[138] Dritter Gesang

Hier bey dem Bruder seines Nebenbulers
Saß der Untröstliche, empfieng des Nebenbulers
Entzückte Briefe, nur von seinem Wohl
Und spottend unverschämter Freundschaft voll.
Ach! gegen wen sich nun beklagen, gegen
Wen dieses Herz erleichtern? Bäume zögen
Die Seufzer aus den Wurzeln, die er that,
Wenn auf den Knieen er den Tod vom Himmel bat.
Am Ende, als der Schmerz sich in sich selbst verzehrte,
Und wie ein sterbend Feur nur noch von Asche nährte,
Schrieb er dem Räuber – ach, dem Mann
Von seiner Laura – fleht' ihn an:
»Ich bin zu weinen müd' Colonna! Deckte
Mich doch der schöne kühle Marmor schon,
Der euch mit mir verew'gen soll. Erschreckte
Mein hageres Gesicht die Welt nicht mehr! – Entflohn
Ist doch so manche Stunde mir, so manche Reihe
Von Jahren; warum zögert denn der ungetreue
Der längsterwünschte Tod, jetzt da mein Schmertz bepfeilt
Mit jeder Sonne ihm entgegeneilt?
Ich muß es dir gestehn, Colonna! welchen Schaden
Kann es dir thun mein Herz dir zu entladen?
Es gönnet dir dein Glück; treib deinen Scherz
Mit ihm, verbiet' ihm nur nicht seinen Schmerz!
Ich bin zu sehr verwöhnt an – Laurens Blicke,
Ach! ohne die die Sonne kalt ist, bin
Verwöhnt an ihre Stimme, jetzt dein Glücke,
Die einzigste der Welt, im strengsten Sinn;
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Gebannt an jedes Wort aus ihrem Munde
An jeden Morgengruß und gute Nacht,
Die ehmals mich erquickten, mir die Arbeit, mir die Stunde
Der Prüfung selbst zur Seeligkeit gemacht.
Ich kann nicht leben ohne sie. Der Arm, die Hände,
Der schöne stolze Gang, der angenehme Zorn,
Voll Stolz und Demuth – – ach, es ist zum Ende
Mit mir – der Himmel, dem mein Glück ein Dorn
Im Auge war, hat mich hieher verdammet
Wo jetzt sein Zorn auf mich ganz ohne Retter flammet,
Von ihrem Auge weg, das alle Mitternacht
In meiner Seele hell wie den Mittag gemacht.
Wohin ich geh, und steh, und flieh, muß ich es missen,
Und fluchen Berg und Thal, die mirs entrissen.«
»Das arme Herz!« sprach als ers las der Mann,
Und sah gelassen auf, und seinen Himmel an.
»Das arme Herz,« sprach sie ihm nach, doch mit Accenten,
Die Engel selbst zum Weinen bringen könnten.
Noch tieffer grub in ihr geheimes Herz
Ein Brief vom Cardinal Petrarchens Schmerz,
In dem er schrieb vom guten kranken Thoren,
Er habe Sprache und Vernunft verloren.
Indeß erholt' er sich wie, an die Noth gewohnt,
Ein Türkensklav, und dann mit neuen Kräften frohnt.
Ein Brief, in dem sie selbst ihn zu sich bat zu kommen,
Sein Wunsch, sein einig Flehn, geneßte ihn vollkommen.
Er reißte spät im Herbst, des Himmels Antlitz war
Trübwolkig wie sein Herz, und Sturm zerriß sein Haar.
Er reißte Tag und Nacht durchs pfeifende Gesträuche,
Voll Graun und Finsterniß, fühllos wie eine Leiche.
Bald überwältigte des Aethers Gleichgewicht
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Der schweren Wolken Zug, die auf sein blaß Gesicht,
Dem die Verzweiflung längst der Thränen Trost verschlossen,
Auf sein versengt Gesicht des Himmels Thränen gossen.
»Darf ich sie sehn, sprach er zu sich, die Göttliche?
Ich fürchte zu vergehn, wenn ich sie seh.
Je glücklicher er ist, je mehr ers weiß zu schäzen,
Je mehr er sie verdiente – o Entsezen!
Muß meine Seele denn, so innig allem feind
Was Mißgunst ähnlich sieht, beneiden – meinen Freund –
Verachten was ihn ehrt, o hassen was ihn adelt
Und jauchzend segnen, was man an ihm tadelt?
Unglücklicher! wo ist die Tugend hin,
Die dir das Leben reitzend machte – ja ich bin
Voraus bestimmt zum Laster, mein Geschicke
Zwingt mich dazu – im letzten Augenblicke! –
Im Grabe noch, im Grabe Wüterich!
Colonna, falscher Freund! beneid' und hass' ich dich!
Noch übers Grab hinaus – mit kranker Seele
Kehr ich als Geist zu dir zurück, daß ich dich quäle,
Denn du hast mich um Leben, Lieb' und Macht
Um alles – um die Tugend selbst gebracht.
Verdammt hast du mich. Menschheitsloser Richter!
Warum traf deine Wuth den reitzbarn Dichter?
Warum nicht einen Wuchrer, einen kalten Mann,
Wie du, den der Verlust nicht schmerzen kann?«
So quälte sich der Arme, und sobald er fassen
Sich konnte, mußt' er dann sich selber hassen.
Des Himmels Innerstes bewegte dieser Krieg,
Und als er nun betäubt herunter stieg,
Vorm Schlosse selbst, vom unmitleidgen Wagen,
Der das zerschlagne Haupt noch mehr zerschlagen
Und Lauren mit Geschrey vom Ritter sich
Losreissen sah und auf ihn zu – – da wich
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Der Boden unter ihm, und beyde sanken nieder
Mit einem Leisen: Gott seh ich Sie wieder?
Da lag das Opfer nun – und Laurens Blick
Schlug feucht bis an die Wolken. – Hättest du dein Glück
Noch eh du starbst gesehn, Petrarca, was die Schaaren
Der Geister um dich her zu sehn geschäftig waren,
Die Thräne, die die schwarze Gluth umzog,
Die aus dem schönsten Aug' erzürnt gen Himmel flog,
Ihn anzuklagen – die für Reue zittern
Ihn machte – laut in klagenden Gewittern
Bezeugt' er seinen Antheil, blitzend Weh
Erschreckte weit die Erde und ein ganzer See
Welzt' ihm sich nach und schien das Mißgeschick der Seinen
Unaufhaltbar, untröstlich zu beweinen. –

Ein Fragment.

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TextGrid Repository (2012). Lenz, Jakob Michael Reinhold. Gedichte. Gedichte. 43. Petrarch. Dritter Gesang. Dritter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E395-1