleißige und übe, es immer weniger zu seyn. Innigst freute mich diese sanfte brüderliche Art zu urtheilen – und es freute mich, daß es mich freute, ungeachtet ich mich schon so entscheidend über diesen Mann herausgelassen hatte.

Man sprach von den bevorstehenden Kriegsrevolutionen. Ich fühlte mich dadurch aufs neue erweckt, es im Ernst mit Gott zu halten, hauptsächlich auch in Rücksicht auf so manche leidende und bedrängte Brüder. – Nun konnte ich ganz einsam und ruhig an meiner Predigt über die Verantwortung der Apostel vor dem hohen Rathe zu Jerusalem (Geschichtb. V, 17-42.) fortschreiben. Es gieng mir leicht [206] und fließend .... NB. NB.!! +e h

⊙ ethi g⊙n + z ittern + iethet e ic hgD ettl iche⊙⊙ srn⊙ng enan. – Ich hatte den Husten stark ... auch dieses war mir Erinnerung und Warnung!

Unter dem Schreiben an der Predigt fielen mir folgende Zeilen bey, die ich sogleich aufschrieb:


Bist du nicht besser, Gott, als ich;
So kann ich dich nicht lieben!
Und bist du besser, Gott, als ich,
Wie sehr mußt du mich lieben!

Um 7 Uhr gieng ich bey sanftem Mond- und Sternenscheine über den Graben heim. Süße Schauer von der Majestät des Unendlichen zitterten durch mich – aber eine Kleinigkeit, die ignes minores des Horaz, die mir beym Anblicke der Sterne beyfielen, entführten mich einige Augenblicke in critische Gegenden. – Ich war aber bald wieder bey mir. Als ich nach Hause kam, blieb ich eine Weile bey meinem Vater – schrieb noch an der Predigt. Ueber dem Nachtessen vom Kriege. Wir lasen im 2. Buche der Könige das 10. Kapitel. Eindruck machte auf mich die Stelle: Doch hielt Jehu nicht, daß er von seinem ganzen Herzen im Gesetz des Gottes Israels wandelte. Ueberhaupt gefällt mir das zweydeutige, falsche, doppelseitige in dem Charakter dieses Mannes gar nicht. Welch ein Gemische von Herrschsucht, und Falschheit, und[207] Gottesfurcht und Religionseifer. Ach! Herr! Läutere, vereinfache mich immer mehr; daß alle meine Gedanken und Wünsche und Handlungen immer mehr aufEines, auf die reine Liebe deiner in allen Menschen, deiner in Jesu Christo zielen.

Als wir auf unsere Stube kamen, hörten wir unsern Kleinen laut schreyen. Wir giengen in die Kammer. Er war halb im Schlafe, und wußte nicht, warum er schrie. »Es ist der leibhaftige Vater!« sagte meine Frau. Dieses habe ich schon manchmal bemerkt, gezittert schon manchmal bey dem Gedanken – »wenn er so schrecklich viel von Träumen leiden muß, wie ich – und wenn er an die ungeheuern Abgründe von Zweifeln kommen muß, an die ich gekommen bin – O Herr Jesu, was wird er leiden müssen! Aber! Gott hat mir bis hieher so unaussprechlich väterlich geholfen! – Wird er nicht auch meines Sohnes Gott seyn, wie er mein Gott war –? –«

[208]
Sonntag den 28. Februar 1773
Sonntag den 28. Februar 1773.

Eine entsetzliche Nacht. So klar, wie möglich, träumte es mir, daß ich enthauptet werden sollte. Schon war ich gebunden. Ein Rückblick auf meine Kinder zerschmelzte mich in Thränen – und der Tod – der Tod selbst stürzte mich in entsetzliche Furcht – ich kniete nieder, und flehte zu Gott – und erwachte – halb todt sank ich in die Arme meiner Frau – und dachte nur dem Tode nach – Sterben werde ich – dieser Gedanke wurde mir so klar – daß ich Gott für diese Erweckung dankte. Ich schlief wieder ein, und hatte noch einen zermalmendern Traum, den ich aber nicht mehr weiß – doch am Morgen erwachte ich ziemlich ruhig, aber sehr ermattet. Ich seufzte, dachte nach, stund erst um 7 Uhr auf, vollendete die Predigt; gieng des Hustens halber nicht in die Kirche; – – – und las die beyden Briefe an den Timotheus.

Folgende Stellen und Ausdrücke zeichne ich mir itzt aus.

Jesus Christus – unsere Hoffnung! –

Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen, ungegleichsnetem Glauben.

Das Gesetz ist dem Gerechten nicht gegeben.

[209] Das Evangelium von der Herrlichkeit des seligen Gottes.

Wenn jemand seinem eignen Hause nicht weiß vorzustehen, wie wird er für die ganze Gemeine Gottes sorgen?

Das Geheimniß des Glaubens in einem reinen Gewissen bewahren.

Alles Geschöpfe Gottes ist gut, und nichts verwerflich, so es mit Danksagung empfangen wird.

Der lebendige Gott ist ein Heiland aller Menschen, besonders der Gläubigen.

Sey ein Vorbild der Gläubigen in der Lehre, im Wandel, in der Liebe, im Geist, im Glauben, in der Keuschheit.

Halt an mit Lesen.

Vernachläßige nicht die Gabe, die in dir ist, – damit dein Zunehmen jedermann offenbar werde.

Habe Acht auf dich selbst, – – so wirst du dich selber, und die, so dich hören, selig machen.

Wer in Wollüsten lebt, der ist lebendig todt.

Mache dich fremder Sünden nicht theilhaftig.

Bewahre dich selber rein.

Du o Mann Gottes, – jage nach der Gerechtigkeit, der Gottseligkeit, dem Glauben, der Liebe, der Geduld, der Sanftmuth – kämpfe den guten [210] Kampf des Glaubens! Ergreife das ewige Leben!

Behalte dieses Gebot ohne Flecken, unsträflich bis auf die Erscheinung unsers Herrn Jesu Christi! –

Sich für die Zukunft einen guten Schatz sammeln.

Verheißung des Lebens, das wir in Christo Jesu haben.

Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft, und der Liebe, und der Selbstbeherrschung.

Die vertraute Beylage (nämlich die apostolische Lehre, I. Bf. 6, 20. II. Bf. 1, 12. 13. 14.) durch den heiligen Geist bewahren.

Leide dich als ein guter Streiter Jesu Christi.

Niemand, der streitet, verwickelt sich in die Geschäffte dieses Lebens.

Wenn gleich jemand kämpfet, so wird er doch nicht gekrönet, et kämpfe denn recht.

Behalte im Gedächtniß Jesum Christum, der von den Todten auferweckt worden ist.

Ich leide für das Evangelium, bis an die Bande als ein Uebelthäter.

Das Wort Gottes ist nicht gebunden.

Ich dulde alles um der Auserwählten willen, damit auch sie die Seligkeit [211] erlangen, die da ist in Christo Jesu, mit ewiger Herrlichkeit.

Das ist eine gewisse Wahrheit, wenn wir mit ihm sterben, so werden wir auch mit ihm leben.

Dulden wir, so werden wir auch mit regieren.

Verläugnen wir, so wird er uns auch verläug nen.

So wir nicht trauen, so bleibet er doch treu; er kann sich selber nicht verläugnen.

Befleißige dich, daß du dich Gott bewährt darstellest, einen Arbeiter, der sich nicht schämen müsse, der das Wort der Wahrheit richtig vortrage.

Der Herr kennet, die sein sind.

Den Herrn aus reinem Herzen anrufen.

Ein Knecht des Herrn soll nicht zanken, sondern gegen jedermann freundlich seyn, geschickt zu lehren, und die Bösen zu vertragen.

Von dem Satan gefangen seyn, seinen Willen zu thun.

Einen Schein der Gottseligkeit haben, und derselbigen Kraft verläugnen.

Immerdar lernen, und nimmer zur Erkenntniß der Wahrheit kommen mögen.

Der Wahrheit widerstehen.

Alle die gottselig in Christo Jesu leben wollen, die werden verfolget werden.

[212] Der Mensch Gottes soll zu allem guten Werke vollkommen geschikt seyn.

Wache in allem! Leide Ungemach! Thue die Pflicht eines Evangelisten! Thue deinem Amt völlig genug.

Die Erscheinung Jesu Christi lieb haben.

Der Herr wird mich von allem bösen Werk erlösen, und wird mich zu seinem himmlischen Reich erhalten.

O Jesus Christus sey mit meinem Geist. Amen.

Nach dem Nachtessen schrieb ich noch den Brief an H. zu Ende. »Versichern darf ich Ihnen, daß ich bey dem Andenken an alles Gute, das ich thue – und ich darf sagen, daß kein Tag ist, wo mich die gute Fürsehung Gottes leer ausgehen läßt – im allermindesten nicht aufgeblasen werde. Ja, mich demüthigt nichts mehr, als das Gute, dessen Vollziehung mir Gott anvertraut. Nichts ermuntert mich mehr, fortzufahren, und nicht auszusetzen, als das Andenken an das, was ich bereits gethan habe. Vergleichung mit andern, kann mich, ich bezeuge es vor Gott, so viel ich mir bewußt bin, in Absicht auf mein moralisch Gutes im mindsten nicht stolz machen; weil ich durch beständige Beobachtung meiner selbst, die mir gleichsam zur Natur geworden ist, täglich so viele Schwächen, Blößen, Wunden, sieche Seiten meines [213] Herzens wahrnehme, daß ich rasend seyn müßte, wenn ich stolz werden könnte. Je mehr ich Gutes thue, desto leichter wird mir die Demuth. Nicht so demüthig aber bin ich, in Absicht auf meine Talente. Vergleiche ich mich mit den größten Geistern unsers Jahrhunderts, so empfinde ich zwar einen ungeheuern Abstand. Ich verkrieche mich vor ihnen. Vergleiche ich mich aber mit denen Menschen, mit denen ich am öftersten umgehe, so bin ich bisweilen thöricht genug, einige Augenblicke mich den Zauberphantasien der Eitelkeit Preis zu geben. Aber, da ich täglich erfahre, daß die schwächsten Köpfe in manchen Stücken weiser denken, als ich; daß Jahr aus und ein kein Mensch mit mir umgeht, von dem ich nicht lerne; da ich weiß, daß mein ganzes Bischen Wissenschaft und Erkennen offenbar nichts, als eine erbettelte Collecte ist; da ich tief empfinde, wie schwer ich lerne; da ich so oft meine eigene Seichtigkeit und Schwäche vor Ekel kaum ertragen kann, so darf ich Ihnen auch aufrichtig gestehen, daß auch diese Art des Stolzes nie zu einer herrschenden Gesinnung bey mir werden kann – nie mehr als höchstens wöchentlich ein paar Minuten mich anwandelt .....

Wenn ich mich je entschließen sollte, etwas von meinem Tagebuche herauszugeben, wozu ich, leider! von allen Seiten aufgefordert werde, so will ich gewiß aufrichtig seyn, [214] meiner nicht schonen; und kein Vernünftiger soll mir den Vorwurf machen, daß ich nur meine guten Thaten ausposaune.«

Einige Anmerkungen.

Vielleicht wäre diese Zwischenzeit, in welcher ich theils aus Nachläßigkeit, theils aus andern Ursachen kein Tagebuch machen konnte, weit wichtiger und bezeichnenswürdiger gewesen, als alle übrige Tage und Zeiten dieses Jahres. Ich würde vielleicht dem Verdachte Gelegenheit geben, mit Fleiß von diesen Tagen einige unterdrückt zu haben, wenn es jemand wüßte, daß ich nichts darüber aufgezeichnet. Allein, Gott weiß, daß es nicht in der Absicht geschah, die Fehler mir selber oder meinen Freunden zu verhehlen, die mir vielleicht zur Last gelegt worden sind. Im Gegentheil wäre ich so gewiß als ich es von etwas in der Welt seyn kann, daß für mich und meine Vertheidigung nichts besser seyn könnte, als das ganze Inwendige meiner Handelnsart in einigen befremdenden Fällen einem unpartheyischen Auge vorzulegen, wiewohl ich mich gern bescheiden würde, einige Uebereilungen einzugestehen. Allein, wirklich bin ich des Vertheidigens meiner selber herzlich müde. Meine Freunde kennen mich. Ich habe in den Punkten, die ich itzt vor dem Auge habe, das ruhigste Gewissen, [215] das alle Augenblicke jedem, der Rechenschaft von mir fordert, zur Verantwortung bereit ist – und die Welt würde dieses Tagebuch doch nicht sehen. Es sind einige Briefe von mir, Gott weiß, ohne meine Schuld und wider alle meine Absicht herumgeboten worden – Ich beruhige mich mit meinem Glauben an die Fürsehung und vergab es denen, die Ursache dieser Herumbietung waren. Man urtheilte erbärmlich; – ich schwieg – und erzählte nur wenigen Freunden den wahren Verlauf der Sache. Sie erstaunten über die geheimen Bestimmungsgründe, die ich ihnen entdeckte. Aber die sollte das Publicum nicht wissen; lieber will ich mich verurtheilen lassen, als niederträchtig handeln, um mich zu vertheidigen.

Uebrigens will ichs auch nicht verhehlen, daß ich noch nicht vorsichtig genug, und noch zu vertraulich gegen manche bin, denen ich zu viel Redlichkeit, Verschwiegenheit, Klugheit zutraute. Wenn ich Briefe schreibe, vergesse ich die Welt, ziele auf den Verstand und das Herz dessen, an den ich schreibe; dessen Brief ich vor mir habe. Er, und nicht das Publikum, begeistert mich. Er hat mich gefragt; ich antworte. Er hat mich genöthigt, ihm etwas zu sagen, das ihm vortheilhaft und niemanden schädlich ist, wenn nur Er und ich den Brief sehen. Bietet Er, oder ein anderer den Brief herum, so kann ich für nichts stehen.[216] Das Publicum hat nicht die Augen dessen, an den ich schreibe; das Allerschicklichste kann ihm unschicklich, das Treffendste abgeschmackt vorkommen. – – Und das Publicum hört nur den Einen an – und der Andre findet keine Audienz mehr – Das weiß ich, und in so fern ich auch dieses als Fürsehung ansehen kann, bin ich ruhig, danke Gott, daß ich es bin, und schreibe mit großen Buchstaben in mein Tagebuch:Ich kann wohl warten.

Sonnabends den 13. März 1773
An N ....
Sonnabends den 13. März 1773.

Einige Stellen meines Lebens, mein theurester! – oder meines Charakters.

Von meiner frühsten Jugend an bis auf itzt geht Gott Einen Weg mit mir. Ich war immer schwach und kühn, thöricht und glücklich, kindisch – und stark – sanft und hitzig – beydes allemal in einem ausgezeichnetem Grade – äußerst zärtlich gieng Gott mit mir um. Meine größten Fehler wußte immer nur ich, wußten nur wenige Freunde – mein Gutes zog Gott immer ans Licht, wie sehr ichs auch verbergen wollte. Meine geheimsten Wünsche erfüllte er – wenn ich nicht mehr daran gedachte. Warum ich aus Bedürfniß, warum ich mit leiser kühner Kindlichkeit [217] bat, das gab er mir. – Sie können kaum glauben, wie kühn ich im Beten war – ehe ich Theorie hatte – mit dem Zunehmen der Theorie – nahm die stille hohe herzerhebende Erfahrung ab. 1 Der Geist verrauchte. – [218] Ich wollte ihn aus Erkenntniß suchen, – aber er hat kein Ohr, als für die stille einfältige, warme Empfindung. Es war eine Zeit, wo ich diesen Schatz bloß in meiner Brust trug – mich – allmächtig – Fühlte – ergriff, was ich wollte – mich aus jeder Noth emporhob – in jeder Dunkelheit mit edelm Heldenstolz und schweigendem Glauben dem nahen Lichte, wovon ich doch keinen Funken sahe, entgegentriumphirte – Ach! – kaum ein Herzensfreund, kaum mein seliger Heß vernahm in den Stunden des süßesten Zitterns der Unsterblichkeit in der Brust – am dunkeln Abende etwas von dem großen Geheimnisse des Glaubens, 2 und dann schlug mir mein Herz schon ...

[219] Doch ... noch lange, lange – verwahrte ichs in meinem Herzen, und betete den Vater großer Ahndungen mit mancher süßer Thräne an – – ward wieder leichtsinnig, vergaß Gotttes und meines Berufes, und des Namens, den niemand kennt, als wer ihn empfängt.

aus Leidenschaft und Zweifeley – Dann kam die Noth – nahe Noth – Labyrinthe ohne Auswege umgaben mich – da war nichts als – Abgrund – – – aber ich versank nicht.

Ich rufte den Herrn an, und er antwortete mir, und rettete mich aus aller meiner Noth –.

Fußnoten

1 Erfahrungen von dieser Art, die keine Theorie, d.i. keine richtige und bestimmte Begriffe von der menschlichen Natur und der Wirkungsart unsers Geistes zum Grunde haben, sind allemal betrüglich. Sie können uns viel Freude gewähren, aber sie können uns auch auf gefährliche Abwege verleiten, und jene Freude hält doch die Prüfung nicht allemal aus. Je mehr wir uns bloß an starke, lebhafte Empfindungen halten, desto mehr hängt unser Gemüthszustand und unser sittliches Verhalten von der jedesmaligen Beschaffenheit unsers Körpers, und von äußern zufälligen Dingen ab, und desto mehr Abwechselungen ist unsre Tugend und unsre Glückseligkeit unterworfen. Je mehr wir uns hingegen daran gewöhnen, nach deutlichen Einsichten und richtigen Grundsätzen zu handeln, desto fester und sicherer werden wir auf dem Wege der christlichen Rechtschaffenheit fortgehen, und desto mehr Heiterkeit und Gemüthsruhe wird uns auf unserm Wege begleiten. Herr Spalding hat in seinem vortrefflichen Buche von dem Werthe der Gefühle im Christenthum diese Sache in ein helles Licht gesetzt. Anm. des Herausg.

2 Daß größte Geheimniß, oder vielmehr der stärkste Beweis des Glaubens an Gott besteht wohl darinn, daß ich nicht daran zweifle, daß mir Gott, als der weiseste und liebreichste Vater, alles schenken werde, was mir nach meinen jedesmaligen Fähigkeiten und Umständen nützlich und heilsam ist, in so weit solches mit der von ihm festgesetzten Ordnung der Dinge, mit dem Besten seiner übrigen Kinder, und mit dem uns unbekannten, aber gewiß unverbesserlichen Entwurfe seiner Regierung bestehen kann. Wenn ich dieses fest glaube, und mir dann alle Schickungen Gottes gefallen lasse, sollte ich da nicht meiner Schwachheit und Abhängigkeit von ihm weit gemäßer handeln, als wenn ich mich erkühne, ihm gleichsam vorzuschreiben, wie er mich und andere regieren, was er in diesem oder jenem einzelnen Falle thun soll? Kenne ich doch weder mich selbst noch andere, weder das Gegenwärtige noch das Zukünftige so, wie ich dieses alles kennen müßte, wenn ich auf eine unbedingte Weise gewisse bestimmte geistliche oder leibliche Vortheile und Güter für mich oder andere schlechterdings von Gott verlangen sollte! Anmerk. des Herausg.

Den 19. März 1773
An Frau S.E.G.

den 19. März 1773.


Meine liebe Frau G.


Eben wollte ich die beyliegenden Predigten mit einer einzigen Zeile begleiten, und bat die Jungfer M. für mich zu schreiben.

Nun erhalt ich Ihren werthen Brief an Sie und mich. Ich werde also wohl zu einigen Zeilen mehr Zeit herauspressen müssen; denn die Verschickung der Predigten mit der Meßgelegenheit – nimmt mir jeden erschwingbaren Augenblick.

Nehmen Sie also doch meine Kürze für nichts anders auf, als Nothwendigkeit.

Ich bin in allen Absichten arm – dieses müssen mir alle meine Freunde und Freundinnen glauben. Ich habe zu viele, die an meinen Reichthum glauben – und darum bin ich arm –

Lassen Sie, wenn ich auch gleich ganz außer Stand bin, Ihnen nach meinem besten Willen, Unterstützung in Ihrer dringenden Noth zu verschaffen – den Muth nicht sinken. Gott ist nicht an mich gebunden. Je weniger wir sehen, desto gediegner, probhaltiger, hellreiner wird unser Glaube.

Ich lege die begehrten Kleinigkeiten bey; ich habe nun von allen meinen Schriften, einige wenige brochures ausgenommen, kein [221] Exemplar mehr, als meines. Ich habe schon seit langer Zeit sehr heftig, doch nicht so oft wie sonst, meinen trocknen Husten. Meine Geschäffte häufen sich immer, doch hat mir Gott seit einiger Zeit einen Gehülfen gesendet, den ich freylich schwerlich lange werde behalten können.

Gottes väterliche Gnade leuchte Ihnen aus dem Angesichte Jesu Christi entgegen. 1

Ich empfehle mich Ihrer Liebe und Fürbitte. Meine Frau grüßt Sie herzlich. Ich bin mit brüderlicher Liebe,


Ihr ergebenster Lavater.

Fußnoten

1 Hiermit wünschet der Verfasser seiner Freundinn, daß sie aus dem, was uns Jesus im Evangelio von seinem himmlischen Vater gelehret, und aus dem, was er nach dem Willen desselben zum Besten der Menschen gethan hat, die gütigen und liebreichen Gesinnungen Gottes gegen uns immer besser möge kennen lernen. Anmerkung des Herausgebers.

Den 20. März 1773
Den 20. März 1773.

Meine liebe Frau Docterinn!


Kein Wort wußte ich davon, daß sie krank wären. Ach! warum ließen Sie mir keinen Wink davon geben? Nun – Gott sey Lob, daß es sich bessert!

Gottes lebendigmachende Kraft werde von einem Tage zum andern an Ihrem äußern und innern Menschen offenbarer. Ich bin auch nicht vollkommen gesund ... Der Husten plagt mich stark. Das beste ist, daß wir alle in den besten Händen stehen. Vielleicht meine Freundinn, seufzen Sie gerne bisweilen:


Du, du bist des Schwachen Stärke!
Du ein Licht in jeder Nacht!
Du, den sich zum Augenmerke
Meine Seele täglich macht!
Du – du tausendmal genannter!
Unaussprechlich unbekannter!
Unempfundner, tiefverschmähter!
Angebeteter Erhöhter!
Dich, du Einziger und Bester!
Dich Erbarmer, Helfer, Tröster!
Dich, du Gottes hellster Glanz
Dich verlangt die Seele ganz!
Dir du Liebe nachzulieben
Sey das Ziel von allen Trieben!
Bis ich liebe, wie du liebst,
[223]
Fröhlich gebe, wie du giebst,
Bis ich, wie du littest, leide,
Kenn' ich keine rechte Freude!

Gottes Gnade sey mit Ihnen. – Ich bin –
Den 20. März 1773 [1]
An Hasencamp.

Zürich den 20. März 1773.


Den Augenblick lese ich die Bogen, die Christliche Religion, von Oetinger – die ich diesen Augenblick erhalte.

Und was sage ich davon? Freund – ich sage es dir; es ist kaum zu verantworten, daß man solche trockene unpopulare Unverdaulichkeiten für Christliche Religion dem Publicum aufdringt, und es für Märtyrer Schmach ansehen will, wenn man darüber ausgezischt wird. Wen wird er dadurch erbauen und gewinnen? wird er nicht vielmehr schaden, als nützen? Eine christliche Religion – in wenigen Sätzen, wo kein Wort von der Liebe – diesem Einzigen und Alles des Gesetzes und des Propheten, Jesu und der Apostel steht – heiß ich eher eine Lästerung, als eine Empfehlung der Offenbarung – Ich schreibe vor Gott – nicht aus Partheylichkeit, sondern aus Liebe der Wahrheit und deiner.

[224]
Den 20. März 1773 [2]
Den 20. März 1773.

So gewiß es ist, mein Freund, daß der Vater aller Liebe nur lieben kann, so gewiß können Sie sich niemals fälschlich trösten. 1 Wir haben immer noch die Begriffe, – als wenn wir Gott unmittelbar beleidigen könnten, als wenn er durch unsere Rückfälle gekränkt würde, von unsern Kinderjahren her in uns. Das nimmt uns oft unsere Freude, [225] und läßt uns nicht recht zu Gott kommen. Aber auch diese Dunkelheit ist, wenn sie uns auch bis ans Ende umgiebt, dennoch Segen, wiewohl ich jeden Bruder und jede Schwester davon befreyt zu sehen wünschte.

Das alles versteht, wer den Kindersinn hat. In diesem ist unendlich viel begriffen.

Fußnoten

1 Merke wohl, christlicher Leser, daß der Verfasser hier mit einer Person spricht, von deren Rechtschaffenheit er völlig überzeugt war. Eine solche Person kann sich freylich nicht fälschlich trösten; sie darf sich die huldreichste Nachsicht von Gott versprechen. So uns unser Herz nicht verdammet, so haben wir Freudigkeit zu Gott. Wer sich aber die Verheißungen Gottes zueignet, und doch nicht ernstlich und standhaft an der Erfüllung der damit verknüpften Bedingungen arbeitet, der tröstet sich allerdings fälschlich. Er erwartet Vortheile und Seligkeiten, deren er nicht fähig ist. Uebrigens kann Gott freylich im eigentlichen Sinne weder beleidiget noch gekränkt werden, aber wir beleidigen und kränken uns selbst, unsre Gemüthsruhe und unsre Vollkommenheit leiden durch jeden Rückfall in die Sünde. Darum, wer stehet, der sehe wohl zu, daß er nicht falle. Anmerk. des Herausg.

Den 23. März 1773
Den 23. März 1773.
Ach! wie dürstet nach dem Lichte
Gottes mein umnebelt Herz!
Ström' aus Christus Angesichte
Wonnelicht auf meinem Schmerz!
Laß in meinen Finsternissen
Jesu, daß du lebst, mich wissen!
Offenbare deine Macht,
Deine Liebe meinem Herzen!
Sey mir Trost in allen Schmerzen!
Sey ein Licht mir in der Nacht!
[226]
Der 27. März 1773
Der 27. März 1773.

Hier, meine liebe Frau Gr ...., ist ein Zeichelchen meines Lebens und meiner Freundschaft. Ich habe nicht Zeit – und auch meine durch einen beständigen trocknen Husten geschwächte Gesundheit gestattet mir nicht vieles zu schreiben. Seyn sie von mir in dem Herrn herzlich gegrüßt. Denken Sie oft an mich in ihrem Gebete, daß Gottes – des unbekannten Gottes Herrlichkeit an mir und durch mich zur Beschämung des Unglaubens und Stärkung des Glaubens offenbar werde. – O wie unbekannt ist Gott selbst denen, die sich erleuchtet denken. 1

Fußnoten

1 Wir denken Gott freylich nicht so wie er ist; das können wir nicht. Aber wenn wir auf den Unterricht der Vernunft und der Schrift merken, denken wir ihn so, wie er will, daß wir ihn denken sollen; und dieses ist zu unserer Glückseligkeit genug. So wie wir eigentlich kein Ding nach seinem Wesen, sondern bloß nach seinen Verhältnissen gegen uns kennen, so wissen wir auch nicht sowohl, was Gott an und vor sich selbst ist, als vielmehr, was er in Ansehung unser ist. Anmerk. des Herausg.

Den 29 März 1773
Den 29 März 1773.

Ich bin außer Stande, Ihnen viel zu schreiben; Gesundheit und Geschäffte gestatten mirs nicht. Nehmen sie dieses kleine Andenken meiner Freundschaft mit der Ihnen natürlichen Güte an, und lassen Sie mich gelegentlich Ihr belehrendes Urtheil wissen.

Der gegenwärtige Zustand des Christenthums, insonderheit in Deutschland, scheint mir einer großen Revolution entgegen zu eilen. Man geht zu dreiste und zu eigensinnig immer auf den Extremen. Es braucht sehr viel Ehrlichkeit und Weisheit – zu dem evangelischen Christo zu stehen. Es wird bald dazu kommen, daß es heißen wird: – »Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich! ..«

Gottes Wahrheit und Güte sey in uns wirksam. Laßt uns den Unerkannten – außer Jesu Christo unerkennbaren Gott – mit Einfalt suchen; so werden wir seine Herrlichkeit sehen und frohlocken. Amen.

[228]
Charfreytag den 9. April 1773
Paßionslied.
Charfreytag den 9. April 1773.
Wie, großer Dulder, danken wir
Wir Sünder für dein Leiden dir!
Wer giebt für deiner Liebe Schmerz
Empfindung uns in unser Herz?
Wärst du, du unser Mittler nicht;
Wer gäb uns Muth und Zuversicht?
Wer hülf' uns Sterblichen vom Tod,
Den dein Gesetz dem Sünder droht!
Ach! würde deiner Liebe Macht
Von uns mit weisem Ernst bedacht!
Entgegen giengst du mit Geduld
Dem Tode, – rein von jeder Schuld!
Du siehst das menschliche Geschlecht
Von Gott entfernt und ungerecht!
Siehst Tod, wohin dein Auge blickt,
Und fühlst das Elend, das uns drückt,
Und hast umsonst gelehrt! Gethan
Umsonst, was Gottes Kraft nur kann!
Dieß ängstigt deinen edlen Geist,
Der Gott, nur Gott, in allem preißt!
Vor deinem Vater sinkst du hin!
Und flehst – du, dessen Sohn ich bin,
Schau meiner Seele Jammer an,
Den sie, ach kaum ertragen kann!
[229]
Ich weiß, wie viel dir möglich ist!
Ich weiß, daß du allmächtig bist!
Laß, Vater, kann es je geschehn,
Des Leidens Kelch vorüber gehn!
Doch halt' ich dir, anbetend still!
Thu, was du willst, nicht, was ich will!
Kein Trost erleichtert dir den Schmerz!
Zwar willig ist der Jünger Herz!
Du suchst sie, doch, sie schlafen! ach
Das müde Fleisch ist viel zu schwach!
Ein neuer Jammer stürzt auf dich!
Du weinst, und wehklagst – jämmerlich
Liegst du vor Gottes Antlitz da!
Vergiengst, wär nicht ein Engel nah!
Göß er nicht Lindrung deiner Pein,
Nicht Licht in deine Nacht hinein!
Nun stehst du auf, vom Staub, ein Held,
Der sich dem Feind entgegen stellt!
Die Schaar der Häscher rauscht herzu ...:
Wen sucht ihr? Ich bins, rufest du!
Sie stürzen deinem Donnerwort;
Du bleibst – und stehst, – sie wüten fort;
Stehn auf, ermannen sich aufs neu,
Dein Jünger eilt mit Wuth herbey!
Umarmt dich, Dulder, frech und küßt
Dich noch! Sey Meister mir gegrüßt!
[230]
Er sprachs ..... von deiner Feinde Schaar
Umringt beutst du die Hände dar!
Man dringt, man stürmt, als wärest du
Ein Mörder, zürnend auf dich zu!
Man führt dich lärmend und bewacht
Noch vor die Priester in der Nacht;
Verläumdung, Bosheit, wilder Neid
Umwüten dich! die Hölle freut
Sich laut, in Ketten den zu sehn,
Vor dem die Wellen stille stehn.
Doch bist du wer du bist, der Sohn
Jehovens! der einst auf dem Thron
Des allerhöchsten Gottes sitzt!
Auf Wolken donnernd niederblitzt!
Der Erb, der Fürst der ganzen Welt,
Der Todte weckt, Gericht einst hält!
Der großen Wahrheit opferst du
Vergnügen, Ehr, und alle Ruh
Ihr opferst du dein Leben! Ihr
Ihr alles! Tod nur bringt sie dir!
Ein Lästrer Gottes! ruft mit Macht,
Die Priesterschaar, die deiner lacht!
Die Rotte stürmet um dich her!
Des Spotts, der Pein wird immer mehr!
Sie speyn dir in dein Angesicht!
Sie höhnen dich; doch höhnst du nicht!
Dein Jünger selber schämt sich dein.
Verlaßner kann kein Dulder seyn!
[231]
Du schweigst, wie bey der Spötter Spott,
Die Staub sind, hoch im Himmel Gott.
Nun kommt der fürchterlichste Tag
Der je auf Gottes Erde lag!
Ach! frisch gebunden, Gottes Sohn,
Drängt dich der Menschen Wuth und Hohn,
Zum Richtstuhl des Pilatus fort!
Und neue Lügen hörst du dort!
Viel Zeugen zeugen wider dich!
Du schweigst und denkst: Gott kennet mich!
Ein Mörder, ..... Herr und Heil der Welt,
Und Unschuld! wird dir zugesellt.
Du legst vom Reich, das Gott dir gab,
Beherzt das wahre Zeugniß ab!
Von deinem Reiche Jesus Christ,
Das Wahrheit nur, und Leben ist!
Mit unaussprechlich wilder Wuth
Verlangt dein Volk der Unschuld Blut!
Ruft Tod, nur Tod entgegen dir!
Du schweigst! Gott wills! Gott ist mit mir!
Ich harre sein! Im Himmel thront
Mein Gott, der billig straft und lohnt.
Wie fühllos schlägt des Kriegers Hand,
Die, Herr, dich an die Säule band,
Unmenschlich schlägt sie auf dich zu!
Dein Rücken schwillt, doch schweigest du!
[232]
Sie schlägt, und schlägt! Es fließt dein Blut
Es fließt und reizt nur ihre Wuth!
Sie haut erhitzt – o welche Pein
In das zerrißne Fleisch hinein!
Die Engel sehn's, und wenden sich
Voll Wehmuth! weinen über dich!
Dein Rücken! wie ist er zerfetzt!
Zum Hohne wirst du hingesetzt!
Sie legen, weils dich kränken kann,
Dir einen Purpurmantel an
Sie flechten Dornen, ach für dich!
Der freche Haufe sammlet sich
Um dich herum mit neuem Hohn;
Man drückt die scharfe Dornenkron
Auf dein geschwollnes Haupt! du neigst
Dich unterm heißen Schmerz, und schweigst!
Blut quillt die wunden Schläf' herab,
Sie reichen dir den Königsstab
Und rufen höhnisch: Jesus Christ,
Der du der Juden König bist!
Wir wagen uns, zu dir zu nahn.
So spotten Spötter, speyn dich an!
Du aber bleibst in deiner Ruh',
Sie schlagen wider auf dich zu!
Die Augen schwellen weit hervor,
Und seufzen still zu Gott empor!
[233]
Du zitterst todtblaß, Jesus, ach
Wie elend bist du, und wie schwach!
Doch unterstützt in deinem Schmerz
Dich Gott und dein unschuldig Herz!
Dein jammervolles Angesicht
Es wendet sich vom Vater nicht!
Du siehst die Quaal der Ewigkeit
Von der dein Leiden uns befreyt,
Das Heil, das uns dein Gott bestimmt,
Den Himmel, der dich bald aufnimmt.
Drum leidst du unaussprechlich! Bist
Geduld und Langmuth, Jesus Christ,
Harrst aus und leidest Schmach auf Schmach!
Besiegst, o Liebe, Zorn und Rach'!
Machst dessen, der stets Liebe war,
Erbarmen an dir offenbar!
Verherrlichst deinen Gott, und übst
Dich im Gehorsam! Duldest, liebst,
Liebst unermüdlich! – Jede Pein
Die du ertrugst, muß Liebe seyn!
Herr deine Sanftmuth wanket nie!
Im Herzen bittest du für die,
Die dich verfolgen und verschmähn,
Und deine Pein mit Freude sehn:
Du hältst dein tödtendes Gericht
Zurück! schiltst, die dich schelten nicht.
Wenn unsre Feinde laut uns schmähn,
Auf dich, Herr, wollen dann wir sehn!
[234]
Gieb unsern Herzen deine Ruh,
Und lehr uns leiden still wie du!
Ach! du, du bester Menschenfreund,
Der oft bey fremder Noth geweint!
Der nie nach eignem Glück gestrebt!
Für andre nur nicht sich gelebt
Ach! du! auf dem so manchen Tag
Nur seiner Brüder Elend lag;
Du, der so manche lange Nacht
Im Beten für uns durchgewacht;
Der nie gesündigt, nie gefehlt,
Ach, du wirst Mördern zugezählt!
Vom Richterstuhl erschallt es schon,
Dein Todesurtheil, Gottes Sohn!
Das Volk, dem du dich mitgetheilt,
Das Volk, deß Kranke du geheilt.
Das Volk, das du, der Henne gleich,
Versammeln wolltest in dein Reich!
Verwirft dich, schnaubt nach deinem Blut
Mit aufgebrachter Mörderwuth!
Und du, du nimmst den Kreuzesstamm
Und trägst ihn schweigend, wie ein Lamm!
Wer kann, wer kann dich leiden sehn,
Und muß in Wehmuth nicht vergehn!
Dein unaussprechlich großer Schmerz
Erweiche jedes Sünders Herz!
[235]
Wen noch das Laster locken kann,
Seh unterm Kreuze, Herr, dich an!
Seh was dich uns're Missethat
Für Angst und Schmerz gekostet hat!
Fühl' etwas von der Leiden Last,
Die du für uns getragen hast!
Gepriesen seyst du Jesus Christ,
Daß standhaft du geblieben bist.
Daß keine Schmach, kein Hohn, kein Schmerz
Ermüdete dein göttlich Herz!
Kein Herz ist deinem Herzen gleich,
So gut und an Geduld so reich!
Du, der so viel an uns gethan,
Wie beten wir dich würdig an!
Ach nimm die Sünde von uns hin!
Und schenk uns, Jesus, deinen Sinn!
[236]
Den 10. April 1773. Am großen Sabbath unsers schlafenden Erlösers
An H –
Den 10. April 1773. Am großen Sabbath unsers schlafenden Erlösers.

Lieber Bruder! Am Charfreytag Abend erhielt ich deinen Klagebrief, deine Aufforderung zum Gebete für K – – Was meynest du, daß sie für Eindruck auf mich gemacht – Einen anderen, als du vermuthlich erwartest – »Daß seine Fehltritte nicht offenbar werden« – Dieses allein reizte mich zum Gebete. Das andre nicht. – Du hast noch zu viel Heftigkeit, Bruder, und zu wenig ruhigen, einfältigen Kinderglauben. Kinderfurcht vor dem Satan – aber nicht Kinderglauben an Gott. So viel Ehre erweise ich dem Satan nicht, daß ich mich so ängstlich vor ihm gebärde. –

Ueberhaupt habe ich wenig mit diesem überwundnen zertretnen Feinde zu schaffen. 1

[237] – – – – – – Ich kann nicht darum beten, daß K. die Medicin nicht studiere. Studiere er sie immerhin, wenn er Lust dazu hat. Ein guter freyer Mediciner ist weit besser als ein gezwungner Knecht Christi. – Mache dir, Bruder, keine unnöthigen Bedürfnisse, nur, um bitten zu können. Du hast schon genug, – und es wird immer genug geben. Fasse dieses Wort recht. Ich lieber Kürze, wie mein Herr. Bitte doch um nichts so sehr, wie um Weisheit. Diese wird dich dann lehren, warum [238] du bitten und nicht bitten sollst. 2 Glaube – glauben ist mehr als bitten.

Deinen lieben Brief – vom 7–15. Febr. habe ich im Bette erhalten. Denn ich bin nun schon eine Zeitlang krank – und kränker oder vielmehr schwächlicher als jemals. Gerade itzt träuft eine Thräne über die andere aus meinem linken Auge vor Migraine, und habe den Husten [239] stark – und das Schwerste trifft just die heilige Woche, wo ich 6 mal predigen sollte.

Da würdet Ihr, liebe D ........., dem Satan schon wieder viel zu viel Ehre angethan, und ihn mit ins Spiel gemischt haben; so denke ich nicht.

Auch meine Frau ist unpäßlich: – Doch glaubt sie für mich; und ich glaube für sie. Nun, noch ein paar Worte auf deinen Brief:

Ich gleiche nicht dem Jesaias, und O ....... nicht dem Jeremias. Sonst ist die Warnung, keinen einzigen von Oetingers hingeworfnen zum Baue dienlichen Stein ungenützt liegen zu lassen – wohl zu beherzigen. Ich habe zwar eine Sympathie mit Jesaias. Er ist mir der liebste des alten Bundes, – wenn ich David, von dessen Herz man mehr als von seinem Geiste sieht, bisweilen ausnehme. In Absicht auf Erleuchtung sind mir unter den biblischen Verfassern, Jesaias, Paulus, Johannes, beynahe allein recht wichtig.

O ....... Wortverstandsvertheidigung geht augen scheinlich zu weit, und du weißt, wie sehr ich sonst auch dem Wortverstande gewogen bin. Auf einzelne Ausdrücke – ganze Theorien bauen – heißt auf eine Nadelspitze bauen.

[240] Adieu – mein Theurer. Grüße mir deine Frau und deine Kinder, und bleibe ewig mein Bruder und Freund. – 3

Fußnoten

1 Je weniger je besser, christlicher Leser. Sich vor dem Satan fürchten, oder ihm die geringste Macht über die Menschen zuschreiben, gehört mit zu dem, was die Schrift das Reich des Satans oder der Finsterniß nennet, und dadurch versteht sie die Abgötterey, den Aberglauben und die Ruchlosigkeit, die ehemals unter heidnischen Völkern herrschten. Wir sind als Christen aus diesem Reiche der Finsterniß in das Reich des Lichts versetzt. Böse Lüste des Herzens, und böse, verführerische Menschen, das sind unsere Satane, unsre Widersacher, vor denen wir uns hüten müssen. Darauf, und darauf allein, weiset uns auch Jakobus in seinem Briefe Cap. I, v. 13-15. Mein Rath wäre, christlicher Leser, daß du dich um den Satan gar nicht bekümmertest, so wenig als möglich an ihn dächtest, und dich in Ansehung seiner so verhieltest, als ob er gar nicht existirte. So habe ich es, nachdem mich in meiner ersten Jugend kindische Vorurtheile und Einbildungen lange getäuscht und oft geängstiget hatten, seit mehr als zwanzig Jahren gemacht, und befinde mich recht wohl dabey. Anmerk. des Herausg.

2 Sollte uns diese Weisheit nicht auch lehren, daß wir nicht weise genug sind, um solche besondere, bestimmte Dinge auf eine unbedingte Weise von Gott zu verlangen, und ihm gleichsam vorzuschreiben, wie er, der Allein Weise, die Welt regieren soll? Es ist der Herr, er thue, was ihm wohlgefällt: Vater, nicht mein, sondern dein Wille geschehe: Dieß, dünkt mich, ist die Sprache der wahren christlichen Weisheit. Bete Gottes Größe und Herrlichkeit an, christlicher Leser, freue dich dankbar über seine Wohlthaten, beruhige dich in seiner Vorsehung, stärke dich vor ihm in jeder tugendhaften, frommen Gesinnung, und insbesondre in den Gesinnungen der allgemeinen und brüderlichen Liebe, vereinige dich im Geiste vor deinem himmlischen Vater mit allen seinen Kindern, und übergieb dann ihre und deine Schicksale seiner Leitung und Führung, so wird gewiß dein Gebet weise, gottgefällig, und dir und andern heilsam seyn. Anm. des Herausg.

3 Um des Freundes willen, an den dieser Brief geschrieben ist, merke ich an, daß ich verschiedene Stellen desselben weggelassen habe. Den Grund dazu giebt mir der Verfasser selbst an die Hand, wenn er in seinen Anmerkungen zum 28. Febr. sagt: »Das Publikum hat nicht die Augen dessen, an den ich schreibe. Das Allerschicklichste kann ihm unschicklich, das Treffendeste abgeschmackt vorkommen.« Anm. des Herausg.

Den 10. April 1773. Am großen Ruhetage Christi
An K ....
Den 10. April 1773. Am großen Ruhetage Christi.

Hören Sie, mein schwacher Bruder, einen schwachen Bruder einige Augenblicke an, weil ich nur einige Augenblicke habe, mit Ihnen zu reden. Unter allen Sünden ist keine Sünde so tief vergiftet, wie der Unglaube.

Unglaube ist die Sünde aller Sünden; ist das Territorium des Satans – Frommscheinender Unglaube, Unglaube der falschen Demuth – gehört zu den feinsten Stratagemen des Feindes Gottes und der Wahrheit.

Ich bitte Sie, so sehr ich Sie bitten kann – nicht muthlos zu seyn.

Gott ist sich immer gleich, wenn wir es auch nicht sind. Er liebet immer, wenn wir auch nicht lieben. 1 Der, der in uns ist, ist grösser, denn der, so in der Welt ist.

[242] Widerstehen Sie dem Satan, und er wird fliehen. Dreiste mit wenig Schriftworten, die ihm durch die schwarze Seele gehen. 2 Bleiben Sie in dem Berufe, zu dem Sie von Gott berufen sind. Sonst bereuten Sie es! Sind Sie gefallen ... Gott ist mächtig, Sie aufzurichten.

[243] Wems verleydet tausendmal aufzustehen, wenn er tausendmal gefallen ist, der verfehlt sein Ziel – aus Unglauben! Der, der 70 mal 7 mal in Einem Tage vergeben heißt – wird wenigstens auch so vielmal in Einem Jahre vergeben können. Gott wird ihre Fehltritte verborgen halten. 3 Glauben Sie es nur schlechtweg und dreiste. Ich rede aus vielfältiger Erfahrung.

Fangen Sie mit neuem Mute an; so wird Gott mitneuem Seegen zu Ihnen zurückkommen.

Vergessen Sie dessen, was hinter Ihnen ist – und sorgen Sie nicht für den folgenden Tag.

Die Gnade des Herrn Jesu Christi sey mit Ihnen.

Fußnoten

1 Ganz richtig. Aber Gott steht und beurtheilet uns doch jedesmal so, wie wir wirklich sind, und je aufrichtiger und wirksamer unsre Liebe gegen ihn ist, desto fähiger sind wir seiner Liebe, seines Wohlgefallens und seines Segens. Er kann den Sünder nicht für unschuldig, den Schwachen nicht für stark, den Wankelmüthigen nicht für standhaft, Fehler nicht für Vollkommenheiten ansehen. Je größer die Liebe und Nachsicht deines Gottes ist, redlicher Christ, desto freudiger und geschäfftiger müsse auch dein Bestreben seyn, stets das zu thun, was ihm wohlgefällt. Anmerk. des Herausg.

2 Der Verfasser will wohl damit nichts anders sagen, als daß wir die bösen Gedanken und Begierden, die in uns entstehen, sogleich verwerfen und unterdrücken, und durch fromme, christliche Gedanken verdrängen sollen. Denn die Schrift sagt doch nirgends, daß der Satan so um und neben uns sey, daß er uns hören, und durch das, was wir zu ihm sagen, in die Flucht getrieben werden könne. Das würde ja voraussetzen, daß er allgegenwärtig wäre, da so viele und so weit von einander entfernte Menschen zu gleicher Zeit zum Bösen versucht und gereizt werden. Das, was Petrus I Br. V, v. 8. sagt, kann sehr wohl von einem damals lebenden Menschen, der ein heftiger Widersacher und listiger Verläumder der Christen war, verstanden werden. Anm. des Herausg.

3 Ja, er wird es thun, wenn es seiner Weisheit gemäß ist, und zur Beförderung seiner uns unbekannten Absichten dienet. Sonst läßt er auch wohl die Sünden und Fehler mancher rechtschaffenen Menschen zu ihrer eigenen Demüthigung und zur Warnung anderer ans Licht kommen. Gott hat uns hierüber keine besondere Verheissungen gegeben. Sollten wir es uns denn wohl schlechterdings und ohne Einschränkung versprechen dürfen? Anmerk. des Herausg.

Den 10. April 1773
An L ....
Den 10. April 1773.

Ach! du Liebe, Liebe – wie bin ich so unthäthig gegen dich – so unfreundlich?

Aber du weißt meine Situation. Meine Gesundheit kommt allmählich wieder.

Morgen werde ich, geliebts Gott! wie am hohen Donnerstage, predigen.

Ich wünsche, dir nützlicher zu seyn – aber – ich kanns nicht. Ich werde zu sehr geliebt.

Oft bin ich, dünkt mirs, nahe an einem großen Ziele – aber viel öfter sehr nahe am schrecklichsten Abgrunde.

Doch glaube ich mehr, als ich sagen darf, daß ich glaube – wenn Ihr Lieben gleich immer zu viel von mir glaubet.

Ihr glaubet überhaupt zu viel von mir, und zu wenig von Gott.

Nun – doch auch ein Wörtchen –

Jesus Christus werde durch den Glauben, daß er lebe, in dir lebendig – und mit ihm Gottes Kraft, Weisheit und Güte.

Grüße mir wen du willst, und so viel du willst, mit der vollen Benedeyung des Evangeliums.


Am großen Ruhetage Christi. [245]

Den 15. April 1773
An Herrn S – in L.
Den 15. April 1773.

Es ist in Ihrem ganzen lehrreichen Briefe nichts, wovon Sie hätten befürchten sollen, daß ich darüber zürnen könnte, als das Wort: »wenn Sie ja darüber zürnen sollten!« .. Aber auch dieß will ich unangezürnt vor mir lassen vorüber gehn. Ach mein Lieber! die Liebe läßt sich nicht erbittern. Sie schreiben aus redlichem Herzen, mit liebenswürdiger Einfalt – und selbst das Feuer, das ich zu bemerken glaube, ist edel, und in ihrer Lage liebenswürdig.

Ob ich nun Ihr Porträt weniger wünschen werde? .... argwöhnischer guter Mann – verzeihen Sie. Sie sind ein guter Mensch – wie Sie es auch immer geworden seyn mögen – Sie lieben Christum herzlich, was nun immer für Vorstellungsarten die erwecklichsten für Sie seyn mögen – – Sollte ich Sie denn verachten, oder nicht für gut, nicht für einen Freund Christi halten? – Vortrefflich wars (und diese Erinnerung soll mir gerade itzt auch in Absicht auf Sie vorleuchten) was Ihr Bruder, Herr Frank vonMontmirall, da meiner gedacht wurde, einer Bruderversammlung sagte: ... »Brüder, erinnert euch des Worts des Heilands, da ihm gesagt ward, daß einer, der ihm nicht mit den Aposteln [246] nachfolgte – in seinem Namen Teufel austrieb – wehret es ihm nicht; denn es ist wohl niemand, der eine That in meinem Namen thut, der von mir übel reden wird. Wer nicht wider uns ist, der ist für uns.« – Warum sollte ich Sie nun verachten, da ich weiß, daß Sie einem andern Systeme folgen, als dem meinigen – oder, daß Sie sich vielleicht nur anders ausdrücken, als – ich.

Ob ich, mein lieber Herr S., die Liebe habe, die ich vorgebe; ob ich – wie ich von so vielen angesehen werde, zu den stolzen Klüglern, den herzlosen Systemmachern gehöre, die so entsetzlich viel Unheil in der Religion, welche nichts als Glaube und Liebe ist, stiften; – ob ich ohne Erfahrung räsonnire; ob ich auf eigne Verdienste stolz sey; – ob ich mich anders, als den verdammnißwürdigsten Sünder ansehe; ob ich etwas suche, als Gottes Gnade in Christo; ob ich mir meine Gebrechen, aus Furcht meiner Eigenliebe den tödtlichsten Stoß zu geben, zu verhehlen bemüht sey; – lieber Hr. S. – über dieses alles will ich nichts sagen, Gott entscheiden lassen, und ruhig warten, bis er entscheidet.

Es ist wahr, wir drücken uns über das, was wir an unserm lieben Herrn haben, sehr verschieden aus. Es ist wahr, Ihre Vorstellungsarten sind mir an sich so unerträglich, als Ihnen die meinigen sind; allein – was wollen wir uns darüber zanken? Wir [247] wollen jeder so gut er kann – den großen Erbarmer lieben – lieben ists doch allein, was wir uns zum Zwecke setzen, – und einander nicht scheel ansehen, wenn jeder von uns – durch eigne, richtig geglaubte Vorstellungen zu dieser Liebe gekommen ist.

Setzen Sie den Fall, mein Lieber, wir beyde kämen zugleich in gleiche Lebensgefahr – und ein großmüthiger Mann eilte auf uns zu, stürzte sich z.E. in Flammen, um uns denselben zu entreissen, risse uns wirklich heraus, und büßte darüber sein Leben ein – Wir wüßten also nicht Worte genug zu finden, die Großmuth unsers Erretters zu rühmen; wir würden uns beyde beeifern, es für unsere größte Freude zu halten, seinen hinterlaßnen Kindern alle ersinnliche Liebe zu erweisen, – zwischen Ihnen und mir aber wäre nur der Unterschied, daß sie diesen Erretter einen Büßer, einen Genugthuer für uns – nennten, – ich mich lieber solcher Ausdrücke bediente, die mir deutlicher, natürlicher, erwecklicher, richtiger schienen: z.E. diesem Mann allein habe ich mein Leben zu danken; ach! er ist das Opfer für mich geworden! Sein Tod war mein Leben! u.s.f. Würde es denn nicht ins Lächerliche fallen, wenn Sie deswegen, weil ich mich dieser natürlichen Ausdrücke mit der herzlichsten Dankbarkeit bediente, mich undankbar, stolz, klügelnd, [248] nennten, mich deswegen in dem Verdachte der Lieblosigkeit hätten?

Ich rede thöricht in ihren Ohren, aber die Freyheit, die mir Gott und sein Licht geben, die vergebe ich mir nicht, die lasse ich mir durch nichts rauben. Demuth und Glaubensgewißheit können neben einander so gut bestehen, als Licht und Feuer.

Aber gemeiniglich trennt der Mensch, was Gott zusammengefügt wissen will.

Einseitigkeit ist wohl der allergemeinste Fehler aller, die nicht das ganze Evangelium mit kindlicher Wahrheitsliebe annehmen.

Eine Hauptanmerkung, die ich Ihnen vorlegen möchte, und die mir insonderheit auch für Sie von der äussersten Wichtigkeit zu seyn scheint, ist diese:


Die allerbesten, edelsten, göttlichsten Empfindungen, die durch gewisse Begriffe und Vorstellungsarten veranlaßt werden, sind kein Beweis, daß diese Begriffe und Vorstellungsarten richtig sind.


Möchten Sie sich die Mühe geben, diesen Gedanken zu prüfen – welch ein Licht müßte Ihnen aufgehen!

Es giebt gewiß viele Catholiken, die bey dem Glauben an die Brodverwandlung die unaussprechlichsten, süßesten Empfindungen haben – so wie es gewiß auch Reformirte giebt, die bey ihrer Vorstellungsart – die allerdankbarsten, [249] reinsten göttlichsten Empfindungen haben.

Beyde Vorstellungsarten können nicht zugleich richtig seyn. – Also muß es möglich seyn, daß auch eine falsche Vorstellungsart in einem guten Herzen, gute, schöne, göttliche Empfindungen erwecken kann, und daß der Schluß sehr unrichtig ist: Ich habe sehr viel Erbauung von meiner Vorstellungsart; sie veranlaßt und verursacht göttliche Empfindungen: hiermit ist sie selbst richtig und göttlich.

Setzen Sie sich mit Ihrem guten, schönen und edeln Herzen an die Stelle eines empfindsamen Catholiken! Wie würden Sie alsdann an mich schreiben? – Ohne Zweifel so: »O mein lieber Herr L. werden sie doch ein Kind! glauben Sie doch einfältig! Die Lehre von der Brodverwandlung giebt freylich der Vernunft den tödtlichsten Stoß! Glauben Sie, so werden Sie erfahren; es ist unaussprechlich, was ich beym unmittelbaren mündlichen Genusse dieses allerheiligsten Leichnams erfahre? wie ich in überirdischen Empfindungen zerschmelze; wie ich von diesem gottmenschlichen Blute verschlungen werde? wie es sich an meiner Seele, als wesentlicher Gottesleib und leibliches Gottesblut legitimirt! Wenn Sie das wüßten; wenn Sie Redlichkeit und Einfalt hätten, das erfahren zu wollen; – wie unerträglich würde Ihnen die Vernunft seyn, die Ihnen [250] sagt: Brod ist Brod, und Wein ist Wein.« Lieber Herr S ..... würden Sie nicht vermuthlich also mit mir reden? Nun – soll ich denn deswegen, weil ich Ihren frommen Empfindungen, die Ihnen Ihr Glaube eingeflößt haben mag, die Göttlichkeit nicht abspreche, deswegen, weil Sie mich so brüderlich, so zärtlich warnen – ein gebacknes Brod für den Schöpfer des Himmels und der Erde, und Traubensaft für Gottes Blut halten?!?!?!

Mich verlangt zu wissen, wie unser Bruder Burgmann meine durch den Bruder Hasencamp an ihn geschickte freymüthige Antwort aufgenommen habe. Von einem Manne seines edeln und menschenfreundlichen Charakters erwarte ich – Brüderlichkeit in Beurtheilung meiner Gedanken – und in der Brüderlichkeit Gründe – Licht, Weisheit – – denn, verzeihen Sie mir, daß ich nochmals auf diesen Punkt zurückkomme – denn, auch die allerliebreichste Warnung ohne lichtvolle Gründe ist nur Zauberey für schwache gute Herzen .... Lasset uns doch, lieber Herr S ... zusehen, daß wir das nicht für wahr halten, was nicht wahr ist, darum, weil wir bisher bey der falschen Vorstellung Erbauung und gute Empfindungen gehabt haben.

Wahrheit geht aller Erbauung vor, so wie die Gerechtigkeit der Liebe vorgeht.

[251] Irrthum bringt flüchtige – Wahrheit dauerhafte Erbauung. Man muß nichts über die menschliche Natur hereinwerfen. Aus den innersten Tiefen derselben her aus holen, was drinn ist – und nichts künstliches ist drinn – das ist, um mich Ihres Ausdrucks zu bedienen, »Jesushaftige« Weisheit. – – Gott ist lauter Liebe! Jesus lauter Liebe! Lauter Liebe soll der Mensch seyn. Sehen Sie da in wenig Worten meine Religion. Wer Gottes Liebe in Christo glaubt, der und der allein kann lieben, wie Christus geliebet hat; oder noch eigentlicher, in dem kann Gott lieben, wie er in Christo geliebet hat. Alle Liebe ist aus Gott, so eigentlich, so unmittelbar aus Gott, wie Christus aus ihm ist. – – –

Wer glaubt, daß Gott in Christo die Liebe sey, ist Liebe, und in der Liebe selig. Alle Seligkeit ist in der Liebe, und außer der Liebe ist keine Seligkeit.

Außer Gott ist keine Seligkeit; so wie außer Gott keine Liebe ist.

Jesus Christus ist das Centrum der Liebe Gottes. Wer auf dieses sein Auge richtet, von dem ergriffen wird, der wird ein Stral der göttlichen Liebe ...... Das, mein Lieber, verstehen Sie gewiß? 1 Darinn sind Sie gewiß [252] mit mir Eins? – Wenn Ihnen diese Lehre unerträglich seyn sollte – so wollen wir unsere Liebe nicht, aber unsere Correspondenz so lange aufheben – bis Sie Ihnen erträglich, oder mir unerträglich wird.– Sie lernens gewiß bey den Wunden Jesu, billig gegen die zu seyn, von denen Sie nichts ungutes wissen, als daß sie gewisse Ausdrücke und Begriffe nicht brauchen, nicht brauchen können, weil sie ihnen mit dem ganzen Systeme der Schrift zu streiten scheinen.

Wenn ich glaube – alles von Gott – alles durch Christum, – wenn ich Jesum [253] Christum, als den einzigen, unmittelbarsten ewigen Grund sogar meiner Unsterblichkeit, wie vielmehr aller Seligkeit mit innigster Liebe und Herzlichkeit anbete; wenn ich glaube, daß ich alles, ohne Ausnahme alles, nur ihm zu danken habe; wenn ich seiner unvergleichbaren und allen Verstand übersteigenden Liebe mich herzlich freue; wenn ich seinen Tod für das Leben der Welt, und das größte Opfer, welches jemals der Gottheit dargebracht ward, halte; – – – wenn er mir alles in allem ist; wenn ich alles mit ihm anfange; mit ihm fortführe; auf ihn lenke; wenn ich mich freue, auch nur seinen Namen zu hören; wenn ich die Schmach Christi für meine Schmach, seine Ehre für meine Ehre halte; wenn ich jeden Menschen, wer er immer seyn mag, als einen solchen ansehe, für den Christus gestorben ist; – – wenn ich mich Gott zum Besten der Menschen, und zur Freude Jesu so ganz aufopfere, wie er sich Gott aufgeopfert hat; – wenn ich alles in seinem Namen thue und leide; das ist, immer so handle und leide, wie Christus an meiner Stelle handeln und leiden würde; – wenn ich das bin, oder auch nur mir angelegen seyn lasse, das zu seyn, lieber Herr S. – bin ich alsdenn ein Socinianer – oder ein Christ? 2 – O ich bitte Sie, mein [254] theurer Miterlößter, – verurtheilen Sie mich, auch bey sich selber, auch mit dem reinsten Herzen noch nicht – bis Sie mich besser [255] kennen und von neuem meine Behauptungen bloß nach dem Evangelio sorgfältig geprüfet haben!–

Ich bin kein großer Herr Lavater, und darf also auch in der Absicht, wie Sie es bey Ihrem guten Wunsche meynen, nicht umkehren. Nicht, daß ich nicht alle Tage mich noch mancher Ausgleitungen aus dem liebenswürdigen Kindersinne herzlich zu schämen Ursach habe.

Itzt will und muß ich enden. Gott lasse unsere Gedankenmittheilung uns beyden, und andern zum Segen gereichen.

Lieben Sie mich, wie mich Christus liebt; wenn Christus in Ihnen ist, so werden Sie mich auf eine ähnliche Weise dulden und lieben, wie mich Gott in Christo liebt.

Für Ihre liebreichen Anerbietungen danke ich Ihnen herzlich. Die Gnade Jesu Christi sey mit uns. Amen.

Fußnoten

1 So gewiß auch der Verfasser darauf rechnet, daß ihn sein Freund verstehen werde, so muß ich doch bekennen, daß ich ihn nicht ganz verstehe, und so wird es vermuthlich auch vielen von seinen Lesern gehen. Wir wollen also über einige dunkle Sätze und Ausdrücke, die leicht mißverstanden werden könnten, nicht urtheilen, bis sich der Verfasser einmal deutlicher darüber wird erkläret haben – Inzwischen habe ich auch hier einige kleine Stellen aus eben dem Grunde weglassen müssen, aus welchem ich solches bey einem der vorhergehenden Briefe gethan habe. Mir ist nichts anstößig, was ein Mann sagt, an dessen Rechtschaffenheit und Wahrheitsliebe ich glaube; selbst wenn er mir zu irren scheint, höre ich ihn gerne an, und lerne von ihm: aber so möchten nicht alle Leser denken. Anmerk. des Herausg.

2 Mich betrübet es, wenn ich einen sogenannten Socinianer und einen Christen einander gerade entgegen setzen höre. Der Verfasser ist unstreitig kein Socinianer; ich bin es auch nicht. Aber sollen oder dürfen wir denn diejenigen, die es sind, für Unchristen erklären? wie kann das mit der Wahrheit und mit der christlichen Liebe und Verträglichkeit bestehen? Der Socinianer mag in einzelnen Lehrsätzen noch so sehr irren, so erkennet er doch Jesum für einen göttlichen Gesandten, für seinen Lehrer und Wohlthäter, für seinen Herrn und Meister; er hält die Lehre Jesu für wahr und göttlich, verläßt sich auf seine Verheißungen, und bemühet sich seinen Geboten zu gehorchen, und seinem Beyspiel zu folgen. Und sollte ein Mensch, der das glaubet und thut, kein Christ seyn? Welcher von uns ist denn von allen Irrthümern frey? Waren es die Jünger unsers Herrn zur Zeit seines Lebens auf Erden? Waren es die ersten Christen, von denen so viele das Jüdische, mit dem Christenthume offenbar streitende Gesetz, beybehalten wollten? Und welcher Mensch verwirft denn die Wahrheit als Wahrheit! Danke Gott, christlicher Leser, wenn du mehr Wahrheit erkennest als andere, und folge deiner Erkenntniß; aber verachte und verurtheile diejenigen ja nicht, die nach deiner Meynung weniger erleuchtet und glücklich als du sind. Anm. des Herausg.

Den 16. April 1773
An Frau D. v. B
Den 16. April 1773.

So sehr Ihre gütigen Geschenke meinen Kindern Freude machen; so sind Sie dennoch gar zu beschämend für mich. Sie sind eine gar zu weit sehende Freudenerfinderin. Wie sehr wünschte ich – nicht, – vergelten zu können, (denn es gehört auch zur freundschaftlichen Dankbarkeit, dem andern das Vergnügen zu lassen, uns unvergeltbare Wohlthaten zu erweisen) sondern nur wenigstens Winke geben zu können, wie sehr es mich freuen würde, Ihnen Gegenfreude zu machen.

Unser lieber Herr Magister ist noch bey mir bis auf den Sonntag; vielleicht länger – Er hat mir Ihre Anerbietung angelegentlich eröffnet. Ich werde schon freymüthig genug seyn, Gebrauch davon zu machen, – wenn – Gott will, daß wir uns in diesem Leben noch sehen sollen.

Es ist ein trauriger, für Wesen, die entweder zu kurzsichtig, oder zu bequem sind, über einige Spannen hinauszusehen, niederschlagender Gedanke, das die besten Seelen so verschieden denken, und eine die andere oft so scheel ansieht. Es ist eine gute Bemerkung von Moses Mendelssohn.


[257] »Je eingeschränkter der Verstand desto ausschließender die Grundsätze.«


Meine Frau und ich haben sich aus einer ziemlich schweren Krankheit so viel als vollkommen wieder erholet. Meine beyden Kinder sind auch wieder vollkommen gesund!

Meine Gesundheit, sagen meine allzusorgfältigen Freunde, erfordere doch einmal eine Haupteur. In dergleichen Sachen ist mein Motto: Nihil velle et nihil nolle (Nichts wollen und nichts nicht wollen.) Leben sie recht wohl. Meine liebe Frau empfiehlt sich Ihnen aufs Beste. Gedenken sie meiner vor dem Herrn. Wollen Sie dieses Paßionslied abschreiben?

[258]
Den 17. April 1773
Den 17. April 1773.

– Sie legen mir, mein wehrter Herr H ...., die wichtige Frage vor: »Wie und auf was Art ich meyne, daß die Ausbreitung des Reichs Gottes in S – am besten durch Sie befördert werden könne?« – Ich will Ihnen so einfältig und kurz, wie möglich, meine Gedanken sagen. Seligkeit kommt aus der Liebe; Liebe aus dem Glauben; Glauben aus dem Hören; Hören aus dem Worte Gottes. Bemühen Sie sich, so wohl einzeln, als etwa wöchentlich einmal in kleinen vertrauten Gesellschaften, die historischen und moralischen Schriften des alten Testaments, und das neue Testament, ohne alle vorgefaßte Meynung zu lesen, so, als wenn Sie dieselben gleichsam das erste mal läsen. Hören Sie erst diese Zeugen Gottes an; der Glaube kommt aus dem Hören, dem stillen, ruhigen, unpartheyischen Aufmerken. Vernachläßigen Sie insonderheit das Historische nicht; vergegenwärtigen Sie sich die Thaten der helfenden Allmacht, so, als wenn Sie selbst ein Augenzeuge davon wären; machen Sie eben die Anwendung von diesen Begebenheiten auf sich selbst, die jeder vernünftige Zuschauer machen müßte. Aus einem solchen Hören wird der Glaube entspringen und wachsen. Richten Sie Ihre Gedanken auf das, was Sie vor sich haben, vergessen [259] Sie alle Erklärungen und Meynungen, machen Sie wenig Anmerkungen zur Erbauung – üben Sie sich erst im rechten kindlicheinfältigen Hören. Da werden Sie immer nur von einer und eben derselben Sache hören – nämlich, vonEiner allmächtigen Liebe, welche allen hilft, alle begnadiget, segnet, die ihr Vertrauen auf sie setzen. Sie werden immer eine und eben dieselbe allmächtige, wohlthätige, allgemein Gottheit finden – und erweckt werden, die Liebe zu glauben, die Gott gegen uns hat, und die vornehmlich in der Person Jesu Christi offenbar und menschlich geworden ist. – Und wenn Sie dann an diese Liebe glauben – so werden Sie, nach dem Grade dieser Liebe selig seyn ...

Gemeinschaftliches Lesen der Schrift unter gleichgesinnten, wahrheitliebenden, demüthigen Menschen (deren Anzahl aber auf einmal nicht zu stark seyn muß) ist eines der einfältigsten und sichersten Mittel, das Reich Gottes auszubreiten, das ist, die trostvolle Wahrheit: Gott ist König; aber Gott isteine gute helfende Allmacht, allgemeiner und wirksamer zu machen. –. –

[260]
H - Donnerstags den 29. April 1773
H – Donnerstags den 29. April 1773.

Hasencamp – auf dem Schlosse des Schwiegervaters meines neben mir sitzenden Freundes – unter dem sanften Hauche des Frühlings, zu meiner Rechten eine ausgebreitete Feldgrüne, mit sanften Waldhügeln begränzt, – indeß daß P. an dem Blumenkranz, den ich mir im Garten auf meinem Sommerhut, aus der Hand seiner edeln jungfräulichen Schwester pflanzte – empor schaut, und seinen Wohlgeruch mit dem heitern Blick eines Fröhlichen trinkt, und die ausgegoßne Güte des Allvaters mit stille zitterndem Herzen mit mir gemeinschaftlich anbetet – schreibe ich dir – – Antwort auf deinen Brief – vom – .....

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – Mir kommt kein Sinn daran, das wörtliche Gebet zu verwerfen, oder für entbehrlich zu halten; wenn nur der Geist und Leben drinn ist. Wort ist der Leib des Geistes. Wir müssen jeden Lebensgeist in irgend einer Leiblichkeit empfangen. Alles ist Leib und Geist. – Also ist ein wörtliches Gebet der allgemeinen Analogie gemäß.

[261] Bald handelte Christus im Glauben – bald betete er wörtlich im Glauben. Nur nie einseitig die Bibel angesehen! – Nur nie aus einzelnen Zügen – allgemeine ausschließende Grundregeln abgezogen. Einseitigkeit ist die Quelle und der Character aller Sekten. So viel von dem. Nun bin ich wieder in Zürich; ich fand bey meiner Ankunft meine liebe Frau sehrkrank. – Gerade itzt hat sie einen mit heftigem Seitenstechen verbundenen entsetzlichen Husten, der Ohren und Herzen der Umstehenden zerreißt. Das liebe Geduldlamm – ach! es wollte mir meine kleine Landfreude nicht verbittern – drum mußte ich von den entsetzlichen Beschwerden und Schmerzen nichts wissen, bis ich wieder kam. – Gott gebe, daß ich beten – oder glauben könne. Auch mein kleines allerliebstes Töchterchen hat stark den Husten – ich auch – doch ich bin gesund in Vergleichung mit meiner Frau.

Bruder, erzwinge nichts, ohne Drang – Glaubensdrang 1 – dein Wortgebet sey Herzenswahrheit – dein Blick Glauben – dein aufgehobner Arm Umfassung, dein [262] zum Flehen gebognes Knie – Danksagung für das, warum du flehest. Ist nicht das, so ists Leichnam.

Nun hoffe ich, wirst du doch meinen Jonas haben. In Deutschland, höre ich, verwundert man sich sehr, dich und mich beysammen zu finden. Ich verwundere mich nicht, daß Deutschland sich verwundert. Ich sah es vorher, sahe noch mehr vorher als das, und je mehr ich sahe, desto fester war mein Entschluß, dir diese Predigten – und zwar gerade so zuzueignen, wie ich es gethan habe.

Pf – ist noch im H .... Hier wohnt Heiterkeit und Demuth, Erbauungshunger und freyer Naturgenuß, Lichtdurst – und Licht – Unschuld und Freude. – Hier vereinigt sich ernsthaftes Hören und Ueberlegen – mit vertraulichen, warnenden, weckenden, salzund [263] gewürzreichen Scherzen. – Hier findet der Arme Brod, und der Traurige Trost, und der Freund Herberge und Beherberger. – Hier lernt man – was noch so wenige Fromme wissen, daß Freude und Zufriedenheit mit Gott um der Naturwillen, – mit der Natur um Gottes willen, – mit sich selbst, um beyder willen, Weisheit, Glückseligkeit – Religion ist.

Nicht zum Scheine, sondern von Rechtswegen sage ich dir, Bruder – du darfst dich nicht, dich niemals unter mich erniedrigen; denn ich bin auch noch tief, tief – und viel tiefer, als du glauben kannst, unter manchem, der noch unter dir ist. Also niemals kein Wort von dieser Art mehr, wenn du mich belehrest, strafest, warnest, zu rechte weisest.

Es ist, wie du sagst. Von den Engeln, und dem Zwischenzustande zwischen Tode und Auferstehung – sage ich wenig, zu wenig in den Aussichten; denn ich weiß wenig davon; erwarte aber mehrere Erleuchtung von dir – und andern. –

Fußnoten

1 Ich würde lieber sagen: Bruder, suche nichts zu erzwingen. Das steht so eingeschränkten, unwissenden Geschöpfen, wie wir sind, nicht an, und ist auch an und vor sich selbst nicht möglich. Hüte dich die Wirkungen eines empfindsamen Herzens oder einer erhitzten Einbildungskraft für einen besondern Glaubensdrang zu halten. Bitte Gott überhaupt um alles, was dir und andern nach seiner untrieglichen Weisheit und väterlichen Güte nützlich und heilsam ist, und dann erwarte mit Zuversicht für dich und andre das Beste von ihm, du magst ihn ausdrücklich darum gebeten haben oder nicht. Anm. des Herausg.

Den 4. May 1773
Den 4. May 1773.

Mein lieber Herr Leibarzt!


An einem Synodusabend erhielt ich Ihren lieben Brief – also just ein halbes Jahr nach dem letzten. Nun – es ist itzt verschmerzt. Zum Beweise, setze ich mich hin, Ihnen, nicht ein Billiet, sondern einen Brief zu schreiben, und wenn ich acht Tage lang dran schreiben sollte. Ich will trachten, Ihr Gutes mit Gutem zu vergelten.

Aber denken müssen Sie itzt, um mit wenigem zufrieden zu seyn, daß ich nur ein armes Priesterchen – und nicht königlich großbrittannischer Leibarzt bin.

Vor allen Dingen muß ich Ihnen sagen, daß an allem, was man Ihnen von züricherschen Unruhen gesagt hat, kein Wort, keine Sylbe wahr ist. Wie gute Kinder wohnen wir beysammen, und lassen alles gehen, wie es geht. Ein neues Reglement des Militarwesens ist das einzige mögliche Ding, welches zu dieser allgegenwärtigen Lüge Anlaß gegeben haben möchte – nicht zu der mindesten Unruhe; sondern zu einer Lüge von Unruhe. Sogar nichts ist wohl selten an einer Nachricht gewesen, wie an dieser.

Ihre Pedantereyfragen – werde ich, wills Gott, nicht ohne Erbauung lesen, lesen lassen und herumbieten – Am Synodusabende las [265] ich sie – unter schmauchenden Amtsbrüdern ... und bald darauf las man – eine andere Schrift, die noch zehnmal so tief eingriff. – Diese Schrift müssen Sie lesen, zu lesen geben, und loben oder schelten, wie es am besten ist, sie gangbar zu machen. Sie heißt: Schreiben des Pastors zu *** an den Pastor zu *** aus dem Französischen.

In Ansehung Ihres Nichtschreibens (so herzlich mich jeder Brief von Ihnen freut, und NB. so sehr lehrreich mir jeder ist) seyn Sie ruhig. Machen Sie keine Entschuldigung mehr – Glauben Sie – an meinem Glauben an Sie.

Für alles, was Sie dem Peter Krämer und seiner armen Familie gethan, danke ich Ihnen herzlich – Danken Sie in meinem Namen allen, die ihr etwas Gutes gethan haben.

Frau N ... ist eine sehr arme, fromme Wittwe, die freylich viel theologisches Irrwischlicht für die Sonne hält, und eine gewisse Phraseologie wohl inne hat. Mir ist leid, daß Sie Ihnen nachgelaufen ist. Mit hundert Personen von dieser Art muß ich mich in der Gedult üben, und das ist unvergleichlich gut – und besser, als ein Großhanns seyn, und Aussichten in die Ewigkeit schreiben.

Die Recension des III. Theils der Aussichten in den Frankfurter Anzeigen halte ich für eine der besten, die gemacht sind. Unfehlbar [266] werde ich mir Erinnerungen draus zu Nutze machen, aber, daß der Recensent den Zweck dieser Briefe durchaus, und so sehr, wie möglich, verfehlt, ist so klar, als 2 mal 2 sind 4. Es ist nicht Herder, sondern N. (der auch Geßners Idyllen recensirt hat.) Ich erwarte ihn bald in Zürich. Unstreitig wird seine Bekanntschaft mir unendlich vortheilhaft seyn.

Das übrige, was Sie mir von den Aussichten und dem Gedichte sagen, werde ich – in den Zusätzen redlich beantworten.


Was ist der Zweck des Verfassers?
Ist dieser Zweck würdig?
Thut sein Werk diesem Endzwecke genug?

Zimmermann, das sind die einzigen Fragen, die einzigen die wir bey Beurtheilung aller Schriften uns vorlegen sollten, und die unter hundert Lesern nicht zehen, und unter tausend Journalisten nicht einer sich vorlegt; daher die ewigen Deräsonnemens.

Jeder Leser kommt mit seinen Vorurtheilen, seinem Geschmacke zum Buche; – fragt nicht: für wen ist das Buch geschrieben? warum? setzt sich nicht in den Gesichtspunkt des Verfassers; – fragt nur: amüsirt esmich? Ist es meinem Geschmacke angemessen? Nun! es sey so! Es wird so bleiben bis ans Ende der Tage; und wir werden immer fortschreiben[267] – und das Publicum wird uns immer tadeln – und immer lesen.

Uebrigens erlauben Sie mir auch eine freymüthige Anmerkung. Mich däucht, Sie seyn in Ihren Urtheilen von derselben Sache nicht fest genug.

Lob und Tadel machen Sie (bloß aus Freundschaft für Ihre Freunde) zu oft wankend. –

Für Leser ist der II. Theil der Physiognomik unerträglich: Für Köpfe, die speculieren?? .... Ein Plan einer neuen Wissenschaft, sey er schlecht oder gut – ist wichtig! Das sehen Sie, wenn es die ganze Welt nicht sieht, das behaupten Sie, wenn es die ganze Welt verneinet. Eine Schrift kann wenigen nützlich, aber diesen wenigen äußerst nützlich seyn.

Meynen Sie – oder vielmehr: Sie meynen, ich könne meines Urtheils über die R .... vergessen? Lieber Freund – nein, was ich immer stärker fühle, worunter ich immer mehr seufze, das vergesse ich nicht leicht.

Aber wenn ich in das Ländlein Gosen, welches da heißt Menschenkenntniß, den Fuß setze, so lerne ich schweigen, und statt die Dinge außer mir nach mir umzugießen, mich nach diesen Dingen umzugießen; oder wenn es Ihrem feinen Ohr nicht zu ascetisch klingt – allen alles zu werden, hiemit [268] auch .... den Pedanten ein Pedant? .... Nein, alles, nur das nicht. Liebe Seele ... wenn Sie so sicher wären, daß ich es ohne die allergeringste Empfindlichkeit schreibe, so sicher Sie dessen wären, wenn Sie mich das sagen hörten, was ich Ihnen schreiben möchte, so wollte ich Ihnen schreiben, daß Sie sich unaussprechlich betrügen, wenn Sie glauben, daß ich in meinem Leben jemals einem Pietisten, Asceten, Schwärmer unter den Händen gewesen bin – so nahe ich vielleicht dabey war, eines von diesen Dingen zu werden, wiewol ich keines – – länger als 2 mal 24 Stunden gewesen bin. Sonst ist Ihre Betheurung, daß es meiner Seligkeit nicht geschadet haben würde, »nie unter eines solchen Händen gewesen zu seyn« vollkommen richtig – à priori und à posteriori – weil ich wirklich keinem unter den Händen gewesen bin.

Bekümmern Sie sich, ich bitte Sie innigst, immer weniger darum, was die Menschen von mir urtheilen.Ihnen will ich mich darlegen, wie ich bin – im übrigen kann ich wohl warten.

Wahr ists – warum sollte ichs verhehlen, daß ich in großer Gefahr war, ein geistlicher Don Quixote zu werden, – aber von Ihrer Existenz können Sie nicht gewisser seyn, als davon, daß ich es nie werden werde.

[269] Sie würden sich verwundern, wie ich in der Toleranz, nicht der Irrthümer und Laster – sondern der Irrenden und Lasterhaften zugenommen habe. Wahrlich, Sie werden mich nicht mehr kennen. Sie werden es auch insonderheit meinen Jonas Predigten, vornehmlich dem II. Theil anmerken, aber noch mehr werden Sie es seiner Zeit in meinen vermischten Schriften mit Erstaunen sehen – und doch sehen, daß ich ein Schurk wäre, wenn ich von dem Wesentlichen meiner theologischen und moralischen Hauptideen – ein Haar breit gewichen wäre, – aber – wenn Sie statt mich, und meine Gründe zu hören, die grundlosen Vorurtheile der Welt hören – so werde ich freylich nichts dabey gewinnen.

Ueber die kalte Vernünfteley so mancher Lichtköpfe wollte ich, wenn ich auch nur ein Zäserchen Satyre hätte, eben so sehr satyrisiren können, als Sie und Ihres gleichen über die vermeyntliche Schwärmerey vieler. Der Mensch, o Z ......, ist so wenig Seele allein, als Leib allein. – Der Mensch ist so wenig allein Licht, oder allein Feuer als die Sonne. Aber – – es läßt sich heute zu Tage so ein Bischen galant, scheint so zu einem gewissen, aber seinem Untergange nahen – Modetone zu gehören – gewisse Dinge durch den Verstand empfinden zu wollen. Vide Frankfurter Anzeigen 1772. und den Brief von Pastor *** an Pastor ***.

[270] Apropos. Haben Sie Herdern von der Sprache gelesen? – Gehen Sie hin, wenn Sie es noch nicht gethan haben, und verkaufen alle Bücher, und kaufen dieses Buch – und merken, daß so was in Deutschland noch nicht gesehen worden. – Und Herder paßirt bey gewissen Leuten, bey einem gewissen Publicum, für einen seichten Kopf. – – Was? Freund, soll man einem Publicum, das so deräsonniren kann, – glauben? Was seine Urtheile fürchten oder achten?

Reichsangelegenheiten-Reimlein] ... Im Ländlein der Menschenkenntniß ist ein Sprichwort: Rede mit jedem in seiner Sprache.

Wenn ich, würden Sie sagen, einen einzigen Menschen, allenfalls auch nur durch eine vergoldete Brodpille heilen kann, so nenne der Zuschauer dieses immer Charletanerie, wenn ich ihn nur heilen kann. Aber dann auch noch dieses: Der edle Modegeschmack unsers Jahrhunderts verwirft manchen biblischen oder theologischen Ausdruck, dafür weder Philosophie noch Geschmack einen bessern geben könnte. Aber davon einmal auf eine lichtvolle treffende Art an einem andern Orte.

Nun noch ein Hauptwort über die Weise, mit Menschen umzugehen, um sie zu gewinnen: Lieber Freund – ich weiß, daß ich unendlich weniger Menschenkenntniß besitze, als Sie, und dennoch wollte ich es fast darauf [271] ankommen lassen, ob Sie mit Ihrer Methode in zwey oder drey Jahren so viel Menschen gewinnen werden, als ich. Alle Kunstgriffe der Menschenkenntniß, die nicht unmittelbare, reine, uneigensüchtige Güte sind, lassen sich vielleicht 3, 4, 8, 10 mal mit Glück versuchen, aber – für einen Men schen, der täglich sie brauchen sollte – für einen Menschen, der der nahen – freundschaftlichen, und feindschaftlichen Beobachtung unaufhörlich ausgesetzt ist, – scheint mir im Ganzen keine sicherere zuverläßigere Methode zu seyn, als die alleraufrichtigste Freymüthigkeit der Liebe. Denn, wenn eine einzige, auch noch so wohlgemeynte Wendung, ein Kunstgriff, mißlingt oder bemerkt wird, so sinkt der Credit des Menschen – und dann ist der Schaden unersetzlich. Gerade, beständige, einförmige, unpartheyische, durchgesetzte, liebreiche, demüthige edle Freymüthigkeit, auf deren Lob und Tadel man sich, wie auf Gottes Wort verlassen kann, wenn sie auch fehl schlägt, bleibt immer ehrwürdig. Je mehr sie erkannt wird, desto mehr wird sie geliebt. Die bewundernswürdigste Feinheit oder Schmeicheley, und wenn sie es auch noch so gut meynt, steht immer in Gefahr bemerkt zu werden, und sie macht auch, wenn sie einmal bemerkt worden, Ihre geradeste Redlichkeit verdächtig. Alle Menschen empfinden die Sprache einerEhrlichkeit, die es sich bewußt ist, daß sie nicht beleidigen [272] will. Und einer solchen, und wenn sie auch beleidigen sollte, verzeiht man tausendmal eher einen Fehltritt, eine wirkliche Beleidigung als der Klugheit die künstelt. Ich werde gewiß einen Schwärmer, (wenn es je möglich ist, einen zu gewinnen – das allerschwerste Problem) eher mit ganzer allenfalls ein Bischen beleidigender Freymüthigkeit gewinnen, wenn er mir nur anempfinden kann, daß ich nichts verberge, als mit allen Methoden der bloß schonenden Klugheit. Schonung wird jedoch immer erfordert.

Ich werde ja wohl nie schlechtweg und geradezu sagen, du bist ein Schwärmer, aber ich werde ihmFälle vorlegen, von denen er zwey Dinge gestehen muß – einmal – daß sie schwärmerisch, und dann, daß sie denen ähnlich sind, in welchen er sich befindet.

Hierinn so gerade, aber dabey so herzlich wie möglich zu Werke gehen, lieber Z ...... wenn irgend ein solcher Mensch noch gewonnen werden kann, ist das sicherste Mittel ihn zu gewinnen. –

Ueberhaupt, mein lieber Freund, sind die allgemeinen Grundsätze, die ich, um die Menschen zu gewinnen, zu befolgen mich übe, – diese: Auf meiner Seite – den, den ich gewinnen will, sehen und empfinden zu lassen, daß ich nichts gewinnen will, – daß ich von aller Art des Interesse, das nicht Interesse der reinen Menschenliebe ist, frey bin – und [273] dann, daß ich eine von denen allerlebendigsten Ueberzeugungen meines Gegners zum Grunde lege, und nur das sonnenhell zeige, durch stufenweise Herabsteigung von dem allgemeinen zu einem besondern genau parallelen Falle zeige, daß der Fall, um dessen Erörterung es zu thun ist, dem vollkommen ähnlich sey, den der an dere für vollkommen gewiß hält. Dieses war die feste unverbrüchliche Methode Christi. – Dieß heißt: Taubeneinfalt und Schlangenklugheit mit einander verbinden – und so glaube ich, würden wir bald nahe genug zusammen kommen. Diese Methode, ich kann aus Erfahrung reden, ist gewiß nicht unfruchtbar. Doch ein mehreres hiervon an einem andern Orte.

Was Basedow und Spalding unter einander gemischt in Absicht auf die Religion seyn mögen, das ungefehr scheint mir aus dem wenigen, was ich von ihm gelesen, Baldinger in der Arzneykunst zu seyn.

Nun noch ein paar Kleinigkeiten. Ich habe eben W. goldenen Spiegel mit vielem Vergnügen weggelegt .... Daß er eine Satyre auf mich gemacht, von der ich nur Eine Zeile auswendig kann, weil ich sie nur lesen gehört, und der göttingische Musenallmanach hier nicht zu haben ist, wissen Sie ohne Zweifel schon. »Was sieht der Mann durch Bonnets Brille nicht.«

[274] Ihre Gesundheit blühe wie der Frühling, und Ihre Freundschaft gegen mich sey so unsterblich, wie Ihre Seele – – Ich umarme Sie. – –

Den 19. May 1773
Den 19. May 1773.
Liebe.
Liebe, was bist du, o Liebe; wer aller Liebenden spricht je
Deine Herrlichkeit aus?
Geben, belehren, erfreun, erquicken, helfen und warnen,
Soll das Liebe schon seyn?
Oder dem Feinde verzeihn, dem Hasser wohlthun, dem Flucher
Segen mit Thränen erflehn?
Oder verarmen dem Freund, und ohne sein Wissen ihm sterben,
Ist dieß Liebe vielleicht?
Völkerelend ergreifen und auf die Seele sich bürden
Jedes Menschengeschlecht?
In die Himmel hinauf und in die Tiefe der Tiefen
Schwingen und stürzen sein Herz?
Mitentzückung im Himmel und mitverworfen im Abgrund
Jedes Jeglichen seyn;
[275]
Leben in andern nur, wie das Herzensblut in den Gliedern,
Ist dieß Liebe vielleicht?
Red', antworte mir, Liebe! du schweigst und lächelst, dein Lächeln,
Himmlische Liebe, was sagt's?
Alles in Allen bin ich, bin unaussprechlich wie Gott ist,
Unerreichbar wie Er.
Den 2. Junius 1773
Den 2. Junius 1773.

Seit dem Februar – einige Briefe ausgenommen, keine Zeile am Tagebuche, so viel Merkwürdiges ich aufzuzeichnen gehabt hätte. Einmal will ich mich wieder hinsetzen, und anfangen. Erst wollte ich den gestrigen Tag nachholen; doch – darüber würde ich doch nur den heutigen versäumen ....

Ich erwachte fast muthlos bey dem Gedanken an die Menge von Briefen, die ich vor mir sahe; – traurig wegen E ... Ich stund, durch einige Blicke auf Gott erheitert, auf, segnete meine Frau, und setzte mich hin – an G. und H. und E. zu schreiben. Fast ungeduldig, wenn ich unterbrochen wurde. Doch gieng es ziemlich gut. Beym Coffee erzählte ich meiner Frau und meinem Sohne, daß ein Knabe von 8 Jahren, der Sohn einer unserer [276] Freundinnen in Schafhausen – mit noch einem andern ertrunken ... nöthige Warnung für den meinigen. Ich schrieb hernach an die betrübte Mutter des Ertrunknen ... mir selbst unerträglich matt .... aber, ich war zu sehr zerstreut ... Ich schrieb auch noch an Wolke, für Basedow. Herr Wolke schrieb mir: »Basedow hätte sehr gern Ihre Frage: was er von dem itzigen Christenthume in Deutschland denke, unverzüglich beantwortet, wenn sein fester Vorsatz:ganz ununterbrochen am Elementarwerke zu arbeiten, ihm ein solches Vergnügen erlaubt hätte. Er seufzet aber mit Ihnen über den Verfall, und den zu befürchtenden Untergang dieser besten Religion. Doch Gottes Arm ist ja nicht verkürzt, dem fernern Einreißen des Unglaubens zu wehren. Wir müssen mehr hoffen, als fürchten, wenn wir gleich die guten Erfolge noch gar nicht sehen oder vermuthen können.« Ich antwortete ihm: »Die beste Religion wird nicht untergehen, dessen bin ich gewiß. Aber sie wird einem scheinbaren Untergange sehr nahe kommen. Der Deismus und Atheismus wird beynahe allgemein, und jeder Vertheidiger des Christenthums lächerlich werden. Manche Theologen – bahnen den Weg dazu ... und andere berühmte Namen folgen ihnen, nur vorsichtiger, nach. Ich habe Data genug vor mir, daß man dem Deismus weiten Raum machet; [277] und dann ist wirklich der Atheismus eine nothwendigere Folge, als man denkt. Wer consequent räsonnirt, der wird zum Atheismus kommen, wenn er nicht an Christum glauben kann. Ein Atheist ist mir viel begreiflicher, als ein Deist. Denn alle Schwierigkeiten, mit denen das Christenthum umgeben ist, treffen den Deismus um kein Haar weniger. Wenn die Gottheit nicht durch Christum geredet, nicht durch ihn gehandelt hat; so ist nie keine Gottheit gewesen, die geredet oder gehandelt hat. Wenn Christus – Hazard ist; so ist es der Mensch, so ist es die ganze Welt auch; wenn Christus zu seinen Thaten keinen Gott bedarf, so bedarf die Natur auch keinen. Ich wiederhole es; der Atheismus wird – und muß allgemein werden, 1 und dann wird[278] Gott wieder – handeln; wieder zu seinem Werke stehen; wieder sagen müssen: hier bin ich. Dann wird der einzige Glaubensartikel der Schrift auch wieder der einzige Glaubensartikel der Theologie werden – Gott ist in Christo denen, die ihn suchen, ein Belohner.«

[279] Herr B. kam, wegen einer neuen Auflage derSchweizerlieder mit mir zu reden. Ein Schlag aufs Herz. Umarbeiten mag und kann ich sie nicht mehr – und dennoch haben sie noch manchen Fehler, der vielleicht um so viel mehr ausgebessert werden sollte, je mehr diese Lieder gesungen werden .... Erst wollte ich in Versuchung kommen, noch einige beyzufügen; aber der Gedanke an so viele verheißne, angefangne, unvollendete Werke schreckten mich wieder völlig ab. Doch verhieß ich, sie wenigstens noch einmal durchzusehen. – Wir sprachen noch von der neuen Steinerschen Buchhandlung, der ich so gern aufhelfen möchte ... Mein Herz blutete mir über die Eigennützigkeit und Cabalen der Buchhändler, die ihm mit Nachdruck drohen. Herr B. rieth zu einem Privilegio – ach! anderthalbe Stunde verschwatzt, was in einer halben Viertelstunde hätte ausgemacht werden können – doch die Fürsehung wollte es. Das beruhigte mich wieder .... Ich durchgieng die biblischen Kupfer von Schellenberg – und war überhaupt recht wohl damit zufrieden, und empfand aufs neue die Schwierigkeit etwas recht Vollkommnes in dieser Art zu liefern, wofern der Zeichner und Angeber in zwo Personen getrennt sind, die 5 Stunden von einander wohnen.

Ich schrieb noch ein Briefchen an L.Z. »Aus deinem heitern Angesichte strale Licht in [280] jeden dunkeln Winkel des trostdürstenden Herzens der M.L.A. – und deiner lieben Mutter sey alles, was du wünschen kannst, daß deine künftigen Kinder einst gegen dich seyn mögen ... wachse täglich in der Gnade und Erkenntniß unsers Herrn Jesu Christi.« –

Ich gieng zum Reechberg, wo ich zur Gesellschaft des Herrn Rigaud von Genf zum Mittagsessen eingeladen war. Da die Frauenzimmer beschäfftiget, und die Gäste noch nicht da waren, las ich nochmals das Gespräch über die Versarten vor dem IV. Bande der Messiade durch; – nicht ohne tiefen Unwillen, daß der größte Dichter den Lesern der Messiade, wovon unter tausenden kaum Einer ein Wort von der Prosodie versteht, seine Raffinements in der Sylbenzählerey – vortische ... auch die Sache an sich selbst schien mir so lächerlich und kleinfügig, als wenn Raphael unter seine Verklärung einige Recepte vom Farbereiben schriebe – deren Effect zuletzt der gemeinen Methode eher nachstünde als vorzuziehen wäre. Die Gäste kamen. Der Mangel an Uebung Französisch zu reden, hemmete mich sehr. Ich fand den jungen Genfer immer liebenswürdiger, je mehr ich ihn beobachtete. Wir sprachen von Bonner, seinem Essay de Psychologie, dem Styl, dem Fatalisme, – vom Reisen; von dem Unsinne, junge Leute von 18 bis 20 Jahren [281] ohne Gouverneur reisen zu lassen; von dem vortrefflichen Charakter, der Beobachtungsgabe, der Bescheidenheit und natürlichen Höflichkeit des Herrn R. Schinz; – von den Gelehrten zu Genf; besonders von Mallet; von dem dortigen Nichtgeschmack an den schönen Wissenschaften; von der Wahl der Geistlichen; von dem überhandnehmenden Deismus, und von dem Atheismus; von der Intoleranz der Deisten gegen die Atheisten. Ich sagte, was ich heute Basedown durch Wolke geschrieben hatte; von Voltäre, d.l.L., D ....; die beyden letzten wollten Voltären zum Atheismus bekehren; arbeiteten eine ganze Nacht an ihm, aber umsonst. – Ein Atheist traf zu Paris einen Bettler an, den er erst wegwieß; da er aber aus der unzufriednen und lästerlichen Antwort des Bettlers merkte, daß er ein Atheist war, rief er ihn zurück, gab ihm was, fragte nach seinen Umständen – und unterhielt ihn ein Vierteljahr lang. Je sonderbarer das System eines Menschen ist, destomehr freut er sich einen Gleichdenkenden zu finden.

Es war fast 3 Uhr, da wir auseinander giengen, und ich fühlte mich ziemlich erhitzt. Ich gieng über den Graben – zu Pf. Er war nicht zu Hause. Ich fand eine Predigt von Herrn .... auf dem Tische – und las sie.

[282] – – – Ich machte Verse zu einigen biblischen Geschichten des neuen Testaments. ∪ 8. Pf. kam zu uns – Ich machte einige Anmerkungen darüber, woher es komme, daß so viele aufgeklärte Köpfe sich meiner schämen, aus Furcht für Schwärmer angesehen zu werden, ungeachtet ich glaube, behaupten zu dürfen, daß die Schwärmerey keinen unversöhnlichern Feind habe, als mich ....

Ich bekam noch einen Brief von Hartmann aus Tübingen. Die gute Seele! ich nahm mir vor, so bald wie möglich ihm recht freundschaftlich zu antworten.

Nach 6 Uhr spazierte ich mit Pf. und seiner Frau ans Wasser – der See war spiegelglatt – die Stadt lag in einer sanften Dunkelheit – helle waren den See hinauf die Landhäuser und Kirchen; helle, wie aus einem dunkeln Grunde hervorstechend, die fahrenden Schiffe – Silberweiß und bestimmtumrissen die Kette der Schneegebirge – Fetter Rasen, wo die steinerne Bank war, da wir saßen – und vor uns hohes Korn. – – Auf dem Wege schon hatten wir angenehme Gespräche – von dem unbekannten Gott; – aber itzt waren unsere Sinne noch offner ihn wahrzunehmen, unser Herz noch wärmer, ihn zu empfinden; – und alle unwillig über das Bücherlesen unsrer Jugend, das unser Auge der Natur verschlossen hatte – die doch eigentlich das Buch der Bücher, und der Text zur Bibel [283] ist. – Wovon wir alles redeten, kann ich hier nicht aufzeichnen; aber herzlich wohl war uns. – Pf. kam mit mir nach Hause. Man sagte mir; mein Bruder der Doctor sey krank. Ich gieng zu ihm hinauf; schon war er wieder etwas besser; aber, es hatte ihn entsetzlich angegriffen. Er sagte mir, daß der pohlnische Prediger P. der für eine Gemeine collectire, als ein Betrüger erfunden worden sey. Es befremdete mich nicht so sehr, als es mich kränkte. Wir sprachen über dem Nachtessen davon. Fränkel aß auch da, und erzählte viel von Jüdischen Gebräuchen. Ich hatte eben ein Paket mit einer neuen Erklärung der Epistel an die Römer von Frankfurt erhalten. Ich vergaß Gäste und Essen, so begierig war ich zu lesen. Ich wußte, daß es mein Vater nicht gerne sieht, wenn ich bey Tische lese – – doch konnte ich mich, während dem, daß die andern redeten, nicht enthalten, ein paar Seiten mit schielendem Blicke herauszuholen. – Er gab mir einen sanften Verweis darüber. Ich unterdrückte meinen kleinen Unwillen, schloß das Buch zu – und glaubte – ein groß Opfer zu thun. Wir lasen das XXI. Capitel im Job, und ein Bußlied aus Münter, der mir unter unsern Liederdichtern nicht der schlechteste – aber auch nicht der beste zu seyn scheint. Er könnte mit leichter Mühe noch viel deutlicher seyn, ohne der Stärke das mindeste zu vergeben. – Ich las noch, ehe ich [284] zu Bette gieng, die erhaltene Uebersetzung der Epistel an die Römer, die mir zwar nicht ganz vollkommen, doch ungleich besser gefiel, als alle, die mir jemals zu Gesichte gekommen. Der Verfasser hat den Paulus ziemlich tief studirte und hat Sprache und Deutlichkeit in seiner Gewalt.

Fußnoten

1 Aengstige dich nicht über diese Weissagung, christlicher Leser. Es sind bloß menschliche Muthmaßungen, die freylich einem der christlichen Lehre ergebenen Herzen zuweilen sehr wahrscheinlich vorkommen müssen, die aber doch hoffentlich niemals eintreffen werden. Gott wird durch seine weise Vorsehung das, was Wahrheit ist, schon zu erhalten, vom Irrthume abzusondern, und ans Licht zu bringen wissen. Das Christenthum muß und wird von allen menschlichen Zusätzen gereiniget, und dadurch um so viel ehrwürdiger und wirksamer werden; und dazu müssen sowohl die freyen, aber wohlgemeynten Untersuchungen mancher Theologen als die hämischen Angriffe und Spöttereyen der Feinde der Religion das Ihrige beytragen. Vermenge dabey ja nicht den Deismus mit dem Atheismus. Sie sind doch einander sowohl den Worten als dem Begriffe nach gerade entgegen gesetzt. Freylich giebt es unter den sogenannten Deisten, worunter man alle Gegner der geoffenbarten Religion begreift, auch viele Atheisten. Aber eben so giebt es auch ehrliche Deisten, die von Herzen an Gott und seine Vorsehung und zukünftige Vergeltungen glauben, und die gewiß nie werden Atheisten werden. Hüte dich also, alle diejenigen, die das Christenthum nicht annehmen können, sogleich für Atheisten zu erklären. Du würdest viele von ihnen sehr dadurch beleidigen, und ihnen vor Gott und Menschen unrecht thun. Anmerk. des Herausg.

Donnerstags den 3. Junius 1773
Donnerstags den 3. Junius 1773.

Ich erwachte um 1/26 Uhr, und war entsetzlich träge. Meine Frau ermunterte mich; – »Heute vor sieben Jahren, sagte sie, war unser Hochzeittag; es würde mich freuen, wenn ich ihn heute mit einer glücklichen Niederkunft feyern könnte.« – Ja, heute, erwiederte ich, wollen wir mit unsern Kindern Freude haben – und diesen Tag auszeichnen ...

Ich stand erst nach 6 Uhr auf, gieng zu meinem Vater und Bruder, der eine gute Nacht gehabt hatte; blätterte noch einmal in der Paraphrase des Briefes an die Römer.

Der junge Lips von Kloten kam, und wies mir seine Zeichnungen. Immer Schade, wenn man ihn nicht auf alle weise unterstützte, sich zu vervollkommnen. Ich ließ ihn ansetzen, und den ganzen Morgen zeichnen.

[285] Gevatter Asser kam; ich schrieb an seinen Herrn Pfarrer, und übermachte ihm eine Carline, die er collectirt hatte. Ich schrieb noch ein paar Zeilen in sein Empfehlungsschreiben, und zeigte ihm die Unmöglichkeit auf meiner Seite, mehr für ihn zu thun.

Candidat W. kam; bald hätte er mir Langeweile gemacht. Ich mußte abbrechen. – Ein armer Kreidenkrämer! .... Ich sollte ihn empfehlen. Ich schlug es ihm ab, weil ich ihn nicht kannte. Er schien sehr verlegen, und nun versprach ich ihm, wenigstens seinethalben mit dem Herrn, der ihm zu etwas Hoffnung gemacht haben soll, zu reden.

Eine Bürgersfrau, der plötzlich ein Kind gestorben war – (sie fand es todt in der Wiege) und die darüber sich Vorwürfe machte, erzählte mir die Geschichte, und schien beruhigt von mir wegzugehen.

Ich schrieb am Tagebuche fort. Einige kurze Besuche. Gegen Mittag erhielt ich einen Brief von Herrn Str ...... Er machte mir freundschaftliche Vorwürfe:Vous vous servez souvent de ces Expressions (Esprits Foibles, sans lumières, sans gout, sans Liberté) pour marquer ceux, à qui vous ne trouvés pas cette facilité d'admettre comme incontestable tout ce, qui vous paroît si clair. Diesen [286] Vorwurf kann ich nicht von mir ablehnen; ja noch mehr; ich muß gestehen, daß ich es immer schwerer finde, ihm auszuweichen, je mehr ich Eigensinn, Unbelehrigkeit und Schüchternheit mit einander verbunden sehe, die Wahrheit zu verwerfen. Allerdings aber muß ich liebreicher in meinem Herzen, und vorsichtiger mit meiner Zunge seyn.

Auch schrieb er mir, daß meine Vorrede zu denvermischten Predigten den Verdacht in meine Rechtgläubigkeit nicht vermindere. Ich mag es leiden, daß man mir alle theologische Rechtgläubigkeit abspreche; wenn man mir nur die biblische läßt. Ich werde es nie vor Gott zu verantworten haben, daß ich nicht dachte, wie Calvin und Athanasius – weil ich keine Gründe sehe, diese Männer für göttliche Authoritäten zu halten – aber zu verantworten hätte ichs, wenn ich nicht von Christo und seinem Tode dächte, wie Paulus und Johannes, weil ich Gründe genug zu haben glaube, diese Männer für göttliche Authoritäten zu halten .....

Nach dem Essen wurde ich zu zween Kranken gerufen – Ich sagte zu. Die Magd, die mich zum Einen rief, sprach sehr vernünftig – von den verschiedenen Wegen zur Besserung – von der Predigtsucht aller sogenannten Erweckten – u.s.w. ... Einige Abhaltungen, [287] die mich zur Ungeduld reizen wollten. Denn ich wollte mir mit meiner Frau und meinen Kindern eine Freude machen. Endlich fand ich noch Zeit dazu. Wir giengen in den Saal, wo meine Frau und ich – das erste mal niederknieten – und das erste mal schliefen – vergegenwärtigten uns, die Kinder auf der Schoos und an der Hand, alle Umstände unsers Hochzeittages, durchliefen die sieben Jahre, die wir, aller Prüfungen ungeachtet, so vergnügt hingelebt hatten; erzählten dem Kleinen von unsrer Verbindung; er horchte mit herzerfreuender Theilnehmung; – – Was wir an Blumen vorräthig hatten, wurde hergebracht, und Nettchen, die ich in ihrem Gängelwagen fortschob, indem ihn Heinrich führte, auf die Schooß gestreut, ihm aufs Haar gesteckt. Die hochschwangre Mutter sah uns zu – Heinrichen ließ ich das Sonntagskleidchen anziehen, und las ihm an der Hand seiner Mutter das Liedchen vor – das freylich eilfertig genug gemacht – aber doch vermögend war, eine Freudenzähre seinem und der Mutter Auge zu entlocken ....

[288] Liedchen für meinen Sohn am siebenden Gedächtnißtage unserer ehelichen Verbindung.
Der besten Aeltern Hochzeittag
Sey uns ein Tag der Freude!
Es freut, so viel sichs freuen mag,
Mein Herz sich über beyde!
Süß ist der Liebe sanfter Trieb.
Der gute Vater ist mir lieb,
Mir lieb die beste Mutter.
Sie lebten, eh ich lebend war,
Und wohnten nicht beysammen!
Da schlugen sie, heut sieben Jahr!
Die Hände froh zusammen;
In zarter Lieb' umarmten sich
Die lieben Aeltern! Gott ließ mich
Durch sie lebendig werden.
Dem unsichtbaren Vater sey
Anbetung von uns allen!
Itzt sind wir zwey; bald sind wir drey!
Wie wird dir das gefallen!
O liebes Nettchen, freue dich!
Ein Kind wie du bist, oder ich,
Giebt Gott uns bald nun wieder!

[289] Ich mußte mich losreissen. – Pf. kam noch, und vernahm noch etwas von dem Nachhall unsrer Freude. – Ich machte meine Besuche – spatzierte noch mit W. Merküre – und brachte den Abend bey Hessen im Zettweg, unter Geschwisterkindern zu. – Wir sprachen – vom Reisen – von gelehrten Besuchen – von den Jugendjahren Jesu, die Herr Heß nun auch seinerGeschichte beyfügen wird; von T .... Schwerfälligkeit und Mühsamkeit; von den kaum begreiflichen Bemühungen beynahe aller erleuchteten Köpfe, die Lehre Christi von Christo abzuschneiden; von der Unnatürlichkeit des allgemeinen Eifers, das Attaschement an Christum zu schwächen, und seine Vorschriften absonderlich zu erhöhen; 1 – von unerleuchteten Predigern; warum Foster bey aller seiner scheinbaren Kälte und Trockenheit das Herz angreife – weil [290] man ihm anmerkt, daß er seiner Sache gewiß ist, sie anschaut. Es ist Licht in ihm; viel Licht auch nur von wenigen flachen und hellen Spiegeln auf einen Punkt gerichtet, macht warm. – Von der neuen Uebersetzung des Briefs an die Römer.

Ich zeigte meines Freundes und meiner Frau noch die fertigen biblischen Kupfer; und erzählte ihnen von der fast unbegreiflichen Entrinnung zweyer scharf geschloßner Diebe. Es ist unbegreiflich was der Mensch kann, wenn er will; – wenn alle seine Seelenkräfte, durch Noth, dringende Noth angespannt, auf einen Punkt wirken. Ich würde jedem Gefangnen ausdrücklich sagen: wenn du frey werden kannst, so sollst du frey seyn! Jeder Effort der menschlichen Natur sollte dem Menschen gewissermaßen ehrwürdig [291] seyn. Bey dem einen dieser Diebe war noch eine Großmuth, die wir in einem andern Falle bewundern, und auf den Kanzeln anpreisen würden, wenn es der ekele Geschmack unserer falschen Bescheidenheit zuließe – moderne und vor Augen liegende Beyspiele, nach der Methode Christi und der Apostel anzuführen. Da er sich mit unsäglicher Mühe von seinen Ketten losgemacht; – mit unglaublicher Stärke die Thüre durchgegraben, die Riegel erreicht, das schwere Schloß bloß mit der linken Hand, vermittelst eines seinem Bette abgerungenen, mit seinen Fingern losgenagelten Eisens, von außen herein durch ein Loch aufgewogen hatte, – dachte er noch nicht ans Entfliehen – Er half erst seinem Gefährten, der nicht in seinem Gefängnisse – und so entfernt war, daß er vorher nicht mit ihm reden konnte; – dieser war noch schärfer geschlossen. Er fand ihn im Dunkeln, arbeitete seine Riegel und Schlösser los – zerbrach seine 4 Ketten; und führte ihn aus seinem Gefängnisse. Aber noch waren sie nicht in Freyheit. Der eine mit müdem Arm – der andere noch mit den abgerissenen Ketten, und dem noch angeschloßnen Bande – hoben noch einen Mühlstein auf eine Bank, um von da die Diehle erreichen, und einen Laden aufstoßen zu können. So entrannen sie. Ich habe das Gefängniß, da ich eben aus dem Waisenhause vorbey gieng, gesehen, alles genau beobachtet, und mit einem [292] Erstaunen, das Ehrfurcht wurde, – mir beynahe Thränen ablockte, bin ich davon weggegangen.

Fußnoten

1 Wer die Lehren und die Vorschriften Christi gebührend schätzet, der wird auch gewiß die tiefste Hochachtung für seine Person haben, wenn er gleich seinen Namen nicht immer im Munde führt, und sich vielleicht in seinen Begriffen von der Person Jesu von der gewöhnlichen Vorstellungsart in etwas entfernet. Wie kann man übrigens einen Lehrer und Herrn besser ehren, als wenn man seinen Vorschriften folget und seinen Befehlen gehorchet? Wie kann man einen edlen, großmüthigen Wohlthäter und Erretter besser danken, als wenn man sich über die von ihm erhaltenen Wohlthaten freuet, und den besten und würdigsten Gebrauch von denselben zu machen suchet? Wahrheit, Rechtschaffenheit und Glückseligkeit unter den Menschen zu befördern, das war Christi Werk: wer ihm hierinnen mit redlichem Herzen, und in reinen Absichten nachfolget, der treibt Christi Werk, und führet seine Sache, wenn er gleich nach unsern Gedanken in der Art und Weise, wie er solches thut, irren sollte. Anm. des Herausg.

Freytags den 4. Junius 1773
Freytags den 4. Junius 1773.

Ein sehr wichtiger Tag – von dem ich itzt aber nur weniges nachholen kann. Wenn ich alles gute, was ich heute gethan habe, und nur dieses – erzählte – so würde man mich für einen Heiligen halten; und dennoch würde mir mein Gewissen sagen, daß ich mehr mechanisch, als empfindsam gehandelt; und wenn ich alle Schwachheiten und Fehler, die ich heute begangen, und nur diese erzählte, so würde man mich für einen Heuchler und Gottlosen halten; und dennoch würde mir mein Gewissen sagen, daß ich so wenig ein Heuchler bin, als ein Heiliger; ein Heuchler nämlich – in dem Verstande, wie dieses Wort genommen wird. Ich halte aber dennoch diesen Tag für einen guten gesegneten Tag meines Lebens. Vom Morgen bis an den Abend immer Gelegenheit haben, und die Gelegenheit brauchen – nützlich zu seyn, und zu vergnügen, belehrt und vergnügt zu werden – das kann ich keinen schlimmen Tag heißen – aber ja, noch viel [293] besser hätte ich ihn zugebracht, wenn ich meine Sinnlichkeit weniger hätte Meister seyn lassen.

Des Morgens ein Ehepaar, das reformirt werden wollte – und das ich abweisen mußte. – Besuche von Herrn Thut, dem Portier des Herzogs von Würtemberg, einem Riesen von 71/2 Fuß hoch. Er blieb bis nach dem Mittagsessen mit seiner kleinen Frau bey uns. Er scheint mir ein sehr ehrlicher, bescheidner Mann zu seyn, der so sehr er sichs angewöhnt hat, gottseelig und mit der Schrift zu reden – dennoch nicht die mindeste Affectation dabey merken läßt; nichts zu seyn prätendirt; sich nicht, wie viele Fromme aus dem Würtembergischen – sogleich über die Herzen anderer hermacht, um sie apostolisch zu fragen: wie es um ihr Herz stehe, und sich ihnen mit Gewissensräthen aufzudringen; freylich so erleuchtet nicht, wie ich wünschte; nicht so begeistert von Christo, wie ich mir einen Freund Christi denke; – aber für seine ungeheure Masse Körperlichkeit – mehr Geist, Anmuth, Natürlichkeit, Güte, Kenntniß, Empfindung, Delicatesse – als in manchem zarten Sentimentalmännchen. Physischmerkwürdig ists, daß er von sehr kleinen Aeltern herstammt; daß er im 16. Jahre der kleinste unter 20. war, die sich confirmiren ließen – so klein, daß sein Pfarrer fast Bedenken trug, ihn schon zur Communion zu lassen; – bey Milch und Butter wuchs er von Jahr zu Jahr um 3 bis 4 Zolle. – Viele [294] Nachbarskinder und andere kamen ihn zu sehen.

Er schien dabey weder eitel, noch beleidigt. Er war gegen alle gütig – stund aus Gefälligkeit auf, hob sie zärtlich auf die Arme, und sagte ihnen ungezwungen etwas Gutes. – Ich schrieb unterdessen einige Briefe, die er mitnehmen sollte – an Helfer Clemm – Hartmann – Vater und Sohn. Nach dem Essen corrigirte ich einen Bogen vom Jonas, der mir beym Lesen Freude machte, weil ich mir für manchen Leser Beruhigung daraus versprach. Ich erhielt ein Billiet von einer Freundin; – zog mich an, und machte ihr einen kurzen Besuch. Von der neuen Uebersetzung der Epistel an die Römer, von Zimmermanns Einsamkeit, von meiner Frau. – Ich gieng von da zu Pf., las in Wielands Merküre – mit Nutzen und Vergnügen, insonderheit die Abhandlung über die Herdersche Preisschrift. – ∪ 8. Ferner – das IX. X. und XI. Kapitel an die Römer, verglichen mit der neuen Uebersetzung, die ich doch nun an ein paar Orten schwach fand – hernach mit Pf. nach Hause. Auf dem Wege einen Brief von Hasencamp. Wir lasen ihn; lächelten, schwatzten darüber; – vom kindlichen Geiste des Evangeliums – das Evangelium giebt wenig Regeln; es entwickelt Sentimens. – Bey dem Nachtessen diepolitischen Nachrichten aus dem Mercure – und von der Zeitung – – ich, im Bette, noch die Abhandlung[295] über die Widersprüche in der menschlichen Natur – auch blätterte ich noch hin und her. Auszeichnen will ich mir folgende Stelle, und einprägen: (denn vor wenigen Tagen gab mir eine Freundinn Winke – wider die Satyre, zu der sie einigen Hang von mir zu befürchten schien.)


Toi, qui vas décochant les traits de la Satire,
Toi, qui te fais un jeu de blesser tant de coeurs,
Approche de plus près ceux que ta main déchire;
Et le bon mot, qui t'a fait rire,
Te coutera souvent des pleurs.
[296]
Sonnabends den 5. Junius 1773
Sonnabends den 5. Junius 1773.

In der Erwartung, daß meine Frau heute oder morgen niederkommen werde, hatte ich Pf. gebeten, am Sonntag Abend für mich zu predigen. Ich nahm mir also vor, einige Briefe zu beantworten, und insonderheit den von Hasencamp. Ich that es mit sonderbarer Freude – und schrieb an Ströhlin unter andern. – »Ihre Warnungen will ich mit Dank annehmen, und gern gestehen, daß ich oft schnell bin im Reden, und mich oft übereile – daß ich mit den Wörtern Eigensinn, verworren, geschmacklos zu geschwinde herausrücke. – – O mein Lieber! von allen Seiten ruft man mir zu: Nicht so geschwinde! und auf allen Seiten rufe ich zurück: Nicht so langsam! Ich will langsamer gehen, wenn ihr mir versprecht, geschwinder zu gehen!« – –

An Hasencamp – – unter andern: »Bruder und Brüder, betäubet mich nicht, sondern gebt mir Licht gebt mir Gründe. Ich will dem Worte Gottes alles unterwerfen, meine liebsten Meynungen; aber, an die Wand stelle ich mich; ich will nicht überseufzt, sondern überzeugt seyn. – – Nicht seufzen also, nicht dich ängstigen, dich nicht furchtsam über mich gebärden, nicht [297] über meinen Leichtsinn liebreich jammern wirst du – denn so machen es, kraft der allgemeinen Zaubermacht der Eigenliebe, alle stockdickfinstern Beförderer der irreligiosesten Religionsbegriffe – sondern aus dem Lichtquelle vollaufgeschöpfte Lichtgründe wirst du mir vorlegen ......

O ihr lieben Seelen, warum wollt ihr mit aller Gewalt einer liebreichen Sorgsamkeit mir meinen kindlichen Geist abwarnen, abseufzen, und mir Euern vielsehenden Furchtgeist, gleichsam mit Handauflegung Euerer Freundschaft dafür geben?

Lieber Hasencamp, lieber Peter, und Samuel, und Johannes, und wie ihr guten sorgsamen Bruderseelen alle heißet; laßt mich doch lächeln, wenn ich an euch denke, und sanft, liebreich fragsweise lächeln, wenn Ihr – mit Euern Bedenklichkeiten – meine Sentimens schwächen, meine heitre Einsicht in das Evangelium, das nicht so regelhaft ist, verdunkeln, und mir, auf gut jüdisch, die Freyheit rauben und einschränken wollet, die mir Christus giebt. Nicht auf Eingebungen, nicht auf Blitze und Triebe, dieses oder jenes Große zu übernehmen, laure ich. Ich gehorche meinem moralischen Gefühle – und dem Evangelio – und der Fürsehung, das ist, ich glaube an Gott, den Vater, [298] den Sohn, und den heiligen Geist. Aber, verzeihe mir! ich fürchte, ihr verstehet das noch nicht.

Nicht so geschwinde! ruft mir mein Weibchen fast bey jeder Mahlzeit; Nicht so geschwinde! ruft mir Herr Ströhlin von Bern – Nicht so geschwinde! ruft mir eine liebe Gesellschaft von Duisburg zu. Ich will hören, ihr Lieben! ich will mich vorsichtig machen lassen! aber ich will nicht kriechen. Ich will lieber fliegen und fallen können; als nicht fallen können, und – kriechen.

Ich sehe freylich wohl; meine Briefe die ich nun doch, um Euern Beyfall zu erschleichen, um keinen Buchstaben schüchterner machen möchte, werden Euch meinen Freyheitssinn (wiewohl ich mich jedermann zum Knechte mache) nicht geben. Aber, wenn wir ein paar Monate mit einander umgehen könnten, dann würden wir unser Gutes gegen einander auswechseln, und manches würde sich auf beyden Seiten abschleifen, das itzt schimmert, wenn es gleich nicht Gold ist.

Gebet um Weisheit und Erleuchtung ist fast mein einziges, wenigstens mein vornehmstes Gebet; und die Fürsehung erhört mich größtentheils durchs Evangelium, und durch Menschen. Ich bitte nicht um diese oder jene Wundergabe; ich übe mich, alle, [299] auch die göttlichstscheinenden Triebe den Worten Christi, denn diese sind mir noch wichtiger, als die Worte der Apostel, zu unterwerfen (die Apostel reden mehr mit den Juden und Heiden; Christus mehr mit demMenschen; 1 nicht daß ich der Apostel [300] Wort, das ist, Christum Christo entgegensetze – denn man kann sich gegen Euch, ihr Lieben, nicht genug verwahren, nm nicht mißverstanden zu werden. – Ihr habt, in aller Freundlichkeit seys gesagt, eine verzweifelte Gabe, alles bedenklich zu finden, und setzet Euch nicht genug in meine Umstände hinein; denn ich habe nicht Zeit zu entwickeln; ich gebe lieber Saamenkörner als Früchte. – – Und über dieses alles, lieben Brüder, muß ich wieder sagen: durchaus verfehlt ihr meine Denkensart.

Hast du, Bruder Hasencamp, mein Gebetliedchen gesehen, das ich täglich im Geiste mit dir beten möchte, und dabey mir immer so herzlich wohl wird. Mich dünkt, du habest meinen Jonas noch nicht erhalten,[301] sonst würdest du in so mancher Absicht, in welcher du itzt meinethalben bekümmert bist, keinen Kummer mehr haben. – Doch – ich erinnere mich nicht, in allen vierzehn Predigten dem Satan ein einziges mal die Ehre erwiesen zu haben, ihn auch nur zu nennen – und das ist dir vielleicht bedenklich. Nun – wenn duschwach bist, so magst du Kraut essen; und ich will in Ewigkeit kein Fleisch essen, wenns dich im Biblischen Sinne ärgert; wenn du diesen heitern Scherz nicht ertragen kanst – lieber Bruder; so will ich mich dessen, um deinetwillen aus Liebe zu dir, enthalten, und paullinisch denken: Es ist mir zwar alles erlaubt, aber es nützet nicht alles.

Man muß seiner Pflicht, und nicht seiner Lust folgen, das ist, dem moralischen Gefühle nach der Fürsehung – und keiner eigensüchtigen Liebhaberey; da habt ihr ganz recht.

Stehe auf eine Zeitlang von dem ab, was dir auch in den guten Sachen, auch in den besten Sachen bisher die liebste Arbeit gewesen; und siehe zu, ob du nicht etwas finden könnest, das vor der Hand nöthiger, oder eben so nützlich ist, wozu du aber keine, oder nicht so große Lust hast. Ich will diesen deinen Rath durch die Anwendung auf [302] mein Herz, und meine Umstände prüfen. Eins meiner liebsten Geschäffte ist das Predigen; Briefe schreiben, die erleuchten, erwärmen, vergnügen; – Freunde und Freundinnen besuchen; – Armen helfen, die mit ihrer Noth auf meine Stube kommen u.s.w. – das ist bisher meine liebste Arbeit gewesen; von dieser soll ich nun abstehen? Soll nicht predigen? Nicht Briefe schreiben? Nicht Freunde besuchen? Nicht den Armen helfen? – Warum nicht? – Darum, weil es meine liebste Arbeit ist? – Lieber Bruder! wo steht so was im Evangelium? Heißt das nicht: eingebildeteἐϑελοϑρησχειαυ 2 durch wirkliche vertreiben? – Doch ich will auch redlich gestehen, daß die Maxime unvergleichlich gut ist: Von vielen Sachen, die du thun mußt, thue die zuerst, die dir am meisten zuwider ist. Grüßen Sie nur die edle Seele, die Frau L., die sich diese Maxime zu eigen gemacht.

Der apostolische Stand ist von dem unsrigen verschieden. Ganz gut: aber, wir sollen trachten, ihn demselben so ähnlich zu machen, wie möglich; das heißt: Christum zu verherrlichen durch Leben und Tod.

[303] Die Begriffe von Gottes Ordnung und Recht, die mir noch fehlen, lieber Bruder, die will ich mir also mit deinem ersten Briefe verschrieben und bestellt haben; du hältst mir sodann Rechnung. Was ich davon brauchen kann, behalte ich; was nicht, sende ich dir zurück.

Wahre Demuth ist: Mir nichts zuschreiben, was ich nicht habe; – und das, was ich habe, als empfangen, als Gnade ansehen; – und dem Nächsten, wie meinem Herrn dienen. – Was ist nun falsche Demuth – Sich etwas nicht zuschreiben, das man hat, – das, was man hat, für Gnade ausgeben, und dennoch dabey so eitel seyn, als wenn mans nicht empfangen hätte. – Oder da kriechend und schmeichelnd handeln wo man brüderlicher Knecht seyn sollte – Lieber Bruder; worinn besteht nun die falsche Demuth, worein mich der Teufel zu stürzen sucht? – Lieber Bruder, laßt uns bitten:


Nichts als deines Geistes Gnade,
Nichts, sonst nichts, verlangt dein Kind;
Dann geh ich auf rechtem Pfade
Sicher, muthig und geschwind. –

[304] Hast du den Brief des Pastors zu *** an den Pastor zu *** gelesen? – O lies ihn! lies ihn! – Straßburg hat mir geantwortet: Meine Schriften wären nicht verrufen! Im Convent nur haben sie auf Veranlassungen, worüber sie sich niemals weder erklären wollen, noch werden, erinnert, dieselben in puncto Socinianismi mit Behutsamkeit zu lesen. Es freue sie nun, daß ich so wohl in Absicht der Person als des Todes Christi den Socinianismum zu verabscheuen sie versichere.«

Nach dem Mittagsessen schrieb ich noch den Brief an Hasencamp zu Ende; durchlas ihn; gieng ins Salzhaus – öconomische Sachen; von W. Ich bestrebte mich aufs Billigste von ihm zu urtheilen. Von da – ich las noch den Mercüre zu Ende, und holte mein Tagebuch nach; – von 7 bis 8 Uhr bey meiner guten Frau. – Sie las meinen Brief an Hasencamp. – Nach dem Essen las ich noch ein Manuscript von einer Freundinn, tsgi⊙ch

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⊙rs ±+. Für mich sehr lehrreich – sehr viel richtige Bemerkungen, die mich trafen; beschämten; erfreuten; – über meine Gleichgültigkeit gegen die Urtheile der Welt von mir. – Ich werde immer mehr gleichgültig werden müssen, je mehr ich täglich wahrnehme, wie unendlich wenige von der ungeheuren Menge der [305] Beurtheiler – ruhig und ohne Leidenschaft nachdenken; wie wenige sich ums Anhören und Beobachten bekümmern; wie wenige sich in meine Umstände hinein zu setzen sich die Mühe nehmen, oder es für die natürlichste Billigkeit halten; – wie unmöglich es wäre, recht zu handeln, wenn ich allemal vorher auch nur 6 erleuchtete und redliche Menschen fragte, was ich thun sollte? wie ganz widersprechend ihr Rath ausfallen, und vielleicht keiner mir das, was für meine Person, meinen Charakter, meine Umstände, meinen Geschmack das Beste und Schicklichste ist, rathen würde; wie die nahen Beurtheiler zu partheyisch, zu ängstlich in Absicht auf andere nahe geräuschmachende Urtheile und Wirkungen sind – diefernen viel zu wenig Data haben, um darauf ein richtiges Urtheil gründen zu können. – Also – werde ich mich zwar gern allen Urtheilen unterwerfen; alles mit Ruhe anzuhören, und mit Redlichkeit mir zu Nutze zu machen, mich üben; – aber ich muß doch zuletzt meine eigne Wage, und eine von allen Urtheilen der Welt schlechterdings unabhängige Selbstständigkeit haben: ich muß vorsichtig seyn, ehrbare, löbliche Dinge zu thun, nicht allein vor dem Herrn, sondern auch vor den Menschen; übrigens – mich üben, zu warten, zu warten auf den Aufschluß manches Rätzelhaften an mir, [306] den die mütterliche Sorgfalt der göttlichen Fürsehung zu rechter Zeit meinen Freunden und Feinden geben wird; zu warten auf die großeEntscheidung der ewigen Wahrheit und Liebe – die mein Gutes bekannt machen – und meine Fehler verbessern und verzeihen wird.

Ich schlief mit guten Empfindungen, voll Ruhe und Dankbarkeit ein, mit dem vielfassenden Seufzer: »Laß mich erwachen, ehe ich entschlafe, und leben, ehe ich sterbe!«

Fußnoten

1 Zunächst und unmittelbar redete doch auch Christus mit dem Menschen oder mit denen Menschen, die er jedesmal vor sich hatte, es mochten nun seine Jünger oder andere Zuhörer seyn; und mit diesen Menschen mußte er in ihrer Sprache, nach ihren Bedürfnissen und Umständen, nach der Beschaffenheit und dem Grade ihrer Erkenntniß von philosophischen und Religionssachen, reden, wenn er von ihnen verstanden werden, seine Lehren mit ihrem Gedankensysteme verbinden, und sie dadurch weiter bringen wollte. Wir müssen also das Allgemeine in seinem Vortrage von dem nach Zeit, Personen und Umständen bestimmten Besondern desselben unterscheiden lernen, und dieses nicht mit jenem vermengen; wir müssen uns mehr an die Sachen als an die Ausdrücke halten. Jene sind ewige, unveränderliche Wahrheit; diese richten sich nach dem abwechselnden Bedürfnisse der Zeit und Umstände. Wenn Gott itzt durch Jesum oder andere von ihm erleuchtete und bevollmächtigte Boten zu uns redete, so würde er uns zwar eben dasselbe sagen, aber er würde es uns, was den Ausdruck und die Vorstellungsart betrifft, aller Wahrscheinlichkeit nach, auf eine ganz andere Art sagen lassen. Stoße dich nicht an diesem fremdescheinenden Satze, christlicher Leser. Ich habe ihn nicht aus Verachtung der Schrift, die ich mit dir für ein überaus kostbares Geschenk Gottes halte, sondern zur Uebung des christlichen Nachdenkens, und zur Befestigung des wahren christlichen Glaubens hinzugefüget. Anm. des Herausg.

2 Selbsterwählter Gottesdienst; künstliche Religion.

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TextGrid Repository (2012). Lavater, Johann Kaspar. Autobiographisches. Unveränderte Fragmente aus dem Tagebuche eines Beobachters seiner Selbst. Unveränderte Fragmente aus dem Tagebuche eines Beobachters seiner Selbst. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DC38-A