70.

Mit schönen Steinen ausgeschmückt,
Von frohen Lichtern angeblickt,
Da sitzest du vielleicht anitzt,
Wo doch dein Auge heller blitzt.
Und denkest nicht, daß hier in Nacht
Ein ausgeweintes Auge wacht,
Das überall, wohin es flieht,
Kein Mittel mich zu retten sieht.
Dies Reißen in der Stirn und Brust,
Der Todesbote, meine Lust,
Auch er, auch er läßt mich allein
Ach der Betäubung dumpfer Pein.
[188]
Wo war ich doch, wer war ich doch? –
Gefühl voll Angst! ich lebe noch.
Ich dachte schon, ich läg in Ruh,
Und Freundeshand die deckte zu.
Ach aber Freundeshand bringt mir
Den Kelch des Todes, und von dir,
Von dir, von dir, mehr als der Tod
Was überm Grabe schlimmer droht.
Fern und verachtet und mißkannt,
Wo niemand weiß, wer mich verbannt!
Ach wie so glücklich ist der Mann,
Der dir zu Füßen sterben kann.
Ach wärs auch nur vor deiner Thür,
Vorm Thor der Stadt – nicht aber hier
Wo ihn der Himmel selbst nicht kennt,
Und kaum die Erd' ein Grabmal gönnt!

Notes
Entstanden 1776. Erstdruck in: Gesammelte Schriften von J.M.R. Lenz, hg. von Ludwig Tieck, Bd.3, Berlin (Reimer) 1828.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Lenz, Jakob Michael Reinhold. 70. [Mit schönen Steinen ausgeschmückt]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E33A-D