XXII. Erinnerungen.

(1831.)


Ihr schönen Siebensterne, nimmer glaubt' ich,
Daß ich euch wieder so begrüßen würde,
Hoch über meines Vaters Garten funkelnd,
Und Zwiesprach mit euch halten aus den Fenstern
Des Hauses, drin ich schon als Kind gewohnt
Und meiner Freuden frühes Ende sah.
Wie viele Bilder einst, wie viele Märchen
Schuf mir im stillen Innern euer Anblick
Und eurer leuchtenden Gefährten, damals,
Als wortlos ich auf grüner Scholle sitzend
Die halben Nächte zu verbringen pflegte
Gen Himmel blickend und dem fernen Ruf
Der Frösche lauschend draußen in der Ebne.
Und an den Hecken, auf den Fluren hin
Schweifte der Glühwurm, säuselten im Nachtwind
Die duft'gen Laubengäng' und die Cypressen
Im Walde dort, und aus dem Vaterhaus
Erklangen Wechselreden und der Diener
Gelassnes Treiben. Wie unendliche
Gedanken, wie viel süße Träume hauchte
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Das ferne Meer mir zu, die blauen Berge,
Die hier mein Blick erreicht und die ich einst
Zu überschreiten hoffte, neue Welten,
Ein neues Glück verheißend meinem Dasein.
Nicht kannt' ich mein Geschick und wußte nicht,
Wie oft ich dies mein leidvoll ödes Leben
Gern würde tauschen mögen mit dem Tod!
Weissagte doch mein Herz mir nicht, ich sei
Verdammt, die grüne Jugend hinzuzehren
Hier in der wilden Heimath, unter Menschen,
Die roh und niedrig, denen Wissenschaft
Und Weisheit fremde Namen, oft ein Anlaß
Zu Spott und Lachen, die mich fliehn und hassen.
Doch nicht aus Neid, da sie nicht höher mich
Erachten, als sich selbst: nur weil sie meinen,
Ich dünk' es selbst mir insgeheim, obwohl ich
Nach außen mir's vor Niemand merken ließ'.
Hier bring' ich meine Jahre hin, verlassen,
Verborgen, fern von Lieb' und Leben, muß
Im Schwarm Mißwollender zuletzt verhärten,
Mich aller Mild' und Tugenden entwöhnen
Und zum Verächter noch der Menschen werden
Durch diese Horde! Und indeß enteilt
Die theure Jugendzeit, die theurer ist,
Als Ruhm und Lorbeer, theurer als das Licht
Des Tages und des Athems Hauch; so nutzlos,
Ohn' irgend eine Lust verlier' ich dich
An diesem Ort unmenschlich öder Qual,
O du, des dürren Lebens einz'ge Blüte!
Der Wind trägt mir den Klang der Stunde zu
Vom Glockenthurm des Städtchens. Wohl gedenk' ich,
Wie dieser Klang mir Trost war in den Nächten,
Wenn ich als Knab' in meinem dunklen Zimmer,
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Umlagert rings von Schrecken, wachend lag
Und nach dem Morgen seufzte. Alles rings,
Was ich nur seh' und höre, bringt ein Bild mir
Zurück und weckt ein süß Erinnern auf,
Süß in sich selbst; doch mischt sich schmerzlich ein
Der Gegenwart Gefühl, vergebne Sehnsucht
Nach alter Zeit und der Gedank': ich war!
Dort der Altan, der nach den letzten Strahlen
Der Sonne blickt, – hier die bemalten Wände,
Die Heerdenbilder und der Sonnenaufgang
Über dem öden Feld: in meiner Muße
Wie freuten sie mich tausendfach, da noch
Mein übermächt'ger Wahn mir schmeichelnd nah war,
Wo ich nur weilte. Diese alten Säle,
Wenn hell der Schnee hereinschien und der Wind
Um ihre weiten Fenster pfeifend schnob,
Erdröhnten vom Gelächter und Gelärm
Des Knaben, zu der Zeit, da noch das herbe,
Arglist'ge Weltgeheimniß uns so süß
Entgegenblickt, da noch der Jüngling, wie
Ein unerfahrner Liebender, sein Leben
Gleich einer ersten Liebe hätscheln mag,
Von selbsterträumter Himmelsschöne trunken.
O all ihr Hoffnungen, du holder Trug
Der Jugendtage! Immer kehrt die Seele
Zu euch zurück. Denn wie die Zeit auch eilt,
Wie sich Gedanken und Gefühle wandeln,
Niemals vergess' ich euch! Trugbilder, weiß ich,
Sind Ruhm und Ehre; Glück und Wonne nur
Ein eitler Wunsch; das unfruchtbare Leben
Ein nutzlos Elend. Dennoch, ob auch leer
All meine Jahre, dunkel und verödet
Mein sterblich Dasein, raubt das Glück – wohl seh' ich
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Es ein – mir wenig nur. Doch ach, so oft ich
An euch, ihr Jugendhoffnungen, gedenke,
An das, was einst so hold mir vorgeschwebt,
Und dann mein jammervoll armselig Leben
Erwäg', und daß von so viel schöner Hoffnung
Der Tod allein mir heut noch übrig bleibt:
Krampft sich mein Herz zusammen, und mir ist,
Als gäb' es keinen Trost für solch ein Schicksal.
Und wenn nun dieser oft erflehte Tod
Mir nahetritt und ich am letzten Ziel
All meines Unglücks stehe, wenn die Erde
Ein fremdes Thal mir wird und meinem Blick
Die Zukunft schwindet: euer dann gewiß
Werd' ich gedenken, euer Bild wird mich
Den letzten Seufzer kosten, bitter mahnend,
Daß ich umsonst gelebt, und in die Süße
Des schicksalvollen Tags mir Wermuth träufeln.
O, schon im ersten stürmischen Jugenddrang
Der Freuden, Aengsten und Begierden rief ich
Den Tod so manches Mal und konnte lang'
Drauß an der Quelle sitzend drüber brüten,
Ob ich nicht besser thäte, Schmerz und Hoffnung
In ihrer Flut zu stillen. Dann, durch schleichend
Siechthum gerissen an den Rand des Grabes,
Weint' ich um meine schöne Jugend, um
Der armen Tage Flor, der schon so früh
Hinwelkt'; und manchen Abend, wenn ich traurig
Auf meinem Bette, dem vertrauten, saß
Und bei dem trüben Lämpchen dichtete,
Klagt' ich im Einklang mit der nächt'gen Stille
Um meinen flücht'gen Geist und sang mir selbst,
Als schwänd' ich scheidend hin, das Todtenlied! –
Wer kann an euch gedenken ohne Seufzen,
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O erster Jugendaufgang, o ihr schönen,
Ihr unaussprechlich holden Tage, wenn
Dem sel'gen Sterblichen ein Mädchenlächeln
Zuerst entgegenglänzt! Rings in die Wette
Lacht ihn das Alles an; es schweigt der Neid,
Noch schlummernd, oder schonend; und die Welt –
O seltnes Wunder! – scheint dem Unerfahrnen
Die Hand zu seiner Hülfe darzubieten,
Entschuldigt sein Verirren, feiert Feste
Dem neuen Lebensantritt und empfängt ihn
Und schmeichelt täuschend ihm als ihrem Herrn.
Die flücht'gen Tage! Wie ein Wetterleuchten
Sind sie verweht. Und welcher Sterbliche
Weiß noch vom Unglück nichts, dem schon die holde
Jahrszeit entschwunden, seine gute Zeit,
Dem schon die Jugend, ach, die Jugend auslosch!
Und du, Nerina! Reden mir nicht auch
Von dir all diese Stätten? Wie? Du wärst
Mir aus dem Sinn geschwunden? Wohin gingst du,
Daß ich hier einzig nur dein Angedenken
Noch finde, Süßeste? Ach, deine Heimath
Erblickt dich nimmer; jene Fenster dort,
Wo du mit mir geplaudert, drinnen jetzt
Sich nur so trüb der Strahl der Sterne spiegelt,
Ist leer. Wo bist du, daß ich deine Stimme
Nicht tönen höre, wie in jener Zeit,
Wo jeder ferne Laut von deinen Lippen,
Der zu mir drang, das Blut mir aus der Wange
Zum Herzen trieb? Vorbei! Vergangen ist
Dein Dasein, süßes Lieb; vergangen bist du.
Nun kommt's an Andre, durch die Welt zu wandeln
Und diese duft'gen Hügel zu bewohnen.
O, rasch vergingst du, und dein Leben war
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Nur wie ein Traum! Als du dort tanztest, glänzte
Die Lust dir an der Stirn, glänzt' in den Augen
Die ahnungsvolle Zuversicht, das Licht
Der Jugend, – da verlöscht' es das Geschick,
Und stille lagst du. Ach, Nerina, immer
Herrscht noch in mir die alte Liebe. Oft
Bei Festen, in Gesellschaft sprech' ich heimlich
Zu mir: O nicht zu Tanz und Festen mehr,
Nerina, schmückst du und gesellst du dich! –
Und wenn der Mai kommt, grüne Zweig' und Lieder
Verliebte Knaben ihren Mädchen bringen,
Sag' ich: Nerina, nimmer kehrt für dich
Der Frühling wieder, nie die Liebe wieder!
An jedem heitern Tag, bei jeder Flur
Voll Blumen, jeder Freude, die ich fühle,
Sag' ich mir: Ach, Nerina freut sich nimmer,
Sieht Erd' und Himmel nicht! – Du gingst dahin,
Mein ew'ger Seufzer, gingst dahin! und mir
Bleibt treu gesellt bei allen lieblichen
Gefühlen, allem Süßen, Trüben, Theuren,
Was mich bewegt, ein herbes Angedenken!

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TextGrid Repository (2012). Leopardi, Giacomo. Lyrik. Gesänge. 22. Erinnerungen. 22. Erinnerungen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E466-3