Gotthold Ephraim Lessing
D. Faust

[487]

[I]

[Dritte Szene des zweiten Aufzugs]
Faust und sieben Geister.

FAUST.
Ihr? Ihr seid die schnellesten Geister der Hölle?
DIE GEISTER ALLE.
Wir.
FAUST.
Seid ihr alle sieben gleich schnell?
DIE GEISTER ALLE.
Nein.
FAUST.
Und welcher von euch ist der Schnelleste?
DIE GEISTER ALLE.
Der bin ich!
FAUST.
Ein Wunder! daß unter sieben Teufel nur sechs Lügner sind. – Ich muß euch näher kennen lernen.
DER ERSTE GEIST.
Das wirst du! Einst!
FAUST.
Einst! Wie meinst du das? Predigen die Teufel auch Buße?
DER ERSTE GEIST.
Ja wohl, den Verstockten. – Aber halte uns nicht auf.
FAUST.
Wie heißest du? Und wie schnell bist du?
DER ERSTE GEIST.
Du könntest eher eine Probe, als eine Antwort haben.
FAUST.
Nun wohl. Sieh her; was mache ich?
DER ERSTE GEIST.
Du fährst mit deinem Finger schnell durch die Flamme des Lichts –
FAUST.

Und verbrenne mich nicht. So geh auch du, und fahre siebenmal eben so schnell durch die Flammen der Hölle, und verbrenne dich nicht. – Du verstummst? Du bleibst? – So prahlen auch die Teufel? Ja, ja; keine Sünde ist so klein, daß ihr sie euch nehmen ließet. – Zweiter, wie heißest du?

DER ZWEITE GEIST.
Chil; das ist in eurer langweiligen Sprache: Pfeil der Pest.
FAUST.
Und wie schnell bist du?
DER ZWEITE GEIST.
Denkest du, daß ich meinen Namen vergebens führe? – Wie die Pfeile der Pest.
[487]
FAUST.
Nun so geh, und diene einem Arzte! Für mich bist du viel zu langsam. – Du Dritter, wie heißest du?
DER DRITTE GEIST.
Ich heiße Dilla; denn mich tragen die Flügel der Winde.
FAUST.
Und du Vierter? –
DER VIERTE GEIST.
Mein Name ist Jutta, denn ich fahre auf den Strahlen des Lichts.
FAUST.
O ihr, deren Schnelligkeit in endlichen Zahlen auszudrücken, ihr Elenden –
DER FÜNFTE GEIST.

Würdige sie deines Unwillens nicht. Sie sind nur Satans Boten in der Körperwelt. Wir sind es in der Welt der Geister; uns wirst du schneller finden.

FAUST.
Und wie schnell bist du?
DER FÜNFTE GEIST.
So schnell als die Gedanken des Menschen.
FAUST.

Das ist etwas! – Aber nicht immer sind die Gedanken des Menschen schnell. Nicht da, wenn Wahrheit und Tugend sie auffordern. Wie träge sind sie alsdenn! – Du kannst schnell sein, wenn du schnell sein willst: aber wer steht mir dafür, daß du es allezeit willst? Nein, dir werde ich so wenig trauen, als ich mir selbst hätte trauen sollen. Ach! – Zum sechsten Geiste. Sage du, wie schnell bist du? –

DER SECHSTE GEIST.
So schnell als die Rache des Rächers.
FAUST.
Des Rächers? Welches Rächers?
DER SECHSTE GEIST.

Des Gewaltigen, des Schrecklichen, der sich allein die Rache vorbehielt, weil ihn die Rache vergnügte. –

FAUST.

Teufel! du lästerst, denn ich sehe, du zitterst. – Schnell, sagst du, wie die Rache des – Bald hätte ich ihn genennt! Nein, er werde nicht unter uns genennt! – Schnell wäre seine Rache? Schnell? – Und ich lebe noch? Und ich sündige noch? –

DER SECHSTE GEIST.
Daß er dich noch sündigen läßt, ist schon Rache!
FAUST.

Und daß ein Teufel mich dieses lehren muß! – Aber doch erst heute! Nein, seine Rache ist nicht schnell, und wenn du nicht schneller bist als seine Rache, so geh nur. Zum siebenden Geiste. – Wie schnell bist du?

DER SIEBENDE GEIST.
Unzuvergnügender Sterbliche, wo auch ich dir nicht schnell genug bin – –
[488]
FAUST.
So sage; wie schnell?
DER SIEBENDE GEIST.
Nicht mehr und nicht weniger, als der Übergang vom Guten zum Bösen. –
FAUST.

Ha! du bist mein Teufel! So schnell als der Übergang vom Guten zum Bösen! – Ja, der ist schnell; schneller ist nichts als der! – Weg von hier, ihr Schnecken des Orcus! Weg! – Als der Übergang vom Guten zum Bösen! Ich habe es erfahren, wie schnell er ist! Ich habe es erfahren! etc. – –

[II]

Vorspiel

In einem alten Dome. Der Küster und sein Sohn, welche eben zu Mitternacht geläutet, oder läuten wollen.

Die Versammlung der Teufel, unsichtbar auf den Altaren sitzend und sich über ihre Angelegenheiten beratschlagend. Verschiedne ausgeschickte Teufel erscheinen vor dem Beelzebub, Rechenschaft von ihren Verrichtungen zu geben. Einer der eine Stadt in Flammen gesetzt. Ein andrer der in einem Sturme eine ganze Flotte begraben. Werden von einem dritten verlacht, daß sie sich mit solchen Armseligkeiten abgegeben. Er rühmt sich einen Heiligen verführt zu haben; den er beredet, sich zu betrinken, und der im Trunke einen Ehebruch und einen Mord begangen. Dieses gibt Gelegenheit von Fausten zu sprechen, der so leicht nicht zu verführen sein möchte. Dieser dritte Teufel nimmt es auf sich, und zwar ihn in vier und zwanzig Stunden der Hölle zu überliefern.

Itzt, sagt der eine Teufel, sitzt er noch bei der nächtlichen Lampe, und forschet in den Tiefen der Wahrheit.

Zu viel Wißbegierde ist ein Fehler; und aus einem Fehler können alle Laster entspringen, wenn man ihm zu sehr nachhänget.

Nach diesem Satze entwirft der Teufel, der ihn verführen will, seinen Plan.

[489]

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Dauer des Stücks, von Mitternacht zu Mitternacht.
Faust unter seinen Büchern bei der Lampe. Schlägt sich mit verschiednen Zweifeln aus der scholastischen Weltweisheit. Erinnert sich, daß ein Gelehrter den Teufel über des Aristoteles Entelechie zitieret haben soll. Auch er hat es schon vielfältigemal versucht, aber vergebens. Er versucht es nochmals; eben ist die rechte Stunde, und lieset eine Beschwörung.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Ein Geist steigt aus dem Boden, mit langem Barte, in einen Mantel gehüllet.

GEIST.
Wer beunruhiget mich? Wo bin ich? Ist das nicht Licht, was ich empfinde?
FAUST
erschrickt, fasset sich aber, und redet den Geist an.
Wer bist du? Woher kömmst du? Auf wessen Befehl erscheinest du?
GEIST.

Ich lag und schlummerte und träumte, mir war nicht wohl nicht übel; da rauschte, so träumte ich, von weitem eine Stimme daher; sie kam näher und näher; Bahall! Bahall! hörte ich, und mit dem dritten Bahall, stehe ich hier!

FAUST.
Aber, wer bist du?
GEIST.

Wer ich bin? Laß mich besinnen! Ich bin – ich bin nur erst kürzlich was ich bin. Dieses Körpers, dieser Glieder, war ich mir dunkel bewußt; itzt etc.

FAUST.
Aber wer warst du?
GEIST.
Warst du?
FAUST.
Ja; wer warst du sonst, ehedem?
GEIST.
Sonst? ehedem?
FAUST.

Erinnerst du dich keiner Vorstellungen, die diesem gegenwärtigen, und jenem deinem hinbrütenden Stande vorhergegangen? –

[490]
GEIST.

Was sagst du mir? Ja, nun schießt es mir ein – Ich habe schon einmal ähnliche Vorstellungen gehabt. Warte, warte, ob ich den Faden zurückfinden kann.

FAUST.
Ich will dir zu helfen suchen. Wie hießest du?
GEIST.
Ich hieß – Aristoteles. Ja, so hieß ich. Wie ist mir?

Er tut als ob er sich nun völlig erinnerte und antwortet dem Faust auf seine spitzigsten Fragen. Dieser Geist ist der Teufel selbst, der den Faust zu verführen unternommen.

Doch, Sagt er endlich. ich bin es müde, meinen Verstand in die vorigen Schranken zurück zu zwingen. Von allem, was du mich fragest, mag ich nicht länger reden, als ein Mensch, und kann nicht mit dir reden als ein Geist. Entlaß mich; ich fühl es, daß ich wieder entschlummre etc.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Er verschwindet, und Faust voller Erstaunen und Freude, daß die Beschwörung ihre Kraft gehabt, schreitet zu einer andern, einen Dämon heraufzubringen.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
EIN TEUFEL
erscheinet.
Wer ist der Mächtige, dessen Rufe ich gehorchen muß! Du?
Ein Sterblicher? Wer lehrte dich diese gewaltige Worte?

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Lessing, Gotthold Ephraim. Dramenfragmente. D. Faust. D. Faust. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E6CC-D