Jakob Michael Reinhold Lenz
Der neue Menoza
oder
Geschichte des cumbanischen Prinzen Tandi
Eine Komödie

[106]

Personen

Personen.

    • Herr von Biederling, wohnhaft in Naumburg.

    • Frau von Biederling.

    • Wilhelmine, Tochter.

    • Der Prinz Tandi.

    • Der Graf Camäleon.

    • Donna Diana, eine spanische Gräfin.

    • Babet, ihre Amme.

    • Herr von Zopf, ein Edelmann aus Tirol.

    • Herr Zierau, Baccalaureus.

    • Der Burgermeister, sein Vater.

    • Der Magister Beza, an der Pforte.

    • Bediente usw.

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
Zu Naumburg.
Herr von Biederling tritt auf mit dem Prinzen zur Frau von Biederling und Wilhelminen.

HERR VON BIEDERLING.

Hier Frau! bring ich dir einen Gast. Wir haben in Dresden in einem Hause gewohnt, und da er die Reise nach Frankreich über Naumburg zu machen hatte, schlug ich ihm vor, bei mir einzukehren und meine Gärten ein wenig in Augenschein zu nehmen.

FRAU VON BIEDERLING.
Ich bin sehr erfreut –
HERR VON BIEDERLING.

Es ist keiner von den Alltagspassagieren, Frau! es ist ein Prinz aus einer andern Welt, der unsere europäische Welt will kennen lernen und sehen, ob sie des Rühmens auch wohl wert sei. Also müssen wir an unserm Teil unser Bestes tun, ihm eine gute Meinung von uns beizubringen. Denk einmal, bis in Cumba hinein bekannt zu werden, ein Land, das nicht einmal auf unserer Landkarte steht.

FRAU VON BIEDERLING.
Es ist ein unerwartetes Glück für unser Haus, daß ein Reisender von so hoher Geburt –
PRINZ.

Nun genug, meine Freunde, Setzt sich. ich bin von keiner hohen Geburt. Wenn Sie mir den Aufenthalt angenehm machen wollen, so gehen Sie mit mir um wie mit Ihrem Sohne.

HERR VON BIEDERLING.

Das wollen wir auch.Setzt sich zu ihm. Sitz nieder, Frau! Mine, kannst zu uns sitzen. Was wollt ich doch sagen, weil Sie denn haben wollen, daß wir geradzu mit Ihnen umgehen – Peter! ist das Gepäck eingebracht? –, so erzählen Sie mir doch einmal so was von Ihrer Reise, Prinz, von Ihren Abenteuern, Sie haben doch zum Element ein gut Stück Weges [107] gemacht, da läßt sich schon was davon erzählen. Und wie sind Sie auf den Einfall gekommen, zu reisen, wenn ich fragen darf?

PRINZ.

Land und Leute regieren, und nicht Menschen kennen, dünkt mich wie ein Rechenmeister, der Pferde bereiten will.

HERR VON BIEDERLING.

Oder wie unser Herr Magister Beza an der Pforte, ha ha ha. Aber sagen Sie mir doch, wer hat Ihnen dann was von Europa gesagt, da wir kluge Europäer doch kein Wort von dem Königreiche Cumba wissen, potz Sapperment.

PRINZ.
Ich bin in Europa geboren. Eine Mission Jesuiten nahm mich nach Asien mit.
HERR VON BIEDERLING.
Aber, ei! ei! ... wie sind Sie denn Prinz worden, daß ich fragen darf?
PRINZ.

Wie's in der Welt geht, das Glück wälzt Berg auf, Berg ab, bin Page worden, dann Leibpage, dann adoptiert, dann zum Thronfolger erklärt, dann wieder gestürzt, berguntergerollt bis an die Hölle! ha ha ha!

HERR VON BIEDERLING.
Gott behüt! wie das? wie das?
PRINZ.
Die Geschichte ist langweilig und schändlich. Ein Weib, die Königin –
HERR VON BIEDERLING.

Und was denn mit den Weibern, das sag ich immer, die Weiber sind an allem Unglück in der Welt schuld. O ich bitte Sie, erzählen Sie doch fort.

PRINZ.

Ich sollt ihres Gemahls Ehebett beflecken, eines Mannes, der mich mehr liebte als sich selbst, und sein Weib mehr als uns alle beide. Als ich nicht wollte, kam ich auf den Pyramidenturm, auf dem alle die langsam sterben, die sich an der Person des Königs oder der Königin vergreifen. Die Furcht, ich würde die Wahrheit verraten, machte sie mit jedem Tage grausamer. Alle Tage ward ich einen Stock höher in ein engeres Gefängnis geführt, bis ich am dreißigsten Tage mich in einer schwindelnden Höhe befand, zwischen vier Mauren, die so eng waren, daß sie kaum Fußgestell einer [108] Statue gaben. Und doch, nachdem ich eine Nacht in diesem abscheulichen Aufenthalte zugebracht, faßt ich den Entschluß, mich hinabzustürzen –

FRAU VON BIEDERLING.
Hinabzustürzen – – o weh mir!
PRINZ.

Stellen Sie sich eine Tiefe vor, die feucht und nebligt alle Kreaturen aus meinem Gesichte entzog. Ich sah in dieser fürchterlich-blauen Ferne nichts als mich selbst und die Bewegung die ich machte, zu springen. Ich sprang –

FRAU VON BIEDERLING.
Meine Tochter –
HERR VON BIEDERLING
springt auf.
Was ist, Narre! Mine! was ist? Sie suchen Wilhelminen zu ermuntern, die in Ohnmacht liegt.
PRINZ.
Ich bin vielleicht mit Ursache – o meine einfältige Erzählung zur Unzeit!
HERR VON BIEDERLING.

Zu Bett, zu Bett mit ihr. O Jemir, was sind doch die Weibsen für Geschöpfe! O ihr Papiergeschöpfe ihr!

2. Szene
Zweite Szene
In Dresden.
Graf Camäleon. Sein Verwalter.

GRAF.

Ihr müßt die Gebäude innerhalb vier Monaten fix und fertig liefern, mag's kosten was es wolle, daß der Hauptmann Biederling noch vor der Saatzeit seine Pacht antreten kann.

VERWALTER.
Und ist's nicht erlaubt zu fragen, was er Sie zahlt?
GRAF.
Darum bekümmert Euch nicht, wir sind eins worden, die Sache ist nicht mehr rückgängig zu machen.
VERWALTER.

Wenn ich Ihnen aber einen stelle, der mehr zahlen tut, als der Hauptmann zahlen wird; verzeihen [109] Sie mir, gnädiger Herr! ich rede aufrichtig, ich weiß, was aus dem Gute zu machen ist, wer's versteht, darnach hab ich eine Schenke in Naumburg und der Weinbau und das Dings alles – es kann Ihnen keiner so viel zahlen als ich, Herr Graf. Das ist nur nichts.

GRAF.
Ein für allemal.
VERWALTER.
Wenn ich Sie aber noch einmal so viel biete.
GRAF.

Er bietet mir gar nichts, daß Ihr's wißt und mich zufrieden laßt. Er ist mein guter Freund, und ich hab ihn unter meinen Pachtgütern eins aussuchen lassen, das zu seinen ökonomischen Projekten am gelegensten ist.

VERWALTER.

Was ökonomische Projekte, er bringt sich um Hab und Gut, der gute Herr Hauptmann, dazu muß man einen ganz andern Beutel haben als er –

GRAF.
Schweigt und gehorcht.
VERWALTER.
O Himmel! die Gräfin kommt.

Donna Diana mit zerstreutem Haar tritt herein. Der Graf springt auf.
GRAF.
Was gibt's, Donna?
DONNA.
Meines Lebens nicht sicher.
GRAF.
Was denn? wo kommen Sie her?
DONNA
wirft sich in einen Stuhl.
Gustav – verfluchter Graf! was hast du für Bediente?
GRAF.
Gustav – Ihnen nach dem Leben?
DONNA.
Hätt ich nicht Gegengift bei mir gehabt, so wär's aus jetzt.
GRAF.
Wo ist er?
DONNA.

In der Welt. Mit Kutsch und Pferden fort. Wir waren zwei Stund von Dresden, er machte mir Schokolate, und als ich nicht geschwind genug sterben wollte, griff er mir an Hals und –

GRAF.
Gift –
DONNA.

Auf mein Geschrei der Wirt. Er sagt, er hätte mich wollen zum Erbrechen bringen. Und derweil der Wirt mir Hülf schaffte, springt er auf den Bock und fort –

[110]
GRAF.
Nachgesetzt Leute, augenblicks –

Mit dem Verwalter ab.
DONNA.

Wenn ich dem Kerl nur in meinem Leben was zu Leide getan hätte! Es ärgert mich nichts mehr, als daß er mich unschuldiger Weise umbringen will. Hätt ich das gewußt, ich hätt ihm die Augen im Schlafe ausgestochen, oder Sukzessionspulver eingegeben, so hätt er doch Ursache an mir gehabt. Aber unschuldiger Weise – – ich möchte rasend werden.

3. Szene
Dritte Szene
In Naumburg.
Herr von Biederling. Frau von Biederling.

FRAU VON BIEDERLING.

Was denn? wenn du dein Pachtgut beziehst? Bist du nicht gescheit im Kopf? was sollen wir mit einer fremden Mannsperson anfangen?

HERR VON BIEDERLING.

Es ist ja aber ein verheirateter Mann, was willst du denn? Und krank dazu, will den Brunnen hier trinken; kann man ihm die kleine Gefälligkeit nicht gestatten, da er mir Haus und Hof eingibt auf achtzehn Jahr?

FRAU VON BIEDERLING.

Da er dir einen Strick gibt, dich aufzuhängen. Das letzte wird aufgehn, was wir noch aus dem Schiffbruche des Kriegs und deiner Projekten gerettet haben, wir werden zu Grunde gehen, ich seh es zum voraus.

HERR VON BIEDERLING.

Du siehst immer, siehst – den Himmel für eine Geige an. Mit euren Einsichten solltet ihr doch zu Hause bleiben, Madam Weiber. Sorg, daß du uns was zu essen auf den Tisch schaffst, mir und meinem lieben Kalmuckenprinzen, fürs übrige laß du den lieben Gott sorgen und deinen Mann. Hör noch, über einige [111] Wochen krieg ich noch einen Gast, auf den du dich wohl nicht versiehst – dem du mir ordentlich begegnen mußt, rüste dich nur drauf – aus Triest.

FRAU VON BIEDERLING.
Herr von Zopf?
HERR VON BIEDERLING.

Den Nagel auf dem Kopf getroffen. – Nun was soll das Erstaunen und die starren Augen da? Er ist ein ehrlicher Mann, ich hab mit ihm ausgeredt. –

FRAU VON BIEDERLING.
Rabenvater!
HERR VON BIEDERLING.
Er wartet nur noch in Dresden auf die Seidenwürmereier, die er mir bringen soll, so – –
FRAU VON BIEDERLING.

Ja wenn's Seidenwürmer wären, aber so sind's nur deine Kinder. O Himmel! strafst du mich so hoch, daß ich so spät erst einsehen muß, was ich an meinem Manne habe.

HERR VON BIEDERLING.

So schweige Sie still, Komödiantin! Kein Wort von der Affäre mehr, ich bitte mir's aus. Es ist alles abgetan, das sind keine Weibersachen.

FRAU VON BIEDERLING.
Ich mich um meinen Sohn nicht bekümmern?
HERR VON BIEDERLING.

Je nun, deinen Sohn, kannst du ihn mit deinem Bekümmern lebendig machen? Wenn es dem lieben Gott gefallen hat, das Unglück über uns zu verhängen –

FRAU VON BIEDERLING.

Dem Herrn von Biederling hat's gefallen. Kindermörder! Was hab ich gesagt, als du ihn dem Zopf anvertrautest, was hab ich gesagt? Aber du wolltest ihn ins Wasser werfen, du wolltest seiner los sein – Geh mir aus den Augen, Böswicht! Du bist mein Mann nicht mehr –

HERR VON BIEDERLING.

Was denn? Tratarat, daß das Donner Hagel tausend Wetter, was willst du denn von mir? bist toll geworden? Ja da war wohl groß Frage, wem unsern Sohn anvertrauen? wenn ein Zigeuner kommen wäre, ich hätt ihm Dank gesagt. Wenn man ins Feld soll und nichts zu beißen und zu brechen, hast wohl viel Ehr zu räsonnieren, und hat denselben Tag sich die [112] Augen bald blind geweint für Hunger – ja da plärrt Sie, wenn man Ihr auf den Zeh tritt; weil Sie jetzt im Überfluß sitzt, so möcht Sie gern vergessen, wo Ihr der Schuh gedrückt hat.

FRAU VON BIEDERLING.
Ist eine unglücklichere Frau unter der Sonnen als ich?

Geht fort.
HERR VON BIEDERLING.
Ja warum nicht unter dem Mond lieber? Ab.
4. Szene
Vierte Szene
Wilhelmine sitzt auf einem Sofa in tiefen Gedanken. Der Prinz tritt herein, sie wird ihn erst spät gewahr und steht etwas erschrocken auf.

PRINZ
nachdem er sie ehrerbietig gegrüßt.
Verzeihen Sie – Ich glaubt Ihre Eltern bei Ihnen. Entfernt sich.

Wilhelmine, nachdem sie ihm einen tiefen Knicks gemacht, fällt wieder in ihre vorige Stellung.
5. Szene
Fünfte Szene
Graf Camäleon. Herr von Biederling. Frau von Biederling.

HERR VON BIEDERLING.
Warum bringen Sie uns denn die Frau Gemahlin nicht mit?
GRAF.
Meine Frau? – Wer hat Ihnen gesagt, daß ich verheiratet sei?
HERR VON BIEDERLING.
In Dresden, die ganze Stadt – Verzeihen Sie, die spanische Gräfin, die Sie mitgebracht haben –
GRAF.
Ist meine Brudersfrau.
HERR VON BIEDERLING.

Des Herrn Bruders, der noch in Spanien ... o! o! o! Denk doch, denk doch! und ich habe ganz gewiß geglaubt – nehmen Sie's aber nicht übel –

[113]
GRAF.
Er wird ehestens auch ins Land kommen –
FRAU VON BIEDERLING.
Wie kommt es, daß wir so unvermutet das Glück haben –
GRAF.

Ich hab meinen Entschluß ändern müssen, gnädige Frau! ich komme nicht her, Kur zu trinken, ein unvorgesehner Unglücksfall zwingt mich, diesen Zufluchtsort zu suchen.

HERR VON BIEDERLING.
Doch wohl kein Duell – da sei Gott vor.
GRAF.

So ist es, die Gerechtigkeit verfolgt mich, und meine schwächliche Gesundheit hindert mich, aus dem Land zu gehen. Ich habe den Grafen Erzleben erschossen.

FRAU VON BIEDERLING.
Gott!
HERR VON BIEDERLING.

So muß es kein Mensch erfahren, daß er hier ist, hörst du! unsere Tochter selber nicht, keine menschliche Seele, ich denke, wir logieren ihn ins Gartenhäuschen, ist ja ein Kamin drin, sich des Abends ein klein Feuer anzumachen, weil doch die Nächte noch kalt sind, ich will ihm das Essen allezeit selber – oder nein, nein zum Geier, da merkt man's, ich will im Gartenhaus immer mit ihm essen, als tät ich's vor mein Pläsier, und du mußt mir immer das Essen hintragen, liebes Suschen! willt du?

GRAF.
Was haben Sie für Hausgenossen?
HERR VON BIEDERLING.

Niemand als einen indianischen Prinzen, das der scharmanteste artigste Mann von der Welt ist, er denkt diesen Sommer noch in Paris zu sein.

GRAF.
Der würde mich wohl nicht verraten.
HERR VON BIEDERLING.

Nein, gewiß nicht. Soll ich's ihm erzählen? Aber ich erwarte da noch einen guten Freund, das freilich mein guter Freund auch ist, aber doch möcht ich ihm so was – sehen Sie, er ist ein großer Verehrer von den Jesuiten, weiß es der Henker, was er immer mit ihnen hat – – nein, nein, wie ich gesagt habe, Sie bleiben im Gartenhäuschen und so wollen wir das machen, sonst könnte uns der Zopf überfallen.

[114]
GRAF.

Ihr Pachtgut soll Ihnen aufs eheste eingeräumet werden, ich hab Briefe von meinem Verwalter, die Gebäude werden bald unter Dach sein. Es sind einige Koppel auch schon zu Baumschulen eingehegt, wenn Sie's mit Ihren Maulbeerbäumen versuchen wollen.

HERR VON BIEDERLING.

O gehorsamer Diener, gehorsamer Diener! Zopf wird mir einige hundert mitbringen. Aber so mach denn, Frau, daß das Gartenhäuschen aufgeputzt – wollen wir's besehen? sehen Sie, unsere Schlafkammer führt gerad in den Garten und da ist's nur fünf Schritt. – Sie können in Abrahams Schoß nicht sicherer sein.

6. Szene
Sechste Szene
Garten.
Der Prinz schneidet einen Namen im Baum.

PRINZ.

Wachs itzt – Küßt ihn. wachs itzt – – nun genug, Geht, sieht sich um. er dankt mir, der Baum. Du hast's Ursach. Ab.

7. Szene
Siebente Szene
Des Prinzen Zimmer.
Er sitzt an einem Tisch voll Büchern, eine Landkarte vor sich. Zierau, ein Baccalaureus, tritt auf.

ZIERAU.
Ihr untertänigster Diener, mein Prinz!
PRINZ.
Der Ihrige. Wer sind Sie?
ZIERAU.

Ein Baccalaureus aus Wittenberg, doch hab ich schon über drei Jahr in Leipzig den Musen und Grazien geopfert.

[115]
PRINZ.
Was führt Sie zu mir?
ZIERAU.

Neugier und Hochachtung zugleich. Ich habe die edle Absicht vernommen, aus welcher Sie Ihre Reise angetreten, die Sitten der aufgeklärtesten Nationen Europens kennen zu lernen und in Ihren väterlichen Boden zu verpflanzen.

PRINZ.
Das ist meine Absicht nicht. Ja, wenn die Sitten gut sind – – setzen Sie sich – –
ZIERAU
setzt sich.

Verzeihen Sie! Die Verbesserung aller Künste, aller Disziplinen und Stände ist seit einigen tausend Jahren die vereinigte Bemühung unserer besten Köpfe gewesen, es scheint, wir sind dem Zeitpunkte nah, da wir von diesen herkulischen Bestrebungen endlich einmal die Früchte einsammlen, und es wäre zu wünschen, die entferntesten Nationen der Welt kämen, an unsrer Ernte Teil zu nehmen.

PRINZ.
So?
ZIERAU.

Besonders da itzt in Deutschland das Licht der schönen Wissenschaften aufgegangen, das den gründlichen und tiefsinnigen Wissenschaften, in denen unsere Vorfahren Entdeckungen gemacht, die Fackel vorhält und uns gleichsam jetzt erst mit unsern Reichtümern bekannt macht, daß wir die herrlichen Minen und Gänge bewundern, die jene aufgehauen, und ihr hervorgegrabenes Gold vermünzen.

PRINZ.
So?
ZIERAU.

Wir haben itzt schon seit einem Jahrhunderte fast Namen aufzuweisen, die wir kühnlich den größesten Genies unserer Nachbarn an die Seite setzen können, die alle zur Verbesserung und Verfeinerung unsrer Nation geschrieben haben, einen Besser, Gellert, Rabner, Dusch, Schlegel, Uz, Weiße, Jacobi, worunter aber vorzüglich der unsterbliche Wieland über sie alle gleichsam hervorragt, ut inter ignes luna minores, besonders durch den letzten Traktat, den er geschrieben und wodurch er allen seinen Werken die Krone scheint aufgesetzt zu haben, [116] den Goldenen Spiegel, ich weiß nicht, ob Sie schon davon gehört haben, meiner Einsicht nach sollte er's den Diamantenen Spiegel heißen.

PRINZ.
Wovon handelt das Buch?
ZIERAU.

Wovon? ja es ist sehr weitläuftig, von Staatsverbesserungen, von Einrichtung eines vollkommenen Staats, dessen Bürger, wenn ich so sagen darf, alle unsere kühnsten Fiktionen von Engeln an Grazie übertreffen.

PRINZ.
So? und wo findet man diese Menschen?
ZIERAU.

Wo? he he, in dem Buche des Herrn Hofrat Wieland. Wenn's Ihnen gefällt, will ich gleich ein Exemplar herbringen.

PRINZ.

Geben Sie sich keine Mühe, ich nehme die Menschen lieber wie sie sind, ohne Grazie, als wie sie aus einem spitzigen Federkiel hervorgehen. – Haben Sie sonst noch etwas?

ZIERAU.

Ich wollte Eurer Hoheit in tiefster Untertänigkeit – – Herr Wieland hat seinen Goldenen Spiegel dem Kaiser von Scheschinschina zugeeignet und ich, durch ein so großes Beispiel kühn gemacht Zieht ein Manuskript hervor. ich hab ein Werk unter Händen, das, wie ich hoffe, zum Wohl des Ganzen nicht weniger beitragen wird, der Titel ist ganz bescheiden, aber ich denke die Erwartung meiner Leser zu überraschen: »Die wahre Goldmacherei; oder, unvorgreifliche Ratschläge, das Goldene Zeitalter wieder einzuführen; oder, ein Versuch, das Goldene Zeitalter ...« – ich bin mit mir selbst noch nicht einig. Überreicht ihm lächelnd das Manuskript.

PRINZ.

Und worin bestehn Ihre Ratschläge, wenn ich bitten darf? geben Sie mir einen Blick in Ihre Geheimnisse!

ZIERAU.

Worin? – – Das will ich Ihnen sagen. Es soll Ihnen doch dediziert werden, also Sieht sich um; etwas leise. Wenn vors erste die Erziehung auf einen andern Fuß gestellt, würdige und gelehrte Männer an den Schulen, auf den Akademien, wenn die Geistlichkeit aus lauter [117] verdienstvollen, einsichtsvollen Leuten ausgewählt, weder Mucker und Fanatiker, noch auch bloße Bauchdiener und Faulenzer, wenn die Gerichte aus lauter erfahrenen, rechtsgeübten, alten, ehrwürdigen, wenn der Unterscheid der Stände, wenn nicht Geburt oder Geld, sondern bloß Verdienst, wenn der Landesherr, wenn seine Räte – –

PRINZ.

Genug, genug, mit all Euren Wenns wird die Welt kein Haar besser oder schlimmer, mein lieber ehrwürdiger Herr Autor. Vergebt mir, daß ich Euch an den Papst erinnere, der auch einem aus Euren Mitteln sein Goldmacherbuch Gibt ihm das Manuskript zurück. – Und hiemit Gott befohlen.

ZIERAU.

Entweder fehlt es ihm an aller Kultur, oder der gute Prinz ist überspannt und gehört aux petites maisons. Ab.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene
Nacht und Mondschein im Garten.
Wilhelmine mit einem Federmesser in den Baum schneidend.

WILHELMINE.

Es ist gewagt. Wer es auch war, der meinen Namen herschnitt. – – Steht eine Zeitlang und sieht ihn an. Ich möchte alles wieder ausmachen, aber des Prinzen Hand – – ja es ist seine, wahrhaftig es ist seine, so kühne, mutige Züge konnte keine andere Hand tun. Sie windt Efeu um den Baum. So! grünt itzt zusammen: wenn er selber wieder nachsehen sollte – – o ich vergehe. Ich muß – Fällt auf den Baum her und will [118] ihn abschälen. O Himmel! wer kommt da! Läuft fort.


Prinz tritt auf.
PRINZ.

Ihr Sterne! die ihr fröhlich über meinem Schmerz daher tanzt! du allein, mitleidiger Mond – – bedaure mich nicht. Ich leide willig. Ich war nie so glücklich als auf dieser Folter. Du unendliches Gewölbe des Himmels! du sollst meine Decke diese Nacht sein. Noch zu eng für mein banges Herz. Wirft sich nieder in ein Gesträuch.


Graf Camäleon tritt auf mit Wilhelminen, die sich sträubt.
GRAF.

Wo wollen Sie hin? – – Sie wissen itzt meine ganze Geschichte. So kommen Sie doch nur ins Gartenhaus, wenn Sie mir nicht glauben wollen.

WILHELMINE.
Ich glaube Ihnen.
GRAF.

So lassen Sie uns doch den Abend im Garten genießen, mein englisches Fräulein! er ist gar zu einladend.

WILHELMINE.
Ich muß fort – –
GRAF.

Reizende Blödigkeit! halten Sie's für so gefährlich, mit einem kranken Manne im Garten zu spazieren? ich will nichts als gesund werden, Sie können mich gesund machen, ein Wort, ein Atem von Ihnen.

WILHELMINE.
Meine Mutter –
GRAF.
Laß sie Sie hier aufsuchen, sehen Sie, ich trotze Ihrem Mißtrauen.
WILHELMINE.
Wollen Sie mich loslassen?
GRAF.
Nein, ich laß dich nicht, meine Göttin, bevor du mir erlaubt hast, dich anzubeten.

Kniend.
WILHELMINE.
Hülfe!
GRAF.

Grausame! willst du mir auch diese Glückseligkeit nicht – – Umfaßt ihre Knie und drückt sein Gesicht an dieselben. Um diesen Augenblick nähm ich keine Königreiche, ich bin glücklich, ich bin ein Gott. –


Prinz mit bloßem Degen.
PRINZ.

Schurke! Graf läuft davon. Fräulein! ich darf Sie nicht verlassen, sonst würd ich diesem Buben nach und [119] ihm sein zündbares Blut abzapfen. Ich will Sie aber vorher bis an Ihre Tür begleiten.Beide gehen stillschweigend ab.

2. Szene
Zweite Szene
Das Gartenhaus.
Prinz. Graf sitzt am Kamin.

PRINZ.

Hier – – ich kenne Euch – – aber seid wer Ihr seid, ich fordere Rechenschaft von Euch – – wenn Euch Euer Gewissen verfolgt, so dürft Ihr den Tod nicht scheuen. Wo ist Euer Degen?

GRAF
steht auf.
Was wollen Sie von mir?
PRINZ.

Rechenschaft, Rechenschaft, blutige Rechenschaft. Nehmt Euren Degen. Vielleicht seid Ihr damit so glücklich wie mit Pistolen.

GRAF.
Was hab ich getan?
PRINZ.

Euch der Glorie der Schönheit unheilig genähert, die Drachen und Ungeheuer in ehrerbietiger Entfernung würde erhalten haben. Ihr seid mehr als ein Raubtier, will sehen, ob Ihr auch seinen Mut habt, Euren Raub zu verteidigen.

GRAF.
Ich soll mich mit Ihnen schlagen, ich kenne Sie nicht.
PRINZ.

Brauchst du zu kennen, um zu schlagen?Bricht eine Rute ab. So sei denn hiemit zum Schurken geschlagen. Kot! Du verdienst nicht, daß ich meinen Degen an dir verunehre.

[120]
3. Szene
Dritte Szene
In Immenhof.
Donna Diana. Babet, ihre Amme, einen Brief in der Hand.

DONNA.
Lies vor, sag ich dir.
BABET.
Auf meinen Knien bitt ich Sie, erlauben Sie mir, ihn unvorgelesen zu verbrennen.
DONNA.
Eben jetzt will ich ihn hören, und müßt ich davon auf der Stelle sterben.
BABET.

Wenn Sie ein Frauenzimmer wären wie andere, aber bei Ihrem großen Herzen, bei Ihrem edlen Blut, edler als Ihr Ursprung.

DONNA.
Was edler als mein Ursprung – – Hexe! wo du mir meines Vaters auf eine unehrerbietige Art erwähnst.
BABET.
Er ist tot.
DONNA.

Tot – – schweig stille! – – ist er tot? – halt's Maul, sag mir nichts weiter. Nach einer Pause. Woran ist er gestorben?

BABET.
Darf ich?
DONNA.
Sag mir woran.
BABET.
Weh mir!
DONNA
schlägt sie.
Woran? oder ich bohr dir das Herz durch! woran? Sieht sich nach einem Gewehr um.
BABET.
An Gift.
DONNA.

An Gift? Das ist betrübt – das ist arg – abscheulich. Ja an Gift – – also – – lies mir den Brief vor.

BABET.
O wie mißhandeln Sie mich. Wenn ich ihn aber lese, so ist's um mich geschehen.
DONNA.
Närrin! verdammte Hexe!
BABET.
Sie werden mich umbringen.
DONNA.

Was ist's mehr, wenn ein solcher Balg umkommt? Ob ein Blasebalg mehr oder weniger in der Welt – was sind wir denn anders, Amme? ich halt mich nichts besser als meinen Hund, so lang ich ein Weib bin. Laß uns Hosen anziehn und die Männer bei ihren Haaren im Blute herumschleppen.

[121]
BABET.
O Gott! was macht Ihre Lebensgeister so scharf? Ich hab Sie doch auch sanftmütiger gesehen.
DONNA.

Wir wollen's den Männern überlassen, den Hunden, die uns die Hände lecken und im Schlaf an die Gurgel packen. Ein Weib muß nicht sanftmütig sein, oder sie ist eine Hure, die über die Trommel gespannt werden mag. Lies Hexe! oder ich zieh dir dein Fell ab, das einzige Gut, das du noch übrig hast, und verkauf es einem Paukenschläger.

BABET
liest.

»Wenn Dein Herz, niederträchtige Seele, noch des Schröckens fähig ist, denn alle an dere Empfindungen haben es längt verlassen – Dein Vater starb an Gift. Wenn Dein Gemahl noch bei Dir ist, so sag ihm, ich werd ihm durch die Gerechtigkeit meinen Schmuck abfordern lassen, den ihr mir gestohlen habt. Dir aber will ich hiemit den Schleier abreißen und Dir zeigen wer Du bist. Nicht meine Tochter, ich konnte keine Vatermörderin gebären – Du bist – – vertauscht –«

DONNA.

Nicht weiter – – nicht weiter. – Gütiger Gott und alle Heiligen! Laß einen doch zu Atem kommen. Wirft sich auf einen Stuhl. Babet will fortschleichen, sie springt auf und reißt sie zur Erde. Verdammter Kobold! willst du lesen?

BABET
liest.
»Deine Mutter ist ...«
DONNA.
Lies.
BABET.
Weh mir.
DONNA.
Wo du ohnmächtig wirst, so durchstoß ich, zerreiß ich dich und mich.
BABET.
Weh mir.
DONNA.
Wer ist es?
BABET.
Ich.
DONNA.

So stirb! damit ich auch Muttermörderin werde. Nein. Hebt sie auf. Komm! Fällt ihr um den Hals und fängt laut an zu weinen. Nein Mutter! Mutter! Küßt ihr die Hand. Verzeih mir Gott, wie ich dir verzeihe, daß du meine Mutter bist.Fällt auf die Knie [122] vor ihr. Hier knie ich und huldige dir, ja ich bin deine Tochter, und wenn du mich mit Ruten hauen willst, sag mir's, ich will dir Dornen dazu abschneiden. Geißele mich, ich hab meinen Vater vergiftet, ich will Buße tun.

BABET.
Die Zukunft wird alles aufklären. Lassen Sie mich zu Bett legen, ich halt's nicht aus.
4. Szene
Vierte Szene
In Naumburg.
Des Prinzen Zimmer.
Herr von Biederling. Prinz Tandi.

PRINZ.
Ich reise, aber nicht vorwärts, zurück! ich habe genug gesehn und gehört, es wird mir zum Ekel.
HERR VON BIEDERLING.
Nach Cumba?
PRINZ.

Nach Cumba, einmal wieder Atem zu schöpfen. Ich glaubt in einer Welt zu sein, wo ich edlere Leute anträfe als bei mir, große, vielumfassende, vieltätige – ich ersticke –

HERR VON BIEDERLING.
Wollen Sie zur Ader lassen?
PRINZ.
Spottet Ihr?
HERR VON BIEDERLING.
Nein in der Tat – Sie sind so blutreich, ich glaubte im hastigen Reden wär Ihnen was zugestoßen –
PRINZ.

In eurem Morast ersticke ich – treib's nicht länger – mein Seel nicht! Das der aufgeklärte Weltteil! Allenthalben wo man hinriecht Lässigkeit, faule ohnmächtige Begier, lallender Tod für Feuer und Leben, Geschwätz für Handlung – Das der berühmte Weltteil! o pfui doch!

HERR VON BIEDERLING.

O erlauben Sie – Sie sind noch jung, und denn sind Sie ein Fremder und wissen sich viel in unsere Sitten zu rücken und zu schicken. Das ist nur nichts geredt.

[123]
PRINZ
faßt ihn an die Hand.

Ohne Vorurteil, mein Freund! ganz mit kaltem Blut – ich fürchte mich, weiter zu gehen, wenn mein Mißvergnügen immer so zunimmt wie bisher – Aber wißt Ihr, was die Ursache ist, daß eure Sitten nur Fremden so auffallen? – O ich mag nicht reden, ich müßt entsetzlich weit ausholen, ich will euch zufrieden lassen und nach Hause reisen, in Unschuld meine väterlichen Besitztümer zu genießen, mein Land regieren und Mauren herumziehn, daß jeder, der aus Europa kommt, erst Quarantäne hält, eh er seine Pestbeulen unter meinen Untertanen vervielfältigt.

HERR VON BIEDERLING
zieht die Schultern zusammen.

Das ist erstaunend hart, allerliebster Herr Prinz! Ich wünschte gern, daß Sie eine gute Meinung von uns nach Hause nähmen. Sie haben sich noch nicht um unsern Land- und Gartenbau bekümmert. Aber was, Sie sind noch jung, Sie müßten sich ein zehn, zwanzig Jahr wenigstens bei uns aufhalten, bis daß Sie lernten, wo wir es allen andern Nationen in der ganzen Welt zuvorgetan.

PRINZ.
Im Betrügen, in der Spitzbüberei.
HERR VON BIEDERLING
ärgerlich.
Ei was? was? ich redte vom Feldbau und Sie –
PRINZ
faßt ihn an die Hand.

Alles zugestanden – ich baue zuerst mein Herz, denn um mich herum – alles zugestanden, ihr wißt erstaunlich viel, aber ihr tut nichts – ich rede nicht von Ihnen, Sie sind der wackerste Europäer, den ich kenne.

HERR VON BIEDERLING.
Das bitt ich mir aus, ich schaffe den ganzen Tag.
PRINZ.

Ich wollte sagen, ihr wißt nichts; alles, was ihr zusammengestoppelt, bleibt auf der Oberfläche eures Verstandes, wird zu List, nicht zu Empfindung, ihr kennt das Wort nicht einmal; was ihr Empfindung nennt, ist verkleisterte Wollust, was ihr Tugend nennt, ist Schminke, womit ihr Brutalität bestreicht. Ihr seid [124] wunderschöne Masken mit Lastern und Niederträchtigkeiten ausgestopft wie ein Fuchsbalg mit Heu, Herz und Eingeweide sucht man vergeblich, die sind schon im zwölften Jahre zu allen Teufeln gegangen.

HERR VON BIEDERLING
ganz hastig.

Leben Sie wohl – Kommt zurück. Wenn Sie Lust haben, mit mir einen Spaziergang haußen vorm Tor auf mein Gut – – aber wenn Sie was zu tun haben, so schenieren Sie sich meinentwillen nicht – –

PRINZ.
Ich will heut abend reisen.
HERR VON BIEDERLING.
Ei so behüt und bewahr – – was haben wir Ihnen denn zu Leid getan?
PRINZ.
Wollen Sie mir Ihre Tochter mitgeben? Ich geh nach Cumba zurück.
HERR VON BIEDERLING.
Mitgeben? meine Tochter? was wollen Sie damit sagen?
PRINZ.
Ich will Ihre Tochter zu meiner Frau machen.
HERR VON BIEDERLING.
Ta ta ta, ein, zwei, drei und damit fertig. Nein, das geht so geschwind bei uns nicht, Herr!
PRINZ.

Biet ihr das Königreich Cumba zur Morgengabe, die Königin meine Mutter ist tot, hier ist der Brief, und mein Vater, der meine Unschuld von Alkaln, meinem Freunde, erfahren, räumt mir Reich und Thron ein, sobald ich wieder komme.

HERR VON BIEDERLING.
Ich will es alles herzlich gern glauben, aber – –
PRINZ.
Will den Eid beim Allmächtigen schwören.
HERR VON BIEDERLING.
Ja Eid – – was Eid – – –
PRINZ.
Europäer!
HERR VON BIEDERLING.
Und wenn dem allen so wär auch – – meine Tochter einen so weiten Weg machen zu lassen?
PRINZ.
Ist's der Vater, was aus dir spricht?
HERR VON BIEDERLING.
Ei Herr! es ist – nennen Sie's, wie Sie wollen.
PRINZ.

So will ich, des Vaters zu schonen, fünf Jahr in Europa bleiben. Ihre Tochter darf mich begleiten, wohin [125] sie Lust hat, weit herum werd ich nicht mehr reisen, nur einige Standpunkte noch nehmen, aus denen ich durchs Fernglas der Vernunft die Nationen beschaue.

HERR VON BIEDERLING.

Freilich! was, in Naumburg ist nichts zu machen. Es müßte denn sein, daß Sie hier auf dem Land herum die Landwirtschaft ein wenig erkundigten; wollen Sie mich morgen nach Rosenheim begleiten, das ist das Pachtgut, das der Herr Graf mir geschenkt hat, so gut als geschenkt wenigstens – –

PRINZ.
Der Graf soll Ihnen nichts schenken, ich kauf es Ihnen zum Eigentum.
HERR VON BIEDERLING.
Kaufen – lieber Herr Prinz –
PRINZ.
So sei das vor der Hand meine Morgengabe.
HERR VON BIEDERLING.
Ich werd ihn aber beleidigen, wenn ich ihm was anbiete.
PRINZ.

Sie sollen ihn beleidigen, er hat Sie beleidigt, das Gastrecht verletzt, das uns heiliger sein sollte als Gottesdienst.

HERR VON BIEDERLING.
Wie so? wie so? das scheint Ihnen nur so, er hat mit meiner Tochter nichts Böses im Sinn gehabt.
PRINZ.

Ihr seid nicht Väter, Europäer! wenn ihr euch unmündig macht. Wer eines Mannes Kind verlüderlicht, der hat ihn an seinem Leben angetastet.

HERR VON BIEDERLING.
Der Teufel soll ihn holen, wenn ich ihm zu Dach steige.
PRINZ.

Nehmen Sie den Vorschlag mit Ihrer Tochter in Überlegung und sagen Sie mir wieder, ob Sie sich stark genug fühlen, nach fünf Jahren Ihr Kind auf ewig aus den Armen zu lassen. Wenn nicht, so wickle ich mich in meinen Schmerz ein und reis ohne Klage heim.

[126]
5. Szene
Fünfte Szene
Graf Camäleon. Frau von Biederling.

GRAF.

Sie sehen, gnädige Frau! wie die Sachen stehen. Meine ganze Ruhe, meine ganze Glückseligkeit in Ihren Händen. – – O Schicksal, warum mußte meines Gegners Kugel mich fehlen!

FRAU VON BIEDERLING.

Ja, ich leugne nicht, Herr Graf! daß ich nicht noch unendlich viel Schwürigkeiten dabei voraussehe, nicht bloß auf meiner Seite, ich versichere Sie, denn was ich bei der Sache tun kann –

GRAF.

O meine gnädige Küßt ihr die Hand. gnädige Frau! nicht halb so viel, als Sie sich einbilden, verzeihen Sie mir meine Dreistigkeit. Alles, alles beruht bloß auf Ihre Einwilligung. Ihre Fräulein Tochter ist Ihr Conterfait, alles was ich von Ihnen erhalten kann, ist mir auch von ihr gewiß. Ein Kuß auf Ihre schönen Wangen, auf denen die Sonne in ihrem Mittage erscheint Küßt sie. gilt mir eben das, was ein Kuß auf die Morgenröte von Wilhelminens –

FRAU VON BIEDERLING.

Sie sind sehr galant, Sie werden nicht erwarten, daß ich Ihnen das beantworte. In Naumburg ist der Umgang auf keinen so hohen Ton gestimmt.

GRAF.

Aber gnädige Frau! was geben Sie mir denn für Antwort? soll ich leben oder sterben, verzweifeln oder hoffen?

FRAU VON BIEDERLING.
Die Antwort müßten Sie von meiner Tochter, meinem Mann –
GRAF.

Sie sind Ihre Tochter, Sie sind Ihr Mann. Ich hab Vermögen, gnädige Frau! aber es ist mir zur Last, wenn ich's nicht mit einer Person teilen kann, in deren Gesellschaft ich erst anfangen werde zu leben. Bisher bin ich nur eine Maschine gewesen, Sie haben die Welt in Wilhelminen mit einer Gottheit beschenkt, die allein im Stande ist mich zu beseelen. Kniet. O sehen Sie mich [127] zu Ihren Füßen, sehen Sie mich flehen, schmachten, weinen, verzweifeln.

FRAU VON BIEDERLING.

Sie sind gar zu schmeichelhaft – – aber bedenken Sie doch, was Sie verlangen! eine Heirat in der Stille, ohne Zeugen, ohne Proklamation, verzeihen Sie, ich weiß, was Sie mir einwenden werden, das ist kleinstädtisch gesprochen, nicht nach der großen Welt – – aber wer einmal so unglücklich gewesen ist, sich die Finger zu verbrennen, mein Mann und ich haben uns genug vorzuwerfen, daß wir so leichtsinnig mit unsern Kindern – mein ältester Sohn ist das Opfer davon geworden – verzeihen Sie bei der Erinnerung – ich kann's nicht unterdrücken Weint. er ist nicht mehr.

GRAF
küßt ihr das Knie.

Sie werden doch kein Mißtrauen in mich setzen Nochmals. meine englische gnädige Frau! Wenn Sie das tun, so bin ich das unglücklichste Geschöpf unter der Sonnen, so ist kein Rat für mich übrig als die erste beste Kugel durch den Kopf. Ich müßte ja der schwärzeste Bösewicht, der nichtswürdigste verworfenste elendeste Betrüger –

FRAU VON BIEDERLING.

O Herr Graf! ich beschwöre Sie, legen Sie mir's nicht dahin aus, ich habe nichts weniger als Mißtrauen in die Rechtschaffenheit Ihrer Absichten. Aber da Sie selbst flüchtig sind, da Sie verborgen bleiben müssen und hernach aus dem Lande zu gehen – ach es ist mir mit meinem Sohne eben so gegangen, wir konnten ihn keinen sicherern Händen anvertrauen.

GRAF.

Madam! Sie erleben ein Unglück, wenn Sie mich nicht erhören. Ich bin zu allem fähig, ein elendes Leben kann nur für Schurken einen Reiz haben.

FRAU VON BIEDERLING.

O Himmel, was werd ich noch mit Ihnen anfangen? Ich will's meinem Mann sagen, ich will's meiner Tochter vortragen.

GRAF.
Ich hab alle Ursache zu glauben, daß sie mich liebt.
FRAU VON BIEDERLING.
Sie könnten sich auch irren.
GRAF.
Irren – – Sie töten mich.
[128]
FRAU VON BIEDERLING.
Ich kann Ihnen nichts voraus versprechen, ich muß erst mit beiden geredt haben.
GRAF.
Mein ganzes Vermögen ist ihre.
FRAU VON BIEDERLING.

Das verlang ich nicht – können Sie auch nicht weggeben. Sie haben einen Vater, Sie haben Geschwister.

GRAF.

Ich habe keinen Vater als Ihren Gemahl, keine Geschwister als Sie. Alles mach ich zu Gelde, und wenn ich nach Holland komme in die Bank damit, so vermach ich es, wem ich will.

FRAU VON BIEDERLING.

Das wär eine Ungerechtigkeit, in die ich niemals willigen würde, die ich nur Ihrer Leidenschaft zu gut halten kann.

GRAF.

O wenn Sie mein Herz sehen könnten Küßt ihr Hand und Mund. o meine englische Mutter! haben Sie Mitleiden mit mir! Wenn Sie mein Herz sehen könnten! Wilhelminen – oder ich werde rasend.

6. Szene
Sechste Szene
Des Prinzen Zimmer.
Der Baccalaureus. Der Magister Beza. Prinz Tandi.

ZIERAU.

Hier hab ich die Ehre, Eurer Hoheit einen Gelehrten zu präsentieren, mit dem Sie vermutlich besser zufrieden sein werden, Herr Magister Beza, der den Thomas a Kempis ins Arabische übersetzt hat, und in der Philosophie und Sprachen der Morgenländer so bewandert, als ob er für Cumba geboren wäre, nicht für Sachsen.

PRINZ
nötigt sie aufs Kanapee.
So werden wir sympathisieren.
MAGISTER BEZA
steht auf.
O ergebener Diener!
ZIERAU.

Der Magister ist wenigstens mit unsern Sitten [129] noch weniger zufrieden als Eure Hoheit. Er behauptet, es könne mit uns nicht lange währen, wir müßten im Feuer und Schwefel untergehen wie Sodom.

PRINZ.
Spotten Sie nicht; dazu gehört wenig Witz.
BEZA.
Ach!
PRINZ.
Worüber seufzten Sie?
BEZA.
Über nichts.
ZIERAU.
Sie dürfen sich nicht verhehlen, Herr Magister, der Prinz ist gewiß Ihrer Meinung.
BEZA.
Die Welt liegt im Argen – ist ihrem Untergange nahe.
PRINZ.

Das wäre betrübt. Der Herr wollt es vorhin anders wissen. Ich denke, die Welt ist um nichts schlimmer, als sie zu allen Zeiten gewesen.

BEZA.

Um nichts schlimmer? wie? um nichts schlimmer? Wo hat man vormals von dergleichen Abscheu gehört, das nicht allein jetzt zur Mode geworden ist, sondern zur Notwendigkeit. Das ist wohl dura necessitas, durissima necessitas. Das Saufen, Tanzen, Springen und alle Wollüste des Lebens haben so überhand genommen, daß, wer nicht mitmacht und Gott fürchtet, in Gefahr steht, alle Tage zu verhungern.

PRINZ.
Warum führen Sie gerad das an?
ZIERAU.

Ich muß Ihnen nur das Verständnis öffnen, der Magister ist ein erklärter Feind aller Freuden des Lebens.

PRINZ.

Vielleicht nicht ganz unrecht. Das bloß Genießen scheint mir recht die Krankheit, an der die Europäer arbeiten.

ZIERAU.
Was ist Leben ohne Glückseligkeit?
PRINZ.
Handeln macht glücklicher als Genießen. Das Tier genießt auch.
ZIERAU.
Wir handeln auch, uns Genuß zu erwerben, zu sichern.
PRINZ.
Brav! wenn das geschicht! – und wir dabei auch für andere sorgen.
BEZA.

Ja das ist die Freigeisterphilosophie, die Weltphilosophie, [130] aber zu der schüttelt jeder den Kopf, dem es ein Ernst mit seiner Seele ist. Es ist alles eitel. O Eitelkeit, Eitelkeit, wie doch das die armen Menschen so fesseln kann, darüber den Himmel zu vergessen, und ist doch alles Kot, Staub, Nichts!

PRINZ.
Aber wir haben einen Geist, der aus diesem Nichts etwas machen kann.
ZIERAU.

Sie werden ihn nicht auf andere Gedanken bringen, ich kenne ihn, er hat den Fehler aller Deutschen, er baut sich ein System, und was dahinein nicht paßt, gehört in die Hölle.

BEZA.

Und ihr Herren Kleinmeister und ihr Herren Franzosen lebt immerfort ohne System, ohne Ziel und Zweck, bis euch, mit Respekt zu sagen, der Teufel holt, und dann seid ihr verloren, hier zeitlich und dort ewig.

PRINZ.

Weniger Strenge, Herr! Eins ist freilich so schlimm als das andere; wer ohne Zweck lebt, wird sich bald zu Tode leben, und wer auf der Studierstube ein System zimmert, ohne es der Welt anzupassen, der lebt entweder seinem System all Augenblick schnurstracks zuwider, oder er lebt gar nicht.

ZIERAU.
Mich deucht, vernünftig leben ist das beste System.
BEZA.
Ja, das ist die rechte Höhe.
PRINZ.

Wohl die rechte – wird aber nie ganz erreicht. Vernunft ohne Glauben ist kurzsichtig und ohmächtig, und ich kenne vernünftige Tiere so gut als unvernünftige. Der echten Vernunft ist der Glaube das einzige Gewicht, das ihre Triebräder in Bewegung setzen kann, sonst stehen sie still und rosten ein, und wehe denn der Maschine!

ZIERAU.
Die echte Vernunft lehrt uns glücklich sein, unsern Pfad mit Blumen bestreuen.
PRINZ.
Aber die Blumen welken und sterben.
BEZA.
Ja wohl, ja wohl.
ZIERAU.
So pflückt man neue.
PRINZ.
Wenn aber der Boden keine mehr hervortreibt. Es wird doch wohl alles auf den ankommen.
[131]
ZIERAU.
Wir verlieren uns in Allegorien.
PRINZ.
Die leicht zu entziffern sind. Geist und Herz zu erweitern, Herr –
ZIERAU.
Also nicht lieben, nicht genießen.
PRINZ.
Genuß und Liebe sind das einzige Glück der Welt, nur unser innerer Zustand muß ihm den Ton geben.
BEZA.
Ei was Liebe, Liebe, das ist eine saubere Religion, die uns die Bordelle noch voller stopft.
ZIERAU.
Ich wünschte, wir könnten die Jugend erst lieben lehren, die Bordelle würden bald leer werden.
PRINZ.

Aber es würde vielleicht um desto schlimmer mit der Welt stehn. Liebe ist Feuer, und besser ist's, man legt es zu Stroh als an ein Ährenfeld. Solang da nicht andere Anstalten vorgekehrt werden –

ZIERAU.
Wenn die goldenen Zeiten wiederkommen.
PRINZ.

Die stecken nur im Hirn der Dichter, und Gott sei Dank. Ich kann nicht sagen, wie mir dabei zu Mute sein würde. Wir säßen da wie Midas vielleicht, würden alles anstarren und nichts genießen können. Solang wir selbst nicht Gold sind, nützen uns die goldenen Zeiten zu nichts, und wenn wir das sind, können wir uns auch mit ehernen und bleiernen Zeiten aussöhnen.

7. Szene
Siebente Szene
Herr von Biederling. Frau von Biederling.

HERR VON BIEDERLING.

Ich finde nichts Unräsonnables drin, Frau, setz den Fall, daß das Mädchen ihn will, und ich habe sie schon oft ertappt, daß sie furchtsame Blicke auf ihn warf, und denn haben ihr seine Augen geantwortet, daß ich dacht, er würd sie in Brand stecken, also wenn der Himmel es so beschlossen hat, und wer weiß, was in fünf Jahren sich noch ändern kann.

[132]
FRAU VON BIEDERLING.

Du hast immer einen Glauben, Berge zu versetzen, es ist die nämliche Historie wie mit deinem Sohn, die nämliche Historie.

HERR VON BIEDERLING.

Red mir nicht davon, ich bitte dich. Wir werden noch Ehr und Freude an unserm Sohne erleben, wenn er nicht schon tot ist. Wenn nur der Zopf bald kommen wollte, du solltest mir andere Saiten aufziehn.

FRAU VON BIEDERLING.
Wenn ich ihn wieder sehe den infamen Kerl – ich kratz ihm die Augen aus, ich sag es dir.
HERR VON BIEDERLING.

Zopf ist ein ehrlicher Kerl, was willt du? Unsertwegen eine Reise nach Rom getan, wer tut ihm das nach? Und ich bin versichert, er bleibt nur deswegen so lang aus, weil er die Antwort vom Pater General erwartet, der an den Pater Mons nach Smyrna schrieben hat, was willst du denn? Wofür Teufel gibt sich der Mann all die Mühe, all die Sorge und Reisen, du solltest dich schämen, daß du sogleich Fickel Fackel mit Ihrem bösen Leumund fertig, und der Mann tut mehr für Ihr Kind als Sie selber.

FRAU VON BIEDERLING.

Du hast recht, hast immer recht, mach mit Tochter und Sohn, was dir gefällt, verkauf sie auf die Galeeren, ich will deine Strümpfe flicken und Bußlieder singen, wie's einer Frau vom Hause zukommt.

HERR VON BIEDERLING.
Nu nu, wenn Sie spürt, daß Sie unrecht hat, wird Sie böse. Wer kann dir helfen?
FRAU VON BIEDERLING.

Der Tod. Ich will die Tochter zu dir schicken, mach mit ihr was dir gefällt, gnädiger Herr, ich will ganz geruhig das Ende absehen.


Prinz Tandi kommt dazu.
PRINZ.
Was haben Sie? Ich würde untröstlich sein, wenn ich Gelegenheit zu Ihrem Mißverständnis –

Frau von Biederling geht ab.
HERR VON BIEDERLING.

Nichts, nichts, Prinz, es ist nur ein klein bißchen Zank, eine kleine Bedenklichkeit, wollt ich sagen, eine gar zu große Bedenklichkeit von meiner [133] Frau – sie meint nur, unser Kind einem fremden Herrn in die andere Welt mitzugeben – das ist, als ob sie eine Reise in die selige Ewigkeit –

PRINZ.
Sagt Wilhelmine auch so?
HERR VON BIEDERLING.

Je nun, Sie wissen, wie die Weibsen sind, wir wollen sie hören, die Mutter wird sie herbringen. Und je länger ich dem Ding nachdenke, je enger wird mir's um das Herz auch, Vater und Mutter und allen auf ewig so den Rücken zu kehren, als ob es ein Traum gewesen wäre, und gute Nacht auf ewig.


Er weint.
PRINZ.
Sie soll alles in mir wieder finden.
HERR VON BIEDERLING.

Aber wir nicht, Prinz, wir nicht. O du weißt nicht, was du uns all mit ihr raubst, Kalmucke! Ich willige von ganzem Herzen drein, aber was ich dabei ausstehe, das weiß Gott im Himmel allein.

PRINZ
umarmt ihn.
Mein Vater – ich will sieben Jahr in Europa bleiben.
HERR VON BIEDERLING.

So recht – vielleicht bin ich tot in der Zeit, vielleicht sind wir alle beide tot. – Junge! alles kommt auf mein Mädchen an. Wenn sie sich entschließen kann – und sollt es mir das Leben kosten.

PRINZ.

Wenn Sie ein Kirschenreis einem Schlehstamm einimpfen wollen, müssen Sie ihn da nicht vom alten Stamm abschneiden? Er hätte dort keine einzige Kirsche vielleicht hervorgetrieben, gebt ihm einen neuen Stamm, den er befruchten und beseligen kann, auf dem vorigen war er tot und unfruchtbar.

HERR VON BIEDERLING
springt auf.

Scharmant, scharmant – eh! sagen Sie mir das noch einmal, sagen Sie das meiner Frau und Tochter auch. Je es ist ja auch wahr, laß ich doch Maulbeerbäume aus Smyrna kommen und setz sie hier ein und bespinne hier das ganze Land mit, so wird meine Tochter ganz Cumba glücklich machen. – Sie müssen ihr das sagen.

PRINZ.

Ich werb jetzt bei Ihnen um Ihr Kind. – – Hernach [134] muß Wilhelminens Herz alleine sprechen, frei, unabhängig, wie die Gottheit, die Leben oder Tod austeilt. Kein Zureden, keine väterliche Autorität, kein Rat, oder ich spring auf der Stell in den Wagen und fort.


Frau von Biederling mit Wilhelminen kommen.
WILHELMINE.
Was befehlen Sie von mir?
HERR VON BIEDERLING.
Mädchen! –

Hustet und wischt sich die Augen. Es herrscht eine minutenlange Stille.
PRINZ.

Fräulein! es ist Zeit, ein Stillschweigen – ein Geständnis, das meine Zunge nicht machen kann – sehen Sie in meinem Aug, in dieser Träne, die ich nicht mehr hemmen kann, all meine Wünsche, all meine schimmernden Entwürfe für die Zukunft. – Wollen Sie mich glücklich machen? – Wenn dieses schnelle Erblassen und Erröten, dieses wundervolle Spiel Ihrer sanften Gesichtswellen, dieses Weinen und Lachen Ihrer Augen mir Erhörung weissagt – o mein Herz macht den untreuen Dolmetscher stumm Drückt ihr die Hand an sein Herz. hier müssen Sie es sprechen hören – Dies Entzücken tötet mich.

HERR VON BIEDERLING.
Antworte! was sagt dein Herz?
FRAU VON BIEDERLING.

Wir haben dem Prinzen unser Wort gegeben, dir weder zuzureden noch abzuraten, das mußt du aber doch vorher wissen, daß der Herr Graf hier förmlich um dich angehalten hat und dich zur Erbin aller seiner Güter machen will.

HERR VON BIEDERLING.

Und das sollst du auch vorher wissen, daß der Prinz dir ein ganzes Königreich anbietet und mir zu Gefallen noch sieben Jahr mit dir bei uns im Lande bleiben will.

WILHELMINE.
Befehlen Sie über mich.
HERR VON BIEDERLING.

Na das ist hier der Fall nicht, mein Kind! Still doch Frau! hast du was gesagt? Ich sage: hier mein Tochter! schlagen wir dich los von allem Gehorsam gegen uns, hier bist du selbst Vater und Mutter; was sagt dein Herz? Das ist die Frage. Beide Herren [135] sind reich, beide haben sich schönerös gegen mich aufgeführt, beide können dein Glück machen, es kommt hier einienig auf dich an.

FRAU VON BIEDERLING.
Frag dein Herz! Du weißt itzt die Bedingungen auf beiden Seiten.
HERR VON BIEDERLING.

Aber das mußt du auch noch wissen, daß der Graf nicht beständig bei uns in Naumburg nisten kann, er muß eben sowohl fort und dich von uns trennen.

FRAU VON BIEDERLING.
Aber er führt dich nicht weiter als Amsterdam und kommt alle Jahre herüber, uns zu besuchen.
HERR VON BIEDERLING.

Ja so entschließ dich kurz, es kommt alles auf dich an. – Prinz! was sehen Sie denn so trostlos aus? Wenn's der Himmel nun so beschlossen hat, und ihr ihr Herz nichts für Sie sagt – es ist mit dem allen doch keine Kleinigkeit, bedenken Sie selber, wenn Sie billig sein wollen, ein junges unerzogenes Kind über die zweitausend Meilen – o meine Tochter, ich kann nicht – das Herz bricht mir.


Fällt ihr um den Hals.
WILHELMINE
an seinem Halse.
Ich will ledig bleiben.
HERR VON BIEDERLING
reißt sich los.

Sackerment nein Stampft mit dem Fuß. das will ich nicht. Wenn ich in der Welt zu nichts nutz bin, als dein Glück zu hindern – lieber herunter mit dem alten unfruchtbaren Baume! nicht wahr, Prinz! was sagen Sie dazu?

PRINZ.

Sie sind grausam, daß Sie mich zum Reden zwingen. Ein solcher Schmerz kann durch nichts gelindert werden, als Schweigen Mit schwacher Stimme. Schweigen, Verstummen auf ewig. Will gehen.

WILHELMINE
hält ihn hastig zurück.
Ich liebe Sie.
PRINZ.
Sie lieben mich.

Ihr ohnmächtig zu Füßen.
WILHELMINE
fällt auf ihn.
O ich fühl's, daß ich ohne ihn nicht leben kann.
HERR VON BIEDERLING.

Holla! Gib ihm eins auf den Mund, daß er wach wird. Man trägt den Prinzen aufs Kanapee, [136] wo Wilhelmine sich neben ihn setzt und ihn mit Schlagwasser bestreicht.

PRINZ
die Augen aufschlagend.
O von einer solchen Hand ...
HERR VON BIEDERLING.

Nicht wahr, das ist's. Ja, Mine! dieser Blick, den du ihm gabst. Nicht wahr, er hat's Jawort? Nun so segne euch der allmächtige Gott. Legt seine Hände beiden auf die Stirn. Prinz! es geht mir wie Ihnen, der Henker holt mir die Sprache und es wird nicht lang währen, so kommt die verzweifelte Ohnmacht auch ... Mit schwacher Stimme. Frau wirst du mich wecken?


Fällt hin.
FRAU VON BIEDERLING.
Gott, was ist ...

Hinzu.
HERR VON BIEDERLING
springt auf.

Nichts, ich wollte nur Spaß machen. Ha ha ha, euch Weibern kann man doch umspringen wie man will. Sei nun auch hübsch lustig, mein Frauchen Ihr unters Kinn greifend. und schlag dir deinen Grafen aus dem Sinne, ich will ihn schon aus dem Hause schaffen, laß mich nur machen, ich hab ihn mit alledem doch nie recht leiden können.

PRINZ
zu Wilhelminen.
So bin ich denn – – Stammelnd. kann ich hoffen, daß ich –
WILHELMINE.
Hat's Ihnen der Baum nicht schon gesagt?
PRINZ.

Das einzige, was mir Mut machte, um Sie zu werben. O als der Mond mir die Züge Ihrer Hand versilberte, als ich las, was mein Herz in seinen kühnsten Ausschweifungen nicht so kühn gewesen war zu hoffen ... ach ich dachte, der Himmel sei auf die Erde herabgeleitet und ergieße sich in wonnevollen Träumen um mich herum.

HERR VON BIEDERLING.

Nun Frau! was stehst? ist dir's nicht lieb, die jungen Leute so schwätzeln und mieneln und liebäugeln ... was ziehst du denn die Stirn wie ein altes Handschuhleder, geschwind, gib ihnen deinen Segen, wünsch ihnen alles, was wir genossen haben, so wird ihnen wohl sein, nicht wahr, Prinz?

[137]
FRAU VON BIEDERLING.
Das Ende muß es ausweisen.

Geht ab.
HERR VON BIEDERLING
sieht ihr nach.

Närrin! – – ist verliebt in den Grafen, das ist die ganze Sache – aber laß mich nur mit ihm reden ... wart du nur.

3. Akt

1. Szene
Erste Szene
Im Gartenhäuschen.
Der Graf im Schlafrock trinkt Tee. Herr von Biederling einen großen Beutel unterm Arm.

HERR VON BIEDERLING.

Herr Graf, Sie nehmen mir nicht übel, daß ich Sie so früh überfalle. Ich habe nachgedacht, Ihr Pachtgut ist mir gar zu gut gelegen, Sie haben meiner Frau gesagt, Sie wollen Ihre Güter verkaufen und nach Amsterdam gehen, wie viel wollen Sie davor?

GRAF.
Ich? – von Ihnen? nichts – ich schenke Ihnen das Gut, aber unter einer Bedingung.
HERR VON BIEDERLING.

Nein, nein, da wird nichts von, so können wir sein Tag nicht zusammenkommen. Ich will's Ihn nach Kronstaxe bezahlen.

GRAF.
Ich nehm aber nichts.
HERR VON BIEDERLING.
Sie sollen nehmen, Herr Graf, ich sag's Ihnen einmal für allemal, ich bin kein Bettler.
GRAF.
So zahlen Sie, was Sie wollen.
HERR VON BIEDERLING.

Nein, ich will bezahlen, was Sie wollen. Das ist nun wieder nichts. Wofür sehen Sie mich an zum Kuckuck?

GRAF.
Zehntausend Taler.
HERR VON BIEDERLING.

So hier sind Zieht einen Beutel heraus. zehn tausend Taler in Bankzeddeln und hier sind [138] Stellt einige Säcke im Winkel. fünftausend Taler an Golde und Albertusgeld ... und nun profitiere ich doch dabei. Habe die Ehre mich zu empfehlen.

GRAF.
Noch ein Wort

Ihn an der Hand fassend.
HERR VON BIEDERLING.
Es ist doch so richtig? ist's nicht?
GRAF.
Sie können mich zum glücklichsten Sterblichen machen.
HERR VON BIEDERLING.
Wie so?
GRAF.
Sie haben eine Tochter.
HERR VON BIEDERLING.
Was wollen Sie damit sagen?
GRAF.
Ich heirate sie.
HERR VON BIEDERLING.
Da sei Gott vor. Sie ist schon seit drei Tagen Frau.
GRAF.
Frau!
HERR VON BIEDERLING.

Wissen Sie nichts davon? He he he, nun 's is wahr, wir haben unsere Sachen in der Stille gemacht. Der Prinz Tandi, mein ehrlicher Reisekamerad, hat sie geheiratet, es ist komisch genug das, keine Mutterseele hat's gemerkt, und doch sind sie von unserm Herrn Pfarrer Straube priesterlich getraut worden und gestern ist noch obenein groß Festin gewesen. – Wie ist Ihnen, Graf! Sie wälzen ja die Augen im Kopfe herum, daß –

GRAF.
Scherzen Sie mich?
HERR VON BIEDERLING.

Nein gewiß, Herr – es ist mir indessen gleichviel, wofür Sie es nehmen wollen. Und so leben Sie denn wohl.

GRAF
faßt ihm die Gurgel.
Stirb Elender, bevor –
HERR VON BIEDERLING
ringt mit ihm.
Sackerment ... ich will dich ... Wirft ihn zu Boden und tritt ihn mit Füßen. du Racker!
GRAF
bleibt liegen.
Besser! besser, Herr von Biederling.
HERR VON BIEDERLING
hebt ihn wieder auf.
Was wollst du denn mit mir?
GRAF
sein Knie umarmend.
Können Sie mir verzeihen?
HERR VON BIEDERLING.

Nun so steht nur wieder auf! Der [139] Teufel leide das, wenn man einem die Gurgel zudrückt – und Herr, itzt reis Er mir aus dem Hause je eher je lieber, ich leid Ihn nicht länger.

GRAF.
Sagen Sie mir's noch einmal, sind sie verheiratet? wie? wo? wenn?
HERR VON BIEDERLING.

Wie? Das kann ich Ihm nicht sagen, aber sie sind in Rosenheim getraut worden und gestern hat der Prinz ein Banket gegeben, wo alles, was fressen konnte, Teil daran nahm; die Tafel war von morgens bis in die sinkende Nacht gedeckt, die Türen offen, und wer wollte, kam herein, ließ sich traktieren und war lustig. Ich hab so was in meinem Leben noch nicht gesehen, die Leut waren alle wie im Himmel, und das Zeugs durcheinander, Bettler und Studenten und alte Weiber und Juden und ehrliche Bürgersleut auch genug, ich habe gelacht zuweilen, daß ich aufspringen wollte. Sehen Sie, das ist der Gebrauch in Cumba, von all den übrigen Alfanzereien bei unsern Hochzeiten wissen sie nichts, sie sagen, es braucht niemand Zeuge von unsrer Hochzeit zu sein, als unsre nächsten Anverwandte und ein Priester, der Gott um seinen Segen bittet.

GRAF.

Keine Proklamation! ich sehe schon, Ihr wollt mir Flor über die Augen werfen, aber ich sehe durch. Ich sollte diese Vermählung nicht hindern? Wie aber, wenn der Prinz schon eine Gemahlin hätte?

HERR VON BIEDERLING.

Ja Herr Graf! so müssen Sie mir nicht kommen. Das Mißtrauen findet nur bei uns Europäern statt. Ich habe darüber mit dem Prinzen lang ausgeredt.

GRAF.
Haben die Cumbaner keine Leidenschaften?
HERR VON BIEDERLING.
Nein.
GRAF.
Das sagen Sie.
HERR VON BIEDERLING.

Nein, sag ich Ihnen. Das macht, was weiß ich, die Erziehung macht's, die Cumbaner haben Gottesfurcht, das macht es, sie finden ihr Vergnügen an der Arbeit, mit Kopf oder Faust, das ist all eins, und nach der Arbeit kommen sie zu einander, sich zu erlustigen, [140] Alt und Jung, Vornehm und Gering, alles durcheinander, und wer den andern das meiste Gaudium machen kann, der wird am höchsten gehalten, das macht es, sehen Sie, dabei haben sie nicht nötig den Phantaseien nachzuhängen, denn die Phantasei, sehen Sie, das ist so ein Ding ... warten Sie, wie hat er mir doch gesagt? ... in Gesellschaft ist es ganz vortrefflich, aber zu Hause taugt's ganz und gar nicht, es ist wie so ein glänzender Nebel, ein Firnis, den wir über alle Dinge streichen, die uns in Weg kommen, und wodurch wir sie reizend und angenehm machen.

GRAF
schlägt sich an die Stirn.
Oh!
HERR VON BIEDERLING.

Warten Sie doch, hören Sie mich doch aus! Aber wenn wir diesen Firnis nach Haus' mitnehmen, sehen Sie, da kleben wir dran und da wird denn des Teufels seine Schmiralie draus.

GRAF.

Lassen Sie sich nur vorschwatzen ... geht's denn bei uns nicht eben so? müssen wir nicht arbeiten? kommen wir nicht zusammen, uns zu amüsieren?

HERR VON BIEDERLING.

Ja aber nein, wir wollen nichts als uns immer amüsieren, und da schmeckt uns am Ende kein einzig Vergnügen mehr, und unser Vergnügen selber wird uns zur Pein, das ist der Unterscheid. Und weil wir nicht mit Verstand arbeiten, so arbeiten wir mit der Phantasei und was weiß ich, er hat mir das alles expliziert, reden Sie selber mit ihm, Sie werden Ihre Freud an ihm haben.

GRAF.

Machen Sie, daß wir gute Freunde werden, Herr von Biederling. Ich bin in der Tat begierig, ihn näher zu kennen.

HERR VON BIEDERLING.

Ja, aber vor der Hand, dächt ich, Sie reisten doch immer nur in Gottes Namen nach Amsterdam. – Sie können doch bei mir lange so recht sicher nicht sein.

GRAF.
Und wo soll ich hin? Alle meine Güter dem Fiskus zufallen lassen?
[141]
HERR VON BIEDERLING.

Ja so ... aber hören Sie, wenn mir nur der Kurfürst nicht hernach Ansprüche gar auf mein Rosenheim macht? Was haben Sie für Nachricht von Ihrem Advokaten?

GRAF.

Eben darum, nehmen Sie Ihr Geld nur wieder zurück, bis ich sichere Nachricht von meinem Advokaten habe, wie die Sache am Hofe geht. Mittlerweile können Sie die Pacht immer antreten.

HERR VON BIEDERLING.
Ja, aber so muß ich Ihnen doch den Pachtzins zahlen.
GRAF.
Wenn Sie mich auf meiner empfindlichsten Seite angreifen wollen.
HERR VON BIEDERLING.

Je nun – so hab ich die Ehre, mich recht schön zu bedanken, wenn Sie's denn durchaus so haben wollen. Ich will auch sehen, daß ich Sie mit dem Prinzen näher bekannt mache, es ist ein gar galanter Mann, ohne Ruhm zu melden, weil er itzt mein Schwiegersohn ist, und das, was vor acht Tagen zwischen Ihnen beiden vorgefallen, hat er längst vergessen, versichert! Es war auch so ein klein etwas cumbanisch das, denn sehen Sie, es passiert dort in der Tat für ein Laster, wenn man einem jungen Mädchen in Abwesenheit seiner Eltern was von Liebe und was weiß ich vorsagt, das wird dort eben so für Hurerei bestraft, als wenn ich einem die Gurgel zudrücke und er bleibt glücklicherweise am Leben. Habe die Ehre mich zu empfehlen.

GRAF.
O vorher – – – verzeihen Sie mir?
HERR VON BIEDERLING.

Nu nu, il n'y a pas du mal, sagt der Franzos. – Speisen Sie heut zu Mittag mit uns? mit meinem neuen Schwiegersohne, da sollen Sie ihn kennen lernen.

[142]
2. Szene
Zweite Szene
In Immenhof.
Donna Diana. Babet.

BABET
einen Brief in der Hand.

Ihre Eltern sind beide noch am Leben. Meine gute Freundin schreibt mir's, sie hat's itzt erst erfahren, ein gewisser Edelmann aus Triest hat sich mit ihr eingelassen, der soll mit Ihrem Vater in Briefwechsel stehen.

DONNA.
Die Polonaise?
BABET.
Eben die.
DONNA.
Ei was kümmern mich meine Eltern? Schreibt sie nichts vom Grafen? besucht er sie noch?
BABET.
Er ist unvermutet aus Dresden verschwunden.
DONNA.
Mich in Immenhof sitzen zu lassen! Hast du Geld?
BABET.
Das Restchen, das Sie mir aufzuheben gaben, eh wir zum Karneval herabreisten.
DONNA.

Gib's her, wir wollen ihm nachreisen und wenn er in den innersten Höhlen der Erde steckte. Ich hol ihn heraus, und wehe der Io, die ich bei ihm betreffe!

BABET.
Wohin aber zuerst?
DONNA.

Laß mich nur machen, ich kann dir's nicht sagen, bis wir unterwegens sind. Mein Herz wird mich schon führen, es ist wie ein Kompaß, es fehlt nicht.

BABET.
In Dresden erfahren wir's gewiß, wo er steckt.
DONNA.

Ich will ihn – red mir nichts! komm! Die Stelle brennt unter mir – ich wünscht, ich hätte nie Mannspersonen gesehen, oder ich könnt ihnen allen die Hälse umdrehen.

[143]
3. Szene
Dritte Szene
In Naumburg.
Prinz Tandi, Wilhelmine, sitzend bei einander auf dem Kanapee.

PRINZ.
Wollen Sie mir's denn nicht sagen, für wen Sie sich heut so geputzt haben?
WILHELMINE.
Ich sag Ihnen ja, für meinen Vater.
PRINZ.
Schelm! Du weißt ja, dein Vater wirft kein Auge drauf. Ja wenn du ein Seidenwürmchen wärst.
WILHELMINE.
Denk doch! halten Sie's der Mühe nicht wert, ein Auge auf mich zu werfen?
PRINZ.
Nein.
WILHELMINE.
Ich bedanke mich.
PRINZ.
Man muß sein ganzes Ich auf dich werfen.
WILHELMINE
hält ihm den Mund.

Wo du mir noch einmal so redst, so sag ich – Du bist verliebt in mich, und du hast mir so oft gesagt, die Verliebten sein nicht gescheit.

PRINZ.
Ich bin aber gescheit. Ich hab's Ihnen doch noch nie gesagt, daß ich verliebt in Sie bin.
WILHELMINE.

Nie gesagt? – – – Ha ha ha! armer unglücklicher Mann! nie gesagt? als nur ein halb wenig gestorben überm Sagen? o du gewaltiger Ritter.

PRINZ.
Nie gesagt, mein klein Minchen! es müßte denn heute nacht gewesen sein.
WILHELMINE
hastig.
Wenn Sie mir noch einmal so reden – so werd ich böse.
PRINZ.
Und was denn? haben die Müh, wieder gut zu werden.
WILHELMINE.
Lasse mich scheiden.
PRINZ.
Warum nicht? Du dich scheiden – kleine Närrin! da wärst du tot.
WILHELMINE.

Was Sie doch nicht für eine wundergroße Meinung von sich haben? Und Sie hingen sich auf, wenn ich's täte.

[144]
PRINZ.

O pfui pfui! nichts mehr von solchen Sachen. Lieber will ich doch gestehen, daß ich verliebt in dich bin.

WILHELMINE.
Närrchen, der kleine glänzende Tropfen da an deinem Augenlid hat mir's lang gestanden.
PRINZ.
So sei es denn gesagt.

Drückt ihre Hand an seine Augen.
WILHELMINE.
So sei es denn beantwortet. Küßt ihn.

Herr von Zopf tritt herein. Sie stehen auf.
HERR VON ZOPF
im Reisekleid.

Gehorsamer Diener, Fräulein Minchen! ei wie so hübsch groß geworden sint der Zeit ich Sie zum letztenmal gesehen. Sie kennen mich gewiß nicht, ich heiße Zopf.

WILHELMINE
macht einen tiefen Knicks.
Es ist uns sehr angenehm – meine Eltern haben mir oft gesagt –
HERR VON ZOPF.

Der Herr Vater nicht zu Hause? Ihre Eltern werden nicht sehr zufrieden mit mir sein, aber sie haben's nicht mehr Ursache. Ich bring Ihnen und Ihren Eltern eine angenehme Nachricht.Zu Tandi. Nicht wahr, Sie sind der Prinz Tandi aus Cumba? man hat mir's wenigstens in Dresden gesagt, daß Sie mit Herr von Biederling die Reise hieher gemacht. Es hätte sich nicht wunderlicher fügen können, freuen Sie sich mit uns allen, Sie sind in Ihres Vaters Hause.

PRINZ.
Was?
WILHELMINE.
Was?
HERR VON ZOPF.
Umarmen Sie sich. Sie sind Bruder und Schwester.

Wilhelmine fällt auf den Sofa zurück. Tandi bleibt bleich mit niederhangendem Haupte stehen.
HERR VON ZOPF.

Nun wie ist's? haben Sie mir keinen Dank? macht's Ihnen keine Freude? Sie können sich drauf verlassen, ich sag Ihnen, ich hab eben den Brief vom General der Jesuiten erhalten und mich gleich aufgesetzt, Ihnen die fröhliche Zeitung zu bringen. Sie sind Geschwister, das ist sicher.


[145] Tandi will gehen. Wilhelmine springt auf und ihm um den Hals.
WILHELMINE.
Wo willst du hin?
PRINZ.
Laß mich!
WILHELMINE.
Nein, nimmer, bis in den Tod.

Tandi macht sich los von ihr. Sie fällt in Ohnmacht.
HERR VON ZOPF
nachdem er sie ermuntert hat.
Ich sehe wohl, Fräulein! hier muß etwas vorgefallen sein –
WILHELMINE
erwacht.
Wo ist er, ich will mit ihm sterben –
HERR VON ZOPF.
Haben Sie sich etwa liebgewonnen? Es ist ja nur ein Tausch. Lieben Sie ihn jetzt als Ihren Bruder.
WILHELMINE
stößt ihn mit dem Fuß.
Fort Scheusal! fort! Wir sind Mann und Frau miteinander. Du sollst mir den Tod geben oder ihn.
HERR VON ZOPF.
Gott im Himmel, was höre ich!
WILHELMINE
reißt ihm den Dolch von der Seite und setzt ihn ihm auf die Brust.

Schaff mir meinen Mann wieder. Schmeißt den Dolch weg. Behalt deinen verfluchten Tausch für dich – Nimmt ihn wieder auf. Ach oder durchstoße mich! Du hast mir das Herz schon durchbohrt, unmenschlicher Mann! es wird dir nicht schwer werden.

HERR VON ZOPF.

Unter welchem unglücklichen Planeten muß ich geboren sein, daß alle meine Dienstleistungen zu nichts als Jammer ausschlagen! Ich möcht es verreden und verwünschen, meinem Nächsten zu dienen; noch in meinem ganzen Leben ist mir's nicht gelungen, einem guten Freunde was zu gut zu tun, allemal wenn mir etwas einschlug und ich glaubte ihn glücklich zu machen, so ward mir der Ausgang vergiftet und ich hatte ihn unglücklich gemacht. Es tut mir von Herzen leid, Gott weiß es –

[146]
4. Szene
Vierte Szene
In Dresden.
Donna Diana. Babet.

DONNA.
Hast du's gehört? Gustav mit ihm nach Naumburg gefahren.
BABET.
Ich kann noch nicht zu mir selber kommen.
DONNA.

Was ist da zu erstaunen, Närrin! was kannst du Bessers von Mannspersonen erwarten? Giftmischer Meuchelmörder alle –

BABET.
Er Sie vergiften lassen? Gütiger Gott! warum?
DONNA.

Warum? närrisch gefragt! darum, daß ich ihn liebte, ist's nicht Ursach genug? – – – Ach halt mir den Kopf! schnüre mich auf! es wird mir bunt vor den Augen – so – wart – keinen SpiritusSchreit. keinen Spiritus!

BABET.
Gott im Himmel! Sie werden ja ohnmächtig.
DONNA
mit schwacher Stimme.

Was geht's dich an, wenn ich ohnmächtig werde. Richtet sich auf. So! nun ist's vorbei. Geht herum. Nun bin ich wieder Diana. Schlägt in die Hände. Wir wollen dich wieder kriegen, wart nur! wart nur! Das, liebe Babet! das kannst du dir nimmer einbilden, was er angewandt hat, mich zu verführen. Da waren Schwüre, daß der Himmel sich drüber bewegte, da waren Seufzer, Heulen, Verzweiflung. Fällt ihr um den Hals. Babet, ich halt es nicht aus! hab Mitleiden mit mir. Wenn der Teufel in Menschengestalt umherginge, er könnte nichts Listigers ausdenken, ein Mädchenherz einzunehmen. Und nun will er mich vergiften lassen, weil ich meinen Vater ihm zu Gefallen vergiftet, meine Mutter bestohlen, entehrt bin, geflüchtet bin, von der Gerechtigkeit verfolgt, o! – vielleicht hat meine Mutter schon an Hof geschrieben, mich als eine Delinquentin aufheben zu lassen.

BABET.

Beruhigen Sie sich, teure gnädige Frau! das hat sie [147] nicht getan, nein gewiß, das wird sie nicht tun, sie weiß wohl, daß sie selber mit schuld an diesem Unglück ist, sie hat Sie Ihren Eltern gestohlen.

DONNA
steht auf.

Still davon! ich hab dir's ein für allemal verboten. Lieber meinen Vater umgebracht haben, als die Tochter eines alten abgedankten Offiziers heißen, der Pachter von meinem Gemahl ist. Wie sieht sie aus, die Wilhelmine? Der Himmel hat sich versehn, wenn er sie zu einer Velas machte, ich verdient es zu sein, und du tatst recht, daß du das Ding in Ordnung brachtest.

BABET.
O mein Gewissen!
DONNA.
Wie sieht sie aus, geschwind! ein schön Pachtermädchen –?
BABET.
Schön genug, ein Herz zu fesseln, ein paar Augen, als ob der Himmel sich auftät.
DONNA.

Das ist recht: wenn er mich für einen häßlichen Affen tauschte, wär's ihm gar nicht zu vergeben. Aber hat sie Adel im Gesicht, hat sie Donna Velas in den Augen?

BABET.

Würden die Eltern sie dann vertauscht haben? Eine Stumpfnase – der selige Herr rührte drei Tage keinen Bissen an. Aber als ich Sie von meiner Freundin bekam, das ist ein Velas-Gesicht, schrie er, die Adlernase soll mir den Weg zu einem Thron bahnen und mit den zwei Augen erschlag ich den König von Portugal.

DONNA.

Nur still, daß ich adoptiert bin, oder es kostet dein Leben. Das Herz will ich dir mit der Zunge zum Mund herausziehn, wo du redst. Ich muß den Grafen zurückbringen und dann nach Madrid zurück. Ich will deine Prophezeiung wahr machen, armer vergifteter Papa! so hast du doch Freud im Grab über mich. Meiner Mutter die Juwelen zurück, damit sie still schweigt und denn – – ist hier noch Feuer genug?


Sieht sie an.
BABET.
Die Welt in Brand zu stecken. Aber werden Sie den Grafen zurückbringen?
DONNA.

Den Grafen? Elende! O pfui doch! zurückwinken will ich ihn, den Schmetterling, und will er nicht, [148] so hasch ich und zerdrück ihn in meiner Hand. Seine Güter sind doch mein, er ist mir rechtmäßig angetraut, ich kann Kontrakt und Siegel aufweisen.

BABET.
Schonen Sie die arme Wilhelmine.
DONNA.

Ei was Schlägt sie. Hexe! was träumst du? werd ich meine Gewalt an Pachtermädchen auslassen? Kot von Weib! wofür hältst du mich?

BABET.
Aber wenn der Graf –
DONNA.

Was? wenn der Graf – red aus, wenn der Graf – wenn er sie liebt, wenn er sie heiratet – ich will ihn verwirren, verzweifeln, zerscheitern durch meine Gegenwart. Wie ein Gott will ich erscheinen, meine Blicke sollen Blitz sein, mein Othem Donner – laß uns unterwegens davon reden, es ist mir Wonne, wenn ich davon reden kann. Er soll in seinem Leben vor keinem Menschen, vor Gott dem Allmächtigen nicht so gezittert haben – die verächtliche Bestie! Wenn ich nur in Madrid wäre, ich ließ' ihn in meinem Tiergarten anschließen!

5. Szene
Fünfte Szene
In Rosenheim.
Ein Garten.
Herr von Biederling im leinen Kittel, eine Schaufel in der Hand. Herr von Zopf.

HERR VON BIEDERLING
sieht auf.

Bist du's, Zopf? – Hier setz ich eben einen von deinen Bäumen. Nun wie steht's Leben? Reicht ihm die Hand. du kommst von Dresden?

HERR VON ZOPF.

Ich komme – ja ich komme von Dresden. Es ist mir lieb, daß ich dich hier allein treffe. Der Freudendahl, du weißt wohl, ist mit mir, ich hab ihn in Naumburg gelassen.

HERR VON BIEDERLING.

Was hat der Laffe sich in unsere Händel [149] zu mischen? Weißt du was, ich hab hier Pulver und Blei, wir können hier unsere Sachen ausmachen.

HERR VON ZOPF.
Verzeih mir! er ist Zeuge davon gewesen, daß du mir meine Ehre nahmst.
HERR VON BIEDERLING.

Denk doch, und du kannst dem Fickelfackel Leipziger Studentchen nur wiedersagen, daß ich sie dir wiedergeben habe, und wenn er's nicht glauben will, so heiß ihn einen Schurken von meinetwegen. Denk doch, ich werde um des Narren willen wohl zurückreiten? warum kam der Flegel nicht mit? – Wie gefällt dir meine Baumschule?

HERR VON ZOPF.

Recht gut, Gott geb dir Gedeihen. – Aber was käm's dir denn auch darauf an, mir in Gegenwart Freudendahls eine Ehrenerklärung – mit ein paar Worten ist die ganze Sache getan.

HERR VON BIEDERLING.

Dir abbitten? – Nein, Bruder! das geschieht nicht Fährt fort zu graben. ich zieh mein Wort nicht zurück, tu was du willt.

HERR VON ZOPF.

Hast du mich denn nicht beleidigt? In einem öffentlichen Gasthofe beim ersten Kompliment gleich mit Schimpf und Stockschlägen –

HERR VON BIEDERLING.
Du hattst mich auch beleidigt.
HERR VON ZOPF.
Wenn ich alles in der Welt tue, dir Dienste zu leisten? Das ist himmelschreiend.
HERR VON BIEDERLING.

Wenn ich nüchternen Muts gewesen, wär's vielleicht nicht so weit kommen, aber – wärm mir den alten Kohl nicht wieder auf, kurz und gut. Und deine Dienste, was Sackerment helfen mir die Dienste, mein Kind verwahrlost, da ich mich auf dich verließ.

HERR VON ZOPF.
Das einzige, was ich mir vorzuwerfen habe, daß ich ihn nach Smyrna mitnahm.
HERR VON BIEDERLING.

Nicht das, Bruder Monsieur! wo du warst, mußte mein Sohn immer auch gut aufgehoben sein, aber daß du ihn den Jesuiten mitgabst, um seiner loszuwerden, eh! du Jesuit selber, da steckt's Wirft die Schaufel weg. komm, komm heraus itzt, ich bin jetzt [150] eben in der rechten Laune, ein paar Kugeln mit dir zu wechseln.

HERR VON ZOPF.
Hier hab ich Seidenwürmereier mitgebracht.
HERR VON BIEDERLING.

Zeig Wischt sich die Hand an den Hosen. zeig her! Macht sie auf. Das ist gut Dings, das ist ganz artig, jetzt soll's mit meinem Seidenbau losgehn daß es wettert; allein – aber wo tausend noch einmal sie sind doch nicht feucht geworden? a propos! hast du denn – weißt du nicht, hör einmal! mit dem Ofen, der dazu muß gebauet werden, wie macht man das? ich denk, ich muß nach Leipzig an einen Gelehrten schreiben.

HERR VON ZOPF.
Ich dächte, du tätest lieber eine Reise hin.
HERR VON BIEDERLING.

Oder ich will den jungen Zierau in Naumburg, das will doch auch ein Ökonom sonst sein – was es doch für wunderbare Geschöpfe Gottes in der Welt gibt, so ein klein schwarz Eichen! wer sollte das meinen, daß da ein Ding herauskommt, das so erstaunende Gewebe spinnt? A propos! hast du keine Nachricht von Rom?

HERR VON ZOPF.
Ja freilich und recht erwünschte.
HERR VON BIEDERLING.

O mein allerliebster Zopf Ihm um den Hals fallend. bald hätt ich Ei und alles verschüttet – was ist's, was gibt's? ist er noch am Leben? ist eine Spur von Hoffnung da?

HERR VON ZOPF.
Er lebt nicht allein, er ist wiederfunden worden, du wirst ihn sehen.
HERR VON BIEDERLING.

O du bist ein Engel, so schießen wir uns nicht, so ist alles vergeben und vergessen. Verzeih du mir nur, ich will dich in Dresden auf dem öffentlichen Rathaus' um Verzeihung bitten.

HERR VON ZOPF.

Komm nur mit zurück nach Naumburg, da will ich dir meinen Brief vorlesen, aber nicht eher, als bis du mich in Gegenwart Freudendahls um Verzeihung bittest. Hernach wollen wir zusammen in dein Haus gehn, da werden dir die Deinigen das übrige erzählen.

[151]
6. Szene
Sechste Szene
In Naumburg.
Wilhelmine auf einem Bette liegend. Frau von Biederling und Graf Camäleon stehen vor ihr.

WILHELMINE.
Ich will von keinem Troste wissen, laßt mich, laßt mich, ich will sterben.
FRAU VON BIEDERLING.

Deiner Mutter zu lieb, deinem Vater – nur ein klein klein Schälchen warme Suppe – – Du tötest uns mit deinem verzweifelten Gram.

WILHELMINE.

Wie soll ich essen, er ist nicht mehr da, wie kann ich essen? Ohne Abschied von mir zu nehmen. Er ist erschossen; er ist ertrunken! o liebe Mama! warum wollen Sie grausamer gegen Ihr Kind sein als alles, was grausam ist? warum wollen Sie mich nicht sterben lassen?

FRAU VON BIEDERLING.
Der Unmensch! ohne seine Mutter zu sehen.
GRAF.
Wenn man nur erraten könnte, wo er wäre. Und sollt ich bis an den Hof reisen.
FRAU VON BIEDERLING.
O Herr Graf! womit haben wir die Güte verdient, die Sie für unser Haus haben?
GRAF.

Ich will gleich meinen Gustav nach Dresden abfertigen, vielleicht frägt er ihn dort aus. Ich weiß schon, zu wem ich ihn schicke.

FRAU VON BIEDERLING.

Ich möchte den Schlag kriegen, wenn ich der Sache nachdenke. Mein einziger Sohn – ich hab ihn vor den Augen und – fort –

WILHELMINE.
O weh! o weh!
FRAU VON BIEDERLING.
Soll man den Doktor holen? Unbarmherziges Kind!
WILHELMINE.
Ja wenn er töten kann, holen Sie ihn.
GRAF.
Um Ihrer unschätzbaren Gesundheit willen –
FRAU VON BIEDERLING.

Da hilft kein Zureden, Herr Graf! Der liebe Gott hat beschlossen, es aus mit uns zu machen. O ich unglücklich Weib!Weint.


[152] Herr von Biederling kommt.
HERR VON BIEDERLING.

Hopsa, Viktoria, Vivat! Was gibt's, Weib! Mädchen! wo steckt ihr? wo ist unser Sohn? geschwind heraus mit ihm, wo ist er? – Na was soll das bedeuten?

FRAU VON BIEDERLING.
Nach wem fragst du?
HERR VON BIEDERLING.

Ist das Freud oder Leid? – – Ha ha, ich merk, ihr wollt mich überrumpeln. Nur heraus mit ihm, ich weiß alles, Zopf hat mir alles gesagt – –

FRAU VON BIEDERLING.
Du weißt alles und kannst lustig sein? Nun so sei doch die Stunde verflucht – –
HERR VON BIEDERLING.
Nun was ist's, Gott und Herr! fängst du schon wieder an zu weissagen? – wo ist er?
FRAU VON BIEDERLING.
Reis ihm nach, Unmensch! es ist dein Ebenbild.
GRAF.
Der Prinz ist verschwunden.
HERR VON BIEDERLING.
Tausend Sackerment, was geht mich der Prinz an? nach meinem Sohn frage ich.
FRAU VON BIEDERLING.
Ist der Mann rasend worden?
HERR VON BIEDERLING.

Meinen Sohn! heraus damit, oder ich werd rasend werden, was sollen die Narrenspossen, ich will ihn sehen. Mine, wo ist dein Bruder, ich befehle dir, daß du mir's sagen sollt.

WILHELMINE
schluchsend.
Der Prinz?
HERR VON BIEDERLING.
Der Prinz dein – Sinkt auf einen Stuhl. Gott allmächtiger Vater –
FRAU VON BIEDERLING.
Hat's dir Zopf nicht gesagt?
HERR VON BIEDERLING
starr an die Erde sehend.
Nichts – nichts –
GRAF.
Er ist verschwunden, kein Mensch kann ihn erfragen, ich will aber sogleich –

Geht ab.
FRAU VON BIEDERLING.
Er hat ein englisches Gemüt, der Graf.
HERR VON BIEDERLING.
Das – das – Steht auf und geht herum. Gott du Allmächtiger! womit hab ich deinen Zorn verdient?

[153] Magister Beza kommt.
MAGISTER BEZA.
Ich komme, Ihnen meinen herzlichen Glückwunsch und zugleich meine aufrichtige Kondolenz –
HERR VON BIEDERLING.

Hier, Herr Magister! reden Sie mit meiner Frau, ich kann Ihnen nicht antworten. Hier ist lauter Jammer im Hause. Setzt sich aufs Bett. Mine! Mine! was werden wir anfangen?

MAGISTER.

Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen – mir ist alles bekannt, es hat sich das Gerücht von dieser wunderseltsamen Begebenheit schon in ganz Naumburg ausgebreitet, aber erlauben Sie mir, Ihnen zu Ihrem Trost aus Gottes Wort zu zeigen, daß bei der ganzen Sache Gott Lob und Dank nicht die geringste Gefahr ist.

HERR VON BIEDERLING.
Wie das? Herr Magister! wie das?
MAGISTER.

Ja das ist zu weitläuftig Ihnen hier zu explizieren, aber soviel kann ich Ihnen sagen, daß die größten Gottesgelehrten schon über diesen Punkt einig –

HERR VON BIEDERLING.

So will ich eine Reise nach Leipzig, vielleicht können sie mir die Heirat gültig machen. Herr Magister, Sie begleiten mich – Mine, beruhige dich.

WILHELMINE.
Nimmer und in Ewigkeit.
MAGISTER.

Ja, wenn ich nur von meiner Schule mich losmachen – ich wollte Ihnen sonst aus den arabischen Sitten und Gebräuchen klar und deutlich beweisen –

HERR VON BIEDERLING.

Ei was, mit der Schule, das will ich verantworten, kommen Sie nur mit mir, Sie können vielleicht den Leipziger Gelehrten noch manches Licht über die Sachen geben, das bin ich versichert, Herr Magister, Sie sind ein gelehrter Mann, das ist der ganzen Welt bekannt.

MAGISTER.
O! – ach! –
HERR VON BIEDERLING.

Mine! liebe Mine, so beruhige dich doch! Wir wollen gleich einsteigen, Herr! er wird noch nicht abgespannt haben, und vor allen Dingen zuerst den Prinzen aufsuchen. – Mine, gutes Muts, ich bitt dich um Gotteswillen. Ab.

[154]
7. Szene
Siebente Szene
Auf der Landstraße von Dresden.
Donna Diana, Babet, fahren in der Kutsche. Gustav begegnet ihnen reitend.

DONNA
aus der Kutsche.
Halt, wo willt du hin?
GUSTAV
fällt vom Pferde.
Gnädige Frau!
DONNA.

Nun bin ich gerochen. Der Junge hat Gewissen. Springt aus dem Wagen. Wohin? Faßt ihn an. den Augenblick gesteh mir's.

GUSTAV
zitternd.
Nach Dresden.
DONNA.

Hinein in die Kutsch mit dir, und dein Pferd mag nach Dresden laufen. Was hast du dort zu bestellen gehabt?

GUSTAV.
Ich weiß nicht mehr.
DONNA.
Gesteh!
GUSTAV.
Zusehen, ob der Prinz Tandi dort sei.
DONNA.

Mag dein Pferd zusehn. Faßt ihn untern Arm. In die Kutsche mit dir! sei getrost Junge! es soll dir nichts Leids widerfahren. Du bist mir zu elend, Kreatur! als daß ich mich an dir rächen könnte. Aber hier gesteh mir nur, hat dein Herr Anteil an meiner Ermordung gehabt?

GUSTAV.
Gnädige Frau!
DONNA.
Wurm, krümme dich nicht, oder ich zertret dich, hat dein Herr Anteil an meiner Ermordung gehabt?
GUSTAV.
Ich will Ihnen alles erzählen.
DONNA.

So auf denn, in die Kutsche, du sollst das Vergnügen haben mit mir zu fahren. Sei ohne Furcht, wir wollen die besten Freunde von der Welt werden, denn was der Graf dir gibt, kann ich dir auch geben. Steigen in die Kutsche. Fahrt zu!

[155]
8. Szene
Achte Szene
Naumburg.
Frau von Biederling, Wilhelmine, jede einen Brief in der Hand.

FRAU VON BIEDERLING.
Doch in Leipzig –

Liest.
WILHELMINE.
Erst nach fünf Jahren – Unmenschlicher!

Liest.
FRAU VON BIEDERLING.
Ich bin fertig.
WILHELMINE
küßt ihren Brief .

Doch! Reicht ihn der Mutter. Mein Todesurteil. – Er will, ich soll ihn erst hassen lernen, bevor ich ihn sehen darf.

FRAU VON BIEDERLING.

Da kannst du sehn, wie er gegen dich gedacht hat. Ich wünschte nicht, daß der Vater ihn zurückbrächte, er hat kein Gemüt für dich, er hat dich nie geliebt.

WILHELMINE.
Wenn Sie ihn kennten.
FRAU VON BIEDERLING.

Ist das Zärtlichkeit? So müßt es wunderlich zugehn in einem zärtlichen Herzen. Der Graf ist ein Fremder und fühlt mehr dabei. Ich bin versichert, er hat gestern Nachts kein Auge zugemacht, er fällt ja ganz ab, der arme Mensch.

WILHELMINE.
Mama – Sie tun ihm unrecht, Gott weiß, Sie tun ihm unrecht.
FRAU VON BIEDERLING.
Ich verbiete dir, mir jemals wieder von ihm zu reden.
WILHELMINE.
Er ist aber Ihr Sohn.
FRAU VON BIEDERLING.

Mit drei Worten bittet er mich ganz kalt, nach Leipzig zu kommen, dir aber nichts davon zu sagen. – Du mußt ihn vergessen.

WILHELMINE.
Vergessen?
FRAU VON BIEDERLING.

Was denn? dich zu Tod um ihn grämen? – Um ihn zu vergessen, mußt du dich zerstreuen, dein Herz an andere Gegenstände gewöhnen, bis du Meister drüber bist. Du warst ja wie blind, so lang er um [156] dich war. Ich werd nicht nach Leipzig reisen, du liegst mir zu sehr am Herzen.

WILHELMINE.
Ach meine gütige Mutter!
FRAU VON BIEDERLING.
Wenn du ihr nur folgen wolltest.
WILHELMINE.
Erst nach fünf Jahren?
FRAU VON BIEDERLING.
Vergiß ihn.
WILHELMINE.
Er hält es für Sünde, mich eher zu sehen?
FRAU VON BIEDERLING.
Er hat dich nie geliebt. Vergiß ihn.
WILHELMINE.
Wenn ich nur könnte.
FRAU VON BIEDERLING.
Du mußt – oder du machst uns alle unglücklich.
WILHELMINE.
Ja ich will ihn hassen, damit ich ihn vergessen kann.
9. Szene
Neunte Szene
Ein Kaffeehaus in Leipzig.
Herr von Biederling und Magister rauchen Tabak, der Kaffeewirt steht vor ihnen, schenkt ihnen ein.

KAFFEEWIRT.

Ja es ist ein eigener Hecht, wir haben hier viel gehabt, aber von der Espèce nicht. Da war einer, der hundert tausend Gulden hier jährlich verzehrt hat und lag den ganzen Tag bei Keinerts, aber er machte nichts, behüte Gott! er hatte sein Buch in der Hand und studierte dort, der selige Professor Gellert selber hat ihm das Zeugnis gegeben, er sei der geschickteste Mann unter allen seinen Zuhörern gewesen.

HERR VON BIEDERLING.
Und wissen nicht, wo er itzt logiert?
KAFFEEWIRT.

Der Prinz aus Arabien? ei nun, das wollen wir bald wissen. Sie dürften nur im Vorbeigehn im Blauen Engel nachfragen, da werden Sie Wunderdinge von ihm hören. Alle Tage, sag ich Ihnen, ist Assemblee bei ihm von Buckligten, Lahmen, Blinden, fressen und [157] saufen auf seine Rechnung, als ob sie in einem Feenschloß wären, denn ihn kriegt man nie zu sehen. Ich sagte neulich zum Herrn Gevatter im Engel: Weiß er denn nicht, daß in Arabien viel Brahminen, oder wie heißen die Mönche da, die tun oft dergleichen Gelübde und ziehn in der Welt herum.

MAGISTER.
O der Einfalt!
KAFFEEWIRT.

He he he, Herr Magister! Sie müssen mich derhalben nicht auslachen, ich rede von den Sachen, wie ich's verstehe. Andere wollen sagen, er hab ein Duell gehabt, und um sich das Gewissen etwas leichter zu machen – das ist wahr, daß er was auf dem Herzen haben muß, denn ich hab ihn einmal gesehen, da sah er aus, Gott verzeih mir, wie ein Eccehomo.

HERR VON BIEDERLING
eben im Trinken begriffen, läßt die Tasse aus der Hand fallen.
Herr! warum erzählt Er mir das?
KAFFEEWIRT.

Ja so – ich wußte nicht, daß Sie den Herrn kennten, ich bitt um Verzeihung. – Marqueur, lauft gleich in Engel, fragt nach, wo der fremde Prinz logiert, der vorige Woche ankommen ist.

10. Szene
Zehnte Szene
Ein Saal. Gedeckte Tafel.
Bediente. Eine Gesellschaft Bettler und Pöbel um den Tisch herum schmausend.

EIN BUCKLIGTER.
Des Prinzen Gesundheit, ihr Herren!
LAHMER.
Ein braver Herr! Gott tröst ihn!
BLINDER.
Wenn mir Gott nur die Gnade verleihen wollt, ihn von Angesicht zu sehen.
EIN ANDERER BLINDER.

Ich wünscht ihn nicht zu sehen, er soll ja immer so traurig aussehn und das würd mir das Herz brechen.

[158]
LAHMER.

Er soll ein wunderschön Weib verloren haben. Ja ja, der Tod will auch was Saubers haben, die lahmen Hunde läßt er leben. Schenkt sich ein. Ihre Gesundheit Leut, trinkt ihre Gesundheit. Stoßen an.

BLINDER.
Wo seid ihr, ich will auch anstoßen!
LAHMER.
Ihr nicht, sonst begießt Ihr uns die Hosen.
PRINZ TANDI
kommt herein.
Was macht ihr? wen gilt's?
LAHMER
steht auf.
Herr, Ihr kommt zu rechter ZeitSchenkt sich ein. ich muß Euch was ins Ohr sagen, gnädiger Herr.

Hinkt auf der Krücke zu ihm.
PRINZ
geht ihm entgegen.
So bleibt doch, ich kann ja zu Euch kommen. Beide bleiben mitten in der Stube stehen.
LAHMER
hebt das Glas in die Höhe.

Herr Prinz! Gott wird mich erhören, ich trink eine Gesundheit, die sich nicht sagen läßt, aber sie geht mir von Herzen, Gott weiß!

PRINZ.
Wessen denn? heraus damit.
LAHMER.

Ja verstellt Euch nur, Ihr wißt wohl, wen ich meine. Es lebe – haben Sie die werten Eltern noch am Leben? nun so gehen die voran Trinkt das Glas aus. aber das war noch nicht das rechte. Wieder zum Tisch und schenkt sich ein.

PRINZ.
Ich wollt, ich könnte dir die Füße wiedergeben.
LAHMER.

Braucht sie nicht – Hinkt aber zum Prinzen, das Glas hoch. Es lebe – es lebe – es lebe Bei ihm. Euer allerdurchlauchtigster Schatz.


Trinkt. Prinz schleunig ab.
ALLE.
Des Prinzen Schatz! Werfen die Gläser aus dem Fenster.

Herr von Biederling und der Magister treten herein.
HERR VON BIEDERLING.
Ei der Hagel! was ist das? bald möcht ich lachen.
MAGISTER.
Orientalisch! orientalisch!
LAHMER.

Kommt ihr müßt mit uns trinken. Bringt Biederling ein Glas. Geschwind, kein Cerimoniums! und Ihr Herr Schwarzrock, du Buckel! hol's Glas her, hurtig.

[159]
HERR VON BIEDERLING.
Aber Ihr seid mir ein schlechter Kredenzer, Ihr habt mir das Glas halb ausgeschüttet.
LAHMER.

Und Ihr jagt das Glas so in Hals, ohn einmal dabei zu sagen: auf des Prinzen Wohlsein? Wollt Ihr den Augenblick sagen oder –


Hebt den Stock und fällt überlang.
HERR VON BIEDERLING.

Ha ha ha, auf des Prinzen Wohlsein. Zum Magister. Hören Sie, das Ding geht mir durchs Herz, ich könnte weinen darüber.

MAGISTER
trinkt.
Auf des Prinzen Wohlsein.
HERR VON BIEDERLING
zu einem Bedienten.
Geht sagt meinem Sohne, ich möcht ihn sprechen.
LAHMER.

Was denn? Euer Sohn? nu so Wirft die Krücke in die Höh und fällt wieder zu Boden. nu so – Ist's wahr, daß Ihr sein Papa seid? Das wird ihm Freude machen, das wird ihm Freude machen, ich hab Eure Gesundheit trunken, Gott hat mein Gebet erhört. – Sauft Brüder, sauft! wenn mir einer hundert Taler geschenkt hätte, so vergnügt hätte es mich nicht gemacht.

11. Szene
Eilfte Szene
Ein Gärtchen am Gasthofe.
Prinz Tandi. Magister Beza. Bedienter.

PRINZ.

Ich kann ihn nicht sehen, ich kann noch nicht. Fühlt Ihr das nicht, warum? Und wollt trösten, mit solch einem Herzen trösten? Leidige Tröster, laßt mich!

BEZA.

Aber womit hab ich denn verdient, daß Sie mir Ungerechtigkeiten sagen? Da ich in der besten Absicht und so zu sagen von Amts und Gewissens wegen –

PRINZ.

Ich hasse die Freunde in der Not, sie sind grausamer als die ärgsten Feinde, weit grausamer. Ihr kommt, Höllenstein in meine offne Wunde zu streuen, fort von mir.

[160]
BEZA.
Ich kann und darf Sie nicht verlassen. Die christliche Liebe –
PRINZ.

Ha die christliche Liebe! entehrt das Wort nicht! wenn Ihr mit mir fühltet, so würdet Ihr begreifen, daß das, was Ihr dem Unglücklichen nehmen wollt, sein Schmerz, sein einziges höchstes Gut ist; das letzte, das ihm übrig bleibt, entreißt ihr ihm, Barbaren!

BEZA.
Was das nun wieder geredt ist.
PRINZ.

Es ist wahr geredt! Ihr habt noch nie alles verloren, alles, alles, was Ruhe der Seelen und Wonne nach der Arbeit geben kann; jetzt muß ich meine Wonne in Tränen und Seufzern suchen, und wenn Ihr mir die nehmt, was bleibt mir übrig, als kalte Verzweiflung.

BEZA.

Wenn ich Ihnen nun aber begreiflich mache, daß all Ihre Bedenklichkeiten nichts sind, daß Gott die nahen Heiraten nicht verboten hat –

PRINZ.
Nicht verboten?
BEZA.

Daß das in der besondern Staatsverfassung der Juden seinen Grund gehabt, in den Sitten, in den Gebräuchen, daß weil sie ihre nächsten Anverwandte ohne Schleier sehen durften, um der frühzeitigen Hurerei vorzubeugen –

PRINZ.

Wer erzählt Euch das? Weil die Ehen mit Verwandten verboten waren, durften sie sie ohne Schleier sehen, wie die Römer sie küssen durften. Wenn Gott keine andere Ursach zu dem Verbot gehabt, dürfte er nur das Entschleiern verboten haben.

BEZA.

Sie sollten nur den Michaelis lesen. Es war eine bloß politische Einrichtung Gottes, die uns nichts anging, wenn's ein allgemein Naturgesetz gewesen wäre, würde Gott die Ursache des Verbots dazu gesetzt haben.

PRINZ.
Steht sie nicht da? steht sie nicht mit großen Buchstaben da? soll ich Euch den Star stechen?
BEZA.
Ja was? was? du sollt deine Schwester nicht heiraten, denn sie ist deine Schwester.
PRINZ.

Versteht Ihr das nicht? Weh Euch, daß Ihr's nicht [161] versteht. Auf Eurem Antlitz danken solltet Ihr, daß der Gesetzgeber anders sah als durch Eure Brille. Er hat die ewigen Verhältnisse geordnet, die euch allein Freud und Glückseligkeit im Leben geben können, und ihr wollt sie zerstören? O ihr Giganten, hütet euch, daß nicht der Berg über euch kommt, wenn ihr gegen den Donnerer stürmen wollt. Was macht das Glück der Welt, wenn es nicht das harmonische, gottgefällige Spiel der Empfindungen, die von der elendesten Kreatur bis zu Gott hinauf in ewigem Verhältnis zu einander stimmen? Wollt ihr den Unterscheid aufheben, der zwischen den Namen Vater, Sohn, Schwester, Braut, Mutter, Blutsfreundin obwaltet? wollt ihr bei einem nichts anders denken, keine andere Regung fühlen als beim andern? nun wohl, so hebt euch denn nicht übers Vieh, das neben euch ohne Unterschied und Ordnung bespringt was ihm zu nahe kommt, und laßt die ganze weite Welt meinethalben zum Schweinstall werden.

BEZA.

Das ist betrübt. Sie sind hartnäckig darauf, Ihr Gewissen unnötiger Weise zu beschweren, sich und Ihre Schwester unglücklich zu machen –

PRINZ.

Das war ein Folterstoß. Solltest du dies Gemälde nicht lieber aus meiner Phantasei weggewischt haben? Ich sehe sie da liegen, mit sich selbst uneins, voll Haß und Liebe den edlen Kampf kämpfen, die Götter anklagen und vor Gott sich stumm hinwinden – Fällt auf eine Grasbank. Ach Grausamer!

BEZA
nähert sich ihm.
Alles das können Sie ihr ersparen.
PRINZ.

Und das Gewissen vergiften? Fort, Verräter! das Bewußtsein, recht getan zu haben, kann nie unglücklich machen. Gram und Schmerz ist noch kein Unglück, sie gelten ein zweideutig Glück, dessen unterste Grundlage Gewissensangst ist. Wilhelmine wird nicht ewig elend sein: unverwahrloste Schönheit hat Beistand im Himmel und braucht keines verräterischen Trostes.

[162]
BEZA.
Soll ich Ihren Vater rufen?
PRINZ.
Um ihr Bild mir zu erneuern? – Hinter mich, Satan! Stoßt ihn zum Garten naus.
12. Szene
Zwölfte Szene
Eine Straße in Leipzig.
Herr von Biederling. Magister Beza.

HERR VON BIEDERLING.

Nichts. Ich will an Hof reisen, und wenn das Konsistorium die Heirat gut heißt, soll er mir sein Weib wiedernehmen und sollt ich ihn mit Wasser und Brod dazu zwingen. Wenn der Bengel nicht mit gutem will – meinethalben, er soll mich nicht zu sehen kriegen, aber er soll mich fühlen. Und Sie bleiben hier incognito, Herr Magister! und wenden kein Auge von ihm, ich denke, er wird sobald nicht aus Leipzig, und im Fall der Not dürfen Sie nur von meinetwegen Arrest auf seine Sachen legen, er kann nicht fortreisen, wenn er eine Sache hat, die noch anhängig beim Gerichte des Landes ist.

13. Szene
Dreizehnte Szene
In Naumburg.
Graf Camäleon. Zierau.

GRAF.

Ich möchte das artige junge Weib gern aus ihrer Melancholei heraustanzen. Ihr Vater soll ein artiges Landhaus hier in der Nähe haben, könnten wir wohl da Platz für ein zwanzig, dreißig Personen –

ZIERAU.

Lassen Sie mich nur dafür sorgen. Obschon mein [163] Vater nicht zu Hause ist – ich werd es bei ihm zu verantworten wissen.

GRAF.
Was könnte der Spaß kosten?
ZIERAU.

Geben Sie mir vor der Hand ein zwanzig, dreißig Dukaten in die Hand, ich will sehen, wie weit ich mit komme. Es kommt oft viel darauf an, wie man die erste Einrichtung macht –

GRAF.

Es kommt hier hauptsächlich auf Geschmack an, und ich weiß, den haben Sie. An den Kosten brauchen Sie mir nichts zu sparen. Wie weit ist's von hier?

ZIERAU.
Eine gute Stunde.
GRAF.
Desto besser, ich säh gern, daß wir einige Tage drauß blieben. Hätten Sie Betten im Notfall?
ZIERAU.
Ich kann schon welche bereit halten lassen.
GRAF.

Ich möcht überhaupt die Gelegenheit besehen. Wollen wir eine Spazierfahrt hinaustun? Gustav! – Johann! wollt ich sagen, ist Gustav noch nicht zurück? Spannt mir das Cabriolet an, ich will ausfahren mit dem Herrn da.

ZIERAU.

Ich will gleich vorher gehn und Anstalten machen, daß die gehörige Provisionen an feinen Weinen und an Punsch, Arrak, Zitronen – die Dames lieben das, wenn sie getanzt haben.

GRAF.
Können Sie guten Punsch machen? und stark, sonst lohnt's nicht.
ZIERAU.

Ich weiß nichts Reizenders als eine Dame mit einem kleinen Räuschchen. Sollen auch Masken ausgeteilt werden?

GRAF.

O ja, wer will – das war ein guter Einfall – ich will selbst en Masque erscheinen – recht so, es soll niemand ohne Maske heraufgelassen werden – und ein bequem Zimmer zum Umkleiden haben Sie doch? wir wollen alles besehen.

[164]

4. Akt

1. Szene
Erste Szene
In Naumburg.
Frau von Biederling legt zwei Domino übern Stuhl. Wilhelmine am Rahmen nähend.

WILHELMINE.
Aufrichtig zu sein –
FRAU VON BIEDERLING.
Na was ist?
WILHELMINE.
Wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen soll, Mama –
FRAU VON BIEDERLING.

Sag ich nicht? So oft Sie am Rahmen sitzt, ist's, als ob ein böser Geist in Sie – weißt du denn nicht, daß es Sünde ist, an ihn zu denken? wozu soll die Narrenteiding, wahrhaftig eh du dich versiehst, schneid ich's heraus und ins Feuer damit.

WILHELMINE.
Sie würden damit nur übel ärger machen.
FRAU VON BIEDERLING.

Willst du dich anziehn oder nicht? Ganz gewiß wird die Gesellschaft schon einige Stunden auf uns gewartet haben.

WILHELMINE
seufzt.
Sie werden böse werden.
FRAU VON BIEDERLING.

Was denn? Hast du schon wieder deinen Kopf geändert? Alberne Kreatur. Nein, Gott weiß, das ist nicht auszustehen. Gestern verspricht Sie dem Grafen feierlich –

WILHELMINE.
Ihnen zu Gefallen.
FRAU VON BIEDERLING.

Mir? willt du ewig zu Hause hucken und dir den Narren weinen? was soll da herauskommen? Geschwind tu dich an, es soll dich nicht gereuen, du bist ja unter der Maske, kannst tanzen oder zusehn, wie dir's gefällt, wenn du dich nur zerstreust.

WILHELMINE.
Ach in solcher Gesellschaft! Lustige Gesellschaft ist eine Folterbank für Unglückliche.
FRAU VON BIEDERLING.
Was denn? zu Hause sitzen und Verse [165] machen? – Da kommt wahrhaftig schon Botschaft nach uns.
ZIERAU
ganz geputzt.

Verzeihen Sie, gnädige Frau! ... gnädige! daß ich Sie vielleicht zu früh überfalle. Ich bin mit der Kutsche hereingefahren, Sie abzuholen. Zu Wilhelminen. Es ist ein klein Divertissement, so Sie Ihrem Schmerz geben.

WILHELMINE.
Hier ist mein Divertissement.
ZIERAU.

Wie? was? Ach Sie machen's wie Penelope, um die Anbeter Ihrer Reizungen aufzuhalten – nicht wahr, bis Sie die Stickerei fertig haben, dann – Was ist das Dessin, mit Ihrer gnädigen Erlaubnis Stellt sich vor den Rahmen. wie, das ist ja vortrefflich, vortrefflich – aber zu betrübt, gnädige Frau, viel zu ernsthaft, zu schwarz – bei allen Liebesgöttern und Grazien! das ist ja wohl gar Hymen, der seine Fackel auslöscht. Aus welchem alten Leichensermon haben Sie denn die Idee entlehnt? Vortrefflich gezeichnet, das ist wahr, die Stickerei ist bewundernswürdig! wie sein trostloses Auge durch die Hand blickt, mit der er die Stirn hält! das bringt all mein Blut in Bewegung.

WILHELMINE.
Es ist aus einer Vignette über Hallers Ode auf seine Mariane.
ZIERAU.
Ei so lassen Sie Haller Haller sein, hat er doch auch wieder geheiratet.
WILHELMINE.

Ich wünscht, ich hätt eine Leiche zu beweinen. Aber itzt, da Hymen unsere Fackel auslöscht, eh sie ausgebrannt ist, itzt – Weint. Sprechen Sie mich los, Herr Baccalaureus, der Graf wird mir's nicht übel nehmen.

ZIERAU.

Aber mir. Das ganze Fest verliert seinen Glanz, wenn Sie nicht drauf erscheinen. Sie dürfen sich nur zeigen, Sie dürfen nicht tanzen: Bedenken Sie, daß Sie den Himmel von Grazie der Welt schuldig sind.

WILHELMINE.

Ich kann Ihre Schmeicheleien jetzt mit nichts beantworten als Verachtung. Nehmen Sie mir's nicht [166] übel. Was würde dort geschehen, wenn ein Fremder mir anfinge mit seinen Schellen unter die Ohren zu klingen.

FRAU VON BIEDERLING.
Sie ist auf dem Wege, sag ich Ihnen, den Verstand zu verlieren.

Donna Diana tritt mit Babet herein.
DONNA.

Ich komme unangemeldt, gnädige Frau! Der Graf Camäleon, der in Ihrem Hause logieren soll, gibt, wie ich höre, ein Festin. Ich bin eine gute Bekannte von ihm, die er wiederzusehn sich nicht vermuten wird.

FRAU VON BIEDERLING.
Doch wohl nicht die spanische Gräfin, seine Brudersfrau.
DONNA.

Seine Brudersfrau? Ja seine Brudersfrau. Ich möcht ihm gern bei dieser Gelegenheit eine unvermutete Freude machen.

FRAU VON BIEDERLING.
Der Herr Gemahl vielleicht angekommen? Es ist mir ein unerwartetes Glück –
DONNA.
Keine Komplimenten, Frau Hauptmann! Hab ich Raum in Ihrer Kutsche? Meine würd er wieder erkennen.
WILHELMINE.
O wenn Euer Gnaden meinen Platz einnehmen wollten –
DONNA.

Ihren Platz, mein Kind? O Sie sind sehr gütig. Ha ha ha, verzeihen Sie, es zog mir ein wunderlicher Gedanke durch den Kopf! Es würde mir aber leid tun, mein artiges Kind! wenn ich Sie um Ihren Platz bringen sollte.

ZIERAU
zu Wilhelminen, leise.
Was wird aber der Graf sagen, gnädige Frau, wenn Sie –
WILHELMINE.

Euer Gnaden erzeigen mir einen unschätzbarn Gefallen. Ich habe fast dem dringenden Anhalten des Herrn Grafen und seines Abgesandten nicht widerstehen können.

DONNA.

In der Tat? ist der Abgesandte so dringend? ich kenne meinen Schwager, er ist sehr galant, aber nicht sehr dringend, vermutlich wird sein Abgeordneter seinen Fehler haben ersetzen wollen. Sie bleiben also gern [167] zu Hause, Fräulein? und leihen mir Ihre Maske, das ist vortrefflich, ha ha ha, der Einfall kommt wie gerufen, ich hätt ihn nicht schöner ausdenken können Legt das Domino an. und damit sind wir fertig, kommen Sie, Frau Hauptmann, wir haben hier keine Zeit zu verlieren. Und Sie, mein Herr, sehn aus wie ein Schachkönig, dem die Königin genommen wird. Geben Sie sich nur zufrieden, wir spielen nicht auf Sie. – Ihre Hand, wenn ich bitten darf. Adieu, Fräulein, wenn ich Ihnen wieder einen Gefallen tun kann – meine Dame d'honneur bleibt bei Ihnen.

2. Szene
Zweite Szene
Vor dem Landhause des Baccalaureus.
Eine Allee von Bäumen. Es ist Dämmerung.
Der Graf in der Maske spaziert auf und ab.

GRAF.

Der verdammte Kerl, wo er bleibt! wo er bleibt, wo er bleibt! Gleich wollt er zurück sein, wollt fliegen wie Phaëthon mit den Sonnenpferden – poetischer Schurke! Wenn ich sie nur zum Tanzen bringe! Die Musik, die schwärmende Freude überall, der Tumult ihrer Lebensgeister, der Punsch, mein Pülverchen – o verdammt! Sich an die Stirn schlagend. wie tut es mir im Kopf so weh! Wenn er nur käme, wenn er nur käme, aller Welt Teufel! wenn er nur käme! Stampft mit dem Fuß. Wo bleibt er denn? Ich werde noch rasend werden, eh alles vorbei ist, und denn ist mein ganzes Spiel verdorben. Vielleicht amüsiert er sich selbst mit ihr – höllischer Satan! ich habe nie was von der Hölle geglaubt und alle dem Kram Schlägt sich an den Kopf und an die Brust. aber hier – und hier – ich muß selbst nach der Stadt laufen – sie wird ihre Meinung geändert haben, [168] sie kommt nicht – vielleicht ist der Prinz zurückgekommen – vielleicht – ich muß selbst nach der Stadt laufen, und wenn der Teufel mich zu ihren Füßen holen sollte. –

3. Szene
Dritte Szene
In Naumburg.
Wilhelmine und Babet spazieren im Garten.

WILHELMINE.

O gehn Sie noch nicht weg, meine liebe, liebe Frau Wändeln! Wenn Sie wüßten, wie viel Trost Ihre Gegenwart über mich ausbreitet! ich weiß nicht, ich fühl einen unbekannten Zug – ich kann's Ihnen nicht bergen, die unbekannten Mächte der Sympathie spielen bisweilen so wunderbar, so wunderbar.


Küßt sie.
BABET
fällt ihr weinend um den Hals.
Ach mein unvergleichliches Minchen.
WILHELMINE.
Was haben Sie?
BABET.

Ich kann es nicht länger zurückhalten, und sollte die Donna mit gezücktem Dolche hinter mir stehen. Es ist Lebensgefahr dabei, Minchen! aber Sie länger leiden zu sehen, das ist mir unmöglich, Sie sind des Prinzen Tandi Schwester nicht.

WILHELMINE.
Wie das? meine Teure! wie das? Ich umfasse dein Knie!
BABET.
Die Donna ist seine Schwester, ich war Ihre Amme, ich habe Sie vertauscht.
WILHELMINE.

O meine Amme! Sie umhalsend. o du mehr als meine Mutter! o du gibst mir tausend Leben. Komm, komm, sag mir, erzähl mir, ich kann die Wunder nicht begreifen, ich kann sie nur glauben und selig dabei sein. Nimm mir den letzten Zweifel, wenn diese Freude vergeblich wäre, das wäre mehr als grausam.

BABET
schluchzend.

Freuen Sie sich – sie ist nicht vergeblich. [169] Ihr Vater ist der spanische Graf Aranda Velas, der zu eben der Zeit am Dresdner Hofe stand, als der Hauptmann in den schlesischen Krieg mußte. Seine Frau folgte ihm und ließ ihr neugebornes Kind einer Polin, bis sie wiederkäme, welcher ich Sie gleichfalls auf einige Tage anvertrauen mußte, weil mir die Milch ausgegangen war. Da besuchte Sie Ihre Mutter einst, und weil Sie obenein einen Ansatz von der englischen Krankheit zu bekommen schienen, so beredete ich Ihre Eltern selber mit zu diesem gottlosen Tausch. Ich habe dafür genug von dieser Donna ausstehen müssen, aber Sie, meine Teure Kniend. Sie, die Sie Ihr ganzes Unglück mir allein zuzuschreiben haben, Sie haben mich noch nicht dafür gestraft.

WILHELMINE.

Mit tausend Küssen will ich dich strafen. Unaussprechlich glücklich machst du mich jetzt. Auf, meine Teure, in den Wagen laß uns werfen und ihn aufsuchen, ihn, der mir alles war, ihn, der mir jetzt wieder alles sein darf, meinen einzigen ihn. O! o! was liegt doch in Worten für Kraft, was für ein Himmel! mit drei Worten hast du mich aus der Hölle in den Himmel erhoben. Fort nun! fliegen laß uns wie ein paar Seraphims, bis wir ihn finden, bis wir – fort! fort! Läuft mit ausgebreiteten Armen ab.

4. Szene
Vierte Szene
Vor dem Landhause des Baccalaureus, welches mit vielen Lichtern illuminiert erscheint. Es ist stockdunkel.
Gustav tritt auf.

GUSTAV.

Das ist wie der höllische Schwefelpfuhl. Sie ist da, ja sie ist da, ich habe sie ganz deutlich in der Kutsche erkannt. Weiß, daß er sie hat vergiften lassen, und wenn [170] er der Teufel selber wäre und mit lebendigem Leibe sie holte, sie liebt ihn. Schlägt sich an den Kopf. Du allmächtiger Gott und alle Elemente! Ach du vom Himmel gestiegene Großmut, du lebendiger Engel. Fällt. Ich kann nicht mehr auf den Füßen stehn, das ist ärger als ein Rausch, ärger als Gift – Ich will herein und sehen, ob er sie für Wilhelminen hält, und rührt er sie an – sein Eingeweid will ich ihm aus dem Leibe reißen, dem seelenmörderischen Hunde –

5. Szene
Fünfte Szene
Gustav kommt wieder heraus unter der Larve.

GUSTAV.

Das ist die Hölle – tanzen herum drin wie die Furien. Er hat ihr Punsch angeboten, ich glaub, es war ein Liebestränkchen. Das Glas stand fertig eingeschenkt, sie wollt die Larve nicht abziehn. Wenn du gewußt hättest, wer sie war, dummer Satan, läßt sie die Larve vorbehalten. Ich will hinein und ihm mein Taschenmesser durch den Leib stoßen, daß er lernt klüger sein. – Ach Donna! Donna! Donna! wenn ich mit dir verdammt werden könnte, die Hölle würde mir süß sein. Geht hinein.

6. Szene
Sechste Szene
Der Tanzsaal.
Große Gesellschaft. Da der Tanz pausiert, führt Zierau Frau von Biederling an den Punschtisch.

FRAU VON BIEDERLING.
Sie ist verschwunden mit ihm.
ZIERAU.

Befehlen Euer Gnaden nicht Biscuit dazu? – Er [171] hat sie vermutlich erkannt – ich versichere Sie, er hat sie erkannt, sobald sie in die Stube trat.

FRAU VON BIEDERLING.

So hätt er nicht so verliebt in sie getan. Glauben Sie mir, es war mir ärgerlich. Die Gesellschaft steht doch in der Meinung, es sei meine Tochter, sie hat vollkommen ihren Gang, ihre Taille – und er hat sich recht albern aufgeführt.

ZIERAU.
Er hat sie wahrhaftig erkannt. Mit Ihrer Tochter hätt er sich die Freiheiten nimmer erlaubt.
FRAU VON BIEDERLING.

Ich hätte nicht gewünscht, daß sein Bruder dazu gekommen wäre. Herr Baccalaureus, wenn das so fort geht –

ZIERAU.

Es tut mir nur leid, daß ich meine Absicht nicht habe erreichen können, Ihrer Fräulein Tochter eine kleine unschuldige Zerstreuung zu geben. Sie wird jetzt zu Hause über ihrem Schmerz brüten, und um einen so krausen kauderwelschen Ritter Don Quischotte lohnt es doch wahrhaftig der Mühe nicht.


Es wird Lärmen. Die ganze Gesellschaft springt auf.
EINE DAME.
In der Kammer hier bei.
EIN CHAPEAU.
Die Tür ist verschlossen.
DONNA DIANA
schreit hinter der Szene.
Zu Hülfe! er erwürgt mich.
EINE DAME.
Man muß den Schlösser kommen lassen.
EIN DICKER KERL.
Ich will sie ufrennen.
ZIERAU.
Was ist's, was gibt's?
EINE MASKE.
Ein erschröcklich Getös hier in der Kammer.
EINE ANDERE MASKE.
Hört, welch ein Gekreisch!
ZIERAU.
Tausend ist denn da kein Mittel? – Axt her, Bediente.

Der dicke Mann rennt die Tür ein. Ein stockdunkles Zimmer erscheint.

Licht her! Licht her! sie liegen beide auf der Erde.

Es werden Lichter gebracht. Donna Diana rafft sich auf.
GRAF
zieht sich ein Messer aus der Wunde.
Ich bin ermordet. Man verbindt ihn.
[172]
DONNA
mit zerstreutem Haar, das sie in Ordnung zu bringen sucht.

Der Hund hat mich erwürgen wollen. – Was steht ihr? was gafft ihr, was seid ihr erstaunt? Daß ich einen Hund übern Haufen steche, der mich an die Gurgel packt, und das, weil er mich notzüchtigen will und merkt, daß ich nicht die Rechte bin.

ZIERAU.
Ums Himmels willen.
DONNA.

Was, du Kuppler – wo ist mein Federmesser blieben. Faßt ihn an Schopf und wirft ihn zum Grafen auf den Boden. Laß dir deinen Lohn vom Grafen geben. Er ist ein Hurenwirt, daß ihr's wißt, daß ihr's an allen Ecken der Stadt anschlagen laßt, daß ihr's in alle europäische Zeitungen setzt. Ich will gleich gehn und das Drachennest hier zerstören, wart nur, es wird hier doch irgendwo ein Häscher in der Nähe sein. Ab.

ZIERAU.
Das ist eine Furie.
GRAF.

Sie hat mir ins Herz gestoßen – Helft mir zu Bette. Wendt den Kopf voll Schmerz auf die Seite. O! – Starrt. ihr Götter, was seh ich? löscht die Lichter aus! der Anblick ist zu schröcklich. Einer aus der Gesellschaft hebt das Licht empor. Gustav erscheint in einem Winkel hat sich erhenkt. Mein Bedienter oh! Fällt in Ohnmacht.

5. Akt

1. Szene
Erste Szene
Auf der Landstraße von Leipzig nach Dresden ein Posthaus.
Herr von Biederling, Prinz Tandi, beide auf einander zueilend, sich umhalsend.

HERR VON BIEDERLING.
Mein Sohn!
PRINZ.
Mein Vater!
[173]
HERR VON BIEDERLING.

Woher kommst du? wohin gehst du? Hat dich der verdammte Schulkollege doch laufen lassen? Sag ich nicht? ob man eine Null dahin stellt oder einen Mann mit dem schwarzen Rock, die Leute sind doch, Gott weiß, als ob sie keinen Kopf auf den Schultern hätten.

PRINZ.
Ich gehe nach Dresden.
HERR VON BIEDERLING.

Ja ich will dir – du sollst mir schnurstracks nach Naumburg zurück, deine arme Schwester wird ja fast den Tod haben über deinem Außenbleiben. Es ist alles gültig und richtig, das Konsistorium hat kein Wort wider die Heiraten einzuwenden.

PRINZ
die Augen gen Himmel kehrend.
O nun unterstütze mich!
HERR VON BIEDERLING.

Geschwind umgekehrt! für wen ist das Pferd gesattelt? ha ha, deine Equipage wirst du wohl in Leipzig haben lassen müssen? Nun, nun, ich hab ihm doch unrecht getan, dem Magister Beza. – Hurtig, ich befehl's dir! den Reiserock angezogen. Warum hast du mich denn nicht sehen wollen, Monsieur! da ich deinetwegen acht Stunden gefahren war? Du hast Grillen im Kopf wie die Alchymisten, und darüber muß Vater und Schwester und Mutter und alles zu Grunde gehn.

PRINZ
umarmt seine Knie.
Mein Vater! Diese Grillen sind mir heilig, heiliger als alles.
HERR VON BIEDERLING.

Sie stirbt, hol mich der Teufel, sie muß des Todes sein für Chagrin, das Mädchen läßt sich nicht trösten. Hast du denn deinen Verstand verloren, oder willst du klüger sein als die ganze theologische Fakultät? Ich befehle dir als Vater, daß du dich anziehst und zurück mit mir, oder es geht nimmermehr gut.

PRINZ.
Ich will Ihnen gehorchen.
HERR VON BIEDERLING.

So? das ist bravon So komm, daß ich dich noch einmal umarme und an mein Herz drücke [174] Ihn umarmend. verlorner Sohn! Das hab ich gleich gedacht, wenn man ihm nur vernünftig zuredt, du bist hier nicht in Cumba, mein Sohn, wir sind hier in Sachsen, und was andern Leuten gilt, das muß uns auch gelten. Geh, mach dich fertig, du gibst deiner Schwester das Leben wieder – ich will derweil ein Frühstück essen, ich bin hol mich Gott noch nüchtern von heut morgen um viere. Ab.

PRINZ.

Das war der Augenblick, den ich fürchtete. Ich hab ihn gesehen, Wilhelmine, deinen Vater gesehen, ich bin zu schwach zu widerstehen. Wenn du Engel des Himmels mich noch liebst – o daß du mich hassetest! o daß du mich hassetest! – Wie, wenn ich itzt mich aufs Pferd schwünge und heimlich fortjagte – Aber sie ist mein Fleisch! Gott! sie ist mein Fleisch. Laß los, teures Weib, heiliger Schatten! der Himmel fordert es, deine Ruhe fordert es – Triumph –


Will aus der Tür. Wilhelmine und Babet stürzen ihm entgegen.
WILHELMINE.
Hier!
PRINZ
ihr zu Füßen.
Deinen elenden Mann!
WILHELMINE.
Ist es ein Traum? Umarmt ihn. Hab ich dich wirklich?
PRINZ.

Schone meiner! Schone deiner! O Sünde! wer kann dir widerstehen, wenn du Wilhelminens Gestalt annimmst?

WILHELMINE.
Ich bin deine Schwester nicht.
BABET.

Ich beteur es Ihnen mit dem heiligsten Eide, sie ist Ihre Schwester nicht. Ich war ihre Amme, ich habe sie vertauscht.

PRINZ.
O mehr Balsam! mehr Balsam! göttliche Linderung!
WILHELMINE
wirft sich nochmals in seine Arme.
Ich bin deine Schwester nicht.
PRINZ.

Das hat mein Schmerz nie gehoffet, nie gewünscht! Vom Tode bin ich erweckt. Wiederholt es mir hundertmal.

WILHELMINE.

Ich wünscht in deinen Armen zu zerfließen, [175] mein Mann! nicht mehr Bruder! mein Mann! Ich bin ganz Entzücken, ich bin ganz dein.

PRINZ.
Mein auf ewig. Mein wiedergefundenes Leben.
WILHELMINE.
Meine wiedergefundene Seele!

Herr von Biederling mit der Serviette.
HERR VON BIEDERLING.

Was gibt's hier? – Nu Gotts Wunder! wo kommst du her? Sag ich doch, wenn man ihm vernünftig zuredt, da sind sie wie Mann und Frau mit einander und den Augenblick vor einer halben Stunde wollt er sich noch kastrieren um deinetwillen.

BABET.
O wir haben Ihnen Wunderdinge zu erzählen, gnädiger Herr.
HERR VON BIEDERLING.

So kommt herein, kommt herein, schämt euch doch, vor den Augen der ganzen Welt mit seinem Weibe Rebekka zu scherzen, das geht in Cumba wohl an, lieber Mann! aber in Sachsen nicht, in Sachsen nicht. Gehen hinein.

2. Szene
Zweite Szene
In Naumburg.
Zierau sitzt und streicht die Geige. Sein Vater, der Bürgermeister, tritt herein im Roquelaure, den Hut auf.

BÜRGERMEISTER.

Schöne Historien! schöne Historien! ich will dich lehren Bäll' anstellen – – He! Komm mit mir, es ist so schlecht Wetter, ich brauch heut abend eine Rekreation.

ZIERAU.
Wo wollen Sie denn hin, Papa? Ich bin schon halb ausgezogen.
BÜRGERMEISTER.

Die Fiddel weg! Ins Püppelspiel. Ich hab mich heut lahm und blind geschrieben, ich muß eins wieder lachen.

ZIERAU.
O pfui doch, Papa! Abend für Abend! Sie prostituieren sich.
[176]
BÜRGERMEISTER.

Sieh doch, was gibt's da wieder, was hast du wider das Püppelspiel? Ist's nicht so gut als eure da in Leipzig, wie heißen sie? Wenn ich nur von Herzen auslachen kann dabei, ich hab den Kerl den Hannswurst so lieb, ich will ihn wahrhaftig diesen Neujahr beschicken.

ZIERAU.
Vergnügen ohne Geschmack ist kein Vergnügen.
BÜRGERMEISTER.

Ich kann doch wahrhaftig nicht begreifen, was Er immer mit seinem Geschmack will. Bist du närrisch im Kopf? Bube! warum soll denn das Püppelspiel kein Vergnügen für den Geschmack sein?

ZIERAU.
Was die schöne Natur nicht nachahmt, Papa! das kann unmöglich gefallen.
BÜRGERMEISTER.

Aber das Püppelspiel gefällt mir, Kerl! was geht mich deine schöne Natur an? Ist dir's nicht gut genug wie's da ist, Hannshasenfuß? willst unsern Herrngott lehren besser machen? Ich weiß nicht, es tut mir immer weh in den Ohren, wenn ich den Fratzen so räsonnieren höre.

ZIERAU.

Aber in aller Welt, was für Vergnügen können Sie an einer Vorstellung finden, in der nicht die geringste Illusion ist.

BÜRGERMEISTER.
Illusion? was ist das wieder für ein Ding?
ZIERAU.
Es ist die Täuschung.
BÜRGERMEISTER.
Tausch willst du sagen.
ZIERAU.

Ei Papa! Sie sehen das Ding immer als Kaufmann an, darum mag ich mich mit Ihnen darüber nicht einlassen. Es gibt gewisse Regeln für die Täuschung, das ist, für den sinnlichen Betrug, da ich glaube das wirklich zu sehen, was mir doch nur vorgestellt wird.

BÜRGERMEISTER.

So? und was sind denn das für Regeln? Das ist wahr, ich denke immer dabei, das wird nur so vorgestellt.

ZIERAU.

Ja, aber das müssen Sie nicht mehr denken, wenn das Stück nur mittelmäßig sein soll. Zu dem Ende sind gewisse Regeln festgesetzt worden, außer welchen dieser [177] sinnliche Betrug nicht statt findet, dahin gehören vornehmlich die so sehr bestrittenen drei Einheiten, wenn nämlich die ganze Handlung nicht in Zeit von vier und zwanzig Stunden aufs höchste an einem bestimmten Orte geschieht, so kann ich sie mir nicht wohl denken und da geht denn das ganze Vergnügen des Stücks verloren.

BÜRGERMEISTER.

Wart! hm! das will ich doch heut examinieren, ich begreif, ich fang an zu begreifen, drei Einheiten, das ist so viel als dreimal eins. Und zweimal vier und zwanzig Stunden darf das ganze Ding nur währen? wie aber, was? es hat ja sein Tag noch nicht so lang gewährt.

ZIERAU.

Ja Vater! das ist nun wieder ein ganz ander Ding, ich muß mir einbilden, daß es nur vier und zwanzig Stunden gewährt hat.

BÜRGERMEISTER.

Na gut, gut, so will ich mir's einbilden – willst du nicht mitkommen? ich will doch das Ding heut einmal untersuchen, und verstehn sie mir ihre Sachen nicht, so sollen die Kerls gleich aus der Stadt. Ab.

3. Szene
Dritte Szene
Zierau im Schlafrock, wirft die Violine auf den Tisch.

ZIERAU.

Langeweile! Langeweile! – O Naumburg, was für ein Ort bist du? Kann man sich doch auf keine gescheite Art amüsieren, es ist unmöglich, purplatt unmöglich. Wenn ich Toback rauchen könnte und Bier trinken – pfui Teufel! und bei den Mädchens find ich auch nichts mehr – ich habe zu viel gelebt – was hab ich? ich habe zu wenig – ich bin nichts mehr. Wenn ich nur mein Buch zu Ende hätte, meine Goldwelt, wahrhaftig, ich macht's wie der Engelländer und schöß mich vorn Kopf. Das hieß' doch auf eine eklatante Art beschlossen – und würd auch meinem Buche mehr Ansehn geben – Hm! wenn ich [178] nur – ich habe noch nie eine losgeschossen – und wenn ich zitterte und verfehlte wie der junge Brandrecht – O wenn's lange währt, Desperation! so hast du mich. Wirft sich aufs Bette.


Der Bürgermeister tritt herein mit aufgehobenem Stock.
BÜRGERMEISTER.

Luderst du noch hier? Wart, ich will dir die drei Einheiten und die vier und dreißig Stunden zurückgeben Schlägt ihn. den Teufel auf deinen Kopf. Ich glaube, du ennuyierst dich, ich will dir die Zeit vertreiben. Tanzt mit ihm um die Stube herum.

ZIERAU.
Papa, was fehlt Ihnen, Papa?
BÜRGERMEISTER.

Du Hund! willst du ehrlichen Leuten ihr Pläsier verderben? Meinen ganzen Abend mir zu Gift gemacht, und ich hatte mich krumm geschrieben im Comptoir, da kommt so ein h-föttischer Tagdieb und sagt mir von dreimaleins und schöne Natur, daß ich den ganzen Abend da gesessen bin wie ein Narr, der nicht weiß, wozu ihn Gott geschaffen hat. Gezählt und gerechnet und nach der Uhr gesehen Schlägt Ihn. ich will dich lehren mir Regeln vorschreiben, wie ich mich amüsieren soll.

ZIERAU.
Papa, was kann ich denn dafür?
BÜRGERMEISTER.

Ja freilich kannst du dafür, räsonniere nicht. Ich seh, der Junge wird faul, daß er stinkt, sonst las er doch noch, sonst tat er, aber itzt – die Stell an der Pforte wollt er auch nicht annehmen, da war der Herr zu kommod zu, oder zu vornehm, was weiß ich? oder vielleicht, weil da die dreimal drei nicht beobachtet, wart, ich will dich bedreimaldreien. Du sollst mir in mein Comptoir hinein, Geschmackshöker! dich krumm und lahm schreiben, da soll dir das Püppelspiel schon drauf schmecken. Hab ich in meinem Leben das gehört, ich glaube, die junge Welt stellt sich noch zuletzt auf den Kopf für lauter schöner Natur. Ich will euch kuranzen, ich will euch's Collegia über die schöne Natur lesen, wart nur!

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TextGrid Repository (2012). Lenz, Jakob Michael Reinhold. Dramen. Der neue Menoza. Der neue Menoza. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E3CF-1