[182] 69.
Schauervolle und süß thönende Abschiedsode

bestehend aus einem Allegro, einer Andante und einem Prästo von einem deutschen Dichter


Paullo majora canamus.

Virg.

Ein parenthirsisch Lied möcht ich itzt singen,
Ein mächtig, ein allmächtig Lied,
Das Sonn und Mond vom Himmel zieht
Und dem die Stern' entgegen springen.
Hoch zum Olymp möcht ich mit federlosen Schwingen,
Ein deutscher Ikar, dringen:
Allein das Wetter ist zu rauh
Und meine Muse, eine Frau,
Erfröre drüber braun und blau.
Baroc soll meine Leyer klingen,
Flugs reimen will ich, das heißt singen,
Flugs reimen, so wie der und der;
Das hebt bis an den großen Bär
Einst unsern Ruhm – und ist nicht schwer.
Ich der von allen guten Dingen
In meinem Leben dreymal schied,
Dem ehmals leichter als Ovid
Die Klagen von der Leber giengen,
Mir wird doch ein gereimtes Lied
So gut als dem und dem gelingen.
Fortuna! Göttin! großer Name!
Leichtfertige, vertrackte Dame,
Die oft die liebsten Buhler hörnt,
Von der durch dick und dünn zu schwimmen,
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Die Sayten hoch und tief zu stimmen
So mancher Dichter schon gelernt.
O glaube nicht, vom Guten oder Schlimmen
Wovon mich auch dein Arm entfernt,
Ich werde mich darunter krümmen.
Nein lachen, das hab ich gelernt,
Gelernt dir lachend ins Gesicht
Zu ruffen: Ma Princess'! Ich bin ihr Sclave nicht!
Nur eine kleine Sorge zieht
Wie Mittagswölkchen im Gemüth.
Ich würde mich auch am Cocyth,
Denk ich, mit Vater Orpheus faßen.
Ich würde selber in den Gaßen
Der Residenz des Pluto nicht
Mit traurigen hogarthischen Grimaßen
Bei seiner Fackeln dunklem Licht
Versteinert stehn, und wie ein Weib erblaßen:
Nein Pluto ließ ich Pluto seyn,
Und leyerte wie Orpheus fein
Mich in den Tartarus hinein –
Doch – Freunde, Freunde zu verlaßen,
Dazu war stets mein Muth zu klein.
Der Menschenfeind, die Last der Erde,
Aus Hochmut, oder auch aus Groll
Zu weise – oder auch zu toll,
Der werd ein Eremit – er werde!
Ich lobe mir mit seinen Mängeln
Das Mittelding von Vieh und Engeln,
Herrn Plato ungefiedert Thier.
Das sieht mir gleich, das lob ich mir.
Ein andrer suche sich zu engeln,
Er werd ein Eremit, er zieh
Sich hin und her mit bloßem Knie
Auf Erbsen oder Neßelstengeln.
O wißet, er verliert doch nie
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Mit Plato federlosem Vieh
Die angeborne Sympathie.
In Stille läßt er seinem Magen
Geschenkte Speisen wohl behagen
Und seinem Schlund geschenkten Wein.
Laßt mit Agnesen ihn allein:
Was wird sein – ja wie geb ichs fein?
Was wird sein alter Adam sagen?
Ihr dürft nur den Fontaine fragen.
Nein, Menschen, Menschen spat und früh
Von meiner Farbe, meinen Mienen,
Von meiner Physiognomie,
Die will ich um mich haben, ihnen
Mit allen meinen Kräften dienen;
Sie dulden mich, ich dulde sie.
Ihr, die ihr ohne mich zu kennen,
Mich würdigt Euren Freund zu nennen,
Ist Eure Wahl auch lobesan?
Gut ist mein Herz, schwach meine Kenntniß,
Ich thu euch ehrlich ein Geständniß,
Das nie ein Deutscher noch gethan.
Ihr habt und werdet dulden müßen,
Die Freundschaft ist Gutherzigkeit;
Sie wirft dem Nackenden ein Kleid,
Gefällt er ihr, auch allenfalls
Ein Dutzend Kleider an den Hals:
Sie trügt sich gern in ihren Schlüßen.
Nennt unser eingeschränktes Wißen
Zu vorschnell oft Gelehrsamkeit,
Und unser ehrliches Gewißen
Das nennet sie Bescheidenheit.
Ich fühle mich und bitte schüchtern
Auch noch entfernt um Eure Gunst.
Ich las euch etwas von der Kunst
Und vom Genie und von den Dichtern.
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Ich folgte nicht den Mode Richtern
Mit Wohlgelahrten Angesichtern,
Von Dunst berauscht, von Wahrheit nüchtern.
Sie lieben ihren blauen Dunst 1.
Doch uns, die frey zu fühlen wagen,
Und was sie fühlen, auch frey sagen,
Gefällt die Frau Mama Natur
In ihrer schönen Nacktheit nur.
Es blüht und glänzt auf ihrer Spur
Von Blumen eine ganze Flur,
Und tausend holde Stimmen klagen
Und scherzen auf einmahl, wenn sie den Göttermund
Eröfnet: unser Herz wird wund,
Und unser Puls fängt anders an zu schlagen.
Schrieb ich vielleicht mir nicht zum Ruhme,
So denkt sein Schicksal traf ihn hart:
Er blühte noch, als seine Blume
Von einem Blitz getroffen ward.
Sie senkte tief die blaßen Wangen
Und Himmelstropfen haben sich
Seither den Blättern angehangen,
Das denkt – und dann bedauert mich.
Ich kann aufs höchste doch nur lächeln,
Mit trüben Augen nur mich freun.
Mein Athem klagt, mein letztes Röcheln
Wird auch noch eine Klage seyn.
Wem unter Jünglingen und Schönen
Ich ohne meine Schuld mißfiel,
Der denk': Er spielt die letzten Scenen
Von einem frühen Trauerspiel.
Doch warum klag ich? sind die Rollen,
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Die andre spielen, neidenswerth
Das Glücke, das wir suchen sollen,
Wird auf dem Schauplatz nicht gewährt.
Und selber auf dem Schauplatz weinen
Ist edler, als wie Arlekin
Im bunten Wämmschen zu erscheinen:
Er lacht – und man belachet ihn.
Ich merk, ich werde zu geschwätzig;
Auch dieses werdt ihr mir verzeyhn.
Mein großes Lied wird untersätzig,
Es wird zu breit und bleibt doch klein.
Das ist mein Looß. Den Wuchs vom Manne
Versagte mir bisher das Glück,
Und nahm ich zu um eine Spanne,
So blieb ich klein – und wurde dick.
Obschon aus Leichtsinn und aus Wehmuth
Mama Natur mein Wesen schmolz,
So hab ich doch bey aller Demuth
Ich muß es euch gestehn, noch einen seltnen Stolz.
Nun rathet – mags Oedipus rathen.
Ich bin nicht stolz auf Heldenthaten
Und auf Gelehrsamkeit – das wär ein feiner Scherz!
Von einer Nation, die an dem vielen Wißen,
Wenns lange währt, wird bersten müßen,
Was meynt ihr wohl, wie viel ein stolzer Mann
Da wißen muß, bevor er bersten kann?
Stolz bin ich auch nicht auf mein Herz,
Zufrieden bin ich wohl, allein sein tiefster Schmerz
Macht mich zuweilen stumm und sauer
Und unumgänglich wie den Bauer:
Stolz bin ich – auf den zehnten Merz.
Mit diesem Tag, ihr lieben Christen,
Darf ich mich doch wohlweidlich brüsten.
Er ist, daß ich so sagen mag,
(Vergebt es mir!) Mein Namenstag.
[187]
Schon bey der Fibel und beym Donat
Ergötzt' ich mich an diesem Monath,
In den in unsre liebe Welt
Der rosenrothe Frühling fällt.
Der Merz ist kühl, doch ist er freundlich,
Von Winden rauh, doch niemals feindlich,
Sie fahren, wenn ich recht davon berichtet bin,
Am Himmel reinigend, am Boden schmeichelnd hin.
Die jungen Knospen zu erquicken
Läßt sich bisweilen auch die Sonn entwölket blicken
Mit einem schönen Eigensinn.
Was dieses Gleichniß hier bedeute,
Das rathet auf – das rathet auf!
Kurz unter uns, ihr lieben Leute,
So wie der Merz, so bis auf heute
War auch mein kleiner Lebenslauf.

Ein Fragment.

Fußnoten

1 Ein gewißer Kunstrichter vergleicht die Schönheiten eines gewißen Dichters sehr poetisch mit dem blauen Hauch der Pflaumen, der, wenn man sie anfaßt, verschwindet.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Lenz, Jakob Michael Reinhold. Gedichte. Gedichte. 69. Schauervolle und süß thönende Abschiedsode. 69. Schauervolle und süß thönende Abschiedsode. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E384-7