[37] III. An Angelo Mai, als er Cicero's Bücher vom Staate wiederentdeckt hatte.

(1820.)


Wirst du nicht müde, kühner Italer,
Die Ahnen aus den Grüften
Zu wecken, daß sie mächt'ge Reden führen
Mit dieser todten Zeit, da rings in Lüften
Der Trägheit Nebel schwebt? Und wie berühren
Jetzt unser Ohr so oft und inhaltschwer
Die Stimmen unsrer Alten,
Die uns so lang verstummt? Warum erstehen
Sie alle wieder? Früchte plötzlich tragen
Die Blätter. Staub'ge Klöster geben her,
Was sie verwahrt gehalten,
Und die verscholl'nen heil'gen Worte gehen
Von Neuem um. Krönt das Geschick dein Wagen,
Du wackrer Italer? Wie, oder wird
Ein Mannesmuth vom Schicksal nicht beirrt?
Gewiß nur nach erhabnem Götterwillen
Geschieht's, daß, da in schlimme
Vergessenheit wir schwer wie nie versenkt,
Von Neuem stets der großen Väter Stimme
Uns aufzurütteln kommt. Noch also denkt
Ein Gott Italiens, noch ward uns nicht ganz
Des Himmels Huld entrissen,
Daß, da nur diese Stund' und keine mehr
Uns bleibt, Italiens Tugenden zu reinen
Vom Rost, der lang verdunkelt ihren Glanz,
Dem Ruf wir lauschen müssen
Aus Gräbernacht und schau'n die Wiederkehr
Der Helden, die der Erd' entstiegen scheinen
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Nur um zu forschen, ob du noch willst säumen,
Mein Vaterland, und feig die Zeit verträumen.
Gabt ihr uns wirklich, ihr Erlauchten, noch
Nicht völlig auf? Wir wären
Nicht ganz verloren? Euch vielleicht ist klar,
Was kommen soll. Doch wie soll ich des schweren
Grams mich entschlagen? Dunkel ganz und gar
Ist mir die Zukunft; was ich rings muß sehen,
Macht Hoffnung allerort
Zu eitlem Wahn. Ihr Trefflichen, auf euern
Wohnstätten haus't verhöhnt, in schmutz'ger Blöße
Ein niedres Volk, und eure Enkel gehen
An edlem Werk und Wort
Mit Hohn vorbei. Nicht kann sie mehr befeuern
Eu'r ew'ger Ruhm. Denkmäler eurer Größe
Umgiebt ein träger Sumpf, und aller Zeit
Sind wir ein Muster der Erbärmlichkeit.
Du edler Geist, da jetzt kein Andrer mehr
Gedenkt der hohen Ahnen,
Sei du ihr Hüter, den des Schicksals Macht
Huldvoll gewürdigt hat, uns zu gemahnen
Der Tage, wo aus des Vergessens Nacht
Ihr Haupt erhoben jene heil'gen Schatten
Sammt den begrabnen Rollen,
Die hohen Alten, denen die Natur
Noch unter Schleiern sprach, wie sie Athen
Und Rom die Feierzeit verschönert hatten.
O Zeiten, längst verschollen!
Noch droht' Italiens Fall von weitem nur;
Noch galt bei uns für schimpflich Müssiggehn;
Noch raubte da der Lüfte frischer Odem
Im Fluge Funken unserm Heimathboden!
Noch warm war damals deine heil'ge Asche,
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Du, dessen Sinn, den hohen,
Kein Unglück beugte, der in Grimm und Gram
Aus dieser Welt zur Hölle gern geflohen.
Und ist denn auch ein Höllenkreis so schlimm,
Wie unser Land? – Und deine sanften Saiten
Erklangen schwirrend noch
Vom Spiele deiner Hand, du unglücksel'ger
Sänger der Liebe. Ach, dem Schmerz entspringt
Italischer Sang! Und mindre Qual bereiten
Die schwersten Leiden doch,
Als dieser Ekel, der uns lähmt. Du Sel'ger,
Dem Weinen Leben hieß! Doch uns bezwingt
Früh schon der Ekel; starren Angesichts
Sitzt neben uns an Wieg' und Gruft das Nichts.
Doch damals lebtest du mit Meer und Sternen,
Kühner Ligurersprosse,
Als jenseits du der Säulen und der Küsten,
Wo, wenn die Sonn' erlischt im Meeresschooße,
Man zischen hört die Flut, den Wasserwüsten
Dich anvertrauend, wiederfandst den Glanz
Der Sonne, die vergangen,
Den Tag, der aufglüht, wenn er uns entschwand,
Und trotzend jedem Hemmniß der Natur
Entdecker wurdest unermessnen Lands,
Glorreicher Lohn der bangen
Ausfahrt und Heimkehr. Ach, je mehr erkannt,
Je kleiner wird die Welt; die Erdenflur,
Das Meer, der Klang der Sphären, – mehr erhaben,
Als jedem Weisen, dünken sie dem Knaben.
Wo sind die holden Träume nun von jener
Geheimen Zufluchtstätte
Uns unbekannter Siedler, von dem Ort,
Wo über Tag die Sterne ruhn, dem Bette
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Der jungen Eos und dem Ruheport,
Wo Nachts verborgen schläft das Weltgestirn?
Mit Eins sind sie geschwunden;
Nun zeigt ein kleines Blatt das Bild der Welt.
Nun gleicht sich Alles, und die Forschung weitet
Das Nichts nur aus. Dich scheucht von unsrer Stirn
Die Wahrheit, kaum gefunden,
O holde Phantasie! Das Denken hält
Sich fern von dir auf immer und bestreitet
Die Macht dir mehr und mehr, die wundersame,
Daß jeder Trost nun schwand in unserm Grame.
Da kamst du, Mann der holden Träume; hell
Erglänzte dir die Sonne,
Der du so süß von Waffen sangst und Liebe,
Wie sie die Welt, einst minder arm an Wonne,
Erfüllt mit selig irrendem Getriebe.
Italiens neuer Stern! O Thürme, Zellen,
O Ritter, schöne Frauen,
O Gärten, o Paläste! Denk' ich euer,
Verliert in tausend bunte Lieblichkeiten
Die Seele sich. Aus eitlem Tand, aus hellen
Märchen voll Lust und Grauen
Bestand das Leben. All die Abenteuer
Verbannten wir. Was bleibt nun unsern Zeiten,
Die ihren Lenz verloren? Ach, wir wissen
Nur Eines sicher: daß wir leiden müssen.
Uns, o Torquato, ward dein hoher Geist
Vom Himmel da beschieden;
Dein eigen Theil sind Thränen nur gewesen.
Unglücklicher Torquato! Nicht zum Frieden
Half dir dein süßes Lied, nicht konnt' es lösen
Den Frost, der deines Herzens warmen Strom,
So freudig einst geschwellt,
[41]
Vereis't, durch Haß und schnöde Mißgunst. Liebe,
Liebe, des Lebens letzte Täuschung, ach,
Verließ dich auch. Ein wesenhaft Phantom
Schien dir das Nichts, die Welt
Ein öder Strand. Dein Auge, todestrübe,
Sah nicht die späten Ehren. Daß es brach,
War Wohlthat. Wer der Menschen Elend ganz
Begriff, ersehnt den Tod nur, keinen Kranz.
O kehr uns wieder, steig aus deiner stummen,
Trostlosen Gruft, wenn immer
An Leid du noch dich weidest, mitleidwerthes
Vorbild des Unglücks. Noch unsäglich schlimmer,
Als dein von jeder Qual und Noth zerstörtes,
Ist unser Menschendasein. Wo noch flösse
Dir eine Thräne, Lieber,
Da Jeden nur sein eigen Loos bewegt?
Wer hieße Thorheit nicht die Pein, in der
Du tödlich rangst, da jede seltne Größe
Gilt als ein tolles Fieber,
Und nicht mehr Neid, nein, was sich schwerer trägt,
Gleichgültigkeit die Größten trifft? O wer,
Heut da nicht Verse, Zahlen nur beglücken,
Wer würde jetzt dich mit dem Lorbeer schmücken!
Seit deinen Tagen, unglücksel'ger Geist,
Kam Einer nur, des Ruhms
Italischen Namens würdig, nur der Eine,
Zu gut für diese Zeit des Memmenthums,
Ein trutziger Allobroger, dem seine
Männliche Kraft der Himmel selbst verliehen,
Nicht diese Erde, siech
Und unfruchtbar. Allein und unbewehrt –
O herrlich Wagniß! – gegen die Tyrannen
Wollt' auf den Brettern er zu Felde ziehen.
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O gönnt uns diesen Krieg,
Dies Scheingefild zum Kampf, wenn feindlich gährt
Die kranke Welt! Wir sahn ihn sich ermannen,
Zuerst und einsam; Keiner folgt' ihm nach.
Versunken blieb sein Land in stumme Schmach.
In knirschender Verachtung lebt' er hin
Sein fleckenloses Leben,
Und Tod bewahrt' ihn, Schlimmres noch zu schauen.
Nein, mein Vittorio, günstig deinem Streben
War weder Zeit noch Ort. In diesen Gauen
Kann Hochsinn fürder nicht gedeihn. Im Hafen
Ruhn träge wir, ergeben
In Mittelmäßigkeit. Der Pöbel stieg
Empor, der Weise sank; Nichts wird bewundert,
Platt ward die Welt. – Da die Lebend'gen schlafen,
Erweck zu neuem Leben
Die Todten, hoher Forscher! Hilf zum Sieg
Den alten Helden, daß dies Kothjahrhundert
Empor sich raffe und Begeistrung trinke
Zu edler That, wo nicht, in Scham versinke!

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TextGrid Repository (2012). Leopardi, Giacomo. Lyrik. Gesänge. 3. An Angelo Mai. 3. An Angelo Mai. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E424-6