[18] 6. Die Landplagen, ein Gedicht in Sechs Büchern

Ode an Ihro Majestät Catharina die Zweite, Kaiserin von Rußland.

Die Du weis' und gerecht stets in demselben Glanz
Herrschst, Anbethung verschmähst, anbethungswürdig sein
Ohne Lorbeer voll Bluts, thörichte Helden lehrst,
Hin, hinauf zu Dir fleugt mein Lied.
Furchtsam weihet es Dir dieses betränte Bild
Durch der Mitternacht Graun schlängelnder Blizze, Bluts,
Das durch Blumen und Gras rinnt, wie die Quelle rinnt,
Und des Sterbtages der Natur.
Mit des Frühlinges Pracht, mit seinem ersten Schmuk
Kränzt' ihr glükliches Haupt, schmükte die stolze Brust
Meine Muse, wenn Dir, wenn auf diß Bild, wenn Dir
Eine göttliche Trän' entfiel.
Denn Du hassest den Krieg, hassest den prächtgen Mord,
Winkst dem Hunger zu fliehn, betest zu Gott fürs Land
Und Dein Flehen verscheucht Abbadon, daß das Schwerdt
Aus der bebenden Hand ihm sinkt.
Kann er hart genug einst, Dich uns zu rauben, sein?
Solch ein Lächeln wie Deins sehen und tödten? Traurt,
Bebt sein Innerstes nicht, wenn er ein Bild von Gott,
Catharinen entseelen soll?
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Lebe, Mutter der Welt! siehe, der Völker Wohl
Fleht, es fleht Ihr Gebet, still in die Nacht geschluchst:
Lebe! die Du an Huld gleichest der Gottheit, sei
An Unsterblichkeit auch ihr gleich.
Denn ich seh es im Geist, um Deine schwarze Gruft
Drängt ein sprachloser Kreiß; Schluchsen und Seufzen trennt
Die nachhallende Luft, Schluchsen und Heulen tönt
Von dem Belt bis zum schwarzen Meer.
Trostloß raufet der Greis das ihm gebliebne Haar,
Wirft sein heiliges Haar ausgerauft auf Dein Grab:
Dreimal küßt er den Staub der Deine Leiche dekt,
Dreimal weinet er laut und ruft:
»Warum zeugtest du mich, du, der du mich gezeugt?
Warum zeugete ich, du, den ich zeugte, dich?
Daß mein Auge soll sehn, Sohn, daß dein Auge soll
Catharinen erblasset sehn?«

Erstes Buch. Der Krieg

Junge traurige Muse! besinge die schreklichen Plagen,
Die unerbittlich der Todesengel aus Schaalen des Zornes
Ueber die Länder ausschüttet, wenn frech gehäufete Schulden
Wider ein ganzes Volk vom Richter Gerechtigkeit heischen.
Wechselnde Scenen voll Grauen, stellt euch den furchtsamen Sinnen
In eurer ganzen Abscheulichkeit dar. Entkleidete Felder!
Rauchende Mauren und Thürme! Boßhaftig schleichende Lüfte!
Menschliche Schatten, nicht Menschen mehr, mit todblassen Gesichtern,
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Mit bluttränenden Augen! Auf winselnde Kinder und Frauen!
Streitende, gegen einander erhizzete Vesten des Weltbaus,
Erd' und Feuer und Dampf und Wasserfluthen und Stürme!
Gebt mir den furchtbaren Stoff zu meinem ernsten Gesange.
Und ihr, denen ich singe, mein Preis ist, fühlet und weinet!
Weinet edle Menschlichkeit auf meine klagenden Saiten,
Weinet Tränen des Danks zu dem, der göttlich erbarmend
Noch die Gewitter der Rache, (sie brausten, wüteten, eilten
Ueber euch gräßlich hinauf) von euren Häuptern zurük hielt.
Du zuerst, der Landplagen Vater, mit Donner und Feuer
Ueber die Erde stürmend, durch Menschenopfer und Blut nicht,
Nicht durch Verödung und Wimmern der ganzen Natur zu versöhnen,
Krieg! oder nenn' ich dich lieber den ehrlich gemacheten Todschlag?
Pflanze mir Schwerdter vors Auge, färbe mit Blut meine Laute,
Daß meiner Brust voll Schrekken kein zärtlicher Seufzer entfliehe,
Oder ein sanfter Ton von meinen Saiten nicht irre.
Was für ein dumpfes Prasseln erwacht aus jener Entfernung,
Welches von schwazzenden Bergen der Widerhall dumpfer zurük tönt?
Ach ihr seid es, Bothen des Kriegs, Herolde des Todes,
Ihr lautkrachenden Trommeln, von Mordgesängen begleitet.
O wie flieget das Herz des erblassend-lauschenden Landmanns!
Schnell entfällt den starren Händen die Sichel: er eilet
Mit oft sinkenden Knien zum Dorf und verkündigt den Nachbarn:
»Fliehet! der Feind ist da.« Sie hörens, erblassen und rennen
Männer und Weiber unsinnig mit fliegendem Haar durcheinander:
»Ach, was sollen wir thun?« und keiner rathet dem andern:
»Wohin sollen wir fliehn?« und keiner flieht vor Bestürzung.
Zögert nur! Seht ihr, wie nicht vom Himmel genährete Blizze
Jene Nebel zertrennen und hört ihr den Donner der Stükke? –
[21]
Seht ihr den Berg mit Wolken weissagenden Staubes bedekket?
Jezo senkt sich der Staub ins Thal. Helleuchtende Waffen
Dekken wie Aeren die Hügel. Mit stampfenden Fußtritten eilet
An ihrer Neige der Krieger hinab. So stürzen die Ströme
Im Schneeschmelzenden Lenz von steilen Felsen und machen
Ruhige Fluren zum wilden See. Schon seufzet der Akker
Unter gewafneten Schnittern, oder die nährenden Halmen
Werden von frechen Füssen im schlechten Sande begraben.
Plözlich erhebt sich ein banges Geschrei. Vor brennenden Hütten
Heulet der nakte Landmann. Mit Händeringen und Seufzen
Sieht, in Lumpen gehüllt, die trostlose Gattin der Glut zu,
An der scheue Kinder sich hängen. Im dunkeln verlaßnen
Furchtbaren Walde opfert ein blödes unschuldiges Mädchen
Winselnd der Brunst des Verführers die zu ohnmächtige Tugend.
O wie wird der Vater mit Tränenbetröpfelten Schritten
Seines Alters Trost verzweifelnd suchen und finden
In eines Wüterichs Arm. Mit seinem erschrokkenen Enkel
Eilet der schwache Greis hinweg; in den Runzeln der Wange
Schleichen bekümmerte Tränen: Da, ach! eine schnelle Faust reißt
Aus den Armen des Vaters den weinend sich sträubenden Knaben,
Ewig zum Sclaven: o hätte sie ihn dem Leben entrissen!
Jezo rükt die lebendige Mauer der Krieger zur sichern
Nahgelegenen Stadt, und schikket sich, sie zu belagern.
Alles wird Furcht in der Stadt: die hohen offenen Thore
Werden krachend verschlossen und Trommeln rasen wie Donner.
»GOTT! wie wird es uns gehen?« rufen die bleichen Bewohner,
Die wie gescheuchte Schaafe in dummer Verwirrung umher fliehn.
Bald verirrt ihr kläglicher Blik auf die Weiber, die Kinder:
Zitternd ergreifen sie sie und stürzen nieder mit ihnen
In die dumpfigsten Höhlen, wo ewige Dämmerung schleichet.
So ergreift mit ängstiger Hand den Beutel, in dem sein
Herz ruht, wenn über ihm sein Dach in Funken davon fliegt,
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Der halb todte Wuchrer. Schon hört man das trozzige Schmettern
Auffodernder Trompeten. Mit nicht zu erschütterndem Muthe
Spottet der Vestung Beschüzzer der tönenden Drohung. Der Bürger
Hörts, wankt mit gezwungenem Schritte zur Wohnung und hänget
Schaudernd die rostigen Waffen um sich. Beklemmet umhals't er
Dann die ohnmächtige Gattin und die erbleichende Tochter,
Kann nicht sprechen und weint. Dort rüstet den Jüngling die Braut aus:
Mit unzähligen Küssen heften die schönen und blassen
Lippen sich auf sein brennend Gesicht, voll wallender Tränen.
Schluchzend tröstet der Trostlose sie: »Verzag nicht, Geliebte!
GOTT wird mich schüzzen: verzag nicht!« aber sein ängstliches Trösten
Rizzet die tödtliche Wund' in ihrem Busen nur tiefer.
Plözlich entreißt er sich ihren an ihm klebenden Armen:
Stumm und lebloß, als wär' ihr Herz dem Busen entrissen,
Steht sie, ihr Chrystallenes Aug auf ihn gekehrt und
Da er nun unsichtbar wird, und da sie statt seiner sein Bildniß
Nur noch zu sehen glaubt, und da er ihr Ach voll Verzweiflung
Nicht mehr hören kann, sinkt sie, athemloß, ohne Sinnen
In verbergende Kissen und schluchst, bis auf die siegreichen
Augenlieder voll Tränen der Schlummer mitleidig hinabsinkt.
Und nun sind schon die Wälle mit Vätern und Gatten und Söhnen,
Die für Mütter und Weiber und Kinder kämpfen, besetzet.
Brennende Kugeln stürzen aus zornig brüllender Stükke
Ehernem Rachen umsonst auf die langsam sich nähernden Feinde;
Alle Gassen sind öd' und nur aus hohlen Gewölben
Tönet die wechselnde Stimme der Angst, das dumpfe Gemurmel,
Und das Aechzen der Kranken und der Säuglinge Schreien.
Plözlich fliegen in zischenden Bogen funkelnde Bomben
Ueber die Stadt dahin, in izt noch stehende Thürme –
Jezt gesunken; würgen in bangen Versammlungen oder
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Tödten ein munteres Kind, um welches erschrokkne Geschwister
Zitternd betrachtend stehn. Auf hartem Strohbette wälzt sich
Ein Todkranker und weint, so oft er den schütternden Knall hört.
Jezt entbrennet ein Haus. Vergeblich schlupfen mit schnellen
Schritten die hurtigen Greise aus ihren Gewölben zum Löschen:
Der wahrnehmende Feind schießt in das lodernde Feuer,
Dort herum sinken die Retter von springenden Bomben zerschmettert,
Und die Flamme wird Glut. Die zagende blasse Besazzung
Kömmt in Verwirrung, beängstigt vom Heulen der Weiber und Kinder,
Die mit zerstreueten Haaren die rauchenden Gassen durchirren
Und vom Brande gejagt auf Wäll' und Thürme sich retten.
Schnell bedient der Belagerer sich des erhascheten Vortheils,
Stürmt mit wildem Geschrei, besteigt die Mauren und öfnet
Die gesperreten Thore durch die er blutdürstig hereinzieht.
Wie die Wolke, die lang an der Stirne des blauen Olympus
Schwarz und schwefelgelb droht, von uneinigen Winden gehindert:
Endlich plazzet sie loß, verschüttet Donner und Feuer
Und den peitschenden Hagel in hülflose Haufen der Aeren,
Die er, nicht achtend des stetigen Bükkens grausam zerknikket:
Also würget der Feind in wehrlose Schaaren der Bürger,
Die mit gebogenem Knie nicht können die Wohlthat erflehen,
Länger das Licht des Tages, das Würmern gegönnt wird, zu trinken.
Blut besprenget das Pflaster: verworrene kreischende Stimmen
Tödtender und Getödteter steigen zum zürnenden Himmel.
Von dem Schrekken ergriffen gebehren schwangere Frauen:
Unbändig stürzen die Krieger in ihre Kammern und reissen
Den bekümmerten Ehemann hinweg von der Seite der Liebsten
Und vor ihren Augen ermorden sie ihn. Ach! vergeblich
Strebt der Gebehrerin matte Hand, zum Himmel zu ringen,
Ihr Mund stammelt und stöhnt vergeblich: sie sieht ihn durchstochen
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Und eine tiefe Ohnmacht verlöscht ihr glimmendes Leben.
Bräute bitten und schluchzen für die bedrohten Geliebten:
Mörder sind taub dem Girren der Liebe. Geschändete Jungfrauen
Opfern dem schröklichen Stahl ihr schönes Leben, nachdem sie
Viehischen Lüsten die Tugend geopfert. Es rauchet des Säuglings
Eingedrükketer Schedel; in seinen goldgelben Lokken
Klebt Gehirn. Wie zersprang das Herz der verzweifelnden Mutter,
Als ein Wütrich ihr sie umhalsendes furchtsames Kind mit
Plumper Faust ihr entriß! Sie fiel vor ihm nieder; die Rechte
Grif ins gezükkete Schwerdt, die Linke versuchte den Märt'rer
Zu entreissen: sie jammerte, bat, beschwur ihn, versprach ihm
In der sie ängstenden Todesangst Geld, ihr Haus – ihre Tugend.
Aber er lacht' ihrer Wuth: so lachen nächtliche Blitze,
So lachen Flammen der Hölle durchs sie umwölbende Dunkel.
Zischend stieß er den Stahl durch den unschuldigsten Busen,
Da fiel das zarte Kind mit Zappeln zur Erde; die Wange
Ward mit zunehmender Blässe und purpurnem Blute gefärbet.
»Mutter! Mutter!« erscholl noch von den bebenden Lippen,
Als ihm das Leben entwich: es strekkte die Hände, die Füsse
Von sich und blieb, ohne Rettung tod, zu den Füssen der Mutter.
Ganz bleich, mit verwildertem Auge, zerrungenen Händen,
Die sich ausgeraufte Lokken fülleten, flog sie
Wie eine kindberaubte Löwin, auf den Barbaren,
Raubt ihm das Schwerdt und tödtete ihn und sich mit dem Schwerdte.
Wie aus dem Toderfüllten Eden die Satane zogen,
So, auf Verwüstung stolz, ziehn aus ausspeyenden Tohren
Ueber mit Schutt und Leichen gefüllte Gräben die Barbarn.
Schwarz von Rauch, voll wartender Blizze, schauet der Himmel
Auf die Verruchten hinab und winkt dem feindlichen Heere
Wider sie anzuziehn und Henker den Henkern zu werden.
Schnell pflanzt auf dem weiten, zertretenen, stäubenden Akker
Sich ein blizzender Zaun von Schwerdtern, es toben die Trommeln
Und die Fahnen flattern bedeutend, wie Abbadons Flügel,
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Ueber die Haufen dahin, die stumm zum Tode sich ordnen.
Brust gegen Brust gekehrt stehn die geweiheten Mörder,
Frech, gedankenloß, doch heimlich voll Sorgens und traurig.
Wie ein Wandrer erschrikt, wenn er unvermuthet den Rachen
Des zerreissenden Löwen vor ihm aufgesperrt siehet
Und nicht fliehen mehr kann: so beben sie, da die Geschüzze
Gegen sie angeführt, mit offenem Schlund' ihnen drohen.
Jezt ertönt die Trompete: sie sendet Schrekken auf Schrekken
In die Gebeine des Kriegers hinab. Jezt rufet die Stimme
Der Hauptleute zum Streit. Man strekt die blanken Gewehre –
Bliz auf Bliz und Knall auf Knall verwunden und tödten.
Menschen sinken wie Mükken, wie ein gewaltiger Schlag stürzt,
Taumeln betäubt darnieder, betäubt, bis eisernes Krachen
Sich eröfnender Thore der Ewigkeit sie aus dem Traum wekt.
Mit verdreheten Augen entstürzt der verwundete Frevler
Dem unter ihm wegstreichenden Roß. In umspannender dunkler
Todesangst suchet die starrende Hand die andre, sie noch zum
Richter zu falten: umsonst! zu kurz ist die Zeit seiner Busse,
Da er die längere frech, mit leichtsinniger Boßheit versäumet.
Ihr, die eure Pflicht aufruft, den winkenden Fahnen
In tausendfache Gefahren zu folgen, erbebt vor dem Tode,
Eh er noch auf der drohenden Spizze des feindlichen Schwerdtes
Vor eurem Busen steht: schaut ihm ins furchtbare Antliz,
Werdet vertraut mit ihm, gewöhnt euch zu seinen Schrekken,
Eh sein abscheulich Geripp euch unvermuthet umhalset.
Zagen und Schauder verbreitendes Bild! Aufdampfende Ströme
Menschenbluts rinnen auf dem untern ehernen Fußtritt des Heeres
Donnernden Akker, der izt zum harten Wege getreten,
Sie nicht bergen mehr kann. Entstellete Leichen, Waffen,
Kleider, unkenntliche Fahnen, Aeser geschlachteter Rosse,
Liegen unter den Füssen der Streiter zerstampft und verwirret.
Rauch und Staub verdunkelt die Gegend. Kugeln und Flammen
Fahren schröklich umher: das Schwerdt wird wüthend geschwungen
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Durch die seufzende Luft, und Blut trieft herab von der Schneide.
Knallen, Schreyen, Wiehern und Winseln ertönen vermischet
Und die kläglichen Stimmen Verwundter und Sterbender werden
Fürchterlich unterbrochen von jauchzenden Siegesposaunen.
So viele Völker hier kämpften, so viele Zungen und Sprachen
Flehn von verschiedenen Gottheiten oder von Märtrern Erbarmen.
Hier eröfnet den Mund ein weicherzogner Jüngling;
Aber der Schall seiner Stimme verschwindt im wirbelnden Lärmen.
Dort strekt flehend ein Gatte die Hand aus, der sich der Gattin
Und der unmündigen Kinder erinnert und gern dem Getümmel
Noch entränne, noch lebte: aber die schnaubenden Rosse
Stürmen über ihm weg und erstikken den Funken des Lebens.
Damon, ein Vater und Held, der an der Seite des ersten
Des geliebtesten Sohnes voll Staub und Blut lag, erblikt' ihn:
Als er ihn sah, da schob er sich näher zu ihm, umarmt' ihn:
»O dich segn' ich, Geliebter! daß deine ehrende Wunde
Blut fürs Vaterland strömt! Sei getrost! die Kämpfe des Todes
Endet unsterblicher Lohn: laß uns mit Freuden sie kämpfen!
Freue dich, Sohn, und stirb!« Der sprachlose Jüngling
Zärtlicher, furchtsamer von Empfindung, hörte den Helden
Nicht. Sein trübes Auge tröpfelt' unzälige Tränen
In das Blut seiner Wunde und sein Herz brach seufzend.
Indeß end't sich die Schlacht. Ein Theil der Siegenden eilet
Denen Entfliehenden nach, von welchen ein plözlicher Regen
Abgeworfener Kleider und Waffen den Boden bedekket.
Fliegend wiehern die Rosse. Wolken von Staub verhüllen
Laufende Fußgänger ihren Verfolgern. Feigere Sieger
Plündern die Leichen in ihrem Blut. Abscheulicher Anblik!
Menschlicher sind die, die mütterlich Erdreich den Todten eröfnen
Und unter schönen Blumen Helden zu ruhen vergönnen,
Die der Großsprecher Glük durch stumme Wunden erkauften.
Flekken der Menschheit, vom wildsten der höllischen Geister ersonnen,
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Krig, Zerstörer der Freuden, Verderber friedseliger Staaten!
So erschreklich du bist, sind schreklicher oft deine Folgen,
Die Jahrhunderte durch dein Andenken wieder erneuern.
Schallet nach langem Kriegesgeschrei die tröstliche Stimme
Der Posaune des Friedens an fröhlich nachhallenden Ufern:
Ach dann nahet der Landmann mit stillen unschuldigen Tränen,
Sucht sein verlassenes Dorf und findet glimmende Asche,
Sucht sein wallendes Feld, die Auen voll hüpfender Schaafe
Und die Berge voll Reben: und findt unkenntliche Wüsten.
So fand Noah die vormals lächelnde Erde verschlemmet
Als er aus dem schwimmenden Sarge neugierig heraustrat.
Tiefer gebeugt betrachtet die ihm izt drohenden Mauren
Seiner einst zierlichen Wohnung der Bürger. So stumm und erschrokken
Sah der mäonische Held die vorigen Freunde, mit jeder
Tugend des Lebens geschmükt, auf Circens bezauberter Insel
Ihn als zottigte Bären mit wildem Schnauben bedräuen.
Ganze Geschlechter ziehn hülfloß umher. Dort kriechet ein Alter
An dem dürren Stekken: ihm folgen mit langsamen Schritten
Seine entstellten Kinder nebst ihrer wehmütigen Mutter:
Alle in Lumpen, alle vom Gipfel des Glüks und des Reichthums
Zu der tiefsten Tiefe der Dürftigkeit niedergesunken.
Stolz geht der niedrige Reiche der sie geplündert, vorüber,
Hört, umwikkelt mit Tressen, bekannt mit Seufzern und Flüchen,
Nicht das stete Gewinsel der nakten hungrigen Knaben,
Noch das Stöhnen des Greises, der sie zu trösten versuchet.
Schändliche Sieger! die wehrlose friedengewöhnte Geschlechte
In ihren Häusern bestürmen und aus den Wällen voll Reben
Mit bepanzerten Händen verscheuchen: die köstliche Weine
Nicht aus Helmen entwaffneter Helden, aus gottlosem Raube
Und dem Heiligthum sonst geweihten Gefässen verschlukken.
Ists Verdienst ein Räuber zu sein, ists Lorbeeren würdig?
Oder lispelt sie nicht in eurem Busen, die Stimme
Die allmächtige Stimme der Menschlichkeit und des Erbarmens?
Oder erschrekket euch nie der fluchende Seufzer des Bettlers,
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Einst ein glüklicher Bürger? Weigert die Hand sich nicht, bebt nicht,
Zu berühren ein Gut das fremdes Mühen verdiente?
Eure Kinder und Weiber, (ich sehe die rächende Zukunft)
Irren verlassen umher von einem Wuchrer gedrükket:
Tränen bahnen sich Wege auf ihre trostlose Wangen
Und ihr Busen gewöhnt sich zu bittern und heimlichen Seufzern.
Gräßlicher sind der Muse die Tygerseelen, die Morden
Und Unschuldiger rinnendes Blut zum Labsale wählen,
Lachen zu Flammen der Dörfer und jauchzen ins Schreien der Märtrer.
Einst wenn der sein Opfer aufspahrende Tod euch hinwirft,
Sollen tränende Augen, tränlose Augen, weit offen,
Um euer Lager blinken, ein stetes Winseln und Heulen
In eure Ohren schallen und aller der Elenden Flüche
Wie ein hoher Berg auf eurem ringenden Busen,
Der unter fruchtloser Müh sie von sich zu welzen, hinstirbt,
Ruhen. Höret und bebt: Es ist für Teufel ein Gott da.
Alles ist jezt öd' und Handlung, Gewerbe und Handwerk
Unterbrochen. Einsam zerstreuet seufzen die Menschen
Nach den besseren Zeiten, doch seufzen sie lange vergeblich.
Selten tritt nicht der magere Hunger, gefräßige Seuchen
Und weiterndtende Pest in die Fußtapfen des Krieges.
Oft erobern Tyrannen die schon verheereten Länder
Und ihre Herrschaft ist ewiger Krieg: sie pressen beraubten
Und erst schwach emporstrebenden Bürgern armselige Güter,
Schiffbrüchigen den Schiffbruch ab und nennen sich Väter.
Oft müssen die Ueberwundnen den scheuen Nakken hinbeugen
Dem unerträglichen Joch der Gefangenschaft. Grausame Ketten
Klingen an ihren unschuldigen Händen; umschränkende Blökke
Muß ihr müder Fuß, als wären sie Räuber, fortschleppen.
Noch einen Blik, empfindliche Muse! vergönne mir, die du
Schon der Tränen satt bist, die in dein Saytenspiel fallen.
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Laß uns're Augen mit den gebrochenen Strahlen des Tages
Dämmernde Höhlen, die Gräber lebendig modernder Sklaven
Durchirren, laß uns die dunkeln Tränen auf ihren blassen
Gelben Wangen zählen (so krümmt zwischen Ufern von Schwefel
Sich der schwarze Styx); laß uns des Tunischen Räubers,
Oder des grausamen Türken, des Vieherniedrigten Tartarn
Wilde Aekker durchwandern, wo lärmende Ketten harmonisch
Tiefe Seufzer gleich Rindern pflügender Christen begleiten.
Dort im furchtbaren schwarzen Hayn, vom Strahle der Sonne
Selten nur angelacht (wie tröstet diß Lächeln die Seele!),
Arbeitet Silvius einsam. Er war ein blühender Jüngling,
Als er die trostlose Braut, mit nicht zu stillenden Tränen
Ahndungsvoll verließ, für seine Brüder zu kämpfen.
Aber wie hat der Gram izt in seine Wangen voll Rosen
Tiefe Furchen gezogen! Wie fliessen vom Kinn, den die Schöne
Oft mit sanfter Hand gestreichelt, die eißgrauen Haare!
Ach! und hätt' er kein Herz, das nur für Liebe geschaffen,
Nur für sanfte Triebe gestimmet wäre, wie glüklich
Wär' er! Aber bey jedem Stoß der klingenden Schaufel
In den felsharten Boden, hart wie seine Bewohner,
Fällt eine Träne mit nieder. »O Gott!« ruft er oft und hält die
Braunen Arme lange verzagend zum Himmel gebreitet.
Auch der scheinet ihm unbarmherzig: dann wirft er sich nieder,
Stekket sein Haupt in den Staub, bedekket mit Tränen die Gräsgen,
Betet und ächzet und schreyt. Verborgen lauschende Barbarn
Eilen herzu und färben mit Blut die betenden Arme.
Keine Wiesen reizen sein Aug': er ist wie ein Todter:
Stumm schleicht er aufs Feld, stumm eilet er weg zu der Höhle,
Die ihn schreklich erwartet; doch segnet er sie, denn das Dunkel
Das nie Phöbus noch Luna besucht, verbirgt seine Tränen
Und die bemooßten Gewölbe hallen des nächtlichen Flehens
Flüstern tröstlich zurük, gleich einer Antwort der Gottheit.
Selten verschließt ein kurzer verräthrischer Schlaf ihm die Augen,
Müde zu weinen: dann schaun die furchtbarthürmenden Mauren
Wie mitleidig nieder auf ihn, so siehet ein Kirchthurm
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Auf die umher begrabnen herab. Und wenn kaum der erwachte
Morgen noch auf den Hügeln umherglänzt und Thäler durchschleichet,
So entschliesset sein Blik sich dem traurigen Lichte schon wieder,
Irrt verwildert umher, erkennt das alte Behältniß
Und der erneuerte Tag erneuert das Maaß seines Kummers.
Unterdeß gehen der Braut die Jahregedünkten Tage,
Jeder von Tränen durchweint vorüber. Im ängstenden Traume
Sieht sie oft den Geliebten von Ungeheuern umgeben,
Oder umarmt ihn in düstern Höhlen, an welchen das Heulen
Wüthender Wasserfälle herauftönt. – Bis an dem Himmel
Der sie erhört, ein glücklicher Tag zur Erde hinab lacht,
Da den geliebten Sclaven sein Freund sein Damon erlöset.
Athemloß rennt er zu ihm: der staunet ihn an und spricht nicht.
Ihre zitternden Arme umschlingen sich, ehe die Brust kann
Worte herausarbeiten, umschlingen sich, gleich als wären
Beyde ein Körper. Wie rollen die freudigen redenden Tränen
Des Unglüklichen Wangen hinab, wie drükt er den Liebling
Ans laut schluchzende Herz! So hoch empfindet kein Seraph.
»Folge mir, spricht der, du bist befreyt.« So rühret kein Donner,
Schrekket kein plözlicher Bliz, wie dieses Wort die versunkne
Muthlose Seele aufschüttelt. Noch ist sie nur ganz Staunen,
Und verzweiflungsvolle Hofnung: doch bald wird die volle
Freude des Herzens Wunden heilen, die tiefgegrabnen
Runzeln des Antlizzes eben machen und Blüthe drauf pflanzen.
Und nun folgt er mit ungewissen Tritten, die magre
Hand in die Hand des Freundes geheftet, die Stirne, aus der die
Ganze Seele leuchtet, auf seine Achsel gelehnt, dem
Edlen Retter und weint und kann ihm nicht danken: »Damon!«
Lispelt er manchmal (die Stimm ist ersäuft in Tränen), und drükt ihn
Fester an seine Brust und lezt ihm die Wange mit Küssen.
Unsichtbar stehn ihre Schuzgeister, lächeln sich ihre Entzükkung
Und umarmen sich zärtlicher bei dem Anblik der Freundschaft
Ihrer Beschüzten. – Und jezt versuche die Muse Wonne,
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Die nur fühlen sich läßt, zu schildern. Er eilet, er flieget
Zu seinem andern Leben. Sie sizt, die welken Arme
Unter das Haupt gestüzt: ihre bleichen reizenden Wangen
Schmükken küssenswürdige Tränen, wie Thautropfen Liljen.
Also in Gram versunken sizt sie: sieh! da eröfnet
Schnell sich die Thüre des Zimmers. Ein Mann, (noch rauh sind die Züge
Des einst männlich schönen Gesichts in dem seinen verstekket)
In ungewöhnlicher Kleidung, mit wild herabfallendem Barte
Und entzündeten Augen umarmt lautweinend die Schöne.
Gleich als hätt' ein mitternächtlicher Schatten mit kaltem
Schröklichen Arm sie umschlungen, bleibt sie, vom Gefühle verlassen.
Doch bald öfnen ihr seine unzähligen Küsse das blaue
Himmlische Aug', es strömt von Zeugen ihrer Empfindung
Eh sie noch deutlich empfindet. Er spricht ihren Namen mit Stammeln
Tausendmal aus, drükt ihre kraftlose Hand an die Lippen,
Wäscht sie in seinen Tränen. »Geliebteste, theuerste, beste,
Theuerste Doris!« Sie zittert, betrachtet ihn, und erkennt ihn:
»Silvius! – Bist du es, Silvius? Bist du es, theurer Geliebter?
Ist es ein täuschender Traum, der dich mir schenket? Wie oder
Seh ich vielleicht im Todesthale dich wieder? – Du bist es,
Ja, du bist es!« – Jauchzen erfüllt die Gegend und Freude
Ist der Liebenden Seele, die sie belebet und fortreißt,
Daß sie Handlungen üben, der Einfalt und Kindheit sich nähern,
Die der gelehrte Vater am staubichten Pulte belachet.
Dann wenn die rauschende Freude vorbeygerauschet ist, kann sie
An dem werthen Geliebten nicht satt sich sehen, dann kann er
An der theuren Geliebten nicht satt sich küssen: dann trennt sie
Nimmer sich von ihm. Er muß tief in dem einsamen Hayne,
Der ihm wieder Ruhe zulispelt, am gleitenden Bache,
Des unabläßiges Murmeln ihm nicht mehr Schwermuth erwekket,
Seine Geschicht' ihr erzählen. Sie troknet dann zärtlich die Tränen
[32]
Die die Erzehlung begleiten, und muß auch ihm ihren Kummer,
Ihre Geschicht' erzehlen, dann küßt er die reizenden Tränen
Von ihren Wangen weg, die ihre Erzehlung begleiten.

Zweites Buch. Die Hungersnoth

Dich will ich singen, du bleicher Hunger, mit allen den Schrekken
Die dich begleiten, dich will ich den satten Sterblichen singen
Die die brütende Sonne und träufelnden Segen aus Wolken
Und der Erde Bereitwilligkeit und den göttlichen Geber
Schmähen durch Wollust und Ekel und Murren, wie die Wüsten.
Senkrecht strömet die Sonne Feuer auf Fluren und Hayden,
Daß auf Sümpfen Staub liegt, Ströme zu Sümpfen vertroknen
Laub und Zweig ermatten: ein tödtlich Blaß überzieht sie;
Eingeschrumpft und verdorret stürzen beym Wehen des kleinsten
Zephirs, des sie sonst spotteten, sie nun rauschend zu Boden.
Himmel, wo sind deine Wolken, und Nacht deine fließenden Thaue?
Schikt nicht das Meer seinen Dampf empor und die Flur ihre Dünste?
O vergilt ihre willige Gab', unerbittlicher Himmel,
Laß dich zu ihr in Tropfen hernieder, erfreue die Aeren
Die ihre schwarzen erstorbenen Häupter zu dir erheben,
Da sie sonst frölich beschwert dem Landmann entgegen sich bükten.
Ach die Natur ist vergiftet. Die farbenspielenden Wiesen
Liegen izt falb ausgebreitet, und Pharaonische magre
Kühe suchen dort Nahrung, und füllen die Mäuler mit Staub an.
Auch scheint die Erde nicht mehr dem Landmann gehorchen zu wollen
Der verzweiflungsvoll hinter den Pflug tritt. Was säest du, Sämann?
Eh ihn der Akker empfängt ist schon dein Saamen erstikket.
[33]
In hartnäkkiger Ohnmacht liegt die Natur: ein Bild des
Todes der Welt, des lezten Verderbens, wenn in das Chaos
Dieser Ball, von unsinnigen Würmern bewohnet, hinabstürzt.
Dort ist ein einsames Haus, ganz einsam, mit müßigem Schorstein:
Die umliegenden Ställe sind alle stumm von den Heerden
Die sonst muthig dort brüllten: nicht Enten wakkeln und schnattern
Mehr durch die Pfüzzen, kein Huhn lokt goldgefiederte Jungen
Unter die warmen Flügel, noch springen dummblökkende Schaafe
Im anlachenden Klee. Ein Schwarm von gierigen Raben
(Einzige Freunde der Theurung) fällt auf die in dem Hofe
Häufigen Aeser und krächzt die Todesgesänge der Schöpfung.
Jezo schlüpft ein dürrer Mann am leitenden Stekken
Aus der knarrenden Thür; eine Schaar von unmündigen Kindern
Eilt mit Geschrei ihm nach und kann nicht den Vater erreichen
Der die Hand vors Gesicht hält und fliehet: »Kann ich der Kinder
Winseln nach Brod noch länger hören, noch länger sie ansehn
Wie sie täglich verwelken, sehn die einsinkenden Wangen?«
So spricht er und wanket und hinket zum nakkenden Walde
Und am nächsten Baume hängt er sein lebend Geripp auf,
Daß der Versucher Hohnlachet und die Raben drob jauchzen.
Auf den Landwegen seufzet kein schwerer Wagen voll Korn mehr
Und in den lärmenden Wäldern erhebt sich ein Brüllen und Kreischen
Streitender Bestien, die, da Ställe und Weiden entblößt stehn,
Untereinander sich würgen. Es schießt der Jägerhund keichend
Ueber Fluren und durch den Forst: dann steht er und winselt,
Daß er kein lauschendes Wild mehr aufspührt. Lange schon waren
Die Harmonien des Waldes verstummt. Mit schlaffem Gefieder
Liegt über ihre Jungen erstarrt Philomele gebreitet.
Mit weitausgespreiteten Flügeln, die selten nur in der
Luft sich bewegen, das Gleichgewicht haltend, (wie Ruder, wenn mit dem
[34]
Strom ein Boot schwimmt) gleitet der tükkische Habicht; einzeln
Abgebrochen ertönt sein Feldgeschrei: aber vergebens
Strömt sein räubrischer Blik in Höhlen der Bäume, vergebens
Sucht er unter dem Hausdach in stillen Nestern den Raub auf:
Ihm ist der Hunger zuvorgekommen, und wird ihn bald selber
Fressen. Käfer und Mükken schwirren nicht mehr in den Lüften
Und an erstorbenen Waldrosen hängt die vertroknete Biene:
Schönes Grab! So stirbt am Busen der Liebsten ein Jüngling.
In den versiegten Teichen wühlen mit forschendem Schnabel
Hungrige Störche vergebens und ziehn statt Fröschen und Fischen
Schlamm und Mooß aus der Tiefe hervor. Nur im Bauche des Hirsches,
Den izt leichte Beine und Waffen des Haupts vor dem Tode
Retten nicht konnten, wimmeln gesättigt die frohen Gewürme.
Wie, wenn ein Sohn des Goldes von Schmeichlern und Schuldnern gestürzt wird,
Dann die neidischen Nachbarn in seinen Ruinen sich theilen.
Dort liegt Zadig ein Greiß am Weidenbaum, der mit entlaubten
Zweigen vergeblich strebt ihm gewohnten Schatten zu reichen.
Auf seinem müden Knie sizt der ihn anlallende Enkel,
Sieht oft nach ihm hinauf und weint nach Nahrung und Labsal.
Ach wie zerschneidet diß Weinen das Herz des zärtlichen Greises!
Hundert mal hebt er sich auf, zu fliehn, und hundert mal sinkt er.
Ueber ihm schwebet in Wolken höllischer schwarzer Verzweiflung
Satan, und strömet ihm Sünde ins offene Herz, und versucht ihn
Wie den in der Wüste, der nie von Sünde was wußte.
»Ich, so schwärmen Gedanken in seiner Seele, muß langsam
Sterben! den langsamen Tod des Knaben sehen! Er winselt:
Und ich kann ihm nicht helfen! Ich, der ich sonst ihm mit offnen
Armen väterlich zärtlich zueilte, der ich entzükket
An meine alte Brust ihn drükte, ich kann ihm nicht helfen –
Und muß sterben: Greisen selbst schrekliches Wort! – – Wie oft hat
Seine unschuldige Hand mit meinen silbernen Lokken
[35]
Schmeichelnd gespielt? – Wie soll ich ihm helfen, wie soll ich die lange
Pein von ihm wenden, die ihn wie fressend Feuer verzehret?
Tod, komm schnell über ihn: dann segn' ich dich. Stürzet ihr Hügel!
Und begrabt ihn, daß ich sein leztes Girren nicht höre. –
Aber ich selbst muß mich seiner erbarmen; der Himmel ist eisern,
Und die Erde ist eisern: ich selbst muß mich seiner erbarmen! –
Ich will ihn schlachten, eh Hunger ihn tödtet. Wie Abraham seinen
Isaak schlachtete, will ich ihn schlachten. Vielleicht daß in jenen
Hekken sich dann mir ein Bok entdekket, wie jenem: dann wollt ich
Froh ihn nehmen, den Bok, ihn würgen und meinem Enkel
Niedliche Bissen bereiten und mit seinem Blute ihn tränken;
Denn der Fluß ist vertroknet und Seen und Teiche sind Sümpfe.«
Und nun sizt er und sinnet. – Nun hebt er den dürren, entnervten
Arm und durchboret das Herz des Enkels – doch schleunig von innrer
Heftiger Reu ergriffen, zieht er mit bebenden Händen
Bleich, den Dolch aus der Brust des Kindes und wirft ihn weit von sich.
»O verfluchtes Eisen!« ruft er und rauft sich die weissen
Haare aus dem Haupt, und heulet mit furchtbarer Stimme.
Aber der Knabe sinkt hin, fällt von seinem Schooß auf die Erd
Zappelt im Blut und schreyt nicht, nein erstikket im Schreyen.
Grausamer Stoß du bist geschehn. Umsonst stürzt der Alte
Auf das durchstochene Herz des Ermordten und hält mit blassen
Lippen das gewaltsam aussprudelnde Blut auf. Noch einmal
Schreyet das Kind, noch einmal zukt es den Mund und wirft die
Schon erstarrende Hand mit Angst der röchelnden Brust zu;
Da entflieht seine Seele, und bald wird Hunger und Ohnmacht,
Reu und Wuth und Verzweiflung auch seinen Mörder entseelen.
Nahe dich Muse! der Stadt, dem Sammelplaz schändlicher Thaten,
Dieser Geburten der harten und menschenfeindlichen Herzen,
Wenn die Noth sie beklemmt. Von unabsehbaren Heeren
[36]
Schreklich umzingelt liegt sie: in ihren Maureu verbreitet
Hunger und um sie von aussen der Feind, ein anhaltendes Sterben.
Göttin Aurora, so sahst du, so oft du dein Zelt an dem Himmel
Aufschlugst Jerusalem ehmals von aussen mit Spiessen umpflanzet,
Und inwendig voll schwarzer entstelleter Leichen. –
Schaut: wie hier Nebukadnezare, gierig entbrannt sind die Blikke,
Auf den Aesern liegen und selbst halb Aas sie verzehren.
Ueber sie flattern neidische Krähen und scheltende Raben
Stehlen sich oft hinzu, und theilen mit ihnen die Beute.
Jünglinge nagen die Zähne stumpf an Sätteln, und Greise
Füllen mit stinkendem Mist den ekelloßschmachtenden Schlund an.
Aus jenem dumpfen Gewölb erwacht eine klägliche Stimme,
Und ich gukke durchs äussere Gitter. – Entsezliches Schauspiel!
Würdig die Hölle zu zieren! Vom schröklichsten Dunkel beschattet,
Schlachtet ein wüthendes Weib ihr Kind. Umsonst fällt es nieder,
Dreimal nieder aufs Antliz und flehet mit heissen Tränen
Mit erblaßtem Gesicht und lautem Zittern und Schluchsen
Um sein jugendlich Leben; vergeblich schlingt es die Aermchen
Um die stampfenden Füsse der Mutter. Oft zwar empöret
Sich das Muttergefühl, es schwillt der abscheuliche Busen
Der das unschuldige Opfer genährt, von erschütterndem Schmerze,
Und der ausgestrekkete Arm weicht kraftloß zurükke;
Aber ihn lenket die Macht der Höll', er vollführt, er vollführet,
Er vollführet den schröklichsten Streich. Sie schreyt, sie mordet und knirschet,
Rauft ihr Haar mit der Linken, und tödtet ihr Kind mit der Rechten.
Bebst du, Muse? Verlaß sie, verlaß die verfluchteste Scene!
Laß die Höll' ihre That mit gräßlichem Heulen besingen!
Stimme die silbernen Sayten die solch ein Thema erniedrigt!
Sieh, dort ruft eine edlere Mutter die hungrigen Kinder
Traurig zusammen; sie hat vom kleinen Reste des Mehlkorbs
Und des Oelkrugs das lezte nothdürftige Mahl zubereitet:
»Kinder, die ich mit Schmerzen gebar, mit größerem Schmerze
[37]
Seh ich euch sterben. Kommt! erquikket die schmachtende Zunge!
Dann, mit brechendem Herzen will ich euch segnen, ihr Satten!
Und will sterben.« Nun pflanzt sich das magre Geschlecht um die Schüssel –
Schnell ist sie leer. Mit Wangen auf welchen die Tränen vor Hizze
Stehn blieben, schlang die Jugend eilfertig die sparsame Kost ein:
Und nun sizzet sie sprachloß: noch tobt der müßige Magen
Und der Gaumen vertroknet, wie heisses Eisen, auf welches
Wenige Tropfen fallen; die Tränen rollen von neuem.
Aber die Mutter, sie hat für ihre Kinder gefastet,
Hebt die Augen zum Himmel, ihr mütterlich Herz ist in Aufruhr:
Balde sinkt sie, zu heftig von Schmerz und Liebe bekämpfet,
Von ihrem Siz zu Boden. Erschrokken stürzen die Kinder
Auf sie: »Mutter, stirb nicht! stirb nicht geliebteste Mutter!«
Aber ihr Geist verläßt sie. Der lezte Blik ihrer Augen
Ist noch mitleidig zärtlich auf ihre Kinder geheftet;
Zwar sie kann nicht Worte stammeln, nicht Seufzer erpressen,
Denn die Zung' ist gebunden, ihr sterben die Seufzer im Busen;
Aber inwendig rufet ihr starkes Geschrey zu dem Höchsten,
Zum dem Höchsten, der Raben ernährt und krümmenden Würmern
Auf ihrer langsamen Reise die Speis' entgegen führt. Und der
Herr, der Erbarmer hörts und spricht: – es feyern die Himmel –
»Ich will aufhören, sie zu plagen. Sie sind meine Kinder,
Ihr Geschrey ist vor mir gekommen. Ich hörte dich röcheln!
Stimmen des Todes, ich hört' euch. – Flieh, verderbender Hunger!«
Wie ein räubrischer Adler, wenn hezzende Stimmen der Jäger
Und das schmetternde Hüfthorn weit durch die lauten Gesträuche
Tönen: er lauschet und regt die schwarzen Fittige, hebt sich
Und beschattet die Wipfel der Linden; dann fliegt er zur nächsten
Eiche, schwingt sich empor, durchschiffet die seufzenden Lüfte,
Wird dicht unter den Wolken zur Lerche – und verschwindt dann:
So schrekt den gierigen Hunger der Ruf des allmächtigen Vaters;
[38]
Ungern verläßt er die Erde. Da regnet der eiserne Himmel.
Dankbar richten die Blumen sich auf: die schwimmenden Wiesen
Und die Hügel und Hayne beginnen zu lächeln; die Teiche
Schwellen empor und die stillen Flüsse murmeln von neuem,
Wie dem Ohnmächtigen, wenn ihn ein Balsam erfrischet, das Auge
Wieder entwölkt wird, die Glieder sich regen, und langsam zum Herzen
Durch die schlaffen Adern sich das belebete Blut drängt.
O wie sammlen die Menschen den nassen Regen des Himmels
In Gefässen auf, und löschen die brennenden Schlünde!
So drangen einst die Hebräer mit offenen Mäulern und Krügen
Zu dem strömenden Felsen, wie hier die lechzende Menge
Unter geöfneten Wolken harrend stehet und Wasser
Einerndtet, dann ihre Beute liebkosend und jauchzend ins Haus trägt,
Wo sie sich labt, erquikter als Funchals Fürst bei Pokalen.
Balde winken die Früchte von wieder umkleideten Bäumen,
Und in den leeren Vorrathskammern der Hülsen der Aeren
Keimt der Segen des Landes. Doch kennt die heisse Begierde
Keine Geduld, noch läßt sie der wohlthätigen Erde
Und dem Thau des Himmels und den nun fruchtbaren Stralen
Zeit die Körner und Früchte zu reifen. Heimlich unmuthig
Ueber den Lauf der Natur entreissen zalenlose Hände
Die vom angestammeten Gift nicht befreite, unzeitge
Nahrung den sträubenden Halmen: und sieh! die verderbende Seuche
Schwebt, ein weitausgebreitetes Ungeheuer über die satten
Städte, und droht mit scheußlichlächelndem Antliz den Schlemmern,
Die von neuem an Tafeln, beladen mit Mißbrauch und Wollust,
Den verkennen, der Thau an Spizzen der Gräsgen und Tropfen
An die Kronen der Aeren hängt und die Erde befruchtet.

[39] Drittes Buch. Die Pest

Stärke dich, schüchterne Muse! gebükt schau tiefer hinunter
In die dunkle Tiefe der Zeiten, wenn Rache des Schöpfers
Durch die ganze Schöpfung allmächtiges Grausen verbreitet.
Kommt ihr Diener des Todes, furchtbarer als euer Beherrscher,
Fräßige Seuchen und Schmerzen und tükkische Krankheiten zeiget,
Alle zeigt mir die knirschenden Zähne, die würgenden Klauen,
Den blutschäumenden Schlund: umhüpft in scheußlichen Tänzen
Das erschrokkene Auge der Phantasie, die sich sträubet,
Weiter auf den Gefilden erfüllt mit Jammern und Abscheu,
Fortzugehn und zu sehn die Natur verunstaltet durch Plagen.
Dennoch will ich mit heiterer Stirn und gesezten Bliken
Eure Verheerungen singen; denn wer die Ruhe im Busen
Hegt, verhöhnet die Unruh auf Sturmbedekten Gebürgen,
Horcht auf die brüllenden Wolken und lächelt der eiligen Blizze.
Aus einer Mitternachtwolke ließ auf die schlummernden Hügel
Jüngst ein Todesengel sich nieder. Da floß durch die Schatten
Der blauflammende Strahl seines Schwerdts. Gleich nächtlichen Blizzen
Füllt' er das brennende Thal, durchdrang widerstehende Wälder,
Machte Palläste und Strohhütten fürchterlich hell. Auf einmal
Breitete sich eine fremde Luft ums Antliz der Erde;
Menschen die schnarchend in ihr den Lebensbalsam geathmet
Athmen izt Gift ein: Tod ist ihr Element.
Mancher dehnet sich noch im mördrischen Schlaf und stösset
Dumpfes Röcheln hervor, oder winselt von grausen Phantomen
Warnend umgeben; erwacht dann, blikt starr umher, kann nicht sprechen,
Sinket abermal hin, und schläft sich ums ringende Leben.
So leicht mähet der Tod die nichts befahrenden Halme.
[40]
Blüht und prahlet ihr Blumen, ihr seid beim Morgenlicht Asche;
Oder du stärkere Staude! und hättest du eiserne Wurzeln,
Dennoch seufzest du bald, ein zweigloses Holz in den Flammen.
Hirnlose Narren! die ruhig und ohne Sterbegedanken
Täglich sich in den Vorhof des Todes ins Schlafgemach wagen.
Diese stumme Stille, voll schwarzen heiligen Grauens,
Dieser horchende Himmel aufs Flehn einsamer Gerechten,
Dieser gegenwärtige Gott, mit dem sie allein sind,
Wekket sie nicht. Wie Besessene auf dem Abhange des Felsen,
Der über wartende Wogen sich bükt, ganz sicher entschlafen;
Eine Bewegung stürzt sie herab: so entschlafen sie täglich.
Glaubt ihr, ewiger Stoff umschließ' eure felsene Knochen,
Oder euch werde aus Furcht, aus Güte der Mörder nicht morden?
Lebt dann, Würmer eines Tages! und unter dem Hügel
Der euch der Welt auf ewig entzieht, umwimmelt von Maden,
Lernt den zu späten Gedanken an Tod und Ewigkeit denken.
Izt steigt Phöbus hinter Gebürgen empor. Mit Entsezzen
Sieht er durch schwerfällige Nebel, die nächtlichen Lager
Mit unzähligen Leichen bedekt. Es schlüpfet sein scheuer
Strahl durch des Lustschlosses Fenster: und sieh! der Herrscher des Landes
Liegt, ein blosser Körper, auf seidnen Küssen: noch hält ihn
Mit dem erdrosselnden Arm der Tod hohnlachend umschlungen.
Um ihn liegen die Wächter, izt Aeser. Furchtlispelnde Stille
Schwebt weit über dem öden Pallaste.
Dort liegt eine volkreiche Stadt; ein dumpfes Gemurmel
Schallet von aussen, hinter den sie verstekkenden Wällen,
Wo die Spizzen der Thürme hinübergukken. Die Märkte
Und die Thore und Gassen wimmeln wie Ameisenhaufen.
Ehe man sieht, hört man schon Geräusch: das Schallen der Hämmer
In den Schmieden, das Wiehern der Rosse, das Krachen der Kutschen
[41]
Und die wilden Stimmen des hungrigen Pöbels am Fischmarkt.
In der dämmernden Kammer sizt früh der Bürger, von Sorgen
Dunkler wie von der weichenden Nacht umhüllet und sinnet
Auf unermeßlichen Vorrath, als hätt' er ewig zu leben.
Aber schon sperrt seine Gruft im nahen Kirchhof den Mund auf,
Und in den Schatten des Winkels steht mit erhabener Hippe,
Ihn zu mähen, der Tod bereit. Schnell warnet vom Kirch Thurm
Ihn die klagende Sterbeglokke. Er höret sie, seufzet,
Frägt nach dem Todten, und kehrt zurük zum Wucher. Doch plözlich
Ruft die warnende Freundin zum andernmal das Entsezzen
In seinen Busen hinab. Zwar noch scheint dies Sterben ein Zufall:
Aber bald schallet ununterbrochen das ängstliche Rufen
Dieser ehernen Predigerin. Nun fühlen sich sterblich,
Die sich Unsterbliche dünkten. Die Gassen werden entvölkert.
In den verschlossenen Häusern herrscht zunehmende Stille –
Todesstille herrscht nunmehr. Die einsamen Glokken
Heulen allein durch die giftigen Lüfte. Mit Schaufeln bewaffnet
Wandeln die Todtengräber stumm einher, wie Gespenster,
Machen das Pflaster zum Kirchhof, verscharren bey Haufen, und sinken
Oft statt der Dekke des Grabes auf ihre Begrabnen hinunter.
Vor ihm sieht ein vergnügter Vater die spielenden Kinder
Ohne Leben hinfallen. Vergeblich schreyt er nach Hülfe,
Nach dem gewohnten Arzt: er hört ihn nicht mehr. Da erblikt er
Unvermuthet die eigene Beule, das Zeichen des Todes,
Fühlet die Angst sein Herz umklemmen, wird ohnmächtig, sinket
Auf die Leichen der Kinder. Zwar um ihn blizzet das Silber,
Das er ängstlich gesammelt, die langen Spiegel, die seidnen
Mahlerischen Tapeten, die marmornen Säulen stehn um ihn,
Aber sie helfen ihm nichts: sie sind unthätig. Er schmachtet
In dem Reichthum begraben umsonst nach dem Kruge des Landmanns
[42]
Mit der reinen Quelle gefüllt, seine Hizze zu lindern.
Lange schallt seine sterbende Stimme durchs einsame Zimmer
Und giebt in dem gewölbten Saal ein schrekliches Echo;
Bis der grausambarmherzige Tod, allein zu errufen,
Zwischen ihm und der leeren Welt den Vorhang schnell zuzieht.
Ein verreiseter Sohn kehrt um zu den wartenden Eltern,
Schmekt den süßen Kuß des frohen Vaters zum voraus
Und der weinenden Mutter. Indem er der Wohnung sich nahet,
Schwebt die Ahndung ihm nach: sie wendet die giftige Urne
Ueber sein Haupt um, beströmt ihn mit Angst und leitet vom Antliz
Das wie Rosen geglühet, das Blut hinunter zum Herzen.
Schnell behüpft er die Treppe, öfnet die Thüre mit Zittern,
Gukt ins Vorzimmer, schlüpft in den Saal: sind't alles öde.
Kindliche Tränen stehen bereit im blizzenden Auge:
»Wie ist alles hier öd'!« Er steht, sieht um sich und rufet
Mit erbebender Stimme: »Mein Vater! Wo bist du, mein Vater?
Mutter! Geschwister, wo seid ihr?« Indem siehet vom Hofe
Eine magre Gestalt von aussen durchs Fenster. Er flieget,
Stürzet hinzu und erkennt in kläglicher Stellung den Vater.
Schnell will er hin, seine dürren Füsse gerührt zu umschlingen:
Aber der winkt mit der Hand und rufet hohl und gebrochen:
»Flieh, Geliebtester! flieh! Mein Hauch wird dich tödten: entweiche!
Sieh, dort liegt deine Mutter! Dort wo ich den Sand aufgethürmet,
Liegen in einer Grube all deine Geschwister und izzo
Werd auch ich hinsinken zu meinen Begrabnen. O wohl mir,
Daß mein brechendes Auge noch dich gesehen! Verlaß mich!
Flieh! O wohl mir, o wohl mir!« Hier sinkt er stolpernd aufs Antliz.
Ohne Besinnung stehet der Sohn da. Bald wird er die Leiche
Mit seinen Tränen salben und mit wiederfoderndem Aechzen,
Daß es die Einöde hört, und ihm die Wälder nachwinseln,
Mit zerrissenem Herzen und kraftlosen Händen begraben.
[43]
O der furchtbaren Plage! der ganze Mensch empört sich
Bey ihrer Vorstellung. Muse! auch du fühlst Schaudern: so schaudert
Ein mitleidiger Herold wenn er dem bangen Gefangnen,
Der mit Tränenschwellendem Auge sein Urtheil erwartet,
Seltne Martern verkündigt. Doch laß die Hand noch nicht sinken,
Noch an der Harfe hinunter nicht sinken, bis alles vollführt ist,
Wozu du Feuer und Muth in meinen Busen gesenket.
Wenn das starre Auge, das im Begrif ist zu brechen,
Freunde unkenntlich bemerkt, die um mich bekümmert herumstehn,
Die mir die kalte lezte Träne, den Todesschweiß sanfte
Von meinen Wangen wischen, und mein halbtaubes
Ohr hört weit in dem Zimmer zärtliches Lispeln und Schluchsen:
Ach dann fühlt das stehende Herz im Tode noch Labsal,
Und mein dunkler Blik ist dankbar auf die geheftet
Die mir ihr Mitleiden gönnen. Doch wenn ich, ach! wenn ich auf hartem
Lager nun liege, und meine Zunge vertroknet, mein banges
Auge irret nach Helfern umher, die kalte verdorrte
Hand strekt flehend sich aus: und alles um mich ist öde;
Keiner steht um mein Lager, versteht mein Aechzen und mildert
Durch des Arztes bittere Stärkung die Wuth meiner Schmerzen:
Tod wie fürchterlich wirst du dann! dann würd' es selbst Weisen
Schwer zu sterben.
Hier ist ein liebliches Feld mit grünem Teppich bezogen,
Daß der Säemann sich der reichen Erndte schon freute:
Aber nun ist sie gemein; ihn hat das Grab eingeerndtet.
Hier will ich wandeln und lauschen, ob ich Lebendige finde. –
Ach schon wandert mein Fuß den Morgen, den Mittag, den Abend,
Wandert in Wüsten. Die Thäler die sonst so frölich erschollen
Von dem wilden Jauchzen der Hirtenflöthen, den Stimmen
Weidender Heerden, dem Plaudern des geselligen Landmanns
[44]
Hinter dem furchenden Pfluge, stehn verlassen. Aus jenem
Dichten Gebüsche heulet der Wasserfall nur und das Wehen
Furchtbarer Zephire, gleich dem Wehn herzueilender Flügel
Eines Todesengels. Die Rosen unter dem Schatten,
Hängen, von keinem bewundert, verwelkt von giftigen Lüften
Die sich entwikkelnden Knospen verblichen zu Boden. Auch schweigen
Die Bewohner der Zweige: sie flohn in dunkelen Schaaren
Bessern Gegenden zu. Auf silberwallenden Teichen
Dampft undurchsehbarer Nebel: die Bürger der Fluthen versenken,
Aus ihrem Elemente verjagt, sich tief in dem Schlamme.
Alles trauret. Wohin soll ich fliehn? Ein Grausen befällt mich,
Da ich allein und verlassen die öden Fluren durchstreiche.
Dort der treue Bekannte, der inniggeliebte Verwandte
Ist nicht mehr. Schwarzer Gedanke! – doch welch ein plözliches Murmeln
Schallet von jener Hütte, die hinter dem buschvollen Hügel
Scheu ihr mooßiges Haupt erhebet. Heil mir! ich höre
Menschliche Stimmen. O eilet, zitternden Füsse, ihr werd't dort
Menschen finden. O hindert mich nicht, ihr Steine des Akkers
Und du wallendes Korn! Allein was seh ich? nicht Menschen:
Nein es sind wilde Thiere in menschliche Glieder gehüllet.
Ach sie schleppen schändliche Beute aus traurenden Thoren;
Selbst der heiligen Leichen hat ihre Faust nicht geschonet.
Tod wird dir folgen, abscheulicher Geiz! der noch dem Gewinne
Fröhnt, wenn alles um ihn schon Busse predigt, der noch an
Tand und gestohlnem Puppenspiel klebt, wenn die ernste Stimme
Des Allmächtigen schon die Todesengel herabsendt,
Um die Erde zu säubern und Sünder zum Richtstuhl zu rufen.
Und wozu scharrest du, Unsinn! und häufest dir Lasten, die tiefer
Nur ins Grab, in die Hölle dich niederdrükken? Sind Vögel,
Denen das Messer die Kehle berührt, auf Würmer noch gierig?
Aber laß uns, o Muse, die stille Hütte besuchen!
Schon eröfnet sich uns die furchtsam knarrende Thüre.
[45]
Welch ein Anblik! Gestrekt, mit halbgebrochenen Augen
Liegt ein Ehrwürdiger. Die einzelnen eißgrauen Haare
Stehn in wilder Verwirrung emporgesträubt, und die Mienen
Seines blassen Gesichts verrathen Kummer und Hoheit.
Neben ihm mit zerstörter Schönheit ein unschuldig Mädchen!
Blaue geöffnete Lippen zeigen die marmornen Zähne:
Izt ein schreklich schöner Anblik! ein Schleier dunkeler Lokken
Dekt die in Todesblässe noch reizenden Wangen: die zarten
Hände ruhn auf dem Busen, gefaltet, als wären sie, noch zum
Lezten Gebet erhaben, schlaff herunter gesunken.
So durch den plumpen Nord vom zersplitterten Stocke gerissen
Liegt eine aufgeblühete Rose: so reizt ihre Schönheit
Selbst wenn die hochrothen Blätter unter den spottenden Disteln
Einsam zerstreut glimmen und zusehends verblassen.
Also sind sie nun hin, die Bewohner des ländlichen Hauses
Und die Freunde der Tugend, der sanften unschuldigen Freuden.
Siehe die Wohnung selbst scheint den Verlust zu betrauren
Und die Linden umher, sie stürzen ihr Laub von den Wipfeln
Und stehn nakkend, vermissend die wartende Hand ihres Pflegers.
Ach wo bin ich? Wie klopfet mein Herz! Ich fühle die Wange
Naß von strömenden Tränen; ich fühle die Lippen erzittern.
Flieht, flieht schrekliche Bilder! von meinem verirreten Auge:
Flieh, entsezlicher Traum! aus der geängsteten Seele.
Vater der schwachen Sterblichen, der du aus Thon sie gebildet
Und sie dir ähnlich gemacht, der du zum Thon sie zurückhauchst,
Noch, noch wank' ich nicht einsam um die giftdampfenden Gräber
Hingesunkener Brüder, noch segn' ich das liebliche Murmeln
In denen Straßen, das frohe Gedränge der Märkte. O wohl mir!
In den schallenden Hayn will ich gehn und die traurige Harfe
An einen Buchbaum hängen, ich will die sanftere Flöthe
Von dem freundlichen Schäfer leihen und mit den Bergen
Und mit dem Wiederhall scherzen, und Doris Namen ihn lehren:
Denn noch wank ich nicht einsam um die Giftdampfenden Gräber
Meiner Brüder, der Menschen, die, mir zum Trost, eine Erde
[46]
Mit mir bewohnen, die mit mir der Sturm trift, der donnernd daherbraußt,
Mit mir der Veilchen schmeichlender Duft im Sonnenschein labet.

Viertes Buch. Die Feuersnoth

Schon verbreitet die Mitternacht das schwarze Gefieder
Ueber den stillen Erdkreiß. Nun herrscht, von dienstbaren Schaaren
Gaukelnder Träume umflattert, der Schlaf auf den reizenden Bogen
Die das Auge sanftschmachtend ruhender Schönen umwölben:
Oder er fesselt auf hartem Lager den schnarchenden Landmann,
Der im verwirreten Traume dem langsamen Pflugochsen fluchet.
Schwärzre Stille wohnet im Thal. Von rauchen Klippen
Kochen Wasserfälle hinab, beständig eintönig,
Und aus dem schaurvollen Wald ist der Vögel Stimme verschwunden.
Doch welch blutiger Glanz steigt plözlich am finsteren Himmel
Wechselnd empor, wird grösser, verliert sich, wächset von neuem:
Jezo wallet er hoch auf. Mit gräßlichen Fittigen fliegen
Rauchwolken bei ihm vorüber. Ein Sturmwind erhebet sich ostwärts
Und sprüht feindliche Funken auf die umliegenden Dächer.
Zitternd eilet mein Fuß dem wilden Schauspiele näher. –
Ach ein wütendes Feuer in der entschlafenen Stadt frißt,
Wie ein entfesseltes Unthier, was ihm begegnet. Die Häuser
Stehn und können nicht fliehn, und bükken ihr Haupt aus den Wolken
Nieder in Asche. Wie brauset der Nacht entweyhete Stille!
Ueber die Flamme bläht sich der Dampf: die bleicheren Sterne
Schwinden: den gläsernen Himmel wölkt ein irdisch Gewitter. –
Plözlich erschallt die dumpfe Stimme der rasselnden Trommeln
Durch die traurig erleuchteten Gassen; Sie scheuchet urplözlich
[47]
Den so sichern Traum vom Lager des Hausvaters. Aengstlich
Fährt er empor und wekket die zitternde Gattin: auch färbet
Blässe die Wange des zärtlichen Mädchens, des weinenden Knaben.
Von dem falben, fürchterlich wiederscheinenden Kirchthurm
Brüllet die Feuerglokke hinunter: und alles wird rege.
Menschen, in der Dämmrung unkenntlich, stehen von ferne,
Ringen die Hände und rufen laut: Da ist keine Hülfe!
Die entlegensten, schwärzesten Gassen durchmurmelt ein hohles
Und verwirretes Sprechen: man klaget die Elenden, deren
Häuser das flammende Monstrum verschlingt und fürchtet den Rachen.
In den näheren Gassen zerstreut, verwirret, zerbrochen
Liegt ausgeworfener Hausrath. Es wacht beim kleinen Vermögen
Die tiefseufzende Hausfrau und sieht mit sehnlichem Blikke
Ihrem Manne nach, der mitten ins Feuer sich waget
Seiner Nachbarn Haabe zu retten; die Kinder stehn um sie,
Zittern vom nächtlichen Frost und blikken kläglich zum Himmel.
Unterdeß schwizzet und arbeitet ängstlich ihr größerer Bruder
Auf dem zischenden Dach es fürs Entbrennen zu schüzzen.
Schnell steigt wildes Geschrey zum Himmel, da ein Gebäude
Krachend einstürzt. Es heult die kaum gerettete Gattin
Um den vermißten Gemahl, und fragt mit ausschweifendem Schmerze
Jeden, den sie erblikt: »Hast du ihn gesehen?«
Aller Trost verstummt. Mit aufgelöseten Haaren
Eilt sie die dunkle Gasse hinauf: – da sieht sie ihn stehen,
Bloß, im Kleide der Nacht, ihr Kind an der bebenden Rechte,
Ohne Empfindung steht er, an eine Mauer gesunken.
Schnell, mit lautem Schreyn, ganz außer sich fällt sie ihm um den
Hals: »Bist du es, Geliebter, o lebst du, o bist dus?«
Ohnmächtig sinken sie beyde im Finstern dahin, bis ihr Freund sie
In sein Haus nimmt und erquikt, daß sie weinend sich freuen.
Aus der brennenden Hütte wird auf dürftigem Lager
Ein Todkranker getragen. Er sieht mit dämmerndem Auge
[48]
Furchtsam nach dem blutrothen Himmel. Die einzelne Träne
Starrt, mit kaltem Schweisse vermischt, auf dem bleichen Gesichte.
Unvermögend zu sprechen, dankt er mit sehnlichen, starren
Blikken seinen Errettern und wimmernde Seufzer entfliehen
Dem schon röchelnden Busen für seine leidenden Brüder.
Ach wie zittern die magern, verwelkten, knöchernen Glieder
In der Kälte der Nacht, da sie kaum Lumpen bedekken.
Izt sezt man ihn draussen nieder. Dem brechenden Auge
Schimmert die Flamme noch: er erhebet noch einmal
Die gefaltene Hand und stirbt.
Eine Gebärerin liegt noch kaum von der Bürd' entlastet,
Die sie trug, betäubt und kraftlos. Alles verläßt sie
Und vergißt die hülflose Kranke der Gluth zu entreissen.
Ach sie hört das hohle Brausen des Feuers: schon dringt es
Durch die plazzenden Fenster ins einsame Zimmer. Dreymal
Hebt sie die sinkenden Arme empor: »Erbarmt euch! erbarmt euch!«
Aber die eilende Flamme naht. Gestärkt durch des Todes
Ihr nicht fremde Angst, raft sie die unwilligen Glieder
Auf und eilet bis zur Thüre des Zimmers: hier weichen die lezten
Kräfte, sie sinkt und ächzet und stirbt, eh Flammen sie tödten.
Ach nun hat sich das Feuer schreklich verbreitet. Die hohen
Palläste stehen entdekt, gefüllet mit Gluth; die dem Himmel
Nachäffen wollten, sind Höllen geworden. Durch prächtige Fenster
Schlagen wilde Flammen hinaus: die güldenen Leuchter
Und die langen Spiegel tröpfeln von brennenden Wänden,
Japans Schäzze zerspringen. Geweyhete Häuser und Tempel
Schonet das wütende Element nicht. Hoch in den Lüften
Steigt es die Spizzen der Thürme hinan: der erschrokkene Wandrer
Zittert von fern bei dem Anblik. An Pfeilern kriecht es hinunter
Und die Chöre fallen zu Boden. In gräßlichen Tänzen
Hüpfen auf trauerndem Altar Flammen umher, und vom Lehrstuhl
Predigt die Feuersäule in der sich der HERR offenbaret.
[49]
Auch vermehrt sich die Stimme der Angst, die Stimme des Weinens
Um den Sohn, um Vater und Mutter, die rauhere Stimme
Sich zurufender Retter. Arme vernunftlose Schaaren
Menschlicher Bestien rasen umher und jauchzen: sie hat das
Feuer dem Haus' entrissen, das die lebend'gen Ruinen
Unsers stolzen Geschlechts an warnenden Ketten bewahret.
Schon kehrt auf ätherischer Bahn die treue Sonne
Zur in Todesschatten verlassenen Erde zurükke
Und entdekt sich zuerst dem Gipfel des frohen Gebirges:
Da erblikt sie die schrekliche Morgenröthe; die Gegend
Dampft von Schwefeldünsten und gräßliche Rauchwolken wollen
Bey dem Einzug des Morgens der Finsterniß Herrschaft behaupten.
Und nun verbirgt sie ihr tröstliches Licht; der blaue Himmel
Trauret, weit umher trauret die Flur. Schwarzströmende Flüsse
Rauschen gewaltig, und bieten ihr zu entferntes Gewässer
Laut den rathlosen Rettern dar. Auch flüchten die Vögel
Ohne Morgenlied, schüchtern in die verborgensten Büsche.
Aber laß uns, o Muse! die unglükseligen Mauren
Die die Gluth verödet, noch nicht verlassen; denn bängre
Jammervollere Scenen müssen sich dort noch eröfnen.
Damon, ein zärtlicher Gatte fährt, vom Schauder ergriffen,
Plözlich im Arm seiner Lesbia auf, und lauschet und höret
Das Geprassel der Flammen. Er rennt entkleidet, halb träumend
Sprenget die Thür, und sieht sich schon mitten im Feuer.
Schnell stürzt er
Die verbrannten Stiegen der steilen Treppe hinunter.
Aber ein grauser Gedanke fliegt wie ein Bliz in die Seele.
»Lesbia!« – und nun will er zurük den Trost seines Lebens
Seine treuste Geliebte zu retten. Zu langsamer Retter!
Schon ist die Dekke des Zimmers in welchem sie ruht, eingesunken
Tödtendes Unglük! er steht erstarrt, versteinert, noch zweifelnd
Ob kein scheußlicher Traum ihn schrekke: ach! da ertönet
Ihm die sterbende Stimme seiner gemarterten Gattin
[50]
Und ihn dünkt seinen Namen zu hören: jezt rufet sie matter
Bis sie nicht rufen mehr kann. »O Lesbia!« brüllt er, die Hände
Und das verwilderte Auge gen Himmel, aus dem eine kalte
Langsame Träne herabirrt; »Lesbia! Lesbia!« Plözlich
Stürzt er ihr nach in die grausame Gluth.
Dort ergreift die erschrokkene Mutter, umklemmet von Flammen
Ihr geliebtes Kind und wirft es mit zitternden Händen
Von dem hohen Stokwerk hinab. O Gott! daß ihr Auge
Es hinstürzen sehen muß, ihr schwimmendes Auge,
Daß es sehn muß das zarte Haupt zerschmettert am Ekstein
Und das rinnende Blut in seinen goldgelben Lokken!
Stumm, verzweiflungsvoll, sinnlos und stumm, mit verbreiteten Armen
Bleibt sie stehen und läßt sich gern von den Bränden begraben.
O erbarme dich, Himmel! Weinet mitleidige Wolken,
Weint in die wüthende Gluth, die wie das Feuer zu Sodom,
Schon viel Tage durch raset. Schaut der Menschen Bemühung
Ist ermattet und der Löschenden Arme gesunken. –
Ja dort eilt er vorüber, der Bothe des Friedens, das schwangre
Schwarze Gewölk, der Retter, den Gott vom Himmel uns sendet.
Jauchzt! er schüttet die Urne voll von kräftigen Wassern
In die thürmenden Flammen. Vergeblich flattern sie scheußlich
Oft noch empor. Auch ergießt sich der irdische Regen von neuem
Und unterdrükket den feurigen Strom. Bald liegt er gedämpfet
Wie ein übermanneter Bär. Die lodernden Brände
Sprühen die lezten Funken. Ein dampfender Feuerheerd scheinet
Izt die verwüstete Stadt. Die nakkenden Schornsteine drohen
Und Elisäische Palläste sind zerrüttete Mauren.
So liegen fleischleere Beine des schönsten Körpers, unkenntlich
Bei durchlöcherten Schedeln, in denen vormals die braunen
Siegenden Augen brannten, izt hohl und ein Abbild des Todes.
Wie der Hölle entrunnen irren die Dürftiggewordnen
Nur mit Lumpen bedekket um das Grab ihrer Häuser,
[51]
Suchen zerschmolzenes Silber, erzehlen mitleidigen Fremden,
Oder flehen sie an. Dort, schröklich Geschäfte! dort suchet
Die Gebeine des Weibes ein trostloser Mann: sie hatte
In die verschonende Flamme sich wieder verwegen gewaget:
Grausamer Hang zu untreuen Gütern, der Leben und Freude
Für ein Linsengericht hinopfert, du machst deinen Sclaven
Selbst den Hunger nicht schwer und selbst die Flamme nicht schröklich.
Dir flucht auch des Ehemanns Seufzer. Er kann ihn nicht seufzen.
Kann nicht mehr weinen: dem Auge schimmern die Gegenstände.
»Theurer Märtrer, so denkt die Wehmuth in ihm, was hilft mir
Dein gerettetes Gold, da du der beste der Schäzze
Nicht mehr bist, da ich dein blasses holdseliges Antliz
Und dein gebrochenes Auge sogar nicht sehn darf, der Freude
Auch der bitteren Freude mich nicht erfreuen kann, deine
Kalten verschlossenen Lippen an die meinen zu drükken!«
Oft am schlechten Kittel zupft ein neugieriger Reicher
Ihn und forscht was ihm fehle. Er suchet fort, dann blikt er
Gleichgültig auf, und sieht ihm lang ins Gesicht: mit erzwungner
Schluchsender Stimme bricht er dann aus: »Sie starb! Ach sie such ich,
Ach ich suche mein Weib.« Nun fährt er fort in der Asche
Und im Schutte zu graben und findt, (o traurige Freude!)
Findt die schwarzen Gebeine, und indem Ströme von Tränen
Aus seinen Augen stürzen, liebkoset und drükt er sie an das
Blutende Herz: »O Gott!« da verstummt er, bis sein Vertrauter
Mitleidig zu ihm eilt, mit ihm den Ueberrest sammelt
Und ihn mit tröstenden Freundschaftszären dem Sarge vertrauet.
Lange herrschet die Armuth, auf dem dürftigen Throne
Von Ruinen erbauet über die schüchternen Bürger.
Steter Fleiß erhöht sie kaum zum vorigen Glükke
Und wenn seltene Edle ihnen die Güter nicht liehen
Die ihnen Gott erhalten, so würden sie nimmer dem Staube
Sich entschwingen. Wie beben sie izt den flammenden Richter,
Der Elemente Vater zum strengen Eifer zu reizen;
[52]
Aber bald vergißt ihre Schwachheit der strafenden Allmacht
Und mit emporgesträubtem Haupt, (o Greuel der Menschheit!)
Spottet der krümmende Wurm der Ferse die ihn zerquetschte.

Fünftes Buch. Die Wassersnoth

Liebliche Weyde, bestreut mit bunten balsamischen Blumen,
Wo sich kleine Hügel, gekränzt mit höherem Grase
Ueber die blaßgrüne Fläche erheben, wo schüchterne Veilchen
Unter den purpurnen Blättern der wilden Rosen verstekt stehn:
Wo der muthwillige West in den gelben einfachen Blättern
Saftiger Wiesblumen schwärmet und wie Wellen sie forttreibt,
Daß der nächtliche Thau, noch drauf zitternd, blizzend herabfällt:
Wo allenthalben simple Natur und kunstlose Schönheit
Mir entgegenlächelt und seichte wollüstige Tränen
Aus dem Auge lokt, indem schauervoll der entfernte
Strom mit dunklem Gewässer in mäandrischen Krümmen
Seitwärts vorbei durch Blumen und Laub rauscht: seid mir gegrüsset,
Seid mir paradiesische Scenen gegrüsset. Auf weichem
Rasen will ich hier sizzen und alle Gerüche des Frühlings
Einziehn, hier soll mein forschendes Auge von Gegend zu Gegend
Irren und lernen: hier will ich den angenehmblökkenden Lämmern
Und den einfältigen Tönen von groben Händen geschnizter
Flöthen aus Rinden, zulauschen. Ganz in die Sinne versenket,
Ganz Gefühl entschlummere hier meine Seele, entlastet
Von der tiefen Betrachtung oder der drükkenden Sorge.
Alles ist Wonne um mich. Die Sinne ermüden zu trinken.
O wie hauchet der Abend Düfte und Ruh! wie schläfrig
Murmelt und rauscht das Gewässer. Die Blumengöttin selbst drükt
Mit in Balsam getauchter Hand das geblendete Auge
[53]
Mir sanftlächelnd zu. Ich schlafe, wie Adam geschlafen,
Als vom Liljengewölk zuerst die schmeichelnde Binde
Auf sein müdes Augenlied sank.
Aber welch schröklich Geräusch, gleich schweflichten Donnern, entzündet
Tödtliche Angst in meinen wach gerüttelten Gliedern!
Welch ein Anblik! Ich sehe die aufrührischen Wasser
Ueber die niedergebükten Häupter der Blumen hinwegfliehn,
Und die Gesträuche verschlingen, die sie sonst friedlich getränket.
Trauriger Frühling, ist diß dein Werk? Empörest du also
Ruhige Flüsse, die Phöbus mit seinem Bildnisse zierte?
Daß sie wie gezähmete wilde Thiere uns schmeicheln:
Aber die Wildheit kehret zurük; mit plözlichem Schnauben
Fallen sie über uns her und spotten des Eifers zu fliehen. –
Ach wohin rette ich mich! – von jenem hüglichten Berge
Winkt mir der sichere Nachbar. Von seiner luftigen Spizze
Will ich die Schrekken ansehn, die die Ueberschwemmung verbreitet.
Junges Grün, wo bliebst du und ihr abwechselnden Farben?
Alles ist eine dunkelspiegelnde Fläche geworden.
Weidende Stiere werden empor gehoben und rauschen
Aengstig über das Wasser dahin – und finden kein Ufer.
Furchtsame Lämmer arbeiten muthig. So werth ist diß Leben
Selbst dem vernunftlosen Vieh: es kennt die rasende Kühnheit
Elender Weisen noch nicht, die mit widerstrebendem Herzen
Dieses Himmelsgeschenk aus schwarzem Leichtsinn verderben,
Und mit dem eigenen Wesen die bebenden Fäuste beflekken.
Aber stündlich wächset die Fluth: der Vater des Stromes,
Der weit ausgestrekkete See, entschwillet von Klumpen
Eises, die sich zerstossen, und sucht den gewöhnlichen Ausweg,
Daß der Fluß und die ganze Gegend See wird. Auf Böthen und Flössen
Fliegen die Menschen umher, oft ohne Ruder, dem wilden
[54]
Schuß des Stroms anvertraut, und scheitern an Felsen und Wipfeln
Halb ersäufeter Eichen, die sie erhaschen und warten
Bis ein mitleidiger Wind das Ufer wieder emporruft
Und die unbändigen Wogen in ihre Höhlen zurük jagt.
Siehe, dort reiset ein Haus. Die unvermuthet entführten
Einwohner strekken vergeblich die Arme und schreien nach Hülfe:
Indem stürzt eine Wand von kämpfenden Wellen verschoben,
Und zerquetschet die Kinder des jämmerlich brüllenden Vaters.
Dort trägt die Fluth eine Wiege. Des erschrokkenen Säuglings
Blasse Wangen sind voll von Tränen. Mit fliegenden losen
Haaren schwimmet die Mutter ihm nach: aus dem nakkenden Busen
Stöhnen gebrochene Töne herauf: »Mein Kind! – o mein einzig,
Mein geliebtestes Kind!« – Izt greift sie mit zitternden Armen
Nach dem schwimmenden Moses. Unglükselige Retterin!
Ach er entfällt ihrer Hand. Wie wüthet der Schrekken in ihren
Wild verzogenen Mienen! Kein Wort! Keine Träne! Mit lautem
Schreien sinkt sie ihm nach in die weitzirkelnden Fluthen.
Aber welch ein anhaltendes Seufzen durchdringet die Lüfte! –
Trauriger Anblik! Die schönste der Bräute mit ihrem Geliebten
Auf einem wankenden Brette. Bey jedem Anfall des Sturmes,
Jeder schleudernden Woge heften sie tränende Blikke
Auf einander: die Worte fliehn die beklemmte Zunge:
»Thirsis!« – »Selinde!« so lispeln sie manchmal bey ruhigerm Wasser.
Und izt reißt eine fliegende Welle, gejagt vom Orkane,
Ihr mastloses Schif mit sich fort. Mit lautem Geschreye,
Hocherhabenen Händen sieht die erstarrte Geliebte
Ihren Geliebtesten von dem schwankenden Brett herabtaumeln.
»Rette dich! Stirbst du? Rette dich!« zittert die holde Stimme.
[55]
Er arbeitet verzweifelnd; starr, wie der zagende Krieger
In der Schlacht nach dem Feldherrn blikt, so blikket sein Aug' im
Mißlichen Kampf mit dem nahen Tod' auf seine Selinde.
Schwarzes graunvolles Schrekken das mit den Wellen daherströmt
Färbt seine aufgeblasenen Wangen mit wechselnder Blässe.
Wie haucht er so gewaltig die auf ihn eindringenden Ströme
Von sich! Wie zappeln die Füsse, wie ringen die nervigten Arme!
O ihr Felsen zeigt ihm eure mooßigten Spizzen,
Daß er da anländen kann! Ihr Bäume dort, schwimmet ihm näher
Daß er euch zitternd ergreife. Ach schon ermatten die Kräfte!
Ach, er sinkt! – Selinde, er sinkt! Sie schreyet, sie stammelt,
Umsonst suchet sie Worte; sie fliegt ihm nach und umschlingt ihn: –
Lange nachher wird ein irrender Weiser auf einsamem Gange
An dem schlammigten Ufer sie finden. Er öfnet der Erde
Den mitleidigen Schooß, begräbt die treuen Geliebten,
Pflanzet Rosen aufs Grab und singt mit ewigem Liede
Von Orpheischen Sayten die betrübte Geschichte.
Dieser altvätrische Berg ragt noch mit dem kahlen Rükken
Ueber die Fluthen empor. Wie von bewachsenen Felsen
Weidende Ziegen ängstig auf hinanklimmende Wölfe
Niedersehen, so blikken hier Menschen mit klopfendem Herzen
Auf das Gewässer hinab, das stündlich höher emporsteigt.
Dort auf thürmenden Eichen, deren vermoderte Wurzel
Schon in der schlammigten Erde wanket, drohend den Umsturz,
Lauschen andere. Indem sinkt eine trügende Stüzze,
Mit ihrer Last. Weit umher ertönt ein verzweifelndes Schreyen
Und der brausende Grund verbirgt den Elenden auf ewig.
Aber noch sind nicht die Schrekken erschöpft, womit sich die schwarzen
[56]
Ehernen Wällen bewafnen, wenn sie den wehenden Himmel,
Der nur ein Wind zu sein scheinet, wie Titanen bestürmen.
Komm, getreue Muse, eh du voll Schrekken hinwegfliehst,
An den nakten Seestrand, von salzigen Fluthen bespühlet,
Die mit majestätischem Rauschen, gehäufet wie Klösse,
Die der Pflug treibt, sich überwälzen, und in dem Sande
Schäumend zerfliessen. Schau! ein plözlicher Wind erbaut hier
Thürm' und Städte aus Wasser, die er im Augenblik einreißt.
Wie ein gezerreter Löwe sein eisern Behältniß erschüttert,
Und durch sein gräßliches Brüllen das Blut in den Adern empöret:
Also hüpfen und klatschen und toben die rasenden Wogen,
Scheuchen die Sonn' unter Wolken, und fordern Orkane zum Krieg' auf.
Wehe dann dem hülflosen Schif, der Höh anvertrauet,
Ueber welche sich siebenfältige Dunkelheit breitet!
Wehe dann deinen Kindern! du, der du, verdrüßlich zu leben,
Dich zuerst auf Brettern in einen Tartarus wagtest
Und dem Tod in den Rachen sprangst, du, den nicht die fremden
Warnenden Wind' erschrekten, noch die ausscheltende Tiefe.
Komm herauf, du, des ersten Schiffers verwegener Schatten!
Rette dein zagend Geschlecht, von allem Lebendgen getrennet,
Und in dem Maule des scherzenden Todes, der seine Lust hat
An ihrem Winseln und sie vielleicht noch aus Muthwillen lossläßt.
Höre hier rasche Wellen, die Donner unter den Wellen
Und die Stimmen der Sterbenden unter den krachenden Donnern.
Laut erseufzet der Mastbaum, der kaum die Stirn noch emporhält,
Von allen Winden des Himmels bekämpft. Izt sinkt er, izt strekt er
Die gewaltige Last in die gepeitscheten Fluthen.
Was für blasse Gesichter zeigt der erleuchtende Bliz uns,
Wenn er über die Scene dahinfährt. Gesichter voll Tränen!
Bebende Hände gen Himmel erhaben! zerstreuete Haare,
Die vom Meerwasser triefen! – Laß uns erweichte Muse!
[57]
Laß uns sie hören, die Klagen, die von dem zerrissenen Schiffe
In die dunkle ungeheure Einsamkeit tönen. –
Doch die brausenden Wogen lassen des Jammers Stimme
Unser Ohr nicht berühren. Wolken und Elemente
Stehen im schröklichen Bündniß wider ein schwaches Leben,
Das auf löchrichten Brettern umherschwimmt. So tobte das Chaos,
Eh mit besänftgendem Fittig der Athem des HERRN drüber schwebte:
Wie sich das Meer bald empört, um die zerstreuten Elenden
Näher zu bringen dem Donner, der aus den Wolken herabbrüllt;
Bald sich wieder eröfnet, sie in die einsamsten Höhlen
In der Seefische schlammigte Wohnungen niederzustürzen.
Ein Kind schlingt die verwundernd ausgebreiteten Händchen
Um die halbtodte Mutter: sie sinkt; da klimmet es furchtsam
An sie. Dereinst wird die Fluth an fernen Ufern sie ausspeyn
Um ein Herztödtendes Schauspiel dem sichern Vater zu zeigen.
Unerschrokken, gelassen, wie unter nächtlichen Stürmen
Der stillwandelnde Mond, liegt dort ein Greiß auf den Knieen:
»Zwar du hast uns dein Antliz, Vater! mit Wolken verhüllet;
Aber doch flehen wir zu dir hinauf: dein göttliches Ohr weiß
Mitten unter den lauten Wettern die Stimme des Menschen
Zu unterscheiden: Vater! nimm unsre Seelen, ach nimm sie
In deine Hände, wenn Fluthen den Leib zum Eigenthum fodern.«
Schröklicher ist das Ende des Wuchrers, der Dürftige aussog,
Und die Trän' unterm Trauerflore nie troknete. Dunkles
Haar steht aufgesträubt um seine knechtische Stirne:
»Hätt' ich, stöhnet die Todesfurcht aus ihm, ach hätt' ich, verfluchte
Schäzze! nie euch gesammelt! Wär' ich auf sicherem Hofe,
Den die streifigten lächelnden Fluren umringten, geblieben!
Ich verdiente dein Lächeln nicht, buntfarbigter Frühling,
Drohende Wogen weit um mich her, die hab' ich verdienet.
Und nun seid mir verflucht, verräthrische Schäzze: ich sucht' euch,
[58]
Säete Tränen und Blut aus, um Gold zu erndten; jezt werdet
Ihr zur Hölle mich niederdrükken: jezt fluch' ich euch, fluch' euch! –
GOTT erbarme dich meiner!« Da reissen die Wellen den Wuchrer
Schnell erbarmungsloß fort, und knallende Donner beläuten
Ihn zur Tiefe hinab, die ihn mit Brüllen empfänget.

Sechstes Buch. Das Erdbeben

Izo schikt sich die Muse, die ernsten tiefen Gesänge
Mit den furchtbarsten Tönen zu schliessen. Izt flüchtet, ihr Freuden,
Und ihr gefälligen Scherze, flüchtet weit weg, wo das
Bild der entsezlichsten Scenen nie von zärtlichen Augen
Mit der Träne der Menschheit benezt wird. Flieh auch du, Ruhe!
In deinem weissen unschuldgen Gewande die strahlende Stirne
Tief verhüllt. Erhebet die scheußlichen Flügel, ihr Schrekken!
Wilde Phantome! naht euch aus euren Klüften, umringt mich,
Zeigt mir die knirschenden Zähne, daß ich beängstigt und traurig,
Würdig der Plagen lezte besinge. Schleiche mit langsam
Drohenden Schritten mir nach, du blasser ächzender Tiefsinn,
Daß ich die Scenen voll Graun und Verzweiflung würdig besinge.
Ein Orkan reißt plözlich vom Sturm gepeischeten Weltmeer
Wüthend sich loß, und treibt Verderbenschwangre Gewölke
Ueber das Antliz der Erde zusammen. Die Göttin des Tages
Blikket aus dem Gewitter nur selten mit zitterndem Strahle
Nieder. Anhaltend raset der Wirbel. Holdselige Blüthen
Stürzen von Zweigen hülfloß hinab und färben den Boden:
Und die Luft füllt schwimmender Staub, der untreu der Erde
In die Wolken vergeblich sich zu schwingen versuchet.
[59]
Auch in den tiefsten Höhlen rotten verschworener Winde
Fesselentlaßne Heere sich zusammen, sich Wege
Durch die Erde zu öfnen. Ein unterirrdisches Donnern
Kündigt entsezliche Schauspiele an. Stummdräuende Klippen,
Graue, ehrwürdige Felsen, schütteln die Häupter und schelten
Mit erschröklicher Stimme die Gegend umher. Schon entstürzen
Hüpfende Thürme den wankenden Tempeln. In sprachloß-erschroknen
Schaaren eilen die Menschen, die Mutter, die Erde zu fliehen,
Die sie nicht tragen mehr will. Der schwarze Himmel sieht zornig,
Wie der rebellische Boden sein Eingeweid gegen ihn ausspeyt,
Seine breite Stirne runzelt; unwillige Wolken
Krachen unter den Sturmwind, der aus dem Maule der Erde
Wild heraufheult, und flatternde Flammen weit um sich her bläst.
Auch der Ocean tobt, es drängt sich Welle auf Welle
An das erschütterte Ufer, die gräßliche Scene zu sehen.
Die untergehende Sonne beschleunigt den Abzug. Des Mondes
Bleiches Antliz gukket scheu in die tönenden Thäler
Und den aufrührischen Wald. Aus niedergestürzeten Eichen
Schießt der nistende Adler schröklich empor und erfüllet
Weit die Lüfte umher mit Schreyen um verlohrene Kinder.
Wurzellos rauschen die seltsam umhertanzenden Linden,
Deren Laub, wie Fluthen im Meer, sich wälzet: und über
Sich erhebende Hügel flüchten die brüllenden Thiere
In ihr Grab. Meilenhohe Berge wanken: langsam
Sinkt ihr himmlisches Haupt dem tiefen Thal zu; die Lüfte
Weit umher werden Staub, und selbst des Himmels Gewölke
Weicht erschrokken seitwärts und vergisset zu donnern.
Dort erhob eine zierliche Stadt die winkenden Thürme
Hoch in die Lüfte. Kleinere Sonnen spiegelt' ihr glänzend
Dach, wenn senkrecht der Strahl des Mittags sie traf, in die Fluren.
Prächtig liefen hier Reyhen von Häusern: Säulen aus Marmor
Stüzten die Tempel und Palläste, die der eiserne Kriegsgott
[60]
Nie noch hatte mit Händen voll Bluts und Feuers bekämpfet.
Drey Augenblikke! – Nun ist sie nicht mehr. Der Rachen der Erde
Schlang sie hinab. Zehntausend Stimmen des Todes drangen
Auf einmal durch die vom Schutt verfinsterte Sphäre.
In den bewegten Gassen hob, sich empörendes Pflaster,
Menschen und Thier empor; dann sank es unter; des nahen
Stromes Quellen von drükkenden Bergen befreyet, entstürzten
Ihrem zerstörten Gefängniß mit plözlicher Wuth, und fielen
Ueber die Untergesunknen her: So, wenn er die mürbe
Kette zerrissen, stürzet ein hungriger Bär auf das zarte
Tändelnde Kind im Grase. Selbst aus den Brunnen empor schoß
Ihr sonst ruhig Gewässer, und nezte mit irdischem Regen
Wolken. Die berstende Erde füllt' ihre Wunden mit Menschen,
Die oft halb begraben umsonst die flehenden Arme
Hoch zum Himmel rangen. Oft auch (unglaubliche Mächte!)
Spie der verschlingende Boden an fernen Orten die Todten
Wieder von sich, verbrannt, mit Erd' umhüllet, kaum kennbar.
Schiffe wurden vom schwellenden Meer ans Ufer geschleudert
Und warfen Anker auf sandigter Flur. Wo Berge gestanden,
Glänzten izt blaue Seen und manch entrunnener Landmann
Fand seinen blumreichen Garten vor sich, der mit ihm verrükt ward.
Siehe, da liegt nun das Wunder der Zeit, das Erstaunen der Enkel!
Ewige Pracht in Schutt versenkt! unzerstörbare Schlösser
Ueber einander gewälzt! und kleine Götter begraben!
Wie ist das Antliz der Erde verzerrt! die traubenbedekten
Höhen lieblicher Berge umgekehrt! und die erhabnen
Stämme des dunkeln Waldes weit auf dem Boden verbreitet!
Auf Arbelens Gefilden lagen so Leichen der Perser
Deren emporgerichtete Spieße die Lüfte sonst schwärzten.
Dunkelwallendes Roth dekt den noch nicht ruhigen Himmel,
[61]
Gleich einem glühenden Ofen. Auch ward manch erschüttertes Ufer,
Tief in den Schooß des Meeres hinabgerissen, zur Insel:
Ein halbtodtes Geschlecht eröfnet izo die Augen,
Und sieht auf ungebaueter Arche sich aus dem Rachen
Der Verwüstung gerissen: denn Gott, dessen wankender Finger
Unserer Erde Umsturz ist, noch ist seine Rechte
Nicht verkürzt, und täglich thut er unerkannt Wunder.
Jener marmorne Pallast, der umgekehrt da liegt, von Eulen
Und gesättigten Raben bewohnt, erklang noch vom wilden
Rauschen entweyheter Sayten und vom nächtlichen Lärmen
Schwärmender Larven: indem erbebte der glänzende Boden
Unter den tanzenden Füssen; die Spiegel schmetterten nieder
Und die Corinthischen Pfeiler sanken. Mächtiger Schrekken
Schlug auf den dünstenden Stirnen und blassen bebenden Lippen
Buhlender Tänzer den kalten Thron auf: sie stürzten die Stiegen
Stumm hinunter; mit loßgerissenen Haaren durchströmten
Blühende Jungfraun die beweglichen Gassen; auch eilten
Hinkende Greise an hülfreichen Stekken, weit hinter geblieben.
Lamon, ein edler Jüngling, sah die grausame Erde
Ihre Kinder verschlingen, die sie lang mütterlich nährte,
Und gedachte zu fliehen, doch ein einstürzend Gebäude
Ueberdekt' ihn; die Trümmer, vom sorgsamen Schuzgeist geleitet,
Formten sich ihm zur Höhle: da lag er von Menschen und Geistern
Gleich entfernt. Vergebens durchdrang seine heisere Stimme
Die aufgethürmten Lasten. Noch hört' er das Schelten der Tiefe
Und die Donner des Himmels und die Stimmen der Menschen,
Die ein barbarisches Haus erdrükt! und prieß mit Gedanken
Seinen Erretter: ihm wars verwehrt die Hände zu falten,
Denn auf zertrümmerter Rechte lag ein spizziger Felsen
Und die erstorbene Linke dekt ein Ruinengebirge.
Kaum konnt' er Augen voll Tränen öfnen, kaum durft' er bisweilen
[62]
Die gepressete Luft in sich athmen: bei jeder Bewegung
Seines unsanft ruhenden Hauptes, oder der seufzend
Sich erhebenden Brust, bebt' er, die untreue Wölbung
Werd' ihn mit schnellem Gewicht zerquetschen. Sein Schreyen und Winseln
Hörte hoch über ihm das Ohr der Gottheit: sie sandte
Von dem stürmenden Himmel auf einer unsichtbaren Wolke
Stärkenden Schlaf von liebkosenden Träumen begleitet, hernieder,
Daß sie den bangen Sterblichen tröstlich erquikten: da sah er,
Leise schnarchend (so schnarcht im Arme der Mutter ein Säugling),
Seinen Schuzgeist vor sich. Mit ausgebreiteten Armen
Schwebt' er über ihm, stüzte die ihn bedrohende Dekke,
Und flößt' in sein verzagendes Herz einen Himmel von Ruhe.
Plözlich erhob er lächelnd die undurchsehbare Wölbung,
Warf die Steinhaufen ab, und zog mit mächtigen Händen
Ihn aus der Grube hervor. Von Freud' und Dank hingerissen,
Stürzt' aus den schlafenden Augen ein Strom von Tränen; er stammelt'
Im Erwachen: »o Gott! o heiliger Engel!« und sah sich
(Unbeschreibliche Wonne!) in den umschlingenden Armen
Seines Vaters. Der hatt' ein tiefes sterbendes Wimmern,
Als er den Sohn zu suchen die schröklichen Scenen durchirrte,
Leises Wimmern hatt' er vernommen. Athemloß rannt' er
Hin zu dem jüngern Bekannten, und bat ihn, mit gütigen Händen
Jene Berge von Schutt abzuwälzen: »denn tief unter ihnen,
Sprach er, girrt eine schauererwekkende Stimme; mein klopfend
Herz schlug höher empor, als ich sie hörte. Wo nicht diß
Ahndende Herz zerspringen soll, wo nicht dieses heisse
Wallende Blut vor deinem Antliz sich durch die gedrungnen
Augen den Weg bahnen soll und rothe Ström' auf die Wangen
Giessen, so komm und hilf mir! Bey Gott, der mit mächtiger Liebe
Liebt, beim schröklichen Schiksal unglüklicher zärtlicher Väter,
Die auf die Leichen der Kinder ihr Herz in Tränen ausgiessen:
[63]
Bey deinem künftigen Tode und bei dem winselnden Röcheln
Deiner die Seele aushauchenden Brust, beschwör' ich dich, hilf mir!«
Und er half ihm. Ein abgehobener Felsen entdekt' ihm
Eine zersplitterte Hand; da wandt' er das starre Auge
Zum erhörenden Himmel und sank ohnmächtig; doch balde
Wekt' ihn das Freudengeschrei des Freundes: die zitternden Arme
Schlangen sich um den Sohn, noch eh er ihn zu erkennen
Fähig war. »Mein Sohn!« – die Freude wehrt' ihm die Sprache:
Und mit frohem lauten Weinen wurden sie beyde
Unter ihr Dach getragen. – Täglich wölkete nachher
Sich vom beglückten Geschlecht ein rauchendes Opfer zum Himmel,
Ein Dankopfer von Seufzern und Jauchzen und Tränen der Freude.
Doch welch fernes Zischen durchdringet das Ohr, zischet stärker,
Und wird schrökkend Geräusch. Der Himmel verfinstert sich plözlich.
Schaut! ein glühend Gewölke wälzt sich in rauchenden Lüften:
Aus seinem Schoosse regnet flimmernde Asche hernieder.
Jezo brüllet ein Berg und speyt seine Felsen weit um sich,
Tausend Elenden traurige Grabsteine. Langsam ergiessen
Sich aus dem Rachen der Hügel dampfende Ströme von Schwefel:
Kochend wälzen sie sich durch die hinsterbenden Wiesen,
Und um sie her stürzen Linden und Eichen mit lodernder Wurzel.
Aber die Thiere flüchten mit schmerzhaftem Heulen; die Vögel
Scheuchet die Gluth weit weg: an den entferntesten Ufern
Werden schwazzende Dohlen und Störche die Wunder erzehlen.
Jezo laß uns, o Muse! über jenes Gewässer,
Das niegrünende Küsten, von Eißgebürgen umschanzet,
Mit den kalten und schwarzen Wogen nezzet, den Blik hin
Werfen aufs rauhe fruchtleere Land. Zwar herrscht hier allmächtig,
Und wie in seiner Heymath der Nord mit beissendem Wehen:
Aber dennoch bisweilen schüttelt die steinharte Erde
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Die unzerbrechlichen Bande (so schütteln verzweifelnde Mörder
Auf dem Gerichtsplaz das schwere Eisen). Die Schneebehäuften,
Mit dem neblichten Himmel vermischeten Gipfel der Berge,
Werfen die Lasten von ganzen Jahrhunderten ab, und öfnen
Schlünde voll blauer Flammen. Dann fliegt auf spiegelndem Eise
Zitternd der Wilde hinweg: so floh Gebula und Zama
(Beide hatt' Amor mit seinem schärfsten Pfeile getroffen)
In ihre Felle gehüllt, mit pochendem Herzen, als Güsse
Funken senkrecht sie trafen. Vergebens spähte ihr Auge
Nach dem löschenden Schnee: die rauhen Hüllen entglommen:
Brennend umschlang Gebula die Gattin: »Zama! ich sterbe!
Schau, die Hölle speyt marternde Flokken! So hab' ich noch niemals
Schmerzen empfunden.« Er sprachs und sank auf den zischenden Boden.
Zwar mit hohlen Händen bracht aus dem nähesten Thale
Seine Geliebte Schnee und dekte den jammernden Liebling:
Aber indem durchschnitt ein Felsstük rasselnd die Lüfte
Und zerquetschte die treue Zama. Mit weiblichem Schreyen
Bließ sie den Geist im Augenblik aus, den lang erst gequälet,
Mehr durch brennenden Schmerz als brennende Funken verzehret,
Auch nachher Gebula aufgab.
Die ihr sicher in Sünden dem Zorn des Ewigen trozzet,
Zittert, hartnäkkige Thoren! Er spricht, dann wandeln die Plagen
Ueber das Antliz der Erde; er winkt, dann fliehn Elemente
Aus ihren Grenzen, zerstören und tödten. Vergebens, vergebens
Ringen dann freche Hände zum Himmel; vergebens erschallet
Heuchlerisch Seufzen aus gottlosem Busen; das Auge, das niemals
Unter ruhenden Stürmen Tränen gekannt, erhebet
Sich umsonst zu ihm, es blendt's sein göttliches Blizzen;
Eures Gebetes Geplärr' antwortet ein stärkerer Donner.
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Zwar der Mensch verlacht die Gefahr der Zukunft, glaubt, ewig
Werde die Sonn' ihm scheinen, der friedsame Frühling ihm lächeln:
Aber er spotte des nahen Gewölks, der erhobenen Rechte
Des anziehenden Richters; Beelzebub höhnte die Allmacht
Des Allmächtigen also, rottete Geister zusammen
Und empörte sich: plözlich fühlte sein Nakken Donner
Und sein sinkendes Haupt die Ferse des ewigen Sohnes.
Wie die unlöschbare Gluth, wenn eine Wolke zerberstet
Und in sie hinströmt, dampfend noch einmal empor schwillt, dann plözlich
Sinkt und mit gräßlichem Heulen am Boden kriechet, so stürzte
JESUS, (beugt euch, Frevler! wie Rohr vor reissenden Winden,
Vor dem Namen des Richters!), so stürzt' er die Fürsten des Abgrunds.
Und ist das Ungewitter der Plagen zu wenig, die Felsen
Zu erschüttern, die hoch emporschwellenden Herzen zu dämpfen,
So erschrekke du sie, sich jährlich nähernde Zukunft
Des, in dessen verwundeter Hand der Gerechtigkeit Waage
Tönt und Thaten wäget, mit Ewigkeiten sie aufwägt.
Schaut! ein schwarzes Gewölke belastet die seufzenden Lüfte
Und die Finsterniß dekket das Land. Es tönen die Stimmen
Des Entsezzens, des Zagens, des lauten Erbebens erschröklich
Durch die Nacht. Doch schnell wird das zehnfältige Dunkel
Von einem schröklichern Tag' erleuchtet. Zehntausend Blizze!
Ihnen folgen zehntausend, und zehnmal zehntausend erfüllen
Die sie schleudernden Hände der Todesengel. Unzählbar
Steigen entzündete Flammen empor: ein gräßliches Krachen
Stürzender Städt' und Schlösser und des hohlen Donners,
Der, nur ein Schlag, von einem Ende des Himmels zum andern
Ununterbrochen umher kriecht, erschüttert den Boden. Von fernher
Schallt die geweissagt gefürchtete Stimme der hohen Posaune:
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Siehe, er kommt!
Und die plözlich zerspringenden rasselnden Gräber antworten:
Siehe, er kommt!
Und der Pole Axe drehet sich nicht mehr; die Klüfte
Stürzen zusammen: die Pforten der Hölle fallen aus ihren
Angeln. Es sinken die Geister des Pfuhls mit schnellem Entsezzen
Jeder unzählige Klafter tiefer in die Tiefe;
Plözlich werden sie wirbelnd emporgehoben, ein Donner
Schlug sie empor. In furchtbare Reihen ordnen die Engel
Izt die verworfenen Geister und verzweifelnde Menschen:
Ihnen entgegen jauchzet die heilige Schaar und siehet
Mit emporgerektem Haupt den Vater, den Richter
In unnachahmbarem Glanz auf lichten zerfliessenden Wolken,
Mit dem ganzen feirenden Heer des Himmels daher ziehn.
So (wenn der unedle Vergleich zu wagen ist) ziehet
Unter mystischem Sternentanz, der Nächte Beherrscher
Still majestätisch daher. Jezt werden die Bücher des Rechtens
Loßgewälzt und gerichtet. Zwar wagt es die Rotte der Linken
Ihren Mund aufzuthun zur Vertheidigung: aber ein grauser
Donnerschlag stösset antwortend sie alle hinab, mit Entsezzen
Und mit lautem Jammern hinab in den offenen Rachen
Des feuerstürmenden Pfuhls. Da nun in grundlose Gründe,
Jeder vergeblich arbeitend hinabsinkt, schliessen sich donnernd
Die unbarmherzigen Pforten der Höll' auf ewig, auf ewig –
Sagt es mir nach, ihr Donner des Himmels, damit es den Sündern
Tief in den Busen sich äzze, sagts, unersteigliche Klippen!
Im erschröklichen Nachhall: auf ewig! auf daß der Verworfnen
Einer nicht etwa sich ferner erkühne, zu besseren Welten
Rachsüchtig aufzusteigen, und ihre ätherischen Lüfte
Mit dem höllischen Hauch zu vergiften. Indessen erheben
Perlenwolken die Edlen, die Freunde des lächelnden Richters,
Mit seinem Kleide bekleidt: sie singen in wirbelnden Lüften
Nie gehörete Jubel. O Wonn'! o lautes Entzükken! –
– – – – – – –
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Schweigt, gefiederte Bürger des Waldes! du steigende Lerche!
Und du, emsige Schwalbe! die höher aufsteigende Seele
Wird durch euch wieder zur Erde hinabgerissen. – Doch schweigt nicht!
Auch ihr singt Loblieder dem HERRN, der mit frölichen Donnern,
Prächtig lachenden Blizzen sein Volk heimholen wird, schweigt nicht,
Auch ihr singt Loblieder dem HERRN!

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TextGrid Repository (2012). Lenz, Jakob Michael Reinhold. 6. Die Landplagen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E2CA-F