Frühling

Die warme Luft, der Sonnenstrahl
Erquickt mein Herz, erfüllt das Tal.
O Gott! wie deine Schritte tönen!
In tiefer Lust die Wälder stöhnen;
Die hochgeschwellten Bäche fallen
Durch Blumen hin mit trunknem Lallen;
Sein bräutlich Lied der Vogel singt,
Die Knosp in Wonne still zerspringt;
Und drüber goldner Wolken Flug;
Die Liebe ist in vollem Zug.
An jeder Stelle möcht ich liegen;
Mit jedem Vogel möcht ich fliegen,
Ich möchte fort und möchte bleiben,
Es fesselt mich und will mich treiben.
O Lenz, du holder Widerspruch:
Ersehnte Ruh und Friedensbruch,
So heimatlich und ruhebringend,
So fremd, in alle Ferne dringend.
Das Frühlingsleuchten, treu und klar,
Erscheint dem Herzen wunderbar
Ein stehngebliebner Freudenblitz,
In Gottes Herz ein offner Ritz;
Und wieder im Vorübersprung
Ein Himmel auf der Wanderung;
Ein irrer Geist, der weilend flieht
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Und bang das Herz von hinnen zieht.
Ich wandle irr, dem Himmel nach,
Der rauschend auf mich niederbrach;
O Frühling! trunken bin ich dein!
O Frühling! ewig bist du mein!

Notes
Entstanden und Erstdruck 1840.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Lenau, Nikolaus. Frühling. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E1D9-6