Gotthold Ephraim Lessing
Briefe,
die neueste Literatur
betreffend

[30]

Erster Teil

1759

Einleitung

Der Herr von N.** ein verdienter Officier, und zugleich ein Mann von Geschmack und Gelehrsamkeit, ward in der Schlacht bei Zorndorf verwundet. Er ward nach Fr** gebracht, und seine Wundärzte empfohlen ihm nichts eifriger, als Ruhe und Geduld. Langeweile und ein gewisser militärischer Ekel vor politischen Neuigkeiten, trieben ihn, bei den ungern verlassenen Musen eine angenehmere Beschäftigung zu suchen. Er schrieb an einige von seinen Freunden in B** und ersuchte sie, ihm die Lücke, welche der Krieg in seine Kenntnis der neuesten Literatur gemacht, ausfüllen zu helfen. Da sie ihm unter keinem Vorwande diese Gefälligkeit abschlagen konnten, so trugen sie es dem Herrn Fll. auf, sich der Ausführung vornehmlich zu unterziehen.

Wie mir, dem Herausgeber, die Briefe, welche daraus entstanden, in die Hände geraten, kann dem Publico zu wissen oder nicht zu wissen, sehr gleichgültig sein. Ich teile sie ihm mit, weil ich glaube, daß sie manchem sowohl von dem schreibenden, als lesenden Teile der sogenannten Gelehrten, nützlich sein können.

Ihre Anzahl ist bereits beträchtlich, ob sie gleich ihren Anfang nur vor drei oder vier Monaten können gehabt haben. Sie werden auch hoffentlich bis zur Wiederherstellung des Herrn von N.** fortgesetzt werden.

Ich habe völlige Gewalt sie drucken zu lassen, wie und wenn ich will. Der Verleger meinte, daß es am füglichsten [30] wöchentlich geschehen könnte; und ich lasse ihm seinen Willen.

O.

I. Den 4 Jenner 1759
Erster Brief

Etwas werden Sie freilich nachzuholen haben; aber nicht viel. Die zwei gefährlichen mühsamen Jahre, die Sie der Ehre, dem Könige und dem Vaterlande aufopfern müssen, sind reich genug an Wundern, nur nicht an gelehrten Wundern gewesen. Gegen hundert Namen, – und hundert sind noch zu wenig – die alle erst in diesem Kriege als Namen verdienstvoller Helden bekannt geworden; gegen tausend kühne Taten, die vor Ihren Augen geschahen, an welchen Sie Teil hatten, die zu Quellen der unerwartesten Veränderungen wurden, – kann ich Ihnen auch nicht ein einziges neues Genie nennen, kann ich Ihnen nur sehr wenige Werke schon bekannter Verfasser anführen, die mit jenen Taten der Nachwelt aufgehalten zu werden verdienten.

Es gilt dieses von uns Deutschen vor allen andern. Zwar hat der Krieg seine blutigste Bühne unter uns aufgeschlagen, und es ist eine alte Klage, daß das allzunahe Geräusch der Waffen, die Musen verscheucht. Verscheucht es sie nun aus einem Lande, wo sie nicht recht viele, recht feurige Freunde haben, wo sie ohnedem nicht die beste Aufnahme erhielten, so können sie auf eine sehr lange Zeit verscheucht bleiben. Der Friede wird ohne sie wieder kommen; ein trauriger Friede, von dem einzigen melancholischen Vergnügen begleitet, über verlorene Güter zu weinen.

Ich rufe Ihre Blicke aus dieser finstern Aussicht zurück. Man muß einem Soldaten sein unentbehrliches Geschäft durch die bejammernswürdigen Folgen desselben nicht verleiden.

Lieber will ich Sie und mich mit dem süßen Traume unterhalten, daß in unsern gesittetern Zeiten der Krieg nichts als ein blutiger Prozeß unter unabhängigen Häuptern ist, der [31] alle übrige Stände ungestöret läßt, und auf die Wissenschaften weiter keinen Einfluß hat, als daß er neue Xenophons, neue Polybe erwecket. Lieber will ich für Sie auch die leichtesten Spuren der unter uns noch wandelnden Musen aufsuchen, und ihnen bis in die glücklichern Reiche nachspüren, aus welchen sie, nicht längst, einen kürzern Weg zu uns gefunden zu haben scheinen.

Die Umstände, unter welchen Sie diese Arbeit von mir verlangen, machen sie mir zu einem Vergnügen, auf welches ich stolz zu sein Ursache habe. Kann sich derjenige weigern, Ihre Schmerzen durch kleine Zerstreuungen zu lindern, der Sie gern mit Ihnen geteilt hätte? etc.

Fll.

Zweiter Brief

Wenigstens ist die Gelehrsamkeit, als ein Gewerbe, unter uns in noch ganz leidlichem Gange. Die Meßverzeichnisse sind nicht viel kleiner geworden; und unsere Übersetzer arbeiten noch frisch von der Faust weg.

Was haben sie nicht schon alles übersetzt, und was werden sie nicht noch übersetzen! Eben itzt habe ich einen vor mir, der sich an einen englischen Dichter – raten Sie einmal an welchen! – gemacht hat. O Sie können es doch nicht erraten! – An Popen. 1

Und in Prosa hat er ihn übersetzt. Einen Dichter, dessen großes, ich will nicht sagen größtes, Verdienst in dem war, was wir das Mechanische der Poesie nen nen; dessen ganze Mühe dahin ging, den reichsten, triftigsten Sinn in die wenigsten, wohlklingendsten Worte zu legen; dem der Reim keine Kleinigkeit war – einen solchen Dichter in Prosa zu übersetzen, heißt ihn ärger entstellen, als man den Euklides entstellen würde, wenn man ihn in Verse übersetzte.

Es war auch ein bloßer Buchhändlereinfall; wie der Übersetzer selbst gestehet. Und was geht es diesem an, womit jener ihn Geld verdienen läßt, und selbst Geld zu verdienen [32] denket? Freilich sollte so ein blindlingsgefälliges Werkzeug eine bescheidenere Sprache führen, als unser Übersetzer des Pope führet. Er sollte nicht sagen: »Ich habe mir eingebildet, meinen Dichter völlig zu verstehen, und mich darauf verlassen, daß meine eigene kleine Dichtergabe, so geringe sie auch sein mag, mir zu Hülfe kommen würde, das Verstandene so auszudrücken, daß der Schwung und die Deutlichkeit nicht zu viel verlören-«

Denn je größer er sich selbst macht, desto unbarmherziger wird ihm der Leser sein törichtes Unternehmen aufmutzen, desto höhnischer wird er ihm jeden Fehler vorwerfen, der seinem Eigenlobe widerspricht. Z.E.

Pope will die Nachahmung der Alten rechtfertigen. Man verlangt, sagt er, und erwartet von einem Dichter, daß er ein gelehrter, und in den Werken der Alten belesener Mann (a Scholar) sei; und ist gleichwohl unwillig, wenn man findet, daß er wirklich so ein Mann ist – Was meinen Sie wohl, daß aus dieser feinen Anmerkung unter der Feder des Übersetzers geworden ist? Er hat Scholar, als ein wahrer Schüler, durch Schüler übersetzt und sagt: » 2In der Tat ist es sehr unbillig, daß man aus uns Schüler haben will, und dennoch unwillig wird, wenn man uns als Schüler befindet.«

Pope vergleicht den Virgil mit seinem Muster, dem Theokrit. Der Römer, sagt er, übertrifft den Griechen an Regelmäßigkeit und Kürze, und ist ihm in nichts nachzusetzen, als in der Einfalt des eigentümlichen Ausdrucks (simplicity and propriety of style). Pope meinet, daß der Stil in den Virgilischen Eklogen uneigentlicher, verblümter sei, als in den Theokritischen; und der Vorwurf ist nicht ohne Grund. Allein wie ihn der Übersetzer ausdrückt, ist er es gänzlich. Er gibt nämlich Propriety durch Richtigkeit; und welcher Schriftsteller, selbst keiner von den alten ausgenommen, ist dem Virgil in der Richtigkeit des Stils (Correctness) vorzuziehen? 3

[33] Pope erzählt die Geschichte seiner Autorschaft. Ich schrieb, sagt er, weil es mich angenehm beschäftigte; ich verbesserte, weil mir das Verbessern eben so viel Vergnügen machte, als das Schreiben; ich ließ drucken, weil man mir schmeichelte, daß ich Leuten gefallen könnte, deren Beifall einen guten Namen 4 verschaffte. – Der Übersetzer aber läßt ihn sagen: »daß ich denen gefallen könnte, denen ich zu gefallen wünschte.«

Virgil, der sich den Theokrit zum Muster vorgestellt – sagt Pope, und der Übersetzer: Virgil der den Theokrit ausschreibt.

Dieses sind noch lange nicht alle Fehler, aus der bloßen Vorrede und Abhandlung von der Schäferpoesie, aus den ersten und leichtesten, nämlich prosaischen, Stücken des ersten Bandes. 5 Urteilen Sie, wie es tiefer herein aussehen mag.

Was der Übersetzer zur Entschuldigung seiner oft undeutschen Wortfügungen anführt; wie er sich in dieser Entschuldigung verwirrt und sich unvermerkt selbst tadelt, ist auf der 17ten Seite des Vorberichts lustig zu lesen. Er verlangt, daß man, ihn zu verstehen, die Kunst zu lesen besitze. Aber da diese Kunst so gemein nicht ist; so hätte er die Kunst zu schreiben verstehen sollen. Und wehe der armen Kunst zu lesen, wenn ihr vornehmstes Geschäft sein muß, den Wortverstand deutlich zu machen! etc.

Fll.

Dritter Brief

Wollen Sie einen andern kennen lernen, dessen guter Wille uns nun schon den zweiten englischen Dichter verdorben [34] hat? – Verdorben klingt hart; aber halten Sie immer dem Unwillen eines getäuschten Lesers ein hartes Wort zu gute.

Von des Herrn von Palthen Übersetzung der Thomsonschen Jahrszeiten werden Ihnen frühere Urteile zu Gesichte gekommen sein. Nur ein Wort von seinenFabeln des Gay. 6

Ein guter Fabeldichter ist Gay überhaupt nicht, wenn man seine Fabeln nämlich nach den Regeln beurteilet, welche die Kunstrichter aus den besten Fabeln des Äsopus abstrahieret haben. Bloß seine starke Moral, seine feine Satyre, seine übrigen poetischen Talente machen ihn, trotz jenen Regeln, zu einem guten Schriftsteller.

Schade um so viel mehr, daß so manche feine Satyre dem Übersetzer unter der Arbeit verflogen ist! Und es muß eine sehr eilfertige Arbeit gewesen sein! Sehr oft hat er sich auch nicht die Zeit genommen, die Worte seines Originals recht anzusehen. Wenn Gay sagt:


The Miser trembling lock'd his chest;


(der Geizhals verschloß zitternd seinen Kasten) so sieht er lock'd für loock'd an, und übersetzt: Der Geizhals blickte zitternd auf seinen Kasten. 7

Das englische Chamäleon rühmt sich, es habe eines jeden Höflings Leidenschaft zu treffen gewußt:


I knew to hit each courtier's passion,


Und das deutsche sagt: ich vermied eines jeden Höflings Leidenschaft zu berühren. Dieses folglich ist kaum halb so geschickt als jenes. Verstehen etwa die deutschen Schmeichler ihr Handwerk weniger, als die Schmeichler einer andern Nation? 8

Gay beschreibt ein unglückliches Ehepaar. Er der Mann, sagt er, 9 liebt das Befehlen; und die Frau das Widersprechen. Sich sklavisch zu unterwerfen, ist durchaus nicht [35] ihre Sache. Sie will ihren Willen haben, oder will ihre Zufälle bekommen. –


She 'll have her will, or have her fits.


Der letzte Zug ist ungemein fein, und eine richtige Bemerkung. Sie werden krank, die lieben eigensinnigen Weiberchen, wenn man nicht tut, was sie haben wollen. – Nun sehen Sie, was der Herr von Palthen daraus macht: »Sie will entweder ihren Willen haben, oder auch umwechselnd die Herrschaft führen.« – O dreimal Glücklicher, dessen Gattin sich mit dem letztern begnügt!

Die kleinsten Partikeln werden oft unserm Übersetzer zum Anstoß. – Doch es muß Sie in die Länge verdrießen, daß ich mich mit solchen Kleinigkeiten aufhalte.

Lernen Sie nur noch aus einem einzigen Exempel, wie weit die Unverschämtheit der gelehrten Tagelöhner unter uns, geht. Ein gewisser C. G. Bergmann hat Bolingbroks Briefe über die Erlernung und den Gebrauch der Geschichte übersetzt, 10 und er ist es, von dem man sagen kann, daß er alles, was die Welt noch bis itzt von elenden Übersetzern gesehen hat, unendlich weit zurück lässet. – Ich muß den Beweis versparen. Er fordert mehr Raum als mir übrig ist.

Fll.

II. Den 11. Jenner 1759

Vierter Brief


Unsere Übersetzer verstehen selten die Sprache; sie wollen sie erst verstehen lernen; sie übersetzen sich zu üben, und sind klug genug, sich ihre Übungen bezahlen zu lassen. Am wenigsten aber sind sie vermögend, ihrem Originale nachzudenken. Denn wären sie hierzu nicht ganz unfähig, so würden sie es fast immer, aus der Folge der Gedanken abnehmen können, wo sie jene mangelhafte Kenntnis der Sprache zu Fehlern verleitet hat. Wenigstens geschieht es durch diese etwanige Fähigkeit, daß ihr Leser oft mehrere als nur die [36] gröbsten bemerkt; und die folgenden des Herrn Bergmanns sind gewiß nicht, erst durch die ängstliche Zusammenhaltung des Originals, entdeckt worden.

Bolingbroke, wenn er von Männern, die zwar selbst durch ihre Studien weder weiser noch besser werden, andere aber in den Stand setzen, mit mehr Bequemlichkeit und in nützlichern Absichten zu studieren, von den Herausgebern verlegener Handschriften, den Wortforschern u.s.w. redet, gedenkt mit Beifall eines Gelehrten, den man einst in der Kirche, in seiner Kapelle, unter der stückweisen Erwägung göttlicher Wohltaten, dergleichen bei frommen Leuten nicht ungewöhnlich ist, Gott auch dafür danken gehört, daß er die Welt mit Lexikonsmachern versehen habe. – Vergleichen Sie nunmehr dieses 11 mit folgender Übersetzung: »Ich billige daher die Andacht eines gelehrten Mannes aus der christlichen Kirche gar sehr, der in seiner Kapelle vergessen hatte, sich mit Gott zu beschäftigen, wie es bei andächtigen Personen gar nichts unerhörtes ist, und der unter andern besondern Danksagungen, wodurch er sich gegen die Gütigkeit Gottes erkenntlich bezeigte, der Welt Wörterbüchermacher verschaffte.« – – So viel Zeilen, so viel unverzeihliche Fehler.

Bolingbroke fährt in seiner philosophischen Laune fort: Diese Leute wollen eben so gern berühmt sein, als andere von größeren Talenten, und wenden die Mittel dazu an, so gut sie ihnen Gott verliehen hat etc. Sie verdienen Aufmunterung, so lange sie nur bloß zusammentragen, und weder dabei witzig sein, noch vernünfteln wollen. 12 – Und Bergmann fährt fort, zu verhunzen: »Diese Leute erwerben sich [37] Ruhm so wohl als solche, die höher sind als sie, durch diejenigen Mittel, so ihnen Gott gegeben hat, denselben zu erlangen etc. Sie verdienen aber dennoch Aufmunterung, weil sie beständig zusammen tragen, und weder auf Witz noch Vernunft Anspruch machen.«

Bolingbroke vergleicht die Systeme der alten Zeitrechnung und Geschichte mit bezauberten Schlössern. Sie scheinen, sagt er, etwas zu sein, und sind nichts als Phantome; löse die Bezauberung auf, (dissolve the charm) und sie verschwinden aus dem Gesicht, wie jene. – Hat ihn Bergmann verstanden? »Alle diese Systeme, läßt er ihn sagen, sind so viele bezauberte Schlösser; sie erscheinen als etwas, und sind nichts als Erscheinungen. Ihre Reize fliegen gleich diesen auseinander, und verschwinden aus unserm Gesichte.« –

O Bergmann ist ein ganz anderer Zauberer! Jene Stümper lassen verschwinden, was bloß da zu sein schien. Bergmann macht sein hocus pocus, und alle Gedanken, alle Einfälle, die wirklich da waren, sind weg! Ohne alle Spur, weg!

Das allertollste aber ist dieses, daß er – – (wie soll ich mich gleich rund genug ausdrucken? Ich will, mit Ihrer Erlaubnis, einen Ausdruck aus dem Hudibras borgen) daß er seinem Autor die Krätze gibt, um ihn reiben zu können. Das ist: er versteht ihn unrecht, und straft ihn in gelehrten Anmerkungen, wegen einer Ungereimtheit, die er selbst in ihn gelegt hat. Hören Sie nur!

Bolingbroke redet in seinem dritten Briefe von der Bibel, als eine Quelle der Geschichte betrachtet. Er kömmt auf die sogenannte Übersetzung der siebenzig Dolmetscher, und sagt: Die hellenistischen Juden erzählten von dieser Übersetzung, um sie in Ansehen zu bringen, ja gar zu heiligen, eben so viel wunderbare Dinge, als die andern Juden von dem Esra, welcher den Kanon ihrer Schriften zu machen anfing, und von Simon dem Gerechten erzählt hatten, welcher diesen Kanon zu Ende brachte. Diese heiligen Romane, fährt Bolingbroke fort, wurden zur Tradition, und die Tradition ward zur Geschichte; die Väter unserer christlichen Kirche ließen es sich nicht zuwider sein, Gebrauch davon zu machen. Der heil. Hieronymus etc. etc. Diese heiligen [38] Romane? Was nennt Bolingbroke so? Was sonst, als die frommen Märchen, deren er gleich vorher gedenkt?

Und doch will sein elender Übersetzer, daß er unter diesen Romanen die heiligen Bücher selbst, und nicht die jüdischen Fabeln von ihrer Erhaltung, und ihrer Verdolmetschung verstehe. »Hier sieht man, ruft er lächerlich aus, die Folgerung des Verfassers! Er hatte vorher ganz und gar nicht beweisen können, daß die biblischen Bücher nicht schon da gewesen wären, oder daß sie verfälscht worden, izt aber nennt er sie heilige Romanen, ohne uns zu sagen, wodurch sie sich in Romanen hätten verwandeln können etc.«

Possen! Wir wissen es freilich, daß Bolingbroke oft ziemlich cavalierement von der Bibel spricht; aber hier tut er es doch nicht. Der Herr verspare wenigstens sein Collegium auf eine andere Stelle.

Und nun sagen Sie mir, ist das deutsche Publikum nicht zu betauern? Ein Bolingbroke fällt unter die Hände seiner Knaben; sie schreien Kahlkopf über ihn, die Kahlkinne! Will denn kein Bär hervor kommen, und diese Buben würgen?

Bergmann muß nicht allein das Englische nicht wissen; er muß gar nichts wissen. Wenn Bolingbroke sagt: die Chronologie ist eine von den Wissenschaften, welche bloß a limine salutandae sind; so macht jener daraus: »welche man schon von weiten empfangen muß.« Wenn Bolingbroke von dem Kanon des Marshams redet, redet jener von Marshams Sätzen, und muß nicht wissen, daß das Buch dieses Gelehrten hier gemeinet wird, welches den Titel Canon chronologicus führt. Wenn Bolingbroke von dem Kanon der heiligen Bücher spricht, macht jener die Ordnung der heiligen Bücher daraus. Ich möchte wissen, was Herr Bergmann studierte? Ob die Theologie?

Schade, daß sich die gelehrte Welt des weltlichen Arms noch weniger bedienen darf, als die Kirche! Wäre es sonst nicht billig, daß man die Handlung, welche diese jämmerliche Übersetzung drucken lassen, mit Gewalt anhielte, uns eine bessere zu liefern, und jene ins Makulatur zu werfen? Sie müßte sich des Schadens wegen an den Übersetzer halten können.

Fll.

[39] Fünfter Brief

Der Übersetzer des Gay hat sich zu gleicher Zeit auch als Verfasser gezeigt, und »Versuche zu vergnügen«, 13 herausgegeben.

Ich denke so: mir nützlich zu sein, möchte man so oft und viel versuchen, als man nur immer wollte; wenn ich nur die Versuche mich zu vergnügen verbitten könnte. Laßt uns lieber den wilden Bart tragen, ehe wir zugeben, daß die Lehrlinge der Barbierstuben an uns lernen!

Der »Lenz« des Herr von Palthen scheinet eine Sammlung von alle dem zu sein, was er bei Übersetzung des Thomsonschen Frühlings, schlechteres gedacht hat; eine Sammlung von Zügen und Bildern, die Thomson und Kleist, und selbst Zachariä verschmähet haben. Er malt Mücken, 14 und der Himmel gebe, daß uns nun bald auch jemand Mückenfüße male! Doch nicht genug, daß er seine Gegenstände so klein wählt; er scheint auch eine eigene Lust an schmutzigen und ekeln zu haben. – Die aufgeschürzte Bauermagd mit Blutdurchströmeten Wangen, und derben sich zeigenden Waden, wie sie am abgespannten Leiterwagen stehet, mit zackigter Gabel den Mist darauf zu schlagen. – Der erhitzte brüllende Stier, mit der breiten Brust, und dem bucklichten Rücken, der die ihm nicht stehende Geliebte verfolgt, bis er endlich mit einem gewaltigen Sprunge über sie herstürzt und unwiderstehlich sie hält. – Der Ackersmann, der sein schmutziges Tuch löset, woraus er schmierigen Speck und schwarzes Brod hervor ziehet. – Die grunzende Sau, mit den fleckigten saubern Ferkeln. – Der feurige Schmatz einer Galathee. – – Zu viel, zu viel Ingredienzen für ein Vomitiv! [40] Hier ist eine Herzstärkung! Ein Projekt zu einem immerwährenden Frieden! »Aber keine Herzstärkung für mich; werden Sie sagen. Der Mann will mir das Handwerk legen!« – Ach nicht doch! Er meint es so böse nicht. Sein Haupteinfall ist diesen ein allgemeines Parlament oder Tribunal zu errichten, dessen Ausspruch sich alle europäische Staaten gefallen ließen. – Merken Sie nun, daß der Herr von Palthen ein Rechtsgelehrter ist? Aber, als jener alte Offizier seinen Vorschlag zur Verkürzung der Prozesse tat, und die alten gerichtlichen Duelle wieder einzuführen riet, nicht wahr, da verriet sich der Offizier auch? – Doch dieses bei Seite! Wenn sich nun unter den europäischen Mächten Halsstarrige fänden, die dem Urteile des Tribunals Genüge zu leisten sich weigerten? Wie da? O der Herr von Palthen hat vollstreckende Völker, er hat militarische Exekution. Hat er die? Nun wohl, so hat er Krieg; und Sie sollen Zeit genug weiter avancieren. Werden Sie nur bald gesund!

Was soll ich Ihnen von seinen drei ersten Oden des Horaz sagen? Gleich vom Anfange heißt es:


Und wenn ihr Wagen ohne Fehl
Mit heißer Achs zum Ziel gelanget.

Metaque fervidis evitata rotis. Das Ziel zu erreichen, war das wenigste. Sie mußten um das Ziel herum! – Lassen Sie uns nicht weiter lesen.

Und wie oft zeiget der Herr von Palthen, ich weiß nicht, welche eingeschränkte Kenntnisse! – – Petrarch sagt von sich: 15 »Ich habe nie an Schmausen ein Vergnügen gefunden, sondern habe bei mäßiger Kost und gewöhnlichen Speisen ein vergnügteres Leben geführt, als alle Nachfolger des Apicius.« Und der Herr v. P. setzt in einer Anmerkung hinzu: »Es wird hier auf den Apicius Caelius gezielet, welcher zehn Bücher von der Kochkunst geschrieben etc.« – Allein, muß denn ein Mann, der Gerichte zubereiten lehrt, notwendig ein Schlemmer sein? Er hätte, wie bekannt, einen ganz andern Apicius hier anführen sollen, und würde unter drei berühmten Schlemmern dieses Namens die Wahl gehabt haben. [41] Das Projekt des Abts von St. Pierre zu einem beständigen Frieden, sagt der Herr v. P., sei ihm nicht zu Gesichte gekommen. Die ganze Welt kennt es. Es ist unendlich sinnreicher als seines, und läuft auf eine proportionierliche Herabsetzung der Kriegsheere aller europäischen Staaten hinaus.

Fll.

III. Den 18. Jenner 1759
Siebender Brief

Sie haben Recht; dergleichen schlechte Übersetzer, als ich Ihnen bekannt gemacht habe, sind unter der Kritik. Es ist aber doch gut, wenn sich die Kritik dann und wann zu ihnen herabläßt; denn der Schade, den sie stiften, ist unbeschreiblich. – Wenn durch eine große, wunderbare Weltveränderung auf einmal alle Bücher, die deutsch geschriebenen ausgenommen, untergingen; welch eine erbärmliche Figur würden dieVirgile und Horaze, die Shaftesburys und Bolingbroks bei der Nachwelt machen!

Oder meinen Sie, daß bei einem so allgemeinen Schiffbruche der Wissenschaften, die deutsche Gelehrsamkeit nur immerhin auch mit versinken möchte?

Das wäre zu bitter geurteilet! Man verachtet keinen Baum wegen seiner unansehnlichen Blüte, wenn er wegen seiner Frucht zu schätzen ist. Unsere schöne Wissenschaften würden zu vergessen sein; aber unsere Weltweisheit nicht. Noch zu bitter! – Nein, auch in jenen fehlt es uns nicht an Männern, die alsdenn an die Stelle der großen Ausländer, und der noch größern Alten treten müßten und könnten! Klopstock würde Homer; Cramer, Pindar; Utz, Horaz; Gleim, Anakreon; Geßner, Theokrit; Wieland, Lucrez –

Wieland, Lucrez? So geht es, wenn man träumet! Es finden sich im Traume Dinge oft wieder zusammen, die man seit vielen Jahren, nicht miteinander gedacht hat. Herr Wieland hätte es längst gern aus unserm Gedächtnis vertilgt, daß er der Verfasser der »Natur der Dinge« ist, und aus dem meinigen schien es auch wirklich vertilgt zu sein –

[42] Erlauben Sie mir, Ihnen von diesem Manne, der ohne Widerrede einer der schönsten Geister unter uns ist, mehr zu sagen; ich mag zu meinem vorigen Gegenstande nicht zurückkehren. Denn warum schriebe ich Briefe?

Wenige Gelehrte werden eine mehr doppelte Rolle gespielt haben, als Herr Wieland. Ich mag es nicht wieder erzählen, was Leute, die ihn in K** B** persönlich gekannt haben, von ihm zu erzählen wissen. Was geht uns das Privatleben eines Schriftstellers an? Ich halte nichts davon, aus diesem die Erläuterungen seiner Werke herzuholen. So viel ist unwidersprechlich, daß jenes Lehrgedicht, und die »Moralischen Briefe« uns den Herrn Wieland auf einem ganz andern Wege zeigten, als ihm hernach zu betreten beliebt hat. Wenn diese Veränderung durch innere Triebfedern, (mich plump auszudrücken) durch den eigenen Mechanismus seiner Seele erfolgt ist; so werde ich nicht aufhören, mich über ihn zu verwundern. Ist sie aber durch äußere Umstände veranlaßt worden, hat er sich, aus Absichten, mit Gewalt in seine itzige Denkungsart versetzen müssen, so betauere ich ihn aus dem Innersten meiner Seele.-

Sie wissen es schon zum Teil, wie schlecht er sich gegen den Herrn Utz aufgeführet hat. – Herr Utz, nach der Freiheit, zu der jeder seines gleichen berechtiget ist, erklärte sich wider eine gewisse Art von Dichtern; Herr Wieland hielt sich beleidiget, und anstatt seinen Gegner gleichfalls von der Seite des Schriftstellers anzugreifen, fiel er mit so frommer Galle, mit einem so pietistischen Stolze auf den moralischen Charakter desselben; brauchte so hämische Waffen; verriet so viel Haß, einen so verabscheuungswürdigen Verfolgungsgeist 16, daß einen ehrlichen Mann Schauder und Entsetzen darüber befallen mußte.

Er hatte sogar das Herz, einen verehrungswürdigen Gottesgelehrten zum Werkzeug seiner Erbitterung brauchen zu wollen. Doch dieser fand auch hier Gelegenheit, seine edle [43] Mäßigung, seine philosophische Billigkeit zu zeigen. Denn ohne Zweifel ist er allein Ursache, daß Herr Wieland in der Sammlung seiner »Prosaischen Schriften«? aus der Zuschrift der Empfindungen des Christen? die härteste Stelle weggelassen hat.

Ich sende Ihnen hier diese Sammlung, 17 in welcher Sie manchen neuen Aufsatz finden werden. Sie müssen sie alle lesen; denn wenn man einen Wieland nicht lesen wollte, weil man dieses und jenes an ihm auszusetzen findet; welchen von unsern Schriftstellern würde man denn lesen wollen? –

Fll.

Achter Brief

Auch mir sind unter den Wielandischen Schriften die »Empfindungen des Christen« das anstößigste gewesen.

Empfindungen des Christen, heißen Empfindungen, die ein jeder Christ haben kann, und haben soll. Und von dieser Art sind die Wielandischen nicht. Es können aufs höchste Empfindungen eines Christen sein; eines Christen nämlich, der zu gleicher Zeit ein witziger Kopf ist, und zwar ein witziger Kopf, der seine Religion ungemein zu ehren glaubt, wenn er ihre Geheimnisse zu Gegenständen des schönen Denkens macht. Gelingt es ihm nun hiermit, so wird er sich in seine verschönerte Geheimnisse verlieben, ein süßer Enthusiasmus wird sich seiner bemeistern, und der erhitzte Kopf wird in allem Ernste anfangen zu glauben, daß dieser Enthusiasmus das wahre Gefühl der Religion sei.

Ist er es aber? Und ist es wahrscheinlich, daß ein Mensch, [44] der den Erlöser am Kreuze denket, wirklich das dabei denket, was er dabei denken sollte, wenn er seine Andacht auf die Flügel der Horazischen Ode setzt und anhebt: »Wo ist mein entzückter Geist? Welch ein furchtbares Gesicht um mich her! – Schwarze Finsternis, gleich der ewigen Nacht, liegt auf dem bebenden Erdkreis. – Die Sonne ist erloschen, die verlassene Natur seufzt; ihr Seufzen bebet gleich dem schwachen Wimmern des Sterbenden durch die allgemeine Todesstille. – Was seh ich? Erbleichte Seraphim schweben aus dem nächtlichen Dunkel hier und da hervor! Sie schauen mit gefaltenen Händen, wie erstarret herab! Viele verbergen ihr tränendes Antlitz in schwarze Wolken. – O des bangen Gesichts! Ich sehe, ich sehe den Altar der Versöhnung, und das Opfer, das für die Sünde der Welt verblutet.« – 18

Schön! – Aber sind das Empfindungen? Sind Ausschweifungen der Einbildungskraft Empfindungen? Wo diese so geschäftig ist, da ist ganz gewiß das Herz leer, kalt.

So wie es tiefsinnige Geister gab, und noch gibt, welche uns die ganze Religion platterdings wegphilosophieren, weil sie ihr philosophisches System darein verweben wollen: so gibt es nun auch schöne Geister, die uns eben diese Religion wegwitzeln, damit ihre geistlichen Schriften auch zugleich amüsieren können.

Der Ton der Psalmen, welchen die Empfindungen des Herrn Wielands oft annehmen, hat mich an Petersens »Stimmen aus Zion« wieder erinnert.

Eine Vergleichung zwischen Petersen und Wielanden würde diesem auf keine Weise schimpflich sein. Petersen war ein sehr gelehrter und sinnreicher Mann, und kein gemeines poetisches Genie. Seine »Uranias« ist voll trefflicher Stellen; und was kann man mehr zu ihrem Lobe sagen, als daß Leibniz sie zu verbessern würdigte, nachdem er selbst den Plan dazu gemacht hatte?

Seine erstgedachten Stimmen sind hundert prosaische Lieder, die er selbst Psalmen nennt. Erlauben Sie mir, Ihnen einige kleine Stücke daraus vorzulegen:

[45] Drei und vierzigster Psalm

»Wie ist die Welt doch so überweise worden! Wie hat sich die Magd über die Frau erhoben!

Die Weisheit des Fleisches waffnet sich gegen die göttliche Einfalt; und die Vernunft ficht wider den Glauben.

Die Weltweisheit setzet sich gegen die göttliche Torheit; sie meistert Gottes Weisheit und verfälscht sein großes Wort.

Sie ist gar zu weise zum Himmelreich; darum kommen sie auch nicht dahin, wohin die Kinder kommen etc.«

Zwei und achtzigster Psalm

»Brüder! Lasset uns hingehen, und unser Leben lassen! Die Wahrheit ist wohl wert, daß wir sie bis in den Tod bekennen!

Es ist der treue und wahrhafte Zeuge vor uns hergegangen. Er hat ein gut Bekenntnis bekannt vor Pontio Pilato. Er mußte auch sterben, als ein Verführer –

Gott sei Dank, daß wir nicht leben, wie die Übeltäter! Wir haben zwar unserm Gott gesündiget, aber nicht der Welt.

Es ist recht und billig, daß uns unser Vater züchtiget; es ist recht, daß er diesen Leib zerbricht.

Wir müssen doch einmal unsere Hütten ablegen; warum nicht itzt, da wir noch mit unserm Tode preisen unsern Gott?

So wissen wir auch, daß der Tod seiner Heiligen bei ihm hochgeachtet sei, und daß er ihm seine Lieblinge nicht nehmen lasse –

Brüder! lasset uns nicht fürchten, wie die Heiden und Sünder pflegen. Furcht ist nicht in der Liebe und in dem Glauben zu unsern Gott.

Wir haben bisher dem Herrn gelebet, so wollen wir nun auch dem Herrn sterben.

Er wird mit uns durch Feuer und Wasser gehen; er wird uns nicht ungetröstet, noch ungestärkt lassen.

Siehe! Wir sehen ihn, o wie freundlich ist er uns! Er führet uns über den Tod! Halleluja! –«


Was sagen Sie hierzu? Könnte ich nicht die Verehrer des Herrn Wielands (seine Anbeter; er hat dergleichen) auffordern, mir erhabenere und pathetischere Stellen in seinen ganzen Empfindungen zu zeigen? Herr Wieland ist reich an Blümchen, an poetischem Geschwätze; Petersen an starken Gedanken, an großen Gesinnungen; ohne Zwang, ohne Schwulst. Beide haben die Sprache der H. Schrift zu brauchen gewußt, nur daß sie Petersen in ihrer edlen Einfalt gelassen,[46] Wieland aber durch affektierte Tiefsinnigkeiten, durch profane Allusionen, verunstaltet hat.

Und gleichwohl sind Petersens Stimmen gar bald verachtet, und vergessen worden. Denn Petersen war ein Schwärmer!

Fll.

Neunter Brief

Ich habe über des Herrn Wielands »Plan einer Akademie zur Bildung des Verstandes und Herzens junger Leute«, einige Anmerkungen gemacht, die ich niederschreiben und Ihnen nach und nach zur Beurteilung vorlegen will.

Herr Wieland will die alten Griechen bei seinem Entwurfe um Rat gefragt haben. Diese, sagt er, setzten die Erziehung hauptsächlich in die Übung der Gemüts- und Leibeskräfte, weil ohne Übung weder diese noch jene zur gehörigen Stärke, Lebhaftigkeit und regelmäßigen Bewegung gelangen. – Die Absicht, fährt er fort, zu welcher ihre Erziehung abzweckte, war ihre junge Bürger zu dem zu bilden, was sie καλοκαγαϑια nennten, in welchem Worte sie alle Vorzüge und Vollkommenheiten begriffen, die einen freien und edeln Menschen von einem Sklaven und menschenähnlichen Tiere unterscheiden, alle Eigenschaften und Geschicklichkeiten, welche den Menschen erhöhen, verschönern und zur Ausführung einer edeln Rolle im Leben tüchtig machen. Zu dieser Absicht, welche allein der menschlichen Natur würdig ist, flößte man der Jugend so früh als möglich den Geschmack am Schönen und Guten, nebst den besten moralischen und politischen Gesinnungen ein; in diesem Gesichtspunkte studierte man mit ihnen den Homer, und schmückte ihr Gedächtnis mit den weisesten Sprüchen der Dichter, welche die Lehrer und Philosophen der ältesten Griechen waren etc. – 19

Ich will vors erste bei einer Kleinigkeit stehen bleiben. Was Herr Wieland hier von dem Homer sagt, das hat seine Absichten, und der Leser soll die Anwendung davon selbst machen. Er soll bei sich denken: Da es uns, Gott sei Dank! auch [47] nicht an Homeren fehlt, warum werden denn nicht auch unsere Homere in dieser Absicht mit der Jugend gelesen?

Aber ehe ich mir selbst diese Frage vorlegte, wollte ich wohl dem Herrn Wieland mit einer andern beschwerlich fallen. Ich wollte ihn fragen: Hat Ihr Vorgeben, mein Herr, seine historische Richtigkeit? Ist es wahr, daß die alten Griechen ihre Jugend aus dem Homer und andern Dichtern Weisheit lehrten? Und wurde Homer, ich will nicht sagen durchgängig, sondern nur von allen denen unter ihnen verstanden, welchen das Beiwort καλοκαγαϑοι zukam?

Erinnern Sie sich, würde ich gegen den Herrn Wieland fortfahren, was uns Xenophon von dem Sokrates erzählet. 20 Sokrates hatte wirklich die Gewohnheit, in seinen Unterredungen lehrreiche Stellen aus Dichtern anzuführen; aber wie ging es ihm damit? Er berief sich z.E. wenn er wider den Müßiggang eiferte, und zu dem Müßiggange auch alle eitele, nur zeitverkürzende und schädliche Beschäftigungen rechnete, auf den Ausspruch des Hesiodus:


Εργον δ' ουδεν ονειδος, αεργειη δε τ' ονειδος.


Keine Arbeit, sondern allein der Müßiggang ist schimpflich. – Oder er drang darauf, daß alle die, welche dem Staate weder als Heerführer noch als Ratgeber nützlich sein könnten, sich müßten gefallen lassen, zu gehorchen, und führte in dieser Absicht das Betragen des Ulysses an, als die Griechen die Belagerung von Troja aufheben wollten. (Den Vornehmern, sagt Homer, 21 sprach Ulysses mit freundlichen Worten zu, wo sich aber ein Geringerer unnütze machte, den schlug er mit seinem Scepter und befahl ihm, ruhig zu sein:


Δαιμονι', ατρεμας ήσο, και αλλων μυϑον ακουε,
'Oι σεο φερτεροι εισι, συ δ' απτολεμος και αναλκις,
Ουτε ποτ' εν πολεμω εναριϑμιος ουτ' ενι βουλη.)

Was machten die Ankläger des Sokrates aus diesen Stellen?

Sagten sie nicht, daß sie gefährliche Lehren enthielten? Daß Hesiodus alle Beschäftigungen billige, sie möchten noch so [48] ungerecht und schimpflich sein, wenn sie nur einträglich wären? Daß Homer die geringern und ärmern Leute zu schlagen rate? Und wer waren des Sokrates Ankläger? Vielleicht die Unwissendesten in ganz Athen? Gewiß nicht. Melitus wenigstens war nur deswegen wider den Sokrates so aufgebracht, weil ihm Sokrates die Dichter, seine Lieblinge, nicht genug zu schätzen schien. Er war also einer von den damaligen Kennern; und wollte man auch sagen, daß er diese Mißdeutungen nicht sowohl aus Unwissenheit, als aus Bosheit gemacht habe, so bedenke man wenigstens, was er dabei für Richter voraus setzte; und ob diese Richter Leute sein durften, mit welchen man in der Jugend den Homer, nach moralischen Absichten, gelesen hatte? –

Fll.

IV. Den 25. Jenner 1759
Zehnter Brief

So ist es auch wirklich: Die wahren Kenner der Dichtkunst sind zu allen Zeiten, in allen Ländern eben so rar, als die wahren Dichter selbst gewesen. Homer ward eben so wenig von allen Griechen verstanden als Klopstock von allen Deutschen. Ich sage Klopstock, und wenn Sie meinen, daß Bodmer dem Homer näher komme, so setzen Sie Bodmern an seine Stelle.-

Itzt erlauben Sie mir, in den Anmerkungen über den Erziehungsplan des Hrn. Wielands fortzufahren. Die wichtigsten werde ich von unserm gemeinschaftlichen Freunde, dem Hrn. D. entlehnen.-

Den schönen und großen Begriff, welchen uns Hr. W. von der Erziehung der alten Griechen macht, wo mag er den überhaupt herhaben? Er sagt zwar: »So viel ich mich der Beobachtungen erinnern kann, die ich bei Lesung ihrer Scribenten gemacht.« – Allein ich besorge, sein Gedächtnis hat ihm hier einen übeln Streich gespielt. Wenigstens beweiset die Stelle des Xenophon, auf die er sich beruft, das gar nicht, was sie beweisen soll.

[49] Die Philosophie, sagt Hr. W., wurde von den Griechen für das nötigste und wesentlichste Stück der Unterweisung gehalten. – Ja! aber was für eine Philosophie? War es wirklich die, »welche uns lehret, was edel oder niederträchtig, was recht oder unrecht, was Weisheit oder Torheit sei? Was die Religion, was die menschliche Gesellschaft, was der Staat in dem wir leben, was alle unsere übrigen Verhältnisse von uns fordern?« Nichts weniger! Es war eine Philosophie, quae ad rhetoricas meditationes, facultatem argutiarum, civiliumque rerum notitiam conducebat; 22 eine Philosophie, welche Aristoteles hernach unter dem Namen der exoterischen, von der wahren Philosophie gänzlich absonderte; kurz, es war die Weisheit der Sophisten.

Mit dieser moralischen und bürgerlichen Philosophie, fähret Hr. W. fort, verband man die schönen Künste, insbesondere die Beredsamkeit. – Auch dieses kann mit der historischen Wahrheit nicht bestehen. Die Griechen studierten die Philosophie nur in Absicht auf die Beredsamkeit, und dieser einzigen Kunst waren alle übrigen Wissenschaften untergeordnet. Selbst Alcibiades, – Xenophon sagt es mit ausdrücklichen Worten, – hielt sich nicht zum Sokrates um Weisheit und Tugend von ihm zu lernen; es war ihm einzig und allein um die Kunst zu überreden, und die Gemüter der Zuhörer zu lenken, in welcher Sokrates ein so großer Meister war, zu tun. – Daß von denen hier nicht die Rede ist, welche Philosophen von Profession werden wollten, versteht sich von selbst.

Es kann kein Vertrauen gegen den Hrn. W. erwecken, wenn man offenbar sieht, daß er seinen Lesern nur Staub in die Augen streuen will. Denken Sie nur, wie weit er geht. Er will uns bereden, daß die Griechen den Shaftesburyschen Begriff eines Virtuosen, durch ihr καλος καγαϑος ausgedruckt hätten. Ich wäre sehr begierig, nur einen einzigen Beweis von ihm zu erfahren, daß dieses καλος καγαϑος etwas anders bedeute, als was wir einen hübschen guten Mann heißen. Ich erinnere mich eben einer Stelle aus dem Plato, wo Sokrates [50] den jungen Theages fragt: τι ουν; ουκ εδιδαξατο σε ό πατηρ και επαιδευσεν άπερ ενϑαδε όι αλλοι παιδευονται, όι των καλων καγαϑων πατερων ύιεες; όιον γραμματα τε και κιϑαριζειν, και παλαιειν, και την αλλην αγωνιαν; Können hier καλοι καγαϑοι Virtuosen heißen? Und was ließen dergleichen Virtuosen ihre Söhne lernen? Lesen und schreiben, auf der Zitter spielen, ringen und andere körperliche Übungen.

Doch es möchte sein; Herr Wieland möchte immerhin uns die alte griechische Erziehung noch so sehr verschönern, wenn man nur sehen könnte, was er selbst in seinem Plane für einen Gebrauch davon gemacht habe. Aber alle die schönen Ideen, die er aus den alten Griechen will geschöpft haben, kommen in der Folge gar nicht mehr in Anschlag. Nach diesen historischen Prämissen, wie er sie nennet, speiset er uns mit lauter allgemeinen Dingen ab, die längst bekannt, und zum Teil recht herzlich seichte sind. Z.E.

Er sagt: 23 »Es soll von einem Kenner der Wissenschaften die Ordnung bestimmt werden, nach welcher die verschiednen Disziplinen und Studien, mit der Jugend getrieben werden sollen; damit das, was sie zuerst lernen, allezeit das Fundament zu dem folgenden abgebe.« – Wer mit den Wissenschaften ein wenig bekannt geworden, der weiß, daß es mit dieser eingebildeten Ordnung eine Grille ist. Alle Wissenschaften reichen sich einander Grundsätze dar, und müssen entweder zugleich, oder eine jede mehr als einmal getrieben werden. Die Logik, oder die Kunst zu denken, sollte man glauben, müsse billig vor allen andern Wissenschaften vorangehen; allein sie supponiert die Psychologie; diese die Physik und Mathematik, und alle die Ontologie.

Die Ontologie aber übergeht Hr. Wieland ganz und gar, und verrät an mehr als einer Stelle eine gänzliche Verachtung derselben. Hier, sagt unser D., möchte ich ihn wohl fragen, ob er jemals den Baco gelesen? Ob er gesehen, wie sehr dieser Weltweise eine Wissenschaft erhebt, in welcher die allgemeinen Gründe aller menschlichen Erkenntnis gelehrt werden? Ob er eine bessere Seelenübung kenne, als wenn man [51] junge Leute bald aus besondern Wissenschaften allgemeine fruchtbare Wahrheiten abstrahieren, bald allgemeine Wahrheiten auf besondere Fälle mit Nutzen anwenden lehret, und ihnen dadurch alle ihre Fähigkeiten erhöhet, den Verstand aufkläret, und den Weg zu großen und nützlichen Erfindungen bahnet? Ich will der itzigen Ontologie, fährt unser Freund fort, nicht das Wort sprechen. So wie sie in unsern philosophischen Büchern abgehandelt wird, ist sie für junge Leute zu hoch. Wenn sie aber der Lehrer wohl studieret hat? und bei dem Vortrage einer besondern Wissenschaft allezeit sein Augenmerk auf die allgemeinen Wahrheiten richtet, die sich daraus absondern lassen; so wird er die Aussichten seiner Untergebenen erweitern und einen jeden Funken von Genie anfachen, der in ihrer Seele gleichsam wie unter der Asche glimmet. Eine jede Wissenschaft in ihrem engen Bezirke eingeschränkt, kann weder die Seele bessern, noch den Menschen vollkommener machen. Nur die Fertigkeit sich bei einem jeden Vorfalle schnell bis zu allgemeinen Grundwahrheiten zu erheben, nur diese bildet den großen Geist, den wahren Helden in der Tugend, und den Erfinder in Wissenschaften und Künsten.

Fll.

Eilfter Brief

Herr Wieland verspricht uns seine besten und überlegtesten Gedanken von der Unterweisung der Jugend. Ich glaube nicht, daß er Wort gehalten hat; er muß sich während der Arbeit besonnen haben, daß auch seine schlechtern und übereilten Gedanken für die Deutschen schon gut genug wären. Die patriotische Verachtung, die er gegen seine Nation hat, läßt mich es vermuten.

Der größte Fehler, den man bei der Erziehung zu begehen pflegt, ist dieser, daß man die Jugend nicht zum eigenen Nachdenken gewöhnet; und diesen hat Hr. W. am wenigsten zu vermeiden gesucht. Er scheinet vielmehr ausdrücklich darauf führen zu wollen, wenn er verlangt, daß man in der untersten Klasse von jeder Wissenschaft eine historische Kenntnis[52] geben solle. 24 – Die Natur der Seele verkennt die Einteilung der menschlichen Erkenntnis in die historische, philosophische und mathematische, die wir der Deutlichkeit halber zu machen genötiget sind. Die ersten beiden müssen ohnstreitig mit gleichen Schritten fortgehen, indem ihnen die dritte in einer kleinen Entfernung folget. Das große Geheimnis die menschliche Seele durch Übung vollkommen zu machen – (Herr Wieland hat es nur dem Namen nach gekannt) – bestehet einzig darin, daß man sie in steter Bemühung erhalte, durch eigenes Nachdenken auf die Wahrheit zu kommen. Die Triebfedern dazu sind Ehrgeiz und Neubegierde; und die Belohnung ist das Vergnügen an der Erkenntnis der Wahrheit. Bringt man aber der Jugend die historische Kenntnis gleich Anfangs bei, so schläfert man ihre Gemüter ein; die Neubegierde wird zu frühzeitig gestillt, und der Weg, durch eignes Nachdenken Wahrheiten zu finden, wird auf einmal verschlossen. Wir sind von Natur weit begieriger, das Wie, als das Warum zu wissen. Hat man uns nun unglücklicher Weise gewöhnt, diese beiden Arten der Erkenntnis zu trennen; hat man uns nicht angeführt, bei jeder Begebenheit auf die Ursache zu denken, jede Ursache gegen die Wirkung abzumessen, und aus dem richtigen Verhältnis derselben auf die Wahrheit zu schließen: so werden wir sehr spät aus dem Schlummer der Gleichgültigkeit erwachen, in welchen man uns eingewieget hat. Die Wahrheiten selbst verlieren in unsern Augen alle ihre Reizungen, wo wir nicht etwa bei reifern Jahren von selbst angetrieben werden, die Ursachen der erkannten Wahrheiten zu erforschen.

Wenn aber unser Freund, der sich hier durch mich erklärt, behauptet, man müsse die historische Erkenntnis nie ohne die philosophische gehn lassen; so redet er von der historischen Kenntnis solcher Dinge, die man durch Nachdenken heraus gebracht, und ohne Nachdenken nicht recht begreifen kann, z.E. der in allen Wissenschaften demonstrierten Wahrheiten, der Meinungen und Hypothesen, die man angenommen, gewisse Erscheinungen zu erklären, wie nicht [53] weniger derjenigen Sätze, die man durch künstliche Erfahrungen und sorgfältige Beobachtungen heraus gebracht hat. Diese historische Kenntnis der Wissenschaften allein ist es, die man für schädlich halten muß. Die historische Kenntnis der geschehenen Dinge aber kann durch keine Anstrengung des Genies heraus gebracht oder gefunden werden; die Sinne und das Gedächtnis müssen hier beschäftiget sein, bevor man Witz und Beurteilungskraft gebrauchen kann. Daher ist es in der Natur der Seele gegründet, daß in Ansehung solcher Dinge, die historische Kenntnis den Grund legen muß; und hier ist ein neuer Fehler, den Herr Wieland begehet. Er sollte mit der Geschichte der Natur den Anfang machen, und diese allen Vorlesungen in der ersten Klasse zum Grunde legen. Sie enthält den Samen aller übrigen Wissenschaften, sogar die moralischen nicht ausgenommen; und wenn der Lehrer scharfsinnig genug ist, so wird er die Genies der Schüler bei dieser Gelegenheit leichtlich prüfen, und unterscheiden können, zu welcher Kunst oder Wissenschaft ein jedes derselben aufgelegt ist. Herr Wieland aber rechnet die Naturgeschichte mit zu dem Studium der Historie überhaupt, aus der er drei verschiedene Disciplinen gemacht wissen will.

Doch nicht genug, daß er den Wissenschaften, durch die vorläufige historische Kenntnis derselben, alle Anlockungen nimmt; er muß überhaupt nichts davon halten, die Wissenschaften als Wissenschaften vorzutragen, weil er den Rat gibt, sich aller trockenen Abhandlungen, abstrakter Untersuchungen und scharfen Demonstrationen so lange zu enthalten, bis die Untergebenen zu einer großen Reife des Verstandes gelanget sind. – Aber man folge nur diesem Rate, man sei nur so superficiell, und ich will vieles wetten, daß die Untergebenen zu dieser großen Reife des Verstandes nie gelangen werden. – Er schlägt dagegen vor, daß sich die Lehrer die Äsopische und Sokratische Methode eigen zu machen trachten sollen, weil diese »ihrer Leichtigkeit und Anmut wegen, der Wahrheit am leichtesten Zutritt zu unserer Seele verschaffe.« – Was für einen Begriff muß Herr Wieland von der Sokratischen Lehrart haben! Was tat Sokrates anders, als daß er alle wesentliche Stocke, die zu einer Definition gehören, durch [54] Fragen und Antworten heraus zu bringen, und endlich auf eben die Weise aus der Definition Schlußfolgen zu ziehen suchte? Seine Definitionen sind durchgehends richtig; und wenn seine Beweise nicht immer die strengste Probe aushalten, so sieht man wenigstens, daß es mehr ein Fehler der Zeiten? in welchen er lebte, als eine Vernachlässigung und Geringschätzung der trocknen Untersuchung von Seiten des Philosophen gewesen. Zu unsern Zeiten kann die Sokratische Lehrart mit der Strenge der itzigen Methode auf eine so geschickte Art verbunden werden, daß man die allertiefsinnigsten Wahrheiten herausbringt, indem man nur richtige Definitionen aufzusuchen scheinet. – Ich will geschwind schließen; Sie möchten mich um die Muster in dieser Art des Vortrages fragen.

Fll.

Zwölfter Brief

Es ist wahr, an einer andern Stelle 25 scheinet Herr Wieland die strengste Lehrart zu billigen, und es zu vergessen, daß er den Augenblick zuvor bloß auf die überredende Lehrart gedrungen hat. Aber warum wollen Sie sich über diesen Widerspruch wundern? Es ist der kleinste von denen, die ihm entwischen. – Ich verspreche, ihn zu heben, (ob ich gleich noch nicht weiß, wie?) wenn Sie mir vorher folgenden auflösen können.

Die christliche Religion ist bei dem Herr Wieland immer das dritte Wort. – Man prahlt oft mit dem, was man gar nicht hat, damit man es wenigstens zu haben scheine. – Haben Sie es bemerkt, wie er sie in seiner Akademie will vorgetragen wissen? »Ohne die gewöhnliche Methode der Theologen, und die ungeschickte Einteilung in Theologiam dogmaticam und moralem.« Bewundern Sie den neuen Reformator! Die ungeschickte Einteilung! – Das schreibt nun Herr Wieland so hin! – Und doch ist diese Einteilung auf dem Katheder unentbehrlich. Es ist ganz etwas anders, die Lehren des Glaubens [55] von den Pflichten des Lebens in der Ausübung zu trennen, und ganz etwas anders, sie in dem Vortrage, der Ordnung und Deutlichkeit wegen, abzusondern. Durch dieses erhält jenes nicht den geringsten Vorschub. Wer sich aber, so ausdrücklich als Herr Wieland, darwider erkläret, der gibt zu verstehen, daß er aus dem Inhalte der Dogmatik überhaupt nichts mache, und die Religion bloß als eine erhabene Moral gelehret wissen wolle. Herr Wieland wenigstens verrät diesen Vorsatz noch deutlicher, wenn er verlangt, »daß man von den eigentlichen Glaubensartikeln mit keinen andern, als mit Worten der Schrift reden solle.« – Und nun sind auf einmal alle mögliche Ketzer in den Schoß seiner Kirche aufgenommen! –

Dieses, und seine wiederholte Anpreisung des Shaftesbury, den er in seiner Akademie zum klassischen Schriftsteller macht, werden hoffentlich unsere Theologen nicht ermangeln, in Betrachtung zu ziehen, bevor sie sich in das poetische Interesse des Herrn Wielands verwickeln lassen. Shaftesbury ist der gefährlichste Feind der Religion, weil er der feinste ist. Und wenn er sonst auch noch so viel Gutes hätte; Jupiter verschmähte die Rose in dem Munde der Schlange.

Fll.

V. Den 1. Februar 1759
Dreizehnter Brief

Was ich unter des Herrn Wielands patriotischer Verachtung seiner Nation verstehe, werden Sie am besten aus einem Exempel abnehmen können. – Herr Wieland redet von der Beredsamkeit der Kanzel, und bricht in die Frage aus: »Wie lange wollen wir uns von den Franzosen beschämen lassen, welche ihre Bossuets, Bourdaloue, Massillons, Trublets aufweisen können, da hingegen unsere größten geistlichen Redner gegen jene nicht in Betrachtung kommen?«

Wenn doch dem Herrn Wieland diese einsichtsvolle Frage entwischt wäre, als er einem von unserngrößten geistlichen Rednern seine Empfindungen zueignete! An eben dem Orte, [56] wo er zu ihm sagt: »Es würde eine strafbare Undankbarkeit sein, wenn ich bei dieser Gelegenheit verschweigen wollte, mit wie vieler Rührung und Nutzen ich den verteidigten Glauben der Christen, für mich selbst, und mit andern gelesen, und wie lebhaft mich diese herzrührende Selbstgespräche in dem Glauben der christlichen Religion unterhalten haben.« – An diesem Orte, sage ich, hätte er fortfahren sollen: Das ist nun zwar alles wahr, mein Herr; aber doch werden Sie mir erlauben, Ihnen zu sagen, daß Sie deswegen noch lange kein Bourdaloue sind, noch lange kein Trublet! O der große Trublet! –

Aber ich glaube, ich fange an zu spotten; und das möchte ich nicht gern. – Wenn uns nur Herr Wieland auch gesagt hätte, warum denn nun unsere Mosheims und Sacks, unsere Jerusalems und Cramers, gegen jene Franzosen gar nicht in Betrachtung kommen? Die Franzosen, ohne Zweifel, haben eine blühendere Sprache; sie zeigen mehr Witz, mehr Einbildungskraft; der Virtuose spricht mehr aus ihnen; sie haben die körperliche Beredsamkeit bei ihren vortrefflichen Komödianten zu lernen Gelegenheit gehabt. Alles Eigenschaften, die dem geistlichen Redner notwendig sind, der mich eine halbe Stunde angenehm unterhalten will, und die ich demjenigen gern erlasse, der mehr als dieses sucht, und es seinem Amte für unanständig hält, auf meinen Willen zu wirken, ohne vorher meinen Verstand erleuchtet zu haben. Der wahre Gottesgelehrte weiß, daß er auf der Kanzel den Redner mit dem Lehrer zu verbinden habe, und daß die Kunst des erstern ein Hülfsmittel für den letztern, nie aber das Hauptwerk sein müsse.

Herr Wieland ist ja sonst weit mehr für die Engländer als Franzosen eingenommen. Wie kömmt es denn aber, daß er nur hier diese jenen vorzieht? Hier, in der Beredsamkeit, die man doch, nach seinen eigenen Grundsätzen, bei den Franzosen, wegen ihrer despotischen Regierungsart, die ganz gewiß ihren Einfluß auch bis auf die Kanzel erstreckt, am wenigsten suchen sollte? Kömmt bei ihm etwa auch ein Tillotson gegen die Bourdaloue und Trublets noch nicht in Betrachtung? Sind ihm jenes Demosthenische Reden, nach denen [57] sich unsere geistlichen Redner zuerst gebildet haben, vielleicht auch noch zu öde, zu unfruchtbar, zu dornicht? Ist ihm nur der der größte Redner, der die Affekten seiner Zuhörer am geschwindesten erregen kann?

Ich habe nur erst neulich eine sehr vortreffliche Stelle über diese Materie gelesen. Sie stehet in einer neuen Schrift, die uns gleichfalls aus der Schweiz 26 gekommen ist, daher man den Herr Wieland um so viel eher darauf verweisen könnte. Erlauben Sie mir, meinen Brief damit zu bereichern. – Ein vornehmer Theologus schreibet an einen jungen Geistlichen:


»Ich habe, sagt er, denjenigen Teil der Redekunst betrachtet, welcher mit Regung der Affekten umgehet; und ich weiß, daß diese Kunst bei den Gottesgelehrten sowohl, als bei den fanatischen und enthusiastischen Predigern in großer Hochachtung ist, und daß man viel Fleiß drauf wendet.

Die zwei großen Redner in Griechenland und Rom, Demosthenes und Cicero, beide Demagogi in einer demokratisch eingerichteten Republik, sind dennoch in Ausübung dieser Kunst sehr von einander unterschieden.

Der erste, welcher mit einem politern, gelehrtern und witzigern Volke zu tun hatte, setzte den größten Nachdruck seiner Beredsamkeit in die Stärke seiner Beweisgründe, und suchte also hauptsächlich den Verstand zu überzeugen. Tullius hingegen sahe mehr auf die Neigungen einer aufrichtigen, nicht so gelehrten und lebhaften Nation, und blieb deswegen bei der pathetischen Beredsamkeit, welche die Affekten erreget.

Allein das Vornehmste, welches man hiebei beobachten muß ist dieses, daß diese Redner in allen ihren Reden ein besonderes Vorhaben hatten; denn bald suchten sie die Verurteilung oder Lossprechung einer angeklagten Person, bald wollten sie das Volk zum Kriege bereden, bald bemühten sie sich ein Gesetz einzuführen, und dergleichen; und alles dieses wurde gleich auf der Stelle ausgemacht, nach dem der Vortrag des Redners Beifall fand. Hier war es unumgänglich nötig, die Affekten der Zuhörer entweder zu erregen, oder zu besänftigen, insonderheit zu Rom, wo Tullius war. Mit diesen letzten Schriften machen sich junge Geistliche (ich meine die, welche Autores lesen) insgemein mehr bekannt, als mit des Demosthenes seinen, welcher doch jenen in vielen Stücken übertraf, was insonderheit die Redekunst anlanget. Allein ich kann nicht sehen, wie die Kunst, die Affekten zu erregen, von großem Nutzen sein könne, wenn man die Christen unterrichtet, wie [58] sie ihren Wandel gebührend anzustellen haben, wenigstens in unsern nördlichen Climatibus, wo ich gewiß versichert bin, daß auch die größte Beredsamkeit von dieser Art wenig Eindruck in unsre Gemüter haben wird, ja nicht einmal so viel, daß die Wirkung davon sich nur bis auf den andern Morgen erstreckte.

Was mich aber insonderheit veranlasset, die Art zu predigen, da man nur die Affekten zu rühren sucht, zu verwerfen, ist dieses, weil ich gesehen habe, wie schlechten Vorteil dieselbe geschafft. Ich kenne einen Herrn, welcher dieses als eine Regel beobachtete, daß er alle die Paragraphen überhüpfte, zu deren Ende er etwan ein Punctum exclamationis gestellt hatte. Ich glaube gewiß, daß diejenigen Prediger, welche in lauter Epiphonematibus predigen, wenn sie sich umsehen, einen großen Teil ihrer Zuhörer in der Unachtsamkeit, und einen großen Teil schlafend finden werden.

Und es ist auch kein Wunder, daß ein solches Mittel nicht allemal anschlägt, maßen es so viel Kunst und Geschicklichkeit erfordert, wenn man es darin zu einiger Vollkommenheit bringen will als mancher nicht im Cicero findet, geschweige aus ihm lernet.

Ich bitte Euch daher gar sehr, diese Kunst (im Fall Ihr ja unglücklicher Weise Euch bereden sollet, daß Ihr dieselbe besäßet) sehr selten, und mit aller möglichen Behutsamkeit zu gebrauchen etc.«


Es wohnet mir eine dunkle Erinnerung bei, diese Gedanken bereits anderswo gelesen zu haben. Doch dem sei wie ihm wolle; der Schriftsteller, aus dem ich sie itzt entlehne, macht folgende Anmerkung darüber.


»Es ist nicht zu leugnen, sagt er, daß diese Stelle von einer großen Einsicht dieses Gottesgelehrten in die Wirkung der geistlichen Beredsamkeit auf das menschliche Gemüt zeuget. Allein ist wohl keine Gefahr bei seinem Rate, daß die Leute, dum vitant vitia, stulti in contraria currant? Mich bedünkt, die größte Kunst würde sein, das Gründliche und das Pathetische (wo es die Natur der Sache erlaubt) dergestalt mit einander zu verbinden, daß dieses letztere stets seinen Grund in der Vorstellung des ersten behielte.«


Sehr wohl! – Und eben diese so schwere Verbindung des Gründlichen und Pathetischen ist es, die unserm Mosheim, nach meinem Bedünken, einen sehr großen Vorzug vor allen französischen Predigern gibt. Allein was geht Herr Wielanden das Gründliche an? Er ist ein erklärter Feind von allem, was einige Anstrengung des Verstandes erfordert, und da er alle Wissenschaften in ein artiges Geschwätze verwandelt wissen will, warum nicht auch die Theologie?

Fll.

[59] Vierzehnter Brief

– Und die Sprache des Herrn Wielands? – Er verlernt seine Sprache in der Schweiz. Nicht bloß das Genie derselben, und den ihr eigentümlichen Schwung; er muß sogar eine beträchtliche Anzahl von Worten vergessen haben. Denn alle Augenblicke läßt er seinen Leser über ein französisches Wort stolpern, der sich kaum besinnen kann, ob er einen itzigen Schriftsteller, oder einen aus dem galanten Zeitalter Christian Weisens lieset. Licenz, visieren, Education, Disziplin, Moderation, Eleganz, Aemulation, Jalousie, Corruption, Dexterität, – und noch hundert solche Worte, die alle nicht das geringste mehr sagen, als die deutschen, erwecken auch dem einen Ekel, der nichts weniger als ein Puriste ist. Linge, sagt Herr Wieland so gar – –

(Und er befiehlt, daß die Schüler von ihrem Gelde, das ihnen zu ihren übrigen Ausgaben, zu Kleidern, Linge, et pour leurs menus plaisirs vom Hause gegeben wird, dem Hofmeister genaue Rechenschaft geben sollen. Sie sollen ihre Linge, fährt er fort, Bettzeug und Servietten, wie auch Löffel, Messer und Gabel mit bringen. Jeder läßt seinen silbernen Löffel und zwei zinnerne Teller dem Instituto zurück. – Es ist in der Tat höchst lächerlich, wenn man den Herrn Wieland solche Kleinigkeiten im voraus feststellen siehet, und sich erinnert, daß er kurz vorher die allerwesentlichsten Punkte von der Hand gewiesen. Die Ordnung, z.E. nach welcher die verschiedenen Disziplinen mit der Jugend zu treiben sind, soll ein Kenner der Wissenschaften 27 für ihn bestimmen, und er kann sich selbst darüber nicht einlassen, weil er keine Instruction für die Lehrer schreibt. Aber der silberne Löffel! Mit dem muß es vor allen Dingen seine Richtigkeit haben, wenn sich das andere finden soll! Genaue Eltern, besorge ich nur, denen ein silberner Löffel keine Kleinigkeit ist, werden hierbei etwas vermissen; Herr Wieland nämlich hat ihnen zu sagen vergessen, was denn nun endlich das Institutum mit allen den silbernen Löffeln machen soll. Und das hätte er[60] ihnen nun freilich wohl sagen müssen, und auch gar leicht sagen können; denn was ist augenscheinlicher, als daß eine Akademie zu Bildung des Verstandes und Herzens, ein Löffelcabinet haben muß? – )

Dieses noch im Vorbeigehen! – Wenn uns Herr Wieland, statt jener französischen Wörter, so viel gute Wörter aus dem schweizerischen Dialekte gerettet hätte; er würde Dank verdienet haben. Allein es scheinet nicht, daß er sich in diesem Felde mit kritischen Augen umgesehen. Das einzige Wort, entsprechen, habe ich ein oder zweimal mit Vergnügen bei ihm gebraucht gefunden. Es ist schwer, sagt er einmal, die Lehrer zu finden, die solchen Absichten entsprechen. (respondent) Dieses entsprechen ist itzt den Schweizern eigen, und nichts weniger als ein neugemachtes Wort. Denn Frisch führet bereits eine Stelle aus Kaysersbergers Postille an, wo es heißet: Die Getät und der Nom sollen einander entsprechen.

Man muß den neuesten schweizerischen Schriftstellern die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie itzt weit mehr Sorgfalt auf die Sprache wenden, als ehedem. Geßner und Zimmermann unter andern, schreiben ungemein schön und richtig. Man merkt ihnen den Schweizer zwar noch an; aber doch nicht mehr, als man andern, den Meißner oder Niedersachsen anmerkt. Herr Wielanden ist es daher um so viel mehr zu verdenken, wenn nur er seine Sprache in der Schweiz so vernachlässiget, daß ihm besonders gewisse eigentümliche Ausdrücke gar nicht mehr beifallen. Ist es z.E. deutsch, wenn er sagt: Pygmalionschnitzte eine Venus aus Marmor?

Die »Moralischen Beobachtungen und Urteile«, aus welchen ich in meinem vorigen Briefe eine Stelle angeführt habe, verraten ihren Geburtsort schon mehr. Sie haben eine Menge Wörter, die man hier nicht versteht, die aber viele Leser zu verstehen wünschten, weil sie wirklich etwas besonderes auszudrucken scheinen; dergleichen sind hürisch, 28 ringsinnig, 29 abschätzig, 30 Schik etc. 31

Und dem ohngeachtet lassen sie sich sehr wohl lesen. Sie scheinen aus dem Beitrage einer ganzen muntern Gesellschaft [61] entstanden zu sein. Der herrschende Ton darin ist Satyre und Humor. Folgende Beschreibung 32 eines Husaren, bei Anlaß des Lobes eines Mädchens wird Sie belustigen:


»Die keusche Climene fliehet vor jungen Männern, wie ein erschrocknes Küchlein vor dem erblickten Geier, und wie ein fleucht, wenn er auf den offenen Feldern des platten Böhmerlandes einen Husaren auf ihn zufliegen sieht. Welch ein Schauspiel! An seiner Stirne steht geschrieben Mord, und die Blicke seiner Augen sind alle vergiftete Spieße. Er schießet dieselben dicht wie einen Regen von sich aus, und tötet damit, noch ehe er tötet. Der Grausame behängt die Rüstung seines Pferdes mit sieben Totenköpfen; drei sind der Schrecken derer, die ihm von hinten nachzusehen das Glück haben; und viere pochen von vorne. Er hat sich zwischen denselben hingesetzt, wie Thomas Kulikan auf seinen Thron; und wie Satan von dem Herzen des Verräters Besitz genommen hat, also hat er sich mit dreistem Stolz auf sein Pferd geschwungen. Wer darf zu ihm sagen: Gott grüße dich? Alle hat er – abgenommen; sie bluten noch, und mit den kostbaren Tropfen, die herunter fallen, bezeichnet er seinen Weg. Die Erde will ewig mit einigen derselben gefärbet bleiben, um das Andenken dieses Zerstörers zum Abscheu zu erhalten andere haben die Tränen der Landeskinder ausgewaschen. Nun eilt, nun fliegt er, und wenn er in eine Stadt kömmt, so achtet der Grausame sich besser gerüstet, als ein Gesandter, der bei seinem öffentlichen Einzuge mit verschwenderischer Pracht auf einmal will sehen lassen, wie groß der sei, der ihn gesendet hat. O, daß Tausende, spricht er, nur einen Hals hätten! Warum muß ich so viel einzelne Köpfe spalten, und mein Saber noch hungern, wenn ich ihn durch den dicksten Hals geschlagen habe, wie ein Hund hungert, dem ein Kind ein Brosamchen ins Maul wirft! Er verschluckt es, er empfindet nichts dabei, und heischt mit gleich unverwandten Augen und hungernder Begierde die große Schüssel voll, die auf dem Tische steht. Kommt, Brüder! spricht er, wenn er Menschenköpfe zu spalten ausreitet, laßt uns sehen, wo wir Rüben zerhacken können. Er trinkt Blut aus Hirnschädeln; sein Pferd tränkt er auch damit, und wenn sein fürchterlicher Schnauzbart davon gerötet wird, so wischt er es nicht weg. Im Quartier spricht er zum Wirte: Gib, was du hast, und was du nicht hast, das gib auch, – alsdenn sterbe; und zur Wirtin: Lebe du bis Morgen, und spreite itzt ein Bett an, für mich und dich. Wenn ihm ein Priester begegnet, so flucht er, und denselben Tag will er nicht ausreiten, denn dieser Hund (sagt er) hat mir ein Unglück vorbedeutet.« – –


[62] Noch eine kleine Stelle will ich Ihnen daraus abschreiben, weil sie einige Beziehung auf meine vorige Briefe haben kann. Sie werden sie leicht entdecken. »Wie viele Heuchler und Ketzermacher, sagt der Verfasser, machen es gerade wie der nichtswürdige Blifilin der Historie des Fündlings, welcher bloß deswegen in der Bibel gelesen, damit Tom Jones Schläge kriege!«

Fll.

VI. Den 8. Februar 1759
Funfzehnter Brief

Eine unangenehme Nachricht, und die ich nur erst gestern erfahren habe! Auch der Grenadier, unser Preußischer Barde, ist bei Zorndorf verwundet worden. – Minerva hatte da noch einen andern Liebling zu schützen! – Doch sind seine Wunden so gefährlich nicht; sie haben auf eine kurze Zeit nur den Soldaten in ihm untüchtig gemacht, aber nicht den Dichter: denn dieser hat bereits, und in einem weit ernstern Tone, als man von ihm gewohnt ist, den großen Tag besungen. Das Gedicht gehet nur noch in der Handschrift hier unter seinen Freunden herum; und ich habe seiner noch nicht so lange habhaft werden können, es ganz für Sie abzuschreiben. Wollen Sie sich aber, bis dieses geschehen kann, mit einigen Fragmenten begnügen? – Es ist überschrieben:

»An die Muse

Was siehest du so schüchtern nach mir her?
Scheut eine Kriegesmuse, die den Held
So tief in seine Schlacht begleitete;
Mit ihm auf Leichen unerschrocken ging
Wie Engel Gottes in Gewittern gehn;
Ihm nachzufolgen, wo er war zu sein,
Zu forschen seine Taten überall,
Von Leich auf Leiche große Schritte tat,
Scheut eine solche Muse Blut zu sehn?
Stimm an, verewige den großen Tag,
An welchem Vater Friederich sein Volk
Errettete, durch göttlichen Gesang!
[63]
Nimm die verwaiste Leier von der Wand,
Und mische starken Kriegeston darein,
Und singe! Held, Soldat und Patriot
Steh um dich her, und höre, lauter Ohr!
Bewundernd Gottes Taten, Friedrichs Mut,
Wenn er sein Vaterland zu retten geht,
Und lerne Gott und Friederich vertraun!
Denn standest du, Berlin, nicht halb verzagt,
Als der gekrönte Rächer nur verzog
Und Mähren uns, langsame Sieger, sah?«

Von diesem Zeitpunkte hebet sich die Erzählung des Dichters an. Er bewundert, nach einer kurzen Apostrophe des feindlichen Feldherrn, in der aufgehabenen Belagerung von Ollmütz, wo der gemeine Haufe nichts als ein mißlungenes Unternehmen wahrnimmt, eine besondere göttliche Vorsehung.


»Du aber, guter alter Marschall! warst
In deinem Troja, Hektor. Friedrich selbst
Gab deinem Namen Ewigkeit, und schrieb
Ein andrer Cäsar, deine Taten an!
Doch Er, und Keith und Moritz waren mehr,
Als Agamemnon, Nestor und Ulyß;
Und hätten, ohn ein ungeheures Pferd,
Durch Mut dich überwunden, nicht durch List,
Wofern nicht Gott der Herr gewollt, daß wir
Ablassen sollten.
Hochgelobet sei
Von uns, und deinem Friederich, o Gott!
Daß du auf unsern ebnen Siegesweg
Ein Ollmütz stelletest, und einen Held
Der wie ein braver Mann sich wehrete,
In seine hohen Wäll und Mauern gabst.
Denn gabst du es in unsre Hand, so war
Kein Weg vor uns, als nach dem stolzen Wien;
So hätten wir uns allzuweit entfernt
Von unserm Vaterlande, dessen Schutz
Wir sind, nach dir, erhabner starker Gott!
So wäre wohl der Jammer, das Geschrei
Der Weiber und der Kinder, welche wir
Zurückgelassen hatten, allzuspät
Uns nacherschollen. Friedrich hätte wohl
Des Vaterlandes Ruf und Rache nicht
Zu rechter Zeit und Stunde, da gehört,
Wo umzukehren war. Darum, o Gott,
Sei ewig hochgelobt von uns und ihm!«

[64] Hier folget eine sehr poetische Beschreibung der Verwüstungen, die das Russische Heer in den königlichen Staaten angerichtet. Ich habe nur folgendes Gleichnis daraus behalten:


– – – »Langsam zog es daher,
Wie durch fruchtbares Feld in Afrika,
Giftvoller großer Schlangen Heere ziehn!
Da steht auf beiden Seiten ihres Zugs
Erstorbnes Gras, da steht, so weit umher,
Als ihre Bäuche kriechen, alles tot.
Von Memel bis Küstrin stand Friedrichs Land
So da, verwüstet, öde, traurig tot!«
Nun fährt er fort:
»Allein der Held vernahm zu rechter Zeit
In seinem Haus von Leinwand, auf der Bahn
Des Sieges, deinen bangen schwachen Ruf,
O Vaterland! zu Gott und ihm! – und stracks
War sein Gedank allein an dich! Er gab
Dem größern Feind ein wenig Luft, und flog,
Mit einem kleinen edeln Heldenheer
Dahin, wo sein gequältes banges Volk
Nach ihm sich umsah. –
– – – Da floh er hin!
Kam an in dir, du Sitz der Musen, wo
Baumgarten Friedrichs Weisheit lehrt, hielt still
Vor einer niedern Hütte, saß das Roß,
Das, einen solchen Held zu tragen, stolz,
Nicht müde von dem langen Fluge war,
Daselbst ein wenig auszuruhen, ab,
Ging in die offne niedre Hütte, fand
Ein' arme fromme Witwe, die zu Gott
Für den Gesalbten eben betete,
Saß neben ihr auf einen harten Sitz,
Nahm einen Wassertrunk aus ihrer Hand,
Stand vor der kleinen Tür der Hütte, ließ
Sein edles Heldenheer vorüber ziehn,
Stieg auf, folgt ihm den Weg der Rache nach,
Sah die Ruinen der getreuen Stadt –«
Küstrin, dessen unglückliches Schicksal dem Könige Tränen erpreßt. –
– – – »Jedoch der Bach
Der Heldenaugen floß zu lange nicht.
Der Tränen Stelle nahm ein glühend Rot
[65]
Im feurigen Gesicht; gerechter Zorn
Entstand aus königlichem Mitleid stracks.
Er wandte sich zu seinen Helden, schwur,
Sein rächend Schwert zu zücken –«

Zugleich nimmt der König von dem Walle der unbezwungnen Veste, das Lager des Feindes in Augenschein, und fasset seinen Entschluß.


»Und Tages drauf, mit Sonnen Aufgang ging
Sein Heldenheer still über deinen Strom
Du Oder! Flossest du so sanft, weil Gott
Es dir gebot, die Helden, die du trügst,
Nicht aufzuhalten itzt auf ihrer Bahn?
Sie singen deinem Gott ein Morgenlied,
Und kommen wohlbehalten über dich.
Was zittertet ihr achzig Tausend da
Beim Anblick unserer von Todesschaur?
Welch eine tiefe Stille ward? Was war
Das leisere Gemurmel unter euch?
Ja, ja, der Schrecken Gottes überfiel
Dich, Heer! – –
Als du den großen Rächer kommen sahst,
Die Blutfahn in der Hand, die er noch nie
Dem edlern Kriegesfeind entgegen trug,
Da standest du betäubt, erstarret, stumm,
Die Augen weggewandt von dem, der kam etc. –
– Bangigkeit und Furcht und Angst
Fiel, plötzlicher als Zentnerschwere Last,
In aller deiner großen Helden Brust,
Und größer stets je mehr er näher kam.
Zusammen steckend ihre Köpfe, stand
Ihr großer Haufe; Fermor schüttelte
Sein graues Haupt dreimal; sie zitterten.
Zuletzt war ihr verzweifelnder Entschluß
Ein großes Viereck und der Tod!«

Und nun scheinet unsern Barden alle die Wut, mit welcher er in der Schlacht gestritten, aufs neue zu befallen. Er wird so schrecklich, daß seinem Leser die Haare zu Berge stehen. Aber warum mache ich Ihre Neugierde auf eine Stelle so rege, die ich Ihnen nicht mitteilen kann? Darauf fährt er kälter fort:


»So lange du, o Vater, vor uns her
Die schreckliche Blutfahne trugst, und nichts
[66]
In deiner Arbeit für das Vaterland
Dein Leben achtetest, so lange floß
Für jede Träne deines Volkes, Blut,
So lange schlug das rächerische Schwerd etc.«
Aber auch unter Dampf und Tod blieb des Dichters helleres Auge unverdunkelt.
»Der Engel, der bei Lissa seinen Glanz
Um den Gesalbten glänzte, war auch itzt
Sein Schutzgeist. Näher sah ich ihn, als dort.
Er trug im schönen Engelangesicht
Des großen Friedrich Wilhelms Miene ganz.«

Endlich kömmt er auf seine eigene Verwundung; und diese Stelle ist eine von den allervorzüglichsten. Hier ist sie:


»Aus einem Strome schwarzen Mörderbluts
Trat ich mit scheuem Fuß auf einen Berg
Von Leichen, sahe weit um mich herum
Nun keinen zu erschlagen mehr, stand
Mit hohem Hals, warf einen scharfen Blick
Durch wolkengleichen schwarzen Dampf der
Nach dem Gesalbten, heftete auf ihn,
Und den Gesandten Gottes, seinen Schutz,
Die Augen und Gedanken fest. Und da,
Da war es, Muse, (denn du warest
Wo nur erschlagen, nicht besieget ward)
Als mich ein Mörder traf, als fast zugleich
Der edle D***, der junge Held
Und Patriot, hinsank, den schönen Tod
Fürs Vaterland, nicht unwillkommen starb!
Ich aber ihn zu sterben noch nicht reif,
Mit dieser Wunde weggetragen ward.«
Hiermit schließet der Dichter:
»Sing es, o Muse, singe Gottes Zorn
Und Friedrichs Mut. Indessen heilet sie
Geschwinder. Dein Gesang besänftige:
Den Höllenschmerz, er mache, daß der Arm,
Der hier gebunden müßig liegen muß,
Bald wieder frei sei, für das Vaterland
Zu streiten! – –
Soll aber er nicht wieder streiten, soll
Ich nicht den Friedensengel kommen sehn,
Nicht im Triumph den unbesiegten Held
Begleiten nach Berlin, nicht der Homer
[67]
Des göttlichen Achilles werden;
Dann, liebe Muse, weine nur um mich
Ein kleines Lied; dann lebe wohl, o Welt,
In welcher wider einen Friederich
Der Erden Könige verschworen sind.«

Ich werde Sie selten mit einem bessern Brief unterhalten können, als dieser ist. Auch ist das Gute darin nicht meine.

Fll.

Sechzehnter Brief

Ich vernehme mit Vergnügen, daß Ihnen die »Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freien Künste« 33 in die Hände gekommen. Lassen Sie sich in Ihrer guten Meinung von diesem kritischen Werke nichts irren. Man hat ihr Parteilichkeit und Tadelsucht vorgeworfen; aber konnten sich die mittelmäßigen Schriftsteller, welche sie kritisiert hatte, anders verantworten? Diese Herren, welche so gern jedes Gericht der Kritik für eine grausame Inquisition ausschreien, machen sehr seltsame Forderungen. Sie behaupten, der Kunstrichter müsse nur die Schönheiten eines Werkes aufsuchen und die Fehler desselben eher bemänteln, als bloß stellen. In zwei Fällen bin ich selbst ihrer Meinung. Einmal, wenn der Kunstrichter Werke von einer ausgemachten Güte vor sich hat; die besten Werke der Alten, zum Exempel. Zweitens, wenn der Kunstrichter nicht sowohl gute Schriftsteller, als nur bloß gute Leser bilden will. Aber in keinem von diesen Fällen befinden sich die Verfasser der Bibliothek. Die Güte eines Werks beruhet nicht auf einzeln Schönheiten; diese einzelne Schönheiten müssen ein schönes Ganze ausmachen, oder der Kenner kann sie nicht anders, als mit einem zürnenden Mißvergnügen lesen. Nur wenn das Ganze untadelhaft befunden wird, muß der Kunstrichter von einer nachteiligen Zergliederung abstehen, und das Werk so, wie der Philosoph die Welt, betrachten. Allein wenn das Ganze keine angenehme [68] Wirkung macht, wenn ich offenbar sehe, der Künstler hat angefangen zu arbeiten, ohne selbst zu wissen, was er machen will, alsdenn muß man so gutherzig nicht sein, und einer schönen Hand wegen, ein häßliches Gesicht, oder eines reizenden Fußes wegen, einen Buckel übersehen. Und daß dieses, wie billig, unsere Verfasser nur sehr selten getan haben, darin bestehet ihre ganze Strenge. Denn einigemal haben sie es doch getan, und mir sind sie noch lange nicht strenge genug.

Wenn Sie mir daher erlauben, daß ich die Bibliothek meinen Briefen gleichsam zur Basis machen darf; so bitte ich mir auch die Freiheit aus, verschiedenes darin anzeigen zu dürfen, womit ich so vollkommen nicht zufrieden bin. Meine Erinnerungen werden größten Teils dahinaus laufen, daß die Verfasser, wie gesagt, hier und da, und nicht bloß gegen Dichter, viel zu nachsehend gewesen sind.

Wie wenig, z.E. erinnern sie bei des Hrn. Prof. Gottscheds »Nötigem Vorrate zur Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst«; 34 und wie manches ist doch darin, das man ihm notwendig aufdecken sollte.

Können Sie sich einbilden, daß der Mann, welcher die Hans Rosenblüts, die Peter Probsts und Hans Sachsens so wohl kennet, nur denjenigen nicht kennet, der doch bis itzt dem deutschen Theater die meiste Ehre gemacht hat; unsern Johann Elias Schlegel? Unter dem Jahr 1747 führt er die »Theatralischen Werke« desselben an, und sagt: »Hier stehen 1. Canut; 2. der Geheimnisvolle; 3. die Trojanerinnen, 4. des Sophokles Elektra; 5. die stumme Schönheit; 6. die lange Weile.« Die beiden letztern stehen nicht darin, sondern machen nebst dem Lustspiele, »Der Triumph der guten Frauen«, welches es gar nicht anführet, einen besondern Band, welchen der Verfasser »Beiträge zu dem Dänischen Theater« benennet hat.

Und wie viel andere Unterlassungssünden hat Hr. Gottsched begangen, die ihm das Lob der Bibliothek sehr streitig machen, »daß er etwas so vollständiges geliefert habe, als man sonst, bei Sammlungen von dieser Art, von der Bemühung [69] eines einzigen Mannes kaum erwarten könne.« – Nicht einmal die dramatischen Werke seines Mylius hat er alle gekannt; denn den »Unerträglichen« vermissen wir gar, und von den »Ärzten« muß er auch nicht gewußt haben, daß Mylius Verfasser davon gewesen. Hat er es aber gewußt, und hat er ihn nur deswegen nicht genannt, weil er sich selbst nicht zu nennen für gut befunden; warum nennt er denn den Verfasser der »Alten Jungfer«?

Ich kenne sonst – und bin gar wohl damit zufrieden, – sehr wenig von unserm dramatischen Wüste; aber auch das wenige finde ich bei dem patriotischen Κοπροφορω noch lange nicht alle. So fehlen bei dem Jahre 1747 gleich zwei Stücke, der »Ehestand«, und das Lustspiel auf die Eroberung von Berg op Zoom etc.

Und vor allen Dingen: warum fehlt denn »Anne Dore, oder die Einquartierung, ein Schäferspiel, in einem Aufzuge«? Dieses Mensch kennet der Herr Professor doch ganz gewiß, und es ist gar nicht dankbar, daß er ihrer wenigstens nicht bei Gelegenheit seiner »Schaubühne« erwähnet hat.

Fll.

VII. Den 16. Februar 1759
Siebzehnter Brief

»Niemand, sagen die Verfasser der Bibliothek, 35 wird leugnen, daß die deutsche Schaubühne einen großen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.«

Ich bin dieser Niemand; ich leugne es gerade zu. Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreten entweder entbehrliche Kleinigkeiten, oder sind wahre Verschlimmerungen.

Als die Neuberin blühte, und so mancher den Beruf fühlte, sich um sie und die Bühne verdient zu machen, sahe es freilich [70] mit unserer dramatischen Poesie sehr elend aus. Man kannte keine Regeln; man bekümmerte sich um keine Muster. Unsre Staats- und Helden-Aktionen waren voller Unsinn, Bombast, Schmutz und Pöbelwitz. Unsre Lustspiele bestanden in Verkleidungen und Zaubereien; und Prügel waren die witzigsten Einfälle derselben. Dieses Verderbnis einzusehen, brauchte man eben nicht der feinste und größte Geist zu sein. Auch war Herr Gottsched nicht der erste, der es einsahe; er war nur der erste, der sich Kräfte genug zutraute, ihm abzuhelfen. Und wie ging er damit zu Werke? Er verstand ein wenig Französisch und fing an zu übersetzen; er ermunterte alles, was reimen und Oui Monsieur verstehen konnte, gleichfalls zu übersetzen; er verfertigte, wie ein Schweizerischer Kunstrichter sagt, mit Kleister und Schere seinen »Cato«; er ließ den »Darius« und die »Austern«, die »Elise« und den »Bock im Prozesse«, den »Aurelius« und den »Witzling«, die »Banise« und den »Hypocondristen«, ohne Kleister und Schere machen; er legte seinen Fluch auf das extemporieren; er ließ den Harlekin feierlich vom Theater vertreiben, welches selbst die größte Harlekinade war, die jemals gespielt worden; kurz, er wollte nicht sowohl unser altes Theater verbessern, als der Schöpfer eines ganz neuen sein. Und was für eines neuen? Eines Französierenden; ohne zu untersuchen, ob dieses französierende Theater der deutschen Denkungsart angemessen sei, oder nicht.

Er hätte aus unsern alten dramatischen Stücken, welche er vertrieb, hinlänglich abmerken können, daß wir mehr in den Geschmack der Engländer, als der Franzosen einschlagen; daß wir in unsern Trauerspielen mehr sehen und denken wollen, als uns das furchtsame französische Trauerspiel zu sehen und zu denken gibt; daß das Große, das Schreckliche, das Melancholische, besser auf uns wirkt als das Artige, das Zärtliche, das Verliebte; daß uns die zu große Einfalt mehr ermüde, als die zu große Verwickelung etc. Er hätte also auf dieser Spur bleiben sollen, und sie würde ihn geraden Weges auf das englische Theater geführet haben. – Sagen Sie ja nicht, daß er auch dieses zu nutzen gesucht; wie sein »Cato« es beweise. Denn eben dieses, daß er den Addisonschen »Cato«[71] für das beste Englische Trauerspiel hält, zeiget deutlich, daß er hier nur mit den Augen der Franzosen gesehen, und damals keinen Shakespeare, keinen Jonson, keinen Beaumont und Fletcher etc. gekannt hat, die er hernach aus Stolz auch nicht hat wollen kennen lernen.

Wenn man die Meisterstücke des Shakespeare, mit einigen bescheidenen Veränderungen, unsern Deutschen übersetzt hätte, ich weiß gewiß, es würde von bessern Folgen gewesen sein, als daß man sie mit dem Corneille und Racine so bekannt gemacht hat. Erstlich würde das Volk an jenem weit mehr Geschmack gefunden haben, als es an diesen nicht finden kann; und zweitens würde jener ganz andere Köpfe unter uns erweckt haben, als man von diesen zu rühmen weiß. Denn ein Genie kann nur von einem Genie entzündet werden; und am leichtesten von so einem, das alles bloß der Natur zu danken zu haben scheinet, und durch die mühsamen Vollkommenheiten der Kunst nicht abschrecket.

Auch nach den Mustern der Alten die Sache zu entscheiden, ist Shakespeare ein weit größerer tragischer Dichter als Corneille; obgleich dieser die Alten sehr wohl, und jener fast gar nicht gekannt hat. Corneille kömmt ihnen in der mechanischen Einrichtung, und Shakespeare in dem Wesentlichen näher. Der Engländer erreicht den Zweck der Tragödie fast immer, so sonderbare und ihm eigene Wege er auch wählet; und der Franzose erreicht ihn fast niemals, ob er gleich die gebahnten Wege der Alten betritt. Nach dem »Ödipus« des Sophokles muß in der Welt kein Stück mehr Gewalt über unsere Leidenschaften haben, als »Othello«, als »König Lear«, als »Hamlet« etc. Hat Corneille ein einziges Trauerspiel, das Sie nur halb so gerühret hätte, als die »Zayre« des Voltaire? Und die »Zayre« des Voltaire, wie weit ist sie unter dem »Mohren von Venedig«, dessen schwache Kopie sie ist, und von welchem der ganze Charakter des Orosmans entlehnet worden?

Daß aber unsre alten Stücke wirklich sehr viel Englisches gehabt haben, könnte ich Ihnen mit geringer Mühe weitläuftig beweisen. Nur das bekannteste derselben zu nennen; »Doctor Faust« hat eine Menge Szenen, die nur ein Shakespearesches [72] Genie zu denken vermögend gewesen. Und wie verliebt war Deutschland, und ist es zum Teil noch, in seinen »Doctor Faust«! Einer von meinen Freunden verwahret einen alten Entwurf dieses Trauerspiels, und er hat mir einen Auftritt daraus mitgeteilet, in welchem gewiß ungemein viel großes liegt. Sind Sie begierig ihn zu lesen? Hier ist er! – Faust verlangt den schnellsten Geist der Hölle zu seiner Bedienung. Er macht seine Beschwörungen; es erscheinen derselben sieben; und nun fängt sich die dritte Szene des zweiten Aufzugs an.

Faust und sieben Geister

Was sagen Sie zu dieser Szene? Sie wünschen ein deutsches Stück, das lauter solche Szenen hätte? Ich auch!

Fll.

Achtzehnter Brief

Sie haben gefunden, daß der zweite Band des »Messias« in der Bibliothek 36 mit vielem Geschmacke beurteilet worden. Überhaupt davon zu reden, bin ich auch dieser Meinung; ob ich gleich gegen wenig Rezensionen in dem ganzen Werke mehr einzuwenden hätte, als gegen diese.

Der Abhandlung des Herrn Klopstocks »Von der Nachahmung des Griechischen Sylbenmaßes im Deutschen«, hat der Kunstrichter zu wenig Gerechtigkeit widerfahren lassen. Daß sie der Verfasser selbst ein bloßes Fragment nennt, hätte ihn nicht verführen sollen. Sie ist in ihrer Art kein schlechteres Fragment, als noch bis izt der Messias selbst ist. Man sieht nur, daß noch nicht alles gesagt worden; aber was auch gesagt worden, ist vortrefflich. Nur muß man selbst über die alten Sylbenmaße nachgedacht haben, wenn man alle die feinen Anmerkungen verstehen will, die Herr Klopstock mehr im Vorbeigehen, als mit Vorsatz zu machen scheinet. Und so geht es, wenn ein Genie von seiner Materie voll ist, und die tiefesten Geheimnisse derselben kennet; wenn er davon reden muß, wird er selten wissen, wo er anfangen soll; und wenn er [73] denn anfängt, so wird er so vieles voraus setzen, daß ihn gemeine Leser dunkel, und Leser von etwas besserer Gattung superfiziell schelten werden. Es befremdet mich also gar nicht, daß auch den Kunstrichter in der Bibliothek, die Gedanken des Herrn Klopstocks nicht gänzlich überzeugt haben, und daß ihm überhaupt der prosaische Vortrag desselben nicht allzuordentlich und angenehm vorkömmt. – Mir gefällt die Prosa unsers Dichters ungemein wohl; und diese Abhandlung insbesondere ist ein Muster, wie man von grammatikalischen Kleinigkeiten ohne Pedanterie schreiben soll.

So gar hat der Kunstrichter die allerwichtigste Erinnerung des Herrn Klopstocks gänzlich übersehen. Sie betrifft das Geheimnis des poetischen Perioden; ein Geheimnis welches uns unter andern den Schlüssel gibt, warum alle lateinische Dichter, in Ansehung der Harmonie, so weit unter dem Virgil bleiben, ob gleich jeder ihrer Hexameter, vor sich betrachtet, eben so voll und wohlklingend ist, als jeder einzelne des Virgils.

Indem ich des Hexameters und des Herrn Klopstocks hier gedenke, fällt mir ein, Ihnen eine kleine Entdeckung mitzuteilen. Man hat gefragt, ob Herr Klopstock der erste sei, der deutsche Hexameter gemacht habe? Nein, heißt es, Herr Gottsched hat schon lange vor ihm dergleichen gemacht. Und lange vor Gottscheden, setzen noch belesenere hinzu, Heräus. Aber auch Heräus ist nicht der erste; sondern diesen glaube ich ein ganzes Jahrhundert früher in dem deutschen Übersetzer des Rabelais 37 entdeckt zu haben. Es ist bekannt, wie frei dieser mit seinem Originale umgegangen, und wie viel er ihm eingeschaltet hat. Unter seine Zusätze nun gehöret auch, am Ende deszweiten Kapitels, der Anfang eines Heldengedichts in gereimten deutschen Hexametern, das, wie es scheint, ein scherzhaftes Heldengedicht hat werden sollen. Die Hexameter sind, nach der damaligen Zeit recht sehr gut, und der Übersetzer sagt, er führe sie deswegen hier an: »Dieweil daraus die Künstlichkeit der Teutschen Sprach in allerhand Karmina bescheint; und wie sie nun nach Anstellung des Hexametri, [74] oder sechsmäßiger Sylbenstimmung und silbenmäßigen Sechsschlag, weder den Griechen noch Latinen (die das Mus allein essen wollten,) forthin weiche.« Er fährt in seiner possierlichen Sprache fort: »Wenn sie schon nicht die Prosodie oder Stimmäßigung also Abergläubig, wie bei ihnen halten, so ist es erst billig, denn wie sie ihr Sprach nicht von andern haben, also wollen sie mit nach andern traben: eine jede Sprach hat ihre sondere angeartete Tönung, und soll auch bleiben bei derselben Angewöhnung.« Ich weiß, daß Sie es nicht ungern sehen werden, wenn ich Ihnen den Anfang selbst abschreibe. Er lautet so:


Fahr sittiglich, sittiglich, halt ein mein wütiges G'müthe.
Laß dich versicheren die kluge himmlische Güte
Daß du mit frefelich ohngefehr fährst auf hohen Sande,
Und schaffest ohne Bedacht dem Wisart ewige Schande.
Denn jagen zu hitziglich nach Ehr und ewigem Preise,
Das jaget ein oftermal zu sehr in spöttliche Weise.
Sintemal wir Reimenweiß understan ein ungepflegts Dinge,
Daß auch die Teutsche Sprach süßiglich wie Griechische springe.
Darum, weil ich befind ungemäß die Sach meinen Sinnen,
Werd ich benötiget höhere Hülf zu gewinnen.
Dann drumb sind sonderlich aufgebawt die himmlische Feste,
Daß allda jederzeit Hülf suchen Irrdische Gäste.
O mühsame Musen, Tugendsame und Mutsame Frawen,
Die täglich schawen, daß sie die Künstlichkeit bawen,
Die keine Müh nimmermehr schewen zu förderen diese,
Sondern die Müchlichkeit nehmen für Müßigang süsse,
Wann ihr dieselbige nach Wunsch nur fruchtwarlich endet.
Drumb bitt ich inniglich, daß ihr mir Fördernuß sendet,
Durch euere Mächtigkeit, damit ir Gemüter erregen,
Daß sie ergaistert nützliches was öffenen mögen,
Zu unserem jetzigen grossen vorhabenden Werke,
Von Mannlicher Tugend und mehr dann Menschlicher Stärke,
Des streitwaren Hackenback etc.

Die Fortsetzung folgt künftig.

[75] VIII. Den 22. Februar 1759
Beschluß des achtzehnten Briefes

Es nennt sich unser deutscher Übersetzer des Rabelais, Huldrich Elloposcleros, und es ist höchst wahrscheinlich, daß Johann Fischart unter diesem Namen verborgen liegt. Ελλοψ heißt stumm, und ist bei den griechischen Dichtern das gewöhnliche Beiwort der Fische, daher es auch oft für sich allein einen Fisch bedeutet; und ελλοποσκληρος 38 folglich muß einen Mann bezeichnen, den das Los der Fische getroffen, der von Fischart ist. Und was kann einander ähnlicher sein, als dieser deutsche Rabelais, und der deutsche Bienenkorb des Philipp von Marnix, von welchem letztern man es gewiß weiß, daß ihn Fischart übersetzt hat.

Vor dem angeführten Eingange läßt Fischart noch eine Zueignung an die deutsche Nation vorher gehen. Sie ist in Hexametern und Pentametern abgefaßt, bei welchen letztern dieses Besondere ist, daß nicht allein Pentameter mit Pentameter, sondern auch jedes Hemistichion mit dem andern reimet. Ich bitte Sie, vornehmlich auf die letzten acht Zeilen aufmerksam zu sein.


Dapfere meine Teutschen, redlich von Gemüt und Geblüte,
Nur ewerer Herrlichkeit ist dieses hie zubereit.
Mein Zuversicht jederzeit ist, hilft mir göttliche Güte,
Zu preisen in Ewigkeit, ewere Großmütigkeit.
Ihr seyd von Redlichkeit, von grosser streitbarer Hande,
Berümbt durch alle Land, immerdar ohn Widerstand:
So wer es euch allesampt fürwar ein mächtige Schande,
Wird nit das Vaterland in Künstlichkeit auch bekannt.
Drumb dieselbige sonderlich zu förderen eben:
So hab ich mich unverzagt, auf ietziges gern gewagt,
Und hof solch Reymes Art werd euch Ergötzlichkeit geben,
Sintemal ein jeder fragt, nach Newerung die er sagt.
O Harpffenweis Orpheus, jetzumal kompt widerumb hoche
Dein artige Reymenweiß, zu ihrigem ersten Preiß.
[76]
Denn du ein Tracier von Geburt und teutscher Sprache,
Der erst solch unterweist, frembde Völcker allermeist,
Dieselbige lange Zeit haben mit unserer Künste,
Allein sehr stolziglich, gepranget unbilliglich
Jetzumal nun baß bericht, wollen wir den fälschlichen Dunste
Ihn nemmen von Angesicht, uns nemmen zum Erbgedicht.

Das heißt wahrhaftig ein fremdes Sylbenmaß mit einer sehr artigen Empfehlung einführen. Die Empfehlung des Heräus ist lange so sinnreich nicht, wenn er zu seinem Helden sagt:


Lehrst du die Deutschen dein Reich wie Römer verfechten,
Darf ja der Deutschen ihr Reim römischer ähnlicher sein.

Verschiedene Jahre nach Fischart hat Alsted in seiner »Enzyklopädie« wieder ein Muster von deutschen Hexametern gegeben, welches ich lange Zeit für das erste gehalten. Die erste Ausgabe der »Enzyklopädie« ist von 1620 in Quart, und in dieser findet es sich noch nicht, sondern erst in der nachherigen vollständigern Ausgabe in Folio.

Von Alsteden aber bis auf den Heräus habe ich des deutschen Hexameters nirgends gedacht gefunden. Auch nicht einmal in den Lehrbüchern der Dichtkunst, wo doch Muster in andern lateinischen Sylbenmaßen, in dem Alkaischen zum Exempel vorkommen. – Dergleichen Kleinigkeiten zu wissen, ist deswegen gut, um bei gewissen Lesern dem Vorwurfe der Neuerung vorzubauen.

Fll.

Neunzehnter Brief

Ich komme auf unsern »Messias« zurück. – Der Kunstrichter tadelt an dem Dichter unter andern, 39 »daß er zuweilen seine Wortfügungen dermaßen verwirre, daß sich die Beziehung der Begriffe auf einander verliere, und sie dunkel werden müßten.« Er führet folgendes Beispiel an:


Feiert! Es flamm Anbetung der große, der Sabbat des Bundes,
[77]
Von den Sonnen zum Throne des Richters! Die Stund ist gekommen.

und setzt hinzu: »Wer diese zwei Verse ungezwungen erkläret, erit mihi magnus Apollo, und wann er eine natürliche Konstruktion darin entdecken kann, Phyllida solus habeto.« – Mit dem Tadel selbst kann es hier und da seine Richtigkeit haben; aber das Beispiel ist unglücklich gewählt. Lassen Sie mich versuchen, ob ich die Phyllis verdienen kann. Die Konstruktion ist diese: Feiert! Der große Sabbat, der Sabbat des Bundes flamme Anbetung von den Sonnen zum Throne des Richters! Die Stunde ist gekommen! Und was ist denn hier unnatürliches? Etwa dieses, daß das Subjekt hinter seinem Zeitworte steht, und das Zeitwort durch das vorgesetzte Es zum impersonali geworden zu sein scheinet? Aber was ist in unserer Sprache gewöhnlicher als dieses? Hat der Kunstrichter nie das alte Lied gehört: Es woll uns Gott genädig sein? Und hat Herr Klopstock nicht eben so wohl sagen können: Es flamme Anbetung der große Sabbat des Bundes? Die Konstruktion ist also gerettet, und der Kunstrichter mache sich immer fertig, mich als seinen großen Apollo zu verehren! Denn wem kann der Sinn nun noch zweideutig sein? Eloa kömmt vom Throne Gottes herab, und ruft durch die Himmel daß itzt der Versöhner zum Tode geführet werde. Diese Stunde der Nacht, wie sie in der folgenden Zeile heißt, nennet Eloa den großen Sabbat des Bundes, und von diesem will er, daß er durch alle Welten Anbetung flamme, verbreite. –

Doch ich eile, Ihnen zu entdecken, wodurch zufälliger Weise diese Rezension des Messias bei weitem so unterrichtend nicht geworden ist, als sie wohl hätte werden können. Ihr Verfasser hat die Originalausgabe dieses großen Gedichts nicht gekannt, die nun schon vor vier Jahren, in der Königlichen Druckerei zu Kopenhagen 40 veranstaltet worden. Sie bestehet aus zwei prächtigen Bänden; aber die Pracht ist das geringste ihrer Vorzüge. Der erste Band enthält eine Abhandlung von der geistlichen Epopee und die ersten fünf Gesänge; der zweite enthält die fünf neuen Gesänge, und die schon erwähnte [78] Abhandlung von der Nachahmung der griechischen Sylbenmaße. – War diese Ausgabe vielleicht zu kostbar, daß sich die Liebhaber in Deutschland mit dem Hallischen Nachdrucke begnügen lassen? Oder haben die Herren Buchhändler sie vorsätzlich unterdrückt? Man sagt, daß sie es mit gewissen Büchern tun sollen. – Was läge unterdessen daran, wenn nur das Publikum bei dem Nachdrucke nichts verloren hätte. Aber hören Sie, wie viel es noch bis itzt verlieret. Man hat nur den zweiten Band nachgedruckt, und den ersten gar keiner Achtung gewürdiget. Gleichwohl enthält er, wie gesagt, eine besondere neue Abhandlung, und die Gesänge selbst sind an ungemein vielen Stellen verändert und verbessert worden.

Veränderungen und Verbesserungen aber, die ein Dichter, wie Klopstock, in seinen Werken macht, verdienen nicht allein angemerkt, sondern mit allem Fleiße studieret zu werden. Man studieret in ihnen die feinsten Regeln der Kunst; denn was die Meister der Kunst zu beobachten für gut befinden, das sind Regeln.

Sie sind itzt nicht in den Umständen, daß Sie selbst diese Vergleichung der ersten und neuern Lesarten anstellen könnten, die Sie zu einer andern Zeit sehr angenehm beschäftigen würde. Erlauben Sie mir also, Ihnen noch eines und das andere davon zu sagen. –

Welch einen lobenswürdigen Fleiß hat der Dichter auf die Sprache und den Wohlklang verwendet. Auf allen Seiten findet man Beispiele des bestimmtern Sylbenmaßes, der reinern Wortfügung, und der Wahl des edleren Ausdrucks. In Ansehung der Wortführung hat er unter andern eine Menge Participia, wo sie den Perioden zu schwerfällig, oder zu dunkel machten, aufgelöset. Z.E. wo er den Satan mit grimmigem Blicke den göttlichen Weltbau durchirren läßt,


Daß er noch durch so viele Jahrhunderte, seit der Erschaffung
In der ersten von Gott ihm gegebenen Herrlichkeit glänzte
heißt nunmehr die letzte Zeile
[79]
In der Herrlichkeit glänzte, die ihm der Donnerer anschuf.
Oder wo er sonst den Zophiel sagen ließ:
– – – Verkündigt der dampfende Nebel
Seine von allen Göttern so lange gewünschte Zurückkunft
heißt es itzt:

Seine Zurückkunft, auf welche die Götter so lange schon harrten


Und so in hundert andern Stellen, mit welchen die Feinde der Mittelwörter nun weniger unzufrieden sein werden. – Gewisse Wörter hat der Dichter zu gemein befunden, und sie haben ausgesuchtern weichen müssen. Wo es vorher hieß:


Wische dem Knaben die Zähre vom Antlitz

oder:

Wischet mit mir, wenn er stirbt, das Blut von seinem Gesichte


ist beidemal für wischen, trocknen gesetzt. Das WortBehausung, welches der Dichter sonst sehr oft brauchte, hat überall seinen Abschied bekommen; und ich finde nur eine einzige Stelle, wo es stehen geblieben. Ich weiß zwar in Wahrheit nicht, was Herr Klopstock wider dieses alte ehrliche Wort haben mag; er muß aber doch etwas darwider haben, und vielleicht entdecken Sie es.

Andere Veränderungen betreffen Schönheiten des Detail. Dahin gehören besonders nicht wenige besser ausgemalte Beschreibungen; dergleichen diese, wo von den Geistern der Hölle im zweiten Gesange gesagt wird:


– – – Sie gingen und sangen
Eigene Taten, zur Schmach und unsterblichen Schande verdammet.
Unterm Getöse gespaltner (sie hatte der Donner gespalten!)
Dumpfer, entheiligten Harfen, verstimmt zu Tönen des Todes
Sangen sie etc.
[80] da es vorher bloß geheißen:
Unterm Getöse vom Donner gerührter entheiligter Harfen
Sangen sie.
Von eben der Art sind auch folgende Zeilen.
Satan hört ihn voll grimmiger Ungeduld also reden,
Wollt itzt, von den Höhen des Throns, der türmenden Felsen
Einen gegen ihn schleudern; allein die schreckliche Rechte
Sank ihm zitternd im Zorne dahin –
Die alte Lesart hatte:

Itzt wollt er auf ihn donnern, allein die schreckliche Rechte etc.


Noch hat der Dichter hier und da ganz neue Stellen eingeschaltet. Ich führe Ihnen nur eine an, die Sie gewiß sehr schön finden werden. Wenn Satan in der Hölle den Tod Jesu beschließt, und sagt:


Er soll sterben! Bald will ich von ihm den Staub der Verwesung
Auf dem Wege zur Hölle, vorm Antlitz des Ewigen ausstreun.
Seht den Entwurf von meiner Entschließung. So rächet sich Satan!
heißt es nunmehr weiter:
Satan sprach es. Indem ging von dem Versöhner Entsetzen
Gegen ihn aus. Noch war in den einsamen Gräbern der Gottmensch.
Mit dem Laute, womit der Lästerer endigte, rauschte
Vor den Fuß des Messias ein wehendes Blatt hin. Am Blatte
Hing ein sterbendes Würmchen. Der Gottmensch gab ihm das Leben.
Aber mit eben dem Blicke sandt' er dir, Satan, Entsetzen!
Hinter dem Schritt des gesandten Gerichts versank die Hölle,
Und vor ihm ward Satan zur Nacht! So schreckt ihn der Gottmensch.
[81]
Und ihn sahe der Abgrund und blieb vor Bewundrung stille etc.

Aber auch die Kunst auszustreichen verstehet Herr Klopstock, und es sind manche Zeilen weggefallen, die sich seine Bewunderer nimmermehr würden haben nehmen lassen, wenn er sie ihnen nicht selbst genommen hätte. Es sind meistenteils Zeilen, die ein wenig in das Tändelnde fielen. So erhaben, als es z.E. sein sollte, wenn Adramelech sagte:


Dann würg ich nicht die vernünftigen Wesen, wie Satan, nur einzeln;
Nein zu ganzen Geschlechtern! Die sollen vor mir sich in Staub hin
Niederlegen, ohnmächtig sich krümmen, und winden und jammern,
Wenn sie sich winden, und krümmen und jammern, so sollen sie sterben.

so klein war es in der Tat, und der Dichter hat sehr wohl daran getan, daß er die beiden letztern Zeilen in eine gezogen:


Die sollen vor mir sich in Staub hin
Niederlegen, ohnmächtig sich krümmen und winden, und sterben.

Und wären doch alle seine Verkürzungen von dieser Art! Doch so muß ich Ihnen leider sagen, daß dem Herrn Klopstock, ich weiß nicht welcher Geist der Orthodoxie, oft anstatt der Kritik vorgeleuchtet hat. Aus frommen Bedenklichkeiten hat er uns so manchen Ort verstümmelt, dessen sich ein jeder poetischer Leser gegen ihn annehmen muß. Was geht es diesem an, daß einem Schwachgläubigen die wütenden Entschließungen des Adramelechs, zu Ende des zweiten Gesanges, anstößig gewesen sind oder sein können? Soll er sich deswegen die vortreffliche Stelle rauben lassen, wo dieser rasende Geist auch die Seele des Messias zu töten sich vornimmt?


Und wenn der Ewige sie vor andern Seelen erwählte,
Wenn er sie sich zu verherrlichen schuf: so soll er voll Jammer
[82]
Um sie in einsamer Ewigkeit klagen! Drei schreckliche Nächte
Soll er um sie klagen! Wenn er sich ins Dunkle verhüllt hat,
Soll drei schreckliche Nächte kein Seraph sein Angesicht sehen!
Denn will ich durch die ganze Natur ein tiefes Geheule
Hören, ein tiefes Geheule am dunkeln verfinsterten Throne,
Und ein Geheul in der Seelen Gefild, ein Geheul in den Sternen
Da, wo der Ewige wandelt, das will ich hören und Gott sein!

Und solche Stellen haben mehrere weichen müssen, die ich mir alle sorgfältig wieder in mein Exemplar eingetragen habe. Unter andern ist der Charakter des Verräters durch die fromme Strenge des Dichters noch einmal so unbestimmt geworden, als er vorher war. Er war schon anfangs sehr schielend, und nun weiß man vollends nicht was man daraus machen soll. Auch sogar alle die Wörter, die einen heidnischen Verstand haben können, die aber der Dichter, meinem Bedünken nach, sattsam geheiliget hatte, sind verwiesen worden; was vorher Schicksal hieß, heißt nun Vorsicht, und die Muse hat sich überall in eine Sängerin Sions verwandelt.

Die größte Verbesserung, wo das Genie des Dichters ohne Zweifel am wirksamsten gewesen, ist die, welche er mit der Rede des Vaters im ersten Gesang vorgenommen. Es ist der Anständigkeit gemäß, daß sich Gott so kurz als möglich ausdrückt; und jene Rede verstieß wider diese Regel viel zu sehr. Gleichwohl mußte alles, was Gott da sagt, gesagt werden; und der Dichter ist nunmehr also auf das Mittel gefallen, ihn selbst nur die ersten Zeilen sagen, und das übrige einen Seraph von dem Gesichte Gottes lesen zu lassen. Ich bewundere diesen Einfall als eine Veränderung, zu der ihn die Not gebracht; an und für sich selbst aber hat er meinen Beifall nicht.

Fll.

[83]

XII. Den 22. März 1759
Dreißigster Brief

Die Fabeln des Rabbi Berachja Hanakdan, 41 oder wie er mit seinem ganzen Namen heißt: Berachja Ben-Natronai Hanakdan, haben Ihre Aufmerksamkeit an sich gezogen, und Sie wünschen mehrere von den eigentümlichen Erfindungen dieses Fabulisten zu lesen.

Vorher lassen Sie sich einen lustigen Fehler erzählen, den Herr Professor Gottsched mit diesen Fabeln gemacht hat. Weil sie ihr Verfasser »Fabeln der Füchse« zu nennen für gut befunden, so hat Herr Gottsched den schönen Einfall gehabt, sie für eine Übersetzung des »Reineke Fuchs« 42 auszugeben. Hören Sie nur, was er sagt: »Die zweite Übersetzung ist eine Hebräische, die unter dem Titel ›Mischle Schualim‹, die Fabeln von Füchsen 1557 zu Mantua gedruckt worden. Der Verfasser ist Rabbi Barachias Ben-Natronai gewesen. Nun meinet zwar Morhof, es wären auch andere Fabeln von andern Tieren darinnen; folglich möchte es nur ein Äsopisches Fabelbuch sein. Allein im ›Reineke Fuchs‹ kommen ja auch andere Fabeln von Tieren vor: und warum hätte man den Fuchs auf den Titel gesetzt, wenn seine Geschichte nicht die vornehmste darin wäre.«

Hätte Herr Professor Gottsched nicht in dem Wahn gestanden, daß ein Autor auch zu derjenigen Zeit müsse gelebt haben, wenn seine Schrift das erstemal gedruckt worden, so würde er vielleicht nachgeschlagen, und diesen Irrtum nicht begangen haben. Er würde gefunden haben, daß Berachja Hanakdan bereits am Ende des dreizehnten, und zum Anfange des vierzehnten Jahrhunderts gelebt, und also unmöglich das Werk eines Schriftstellers aus dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, dergleichen der »Reineke Fuchs« nach seinem eigenen Vorgeben ist, übersetzen können.

Ferner muß der Herr Professor gar nicht wissen, wie fast [84] alle Büchertitel der Rabbinen beschaffen sind. Sonst würde er von dem Titel auf das Buch mit solcher Zuversicht nicht geschlossen, noch Morhofen sein entscheidendes Allein in den Tag hinein, entgegen gesetzt haben. Morhof hatte das Buch ohne Zweifel gesehen; und hier, wo es gar nicht selten ist, kann es jeder zu sehen bekommen, und sich mit eigenen Augen überzeugen, daß es kein »Reineke Fuchs« ist. Es sind Äsopische Fabeln, die gar keinen Zusammenhang unter sich haben, und die Hanakdan, wie er auf der letzten Seite selbst sagt, deswegen »Fabeln der Füchse« genennet hat, weil die Füchse unter den Tieren, die ihre Rollen in der Fabel spielen die allerklügsten wären.

Es sind aber mehr neue und dem Rabbi eigene Erfindungen darunter, als Sie vielleicht aus der Nachricht, welche die Bibliothek davon erteilet, vermuten dürften. Hier sind einige derselben mit welchen Sie in den Sammlungen der Äsopischen Fabeln nichts ähnliches finden werden. Von den Schwierigkeiten der Übersetzung, sind Sie bereits unterrichtet.

Die XIX. Fabel
Die zwei Hirsche und der Mensch

Ein geheimnisvoller Tor wird oft für weise gehalten, und in den Rat der Verständigen gesetzt. – Zwei Hirsche standen am Ufer eines Baches, und schienen sich einander Geheimnisse in die Ohren zu flistern. Ein Mensch ging auf der Heerstraße, und die Neubegierde trieb ihn zu ihnen hin. »Warum redet ihr so leise, Freunde? fragte er. In dieser Einsamkeit wird euch niemand belauschen.« – Wir entdecken uns eben keine großen Geheimnisse, war die Antwort. Die wichtigste Ursache warum wir hier bei einander stehen, ist die lange Weile.

Die XXVIII. Fabel
Die Maus, die Sonne, die Wolke,
der Wind und die Mauer

Ein Stutzer unter den Mäusen dachte bei sich selbst: Siehe! es ist nicht gut alleine zu sein; doch finde ich unter allen Tieren keine Frau, die mir gefällt. Ich möchte eine schöne, gütige und vornehme Frau, die mir aber nichts verzehret. – Wo finde ich diese?

»– Wohlan! ich will die Sonne heiraten. Was kann dieser an Glanz [85] und Herrlichkeit gleichen? Die Sonne bringt Licht und Erquickung auf ihren Flügeln, wenn alle Bewohner der Erde in Finsternis eingehüllet schlummern. – So eben ging die Sonne auf. Unsere Maus ward entzückt, und sprach: ich habe dich je und je geliebt, und will dich zu mir ziehen aus lauter Gewogenheit, (Jer. XXXI, 3.) Ich will dich zur Frau nehmen, Sonne!« – Du bist nicht klug, Maus! versetzte die listige Sonne. Willst du ein Licht wählen, das alle Augenblick verlischt? Siehe! die Sonne scheinet, und gehet wieder unter. Wie oft werde ich nicht von den Wolken verdunkelt? Die Wolken, Maus! sind weit über mich. Erhebe deine Wünsche zu ihnen; so wirst du glücklicher sein. Die Maus eilete zu einer Wolke hin: »ich habe mir Mühe gegeben, und dich gefunden, meine Liebe, meine Schöne, meine Braut! Komm! du sollst meine sein; ich werde dich nie verlassen.« – Wenn du mich heiratest, antwortete die Wolke, so mußt du flüchtig und unstet herum wandern. Mich treibet der Wind, wohin es ihm gefällt. Laß von der Magd ab und wähle dir die Frau, denn ich bin dem Winde untertan. – Sie suchte hierauf den Wind, und fand ihn in einer Wüsten. Komm mit mir aus dieser Einöde, rief sie, komm! Ich habe dich unter allen Geschöpfen mir zur Frau erlesen. – O du betriegst dich sehr, antwortete der Wind, wenn du mich vielleicht für mächtig hältst! Siehe! ich mag toben wie ich will, so trotzt mir eine jede gemeine Mauer, und stehet aufrecht. Die Mauer würde dich weit glücklicher machen als ich. – Sie machte endlich auch der Mauer ihren Liebesantrag, und sagte, daß die Sonne, die Wolke und der Wind sie zu ihr schickten. – Gehe! antwortete die Mauer zornig. Wollen sie meiner spotten, weil ich mich nicht so gut bewegen kann, als sie? Sie sollten Mitleiden mit mir Elenden haben. Die Mäuse durchgraben meinen Grund, und machen sich allenthalben freie Durchwege. Jetzo haben mehr als zwei hundert Mäusegeschlechter in mir ihre Wohnungen aufgeschlagen und mich mit Zähnen und Füßen durchbohrt. Eine solche Frau lässest du dir anraten? – Der junge Freier sah sich in seiner stolzen Hoffnung betrogen, kehrte zu den Mäusen zurück, nahm sich eine aus seinem Geschlechte, und fand eine Gehülfin, die um ihn war. (I. B. Mos.)


Die Fortsetzung folgt künftig.

[86] XIII. Den 29. März 1759
Beschluß des dreißigsten Briefes
Die XXX. Fabel
Der Ochs und der Bock

Ein Ochs erblickte einen Löwen, und floh und hörte ihn immer hinter her brüllen. Endlich verkroch er sich hinter ein Gesträuche; dort hatte sich auch ein Bock versteckt; der Ochs erblickte ihn, und fuhr erschrocken zurück. Was fürchtest du dich, Vetter? rief der Bock, wir sind ja beide in einem Stall erzogen. Bist dus, antwortete der Ochs, alles was lebt ist mir heute Löwe, so sehr hat mich der Räuber geängstiget.

Wer verfolgt wird, fürchtet seinen eigenen Schatten.

Die XXXVI. Fabel
Der Wolf und die Tiere

Der Kanzler des Löwen, der Wolf, ward von allen Tieren verklagt, daß kein lebendiges Geschöpf vor seinem Räuberzahn sicher sei. Der Unersättliche, klagten sie, macht den Wald zur Einöde, unsere Weiber zu Witwen, und unsere Kinder zu Waisen. Der König zürnete, und verwies dem Wolf seine Grausamkeit mit harten Worten. Das Vergangene ist nicht mehr zu ändern, setzte er königlich hinzu; aber hinfüro hüte dich vor Gewalttätigkeit. Begnüge dich mit den toten Tieren, die du auf dem Felde findest, und schwöre, dich zwei ganze Jahre alles Fleisches zu enthalten, für jedes lebendige Tier, das du dich zu erwürgen gelüsten lässest. Der Wolf schwur und ging zurück. – Wenig Tage nachher überfiel ihn ein grausamer Hunger, und er sahe ein fettes Schaf auf der Wiese weiden. Da kämpften in ihm Gedanken mit Gedanken. Zwei Jahre kein Fleisch zu genießen! – Die Strafe ist hart! und ich habe geschworen – Doch in jedem Jahre sind drei hundert und fünf und sechzig Tage. Tag ist wenn ich sehen, und Nacht, wenn ich nicht sehen kann. So oft ich also die Augen verschließe ist Nacht, und wenn ich sie wieder auftue; so wirds Tag. – Schnell blinzte er die Augen zu, und tat sie wieder auf; da ward aus Abend und Morgen der erste Tag. Er zählte zwei volle Jahre. Nun, sprach er, habe ich für die Sünde zum voraus gebüßt, ergriff das Schaf und würgte es.

Ein Räuber findet leichtlich Mittel den kräftigsten Eid zu vereiteln.

[87] Die XXV. Fabel
Die Schafe, der Widder und der Löwe

Die Schafe waren einst in den Ställen allein, denn die Hirten hatten sich entfernt, und vergessen die Türen hinter sich zu verschließen. Keines blieb in dem Stalle , denn sie gingen heraus auf dem Felde Speise zu suchen. Sie hatten sich von dem Dorfe nur wenig entfernt, da kam ein Löwe aus der Wüsten hergezogen, und eilete sie zu erreichen. Sie erblickten ihn, und riefen sich einander zu: Wenn der Löwe brüllt, wer wird sich nicht fürchten? – Kein Mittel war zur Errettung übrig. – Sie sprachen also zum Widder, der sie anführte: Gehe du dem Fürchterlichen entgegen. Berede ihn mit glatter Zunge, daß er von uns abweiche. Der Widder zog von seinem Heere ab, trat näher und schmeichelte: Heil dir, König der Tiere! Du bist immerdar willkommen, und wer dich erblickt, der segnet dir entgegen. – Ha! brüllte der Löwe, bei dir und deinen Freunden werde ich Segen finden. Deine liebliche Reden sind vergeblich. Läßt sich ein König mit Worten abspeisen? Komm! dein Fleisch wird süßer sein, als dein Gruß.-

Der macht sich zum Gespötte, der einen Tyrannen durch Beredsamkeit zu gewinnen gedenkt.

Die LXXXXII. Fabel
Der stößige Ochs und sein Herr

Ein Ochs verkannte seinen Herrn, und so oft ihn dieser vor den Pflugschar spannte, stieß er um sich mit Macht. Der Herr ward böse, und verschnitt dem Mutwilligen die Hörner. Nun wird er gebändiget sein, sagte er zu seinen Nachbarn; ich habe ihm die Macht zu schaden geraubt. – Tages darauf wollte er ihn vorspannen, und er biß ihn mit seinen mörderischen Voderzähnen. Gut, sagte der Ackersmann, du sollst auch diese verlieren, und schlug ihm die Zähne aus. Aber der Ochs ward dadurch nicht demütiger, denn den dritten Tag, als sich der Herr ihm näherte, stieß er ihn mit der Hüfte zu Boden, und mißhandelte ihn jämmerlich. Das haben wir wohl gewußt, sagten die Nachbarn, der Unbändige schadet, so lange ein Glied an ihm ganz ist.

Die LXXXXVIII. Fabel

Ein hungriger Rabe fand ein Aas auf dem Felde und freuete sich dessen sehr. Er hüpfte für Freuden hin und her, schlug seine Flügel zusammen, und sang mit rauher Stimme so laut, daß der Adler in der Luft sein Geschrei hörte. Was mag dieses bedeuten, dachte der Adler: (2. B. M. c. 32, 18.) Es ist kein Geschrei gegen einander, [88] derer die obliegen, oder derer die unterliegen? Er ließ sich herab, verscheuchte den Raben, und trug das Gewild davon. –

Nun schreiet der Rabe nicht mehr, wenn er ein Fraß findet.

Fll.

Ende des ersten Teils

Nachricht

Das Schreiben des Herrn C. G. Bergmanns an den Verfasser dieser Briefe, welches wir am Ende des neunten Bogens unter unsern Lesern ausgeboten haben, würde gar keine Antwort verdienen, wenn er nicht unter andern auch diese unverschämte Wendung gebraucht hätte: daß in einer Übersetzung von mehr als 500 Seiten, ja wohl drei Fehler sein könnten. Denn auf drei Fehlerchen hat er alles, was in dem vierten Briefe wider ihn erinnert worden, zu reduzieren die Geschicklichkeit gehabt.

Wenn es nun wirklich wahr wäre, daß sein Criticus nur drei Fehler auftreiben können, und daß er auf diese drei Fehler die ganze Arbeit, als die elendeste Übersetzung verworfen hätte: so könnte er leicht die Grobheiten verdient haben, die ihm Bergmann zu sagen für gut befunden. Aus Achtung also gegen diejenigen von unsern Lesern, die nicht selbst Zeit oder Gelegenheit haben, sich von dem Gegenteile zu überzeugen, und deren Vertrauen wir nicht gern verscherzen wollten, müssen wir schon noch einige Seiten aufopfern.

Herr Bergmann trotzt auf den ganzen zweiten Brief seines deutschen Bolingbroke, in welchem man keinen Fehler habe zeigen können. Das ist aber daher gekommen, weil man diesen zweiten Brief nicht gelesen; denn in der Tat wimmelt er von Fehlern. Z.E.

S. 20. Highlanders übersetzt Herr Bermann durchRäuber.

S. 24. Let me explain what I mean, by an example übersetzt B: Lassen Sie mich erklären, was ich durch ein Beispiel verstehe. Es sollte heißen: Lassen Sie mich meine Meinung durch ein Beispiel erläutern.

S. 29. I have recorded these things übersetzt B: Ich habe diese Dinge überlegt. Es sollte heißen, aufgezeichnet.

[89]

S. 33. The sentence is pronounced in one case, as it was in the other, too late to correct or recompense, but etc. übersetzt B: Das Urteil wird in einem Falle ausgesprochen, wie in dem andern verborgen zu bleiben, getadelt oder belohnt zu werden etc. Too late;verborgen zu bleiben! Too sieht Bergmann für to an, und late denkt er, muß die Bedeutung des lateinischen latere haben.

S. 44. Bolingbroke redet von den seichten Witzlingen, welche den Einfluß der Geschichte auf die Bildung des Herzens zur Tugend leugnen und darüber spotten. I will spend, fährt er fort, a few paragraphs, with your Lordships leave, to shew that such affirmations, for to affirm amongst these fine men is to reason, either prove too much, or prove nothing. Dieses übersetzt Bergmann: Ich will mit Ew. Gnaden Erlaubnis einige wenige Paragraphen verschwenden, Ihnen zu zeigen, daß solche Bekräftigungen entweder zu viel, oder zu wenig beweisen. Denn dieselben bestätigen, würde unter solchen witzigen Köpfen ein Gewäsche heißen. Ist in dem letzten Perioden ein Funken Menschenverstand?

Auf eben der Seite. If our general characters were determined absolutely, as they are certainly influenced, by our constitutions, and if our particular actions were so by immediate objects etc. Bolingbrok will sagen: daß unser Temperament auf unsern Charakter einen Einfluß habe, ist nicht zu leugnen; wenn aber unser Charakter durch unser Temperament, und unsere besondern Handlungen durch unmittelbare Gegenstände notwendig bestimmt würden etc. Bergmann aber übersetzt: Wenn unser allgemeiner Charakter eben so notwendig bestimmt wäre, so notwendig er durch unsere Leibesbeschaffenheit uns eingeflößt ist; und wenn wir unsere besondere Handlungen durch unmittelbare Gegenstände ausübten etc.

S. 130. These increated essences, a Platonist would say; übersetzt B. Ein Platoniker würde sagen, diese angeschaffene Wesen.

S. 135. They have seldom the skill and the talents necessary to put what they do know well together; übersetzt B: Sie haben selten die Geschicklichkeit und die nötige Gaben, [90] etwas aufzusetzen, was sie sehr wohl im Zusammenhange wissen. Er hätte konstruieren sollen: to put well together, what they do know.

S. 140. Bolingbroke redet von dem, was in den ältesten Jahrbüchern aufgezeichnet worden; und sagt, daß man darin nicht sowohl das, was wirklich aufgezeichnet zu werden verdienet, als vielmehr das, was damals den stärksten Eindruck auf die Gemüter gemacht, aufgezeichnet habe. The few passages of that time, which they retain, are not such as deserved most to be remembered; but such as, being most proportioned to that age, made the strongest impressions on their minds. Nun halte man die kauderwelsche Übersetzung dagegen: Die wenigen Zufälle dieser Zeit sind eben nicht so notwendig, daß sie verdienten angemerkt zu werden, sondern die, welche mit demjenigen Alter am meisten verwandt sind, das den stärksten Eindruck in ihre Gemüter machte.

S. 144. Bolingbroke sagt bei Gelegenheit des Cicero: Pompey, Cato, Brutus, nay himself, the four men of Rome, on whose praises he dwelt with the greatest complacency etc. d.i. bei deren Lobe er sich so ungemein gern verweilte. Bergmann aber sagt gerade das Gegenteil: diese vier Männer, die er so bescheiden erhebt.

S. 147. But this observation, like several others,becomes a reason, for examining and comparing authorities. Bergmann übersetzt: diese Anmerkung aber, nebst verschiedenen andern, gehört für einen Verstand, der den verschiedenen Grund untersuchen, und mit einander vergleichen kann etc. Becomes a reason! Gehört für einen Verstand!

S. 153. Bolingbroke redet von den Gottesgelehrten, und zwar von den rechtschaffensten unter ihnen, und sagt: Now it has been long matter of astonishment, how such persons as these, could take so much silly pains to establish mystery on metaphysics, revelationon philosophy and matters of fact on abstract reasoning. Dieses übersetzt Bergmann, wie sie sich so viel vergebliche Mühe geben können, in die Metaphysik, Geheimnisse; in die Weltweisheit, Offenbarung; und in abgezogne Vernunftschlüsse geschehene Dinge einzuführen.

Aber wir können es unmöglich länger aushalten, unsinnige [91] Fehler abzuschreiben, und einem Bergmann seine Exercitia zu korrigieren. Man hatte ihm zugleich vorgeworfen, daß er auch nicht einmal drei Worte Lateinisch übersetzen könne, und er versetzt hierauf: Ich kann Ihnen Trotz bieten, mir noch eine lateinische Stelle zu zeigen, von der Sie mit Recht behaupten können, daß ich solche nicht verstanden hätte. Hier ist gleich noch eine, und zwar aus dem nämlichen zweiten Briefe! Bergmann übersetzt nämlich die Worte des Tacitus: Praecipuum munus annalium reor, ne virtutes sileantur, utque pravis dictis factisque ex posteritate et infamia metus sit: Ich halte es für die vornehmste Pflicht der Jahrbücher, daß die Tugenden nicht verschwiegen werden; damit der Nachwelt von schändlichen Reden und Taten und vor der Unehre eine Furcht beigebracht werde. Wo sagt Tacitus: damit? Wo sagt er, daß der Nachwelt Furcht solle beigebracht werden? Und Furcht vor schändlichen Reden und Taten?

Wir wollen mit einem Exempel beschließen, daß Herr Bergmann auch nicht drei französische Worte zu übersetzen wisse. Boileau, wie Bolingbroke anführt, (S. 52) sagt, daß ein guter Schriftsteller lieber nachahmen, als übersetzen, und lieber nacheifern, als nachahmen werde, und nennt dieses jouster contre l'original. Was meint man nun wohl das Bergmann hierunter verstanden habe? Er sieht jouster für ajouter an, und übersetzt in seiner Einfalt: wider den Inhalt der Urschrift hinzusetzen. Kann man sich einen lächerlichern Fehler gedenken? – O, wahrhaftig, mein Herr Bergmann, wenn das ein guter Übersetzer tun soll, so sind Sie der beste von der ganzen Welt! –

Zweiter Teil

1759

Vorbericht

Beinahe wären wir gezwungen, diesen zweiten Teil eben so anzufangen, als wir den ersten beschließen müssen.

[92] Auch der Übersetzer des Pope hat sich durch das in dem zweiten Briefe über ihn geäußerte Urteil, beleidiget gefunden; wie man aus dem Hamburgischen Korrespondenten ersehen. Auch er legt es uns so nahe, daß wir unserm Leser und ihm, durch Anzeigung mehrerer Stellen, die er ganz falsch und wider den Sinn seines Originals übersetzt hat, ohnfehlbar verdrießlich fallen würden, wenn wir nicht eben erführen, daß ein anderer uns dieser undankbaren Mühe überhoben habe. Wir bitten ihn also, sich eine kurze Zeit zu gedulden, und den neuen Teil einer bekannten Zeitschrift abzuwarten. In einem kleinen Briefe, sollte er nicht höchst ekelhaft werden, hat man sich nicht tiefer mit ihm einlassen können. Genug daß das wenige von der Beschaffenheit gewesen, unparteiische Leser mit Grunde vermuten zu lassen, man habe noch ungleich mehr zurückbehalten. Und wäre es nicht sehr seltsam, daß wir nur mit ihm Unrecht haben sollten? Nur mit ihm! Denn er gibt uns selbst das Zeugnis, daß wir weder dem Übersetzer des Gay, noch des Bolingbroke zu viel getan. Unterdessen ist es falsch, daß wir ihn an die Spitze der schlechten Übersetzer stellen wollen. Wir haben leider so viel elendere, daß man ihn noch unter die guten zählen darf, wenn man ein Auge zumachen will.

Was er übrigens von unanständigen Absichten sagt, davon möchten wir wohl nähere Erklärung zu haben wünschen. Die Verfasser dieser Briefe sind sich weiter keiner Absicht bewußt, als der Absicht, ihre Meinung zu sagen. Das Recht dazu, haben sie mit allen Schriftstellern gemein. Trennungen können sie wenigstens unter unsern besten Köpfen nicht verursachen wollen. Denn unsere besten Köpfe sind noch nie einig gewesen.

Aber genug hiervon. – Wir haben einem ungenannten Freunde noch für eine kleine Erinnerung zu danken, die er uns wegen des achtzehnten Briefes machen wollen, in welchem der Übersetzer des Rabelais für den ersten Verfertiger deutscher Hexameter ausgegeben worden. »Das kömmt daraus, schreibt dieser Freund, wenn man die Gottschedische Schriften nicht besser gelesen hat! Schlagen Sie des Herrn Gottscheds Sprachkunst (S. 628) nach, so werden Sie finden, [93] daß Conrad Geßner noch vor Ihrem Fischart deutsche Hexameter gemacht hat. etc.« – Hierauf antworten wir, daß uns diese Anmerkung des Herrn Gottscheds nicht unbekannt gewesen, daß wir uns aber nicht überwinden können, sechsfüßige Verse die außer dem einzigen fünften Fuße aus lauter Spondeen bestehen, für wahre Hexameter zu halten. Ein einziger solcher Vers ist zwar zur Not ein Hexameter; aber lauter solche Verse sind keine.

XIV. Den April 1759
Ein und dreißigster Brief

Sie werden den Verdruß, den Ihnen der deutsche Theokrit 43 gemacht hat, sobald nicht vergessen? – Auch nicht, wenn ich Ihnen eine bessere Übersetzung ankündigte? Zwar nicht vom Theokrit; denn noch wird man sich hoffentlich eine Zeitlang vor einem Ufer scheuen, an welchem so schimpflich gescheitert worden. Aber doch auch eines dorischen Dichters. Und was meinten Sie zu einem deutschen Pindar?

Ich mache Ihnen keine vergebene Freude. Pindar hat wirklich in der Schweiz einen jungen kühnen Geist erweckt, der uns mit den Begeisterungen des thebaischen Sängers bekannter machen will. Die Sache hat große Schwierigkeiten; und es ist unendlich leichter über den ganzen Pindar einen gelehrten Kommentar zu schreiben, als eine einzige Ode schön zu übersetzen. Doch der junge Schweizer denkt mit seinem Dichter:


– – 'O μεγας δε κινδυ-
νος αναλκιν ου φω-
τα λαμβανει –

und der Versuch, den er gemacht hat, ist sehr wohl ausgefallen. Ein Freund hat mir ihn mitgeteilet. Und was gut ist, muß man mitteilen; ich teile ihn also auch Ihnen mit.

Ich weiß, Sie erwarten nicht, daß die Übersetzung in Versen sein werde. Der einzige Deutsche, wollte ich fast sagen, [94] hat die Freiheit, seine Prosa so poetisch zu machen, als es ihm beliebt; und da er in dieser poetischen Prose am treuesten sein kann, warum soll er sich das Joch des Sylbenmaßes auflegen, wo er es nicht sein könnte?

Es ist aber auch keine wörtliche Übersetzung, denn Cowley sagt: »Wenn jemand den Pindar von Wort zu Wort übersetzen wollte, so würde man glauben, einRasender habe den andern übersetzt.«

Doch Sie sollen selbst urteilen. Es ist die erste, die vierte und die eilfte der Olympischen Oden. Die erste, weiß ich, kennen Sie gewiß. Wer sollte auch nicht so neugierig gewesen sein, wenigstens die erste Ode des Pindars zu lesen, wenn sie ihm auch noch so viel Mühe gekostet? –

Der Olympischen Oden des Pindars erste

An den Hiero, König von Syrakus 44


1. Strophe


Der Elemente bestes ist Wasser, und wie die lodernde Flamme zur Nacht, also glänzet hoch unterm stolzen Reichtum das Gold. Aber willst du Siege erzählen, o suche mein Geist, wie in des Äthers Wüsten am Tage kein erwärmender Gestirn, als die Sonne, so auch keine herrlichern Kämpfe, als die Olympischen zu singen. Sie begeistern die Weisen zu jenen prächtigen Hymnen, die sie dem Sohne Saturns, in Hierons reichem, glückseligen Palaste versammelt, weihen.


1. Antistrophe


Er ist es, der in dem herdenreichen Sizilien den Scepter des Rechts trägt; er brach sich von jeder erhabenen Tugend die Blume, und glänzt in der Blüte der Harmonie, die wir Dichter öfters um die freundschaftliche Tafel spielen. Wohlan denn! Greif von der Wand herab, Muse, die dorische Cither! wenn Pisas und Pherenikus 45 Ruhm deine Brust in süßer Entzückung dahin reißt; wie er neben den Wellen des Alpheus 46 flog; wie seine ungespornten Flanken hoch daher schwebten; wie er ihn in den Schoß des [95] Triumphs trug, seinen Herrn, Syrakusens König, die Lust der Rennbahn.


1. Epodos


Ihm strahlet sein Ruhm in der heldenvollen Pflanzstadt des Lydischen Pelops, 47 den ehemals der gewaltige Erdumfasser Neptun liebte, 48 nachdem Klotho ihn, die Schulter von blendendem Helfenbein leuchtend, aus dem heilenden Erzte hob. – Also füllen Wunder den Erdkreis, und Fabeln mit künstlichen Lügen verbrämt, siegen der Wahrheit zum Trutz.


2. Strophe


Die Dichtkunst, deren Reiz über alles Honig gießet, leihet ihnen ein ehrwürdiges Ansehen, und macht, daß öfters ein Märchen geglaubt wird. Doch wird für die Wahrheit die enthüllende Zukunft zeugen! – Wer es wagt, von Göttern zu reden, der tu es mit Ehrfurcht, und seine Schuld ist geringer! – So will ich jetzt von dir, Sohn des Tantalus, sagen, was vor mir kein Dichter nie sprach: Wie, als dein Vater in sein geliebtes Sipylum, zu einem heiligen Gastmahle lud, wo wechselseitig die Unsterblichen aßen, der erlauchte Dreizackführende Gott die Macht der Liebe fühlte.


2. Antistrophe


Und dich auf güldenen Rossen zu des weit angebeteten Zeus hohem Palaste trug, wo nicht lange zuvor auch Ganymedes hin zum Jupiter gekommen war. Da aber du verschwunden, und dich der Mutter kein spähender Kundschafter wiederbrachte, streute ein benachbarter Fürst neidisch das Gerücht aus, deine Gliedmaßen [96] hätten, mit dem Schwerde zerteilt, und beim flammenden Feuer gesotten, den Göttern zur Speise gedienet.


2. Epodos


Aber der Seligen einen unmäßig zu nennen, ist Unsinn! Ich zittere! – Denn schon oft hat die Rache den Lästerer ergriffen. 49 Ward je ein Sterblicher von des Olympus Bewohnern geehret, so war es Tantalus. Wiewohl der Größe eines so erhabenen Glückes zu schwach, bracht ihm sein Übermut einen unbesiegbaren Jammer; einen drohenden Felsen, den der Vater der Götter über ihn aufhing. Ewig bemüht, ihn von seiner Scheitel zu wälzen, irrt von ihm jede Freude weg.


3. Strophe


Also lebt er, mit drei andern Genossen seiner Qual, sein hülfloses Leben durch, der Unglückselige! Er entwandte den Himmlischen, was die Unsterblichen nähret, Nektar und Ambrosia, und gab sie sterblichen Gästen. So betriegt der Mensch sich selber, der seiner Taten eine, der Gottheit zu verbergen hofft. Und des väterlichen Verbrechens wegen, sandten die Unsterblichen den Pelops zum schnellhinwandelnden Volke der Menschen wieder zurück. Aber da in vollblühender Jugend das zarte Milchhaar seine bräunliche Wangen deckte, sehnte sein liebendes Herz sich, nach der Tochter des Herrschers zu Pisa,


3. Antistrophe


Der erlauchten Hippodamia. Einsam ging er im Dunkeln zum schäumenden Meer hin, und flehte dem gewaltigbrausenden König der Wasser. Er erschien ihm; da sprach er: »Wenn dein Herz, o Neptun, gegen die reizenden Gaben der Venus nicht fühllos ist, 50 o so hemme des Oenomaus eherne Lanze, bringe mich auf den schnellsten deiner Wagen nach Elis, und gewähre mir den Sieg. Zwar fielen schon dreizehn der lieben den Jünglinge vor dem Speere des Tyrannen, und immer verschiebt er die Vermählung der Tochter.«


[97] 3. Epodos


»Aber nur der Feige flieht große Gefahren; und da uns einmal das Verhängnis in das Grab ruft, warum sollte im Finstern, von jeder schönen Tat fern, ein namenloses Leben uns verzehren? Nein diese Bahn lauf ich; du aber verleih einen glücklichen Ausgang!« –

Er sprachs, und seine Bitte rührte den Gott, und seinen Mut zu erhöhen, schenkte er ihm einen goldenen Wagen, und müdelos liegende Pferde, womit er dem Oenomaus Sieg und Tochter raubte.


4. Strophe


Sie aber gebar ihm sechs Führer der Völker, Söhne, die sich der Tugend weihten. Itzt ruht er, von herrlichen Opfern geehrt, am Ufer des Alpheus; Kämpfe umgeben das Grabmal, und Scharen von Fremden ehren seinen Altar. Weit glänzt von da die Pracht der Olympischen Spiele, und seine Rennbahn, wo die Behendigkeit der Füße, und die hoher Arbeit sich erkühnende Stärke kämpfet. Wer überwindet, der lebt sein übriges Leben in honigter Heiterkeit hin, denn er besitzet den Preis.


4. Antistrophe


Der menschlichen Güter höchstes ist, was uns mit jedem kommenden Tage beglückt: und einen solchen 51 soll itzt, so wollen es Pisas Gesetze, mein Äolisches Lied krönen. Unter den Sterblichen ist keiner des Lobes labyrinthischer Hymnen würdiger, keiner übertrifft ihn an Adel der Seele oder an herrschender Macht. Eine schützende Gottheit ists, o Hieron, welche mit zärtlicher Sorge wacht, deine Wünsche zu erfüllen. Und entsteht sie nicht, o so will ich bald, das hoffe ich, deinen siegenden Wagen


4. Epodos


Harmonischer tönen; ich will auf Kronions 52 sonnigtem Hügel stehen, und mein Lob soll einen nie betretenen Pfad wandeln. Schon rüstet mir darauf die mächtige Muse den gewaltigsten Pfeil. Der Mensch steigt in mannigfaltigen Stufen empor; aber obenan stehen die Throne. Blicke nicht weiter hinaus! Auf dieser Höhe sei dir vergönnt, deine Tage zu vollenden, und mir, an der Seite solcher Sieger zu sein, unter den Griechen überall bekannt, durch meine Weisheit!


Die Fortsetzung künftig

[98] XV. Den 12. April 1759
Beschluß des ein und dreißigsten Briefes
Der Olympischen Oden des Pindars vierte

An den Psaumis, von Kamarina 53


Strophe


Schwinger des rastlos fliegenden Donners, Zeus, Höchster! – Denn mich haben deine zirkelnden Stunden mit dem mannigfaltigen Liede der Cither, zum Zeugen deiner erhabensten Kämpfe gesandt; und der süßen Botschaft vom Glücke der Freunde freuen sich Edele. – Ja, Sohn des Saturnus, der du den Ätna beherrschest, diese stürmische Last des gewaltigen hundertköpfigen Typhons, 54empfange den Grazien zu Liebe, vom Sieg Olympiens meinen Gesang,


Antistrophe


Dieses ewig dauernde Licht herrlicher Taten! Denn er kömmt mein Gesang, hoch auf dem Wagen des Psaumis, der mit Pisas Ölzweig umkränzt, daher zu Kamarinas Triumph eilet. – Also höre die Gottheit auch die übrigen seiner Wünsche! – Denn Er, den ich lobe, nähret dem Alpheus glänzende Pferde; Mengen der Wanderer nimmt freudig sein Haus auf, und rein liebt des Patrioten Seele die Ruhe des Staats. – Keine Dichtung färbe mein Lob! Die Erfahrung ists, die Sterbliche richtet. 55


[99] Epodos


Sie entriß den Sohn des Klymenus dem Hohne der Töchter Lemnos. – In ehernen Waffen lief er, und siegte; da sprach er, als er zur Krone ging: »Der bin ich, Königin! Dieser Geschwindigkeit gleichen Arm und Herz. Aber auch jungen Helden entsprossen oft graue Haare, und eilen ihrem Alter zu schnell vor.«

Der Olympischen Oden des Pindars eilfte

An den Agesidamus, den Locrier 56


Strophe


Nach Winden schmachtet der Schiffer oft, und der Landmann nach Regen, den himmelträufelnden Söhnen der Wolken. – Aber wem Heldenarbeit gelang, dem sind honigtriefende Hymnen Quellen des Nachruhms, und ein Pfand der Unsterblichkeit erhabener Taten.


Antistrophe


Unerreichbar dem Neid ist dieses Lob Olympiens Siegern geweiht; und gern breitet es mein williger Mund aus! Aber durch Gott blühen in der dichterschen Brust stets weise Gedanken. – Also soll itzt, – vernimm es, Sohn des Archestrats; denn deine Faust überwand!-


Epodos


Meine tonvolle Leier den Kranz des goldnen Ölzweiges singen, der deine Scheitel schmückt, und die angestammte Tugend der westlichen Locrier. Daselbst, ihr Musen, führet festlich den Tanz auf! Nicht ein unwirtbares Volk, euch schwör ichs, besucht ihr, noch ungeübt im Gefühle des Schönen; sondern ein Volk, tiefsinniger Weisheit und kriegerischen Muts voll. – Denn Sitten, die die Natur gab, wandelt weder der feurige Fuchs, noch der mächtig brüllende Löwe.

Fll.

[100]

Zwei und dreißigster Brief

Sie erinnern sich doch, daß vor einigen Jahren in dem unterirdischen Herkulano eine kleine Bibliothek gefunden ward? Einem Gelehrten in Neapolis ist es gelungen, eine von den griechischen Handschriften derselben zu entwickeln, und das Glück hat gewollt, daß es die Ερωτοπαιγνια des Alciphrons sein müssen. Der Herr von Q** der sich itzt in Neapolis aufhält, hat Gelegenheit gehabt, ein Stück daraus abzuschreiben, und hat es nach Deutschland geschickt. Hier ist es einem von unsern besten Dichtern in die Hände gefallen, der es so vortrefflich gefunden, daß er folgende Übersetzung davon gemacht. Es ist das achtzehnte Erotopaignion in der Ordnung, und überschrieben:

»Die Grazien

Als an einem Frühlingsabende sich die drei Grazien neben einem Walde in acidalischen Quellen belustigten, verlor sich plötzlich Aglaja, die Schönste der Grazien. Wie erschraken die Töchter der Anmut, als sie Aglajen vermißten! Wie liefen sie durch die Bäume und suchten und riefen:


So ängstlich bebt auf Manethuser Saiten
Der zärtste Silberton.
Aglaja! – rief der Silberton.
Aglaja! – half der Nachhall sanft verbreiten. Umsonst!
Aglaja war entflohn.
Ach, Pan schlich längst ihr nach! Der Frevler hat sie schon!
Ach, Acidalia! blick her von deinem Thron!
Soll sie nach langen Ewigkeiten,
Nur itzt nicht länger uns begleiten?
Zwo Grazien sind aller Welt zum Hohn;
Und ach! die dritte hat er schon!
So klagten sie. Umsonst! Aglaja war entflohn.«

Nun schlichen sie an den Büschen herum, und schlugen leise an die Blätter und flohen nach jedem Schlage furchtsam zurück.


Denn stellten sie sich gleich, den Räuber auszuspähn,
So zitterten sie doch für Furcht, ihn nur zu sehn.

Endlich kamen sie an ein Rosengebüsche, das meine Chloe versteckte – und mich. Chloe saß vor mir, ich hinter Chloen.


Itzt bog ich schlau an ihrem Hals mich langsam über,
Und stahl ihr schnell ein Mäulchen ab;
[101]
Itzt bog sie unvermerkt den Hals zu mir herüber
Und jedes nahm den Kuß auf halbem Weg sich an
Denn jedes nahm und jedes gab.

In diesem Spiele überraschten uns die Grazien und sie lachten laut, da sie uns küssen sahen, und hüpften fröhlich zu uns herbei. Da ist Aglaja! – riefen sie. Die Schalkhafte! – Du küssest, da wir unruhig herumirren, und dich nicht finden können? – Und itzt liefen sie mit meiner Chloe davon.


Was? rief ich, lose Räuberinnen!
Wie sollte sie Aglaja sein?
Ihr irrt euch sehr, ihr Huldgöttinnen!
Für Grazien ist das nicht fein!
Gebt Chloen mir zurück! Betrogne, sie ist mein!

Doch die Grazien hörten mich nicht, und liefen mit meiner Chloe davon. Zornig wollte ich ihnen nacheilen, als plötzlich Aglaja hinter einer Buche hervortrat, und mir winkte, und freundlich lächelnd also zu mir sprach:


Warum willst du zu Chloen eilen?
Beglückter Sterblicher, Aglaja liebet dich.
Küß itzt einmal statt Chloen mich
Wünsch nicht dein Mädchen zu ereilen:
Ich, eine Göttin, liebe dich.

Schüchtern sah ich die Huldgöttin an.

Auf ihren Wangen sprach Entzücken,
Und Jugend und Gefühl aus den verschämten Blicken.

Gefährliche Reizungen! – Aber mit dreister Hand ergriff ich die Huldgöttin, führte sie zu ihren Schwestern, und sprach: Hier ist Aglaja, ihr Grazien –


»O Chloe, meine Lust, mein Glück
Gebt meine Chloe mir zurück!
Ist dies Aglajens Mund und Blick?
Da! nehmt die Huldgöttin zurück!«

Nun, was sagen Sie hierzu? O, Sie sind entzückt. – Welche allerliebste, kleine Erdichtung! Nie hat ein Dichter sein Mädchen mehr erhoben! Nichts kann feiner sein! Nichts zärtlicher! O die Griechen! die Griechen! – – Kommen Sie zurück aus Ihrer Entzückung! Ich habe Sie hintergangen. Der Gelehrte in Neapolis hat nichts entwickelt; Alciphron hat keine Ερωτοπαιγνια. geschrieben; was Sie gelesen, ist nicht aus dem Griechischen übersetzt; die »Grazien« sind ein ursprüngliches [102] Werk eines Deutschen. Streichen Sie die Manethuser Saiten, gleich zu Anfange, nur weg, und setzen Cremoneser Saiten dafür; denn so sagt der Dichter, und ich mußte diese geringe Spur des Modernen vor Ihren Augen verbergen.

Aber, höre ich Sie fragen, warum sollte ich denn nun hintergangen werden? Darum! Würde ich Ihre Neugier wohl rege gemacht haben, wenn ich Ihnen gerade zu geschrieben hätte: In Leipzig sind vor kurzen vier kleine Bogen heraus gekommen, unter der Aufschrift, »Tändeleien«. – »Tändeleien«? würden Sie gerufen haben. Warum tun wir Deutschen doch das so gern, wozu wir am wenigsten aufgelegt sind? – Vergebens hätte ich hinzu gesetzt; aber es sind artige Tändeleien; Sie werden den Verfasser auf einem ganz eigenen Pfade finden; sie sind eines Gresset würdig! Sie hätten mir aufs höchste geglaubt, und – es dabei bewenden lassen!

Aber nun biete ich Ihnen Trotz, es dabei bewenden zu lassen. Denn ich muß Ihnen nur sagen, daß alles, was die vier Bogen enthalten, in dem nämlichen Geschmacke und fast von gleichem Werte ist. Sie werden sie ganz lesen; lassen Sie doch sehen, ob unsere Urteile zusammen treffen. – Nach den obigen Grazien, hat »Amors Triumph«, und »Der Geschmack eines Kusses« meinen vorzüglichen Beifall. Nächst diesen haben mich die »Kriegslist des Amors«, »An den Maler«, »Die Ode«, und »Bacchus und Amor« am meisten vergnügt. Die »Kennzeichen der Untreue« wollen mir wegen des Bärtchens nicht gefallen; der Scherz ist zu bürgerlich. In dem Stücke »An Chloen« ist mir der Alp zuwider; und wenn der erzürnte Jupiter zu seiner untreuen Nymphe sagt:

Geh hin, und sei ein Alp, buhl und erweck nur Grauen! so straft er uns arme Schlafende mehr, als die Nymphe. In dem »Verliebten Wunsche« ist mir die Vermischung der alten Mythologie und des Geistersystems nach dem Gabalis anstößig. Diese und einige andere Stücke hätte ich, wenn ich an des Verfassers Stelle gewesen wäre, zurückbehalten, und die einzeln Schönheiten derselben zu bessern Ganzen versparet. So würde ich mir zum Exempel den Anfang von den gedachten »Kennzeichen der Untreue« heilig aufbewahret haben, bis ich einen edlern Schluß dazu gefunden hätte; [103] denn so wie dieses Stück itzt ist, kömmt es mir nicht anders vor, als eine antique verstümmelte Bildsäule, die ein neuer Steinmetz zu ergänzen gewagt. Betrachten Sie nur:


»Amor fliegt mit Schmetterlingen,
Um in frohem Wechselstreit
Sich den Preis der Schnelligkeit
Vor den Tierchen zu erringen:
Doch er fällt aus Müdigkeit
Schnell in einen Bach und schreit.

Ich Jüngling lief eilig hinzu, hob ihn sanft aus dem Wasser heraus, und trocknete seine nassen Flügel, und erwärmte ihn in meinem Busen. Nun dankte mir Amor freundlich, und sprach: Lieber Jüngling, du hast den Amor gerettet: womit soll ich deine Großmut vergelten? – Erhalte mir meine Chloe getreu; antwortete ich. – O Jüngling, rief er, was bittest du? Steht es in der Gewalt des Amors, die Liebe in den Herzen der Mädchen einzuschränken? Da schlug ich die Augen nieder, und seufzte. Aber der reizende Sohn der Cythere ermunterte mich wieder: Seufze nicht, Jüngling! Amor kann deine Bitte wenigstens zum Teil erfüllen.« –


So weit geht alles gut! Wie gesagt, ein schöner antiquer Rumpf; aber nun – welch ein gotischer Kopf ist darauf geflickt!


– »Sobald Chloe einen andern als dich küßt, soll schnell ein Bärtchen aus ihrer Lippe hervor keimen, zum Merkmal, daß sie dir untreu ist. – So sagte Amor. –


Nun, Chloe, wirst du dich wohl scheun. –
Ich würde den Verrat auf deiner Lippe sehen. –
Manch holdes Mädchen schon seh ich mit Bärten gehen:
Sie müssen wohl nicht treu gewesen sein.«

Ach nicht doch! Sie müssen keinen Bart haben, die holden Mädchen; sie mögen uns treu sein oder nicht!

Fll.

XVI. Den 19. April 1759
Drei und dreißigster Brief

Ja wohl ist der Verfasser der »Tändeleien«, wenn diese sein erster Versuch sind, ein Genie, das sehr viel verspricht! Aber [104] auch darin haben Sie Recht: Das »Lied eines Mohren« hätte ihm nicht entwischen sollen. Es ist nicht allein das schlechteste Stück in seiner Sammlung; es ist an und vor sich selbst schlecht. – – Lied eines Mohren! Und der Mohr ist fast nirgends als in der Überschrift zu finden. Ändern Sie das einzige schwarze Mädchen und die Zederwälder, so kann es ein Kalmucke eben so wohl singen, als ein Mohr.

Wie weit ist er hier unter seinem Muster geblieben! Denn wer sieht nicht so gleich, daß sein Mohrenliedchen, eine Nachahmung des vortrefflichen Liedes eines Lappländers, in den neuen Gedichten des Verfassers des Frühlings, sein soll? In diesem scheinet überall die Szene durch, wo es gesungen wird, und überall der, der es singt.


– – In den zerstörten Haaren
Hängt mir schon Eis.
– –
So will ich bald an Grönlands weißen Küsten
Nach Zama schrein.
– –
Die lange Nacht kömmt schon etc.

Und wie ungekünstelt, wie wahr ist alles, was der Lappländer spricht; dahingegen der Mohr mit unter Non-Sense plaudert. Z.E.


Ich will an ihre Brust mich legen,
Das kleinste Röcheln spähn, und horchen, wie sie schlägt;
Dann soll mein Herz mit seinen stärkern Schlägen
Den Aufruhr bändigen,
Der sich in ihrem Busen regt.

Die stärkern Schläge seines Herzens sollen den Aufruhr bändigen, der sich in dem Busen seines Mädchens regt! – Zwar vielleicht hat der Dichter mit diesem Zuge das verbrannte Gehirn des Mohren bemerken wollen. Und alsdenn habe ich nichts dagegen.

Aber wieder auf das Lied des Lappländers zu kommen. Es gibt ein wirklich Lappländisches Lied, welches der Herr von Kleist bei dem seinigen vor Augen gehabt zu haben [105] scheinet. Sie können es bei dem Scheffer in dem fünf und zwanzigsten Hauptstücke seiner Lapponia finden. Schade, daß ich das Buch nicht gleich bei der Hand habe! Sie sollten mit Vergnügen sehen, daß die Nachahmungen eines solchen Meisters, Verbesserungen sind.

Sie würden auch daraus lernen, daß unter jedem Himmelsstriche Dichter geboren werden, und daß lebhafte Empfindungen kein Vorrecht gesitteter Völker sind. Es ist nicht lange, als ich in Ruhigs Litauischem Wörterbuche blätterte, und am Ende der vorläufigen Betrachtungen über diese Sprache, eine hierher gehörige Seltenheit antraf, die mich unendlich vergnügte. Einige Litauische Dainos oder Liederchen, nämlich, wie sie die gemeinen Mädchen daselbst singen. Welch ein naiver Witz! Welche reizende Einfalt! Sie haben in dem Litauischen Wörterbuche nichts zu suchen: ich will Ihnen die zwei artigsten also nach Ruhigs Übersetzung, daraus abschreiben:

Erste Daina

Abschied einer heiratenden Tochter


1.


Ich habe aufgesagt meim Mütterlein, schon vor der Hälfte des Sommerleins:

2.


Such, Mütterlein, dir ein Spinnerlein; ein Spinnerlein und Weberlein.

3.


Ich habe gnug gesponnen das weiße Flächslein; gnug gewürket feine Leinwandlein.

4.


Ich habe gnug zerschauert die weißen Tischlein; ich habe gnug gefeget die grünen Gehöftlein.

5


Ich habe gnug gehorcht meinem Mütterlein; ich muß nun auch horchen meinem Schwiegermütterlein.

6.


O du Kränzlein von grünem Rautelein! Du wirst nicht lange grünen auf meinem Hauptelein.

7.


Meine Haarflechten von grünem Seidelein, ihr werdet nicht mehr funkeln im Sonnenschein.

[106] 8.


Mein Haarlein, mein gelbes Haarlein, du wirst nicht mehr herumflattern vom Wehen des Windes.

9.


Ich werde besuchen mein Mütterlein, nicht mit einem Kranze, sondern gehaubet.

10.


O mein feines Häubelein! Du wirst noch schallen vom Winde geblasen.

11.


Mein ausgenähtes und buntes Arbeitlein, ihr werdet noch schimmern bei der heißen Sonnen.

12.


Meine Haarflechtlein von grünem Seidelein, ihr werdet an der Wand hangen und mir Tränen machen.

13.


Ihr meine Ringelein, ihr güldenen, ihr werdet im Kasten liegen und rosten!«

»Zweite Daina

Eine Tochter hatte ihren Geliebten begleitet


1.


Früh Morgens im Morgelein ging das Sonnlein auf, und unter den Glasfensterlein saß das Mütterlein.

2.


Ich wollte dich fragen, Töchterlein, wo bist du herumgegangen? Und wo hat dein Kränzelein das Nebelein befallen?


3.


Früh, im frühen Morgelein, ging ich nach Wasserlein, und da hat mein Kränzelein das Nebelein befallen.


4.


Das ist nicht wahr, Töchterlein, das sind keine wahren Wörtelein! Gewiß, du hast dein Knechtlein über Feld begleitet.


5.


Ja, das ist wahr, Mütterlein, das sind wahre Wörtelein: Ich hab mit meinem Knechtelein ein Wörtlein geredet.«


Die häufigen Diminutiva, und die vielen Selbstlauter, mit den Buchstaben l, r und t untermengt, sagt Ruhig, machen die Sprache in diesen Liedern ungemein lieblich. Der fromme Mann entschuldiget sich, daß er dergleichen Eitelkeiten anführe; bei mir hätte er sich entschuldigen mögen, daß er ihrer nicht mehrere angeführt.

Fll. [107]

XVII. Den 26. April 1759
Sechs und dreißigster Brief

Bald werden wir einen von unsern besten alten Dichtern wieder unter uns aufleben sehen. Zwei hiesige Gelehrte arbeiten an einer neuen Ausgabe des Logau. – Es kann leicht sein, daß ich Ihnen hier einen ganz unbekannten Mann nenne. Dieser Zeitverwandte, und Landsmann des großen Opitz? ist, wie es scheinet, nie nach Verdienst geschätzt worden; und noch ein halbes Jahrhundert hin, so wäre es vielleicht ganz um ihn geschehen gewesen. Kaum, daß unsere neuen Kunstrichter und Lehrer der Poesie seinen Namen noch anführen; weiter führen sie auch nichts von ihm an. Wie viel vortreffliche Beispiele aber hätten sie nicht aus ihm entlehnen können! Und würden sie es wohl unterlassen haben, wenn sie dergleichen bei ihm zu finden geglaubt hätten? Sie hatten ihn also nie gelesen; sie wußten nicht, was an ihm war; und es wird sie ohne Zweifel befremden, wenn sie nun bald einen von unsern größten Dichtern in ihm werden erkennen müssen.

Es ist nur zu betauern, daß sich Logau bloß auf eine, und noch dazu gleich auf die kleinste Dichtungsart eingeschränkt hat! Denn er ist wenig mehr als Epigrammatist. Doch in Ansehung der Menge von Sinngedichten, der erste unter allen; und einer von den ersten, in Ansehung der Güte derselben. Er hat deren im Jahr 1654 einen Band von nur drei tausend drucken lassen, und mehr als ein halbes Tausend zugegeben. Nun setzen Sie – und für diese Berechnung kann ich allenfalls stehen, – daß ein Neunteil davon vortrefflich, ein Neunteil gut, und noch ein Neunteil erträglich ist; und sagen Sie mir, ob er unter den guten Sinndichtern nicht wenigstens der Unerschöpfliche genennt zu werden verdienet?

Aber wie vortrefflich, werden Sie fragen, sind denn die Stücke aus dem guten Neunteil? – Einige Exempel werden es zeigen. Ich will aber dem ehrlichen Logau nichts vergeben wissen, wenn ich allenfalls nicht die besten Exempel wählen sollte.

[108] Logau lebte in der unglücklichen Zeit des dreißigjährigen Krieges. Was Wunder also, wenn ein großer Teil seiner Sinngedichte den Krieg, und die schrecklichen Folgen desselben zum Inhalte hat? Hier schrieb der Dichter aus der Fülle seines Herzens, und es gelang ihm immer vortrefflich. Sehen Sie nur!

Der verfochtene Krieg

Mars braucht keinen Advocaten,
Der ihm ausführt seine Thaten.
Keinem hat er was genommen,
Wo er nichts bey ihm bekommen;
Keinem hat er was gestohlen,
Denn er nahm es unverhohlen;
Keinen hat er je geschlagen,
Der sich ließ bey Zeiten jagen;
Was er von der Straße klaubet,
Ist gefunden, nicht geraubet;
Haus, Hof, Scheun und Schopf geleeret,
Heißt ein Stücke Brodt begehret;
Stadt, Land, Mensch und Vieh vernichten,
Heißt des Herren Dienst verrichten;
Huren, saufen, spielen, fluchen,
Heißt dem Muth Erfrischung suchen;
Endlich dann zum Teufel fahren,
Heißt – den Engeln Müh ersparen.

Des Krieges Raubsucht

Als Venus wollte Mars in ihre Liebe bringen,
Hat sie ihn blank und bloß am besten können zwingen.
Denn wär sie, wie sie pflegt, im theuern Schmuck geblieben,
Hätt er sie dürfen mehr berauben? als belieben.

Krieg und Hunger

Krieg und Hunger, Kriegs Genoß,
Sind zwey ungezogne Brüder,
Die durch ihres Fußes Stoß
Treten, was nur stehet, nieder.
Jener führet diesen an;
Wenn mit Morden, Rauben, Brennen,
Jener schon genug gethan,
Lernt man diesen erst recht kennen;
Denn er ist so rasend kühn,
[109]
So ergrimmt und so vermessen,
Daß er, wenn sonst alles hin,
Auch den Bruder pflegt zu fressen.

Eine Heldenthat

O That, die nie die Welt, dieweil sie steht, gesehen!
O That, die, weil die Welt wird stehn, nie wird geschehen!
O That, die Welt in Erz und Zedern billig schreibt,
Und, wie sie immer kann, dem Alter einverleibt!
O That, vor der hinfort die allerkühnsten Helden,
Was ihre Faust gethan, sich schämen zu vermelden!
Vor der Achilles starrt, vor der auch Hektor stutzt,
Und Herkules nicht mehr auf seine Keule trutzt!
Hört! seht! und steigt empor! Macht alle Löcher weiter!
Dort ziehen Helden her, dort jagen dreyßig Reiter,
Die greifen kühnlich an – ein wüstes Gärtnerhaus,
Und schmeißen Ofen ein, und schlagen Fenster aus.

Vereinigung zwischen Jupiter und Mars

Es that mir jüngst ein Freund vom Helikon zu wissen,
Daß Jupiter mit Mars wollt' einen Frieden schließen,
Wenn Mars hinfort nicht mehr bey seinen Lebenstagen,
Nach Himmel und nach dem, was himmlisch ist, will fragen:
Will Jupiter dahin sich bindlich dann erklären,
Dem Mars, noch nebst der Welt, die Hölle zu gewähren.

Verzeihen Sie, Dichter und Soldat, es immer dem unsoldatischen Dichter, wenn er etwa die schlimme Seite des Krieges und der Krieger allzusehr übertrieben hätte. Seine Übertreibungen sind ja so witzig! – Aber so witzig Logau ist, so zärtlich, so fein, so naiv, so galant kann er auch sein!

Frage

Wie willst du weiße Lilien zu rothen Rosen machen?
Küss' eine weiße Galathee: sie wird erröthend lachen.

Über das Fieber einer fürstlichen Person

Unsre Fürstinn lieget krank. Venus hat ihr dieß bestellt,
Die, so lange jene blaß, sich für schön nun wieder hält.

Grabschrift eines lieben Ehegenossen

Leser, steh! Erbarme dich dieses bittern Falles!
Außer Gott, war in der Welt, was hier liegt, mir Alles.

[110] Ein junges Mädchen und ein alter Greis

Ein guter Morgen ward gebracht zu einer guten Nacht,
Die aber keine gute Nacht hat gutem Morgen bracht.

Und was kann anakreontischer sein, als folgende allerliebste Tändeleien?


Von einer Biene

Phyllis schlief: ein Bienlein kam,
Saß auf ihren Mund, und nahm
Honig, oder was es war,
Koridon, dir zur Gefahr!
Denn sie kam von ihr auf dich,
Gab dir einen bittern Stich.
Ey wie recht! Du, fauler Mann,
Solltest thun, was sie gethan.
Von einer Fliege

Eine Fliege war so kühn,
Setzte sich vermessen hin
Auf des süßen Mündleins Roth;
Choris schlug, und schlug sie todt.
Florus sprach: o wenn nur ich
Dürfte dieß erkühnen mich:
Dieser Schlag, hielt ich dafür,
Diente mehr, als schadte mir.

Noch sind ein großer Teil von Logaus Sinngedichten zwar weiter nichts, als moralische Sprüche; aber mit einer meisterhaften Kürze, und selten ohne eine sinnreiche Wendung ausgedrückt. Z.E.

Der Tugend Lohn

Durch Ehr und reichen Lohn kann Tapferkeit erwachen;
Doch Ehr und reicher Lohn kann Tapferkeit nicht machen.

Reichthum

Eines Ungerechten Erb, oder selbst ein solcher Mann,
Oder beides auch zugleich ist, wer Reichthum sammeln kann.

Ein unruhiges Gemüth

Ein Mühlstein und ein Menschenherz wird stets herumgetrieben;
Wo beides nichts zu reiben hat, wird beides selbst zerrieben.
[111]

Verleumdung

Wenn man eine Wunde haut, sieht man eher Blut als Wunde:
Ungunst merkt man bald bey Hof, aber nicht aus was für Grunde.
Ich werde Ihnen von der neuen Ausgabe dieses Dichters mehr sagen, so bald sie wird zu haben sein.

L.

XIX. Den 10. Mai 1759
Neun und dreißigster Brief

Ich muß Ihnen von einem Werke Nachricht geben, das bereits 1757 in Basel herausgekommen, hier aber wenig bekannt geworden ist. Der Titel heißt: »Vier auserlesene Meisterstücke so vieler englischen Dichter: als, Priors Salomon, Popens Messias, Youngs jüngster Tag, Glovers Leonidas. Welchem annoch beigefügt sind, Popens Versuch von dem Menschen, und desselben Hirtengedichte. Alles, seiner Vortrefflichkeit wegen, aus der Ursprache in deutschen Hexametrischen Versen übersetzt«. 57

Priors Salomon ist von diesen Meisterstücken das einzige, welches hier zum ersten male in unserer Sprache erscheinet; die übrigen alle haben wir schon längst verschiedentlich übersetzt lesen können. Zwar nur in Prosa; aber sind Schweizerische Hexameter nicht auch Prosa?

Prior ist einer von den Lieblingsdichtern der großen Welt, in der er selbst keine geringe Rolle bei seinem Leben spielte, ob ihn gleich seine Geburt zu den niedrigsten Geschäften verdammt zu haben schien. Kein englischer Dichter übertrifft ihn an Reinigkeit der Sprache, an Wohlklang, an leichtem Witze, an naiver Zärtlichkeit. Unser Hagedorn hat ihn oft glücklich nachgeahmet; und ihn hätte ich wohl das »Nußbraune Mädchen« mögen nacherzählen hören.

Aber eben dieser lustige, verliebte Prior ist auch der Verfasser eines sehr ernsthaften Werkes. Die edeln Bilder, die [112] tiefsinnigen Anmerkungen über der Menschen Tun und Lassen, und die vortrefflichen Lebensregeln, die man in den »Sprüchen«, in dem »Prediger«, und in den übrigen Büchern antrifft, welche gemeiniglich dem Salomon zugeschrieben werden, hatten ihn gerührt, und er glaubte den Stoff zu einer weit bessern Gattung von Gedichten darin zu finden, als jemals die griechische, lateinische, oder irgend eine neuere Sprache hervorgebracht hat. Er nahm sich daher vor, aus diesem unerschöpflichen Schatze, der, für alle Ordnung zu groß, in einer prächtigen Verwirrung über einander gehäuft liegt, diejenigen Anmerkungen und Sprüche zu sammeln und auszuführen, welche den großen Satz zu beweisen dienen, den sich der »Prediger« gleich Anfangs zum Grunde legt: Es ist alles ganz eitel!

Und hieraus entstand sein »Salomon«; ein Gedicht, in welchem der Held desselben beständig das Wort führet. Die Materie sonderte sich von selbst in drei Teile ab, woraus der Dichter so viel Bücher machte. In dem ersten wird die Eitelkeit unserer Erkenntnis; in dem zweiten die Eitelkeit der Wollüste, und in dem dritten die Eitelkeit der Macht und Größe gezeiget.

Mehr braucht es nicht, Ihnen dieses Gedicht wieder ins Gedächtnis zu bringen, welches Sie ohne Zweifel einmal werden gelesen haben, aber auch wohl schwerlich mehr als einmal. Prior ist hier nicht in seiner Sphäre. Sein Salomon ist nicht der spruchreiche Zweifler mehr, der uns so viel zu denken gibt; er ist zu einem geschwätzigen Homileten geworden, der uns überall alles sagen will. Auch hat der Dichter nicht im geringsten die orientalische Denkungsart anzunehmen gewußt; sein weiser Hebräer spricht wie ein sophistischer Grieche. –

Doch Sie werden nicht sowohl mein Urteil über das Original, als über die Übersetzung zu wissen verlangen. Man muß, überhaupt zu reden, den Übersetzungen, die uns aus der Schweiz kommen, das Lob lassen, daß sie treuer und richtiger sind als andere. Sie sind auch ungemein reich an guten nachdrücklichen Wörtern, an körnichten Redensarten. Aber bei dem allen sind sie unangenehm zu lesen, weil selten [113] eine Periode ihre gehörige Rundung und die Deutlichkeit hat, die sie durch die natürliche Ordnung ihrer Glieder erhalten muß. Daß aber der Hexameter ihnen zur Vermeidung dieses Fehlers nichts hilft, mögen Sie aus folgender Probe sehen; es ist der Anfang des ganzen Gedichts.


Kommt, ihr Kinder der Menschen, in geziemender Andacht,
Hört was der Prediger spricht, und glaubt eurem Freunde,
Den die ernsthafte Muse mit den Gedanken begeistert,
Alles sei eitel, was wir tun, und was wir gedenken:
Daß wir in dieser Pilgrimschaft von siebenzig Jahren,
Über gefährliche Felsen und durch Täler der Tränen
Stets getrieben, in der wilden Irre herumgehn,
Durch die Arbeit ermüdet, und das Ende doch fürchtend;
Daß wir alle von Mutterliebe an, sonst von nichts wissen,
Als von Torheit, Leidenschaft, Arbeit, Unruh, und Sorgen;
Daß uns erst bei dem herannahenden Tode die Wahrheit
Deutlich sein wird, von welcher ich nunmehr tiefsinnig singe:
Wir gehen nach falschen Freuden, und leiden wirkliche Übel.

Ich will den sehen, der diese Periode gehörig konstruieren und interpunktieren kann. Wo kömmt z.E. in der fünften Zeile das daß her? Wenn es mit dem vorhergehenden binden sollte, hätte es in der vierten Zeile heißen müssen: daß alles eitel sei; und alsdenn würden die übrigen daß natürlich auf einander folgen.

Was die Hexameter selbst anbelangt, so können leicht keine nachlässigern in der Welt sein. Es ist, als ob sich der Verfasser das ausdrückliche Gesetz gemacht hätte, den männlichen Abschnitt nicht ein einziges mal zu beobachten. Er geht durch alle mögliche Veränderungen der Scansion, und nur in die einzige wohlklingende fällt er nie anders, als von ohngefähr und mit einem Fehler. Ich will eine Stelle aus der Rede der Ägyptierin, im zweiten Buche, zum Exempel anführen. Ich wähle diese Stelle, um Sie zugleich an eine von den malerischsten Phantasien wieder zu erinnern, die ich jemals [114] bei einem Dichter gelesen habe. Die schöne Sklavin weigert sich die Liebe des Salomo anzunehmen? und sagt unter andern:


Diese Künste selbst werden dir hier nicht gelingen;
Ich bin seit langem eines andern Liebe bestimmet.
Jenseit den grausamen Grenzen des Landes, das dir gehorchet,
Schon in meinem Lande schwur ich einem Geliebten,
Der mir gleich ist, Treue zu; und er schwur mir ein gleiches:
Und wir glaubten freudig, daß wir die Wahrheit geschworen.
Unsere beiderseitigen Worte fuhren gen Himmel;
Die geschäftigen Engel legten sie in die Waagschalen,
Fanden sie gültig, schlugen freudig die Flügel, und schrieben
Was wir feierlich gesprochen, in die ewige Rolle.

Der einzige zweite Vers hat den gefälligen Abschnitt, den Virgil, unter neun Versen gewiß immer achtmal beobachtet; aber wie hat er ihn?


Ich bin | seit lan | gem


Und dergleichen grobe Verstoßungen wider die Quantität sind in allen Zeilen.

Doch erlauben Sie mir, Ihnen auch durch eine Vergleichung zu zeigen, wie wäßrig, matt, weitschweifig überhaupt die Sprache dieses Hexametristen ist. Ich will die vortreffliche prosaische Übersetzung, die uns Herr Ebert von dem »Leonidas« 58 gegeben hat, dazu brauchen. Ich bleibe bei der ersten der besten Seite stehen, so wie das Buch auffallen will. – Es ist die Rede des Leonidas, nachdem Agis den Ausspruch des Delphischen Phöbus der Versammlung eröffnet hatte, daß die Perser siegen würden, wo nicht ein König, der vom Herkules abstamme, Lacedämon durch seinen Tod mit Trauern erfülle. [115] »Woher dieses Erstaunen auf jedem Gesichte, ihr Männer von Sparta? Zeuget der Name des Todes diese Furcht und Verwunderung? O meine Freunde! Warum arbeiten wir durch die steilen Wege, welche zur Tugend leiten? Fruchtlos wäre die Arbeit, der entfernte Gipfel wäre von menschlichen Füßen nicht zu erreichen, wenn die Furcht des Todes unsere Reise unterbrechen könnte. Aber vergebens nimmt er seine finstersten Runzeln und Schrecken an, um die Festigkeit einer Seele zu erschüttern, welche weiß, daß ein Leben dem die Tugend mangelt, Mühseligkeit und Elend ist; daß selbst die Tugend trauert, wenn ihr die Freiheit mangelt, und nach der Glückseligkeit vergebens herumsieht. Sprich also, o Sparta, und fordere mein Leben; mein Herz jauchzt deinem Rufe entgegen, und lächelt das rühmliche Schicksal an. Mit Ruhm zu leben erlauben die Götter vielen; aber mit gleichem Glanze zu sterben, das ist ein Glück, welches der Himmel von allen den besten Gütern des Geschicks ausliest, und mit sparender Hand nur wenigen schenket.«

Das war Prosa, und nun hören Sie Poesie!


Warum sitzt denn nun das Schrecken auf jedem Gesichte,
O ihr Männer von Sparta! Kann der Name des Todes
Solche Furcht und Wunder erwecken? O teuerste Freunde!
Warum dringt ihr euch mühsam durch die beschwerlichen Pfade,
Die zur Tugend führen? Umsonst wäre die Arbeit,
Und der entfernte Gipfel wäre für menschliche Füße
Allzu sehr erhaben, wenn die Furcht vor dem Tode
Uns den Durchgang versagte. Nein, er bedient sich vergeblich
Seines grimmigen Anblicks, seiner schwärzesten Schrecken,
Um ein Herz in Kleinmut zu setzen, dem es bekannt ist
Daß die Tugend weine, wenn die Freiheit dahin ist,
Als um eine Sache, die sie einzig beglücket.
Rede denn frei, o Sparta! sprich, und fordre mein Leben.
Ja mein frohes Herz gibt es willig, wenn du es forderst,
Und wünscht einen herrlichen Tod. Mit Ruhm zu leben,
Haben die Götter vielen gewähret; rühmlich zu sterben
[116]
Ist ein edlerer Segen; aus der Fülle der Gnaden,
Die das Schicksal besitzet, hat ihn der Himmel gewählet;
Er ist sparsam damit, und hat ihn nicht vielen gegeben.

Man sollte darauf schwören, der Schweizer habe die Ebertsche Übersetzung vor sich gehabt, und mit Fleiß alle nachdrückliche Wörter, alle kürzern und edlern Wendungen verändert, um ein Beispiel von dem Gegenteile dessen, was ich oben von den schweizerischen Übersetzungen überhaupt gerühmt habe, zu geben. Welches spricht die Prosa, und welches die Poesie? Warum sitzt denn nun das Schrecken, oderWoher dieses Erstaunen? Sich durch beschwerliche Pfade mühsam dringen, oder sich durcharbeiten?

Nein, wahrlich, nein, solche Hexameter meinet der Vorredner zu der Übersetzung des verlorenen Paradieses nicht, wenn er sagt, daß man jenes große Gedicht noch erst in der vollen Pracht des deutschen Hexameters übersetzen müsse, um es dem Grade der Vollkommenheit, den es in seiner ursprünglichen Sprache hat, so viel als möglich zu nähern. Denn von allen den Freiheiten, die man sich, wie er glaubt, in dieser Versart nehmen dürfte, vornehmlich in der Nachahmung fremder Mundarten, in anständigern Versetzungen der Wortfügung, in dem Gebrauche alter Machtwörter, in morgenländischen Metaphern, und andern dergleichen Erhebungen der Sprache, von allen diesen Freiheiten, sage ich, hat unser Übersetzer keine einzige gebraucht. Und doch führt er diese nämliche Stelle des gedachten Vorredners gleichsam zu seiner Verteidigung an.

Wozu hat er sich nun also die Mühe genommen, Gedichte, welche bereits in Prosa recht gut übersetzt sind, noch einmal in Verse zu übersetzen, die weit schlechter, als schlechte Prosa sind? Er fragt zwar auf dem Titelblatte:


Dic mihi quid melius desidiosus agam?


Aber hat er die Antwort auf diese Frage niemals bei dem Horaz gelesen? Quiescas!

Und nun habe ich Ihnen noch von dem Seltsamsten an diesem Werke etwas zu sagen. Sein Verfasser muß sich in die Hexameter außerordentlich verliebt haben, denn er hat seine [117] Zueignungsschrift sogar in englischen Hexametern abgefaßt. Wollen Sie nicht einige davon lesen?


Yes, the Man confin'd to books in the eyes of the worlding
Seems a creature unable of recreation and pleasure,
Through himself bereft of all the social blessings
And unworthy of the providential kindness etc.

Sollte ein geborner Engländer nicht schon mehr als einmal gefragt haben: Was heißt das? Es gehört wirklich eine rare Stirne dazu, in einer fremden Sprache, die man nicht vollkommen versteht, Verse zu machen. In einer toten, mag es noch hingehen; denn eine tote versteht niemand vollkommen mehr; aber in einer lebendigen, wo mich ein jeder, dessen Muttersprache es ist, auslachen kann, – das ist mir zu unbegreiflich.

Daß unterdessen Herr Simon Grynäus, (denn so heißt unser hexametrischer Übersetzer, wie man aus der Unterschrift seiner Zueignung siehet) nur nicht etwa gar glaubt, daß er der erste sei, welcher englische Hexameter gemacht hat. Er ist nur der erste, welcher sie, so wie die deutschen, ohne alle Regeln, ja allen schon angenommenen Regeln zum Trotze, gemacht hat.

Philipp Sidney, unter der Regierung der Königin Elisabeth, wagte es bereits in seinem »Arkadien«, Hexameter und Pentameter, und sapphische Oden in seiner Sprache zu machen. Und noch vor einige zwanzig Jahren hat ein Ungenannter einen neuen Versuch getan, die alten Sylbenmaße im Englischen einzuführen. 59 Unter den prosodischen Regeln, die er dabei beobachtet hat, ist unter andern auch die Position, und er macht alle Selbstlauter lang auf welche zwei oder mehr Mitlauter folgen; wenige Fälle ausgenommen, z.E. wo sie auch im Lateinischen kurz sein können, wo der zweite Mitlauter [118] ein th ist, wo es nicht zwei verschiedene Mitlauter sind, sondern eben derselbe nur doppelt stehet etc.

So viel ich, als ein Deutscher, von diesem neuen Versuche urteilen kann, ist er vortrefflich gelungen. Ich habe keinen einzigen Vers darin wahrgenommen, der sich auf mehr als eine Weise skandieren ließe, und ich glaube wir könnten stolz darauf sein, wenn wir viele so gute deutsche Hexameter hätten. Erlauben Sie mir zu versuchen, ob ich den Anfang der vierten Ekloge des Virgils, die auch mit darin übersetzt ist, noch gut im Gedächtnisse habe:


Sicilian Muses to a Strain more noble ascend we!
Woods and low Tamarisks delight not every fancy.
Groves if we sing of, those Groves be worthy a Consul.
Now is the last Epoch of song Cumaean arrived:
A new and wondrous series of Things is arising.
Now is the bright Virgin, now Saturns Scepter returning.
Now is a new Progeny sent down from lofty Olympus.
The Babe's Birth only, through whom, over Earth universal
This Iron age ending shall burnish into a golden,
Chaste Lucina favour! etc.

E.

XX. Den 17. Mai 1759
Vierzigster Brief

Und wie kam es gleichwohl, fragen Sie, daß diese wiederholten Versuche, die alten griechischen Sylbenmaße in die britische Poesie einzuführen, fruchtlos blieben, und der prächtige Hexameter die zehnsylbigen reimlosen Jamben nicht verdringen konnte? Dürfen wir hoffen, setzen Sie hinzu, daß die ähnlichen Versuche unserer Deutschen, von beßrer Wirkung sein werden?

Es ist schwer eine Neuerung durch sie selbst beliebt zu machen, und das Publikum läßt sich in dergleichen Fällen lieber überschleichen, als überreden. Hätte Milton den Hexameter zu seinem »Verlornen Paradiese« gewählt, so würde er längst der Lieblingsvers der Nation geworden sein, wenn der [119] Dichter auch nicht das geringste zu seiner Anpreisung gesagt hätte. Die innern Schönheiten des Gedichts würden die ungewohnte Versart so lange vertreten haben, bis sich das Ohr unmerklich an sie gewöhnt, und in dem, was es anfangs nur duldete, endlich auch Wohlklang entdeckt hätte. Allein ein neues Metrum aus Gründen anpreisen wollen, und von dem möglichen Gebrauche desselben Muster geben, die außer diesem neuen Metro selbst, nichts vorzügliches haben, das heißt zu plump zu Werke gehn.

Umsonst würden also auch bei uns, bald ein Omeis, bald ein Gottsched, die Möglichkeit eines deutschen Hexameters erkannt, und nach ihren Kräften Beispiele davon gegeben haben, wenn nicht andere Männer zugleich mit ins Spiel getreten wären, und der Sache nicht durch ihren kritischen Richterspruch, sondern durch ihren stillschweigenden Gebrauch, den Ausschlag gegeben hätten. Der Verfasser des »Messias« und des »Frühlings« schienen sich das Wort gegeben zu haben, und sie traten fast zu gleicher Zeit mit Werken in dieser Versart hervor, auf deren noch immer wachsenden Beifall ich allein die Hoffnung gründe, daß sich der deutsche Hexameter erhalten werde. Setzen Sie aber einmal, das Unglück hätte es gewollt, und der Verfasser des »Nimrods« wäre jenen beiden Dichtern im Gebrauche desselben zuvorgekommen, (wie er sich dessen auch in allem Ernste rühmet) würde er wohl einen einzigen Nachfolger bekommen haben, wenn seine Hexameter auch schon zehnmal richtiger und wohlklingender wären, als sie in der Tat nicht sind?

Aber was vermuten Sie bei dem allen von dem Verfasser des Frühlings? Sollte man nicht glauben, er habe nach der Zeit seine neue Versart selbst gemißbilliget? Findet sich auch nur ein einziger Hexameter in seinen »Neuen Gedichten«? Und sein »Cissides und Paches«, – ich würde darauf geschworen haben, daß dieser in Hexametern sein müßte.

Ich habe es wohl gedacht, daß ich nicht nötig haben würde, Ihnen dieses letztere Werk 60 bekannt zu machen. Ihre [120] Neugierde ist mir zuvor gekommen. Ich kann nun weiter nichts, als in das Lob, welches Sie ihm erteilen, mit einstimmen. Es ist wahr, man wird schwerlich ein anderes Gedicht nennen können, in welchem so viele große und schreckliche Szenen in einem so engen Raum zusammengepreßt wären. Es würde einem geschickten Maler etwas leichtes sein, es ganz, so wie es ist, in eine Folge von Gemälden zu verwandeln. Der Dichter hat ihm alles vorgezeichnet. Das Titelkupfer ist ein Beweis davon, wo sich Herr Meil mit eben so vieler Kunst, als Genauigkeit, an die Worte zu halten gewußt hat.


Zuletzt setzt er den Bogen auf die Brust
Dem Flehenden, mit weggewandten Blick.

Und zu welchen vortrefflichen Schilderungen könnte im zweiten Gesange, die Löschung des Durstes, und der Tod des Cissides, so wie im dritten, der getreue Knecht unter dem Teppiche seines toten Herrn, Stoff geben! – Doch derjenigen poetischen Gemälde, die dem Dichter kein Künstler mit Linien und Farben nachbilden wird, sind noch weit mehrere. Als:


Wenn, vom Orkan gepeitscht, des Meeres Flut,
Die mit den sinkenden Gewölken sich,
Hoch in der finstern Luft, zu mischen schien,
Gleich Berg und Felsen im Erdbeben, fällt,
Und wieder steigt und fällt, daß alles heult,
Und alles Donner wird, und schnell Neptun
Den mächtigen Trident mit starkem Arm
Aus Wasserbergen hebt; wie dann der Sturm
Verstummt, die Flügel nicht mehr regt, und Meer
Und Himmel ruhig wird, daß Phöbus lacht,
Und jeder Strahl von ihm im Meere blitzt:
So etc.
Oder:
Und vom Geschrei der Stürmenden erklang
Des Himmels Bühne weit, wie sie erklingt
Vom tausendstimmigen Sturmwinde, wie
Der Wald in Lybien ertönt, wenn Löw
[121]
Und Tiger, und manch wütend Tier ins Netz
Der schreinden Jäger fällt, und heult und brüllt.
Oder:
– Sein Roß war stolz wie er;
Es schien die Erde zu verachten, kaum
Berührt es sie mit leichten Füßen, schnob,
Und wieherte zu der Trompete Klang,
Und forderte zum Kampf heraus, wie er.

Doch warum schreibe ich noch ab, was Sie vielleicht schon auswendig wissen? Kommen Sie; ich will Ihnen eine größere Freude machen! Ich besitze, aus der gütigen Mitteilung eines Freundes, zwei noch ungedruckte Stücke dieses Dichters, und diese will ich meinem Briefe beilegen. Das eine ist gleichsam der Pendant zu dem Grabliede auf der 24sten Seite seiner neuen Gedichte; und das andere ist eine Hymne. – Hier würde Ihre Begierde nach der Beilage meinen Brief doch endigen, wenn ich ihn auch nicht selbst geendigt hätte.

E.

Geburtslied

Weh dir, daß du geboren bist!
Das große Narrenhaus, die Welt
Erwartet dich zu deiner Qual.
Nicht Wissenschaft, nicht Tugend ist
Ein Bollwerk für der Bosheit Wut,
Die dich bestürmen wird. Verdienst
Beleidiget die Majestät
Der Dummheit, und wird dir gewiß,
(Im Fall du dirs einmal erwirbst)
Ein Kerkerwert Verbrechen sein.
Der Schatten eines Fehlers wird,
Bei hundert deiner Tugenden,
Der Lästrung greulichstes Geschrei
Oft hinter dir erwecken. Wenn,
Voll edeln Zorns, du kühn die Stirn
Zum Lästrer kehrst, ist alles Ruh.
Ein Zeigefinger, der schon sinkt,
Ein Nickkopf weis't dir kaum, was man
Begonnen. Schnell tönt hinter dir
Des Unsinns Stimme wiederum. –
Wenn du nicht wie ein Sturmwind sprichst,
[122]
Nicht säufst, wie da die Erde säuft,
Wo sich das Meer in Strudeln dreht;
Wenn kein Erdbeben deinen Leib
Zu rütteln scheint, indem zu zürnst:
So mangelts dir an Heldenmut.
Und tanzest du den Phrynen nicht,
Von weiten, einen Reverenz:
So mangelts dir an großer Welt.
Wenn du nicht spielst, und viel gewinnst,
Bis der, mit dem du spielst, erwacht;
Wenn Wollust unter Rosen nicht
Dich in die geilen Arme schlingt:
So fehlt dir Witz! so fehlt dir Witz! –
Nichts, nichts als Torheit wirst du sehn
Und Unglück. Ganze Länder fliehn,
Gejagt vom Feuermeer des Kriegs,
Vom bleichen Hunger und der Pest,
Des Kriegs Gesellen. Und die See
Ergießt sich wild; Verderben schwimmt
Auf ihren Wogen, und der Tod.
Ein unterirdischer Donner brüllt,
Die Erd eröffnet ihren Schlund,
Begräbt in Flammen Feld und Wald,
Und was im Feld und Walde wohnt. –
Und fast kein tugendhafter Mann
Ist ohne Milzsucht, lahmen Fuß
Und ohne Buckel oder Star;
Ihn foltert Schwermut, weil er lebt! –
Dies alles wirst du sehn und mehr.
Allein du wirst auch die Natur
Voll sanfter Schönheit sehn. Das Meer.
Der Morgenröte Spiegel, wird
Mit rotem Lichte dich erfreun,
Und rauschen dir Entzückung zu.
Und kühle Wälder werden dich
Verbergen, wenn die Sonne brennt,
In Nacht. Der Birken hangend Haar
Wird dich beschatten. Oft wirst du,
In blühnden Hecken eines Tals
Voll Ruh einhergehn, atmen Lust,
Und sehen einen Schmetterling
Auf jeder Blüt, in bunter Pracht,
Und den Fasan im Klee, der dir
Denselben Hals bald rot, bald braun,
Bald grün, im Glanz der Sonne, zeigt.
Auch Wiesen werden dich erfreun,
[123]
Mit Regenbögen ausgeschmückt,
Und in der Flut ein Labyrinth
Von Blumen, und manch bunter Kranz,
Aus dessen Mitte Phöbus Bild,
Voll Strahlen, blitzt, und über dem
In holden Düften Zephyr schwärmt.
Die Lerche, die in Augen nicht,
Doch immer in den Ohren ist,
Singt aus den Wolken Freud herab,
Dir in die Brust. Auch Tugend ist
Noch nicht verschwunden aus der Welt,
Und Friedrich lebt, der sie belohnt,
Und sie ist selbst ihr reicher Lohn.
Mitleiden, Großmut, Dankbarkeit,
Und Menschenlieb und Edelmut
Wirft Freud, und Freude nur ist Glück.
Fühl Tugenden, so fühlst du Glück! –
Und mancher Freund wird dich durch Witz
Und Liebe (wie mein ** mich)
Beseligen, und sein dein Trost,
Wenn Falschheit dein Verderben sucht.
Laß Neid und niedre Raben schrein,
Und trinke du der Sonne Glut,
Gleich einem Adler. Hülle dich
In deine Tugend, wenn es stürmt. –
Doch öftrer lacht der Himmel dir;
Das Leben ist mehr Lust als Schmerz.
Wohl dir, daß du geboren bist!

Hymne

Groß ist der Herr! die Himmel ohne Zahl
Sind seine Wohnungen,
Sein Wagen, Sturm und donnernde Gewölk,
Und Blitze sein Gespann.
Die Morgenröt' ist nur ein Widerschein
Vom Saume seines Kleids,
Und gegen seinen Glanz, ist Dämmerung
Der Sonne flammend Licht.
Er sieht mit gnädgem Blick zur Erd herab;
Sie grünet, blüht und lacht.
Er schilt; es fähret Feur von Felsen auf,
Und Meer und Himmel klagt.
Lobt den gewaltigen, den gnädgen Herrn,
Ihr Lichter seiner Burg,
[124]
Ihr Sonnenheere! Flammt zu seinem Ruhm!
Ihr Erden singt sein Lob!
Erhebet ihn ihr Meere! Braust sein Lob!
Ihr Flüsse rauschet es!
Es neige sich der Zedern hohes Haupt,
Und jeder Wald für ihn!
Ihr Löwen brüllt zu seiner Ehr im Hain!
Singt ihm, ihr Vögel! singt!
Seid sein Altar ihr Felsen, die er traf,
Eur Dampf sei Weirauch ihm!
Der Widerhall lob ihn! Und die Natur
Sing ihm ein froh Konzert!
Und du, der Erden Herr, o Mensch! zerfließ
In Harmonien ganz!
Dich hat er, mehr als alles sonst, beglückt.
Er gab dir einen Geist,
Der durch den Bau des Ganzen dringt und kennt
Die Räder der Natur.
Erheb ihn hoch zu deiner Seligkeit!
Er braucht kein Lob zum Glück.
Die niedern Neigungen und Laster fliehn,
Wenn du zu ihm dich schwingst.
Die Sonne steige nie aus roter Flut,
Und sinke nie darein,
Daß du nicht deine Stimm vereinigst mit
Der Stimme der Natur.
Lob ihn im Regen und in dürrer Zeit,
Im Sonnenschein und Sturm!
Wenns schneit, wenn Frost aus Wasser Brücken baut,
Und wenn die Erde grünt.
In Überschwemmungen, in Krieg und Pest
Trau ihm, und sing ihm Lob!
Er sorgt für dich, denn er erschuf zum Glück
Das menschliche Geschlecht.
Und o wie liebreich sorgt er auch für mich!
Statt Golds und Ruhms, gibt er
Vermögen mir die Wahrheit einzusehn,
Und Freund' und Saitenspiel.
Erhalte mir, o Herr! was du verleihst;
Mehr brauch ich nicht zum Glück.
Durch heilgen Schaur will ich, ohnmächtig sonst,
Dich preisen ewiglich!
In finstern Wäldern will ich mich allein
Mit dir beschäftigen,
Und seufzen laut, und nach dem Himmel sehn,
Der durch die Zweige blickt.
[125]
Und irren aus Gestad des Meers, und dich
In jeder Woge sehn,
Und hören dich im Sturm, bewundern in
Der Au Tapeten dich.
Ich will entzückt auf Felsen klimmen, durch
Zerrißne Wolken sehn,
Und suchen dich den Tag, bis mich die Nacht
In heilge Träume wiegt.

XXI. Den 24. Mai 1759
Ein und vierzigster Brief

Der Verfasser der »Schilderungen aus dem Reiche der Natur und der Sittenlehre« ist Herr Dusch; eine der fruchtbarsten Federn unsrer Zeit. Und eben weil es Herr Dusch ist, haben die Verfasser der »Bibliothek der schönen Wissenschaften« von dem zweiten und dritten Teile derselben nichts zu sagen, für gut befunden. Auf eine einzige Erinnerung wider diesen Skribenten, bekömmt man die Antworten immer zu halben Dutzenden zu lesen. Eine jede Kritik weiß er in eine Streitigkeit zu verwandeln; und wer streitet gern?

Aber nun soll ich wenigstens mit der Sprache gegen Sie heraus. – Sie setzen mich in Verlegenheit. – Was soll ich Ihnen sagen? Ich habe die »Schilderungen« nicht gelesen; hier und da darin zu blättern, das ist alles, was mir meine Zeit erlaubt hat. Zwar, die »Schilderungen« sind auch kein Buch, das man ganz, das man nach der Ordnung lesen müßte. Man mag in der Mitte, man mag am Ende, man mag anfangen wo man will; man findet an einem Orte so viel Zusammenhang, wie an dem andern. Und in dem ganzen Buche gerade so viel Zusammenhang, als – im Kalender.

Nun wohl; also kann ich Ihnen doch die Anmerkungen mitteilen, die ich bei dem Durchblättern zu machen, Gelegenheit gehabt habe. Wenn Sie damit zufrieden sein wollen –

Zur Sache! Ich muß mich wundern, daß die Verfasser der »Bibliothek« wider die Einteilung des Werks überhaupt nichts erinnert haben. Herr Dusch will die Natur schildern; seine [126] Schilderungen sollen eine Art von Verbindung unter sich haben; die Verbindung nach den Jahrszeiten ist schon gebraucht; Herr Dusch ist ein großer Liebhaber des Neuen, des Selbsterfundenen; er wählt also die Verbindung nach den Monaten. Nach den Monaten! Ein kühner glücklicher Einfall! Aber kennt denn die Natur, möchte ich ihn fragen, diese Einteilung in Monate? Ist ein Monat von dem andern eben so unterschieden, als eine Jahrszeit von der andern? Welche Bilder, welche Szenen kommen nur diesem und keinem andern Monate zu? Und wenn eben dieselben Bilder und Szenen mehr als einem Monate zukommen können, was für einen zureichenden Grund hat der Skribent, sie uns lieber in diesem, als in einem andern zu zeigen?

Ich tadle hier eben das, was Pope bereits an den Eklogen des Spenser getadelt hat. Auch Spenser hatte einem jeden Monate eine besondere Ekloge gewidmet; und was sagt Pope dazu? »Diese ängstliche Einteilung seiner Schäfergedichte in Monate, hat ihn gezwungen, die nämliche Beschreibung entweder in drei Monaten nach einander, mit veränderten Worten, zu wiederholen, oder, wenn sie das erste mal schon erschöpft war, gänzlich wegzulassen; woher es denn kömmt, daß einige von seinen Eklogen, (als zum Exempel die sechste, achte und zehnte), sich durch nichts als ihre Titel unterscheiden. Und wie kann es anders sein, da das Jahr von der Mannigfaltigkeit nicht ist, daß es, so wie eine jede Jahrszeit, also auch einen jeden Monat, mit einer ihm eigenen Beschreibung versorgen könnte?« 61 – Wenn Herr Dusch, wie man sagt, auch der Übersetzer von Popens sämtlichen Werken ist, so muß es uns so viel mehr befremden, daß er sich dieser Anmerkung [127] seines Helden nicht erinnern wollen. 62 Wenn er es getan hätte, so würde es in seinen Schilderungen vielleicht nicht von so vielen Gegenständen, bis zum Ekel, mutatis mutandis heißen: – Noch blüht die schöne Rose nicht! – Nun blüht die schöne Rose! – Nun hat die schöne Rose geblüht! –

Doch welche Bedenklichkeit kann Herr Dusch haben, sich selbst auszuschreiben; er, der andere mit der allerunglaublichsten [128] Freiheit ausschreibet? Ich wenigstens kann seine Schilderungen für nichts anders, als einen beständigen Cento, aus Pope, Thomson, Hervey, Young, Kleist, Haller und zwanzig andern halten. Und glauben Sie ja nicht, daß er diese Männer nur da ausschreibt, wo er sie in den Noten anführt. Ich kenne leicht keinen Skribenten, der listiger anzuziehen weiß. Er bekennt mit der scheinbarsten Offenherzigkeit, nicht selten ganz entfernte Nachahmungen, um die aller plumpsten Entwendungen damit zu maskieren. Ich kann ihn zehnmal aufschlagen, und ich werde siebenmal mehr eine alte Lecture zu wiederholen, als etwas neues zu lesen glauben.

Aber ich will mich bei solchen allgemeinen Erinnerungen nicht länger aufhalten. – Ich komme auf die Teile selbst, von welchen Sie nähere Nachricht haben wollen. Von dem zweiten, welcher die Sommermonate enthält, will ich wenig oder gar nichts sagen. Ich lief ihn gleich bei seiner Neuheit durch, und habe, was ich damals dabei gedachte, wieder vergessen. So viel weiß ich nur noch: Ich hatte ihn uneingebunden vor mir liegen, und sahe auf der letzten Seite der Vorrede, daß Herr Dusch einen Fehler des Gedächtnisses, den er in den ersten drei Monaten begangen hatte, verbesserte; er hatte nämlich an einem Orte Leda gesetzt, wo Semele stehen sollte.

Indem ich noch seine Strenge gegen sich selbst, und seine große Liebe zur Genauigkeit bewunderte, schlug ich einige Blätter um, und ein weit gröberer Fehler sprang mir auf einmal ins Auge. Lesen Sie doch! »Bewundert sie, die Natur, (sagt Herr Dusch auf der 280ten Seite) in den Geschlechtern der Tiere, von dem Hunde bis zum Elefanten; in den gefiederten Scharen von der Vogelfliege bis zum wütenden Strauß; in den Insekten, die zu betrachten ein Merian, die neue Welt besuchet etc.« – Ein Merian? Es gehört eine Note dazu; und die wird uns nähere Nachricht geben. »Merian, heißt die gelehrte Note, ein bekannter Maler, reisete, bloß aus der Begierde, die Schönheiten der Insekten zu betrachten, nach Surinam.« – Schade, daß ich den bekannten Maler nicht kenne! Eine Maria Sibylla Merianin kenne ich wohl, die in einer ernsthaftern Absicht, als die bloße Schönheit der Insekten zu [129] betrachten, nach Surinam reisete. – Kurz; hier steht Kadmus, wo Semele stehen sollte.

Ich komme also zum dritten Teile. Und dieser dritte Teil hat eine merkwürdige Vorrede. Herr Dusch hat die Erinnerungen, die in der Bibliothek der schönen Wissenschaften, gegen seinen ersten Teil gemacht worden, gegründet gefunden, und sich entschlossen, ihnen genug zu tun. – Wie schwer muß ihm diese Verleugnung seiner selbst geworden sein! Er tauert mich! – Es ist wahr, seine Schreibart ist nun nicht mehr so geschmückt; seine Prose stolpert nicht mehr so hexametrisch einher; und doch ist sein Buch darum um nichts besser geworden.

Noch immer ist die Tautologie seine liebste Figur. Ein pathetischer Nichts wird man selten auf den Kanzeln hören, als man bei ihm fast auf allen Seiten findet. Z. E. »Wie widersprechend ist die Torheit, welche sich einmal vorgesetzt hat, einen Irrtum zu behaupten. In was für Widersprüche versinkt sie nicht!« 63 Wie schwatzhaft ist ein Dusch, welcher sich einmal vorgesetzt hat, viel zu schreiben. In was für Geschwätze versinkt er nicht! – Und so gut geraten ihm seine Tautologien auch nicht einmal allezeit. Sie werden sehr oft zu Ungereimtheiten, die ganz etwas anders sagen, als er hat sagen wollen. Z.E. Die zärtliche Apostrophe an seine Doris aus dem November: »Uns beide, o Doris, wird der Tod dahin führen, wo unsere Väter seit der Sündflut schlafen. Wir werden nicht gegen dieses allgemeine Gesetz der Sterblichkeit murren, nicht zittern, unsern Tod zu sehen. Aber wollte der Himmel uns einen Wunsch gewähren, so sollte kein Auge den Verlust des andern beweinen! Eine Stunde sollte unser Leben schließen; zugleich sollte in einem Seufzer unser Atem entfliehen.« 64 Nun ja doch, ja; wir merken es wohl, daß von dem lieben Paare keines das andere überleben will. Aber sagen dem ohngeachtet die Worte: so sollte kein Auge den Verlust des andern beweinen, nicht ganz etwas anders? Ihnen zu Folge wünschet Herr Dusch, daß keines von ihnen einäugig werden möge; nicht aber, daß keines das andere überleben [130] möge. Denn nur alsdenn, wenn man das Unglück hat einäugig zu werden, beweinet ein Auge den Verlust des andern. Und auch für dieses Unglück bewahre ihn der Himmel! Denn eine einäugige Doris, und ein einäugiger Liebhaber sind freilich ein trauriger Anblick. Besonders wenn ein witziger Freund auch nicht einmal sagen könnte:


– Puer, lumen quod habes concede puellae!
Sic tu coecus Amor, sic erit illa Venus.

In ähnliche Ungereimtheiten fällt Herr Dusch auch oft, wenn er Bilder und Umstände ohne alle Wahl häuft. Z.E. »Der Landmann weiß der Kälte Arbeit entgegen zu setzen, und wider Willen des Winters Schweiß aus seiner Stirne zu treiben. Unter seinen starken Hieben sinkt die tausendjährige Eiche, unter der Gewalt seiner abgehärteten Hände zerreißt der Pflug die starre Erdscholle, und unter seiner Sichel fallen die Ähren der Felder.« 65 Vortrefflich! Nun wissen wir doch, wenn der Landmann sein Korn hauet. Im Winter, um sich eine erwärmende Bewegung zu machen. – Zwar das hat nun Herr Dusch gewiß nicht sagen wollen, sondern seine Feder, die einmal aufgezogen war, hat es wider seinen Willen hingeschrieben. Denn so viel mag er wohl von der Natur verstehen, daß er ungefähr weiß, in welchen Monat die Ernte fällt. – Mehr aber? – Was er mehr davon weiß, das mag er sicherlich nur halb wissen.

Wollen Sie einen Beweis? – Wie billig! – Herr Dusch will im Anfange seines Oktobers eine Beschreibung von der herbstlichen Nachtgleiche, (Aequinoctium autumnale) geben, und sagt: »Itzo wieget die Waage Tag und Nacht in gleichen Schalen, und der Stand der Sonne teilet den Erdkreis in Licht und Finsternis.« 66 Die erste Hälfte dieser Beschreibung ist schön, denn sie ist nach einer Zeile des Virgils gemacht, die Herr Dusch selbst anführt.


Libra die somnique pares ubi fecerit horas etc.


Allein was sagen Sie zu der andern Hälfte: und der Stand der [131] Sonne teilet den Erdkreis in Licht und Finsternis? Der Skribent muß träumen. Geschieht es denn nur bei der Nachtgleiche, daß die Sonne durch ihren Stand den Erdkreis in Licht und Finsternis teilet? Ich denke es geschiehet immer; die Sonne mag stehen wo sie will. Denn immer ist die eine Hälfte der Erdkugel von ihr erleuchtet und die andere nicht; und sie teilet sie also immer in Licht und Finsternis. Das ist unwidersprechlich. Aber nun will ich Ihnen auch zeigen, wie er zu diesem albernen Zusatze gekommen ist. Der gleich darauf folgende Vers bei dem Virgil, den Herr Dusch nicht anführt, heißt:


Et medium luci atque umbris jam dividet orbem. 67


Und diese Zeile hat er offenbar durch sein: der Stand der Sonne teilet den Erdkreis in Licht und Finsternis, übersetzen wollen. Wenn er sie aber doch erst hätte verstehen lernen! Orbis heißt hier gar nicht der Erdkreis; sondern so viel als orbita, die tägliche Laufbahn der Sonne um die Erde. Und wenn diese zur Hälfte in Licht und Finsternis geteilet ist; wenn die Sonne eben so lange über unserm Horizonte verweilet als unter demselben, alsdenn haben wir notwendig Nachtgleiche. Virgils Beschreibung ist also sehr richtig, da des Herrn Duschs seine sehr abgeschmackt ist. Es entschuldiget ihn nicht, daß orbis sehr oft so viel heißt als mundus, mundi orbis; es heißt eben so oft ein bloßer Kreis, und er hätte wissen sollen, welche Bedeutung sich hier schickt. Hier nimmt es der Römer eben so, wie er es an einer andern Stelle nimmt, wo er sagt: 68


Jam rapidus torrens sitientes Sirius Indos
Ardebat coelo, et medium sol igneus orbem
Hauserat.

Sie hatte die Hälfte ihrer Bahn erreicht; es war Mittag. Ich weiß zwar, daß auch Ruäus medium orbem durch medium mundum auslegt: allein ich weiß auch, daß die prosaische Paraphrasis dieses Jesuiten erbärmlich ist, und daß man den [132] Virgil aus ihr sehr schlecht verstehen lernt. – Und so hätte ich zweierlei auf einmal bewiesen; nämlich daß Herr Dusch das Lateinische, das er nachahmen wollen, nicht verstanden hat, und daß er höchst verwirrte Begriffe von einem Phänomeno in der Natur haben muß, daß jeder Anfänger in der Astronomie zu erklären weiß.

Aber noch ein ander Beispiel, was für seltsame Vorstellungen sich Herr Dusch von den Dingen aus dieser Wissenschaft, und von dem, was durch ihre Grundsätze und Beobachtungen herauszubringen ist, machen muß! – An einem Orte seines Septembers sagt er: »Übung entwickelt die verborgnen Kräfte der Seele, wie die Arbeit die Kräfte des Körpers. Durch sie gestärkt mißt einer die Erde, verfolgt den Planeten auf seiner Bahn, und mißt die Weite von einer Sonne zur andern etc.« 69 – Wer heißt es nun dem Herrn Dusch, auf die Rechnung der Astronomen in einem so pathetischen Tone so greulich zu lügen? Und glaubt er denn, daß sie ihm diese Prahlerei danken werden? Nichts macht eine Wissenschaft bei dem Pöbel lächerlicher, als wenn ein Stümper Dinge von ihr rühmt, die sie nie zu leisten unternommen hat, und auf keine Weise leisten kann. Ich weiß zwar, daß Hugenius, und noch in unsern Zeiten Bradley, wahrscheinliche ohngefähre Berechnungen von dem Abstande der Fixsterne von unserer Erde, und folglich zugleich von der Sonne, gegeben haben. Aber heißt denn das, die Weite von einer Sonne zur andern, das ist, von einem Fixsterne zu dem andern messen? Kann es unterdessen Herr Dusch; ei, so sage er uns doch, wie weit ist es vom Alkor bis zum Kabelesit? Oder um ihm, wenn er denkt, die Aufgabe zu erleichtern; wie weit ist es von einer der Plejaden zu der andern? Denn bei nahe muß ich auf den Verdacht kommen, daß er hier nur die scheinbare Weite eines Fixsterns von dem andern meint, und diese nicht besser zu messen verlangt, als der gemeine Mann den Schweif des Kometen mißt; nach Spannen. Meint er aber nur die Messung dieser scheinbaren Weite, so möchte ich wissen, was für eine Stärke des Geistes dazu gehöre?


Die Fortsetzung künftig

[133]

XXII. Den 31. Mai 1759
Fortsetzung des ein und vierzigsten Briefes

Man hatte in der »Bibliothek« dem Herrn Dusch unter andern auch geraten, seine Gemälde öftrer mit Fiktionen zu unterbrechen. Und sehen Sie; auch diesen Rat hat der gutherzige Skribent angenommen! Er hat mehrere, er hat größere eingestreuet; und er versichert, es würde ihm angenehm sein, wenn sie gefallen könnten.

Lassen Sie mich, Wunders halber, eine ganz flüchtig durchgehen! Ich wähle den Traum dazu, der am Ende des Oktobers stehet. Prägen Sie sich es ja wohl ein, daß es ein Traum ist! – Herr Dusch also entschlief und träumte. »Ein unumgrenztes lachendes Tal, in einer kaum sichtbaren Ferne, mit blauen Gebirgen und Wäldern umgeben,« war der Schauplatz, worauf er sich auf einmal im Traum befand. – Bemerken Sie doch sogleich dieses unumgrenzte Tal, in einer kaum sichtbaren Ferne mit Bergen umgrenzt. – Hier also ist er; und wenn wird er aus diesem unumgrenzten Tale wieder herauskommen? Lassen Sie sich die Zeit nicht lang werden. Sieben Zeilen weiter »verfolgt er bereits durch eine Kette von Hügeln den Fußsteig, der ihn endlich an die schönste Ebene bringt.« – Willkommen! Aber was machte der Träumer erst in dem unumgrenzten Tale? Warum befand er sich nicht gleich in dieser Ebene? Hätte er den sauern Weg durch eine Kette von Hügeln nicht sich und dem Leser ersparen können? Und was entdeckt er in der Ebene? Er entdeckt in der Ferne »ein majestätisches Gebäude, das in Erstaunen und Ehrfurcht setzte. Der Mond erhellte einige Seiten und Mauern die sich mir im hellen Lichte entgegen kehrten, andere verbargen sich in tiefen Finsternissen. Unermeßliche Schatten fielen auf die unumgrenzte Fläche, und malten mit schwarzen Finsternissen die Gestalt des Tempels in erstaunlicher Größe auf das Feld. Mein Blick übermaß die Länge der Schatten nicht, die auf der Fläche lagen, und die Zinnen des Gebäudes schienen an die Wolken zu ragen. Das ganze Gebäude ruhte auf korinthischen Säulen. Alle Teile desselben waren [134] in der vollkommensten Symmetrie zusammen gefügt; und ihre Verbindung war so genau und richtig, daß kein Auge entdecken konnte, wo der eine Teil aufhörte, oder der andere anfing. Kein nötiges Glied wurde hier vermißt, und keine Zierat war überflüssig. Eine bewundernswürdige Einfalt herrschte in dem Ganzen, und die Majestät des kühnen und regelmäßigen Gebäudes setzte in Erstaunen.« – Das nenn ich eine Beschreibung! Ich führe sie deswegen ganz an, um Ihnen zu zeigen, welch ein vortrefflicher Baumeister Herr Dusch ist. Ein großes unermeßliches Gebäude, das durch seine Majestät in Erstaunen und Ehrfurcht setzt, dessen Zinnen an die Wolken ragen, das keine einzige überflüssige Zierat hat, in dessen Ganzen eine bewundernswürdige Einfalt herrscht; nach welcher Ordnung würden Sie so ein Gebäude aufführen? Geben Sie wohl Acht, und lernen Sie was! Herr Dusch führt es nach der korinthischen Ordnung auf. »Das ganze Gebäude ruhte auf korinthischen Säulen.« Es ist um ein aufgeschnapptes Kunstwort eine schöne Sache! Und noch eine schönere, um die edle Treustigkeit, ein solches Kunstwort auf gut Glück zu brauchen! –

Aber, damit ich weiter komme! Ein Genius begegnet dem Träumer, und sagt ihm, daß dieses große Gebäude der Tempel der Natur ist. Er erbietet sich ihm zum Führer, und nach verschiedenen vorläufigen Erinnerungen, treten sie mit einander in einen ungeheuren Vorhof des Tempels, wo sie eine Menge von bejahrten Männern nachsinnend, oder mit einander in Unterredung begriffen, erblicken. Alle in der Kleidung der alten Nationen; deren Weltweise und Naturforscher es sind. Nun fängt der Genius sein Collegium an: »Jener Schwarm in verschiedenen Trachten, deren Stirnen ein hohes Alter mit greisen Haaren bestreuet hat, sind die Weltweisen barbarischer Völker. Du siehst, sie gehen in kleinen Haufen zusammen, und unterreden sich zum Teil ganz leise, zum Teil durch Rätsel. – Ihre Lehre war nicht würdig auf die Nachwelt zu kommen. – Nur wenig ist davon mit Gewißheit für die Nachwelt übergeblieben.« – Hier besinnt sich der wachende Herr Dusch, seinem Genius mit ein Paar Zitationen auszuhelfen. Er setzt in einer Note hinzu: »Man muß die [135] Nachrichten von diesen (den Weltweisen der barbarischen Völker) aus verschiedenen Schriften, als Bournets Archaeolog. Philos. in der Amsterdamer Ausgabe seiner Theorie der Erde; Reimmanns Einleitung in die Geschichte der Gelehrsamkeit, und andern zusammen suchen.« Vortrefflich! Man muß sie aus denen zusammen suchen, die sie zusammen gesucht haben. Und wer ist Bournet? Wenn hat ein Bournet Archaelogias philosophicas geschrieben? Ein Burnet, weiß ich wohl; und was braucht Herr Dusch den ehrlichen Schotten in einen Franzosen zu verwandeln?

»Ein beßrer Haufe, fährt der Genius fort, ist der, den du dort in griechischer Kleidung siehst.« Und hierauf fängt der erleuchtete Genius an, in dem wahren Tone eines frühzeitigen Adjunkts der philosophischen Fakultät, so viel falsches, so viel nur halb wahres, so viel unverdautes Zeug von den verschiedenen griechischen Sekten, und einzeln Weltweisen, daher zu plaudern, als man nur immer in dem elendesten Compendio einer Geschichte der Weltweisheit, finden kann. Er hat ein Argument, mit welchem er sie alle abfertiget. Er spricht sein lächerlich! und so gleich erblickt man, anstatt eines ehrwürdigen Philosophen, einen dummen Jungen. Z.E. wenn er vom Pythagoras spricht: »Eine dunkle geheimnisvolle Lehre, die lächerlichste unter allen.« 70 Oder vom Aristoteles: »eben so lächerlich und dunkel nahm Aristoteles Materie, Form und Privation zu seinen Grundquellen an.« 71 (Oder an einem andern Orte vom Epikur: »Ich gehe hier nur kurz die Gründe durch, die dieses lächerliche Lehrgebäude zu Boden werfen können« 72) – O mein Herr Genius, diese Ihre Beschuldigung des Lächerlichen, ist sehr lächerlich! Sie sind ein lächerlicher Genius; mit aller Hochachtung von einem Geiste gesprochen! Und sagen Sie mir, was wollen Sie dem guten Herrn Dusch weiß machen, wenn Sie unter andern ausrufen: »O Vernunft, wie blind bist du oftmals! Was die ältere Zeit schon längst nicht mehr glaubte, das sucht die neue wieder hervor, und die offenbarsten Irrtümer gewinnen noch einmal Beifall: und ein Spinoza, Cartes oder Gassendi kleiden [136] den alten Irrtum des Chrysippus oder des Epikurus in eine neuere bessere Tracht.« Was Sie mit demGassendus und Epikur wollen, das kann ich ohngefähr erraten. Aber der alte Irrtum des Chrysippus? Was ist das? Was hat Spinoza dem Chrysippus abgeborgt? Was Cartesius? Beide eben dasselbe; oder jeder etwas anders? Wenn Sie dem Herrn Dusch wieder im Traume erscheinen, haben sie doch die Gütigkeit, sich näher zu erklären!

Sie sehen, mein Herr, man kann sich schwerlich einer Turlupinade enthalten, wenn man sieht, daß Leute mit einer Gelehrsamkeit prahlen wollen, in der sie offenbare Fremdlinge sind. – Wie ich schon bemerkt habe, so hilft Herr Dusch seinem Genius manchmal in einer Note nach; aber seinen Noten möchte man wieder in andern Noten nachhelfen. Von dem Anaxagoras sagt er z.E. er lebte in der LXX Olympias. Sagt man aber von einem Manne so, der in dieser Olympiade erst geboren worden? Wenigstens lebt der Philosoph, in den ersten vier Jahren seiner Kindheit noch nicht.

Auch wird der Genius, wenn er nun von den neuern Weltweisen zu reden kömmt, nichts richtiger; so wie ihn Herr Dusch auch nichts genauer ergänzt. Der Genius sagt z.E. von dem großen Baco: »Er war es, der die Gesellschaften stiftete, die sich mit vereintem Fleiße um die Erkenntnis der Natur bemühten, und die Wissenschaften ins Aufnehmen zu bringen suchten. Eine vortreffliche Stiftung, die seinem Andenken Ehre macht, und groß genug ist, seinen Namen zu verewigen. England hatte die Ehre, diesen Weltweisen geboren zu haben, und in seinem Schoß die erste Gesellschaft wahrer Philosophen zu hegen etc.« 73 – Wo hat denn der gelehrte Genius gelesen, daß Baco die englische Sozietät der Wissenschaften gestiftet habe? Gestiftet: so sagt er zweimal. Denn wenn es gleich wahr ist, daß die ersten Stifter derselben den Anlaß dazu aus der Nova Altantis des Baco genommen, so kann man deswegen doch nicht sagen, daß sie Baco gestiftet habe. – Noch einen gröbern Fehler aber macht Herr Dusch, mit eben diesem Vater der gereinigtern Weltweisheit, [137] wenn er in der Note sagt: 74 »Von diesem Zeitpunkte der Geschichte der Philosophie sagt ein Dichter:«


Cartes zerreißt die Fesseln, die mancher schon genagt,
Er zweifelt und sucht Gründe, er findet, und es tagt.
Der Weisheit Genius steigt aus des Moders Hügeln,
Und schüttelt mit Gewalt den Schulstaub von den Flügeln.
Ein Baco, Lock und Newton ersetzt, was noch gebricht,
Natur, Verstand und Sitten, und alles wurde Licht.

Wohl zu merken, daß der Dichter, der diese sechs Zeilen gereimt hat, wenn ich mich nicht sehr irre, Herr Dusch selbst ist. Wenigstens billiget er sie hier; und zugleich den albern Anachronismus, den sie enthalten. Cartesius hat also eher geschrieben als Baco? Und Baco hat nur ersetzt, was jener noch gebrechen lassen? –

O ich bin es müde, mehr solche Anmerkungen zu machen, Lassen Sie mich den Traum verfolgen. – Der Genius kömmt endlich mit dem Herrn Dusch in den Tempel selbst. Und nun machen Sie sich fertig in den seltsamsten Raritätenkasten zu gucken! »Zwei mächtige Flügel eröffneten den Eingang durch ein langes Gewölbe, das auf beiden Seiten auf marmornen Säulen ruhte. Zwischen diesen standen in ihren Fächern die Bildsäulen der größten Philosophen, die durch ihre Bemühungen die wichtigsten Wahrheiten aufgeheitert hatten. Einige in der Tracht der Chaldäer etc.« Ist das nicht lustig? Hier stehen die Bildsäulen der Philosophen, die draußen in dem Vorhofe lebendig herum liefen. Und auch so gar die Bildsäulen derjenigen, deren Lehre nicht wert war, auf die Nachwelt gebracht zu werden; der Chaldäer. Zugleich welch ein kunstmäßiger Ausdruck: die Bildsäulen standen in ihren Fächern! Nischen heißen auf deutsch Blenden, nicht Fächer. – Aber wir sind noch in dem Eingange des Tempels. Wer wird sich überall aufhalten? – Nun merken Sie auf; wir treten herein. »Ein erstaunliches Gewölbe voll majestätischer Einfalt!« – Tausend Lichter; eine himmelblaue Decke, und an der Decke alle Augenblicke ein neuer Auftritt; itzt geht [138] die Sonne daran auf, und itzt unter; itzt scheinen die Sterne, itzt verlöschen sie; mitten im Tempel ein Altar; gegen die vier Ecken des Altares vier in Marmor gehauene Bilder, welche die vier Jahrszeiten vorstellen; an den Wänden schöne Gemälde von den vornehmsten Gegenständen, die der Mensch auf der Erde zu betrachten findet; eine korinthische Säule, welche eine schwarze marmorne Tafel hält, worauf die Gesetze der Natur, der Bewegung und der Schwere geschrieben stehen etc.: das sind die innern Dekorationen, für welche Herr Dusch unmöglich einen großen Aufwand an Witz und Erfindung kann gemacht haben. –

Aber ist das schon die ganze Natur, die uns der Dichter hier im Kleinen vorstellen will? O nein! Er zieht daher auch weislich in seinem Kasten ein neues Fach. »Indem eröffneten zween mächtige Flügel eine weite Aussicht aus dem Tempel in ein unabsehbares Feld. Merke auf, sagte mein Führer zu mir, und betrachte!« – Der natürliche Savoyard: Vous allés voir ce que vous allés voir! Hi! ha! – Was gibt es denn nun zu betrachten? Da repräsentieren sich: »Entblößte Hügel, die ihr Inneres aufdecken; Erdarten, Mineralien, Steine, Metalle etc.« Und abermals repräsentieret sich: »Die schönste Gegend; ein ebenes Tal mit unzähligen Kräutern und Blumen aus allen Himmelsgegenden geschmückt.« Und abermals repräsentieret sich: »eine unzählbare Menge von Stauden.« Und abermals repräsentieren sich: »teils Pflanzen, teils lebendige Geschöpfe.« Und abermals repräsentieren sich – O verzweifelt! Ich wollte meinen Herren noch das ganze Tierreich repräsentieren; aber Sie sehen das Licht geht mir in dem Kasten aus. »Die Betrachtung des Tierreichs soll daher Ihnen selbst überlassen sein!«

Nicht ein Haar besser läßt Herr Dusch seinen Genius in allem Ernste abbrechen, weil »eine Priesterin, in weißen Atlas gekleidet an den Altar tritt, und neuen Weihrauch in die hellere Flamme gießt.« – Der Guckkasten wird nun zu einem Marionettenspiele. – Es kömmt noch eine Gestalt dazu; »schön, aber menschlicher gebildet, mit einem denkenden Auge.« Und noch eine dritte: »ein bejahrter Greis geht ihr zur Rechten, der in dieser Hand ein Sehrohr, in der andern [139] das Bleimaß trägt.« Und eine vierte: »zu ihrer Linken trägt ein blühender Genius ein vollgeschriebenes Buch.« Diese dreie warfen sich vor die Stufen des Altars auf ihr Antlitz, indem die Priesterin mit zum Himmel gefaltenen Händen niederkniete. – Hier endlich? tut der Träumer seine erste Frage an den Genius; denn noch hat der Genius beständig allein gesprochen, und der Träumer hat, wie es sich in einem ekeln Collegio für beide schickt, vermutlich unterdessen – geschlafen. »Wer sind diese, die hier anbeten?« – »Jene blühende Gestalt, sagt der Genius, ist die Vernunft, die von der Erfahrung zur Rechten geführt wird. Ein Genius hält ihr beständig das Buch der Natur vor, und beide führen sie zu dem Altare, wo die natürliche Religion dem Vater der Wesen opfert. Kaum hatte er ausgeredet, als ein Lobgesang von tausend verschiedenen Stimmen erklang.« – Und siehe, dieser Lobgesang ist nach dem Englischen des Thomson. Denn Sie wissen wohl, daß wir im Traume nichts neues erfinden, sondern uns nur mit oft ungeheuern Zusammensetzungen und Trennungen alter Ideen behelfen. Herr Dusch ist folglich aus Gründen der Psychologie zu entschuldigen, daß er keine neue Hymne singen läßt. –

Nachdem der Lobgesang zu Ende ist, erfolget eine Stille, und über diese Stille erwacht der Träumer! Sehr wohl! Ein ähnliches Erwachen haben wir an des Schmieds Hunde in der Fabel, der unter dem Getöse der Hämmer sehr ruhig schlief, und nicht eher erwachte, als bis die Hämmer ruhten, und ihn die erfolgte Stille zum Essen rief.


Der Beschluß künftig

XXIV. Den 14. Junius 1759
Beschluß des 41sten Briefes

Und nun sagen Sie mir, kann man sich eine elendere Fiktion gedenken, als diesen Traum des Herrn Dusch? – Aber vielleicht argwohnen Sie, daß er nur in meinem Auszuge so [140] elend geworden sei. – Wie könnten Sie zwar das argwohnen, und welchen Bewegungsgrund könnte ich haben, Ihnen etwas elender einzubilden, als es in der Tat ist?

Dem ohngeachtet, sehen Sie hier noch eine andere Erdichtung dieses Dichters! Ich will mich die Mühe nicht tauern lassen, sie Ihnen in ihrem ganzen Umfange abzuschreiben. Und wenn diese nicht eben so elend ist, als der Traum, so will ich es Ihnen erlauben, mich dort für einen Verfälscher zu halten.

Herr Dusch will uns in seinem September 75 die Lehre, daß wir das oft nützlich befinden, was wir anfänglich schädlich nannten, durch ein Beispiel einprägen. Lesen Sie!


»Der Sturmwind zerriß dem Alcest seine Hütte am Strande der See. In was für Verwünschungen und Klagen brach er wider den Himmel aus, der ihn gesandt hatte! Welch ein elendes Leben, rief er zu den Felsen, ist das meinige! Kaum kann ich mir mit den Arbeiten meiner Hände das Brot erwerben, das meine Notdurft fordert! Unfruchtbar fließt mein Schweiß. Mit der Sonne stehe ich auf, und die Mitternacht bringt mir erst die Stunde des Schlafes. Aus der Tiefe des unsichern Meeres muß ich meine Nahrung ziehen, oft mit Gefahr des Lebens mit dem Ruder die ungetreuen Wellen schlagen, und von den Ufern des Todes ein schlechtes Opfer für meinen Tisch holen. Und dennoch, o Himmel, sendest du Stürme, die meine arme Hütte niederreißen? Soll ich denn den Ungewittern und Regen, soll ich allen Beleidigungen des ungütigen Himmels ausgesetzt, auch nicht in der Nacht die Ruhe haben die alle Wesen wieder vergnügt? Der Vogel schläft unter dem grünen Dache der Blätter. Der Sturm wiegt ihn in den Schlaf, der meine Wohnung zu Boden reißt. Das Wild ruhet sicher in Höhlen und in warmen Gebüschen, und der Wurm findet im Schoße der Erde eine sichere Ruhestätte: nur ich bin allen Plagen ausgesetzt, und um mich zu quälen, gießt der Himmel alle Ungewitter aus.

Mit diesen Klagen und Tränen in den Augen, warf sich voll Unmut, und müde seines Lebens, Alcest, auf einen moosigten Felsen nieder. Die Nacht umschattete ihn; ein fester Schlaf nahm ihn in die Arme, und der völlig angebrochene Tag öffnete erst seine schweren Augenlider. Traurig stand er von seinem harten Lager auf, und wandte seine Augen auf das Meer. Dann suchte er seine Hütte. Die Hütte lag in einem Haufen zusammen, und sein Kahn stand zerschlagen auf dem trocknen Sande. Jezt brach ein neuer Strom von Tränen aus seinen Augen, und neue Klagen stürzten [141] von seinen Lippen. Verzweifelnd stieg er die Klippe hinunter, und wanderte zu seinem Nachen. Aber der Nachen war zertrümmert und seine Hütte darneben ein Steinhaufen. Von wütender Verzweiflung getrieben eilte er ans Meer, entschlossen sein Leben zu endigen, und in demjenigen Elemente den Tod zu suchen, das ihn des einzigen Mittels der Erhaltung beraubt hatte. Nimm auch mein Leben, rief er, nimm dieses elende Leben, Schicksal, das ich nicht mehr erhalten kann! Jetzo will er sich in die Wellen stürzen; aber indem er mit einem Blicke das Ufer übersah, fiel ihm ein Schiff ins Gesicht, das auf dem Sande auf die Seite gelehnt lag. Die Masten waren zerbrochen, die Segel zerrissen, und der Kiel stak in einer Sandbank. Jetzo vergaß er seinen Entschluß zu sterben, und Neubegierde und Hoffnung beflügelten seine Füße. Was für Schätze fand er auf diesem unglücklichen Schiffe, das eben der Sturm, der seinen Kahn und seine Hütte zerschlagen, an diesen Strand getrieben hatte! Wie vergaß er zu seufzen, und nennte das Ungewitter ein Mittel seines Glücks, und den Himmel gütig und weise, der ihm den Sturm gesandt hatte! Tausendfach war ihm sein Verlust ersetzt, und eben der Sturm den er verwünschte, bereicherte ihn.«


Welch ein abscheuliches Beispiel! Abscheulich in allen möglichen Betrachtungen. – Der Held ist ein elender Fischer; und doch spricht dieser elende Fischer, natürlich wie der Poet Dusch. Er schlägt die ungetreuen Wellen; er holt von den Ufern des Todes ein schlechtes Opfer. Welch eine Sprache für einen elenden Fischer! Und was muß dieser Fischer sonst für ein Narr sein! Der Sturmwind hat seine Hütte zerrissen; er klagt, er murret; er ist seines Lebens müde. Aber doch, denkt er, ehe ich mich ersäufe, kann ich ja wohl noch eine Nacht gut schlafen; er wirft sich auf einen moosigten Felsen nieder, und ein fester Schlaf nimmt ihn in die Arme. Gewiß dieser feste Schlaf eines Unglücklichen in der Verzweiflung, ist ein Meisterzug des Herrn Dusch! Cato schlief kurz zuvor, ehe er sich umbringen wollte, eben so fest; aber nicht eben so lange. Der Fischer ist ein doppelter Cato; der völlig angebrochene Tag öffnet erst seine schweren Augenlider! Anstatt aber, daß er seinen Rausch der Verzweiflung sollte ausgeschlafen haben, wird er noch einmal so wütend als er gestern war. Bei ihm hieß es nicht: la nuit porte avis. Er ist fest entschlossen sein Leben zu enden. Und nun geben Sie Acht; der Fischer des Herrn Dusch ist [142] nicht bloß ein Narr, der es erst beschlafen muß, ob er sich ersäufen soll, oder nicht: er ist das größte menschliche Ungeheuer, das je gewesen oder erdichtet worden. Er kömmt an den Strand und entdeckt ein verunglücktes Schiff; er entdeckt, daß vielleicht hundert andere durch den Sturm hundertmal mehr verloren haben, als er selbst. Was hätte diese Entdeckung bei ihm wirken müssen, wenn ihm Schöpfer Dusch nur einen Funken Menschheit gegeben hätte? Hätte sie seine Verzweiflung nicht noch höher treiben müssen? Welch ein Herz muß das sein, von dem es in einem solchen Falle heißen kann: »er vergaß seinen Entschluß zu sterben, und Neubegierde und Hoffnung befliegelten seine Füße.« Herr Dusch fragt an einem andern Orte: 76 »Um mich zu trösten, wenn meine Wunde blutet, soll ich einen andern an der seinigen mit dem Tode ringen sehen? Es sind tausend Schmerzen noch heftiger, als der meinige, ein so schrecklicher Gedanke, der in Verzweiflung stürzen muß, sollte mich ermuntern können?« – Doch diese bessern Gesinnungen im November, konnte Herr Dusch freilich im September noch nicht haben.

Aber lassen Sie mich dieses Beispiel noch auf einer andern Seite ansehen. Es ist wahr, es enthält gewissermaßen den allgemeinen trostreichen Satz: Daß wir das oft nützlich befinden, was wir anfänglich schädlich nannten. Aber enthält es nicht auch zugleich einen andern, der nichts weniger als trostreich ist? Diesen nämlich: daß das Unglück vieler, oft das Glück eines einzigen wird. Es ist wahr; wäre der Sturm, der die Hütte des Fischers niederriß, nicht gewesen, so hätte itzt auch kein reiches Schiff an den Strand können geworfen werden, durch dessen Plünderung der Fischer seinem Schaden so wohl beikam. Aber muß denn deswegen ein reiches Schiff scheitern, um einen Fischer den Verlust seiner elenden Hütte vergessen zu machen? Kann sich der Unzufriedene, der dieses Beispiel lieset, nicht eben so wohl an die Stelle derjenigen setzen, die an dem verunglückten Schiffe Teil haben, als an die Stelle des Fischers? –[143] Und nun lassen Sie mich meinen Brief einmal schließen. Der Mann hat mich angesteckt, von dem die Rede ist. Auch Herr Dusch weiß niemals das Ende zu finden, er mag schreiben wovon er will. Er fängt lieber zehnmal wieder von vorne an, als daß er da aufhören sollte, wo seine Gedanken aufhören. – Kann ich aber meinen Brief schließen, ohne vorher feierlich zu protestieren, daß ich darum nicht ganz und gar nichts von Herr Duschen halte? Er könnte wirklich ein guter Schriftsteller geworden sein, wenn er sich in die ihm zukommende Sphäre hätte einschließen wollen. Und diese haben ihm die Verfasser der »Bibliothek« deutlich genug angewiesen. Herr Dusch hat nicht Witz und Erfindungskraft genug, ein Dichter zu sein; und ein Philosoph zu sein, nicht genug Scharfsinn und Gründlichkeit. Er hat aber von beiden etwas, und ohngefähr gleich so viel, als dazu gehört ein erträgliches moralisches Lehrgedichte zu machen. Dieses mache er; und lasse sich ja weder von seinen Freunden noch von seiner Eitelkeit verführen, Werke de longue haleine zu unternehmen, welche Anlage, Erdichtungen und Ökonomie erfordern!

Keine Stelle in den ganzen Schilderungen, die mir wenigstens in die Augen gefallen ist, hat mir mehr gefallen, als die Ausschweifung über die Gewalt derMode, im Oktober. 77 Ich habe so viel schlechte Brocken für Sie daraus abgeschrieben, daß Sie mich für neidisch halten könnten, wenn ich Ihnen nicht auch noch einige gute mitteilte. Wie gesagt; hier und da eine sittliche Betrachtung, ein Charakter, ein satyrischer Zug gelingt dem Herrn Dusch; und das ist es auch alles, was er zu der ihm angeratenen Dichtungsart nötig hat.


»Siehe, alles in der Stadt unterwirft sich dieser veränderlichen dummen Göttin. Was wir am häufigsten sehen, dünkt uns am anständigsten und der Irrtum dienet uns statt der Wahrheit, wenn er gemein geworden ist.

Frage den halbsehenden Visto, warum er sich so sehr in Bilder verliebt hat, die er doch durch die Brille betrachten müßte, wenn er wissen wollte, was sie vor stellen. Er wird dir sagen, der Geschmack habe ihn verführt; aber vielleicht sagt er zugleich einem [144] Vertrauten leise ins Ohr: es ist Mode, Geschmack zu haben. Denn er starrt, mit einer gleichen Bewunderung, ein elendes Geschmiere und das Meisterstücke eines von Dyk an. Was machte, daß sein Landgut in andere Hände fiel? Ach! grausamer Loraine, fünf deiner verblichenen Landschaften. –

Dort tanzt der zarte Curio. Alles bewegt sich, alles lächelt an ihm. Seht doch seinen Federhut, seinen vergoldeten Rock, seinen kostbaren Ring, seine weiße Hand, und seine reiche Weste an! Mit ihm schwatzet die Schöne von Büchern, vom Schauplatze, oder vom Grandison. Diesem mit sich selbst vergnügten Anbeter aller Schönen, erlaubet sie, an ihrem werten Nachttische zu sitzen. Es ist leichter, ruft der Weichling, ein siegendes Heer anzuführen, oder ein sinkendes Land zu erhalten, als der schönen Flavia Haare zu kräuseln, oder einen Tanz anzuführen, oder neue französische Moden nachzuahmen. –

Mode erhält meistens die Stadt geschäftig. Ob es Zeit sei, zum Tanze oder zum Tempel zu gehen; Zeit zu spielen, oder zu beten; zu glauben oder sich zu kleiden; zu lachen oder zu trauern; alles bestimmt die Mode, die über alle Geschäfte und Stunden des Tages gebietet. Noch in der letzten Stunde ihres Lebens bekannte Cephise die Herrschaft, die die Mode in ihrem Leben über ihr Herz gewonnen hatte. Mitten in ihrem Gebete, als ihre traurigen Freunde mit gefalteten Händen um ihr Bette standen, rief sie ihre Bediente zu sich: In Atlas sollst du mich kleiden, und dann soll meine Leiche sechs Tage lang zur Schau stehn; sechs Tage gebietet die Mode.

Eine Rätin, und keine Carosse, und keine Bediente? Kinder würden über mich lachen, wenn sie sähen, daß ich meine Füße zum Gehen brauchen könnte! Wir dürfen nicht so stark sein! sagte die junge Narcisse zu ihrem Gemahl. – Aber wie? versetzte er, bedenken Sie doch! Eine Carosse und Bediente! Ich müßte als ein Betrieger zu Grunde gehen. – Und wollten Sie sich noch bedenken, wenn es die Mode so will? –«

XXV. Den 21. Junius 1759
Drei und vierzigster Brief

Der alte Logau ist erschienen; und ich eile, Ihnen mein Versprechen zu halten. 78 Er ist in aller der Sauberkeit und [145] Pracht erschienen? die ein klassischer Schriftsteller verdienet. Die Herausgeber sind die Herren Ramler und Lessing. 79

»Friedrich von Logau, sagen sie in ihrer Vorrede, ist mit allem Rechte für einen von unsern besten Opitzischen Dichtern zu halten, und dennoch zweifeln wir sehr, ob er vielen von unsern Lesern weiter, als dem Namen nach bekannt sein wird. Wir können uns dieses Zweifels wegen auf verschiedene Umstände berufen. Ein ganzes Jahrhundert und drüber, haben sich die Liebhaber mit einer einzigen Auflage dieses Dichters beholfen; in wie vieler Händen kann er also noch sein? Und wenn selbst Wernike keinen kennen will, der es gewagt habe, in einer von den lebendigen Sprachen ein ganzes Buch voll Sinngedichte zu schreiben; wenn er dem Urteile seines Lehrers, des berühmten Morhofs, daß insbesondere die deutsche Sprache, ihrer vielen Umschweife wegen, zu dieser Gattung von Gedichten nicht bequem zu sein scheine, kein Beispiel entgegen zu stellen weiß: so kann er unsern Logau, seinen besten, seinen einzigen Vorgänger, wohl schwerlich gekannt haben. Ist er aber schon damals in solcher Vergessenheit gewesen, wer hätte ihn in dem nochfolgenden Zeitalter wohl daraus gerissen? Ein Meister, oder ein John gewiß nicht, die ihn zwar nennen, die auch Beispiele aus ihm anführen, aber so unglückliche Beispiele, daß sie unmöglich einem Leser können Lust gemacht haben, sich näher nach ihm zu erkundigen.«

Sind Sie begierig, diesen Meister und diesen John näher zu kennen? Meister gab 1726 ein elendes Büchelchen heraus, unter dem Titel: »Anweisung und Exempel, mehrenteils lustiger und annehmlicher Epigrammatum, aus vielen Autoribus zusammengelesen«. Und John schrieb einen »Parnassum Silesiacum, sive Recensiones Poetarum Silesiacorum, quotquot vel in patria vel in alia etiam lingua Musis litarunt«, wovon die erste Centurie 1728 herausgekommen. Beide gedenken [146] zwar unsers Dichters, fertigen ihn aber ungemein kalt ab; und es ist wahr, die Beispiele, die sie aus ihm anführen, sind sehr deutliche Beweise von ihrem elenden Geschmacke. John führt zum Exempel folgendes an:

Mistjunker

Ein zartes Mutterkind, das nie vom Haus entnommen,
Ist einem Ochsen gleich, der nie vom Stall gekommen.

Und gleichwohl sagt er: quae quidem Epigrammata leporibus suis et salibus non destituuntur.

»Wir könnten, fahren die Herren Herausgeber fort, eine lange Reihe von Kunstrichtern, von Lehrern der Poesie, von Sammlern der gelehrten Geschichte anführen, die alle seiner entweder gar nicht, oder mit merklichen Fehlern gedenken. Allein etc.« –

In dieser Reihe würde ohne Zweifel auch Herr Professor Gottsched seinen Platz finden. Dieser Mann, der sich mit seiner Kenntnis unsrer alten Dichter so breit macht, nennt ihn in dem Register zu seiner Dichtkunst Salomon Logau; eine seltsame Vermischung seines wahren und angenommenen Namens. Er hat auch nie ein Muster aus ihm angeführt, welches er doch aus Opitzen, Flemmingen, Dachen, Tscherningen und andern getan hat. Desgleichen würde dasJöchersche allgemeine Gelehrtenlexikon hier eine Verbesserung erhalten können. Es sagt nämlich von unserm Logau: »Er hat den Ruhm und Beinamen des Schlesischen Peirescius erhalten, und Christ. Gryphii, seines vertrauten Freundes, Entwurf der Ritterorden, wider dessen Willen, drucken lassen.« Allein dieses ist nicht von ihm, sondern von seinem Sohne, dem Freiherrn Balthaser Friedrich von Logau zu verstehen.

Doch die Herausgeber haben solche Kleinigkeiten ihrer Mühe nicht wert geachtet. »Und wozu, sagen sie, sollten uns diese Beweise dienen, daß Logau unbekannt gewesen ist? Ein jeder Leser, der ihn nicht kennt, glaubt uns dieses auch ohne Beweis.« – Sie bringen demohngeachtet, im Vorbeigehen, noch zwei Beweise an, die ihr Vorgeben außer allem Zweifel setzen. Der erste ist dieser: Logau war ein Mitglied der fruchtbringenden Gesellschaft, in die er 1648 unter dem Namen [147] des Verkleinernden aufgenommen ward; gieichwohl aber rechnet ihn der Sprossende, in seiner Beschreibung dieser Gesellschaft, unter diejenigen Glieder nicht, die sich durch Schriften gezeigt haben. Der zweite Beweis ist von S. v. G. »Auferweckten Gedichten« hergenommen. Schon nämlich im Jahr 1702 bekam ein Ungenannter den Einfall, einen Auszug aus den Sinngedichten unsers Logau zu machen; und wenn er berechtiget war, diesen Auszug »Auferweckte Gedichte« zu nennen, so ist es ja wohl unleugbar, daß sie vorher schon begraben gewesen sind. »Unterdessen, sagen die Herausgeber, ist dieser Ungenannte vielleicht Schuld, daß Logau noch tiefer in die Vergessenheit geriet, und nunmehr mit Recht zu einer neuen Begrabung verdammt werden konnte.« Es ist unglaublich, welche Freiheit er sich mit seinem Autor genommen hat; unter hundert Sinngedichten ist nicht eines unverstümmelt geblieben; und doch sieht man meistenteils auch nicht die geringste Ursache, warum er uns seine vermeinten Verbesserungen aufdringen wollen. Ich will einige Exempel davon anführen; denn ich weiß, Ihre Neugierde ist größer, als der Ekel sein kann, den sie Ihnen verursachen werden. »Die vier Hirtinnen«, ist eines von den feinsten Sinngedichten des Logau; wenn man ihm einige gezwungene Ausdrücke nehmen könnte, so würde es ein kleines Meisterstück sein. Es lautet so:


Chloris, Doris, Iris, Ciris, liebten Einen Hirten alle;
Ihm zu weisen mit dem Werke, daß er jeder wohlgefalle,
Krönte Chloris ihn mit Blumen; Doris bracht ihm Honigschnitte
Iris grüßet' ihn mit Lächeln; Ciris faßt ihn in die Mitte,
Küßte seinen Mundrubin. Ihm behagte nur das Küssen,
Und er überließ der Ciris Krone, Honig und das Grüßen.
Aber welch ein plumpes, widerwärtiges Ding hat der Ungenannte daraus gemacht!
Chloris, Doris, Iris, Ciris liebten Einen in die Wette;
Chloris krönte ihn mit Blumen; Doris gab ihm Honig ein;
Iris grüßte ihn mit lachen; Ciris wollt die Klügste sein,
Sie behielt den Schäfer Thyrsis, denn sie führte ihn aufs Bette.

[148] Solche Nichtswürdigkeiten kritisieren sich selbst. Ich darf die übrigen also bloß nur untereinander setzen.

Logau

Ohne Noth wird die bewacht,
Die auf Unzucht nie gedacht.
Nur vergebens wird bewacht,
Die auf Unzucht hat gedacht.

Der Ungenannte

Ohne Nutz wird die bewacht,
Die auf Geilheit ist bedacht;
Denn der kleinste Buhlerstich,
Ist für sie ein Dieterich.

Logau

Friß die Schafe selbst: (eine gute List!)
So erfährst du nicht, daß der Wolf sie frißt.

Der Ungenannte

Die Schafe fressen selbst, ist der Tyrannen List.
Denn so vernimmt man nicht, daß sie der Wolf auffrißt.

Logau

Man hat den Feind aufs Haupt geschlagen;
Doch Fuß hat Haupt hinweggetragen:
Man schlag ihn, rath ich, auf den Fuß,
Damit er liegen bleiben muß.

Der Ungenannte

Wenn man den Feind aufs Haupt geschlagen,
So hat der Fuß ihn weggetragen:
Man schlag ihn lieber vor die Scheiben,
So muß er fein beliegen bleiben.

Und so sind die Verbesserungen des Ungenannten alle. Daß er dabei gleich die allervortrefflichsten Stücke seines Dichters ganz übersehen und gar nicht gerettet hat, ist ein Fehler, den man so einem Stümper kaum aufmutzen darf. Er hat seine Sammlung dafür mit Stücken von andern Verfassern bereichert, die überhaupt davon zu reden höchst elend sind; und selbst diejenigen, die er von Canitzen und Bessern eingerücket hat, sind kaum mittelmäßig. Ein einziges habe ich [149] darin entdeckt, welches so vortrefflich ist, daß ich es unmöglich länger darin kann vergraben sein lassen. Es hat einen H. M. zum Verfasser; und wer mag wohl dieser M. sein? Ein Menantes ist es gewiß nicht.

Belise und Thyrsis

Belise starb und sprach im Scheiden:
Nun Thyrsis, nun verlaß ich dich!
Ich stürbe willig und mit Freuden,
Liebt eine dich so sehr als ich.
Ach, sprach er, mag dich das betrüben?
Belise, nur dein Tod ist schwer!
Kannst du mich selbst nicht länger lieben,
Bedarf ich keiner Liebe mehr.

Welchem von unsern neuesten zärtlichen Dichtern würde dieses kleine Lied nicht Ehre machen? – O wahrhaftig, das schlechte Buch ist rar, in welches sich gar nichts Gutes, auch nicht von ohngefähr eingeschlichen hätte! –

Doch wieder auf den Logau zu kommen. Von sei nen Lebensumständen haben die Herren Herausgeber nur wenig entdecken können. Er war im Jahr 1604 geboren; er bekleidete die Stelle eines Kanzleirats bei dem Herzoge zu Liegnitz und Brieg, Ludewig dem vierten, und starb 1655. Sie erwähnen unter seinen Vorfahren des George von Logau auf Schlaupitz, eines der besten lateinischen Dichters in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. Auch unter seinen Nachkommen hätten sie einen Dichter, und zwar einen deutschen Dichter, finden können; nämlich den Herrn Heinrich Wilhelm von Logau und Altendorf, welcher 1737 ein »Poetisches Vergnügen« herausgab. Sie werden ihn auch ohne Zweifel gekannt, aber es nicht für anständig gehalten haben, neben einem so großen Ahnen, poetischen Andenkens, einen Enkel zu nennen, der weiter nichts als ein Reimer ist.

Logau hatte Anfangs nur eine Sammlung von zwei hundert Sinngedichten herausgegeben, die, wie er selbst sagt, wohl aufgenommen worden. Die Herausgeber vermuten nicht unwahrscheinlich, daß dieses im Jahr 1638 müsse geschehen sein. Sechzehn Jahr endlich darauf, trat die vollständige Sammlung ans Licht, welche sie bei ihrer Ausgabe [150] zum Grunde gelegt haben. – Und nun sehen Sie; Ihre Vermutung ist eingetroffen. Sie haben sie nicht von Wort zu Wort abdrucken lassen; denn drei tausend fünfhundert und drei und funfzig Sinngedichte können unmöglich alle gut, alle aufbehalten zu werden würdig sein. Sie haben ihren Dichter auf sein Dritteil herabgesetzt, und hören Sie doch, was sie dabei anmerken! »das ist unter allen Nationen, sagen sie, immer ein sehr vortrefflicher Dichter, von dessen Gedichten ein Dritteil gut ist.« – Der Ausspruch ist strenge; aber ich glaube doch, er ist wahr. Das ausgesuchte Dritteil haben sie alsdenn in zwölf Bücher verteilet, die durch ein Paar dazu bequeme Sinngedichte zum Anfange und zum Schlusse, in ein scheinbares Ganze verbunden werden. Der Anfang des ersten z.E. ist folgender.

An mein Buch

Daß mein Buch, sagt mir mein Muth,
Noch ganz böse, noch ganz gut.
Kommen drüber arge Fliegen,
Bleibt gewiß Gesundes liegen,
Und das Faule findet man;
Kommen aber Bienen dran,
Wird das Faule leicht vermieden,
Und Gesundes abgeschieden.
Und der Schluß des zehnten:

An den Leser

Leser, wie gefall' ich dir? –
Leser, wie gefällst du mir?

Nach dem Inhalte oder dem Tone der Sinngedichte, haben sie sich bei ihrer Abteilung zwar nicht gerichtet; doch scheint es mir, als ob sie es bei dem einzigen sechsten Buche hätten tun wollen. In diesem nämlich hat fast jedes Stück eine gewisse Feinheit, Naivität, Zärtlichkeit, ja nicht selten Schalkhaftigkeit; und Logau erscheint da ganz als unser deutscher Catull; wenn er nicht oft noch etwas besseres ist. Urteilen Sie selbst.

Ursprung der Bienen

Jungfern, habt ihr nicht vernommen,
Wo die Bienen hergekommen?
[151]
Oder habt ihr nicht erfahren,
Was der Venus widerfahren,
Da sie den Adonis liebte
Der sie labt' und auch betrübte?
Wann im Schatten kühler Myrthen
Sie sich kamen zu bewirthen;
Folgte nichts als lieblich Liebeln;
Folgte nichts als tückisch Bübeln;
Wollten ohne süßes Küssen
Nimmer keine Zeit vermissen;
Küßten eine lange Länge,
Küßten eine große Menge,
Küßten immer in die Wette,
Eines war des Andern Klette.
Bis es Venus so verfügte,
Die dieß Thun sehr wohl vergnügte,
Daß die Geister, die sie hauchten,
Immer blieben, nie verrauchten;
Daß die Küsse Flügel nahmen,
Hin und her mit Heeren kamen,
Füllten alles Leer der Lüfte,
Wiese, Thal, Berg, Wald, Feld, Klüfte,
Paarten sich zum Küssen immer,
Hielten ohne sich sich nimmer,
Saßen auf die Menschentöchter,
Machten manches Mundgelächter,
Wenn sie sie mit Küssen grüßten,
Wenn sie sie mit Grüßen küßten.
Aber Neid hat scheel gesehen;
Und Verhängniß ließ geschehen,
Daß ein schäumend wilder Eber
Ward Adonis Todtengräber.
Venus, voller Zorn und Wüten,
Hat gar schwerlich dieß erlitten.
Als sie mehr nicht konnte schaffen,
Gieng sie, ließ zusammenraffen
Aller dieser Küsse Schaaren,
Wo sie zu bekommen waren,
Machte draus die Honigleute,
Daß sie gäben süße Beute
Daß sie aber auch darneben
Einen scharfen Stachel gäben,
So wie sie das Küssen büßen
Und mit Leid ersetzen müssen.
Sag ich dieses einem Tauben,
Wollt ihr Jungfern dieß nicht glauben:
[152]
Wünsch ich euch, für solche Tücke,
Daß euch Küssen nie erquicke!
Glaubt ihrs aber, o so schauet,
Daß ihr nicht dem Stachel trauet!

Welch eine glückliche Fiction! Mit wie viel kleinen Bildern ausgezieret! In welch einer ungekünstelten, anständig tändelnden Sprache vorgetragen! Und auf welche ernsthafte Wahrheit angewandt! Hier sind noch einige aus diesem Buche.

Rückkunft vom Freunde, Ankunft zur Freundinn

Da, wo ich itzo war, da war mir herzlich wohl
Wohl wird mir wieder seyn, wohin ich kommen soll
Gunst ohne Falsch war hier, dort ist Lieb ohne List
Hier ward ich sehr geehrt, dort werd ich schön geküßt;
Beym Freunde war ich jetzt, zu; Freundinn komm' ich nun;
Hier that der Tag mir Guts, dort wird die Nacht es thun.

Auf die Pulchra

Dreyerley vergöttert dich: Daß du bist so wunderschön
Und so wunderkeusch; und daß beyde Ding beysammen stehn.

An einen Bräutigam

Wenn du die Braut ins Bette rufst, so wehrt sie sich beym Bitten
Nicht bitte! denn sie hat schon selbst viel vom Verzug erlitten.

Ich will Ihnen unterdessen nicht einbilden, daß alle beibehaltene Stücke von gleichem Werte sind. Die Herren Herausgeber erkennen es selbst; »aber genug, sagen sie, daß in dem unbeträchtlichsten noch stets etwas zu finden sein wird, warum es unsrer Wahl wert gewesen. Ist es nicht allezeit Witz, so ist es doch allezeit ein guter und großer Sinn, ein poetisches Bild, ein starker Ausdruck, eine naive Wendung und dergleichen.« – Und das muß man ihnen zugestehen! Der gute und große Sinn besonders, macht eine Menge von Logaus Sinngedichten, zu so vielen güldenen Sprüchen, die von allen Menschen ins Gedächtnis gefaßt zu werden verdienen.

[153]

Einfältiges Gebet

Die Einfalt im Gebet ist großer Witz vor Gott;
Genug wer ihm vertraut und nennet bloß die Noth.

Freundschaft

Alten Freund für neuen wandeln,
Heißt, für Früchte Blumen handeln.

Kurz, es ist nichts weniger, als eine Übertreibung, wenn die Herausgeber sagen: »Es ist unwidersprechlich, daß wir in unserm Logau allein, einen Martial, einen Catull, und Dionysius Cato besitzen.«

XXVI. Den 29. Junius 1759
Vier und vierzigster Brief

Es war der bloße Logau, von welchem ich mich mit Ihnen in meinem vorigen Briefe unterhielt; und ich habe davon noch nichts erwähnt, wie sehr sich, auch außer der guten Wahl, die Herren Herausgeber um ihn, und zugleich um alle Liebhaber der deutschen Sprache, verdient gemacht haben.

Sie sind nämlich mit ihrem Dichter wie mit einem wirklichen alten klassischen Schriftsteller umgegangen, und haben sich die Mühe nicht verdrießen lassen, die kritischen Erythräi desselben zu werden. Ihren Anmerkungen über seine Sprache haben sie die Gestalt eines Wörterbuchs gegeben, und sie merken mit Grunde an, »daß ähnliche Wörterbücher über alle unsere guten Schriftsteller der erste nähere Schritt zu einem allgemeinen Wörterbuche unserer Sprache sein würden.

Die Sprache des Logau, sagen sie, ist, überhaupt zu reden, die Sprache des Opitz und der besten seiner Zeitverwandten und Landsleute. Und wenn Tscherningen hierin die erste Stelle nach Opitzen gebühret, so gebühret die erste Stelle nach Tscherningen unserm Logau. Das Sinngedichte konnte ihm die beste Gelegenheit geben, die Schicklichkeit zu zeigen, welche die deutsche Sprache zu allen Gattungen von [154] Materie, unter der Bearbeitung eines Kopfs erhält, der sich selbst in alle Gattungen von Materie zu finden weiß. Seine Worte sind überall der Sache angemessen: nachdrücklich und körnicht, wenn er lehrt; pathetisch und vollklingend, wenn er straft; sanft, einschmeichelnd, angenehm tändelnd, wenn er von Liebe spricht; komisch und naiv, wenn er spottet; possierlich und launisch, wenn er bloß Lachen zu erregen sucht.«

Von der Sprachenmengerei, die zu seinen Zeiten schon stark eingerissen war, zeigen sie, daß er völlig frei gewesen ist. Was er mit einem deutschen Worte ausdrücken konnte, das drückte er mit keinem lateinischen oder französischen aus; und er hat verschiedene aus andern Sprachen entlehnte Kunstwörter nicht unglücklich übersetzt. Z.E. Accentus durch Beilaut; Inventarium, durch Fundregister; Profil, durch Durchschnitt, und zwar nicht nur von Gebäuden, sondern auch von einem Gesichte, welches der Maler bloß von der Seite genommen hat; Anatocismus durch Wiederzins etc. Doch war er hierin kein übertriebener Purist; sondern er spottet vielmehr über die zuweitgehenden Neuerungen des Zesen, der damals zu gottschedisieren anfing.

Es unterscheidet sich aber seine Sprache von derjenigen, welcher sich itzt unsere besten Schriftsteller bedienen, vornehmlich in zwei Stücken; in gewissen Wörtern und Fügungen nämlich, die wir, es sei nun mit Recht oder mit Unrecht, haben veralten lassen, und in verschiedenen Eigentümlichkeiten, die er aus der besondern Mundart seiner Provinz beibehalten hat. Von jenen sagen die Herren Herausgeber: »Wir haben alle sorgfältig gesammlet, so viele derselben bei unserm Dichter vorkommen; und haben dabei nicht allein auf den Leser, der sie verstehen muß, sondern auch auf diejenigen von unsern Rednern und Dichtern gesehen, welche Ansehen genug hätten, die besten derselben wieder einzuführen. Wir brauchen ihnen nicht zu sagen, daß sie der Sprache dadurch einen weit größern Dienst tun würden, als durch die Prägung ganz neuer Wörter, von welchen es ungewiß ist, ob ihr Stempel ihnen den rechten Lauf sobald geben möchte. Noch weniger brauchen wir sie zu erinnern, wie ein veraltetes Wort auch dem ekelsten Leser durch das, was Horaz callidam [155] juncturam nennt, annehmlich zu machen ist.« – Und über die Provinzialsprache ihres Dichters erklären sie sich folgendermaßen: »Die Schlesische Mundart ist deswegen einer kritischen Aufmerksamkeit vor allen andern Mundarten würdig, weil wir in ihr die ersten guten Dichter bekommen haben. Die Vorteile, welche diese Männer an eigenen Wörtern, Verbindungsarten und Wendungen darin gefunden haben? verdienen, wo nicht für allgemeine Vorteile der Sprache angenommen, doch wenigstens gekannt und geprüft zu werden.«

Auf diese beiden Stücke haben sie also in ihrem Wörterbuche ihr vornehmstes Augenmerk gerichtet, von welchem ich Ihnen unmöglich anders einen nähern Begriff machen kann, als wenn ich einige Artikel daraus entlehne, und Sie von diesen auf die übrigen schließen lasse. Verschiedene allgemeine Anmerkungen, die in dem Wörterbuche selbst keine fügliche Stelle finden können, machen den Anfang. Z.E. Logau braucht sehr häufig das Beiwort in dem ungewissen Geschlechte als ein Hauptwort. Er sagt:


Seither ist unser Frey in Dienstbarkeit verkehret.
– – – Ein solches Klug,
Dafür ein keuscher Sinn Entsetz und Grauen trug.
– – – – –
Bey welchem freyes Wahr, der Freundschaft Seele wohnt.

Für Freiheit, Klugheit, Wahrheit. Die Vorteile, welche dieser Gebrauch besonders einem Dichter verschaffen kann, sind so groß, daß eine bescheidene Nachahmung wohl schwerlich zu mißbilligen wäre. Ich sage aber mit Fleiß, eine bescheidene Nachahmung; denn ich fürchte mich schon im voraus vor den kleinen Affen, die dergleichen substantive Neutra mit einer Verschwendung brauchen dürften, daß wir die wahren Substantiva davon ganz und gar nicht zu haben scheinen könnten. Was ich aber unserer Nachahmung, oder vielmehr unserer uneingeschränktesten Aufnahme für noch weit würdiger halte, ist folgender Gebrauch der Endsylbe, ley. Logau setzt nämlichdiese Endsylbe, die wir itzt nur bei den teilenden Zahlwörtern dulden wollen, auch zu fast allen Arten von [156] Fürwörtern, und erlangt dadurch (wie man es nun nennen will) ein Nebenwort oder ein unabänderliches Beiwort von besonderm Nachdrucke. Z. E.


Zu etwas Grossem noch wird Sordalus wohl werden,
Denn seinerley Geburt ist nicht gemein auf Erden.

Wie kurz und bequem ist dieses seinerley; und wie weitschweifig müssen wir itzt dafür sagen: eine Geburt, wie seine war etc. Und so wie er seinerley sagt, sagt er, und andere Alte, auch dieserley, meinerley, deinerley etc.

Doch ich eile zu einigen Artikeln aus dem Wörterbuche selbst.


»Bieder, rechtschaffen, nützlich, tapfer.« Wir lassen dieses alte, der deutschen Redlichkeit so angemessene Wort mutwillig untergehen. Frisch führet den Passionsgesang: O Mensch, bewein dein Sünde groß etc. an, worin es noch vorkomme. Wir wollen nachfolgendes Sinngedicht unsers Logaus in dieser Absicht anführen (III. 37.):


Wer gar zu bieder ist, bleibt zwar ein redlich Mann,
Bleibt aber, wo er ist, kömmt selten höher an.

Biedermann ist zum Teil noch üblich. Bei ihm aber findet man noch andere dergleichen nachdrückliche Composita; als Biederweib, Biederherz, Biederwesen, Biedersinnen. Und welch ein vortreffliches Wort ist nicht das, welches in dem alten Lobliede auf den wendischen König Anthyrus vorkommt:


Sein Sinn war abgericht auf Biederlob und Ehre?

Biederlob ist hier das Lob, welches man als ein Biedermann von einem Biedermanne erhält.
Brunft. Sinng. 2164.
– – Denn wilder Thiere Zunft
Hegt nur zu mancher Zeit der süßen Liebe Brunft.

Und dieses ist auch das wahre eigentliche Wort, den Trieb gewisser wilden Tiere zur Vermischung anzuzeigen; derjenigen nämlich, welche dabei brüllen oder brummen. Unwissenheit [157] und Nachlässigkeit haben dieses Wort in Brunst verwandelt, welches von brennen gemacht ist; und haben dadurch Anlaß gegeben, mit diesem letztern schönen und edlen Worte einen unzüchtigen und ekeln Begriff zu verbinden. Noch ist es Zeit, diese nachteilige Vermischung wieder abzuschaffen. Brunst heißt fervor, ardor, und bedeutet so wenig etwas übeles, daß es die übele Bedeutung nicht anders als durch ein Beiwort erhalten kann. So sagt z. E. unser Logau: arge Brunst, geile Brunst etc. Brünstig aber, entbrünsten und andere dergleichen abgeleitete Wörter brauchen Opitz, Morhof in der besten Bedeutung von der Welt. Frisch in seinem Wörterbuch schreibt zwar: »Brunft sagt man nicht wohl von Wölfen, Luchsen und dergleichen, wie einige Jäger tun; sondern besser Brunst«. Allein man lasse sich nicht irre machen; denn Frisch hat hier offenbar unrecht; weil die Jäger von Wölfen und Lüchsen weder Brunft noch Brunst sagen, sondern beide rollen oderranzen lassen. Siehe Döbels erfahrner Jäger.

Demmen. Dieses Zeitwort braucht Logau, dem ersten Ansehen nach, in zwei ganz verschiedenen Bedeutungen. Einmal heißt es ihm so viel als verdunkeln, demmericht machen. Sinng. 1667.


Gottes Wort leucht helle,
Gottes Wort lauft schnelle:
Wer denn will es demmen?
Wer denn will es hemmen?
Ein andermal bedeutet es schlemmen, prassen. Anh. 228.

In vollem Sause leben, nur schlemmen, demmen, zehren etc.


Frisch hat die erstere Bedeutung gar nicht, und aus der zweiten macht er ein besonderes Wort, das er vor sich und nicht unter Demmerung anführt. Es sind aber beide Bedeutungen so verwandt, daß auch mit der zweiten eigentlich der Begriff der Demmerung zu verbinden ist. Der Spate in seinem Sprachschatze sagt sehr wohl: Demmen proprie est, noctes conviviis vigilatas ducere, in tenebris perpotare. Statim autem ad quamcunque intemperantiam et helluationem transferri coepit.


[158] Flitte, die. Sinng. 644.

Des Nero Meistern nahm die Flitte
Sein Leben hin, wie sein Geblüte etc.

Flitte bedeutet ein Instrument, womit die Ader gelassen wird. Einige wollen, daß es aus dem griechischen Phlebotomum zusammen gezogen sein soll. Uns deucht es das Urwort von Flitze zu sein, welches einen Pfeil bedeutet, und wovon das Wort Flitzbogen noch in vielen Provinzen im Gebrauch ist. Übrigens ist dieses weder die Lanzette, noch der Schnäpper; sondern es ist das alte deutsche Laßeisen, ehe es durch Anbringung einer Schnellfeder verbessert und dadurch zu dem so genannten Schnäpper gemacht wurde. Siehe Heisters Chirurgie, S. 380.

Hinsichern, sich. (XIII. II.)

Wenn ein redlich frommer Christ hin sich sichert in das Grab. Ein Wort, welches Logau ohne Zweifel gemacht hat, und welches an diesem Orte ungemein nachdrücklich ist, indem es so viel sagen will, als: der Christ, der itzt in der Welt nirgends sicher ist, begibt sich in sein Grab hin, um daselbst gewiß sicher zu sein. Einige Neuere haben dergleichen Wörter ohne Unterschied getadelt, andere haben dergleichen bis zum Ekel gemacht. Dichter von gutem Geschmacke halten das Mittel, und gebrauchen solche Ausdrücke desto seltener, je glänzender sie sind. Ein Poet muß sehr arm sein, der seine Sprache nur durch ein einziges Mittel aufzustutzen weiß.

Noch, noch; sagt unser Dichter (I. 1. II. 12) fürweder, noch. Die Fälle sind unzählig, wo das Sylbenmaß dem gewöhnlichen weder durchaus zuwider ist; und warum sollten wir es nicht auch noch heut in jenes bequemere noch verändern dürfen? Wenigstens klingt es nicht übel (II. 18.):


»Noch frech wagen,
Noch weich zagen etc.«

Aber ich will aufhören, abzuschreiben. Ich weiß gewiß, daß Sie den nun erst auferweckten Logau selbst vor die Hand [159] nehmen, und studieren werden, sobald Ihnen Ihre Umstände einen anhaltenden Fleiß wieder erlauben.


Ende des zweiten Teils

Dritter Teil

1759

IV. Den 26. Julius 1759
Acht und vierzigster Brief

Sie sollen befriediget werden! – Die großen Lobsprüche, welche der »Nordische Aufseher« in so manchen öffentlichen Blättern erhalten hat, haben auch meine Neugierde gereizet. Ich habe ihn gelesen; ob ich mir es gleich sonst fast zum Gesetze gemacht habe, unsere wöchentliche Moralisten ungelesen zu lassen.

Kopenhagen hat bereits an dem »Fremden« (einem Werke des sel. Hrn. Prof. Schlegels) eine dergleichen Schrift von sehr vorzüglichem Werte aufzuweisen. Und nun kann es leicht kommen, daß der »Nordische Aufseher« ein allgemeines Vorurteil für die deutschen Werke des Witzes, welche in Dänemark erscheinen, veranlassen hilft. Und würde dieses Vorurteil auch so ganz ohne Grund sein? – Wenn unsere besten Köpfe, ihr Glück nur einigermaßen zu machen, sich expatriieren müssen; wenn –

O ich will hiervon abbrechen, ehe ich recht anfange; ich möchte sonst alles darüber vergessen; Sie möchten, anstatt eines Urteils über eine schöne Schrift, Satyre über unsere Nation, und Spott über die elende Denkungsart unserer Großen zu lesen bekommen. Und was würde es helfen? –

Der »Nordische Aufseher« hat mit dem fünften Jenner des Jahres 1758 angefangen, und hat sich in der Fortsetzung weder an einen gewissen Tag noch an eine gewisse Länge der einzeln Stücke gebunden. Diese Freiheit hätten sich billig alle seine Vorgänger erlauben sollen. Sie würden dadurch nicht [160] nur für ihre Blätter einen gewissen gefallenden Anschein der Ungezwungenheit, sondern auch viel wesentlichere Vorteile erhalten haben. Sie würden ihre Materien nicht so oft haben bald ausdehnen, bald zusammenziehen, bald trennen dürfen; sie hätten sich gewisser Umstände der Zeit zu gelegentlichen Betrachtungen besser bedienen können; sie hätten bald hitziger, bald bequemlicher arbeiten können etc.

Das ganze 1758ste Jahr bestehet aus sechzig Stücken, die einen ansehnlichen Band in klein Quart ausmachen. Der Herr Hofprediger Cramer hat sich auf dem Titel als Herausgeber genennt. 80 Wie viel Anteil er aber sonst daran habe; ob er der einzige, oder der vornehmste Verfasser sei; wer seine Mitarbeiter sind: davon sucht der Leser vergebens einige nähere Nachricht. Er muß versuchen, wie viel er davon aus dem Stil und der Art zu denken, erraten kann.

Doch die wahren Verfasser itzt aus den Gedanken zu lassen, so gibt der »Nordische Aufseher« vor, daß er ein Sohn des Nestor Ironside sei, der ehemals das Amt eines Aufsehers der Sitten von Großbritannien übernahm, und mit allgemeinem Beifalle verwaltete. Er heiße Arthur Ironside; seine Mutter sei die Witwe eines deutschen Negozianten gewesen, die seinen Vater noch in seinem funfzigsten Jahre gegen die Liebe empfindlich gemacht habe; und vielleicht habe dieser nur deswegen von ihm geschwiegen, um sich nicht, dieser späten Liebe wegen, dem mutwilligen Witze der Spötter auszusetzen. Ein besondres Schicksal habe ihn genötiget sein Vaterland zu verlassen, und er betrachte nun Dänemark als sein zweites Vaterland, welchem er ohnedem, von seinen väterlichen Vorfahren her, eben so nahe als jenem angehöre; indem diese ursprünglich aus einem nordischen Geschlechte abstammten, welches mit dem Könige Knut nach England gekommen sei, und durch seine Tapferkeit nicht wenig zu den Eroberungen desselben beigetragen habe. – Hierauf beschreibt er, mit den eignen Worten seines Vaters, die Pflichten eines moralischen [161] Aufsehers und sagt: »Da ich schon in einem Alter bin? wo ich die Einsamkeit eines unbekannten und ruhigen Privatlebens nicht verlassen und in Geschäften gebraucht zu werden suchen kann, ohne mich dem Verdachte auszusetzen, daß ich mehr von einem mei nen Jahren unanständigen Ehrgeize, als von einer uneigennützigen Begierde, meine Kräfte dem allgemeinen Besten aufzuopfern, getrieben würde: So habe ich mich entschlossen, für mein zweites Vaterland zu tun, was mein Vater für England getan hat.«

Auf zwei Punkte verspricht er dabei seinen Fleiß besonders zu wenden; auf die Erziehung der Jugend nämlich, und auf die Leitung derjenigen, welche sich mit Lesung guter Schriften und mit den Wissenschaften abgeben, ohne eigentlich ein Geschäfte aus ihrer Erlernung zu machen. Und er hat auch in der Tat, in Absicht auf beides, in diesem ersten Bande bereits schon vieles geleistet. – Seine feinsten Anmerkungen über die beste Art der Erziehung, hat er in die Geschichte seiner eignen Erziehung gebracht, 81 welche mehr als ein Stück einnimmt; in welcher aber vielleicht nicht alle Leser die ekeln Umschweife billigen möchten, mit welchen ihm sein Vater die ersten Gründe der Moral und geoffenbarten Religion beigebracht hat. Er erzählt z.E. 82 als ihn sein Vater mit den Lehren der Notwendigkeit und dem Dasein eines Erlösers der Menschen und einer Genugtuung für sie, bekannt machen wollen: so habe er auch hier der Regel, von dem Leichten und Begreiflichen zu dem Schwerern fortzugehen, zu folgen gesucht, und sei einzig darauf bedacht gewesen, ihn Jesum erst bloß als einen frommen und ganz heiligen Mann, als einen zärtlichen Kinderfreund, lieben zu lehren. Allein ich fürchte sehr, daß strenge Verehrer der Religion mit der gewaltsamen Ausdehnung dieser Regel nicht zufrieden sein werden. Oder sie werden vielmehr nicht einmal zugeben, daß diese Regel hier beobachtet worden. Denn wenn diese Regel sagt, daß man in der Unterweisung von dem Leichten auf das Schwerere fortgehen müsse, so ist dieses Leichtere nicht für eine Verstümmlung, für eine Entkräftung der schweren Wahrheit, [162] für eine solche Herabsetzung derselben anzusehen, daß sie das, was sie eigentlich sein sollte, gar nicht mehr bleibt. Und darauf muß Nestor Ironside nicht gedacht haben, wenn er es, nur ein Jahr lang, dabei hat können bewenden lassen, den göttlichen Erlöser seinem Sohne bloß als einen Mann vorzustellen, den Gott »zur Belohnung seiner unschuldigen Jugend, in seinem dreißigsten Jahre mit einer so großen Weisheit, als noch niemals einem Menschen gegeben worden, ausgerüstet, zum Lehrer aller Menschen verordnet, und zugleich mit der Kraft begabt habe, solche herrliche und außerordentliche Taten zu tun, als sonst niemand außer ihm verrichten können.« – Heißt das den geheimnisvollen Begriff eines ewigen Erlösers erleichtern? Es heißt ihn aufheben; es heißt einen ganz andern an dessen Statt setzen; es heißt, mit einem Worte, sein Kind so lange zum Socinianer machen, bis es die orthodoxe Lehre fassen kann. Und wenn kann es die fassen? In welchem Alter werden wir geschickter, dieses Geheimnis einzusehen, als wir es in unsrer Kindheit sind? Und da es einmal ein Geheimnis ist, ist es nicht billiger, es gleich ganz der bereitwilligen Kindheit einzuflößen, als die Zeit der sichsträubenden Vernunft damit zu erwarten? – Diese Anmerkung im Vorbeigehen!

Was der »Nordische Aufseher« zum Besten der unstudierten Liebhaber guter Schriften getan hat, beläuft sich ohngefähr auf sechs oder sieben neuere Autores, aus welchen er, nach einer kurzen Beurteilung, besonders merkwürdige und lehrreiche Stellen beibringt. So preiset er z.E. in dem vierten und siebenden Stücke die Werke des Kanzlers Daguesseau an, und zwar mit diesem Zusatze: »Ich kann nicht schließen, ohne zur Ehre dieser Werke und zur Ehre fremder Sprachen zu wünschen, daß sie mit allen andern vortrefflichen Arbeiten des menschlichen Verstandes einem jeden Übersetzer unbekannt bleiben mögen, der nur mit der Hand und nicht mit dem Kopfe; der, mit einem Worte alles zu sagen, nicht wie Ramler und Ebert unter den Deutschen, und nicht wie Lodde unter uns übersetzt.« – In dem dreizehnten Stücke redet er von Youngs Nachtgedanken und Centaur. Was meinen Sie aber, ist es nicht ein wenig übertrieben, wenn er von diesem [163] Dichter sagt? »Er ist ein Genie, das nicht allein weit über einen Milton erhoben ist, sondern auch unter den Menschen am nächsten an den Geist Davids und der Propheten grenzet etc. Nach der Offenbarung, setzt er hinzu, kenne ich fast kein Buch, welches ich mehr liebte; kein Buch, welches die Kräfte meiner Seele auf eine edlere Art beschäftigt, als seine Nachtgedanken.« – Die übrigen Schriftsteller, mit welchen er seine Leser unterhält, sind des Bischofs Buttlers 83 Analogie der natürlichen und geoffenbarten Religion; Heinrich Beaumonts 84 moralische Schriften; des Hrn. Basedow 85 praktische Philosophie für alle Stände; des Marquis von Mirabeau 86 Freund des Menschen; und ein sehr wohl geratenes Gedicht eines Dänischen Dichters, des Hrn. Tullin. 87

Dieses letzte Gedicht führet den Titel: »Ein Maitag«. Es ist, sagt der Aufseher, zwar nur durch eine von den gewöhnlichen Gelegenheiten veranlaßt worden, die von unsern meisten Dichtern besungen zu werden pflegen; es hat aber doch so viel wahre poetische Schönheiten, daß es eine vorzügliche Aufmerksamkeit verdienet. Erfindung, Anlage, Einrichtung und Ausführung verraten einen von der Natur begünstigten Geist, der noch mehr erwarten läßt. – Dieses Urteil ist keine Schmeichelei; denn die Strophen welche er im Originale und in einer Übersetzung daraus anführt, sind so vortrefflich, daß ich nicht weiß, ob wir Deutsche jemals ein solches Hochzeitgedicht gehabt haben. Schließen Sie einmal von dieser einzigen Stelle auf das Übrige:


»Unerschaffener Schöpfer, gnädig, weise, dessen Liebe unumschränkt ist. der du für jeden Sinn, damit man Dich erkennen möge, ein Paradies erschaffen hast, Du bist alles und alles in Dir überall sieht man deinen Fußtapfen – –

Du machst den Sommer, den Winter den Herbst zu Predigern deiner Macht und Ehre. Aber der Frühling – was soll dieser sein? O Erschaffer, er ist ganz Ruhm. Er redet zu den tauben ungläubigen Haufen mit tausend Zungen. – –

Er ist unter allen am meisten Dir gleich, er erschaffet, er bildet er belebt, er erhält, er nähret, er gibt Kraft und Stärke; er ist – er ist beinahe Du selbst. Wie wenig wissen von dieser Freude die, [164] welche in dem Dunste und Staube verschloßner Mauern, wenn die ganze Natur ruft Komm! unter schweren Gedanken furchtsam lauren. etc.«

G.

V. Den 2. August 1759
Neun und vierzigster Brief

Sie billigen die Anmerkung, die ich über die Methode des Nestor Ironside, seinen Sohn den Erlöser kennen zu lehren, gemacht habe; und wundern sich, wie der Aufseher eine so heterodoxe Lehrart zur Nachahmung habe anpreisen können. Aber wissen Sie denn nicht, daß itzt ein guter Christ ganz etwas anders zu sein anfängt, als er noch vor dreißig, funfzig Jahren war? Die Orthodoxie ist ein Gespötte worden; man begnügt sich mit einer lieblichen Quintessenz, die man aus dem Christentume gezogen hat, und weichet allem Verdachte der Freidenkerei aus, wenn man von der Religion überhaupt nur fein enthusiastisch zu schwatzen weiß. Behaupten Sie z.E. daß man ohne Religion kein rechtschaffner Mann sein könne; und man wird Sie von allen Glaubensartikeln denken und reden lassen, wie Sie immer wollen. Haben Sie vollends die Klugheit, sich gar nicht darüber auszulassen; alle sie betreffende Streitigkeit mit einer frommen Bescheidenheit abzulehnen: oh so sind Sie vollends ein Christ, ein Gottesgelehrter, so völlig ohne Tadel, als ihn die feinere religiöse Welt nur immer verlangen wird.

Auch der »Nordische Aufseher« hat ein ganzes Stück 88 dazu angewandt, sich diese Miene der neumodischen Rechtgläubigkeit zu geben. Er behauptet mit einem entscheidenden Tone, daß Rechtschaffenheit ohne Religion widersprechende Begriffe sind; und beweiset es durch- – durch weiter nichts, als seinen entscheidenden Ton. Er sagt zwar mehr als einmal denn; aber sehen Sie selbst wie bündig sein denn ist. »Denn, sagt er, ein Mann, welcher sich mit Frömmigkeit brüstet, ohne ehrlich und gerecht gegen uns zu handeln, verdienet [165] mit dem Namen eines Heuchlers an seiner Stirne gezeichnet zu werden; und ein Mensch, welcher sich rühmet, daß er keine Pflicht der Rechtschaffenheit vernachlässige, ob er sich gleich von demjenigen befreiet achtet, was man unter dem Namen der Frömmigkeit begreift, ist – – ein Lügner muß ich sagen, wenn ich nicht strenge sondern nur gerecht urteilen will; weil er selbst gestehet, kein rechtschaffner Mann gegen Gott zu sein. Ist alle Rechtschaffenheit eine getreue und sorgfältige Übereinstimmung seiner Taten mit seinen Verhältnissen gegen andere, und wird eine solche Übereinstimmung für notwendig und schön erklärt: so kann sie nicht weniger notwendig und rühmlich gegen Gott sein, oder man müßte leugnen, daß der Mensch gegen das Wesen der Wesen in wichtigen Verhältnissen stünde.« – – Was kann deutlicher in die Augen leuchten, als daß das Wort Religion in dem Satze ganz etwas anders bedeutet, als er es in dem Beweise bedeuten läßt. In demSatze heißt ein Mann ohne Religion, ein Mann, der sich von der geoffenbarten Religion nicht überzeugen kann; der kein Christ ist: in dem Beweise aber, ein Mann, der von gar keiner Religion wissen will. Dort ein Mann, der bei den Verhältnissen, die ihm die Vernunft zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpfe zeiget, stehen bleibt: Hier ein Mann, der durchaus gar keine solche Verhältnisse annehmen will. Diese Verwirrung ist unwidersprechlich; und man muß sehr blödsinnig sein, wenn man sich kann bereden lassen, daß das, was von dem einem dieser Personen wahr sei, auch von dem andern gelten müsse. Und können Sie glauben, daß der Aufseher diesen Fechterstreich noch weiter treibet? Aus folgender Schilderung, die er von einem Manne ohne Religion macht, ist es klar. »Polidor, höre ich zuweilen sagen, ist zu betauern, daß er kein Christ ist. Er denkt über die Religion bis zur Ausschweifung frei; sein Witz wird unerschöpflich, wenn er anfängt ihre Verteidiger lächerlich zu machen; aber er ist ein ehrlicher Mann; er handelt rechtschaffen; man wird ihm keine einzige Ungerechtigkeit vorwerfen können etc.« – Aber mit Erlaubnis; diesem Polidor fehlt es nicht bloß an Religion: er ist ein Narr, dem es an gesunder Vernunft fehlt; und von diesem will ich es [166] selbst gern glauben, daß alle seine Tugenden, Tugenden des Temperaments sind. Denn muß er deswegen, weil er sich von einer geoffenbarten Religion nicht überzeugen kann, muß er deswegen darüber spotten? Muß er ihre Verteidiger deswegen lächerlich machen? – Welche Gradation: ein Mann der von keiner geoffenbarten Religion überzeugt ist; ein Mann der gar keine Religion zugibt; ein Mann, der über alle Religion spottet! Und ist es billig, alle diese Leute in eine Klasse zu werfen?

Das war also, gelinde zu urteilen, eine Sophisterei! Und nun betrachten Sie seinen zweiten Grund, wo er das Wort Rechtschaffenheit in einem engern Verstande nimmt, und es seinen Gegnern noch näher zu legen glaubt. »Allein, sagt er, wenn wir unter der Rechtschaffenheit auch nur die Pflichten der gesellschaftlichen Billigkeit und Gerechtigkeit verstehen wollten: So könnte doch vernünftiger Weise nicht vermutet werden, daß ein Mann ohne Religion ein rechtschaffner Mann sein würde. Eigennutz, Zorn, Eifersucht, Wollust, Rache und Stolz, sind Leidenschaften, deren Anfälle jeder Mensch empfindet, und wer weiß nicht, wie gewaltig diese Leidenschaften sind? Entsagt nun ein Mensch der Religion; entsagt er künftigen Belohnungen; entsagt er dem Wohlgefallen der Gottheit an seinen Handlungen, und ist seine Seele gegen die Schrecken ihrer Gerechtigkeit verhärtet: Was für eine Versichrung haben wir, daß er den strengen Gesetzen der Rechtschaffenheit gehorchen werde, wenn aufgebrachte mächtige Leidenschaften die Beleidigung derselben zu ihrer Befriedigung verlangen?« – Abermals die nämliche Sophisterei! Denn ist man denn schon ein Christ, (diesen versteht der Aufseher unter dem Manne von Religion) wenn man künftige Belohnungen, einen Wohlgefallen der Gottheit an unsern Handlungen, und eine ewige Gerechtigkeit glaubet? Ich meine, es gehöret noch mehr dazu. Und wer jenes leugnet, leugnet der bloß die geoffenbarte Religion? Aber dieses bei Seite gesetzt; sehen Sie nur, wie listig er die ganze Streitfrage zu verändern weiß. Er gibt es stillschweigend zu, daß ein Mann ohne Religion Bewegungsgründe, rechtschaffen zu handeln, haben könne; und fragt nur, was für eineVersicherung haben [167] wir, daß er auch, wenn ihn heftige Leidenschaften bestürmen, wirklich so handeln werde, wo er nicht auch das und das glaubt? In dieser Frage aber, liegt weiter nichts, als dieses: daß die geoffenbarte Religion, die Bewegungsgründe, rechtschaffen zu handeln, vermehre. Und das ist wahr! Allein kömmt es denn bei unsern Handlungen, bloß auf die Vielheit der Bewegungsgründe an? Beruhet nicht weit mehr auf der Intension derselben? Kann nicht ein einziger Bewegungsgrund, dem ich lange und ernstlich nachgedacht habe, eben so viel ausrichten, als zwanzig Bewegungsgründe, deren jedem ich nur den zwanzigsten Teil von jenem Nachdenken geschenkt habe? Und wenn auch ein Mensch alles glaubet, was ihm die Offenbarung zu glauben befiehlt, kann man nicht noch immer fragen, was für eine Versichrung haben wir, daß ihn dennoch die Leidenschaften nicht verhindern werden, rechtschaffen zu handeln? DerAufseher hat diese Frage vorausgesehen; denn er fährt fort: »Allein von einem Manne, der wirklich Religion hat, und entschlossen ist, die Verbindlichkeiten zu erfüllen etc.« Und entschlossen ist! Gut! Diese Entschlossenheit kann aber auch die bloßen Gründe der Vernunft, rechtschaffen zu handeln, begleiten.

Da ich zugegeben, daß die geoffenbarte Religion, unsere Bewegungsgründe, rechtschaffen zu handeln,vermehre: so sehen Sie wohl, daß ich der Religion nichts vergeben will. Nur auch der Vernunft nichts! Die Religion hat weit höhere Absichten, als denrechtschaffnen Mann zu bilden. Sie setzt ihn voraus; und ihr Hauptzweck ist, den rechtschaffnen Mann zuhöhern Einsichten zu erheben. Es ist wahr, diese höhern Einsichten, können neue Bewegungsgründe, rechtschaffen zu handeln werden, und werden es wirklich; aber folgt daraus, daß die andern Bewegungsgründe allezeit ohne Wirkung bleiben müssen? Daß es keine Redlichkeit gibt, als diese mit höhern Einsichten verbundene Redlichkeit?

Vermuten Sie übrigens ja nicht, daß der »Nordische Aufseher« diese Behauptung, »wer kein Christ sei, könne auch kein ehrlicher Mann sein,« mit unsern Gottesgelehrten überhaupt gemein habe. Unsere Gottesgelehrten haben diese unbillige Strenge nie geäußert. Selbst das, was sie von den Tugenden [168] der Heiden sagen, kömmt ihr noch lange nicht bei. Sie leugnen nicht, daß dieser ihre Tugenden Tugenden sind; sie sagen bloß, daß ihnen die Eigenschaft fehle, welche sie allein Gott vorzüglich angenehm machen könne. Und will der Aufseher dieses auch nur sagen; will er bloß sagen, daß alle Rechtschaffenheit, deren ein natürlicher Mensch fähig ist, ohne Glauben vor Gott nichts gelte: warum sagt er es nicht mit deutlichen Worten; und warum enthält er sich des WortsGlaube, auf welches alles dabei ankömmt, so sorgfältig?

Es sind überhaupt alle seine theologischen Stücke von ganz sonderbarem Schlage. Von einem einzigen lassen Sie mich nur noch ein Paar Worte sagen. Von demjenigen 89 nämlich, in welchem der Verfasser bestimmen will, »welche von allen Arten, über das erste Wesen zu denken, die beste sei?« Er nimmt derendrei an. »Die erste, sagt er, ist eine kalte, metaphysische Art, die Gott beinahe nur als ein Objekt einer Wissenschaft ansieht, und eben so unbewegt über ihn philosophieret, als wenn sie die Begriffe der Zeit oder des Raums entwickelte. Eine von ihren besondern Unvollkommenheiten ist diese, daß sie in den Ketten irgend einer Methode einhergehet, welche ihr so lieb ist, daß sie jede freiere Erfindung einer über Gottes Größe entzückten Seele fast ohne Untersuchung verwirft etc. Und weil wir durch diese Art von Gott zu denken, beinahe unfähig werden, uns zu der höhern, von der ich zuletzt reden werde, zu erheben, so müssen wir auf unsrer Hut sein, uns nicht daran zu gewöhnen. – Die zweite Art, fährt er fort, will ich die mittlere, oder um noch kürzer sein zu können, Betrachtungen nennen. Die Betrachtungen verbinden eine freiere Ordnung mit gewissen ruhigen Empfindungen, und nur selten erheben sie sich zu einer Bewunderung Gottes. etc. – Die dritte endlich ist, wenn die ganze Seele von dem, den sie denkt (und wen denkt sie?) so erfüllt ist, daß alle ihre übrige Kräfte von der Anstrengung ihres Denkens in eine solche Bewegung gebracht sind, daß sie zugleich und zu einem Endzweck wirken; wenn alle Arten von Zweifeln [169] und Unruhen über die unbegreiflichen Wege Gottes sich verlieren; wenn wir uns nicht enthalten können, unser Nachdenken durch irgend eine kurze Ausrufung der Anbetung zu unterbrechen; wenn, wofern wir drauf kämen, das, was wir denken, durch Worte auszudrücken, die Sprache zu wenige und schwache Worte dazu haben würde; wenn wir endlich mit der allertiefsten Unterwerfung eine Liebe verbinden, die mit völliger Zuversicht glaubt, daß wir Gott lieben können, und daß wir ihn lieben dürfen.«

Und diese letzte Art über Gott zu denken, wie Sie leicht erraten können, ist es, welche der Verfasser allen andern vorziehet. Aber was hat er uns damit neues gesagt? – Doch wirklich ist etwas neues darin. Dieses nämlich; daß er das denken nennt, was andere ehrliche Leute empfinden heißen. Seine dritte Art über Gott zu denken, ist ein Stand der Empfindung; mit welchem nichts als undeutliche Vorstellungen verbunden sind, die den Namen des Denkens nicht verdienen. Denn überlegen Sie nur, was bei einem solchen Stande in unserer Seele vorgeht, so werden Sie finden, daß diese Art über Gott zu denken, notwendig die schlechteste Art zu denken sein muß. Als diese ist sie von gar keinem Werte; als das aber, was sie wirklich ist, von einem desto größern. Bei der kalten Spekulation gehet die Seele von einem deutlichen Begriffe zu dem andern fort; alle Empfindung die damit verbunden ist, ist die Empfindung ihrer Mühe, ihrer Anstrengung; eine Empfindung, die ihr nur dadurch nicht ganz unangenehm ist, weil sie die Wirksamkeit ihrer Kräfte dabei fühlet. Die Spekulation ist also das Mittel gar nicht, aus dem Gegenstande selbst, Vergnügen zu schöpfen. Will ich dieses, so müssen alle deutliche Begriffe, die ich mir durch die Spekulation von den verschiedenen Teilen meines Gegenstandes gemacht habe, in eine gewisse Entfernung zurückweichen, in welcher sie deutlich zu sein aufhören, und ich mich bloß ihre gemeinschaftliche Beziehung auf das Ganze zu fassen, bestrebe. Je mehr diese Teile alsdenn sind? je genauer sie harmonieren; je vollkommner der Gegenstand ist: desto größer wird auch mein Vergnügen darüber sein; und der vollkommenste Gegenstand wird notwendig auch das größte Vergnügen in mir [170] wirken. Und das ist der Fall, wenn ich meine Gedanken von Gott in Empfindungen übergehen lasse.

Ich errege dem Verfasser keinen Wortstreit. Denn es ist kein Wortstreit mehr, wenn man zeigen kann, daß der Mißbrauch der Wörter auf wirkliche Irrtümer leitet. So sieht er es z.E. als einen großen Vorzug seiner dritten Art über Gott zu denken an, »daß, wofern wir darauf kämen, das was wir denken, durch Worte auszudrücken, die Sprache zu wenige und schwache Worte dazu haben würde.« Und dieses kömmt doch bloß daher, weil wir alsdenn nicht deutlich denken. Die Sprache kann alles ausdrücken, was wir deutlich denken; daß sie aber alle Nüancen der Empfindung sollte ausdrücken können, das ist eben so unmöglich, als es unnötig sein würde.

Doch dieser Irrtum ist bei ihm nur der Übergang zu einem größern. Hören Sie, was er weiter sagt: »Wofern man im Stande wäre, aus der Reihe, und daß ich so sage, aus dem Gedränge dieser schnellfortgesetzten Gedanken, dieser Gedanken von so genauen Bestimmungen, einige mit Kaltsinn herauszunehmen, und sie in kurze Sätze zu bringen: was für neue Wahrheiten von Gott würden oft darunter sein!« – Keine einzige neue Wahrheit! Die Wahrheit läßt sich nicht so in dem Taumel unsrer Empfindungen haschen! Ich verdenke es dem Verfasser sehr, daß Er sich bloß gegeben, so etwas auch nur vermuten zu können. Er steht an der wahren Quelle, aus welcher alle fanatische und enthusiastische Begriffe von Gott geflossen sind. Mit wenig deutlichen Ideen von Gott und den göttlichen, Vollkommenheiten, setzt sich der Schwärmer hin, überläßt sich ganz seinen Empfindungen, nimmt die Lebhaftigkeit derselben für Deutlichkeit der Begriffe, wagt es, sie in Worte zu kleiden, und wird, – einBöhme, ein Pordage.

Jene erste kalte metaphysische Art über Gott zu denken, von welcher der Verfasser so verächtlich urteilet, daß er unter andern auch sagt: »Unterdes wird sich ein wahrer Philosoph, ich meine einen, den sein Kopf und nicht bloß die Methode dazu gemacht hat, bisweilen darauf einlassen, um sich durch die Neuheit zu verfahren, aufzumuntern:« Jene Art, sage ich, muß gleichsam der Probierstein der dritten, ich meine aller unsrer Empfindungen von Gott sein. Sie allein [171] kann uns versichern, ob wir wahre, anständige Empfindungen von Gott haben; und der hitzige Kopf, der sich nur bisweilen darauf einläßt, um sich, durch die Neuheit zu verfahren, aufzumuntern – von dem wollte ich wohl wetten, daß er nicht selten, eben am allerunwürdigsten von Gott denkt, wenn er am erhabensten von ihm zu denken glaubt.

G.

VI. Den 9. August 1759
Funfzigster Brief

»So bekannt gewisse Wahrheiten der Sittenlehre sind,« sagt der »Nordische Aufseher« an einem Orte, »so oft sie wiederholt und in so veränderten Arten des Vortrags sie auch ausgebreitet worden sind: So wenig dürfen sich doch Lehrer der Tugend und der wahren Glückseligkeit des Menschen von der Furcht, daß die Welt ihrer endlich überdrüssig und müde werden machte, zurückhalten lassen, ihr Andenken, so oft sie können, zu erneuern. Wenn sie dieses unterließen, und sich hüten wollten, nichts zu sagen, was nicht original und neu zu sein scheinen könnte: So würden sie dadurch eine unanständige Eitelkeit verraten. Man würde sie nicht ohne Grund beschuldigen dürfen, daß sie bei den Arbeiten ihres Geistes mehr die Bewunderung, als den Nutzen ihrer Leser zum Augenmerke hätten, und, indem sie sich Mühe gäben, die Neubegierde derselben zu beschäftigen, nur dem Stolze ihres Verstandes zu schmeicheln suchten. Ich hoffe, daß ich wider diesen gemeinen Fehler moralischer Schriftsteller auf meiner Hut sein werde.« 90

Ja, das Lob muß man ihm lassen! Er ist wider diesen Fehler sehr auf seiner Hut gewesen. Nur tut er unrecht, daß er ihn einen gemeinen Fehler moralischer Schriftsteller nennt. Das Gegenteil desselben ist wenigstens ein eben so gemeiner Fehler. Und noch dazu mit diesem Unterschiede, daß jenes meistenteils der Fehler guter, und dieses der Fehler schlechter [172] Skribenten ist. Der gute Skribent will entweder ein vollständiges System der Moral liefern; und alsdenn würde er freilich sehr töricht handeln, wenn er sich nur auf diejenigen Wahrheiten einschränken wollte, welche original und neu scheinen könnten. Oder er hat eine freiere Absicht, und will sich bloß über diejenigen einzeln Wahrheiten auslassen, die ihm besonders wichtig dünken, und über die er am meisten nachgedacht zu haben glaubet. In diesem Falle hütet er sich sorgfältig, bekannte Wahrheiten und gemeinnützige Wahrheiten für einerlei zu halten. Er weiß, daß viel bekannte Wahrheiten nichts weniger als gemeinnützig, und viel gemeinnützige, oder doch solche die es werden können, nichts weniger als bekannt sind. Wenn er nun auf diese letzten, wie billig, sein vornehmstes Augenmerk richtet, so kann es nicht fehlen, er wird sehr oft original und neu nicht bloß scheinen, sondern wirklich sein. Der schlechte Skribent hingegen, der das Bekannteste für das Nützlichste hält, hofft vergebens, sich einzig durch seine gute Absicht lesenswürdig zu machen. Ist er nun vollends gar so schlecht, daß auch nicht einmal seine Einkleidungen der abgedroschensten Wahrheiten original und neu sind: was hat er denn noch, meine Neubegierde im geringsten zu reizen?

Um diese Einkleidungen, an welchen die moralischen Wochenblätter der Engländer so unerschöpflich sind, scheinet sich der »Nordische Aufseher« wenig bekümmert zu haben. Er moralisieret grade zu; und wenn er nicht noch dann und wann von erdichteten Personen Briefe an sich schreiben ließe? so würden seine Blätter ohne alle Abwechselung sein. Ich wüßte Ihnen nicht mehr als deren zwei zu nennen, von welchen es sich noch endlich sagen ließe, daß seine Erfindungskraft einige Unkosten dabei gehabt habe. Das eine 91 ist eine Allegorie von dem Vorzuge der schönen Wissenschaften vor den schönen Künsten. Aber was ist auch die beste Allegorie? Und diese ist noch lange keine von den besten. Das zweite 92 ist eine satyrische Nachricht von einer Art neuer Amazonen; und diese ist in der Tat mit vielem Geiste geschrieben. Sie [173] haben das Sinnreichste in dem ganzen »Nordischen Aufseher« gelesen, wenn Sie dieses Stück gelesen haben. Erlauben Sie mir also das Vergnügen, Ihnen die wesentlichsten Stellen daraus abzuschreiben.


»Die Gesellschaft der neuen Amazonen ist, so viel ich noch in Erfahrung bringen können, nicht zahlreich; unterdes ist sie doch sehr furchtbar, und zwar ihrer geheimen Unternehmungen wegen, die nach sichern Nachrichten auf nichts geringers, als auf die Errichtung eines Universaldespotismus abzielen. – Sie sollen aber ihre gewalttätigen Absichten weniger durch offenbare Feindseligkeiten, als durch die Künste einer sehr feinen Politik auszuführen suchen. Weil sie sich vorgesetzt haben, sowohl über die itzige, als über die künftige Männerwelt eine despotische Gewalt auszuüben, denn die Gewalt über die Herzen haben die Damen schon lange behauptet: So sollen ihre Anstalten besonders wider unsre jungen Herren gerichtet sein. Sie haben bemerkt, daß ein höherer Verstand allezeit über einen schwächern herrsche. In dieser Überzeugung suchen sie es bei ihnen so weit zu bringen, daß sie die Ausbildung ihres Geistes unterlassen, ihre Seele mit Kleinigkeiten beschäftigen, und dadurch zu den eigentlichen männlichen Geschäften und Angelegenheiten unfähig werden mögen. Sie selbst stellen sich an, als wenn man weder Vernunft noch Witz nötig hätte, ihnen zu gefallen; als wenn man ihnen mit ernsthaften und nützlichen Unterredungen überlästig würde; als wenn sie sich wirklich mit leeren Komplimenten, Artigkeiten und lächerlichen Einfällen befriedigen ließen; als wenn sie vor dem bloßen Namen eines Buches erschräken, und durch nichts, als Spielwerke glücklich wären. Allein das ist lauter Politik und List, und so scharfsichtige Augen, als die meinigen, lassen sich von dieser Verstellung nicht hintergehen. Ich betaure nur unsre jungen Herren, welche die Netze gar nicht zu sehen scheinen, die ihnen auf eine so feine Art gelegt werden. Um sie nach und nach ganz unmännlich zu machen, gewöhnen sie dieselben zum Geschmacke am Putze, zur Veränderung der Moden, und zu einer ganz frauenzimmerlichen Eitelkeit und Weichlichkeit. Und man muß erstaunen, wenn man sieht, wie sehr ihnen alle diese feindseligen Anschläge auf den Umsturz der itzigen Einrichtung der Welt zu gelingen anfangen. Denn man betrachte nur viele von unsern jungen Herren. Sie kleiden sich nicht etwa ordentlich und anständig; sie putzen sich und sind länger vor ihrem Nachttische, als die meisten Damen, sie sind so stolz auf einen gutfrisierten, wohlgepuderten Kopf, sie sind so weichlich; sie können so wenig Witterung und Kälte vertragen; sie haben sogar auch schon ihre Vapeurs und Humeurs, und wenn die Natur nur ihr Gesicht verändern wollte, so könnte man einige ganz füglich in Schnürleibern gehen lassen. Wissenschaft und Geschmack [174] zu haben, darauf machen viele gar keinen Anspruch, in guten Büchern zu lesen, würde eine Galeerenarbeit für sie sein und wenn sie nicht noch zuweilen mit wirklichen Männern zu tun hätten, so würden sie gar nichts mehr wissen. So weit haben es schon unsere Amazonen gebracht. Wie weit dieses noch in der Folge gehen könne, und ob nicht unsere Jünglinge mit der Zeit, wenn sie nicht bald auf ihre Verteidigung denken, Knötchen machen und ihren Strickbeutel mit in Gesellschaft werden bringen müssen, das will ich der Überlegung und Beurteilung aller nachdenkenden Leser überlassen.

Man darf eben nicht glauben, daß die Amazonen ihre Unternehmungen bloß auf unsere jüngere Welt einschränken. Einigen von ihnen, die verheiratet sind, soll es schon gelungen sein, den Despotismus, auf den ihre Anschläge abzielen, in ihren Häusern einzuführen. Denn ich habe in Erfahrung gebracht, daß sich Männer bequemt haben, die Verwaltung der Küche und andere wirtschaftliche Verrichtungen über sich zu nehmen, die man sonst nur unter die Geschäfte des Frauenzimmers gerechnet hat. Der demütige Mann hält es für seine Schuldigkeit und Ehre den Einkauf dessen, was in der Küche nötig ist, und die Anordnung der Mahlzeiten nach dem Geschmacke seiner hochgebietenden Amazone zu besorgen, und mit einigen soll es auch so weit schon gekommen sein, daß sie bei der Zubereitung der Speisen gegenwärtig sind, und einen Pudding oder Rostbeef so gut zu machen wissen, als die ausgelernteste Köchin. Man darf, um davon versichert zu werden, nur ein wenig in der Welt Achtung geben. Denn einige Männer haben an ihren neuen Geschäften so viel Geschmack gewonnen, daß sie ihre Gelehrsamkeit auch in Gesellschaften hören lassen etc.

Weil die Amazonen vorhersehen, daß sie, um ihr Projekt eines Universaldespotismus auszuführen, nicht allein Verschlagenheit und List, sondern auch die Stärke, die Kühnheit, die Dreistigkeit und Unerschrockenheit der Männer nötig haben möchten: so haben sie auch schon deswegen die nötigen Maßregeln genommen. Eben hieraus soll die so weit getriebene Entblößung einiger Frauenzimmer entspringen, denen andre bloß aus Unwissenheit und um modisch zu sein, nachfolgen. Man glaubt gemeiniglich, daß es geschehe, Reizungen zu zeigen, die billig verborgen bleiben sollten. Allein man irrt sich sehr, und ich habe die wahre Ursache entdeckt. Es geschiehet bloß, um sich an die Kälte zu gewöhnen, weil sie nicht wissen, ob sie nicht mit der Zeit genötigt sein möchten, Winterkampagnen zu tun.

Eben daher kömmt es, daß einige nicht mehr erröten, andere den jungen Herren und Männern so dreist ins Gesicht sehen, andere in der Komödie über die Zweideutigkeiten, bei deren Anhörung man sonst, wenn man auch lächelte, das Gesicht doch hinter den Fächer zu verbergen pflegte, so laut und dreist lachen, als die [175] kühnste und unverschämteste Mannsperson. Eben daher kömmt es auch, daß viele in den Beteuerungen so geschickt sind, die sich sonst die Kriegsmänner vorbehielten, und noch andere bis in die späteste Mitternacht wachen, um der gefährlichen Abendluft gewohnt zu werden.«


Ich will nicht untersuchen, ob dieser Einfall dem »Nordischen Aufseher« ganz eigen ist; genug er ist schön, und nicht übel, obgleich ein wenig zu schwatzhaft, ausgeführt. Viel Worte machen; einen kleinen Gedanken durch weitschweifende Redensarten aufschwellen; labyrinthische Perioden flechten, bei welchen man dreimal Atem holen muß, ehe man einen ganzen Sinn fassen kann: das ist überhaupt die vorzügliche Geschicklichkeit desjenigen von den Mitarbeitern an dieser Wochenschrift, der die meisten Stücke geschrieben zu haben scheinet. Sein Stil ist der schlechte Kanzelstil eines seichten Homileten, der nur deswegen solche Pneumata herprediget, damit die Zuhörer, ehe sie ans Ende derselben kommen, den Anfang schon mögen vergessen haben, und ihn deutlich hören können, ohne ihn im geringsten zu verstehen. – Ich kenne nur einen einzigen geistlichen Redner itzt in unserer Sprache, der noch tollere Perioden macht. Vielleicht unterhalte ich Sie einmal von ihm. –

Itzt aber lassen Sie mich Ihnen noch den Beweis vorlegen, wie unbeschreiblich schwatzhaft der »Nordische Aufseher« oft ist. Es wird mir Mühe kosten, die Stelle, die ich in dieser Absicht anführen muß, abzuschreiben; aber ein Fehler, wenn er zu einer ungewöhnlichen Größe getrieben worden, ist doch ein merkwürdiges Ding; ich will mich die Mühe also immer nicht verdrießen lassen. Der Aufseher will in dem zweiten Stücke von der Fähigkeit, die Glückseligkeit andrer zu empfinden, reden und fängt an: »Derjenige, dessen Geist in den kleinen Bezirken seiner persönlichen und häuslichen Vorteile eingeschränkt bleibt, und unfähig zur Empfindung andrer Glückseligkeiten ist, die nicht aus den Vergnügen der Sinne, aus der Befriedigung eigennütziger Leidenschaften, oder aus dem Glücke seiner Familie entspringen, kömmt mir wie ein Mensch vor, der ein kurzes und blödes Gesicht hat.« – Das Gleichnis ist gut; aber nun hören Sie, wie schülerhaft [176] er es ausdehnt. – »Der Kurzsichtige kennt die Natur weder in ihrer Größe, noch in ihrer vollen Schönheit und Pracht; er sieht dieselbe, so zu sagen, nur im kleinen und nicht einmal deutlich! Was entbehrt er nicht, und wie wenig faßt sein Auge von den unzählbaren und bis ins Unendliche veränderten Wundern der Schöpfung! Wie unzählbare, mannichfaltige Aussichten, die ein stärkeres Auge mit einem fröhlichen Erstaunen betrachtet, sind für ihn, als wären sie gar nicht in der Natur, und wer kann die herrlichen und entzückenden Auftritte alle zählen, die von ihm ungesehen und unbewundert vorübergehen? Die Sonne hat für ihn weniger Licht und der Himmel weniger Gestirne, und wie viel Schönheiten verlieret er nicht auf der Erde? Wenn andre Augen, die in die Weite reichen, in der Entfernung tausend große und herrliche Gegenstände auf einmal und ohne Verwirrung übersehen, und mit einem Blicke in dieser Weite Anhöhen und fruchtbare Täler, und in jener Entfernung blühende Wiesen und einen weit gestreckten Wald entdecken, so erblickt er kaum die Blumen, die unter seinen Füßen aufwachsen, und selbst von diesen bleiben ihm mannichfaltige Reizungen verborgen, die ein schärferes Auge in ihrem künstlichen Gewebe wahrnimmt. Alles ist vor ihm, wie mit einem Nebel überzogen; ganze Gebürge verlieren sich in seinen Augen in Hügel; stolze Paläste bei einem gewissen Abstande von ihm in Dorfhütten, und vielleicht ganze Landschaften in einen grünen, mit einigen Gebüschen durchwachsenen Grasplatz. Dem bessern Auge hingegen ist ein jeder Teil der Materie bevölkert, und ihm wimmelt vielleicht ein jedes Laub von Einwohnern, wenn dem Kurzsichtigen die Natur fast eine Wüste, einsam und leer von Bewegung und Leben zu sein scheinet! Wie unvollkommen müssen nicht seine Vorstellungen von der Größe, Ordnung, und Vollkommenheit der Natur, von ihrer angenehmen Mannichfaltigkeit und Kunst bei ihrer so erhabenen Einfalt und Gleichförmigkeit, und von ihrer bis zur Unbegreiflichkeit bewundernswürdigen Harmonie in allen ihren unzählbaren Abwechslungen sein, und wie unglücklich ist er nicht, wenn er nicht mehr erraten, als sehen, und seinem schwachen Gesichte nicht mit seinem Verstande zu Hülfe [177] kommen kann! Er muß mit seinen Freuden zu geizen wissen, wenn er mit ihrem kleinen Vorrate auskommen will, da derjenige, welcher gute Augen gut zu gebrauchen weiß, im Genusse fast verschwendrisch sein mag, indem er sich nur umsehen darf, um im Überflusse neue Reizungen, neue Schönheiten und Belustigungen zu entdecken.« –

Noch nicht aus? – Ja; nun ist es einmal aus, das ewige Gleichnis! Der Aufseher fährt fort: »Eben so ist es mit denjenigen beschaffen etc.« und, Gott sei Dank, wir sehen wieder Land! Was sagen Sie dazu? Gibt es bei allen guten und schlechten Skribenten wohl ein ähnliches Exempel, wo man, über das Gleichnis, die Sache selbst so lange und so weit aus dem Gesichte verlieret?

G.

VII. Den 16. August 1759
Ein und funfzigster Brief

In das Feld der schönen Wissenschaften und der Kritik ist der »Nordische Aufseher« nur selten übergegangen.

Von den drei eingerückten Oden, die ohne Zweifel den Herrn Cramer selbst zum Verfasser haben, (die eine auf die Geburt, 93 die andere auf das Leiden des Erlösers, 94 und die dritte auf den Geburtstag des Königs, 95) von diesen verlangen Sie mein Urteil nicht; das weiß ich schon. Herr Cramer ist der vortrefflichste Versificateur; dafür erkennen wir ihn beide. Daß aber sein poetisches Genie, wenn man ihm überhaupt noch ein poetisches Genie zugestehen kann, sehr einförmig ist, das haben wir oft beide betauert. Wer eine oder zwei von seinen so genannten Oden gelesen hat, der hat sie ziemlich alle gelesen. In allen findet sich viel poetische Sprache, und die beneidenswürdigste Leichtigkeit zu reimen; aber auch allen mangelt der schöne versteckte Plan, der auch die kleinste Ode des Pindars und Horaz zu einem so sonderbaren Ganzen macht. Sein Feuer ist, wenn ich so reden darf, [178] ein kaltes Feuer, das mit einer Menge Zeichen der Ausrufung und Frage, bloß in die Augen leuchtet.

Es kommen aber noch zwei andere Gedichte vor, die meine Aufmerksamkeit ungleich mehr an sich gezogen haben. Das Klopstockische Siegel ist auf beiden; und das läßt sich so leicht nirgends verkennen. Von dem einen zwar, welches ein geistliches Lied 96 auf die Auferstehung des Erlösers ist, weiß ich auch nicht viel sonderliches zu sagen. Es ist, – wie des Herrn Klopstocks Lieder alle sind; so voller Empfindung, daß man oft gar nichts dabei empfindet. Aber das zweite ist desto merkwürdiger. Es sind Betrachtungen über die Allgegenwart Gottes, oder vielmehr, des Dichters ausgedrückte Empfindungen über dieses große Objekt. Sie scheinen sich von selbst in symmetrische Zeilen geordnet zu haben, die voller Wohlklang sind, ob sie schon kein bestimmtes Sylbenmaß haben. Ich muß eine Stelle daraus anführen, um Ihnen einen deutlichern Begriff davon zu machen.


Als du mit dem Tode gerungen,
Mit dem Tode!
Heftiger gebetet hattest!
Als dein Schweiß und dein Blut
Auf die Erde geronnen war;
In der ernsten Stunde
Tatest du jene große Wahrheit kund,
Die Wahrheit sein wird,
So lange die Hülle der ewigen Seele
Staub ist!
Du standest, und sprachest
Zu den Schlafenden:
Willig ist eure Seele;
Allein das Fleisch ist schwach.
Dieser Endlichkeit Los,
Diese Schwere der Erde,
Fühlt auch meine Seele,
Wenn sie zu Gott, zu Gott!
[179]
Zu dem Unendlichen!
Sich erheben will!
Anbetend, Vater, sink ich in Staub und fleh!
Vernimm mein Flehn, die Stimme des Endlichen!
Mit Feuer taufe meine Seele,
Daß sie zu dir sich, zu dir, erhebe!
Allgegenwärtig, Vater, umgibst du mich! – –
Steh hier, Betrachtung, still, und forsche
Diesem Gedanken der Wonne nach!

Und dieses vorbereitende Gebet ist der Anfang des Gedichts selbst. Ein würdiger Anfang! Aber wenn ich Ihnen sagen sollte, was ich denn nun aus dem Folgenden, von der Allgegenwart Gottes mehr gelernt, als ich vorher nicht gewußt; welche von meinen dahin gehörigen Begriffen, der Dichter mir mehr aufgeklärt; in welcher Überzeugung er mich mehr bestärket: so weiß ich freilich nichts darauf zu antworten. Eigentlich ist das auch des Dichters Werk nicht. Genug, daß mich eine schöne, prächtige Tirade, über die andere, angenehm unterhalten hat; genug, daß ich mir, während dem Lesen, seine Begeisterung mit ihm zu teilen, geschienen habe: muß uns denn alles etwas zu denken geben?


Ich hebe meine Augen auf, und sehe,
Und siehe, der Herr ist überall!
Erde, aus deren Staube
Der erste der Menschen geschaffen ward,
Auf der ich mein erstes Leben lebe!
In der ich verwesen,
Aus der ich auferstehen werde!
Gott, Gott würdigt auch dich,
Dir gegenwärtig zu sein!
Mit heilgem Schauer
Brech ich die Blum ab!
Gott machte sie!
Gott ist, wo die Blum' ist!
Mit heilgem Schauer
Fühl ich das Wehn,
Hier ist das Rauschen der Lüfte!
[180]
Er hieß sie wehen und rauschen,
Der Ewige!
Wo sie wehen, und rauschen,
Ist der Ewige!
Freu dich deines Todes, o Leib!
Wo du verwesen wirst
Wird der Ewige sein!
Freu dich deines Todes, o Leib!
In den Tiefen der Schöpfung,
In den Höhen der Schöpfung,
Werden deine Trümmern verwehn!
Auch dort, Verwester, Verstäubter,
Wird er sein der Ewige!
Die Höhen werden sich bücken!
Die Tiefen sich bücken!
Wenn der Allgegenwärtige nun
Wieder aus Staube Unsterbliche schafft!
Halleluja dem Schaffenden!
Dem Tötenden Halleluja!
Halleluja dem Schaffenden!

In diesem stürmischen Feuer ist das ganze Stücke geschrieben. – Aber was sagen Sie zu der Versart; wenn ich es anders eine Versart nennen darf? Denn eigentlich ist es weiter nichts als eine künstliche Prosa, in alle kleinen Teile ihrer Perioden aufgelöset, deren jeden man als einen einzeln Vers eines besondern Sylbenmaßes betrachten kann. Sollte es wohl nicht ratsam sein, zur musikalischen Komposition bestimmte Gedichte in diesem prosaischen Sylbenmaße abzufassen? Sie wissen ja, wie wenig es dem Musikus überhaupt hilft, daß der Dichter ein wohlklingendes Metrum gewählet, und alle Schwierigkeiten desselben sorgfältig und glücklich überwunden hat. Oft ist es ihm so gar hinderlich, und er muß, um zu seinem Zwecke zu gelangen, die Harmonie wieder zerstören, die dem Dichter so unsägliche Mühe gemacht hat. Da also der prosodische Wohlklang entweder von dem musikalischen verschlungen wird, oder wohl gar durch die [181] Kollision leidet, und Wohlklang zu sein aufhöret; wäre es nicht besser, daß der Dichter überhaupt für den Musikus in gar keinem Sylbenmaße schriebe, und eine Arbeit gänzlich unterließe, die ihm dieser doch niemals danket? – Ja ich wollte noch weiter gehen, und diese freie Versart so gar für dasDrama empfehlen. Wir haben angefangen, Trauerspiele in Prosa zu schreiben, und es sind viel Leser sehr unzufrieden damit gewesen, daß man auch diese Gattung der eigentlichen Poesie dadurch entreißen zu wollen scheinet. Diese würden sich vielleicht mit einem solchen Quasi-Metro befriedigen lassen; besonders wenn man ihnen sagte, daß z. E. die Verse des Plautus nicht viel gebundener wären. Der Skribent selbst behielte dabei in der Tat alle Freiheit, die ihm in der Prose zustatten kömmt, und würde bloß Anlaß finden, seine Perioden desto symmetrischer und wohlklingender zu machen. Wie viel Vorteile auch der Schauspieler daraus ziehen könnte, will ich itzt gar nicht erwähnen; wenn sich nämlich der Dichter bei der Abteilung dieser freien Zeilen nach den Regeln der Deklamation richtete, und jede Zeile so lang oder kurz machte, als jener jedesmal viel oder wenig Worte in einem Atem zusammen aussprechen müßte. etc.

Das einzige Stück des »Nordischen Aufsehers«, welches in die Kritik einschlägt, ist das sechs und zwanzigste, und handelt von den Mitteln, durch die man den poetischen Stil über den prosaischen erheben könne und müsse. Es ist sehr wohl geschrieben, und enthält vortreffliche Anmerkungen. – Gleich Anfangs merket der Verfasser an, daß keine Nation weder in der Prose noch in der Poesie vortrefflich geworden ist, die ihre poetische Sprache nicht sehr merklich von der prosaischen unterschieden hätte. Er beweiset dieses mit dem Exempel der Griechen, Römer, Italiener und Engländer. Von den Franzosen aber sagt er: »Die Franzosen, welche die Prose der Gesellschaften, und was derselben nahe kömmt, mit der meisten Feinheit und vielleicht am besten in Europa schreiben, haben ihre poetische Sprache unter allen am wenigsten von der prosaischen unterschieden. Einige von ihren Genies haben selbst über diese Fesseln geklagt, die sich die Nation von ihren Grammaticis und von ihren Petitsmaiters [182] hat anlegen lassen. Unterdes würde man sich sehr irren, wenn man glaubte, daß ihre Poesie gar nicht von ihrer Prose unterschieden wäre. Sie ist dieses bisweilen sehr; und wenn sie es nicht ist: so haben wir wenigstens das Vergnügen, da, wo wir bei ihnen den poetischen Ausdruck vermissen, schöne Prose zu finden: ein Vergnügen, das uns diejenigen unter den Deutschen selten machen, welche an die wesentliche Verschiedenheit der poetischen und der prosaischen Sprache so wenig zu denken scheinen.« – Er kömmt hierauf auf die Mittel selbst, wodurch diese Verschiedenheit erhalten wird. Das erste ist die sorgfältige Wahl der Wörter. Der Dichter muß überall die edelsten und nachdrücklichsten Wörter wählen. Unter die letztern zählet er auch diejenigen, die mit Geschmack zusammen gesetzt sind. »Es ist, sagt er, der Natur unserer Sprache gemäß, sie zu brauchen. Wir sagen so gar im gemeinen Leben: Ein gottesvergeßner Mensch. Warum sollten wir also den Griechen hierin nicht nachahmen, da uns unsere Vorfahren schon lange die Erlaubnis dazu gegeben haben?« – Daszweite Mittel bestehet in der veränderten Ordnung der Wörter; und die Regel der zu verändernden Wortfügung ist diese: Wir müssen die Gegenstände, die in einer Vorstellung am meisten rühren, zu erst zeigen. »Aber nicht allein die Wahl guter Wörter, fährt der Verfasser fort, und die geänderte Verbindung derselben unterscheiden den poetischen Perioden von dem prosaischen. Es sind noch verschiedene von denen anscheinenden Kleinigkeiten zu beobachten, durch welche Virgil vorzüglich geworden ist, was er ist. Ich nehme an, daß die Wörter des Perioden und die Ordnung derselben, der Handlung, die der Periode ausdrücken soll, gemäß sind. Aber gleichwohl gefällt er noch nicht genug. Hier ist eine Redensart, wo nur ein Wort sein sollte. Und nichts tötet die Handlung mehr, als gewisse Begriffe in Redensarten ausdehnen. Es kann auch bisweilen das Gegenteil sein. Hier sollte eine glückliche Redensart stehen. Der Gedanke erfordert diese Ausbildung. Dort sind die Partikeln langweilig, welche die Glieder des Perioden fast unmerklich verbinden sollten. Sie sinds unter andern, wenn sie zu viel Sylben haben. Ein: dem ungeachtet könnte die schönste [183] Stelle verderben. Sie sinds ferner, wenn sie da gesetzt werden, wo sie, ohne daß die Deutlichkeit oder der Nachdruck darunter litte, wegbleiben konnten. Das doch, mit dem man wünscht, gehört vornehmlich hierher. In einer andern Stelle stand die Interjektion nicht, wo sie stehen sollte. Das Ach fing den Perioden an; und es hätte glücklicher vor den Wörtern gestanden, welche die Leidenschaften am meisten ausdrücken. Ein andermal hat der Verfasser nicht gewußt, von welcher Kürze, und von welcher Stärke das Participium gewesen sein würde. Darauf hat er es wieder gesetzt, wo es nicht hingehörte.«

Schließen Sie aus dieser Stelle, wie viel feine Anmerkungen und Regeln der Verfasser in einen kleinen Raum zu konzentrieren gewußt hat. Ich möchte gern allen unsern Dichtern empfehlen, dieses Stück mehr als einmal zu lesen; es mit allem Fleiße zu studieren. Es würde jeder alsdenn wohl von selbst finden, wenn und wie diese oder jene allgemeine Regel des Verfassers eine Ausnahme leiden könne und müsse. Die sorgfältige Wahl der edelsten Wörter, z. E. leidet alsdenn einen großen Abfall, wenn der Dichter nicht in seiner eignen Person spricht. In dem Drama besonders, wo jede Person, so wie ihre eigene Denkungsart, also auch ihre eigne Art zu sprechen haben muß. Die edelsten Worte sind eben deswegen, weil sie die edelsten sind, fast niemals zugleich diejenigen, die uns in der Geschwindigkeit, und besonders im Affekte, zu erst beifallen. Sie verraten die vorhergegangene Überlegung, verwandeln die Helden in Declamatores, und stören dadurch die Illusion. Es ist daher sogar ein großes Kunststück eines tragischen Dichters, wenn er, besonders die erhabensten Gedanken, in die gemeinsten Worte kleidet, und im Affekte nicht das edelste, sondern das nachdrücklichste Wort, wenn es auch schon einen etwas niedrigen Nebenbegriff mit sich führen sollte, ergreifen läßt. Von diesem Kunststücke werden aber freilich diejenigen nichts wissen wollen, die nur an einem korrekten Racine Geschmack finden, und so unglücklich sind, keinen Shakespeare zu kennen.

E.

[184] VIII. Den 23. August 1759
Zwei und funfzigster Brief

Ich kann Ihnen nicht Unrecht geben, wenn Sie behaupten, daß es um das Feld der Geschichte in dem ganzen Umfange der deutschen Literatur, noch am schlechtesten aussehe. Angebauet zwar ist es genug; aber wie? – Auch mit Ihrer Ursache, warum wir so wenige, oder auch wohl gar keinen vortrefflichen Geschichtschreiber aufzuweisen haben, mag es vielleicht seine Richtigkeit haben. Unsere schönen Geister sind selten Gelehrte, und unsere Gelehrte selten schöne Geister. Jene wollen gar nicht lesen, gar nicht nachschlagen, gar nicht sammlen; kurz, gar nicht arbeiten: und diese wollen nichts, als das. Jenen mangelt es am Stoffe, und diesen an der Geschicklichkeit ihrem Stoffe eine Gestalt zu erteilen.

Unterdessen ist es im Ganzen recht gut, daß jene sich gar nicht damit abgeben, und diese sich in ihrem wohlgemeinten Fleiße nicht stören lassen. Denn so haben jene am Ende doch nichts verdorben, und diese haben wenigstens nützliche Magazine angelegt, und für unsere künftige Livios und Tacitos Kalk gelöscht und Steine gebrochen.

Doch nein, – lassen Sie uns nicht ungerecht sein; – verschiedene von diesen haben weit mehr getan. Es ist eine Kleinigkeit, was einem Bünau, einen Mascau zu vollkommenen Geschichtsschreibern fehlen würde, wenn sie sich nicht in zu dunkele Zeiten gewagt hätten. Wem kann hier, wo die Quellen oft gar fehlen, oft so verderbt und unrein sind, daß man sich aus ihnen zu schöpfen scheuen muß; hier, wo man erst hundert Widersprüche zu heben und hundert Dunkelheiten aufzuklären hat, ehe man sich nur des kahlen, trockenen Faktums vergewissern kann; hier, wo man mehr eine Geschichte der streitigen Meinungen und Erzählungen von dieser oder jener Begebenheit, als die Begebenheit selbst vortragen zu können, hoffen darf: wem kann hier auch die größte Kunst zu erzählen, zu schildern, zu beurteilen, wohl viel helfen? Er müßte sich denn kein Gewissen machen, uns seine Vermutungen für Wahrheiten zu verkaufen, und die [185] Lücken der Zeugnisse aus seiner Erfindung zu ergänzen. Wollen Sie ihm das wohl erlauben? O weg mit diesem poetischen Geschichtschreiber! Ich mag ihn nicht lesen; Sie mögen ihn auch nicht lesen, als einen Geschichtschreiber wenigstens nicht; und wenn ihn sein Vortrag noch so lesenswürdig machte!

Überhaupt aber glaube ich, daß der Name eineswahren Geschichtschreibers nur demjenigen zukömmt, der die Geschichte seiner Zeiten und seines Landes beschreibet. Denn nur der kann selbst als Zeuge auftreten, und darf hoffen, auch von der Nachwelt als ein solcher geschätzt zu werden, wenn alle andere, die sich nur als Abhörer der eigentlichen Zeugen erweisen, nach wenig Jahren, von ihres gleichen gewiß verdrungen sind. Ich betaure daher oft den mühsamen Fleiß dieser letztern; besonders derjenigen von ihnen, die sich, vermöge ihres Amtes, einer so undankbaren Arbeit unterziehen, und Gebauers bleiben müssen, wenn sie Thuani werden könnten. Die süße Überzeugung von dem gegenwärtigen Nutzen, den sie stiften, muß sie allein wegen der kurzen Dauer ihres Ruhmes schadlos halten. Und kann ein ehrlicher Mann mit dieser Schadloshaltung auch nicht zufrieden sein?

Genug dieser allgemeinen Betrachtungen! Ich komme auf das neue Werk selbst, welches sie eigentlich veranlasset hat. Seinen Verfasser habe ich bereits genennet. Es ist der verdiente Gelehrte, den Sie schon aus seiner Geschichte des Kaiser Richards kennen müssen. Jetzt hat er uns eine »Portugiesische Geschichte« geliefert. 97

Sie würden mich auslachen, wenn ich meinen Brief mit einem umständlichen Auszuge derselben anfüllen wollte. Was könnten Sie neues daraus lernen? Und ist Ihr Gedächtnis nicht so glücklich, daß es auch nicht einmal darf aufgefrischet [186] werden? Kaum verlohnet es sich der Mühe, Ihnen von dem Werke überhaupt nur so viel zu sagen, daß es aus den akademischen Vorlesungen des Verfassers über seinen »Grundriß zu einer umständlichen Historie der vornehmsten europäischen Reiche und Staaten« entstanden, und in zwei Teile abgesondert ist, deren fünf Abteilungen folgende Aufschrift haben. I. Abt. Von den ältesten Nachrichten vor Einrichtung des Königreichs. II. Abt. Vom Anfange des Reichs bis zum Ausgange des echten königlichen Stammes. III Abt. Von dem Ausgange des echten Stammes bis auf die Vereinigung mit Spanien. IV.Abt. Von der Vereinigung mit Spanien bis auf die Erhebung des Hauses Braganza. V. Abt. Von den Königen aus dem Hause Braganza bis itzo.

Aber das würde Ihnen vielleicht nicht unangenehm sein, wenn ich Sie mit dieser oder jener einzeln Begebenheit, auf die unser Verfasser einen vorzüglichen Fleiß gewendet hat, unterhielte? Es wäre der nächste Weg, Sie zugleich selbst von seinem Vortrage, und von der sorgfältigen Art in seinen Untersuchungen zu Werke zu gehen, urteilen zu lassen. Und kenne ich nicht auch Ihren Geschmack? Kühne Unternehmungen; sonderbare Unglücksfälle, die einen großen Mann treffen etc. –

O ich müßte mich sehr irren, oder Sie haben sich, als Sie nun auf die Portugiesische Historie kamen, bei der Geschichte des unglücklichen Königs Sebastian, am längsten, am liebsten verweilet. – Der junge Sebastian, wie Sie sich erinnern werden, brannte vor Begierde, sich mit den Ungläubigen in Afrika zu versuchen. Er ließ sich nicht lange bitten, dem vertriebenen Könige von Marokko, Muley Mahomet, in eigner Person beizuspringen. Er ging mit einem ansehnlichen Heere, so sehr es ihm auch seine Freunde, so sehr es ihm auch der eben am Himmel drohende Komete zu widerraten schienen, am Johannistage 1578 unter Segel; setzte das Heer bei Arzilla ans Land, und ging auf l'Arache los. Auf diesem Wege kam es in der Ebene von Alcassarquivir mit dem feindlichen Heere des Muley Molucco, zur Schlacht. Sebastian und seine Portugiesen erlitten die schrecklichste Niederlage, und er selbst – blieb. So ging wenigstens die gemeine Rede.

[187] Aber wie, wenn er da nicht geblieben wäre? Wie, wenn ein weit empfindlicher Schicksal auf ihn gewartet hätte? – Sie erinnern sich doch noch auch, daß nach und nach vier Pseudo-Sebastiane aufstunden, als Spanien bereits das Königreich Portugal an sich gerissen hatte? Die ersten drei waren offenbare Betrieger, und erhielten ihren verdienten Lohn. »Der vierte hingegen, sagt unser Skribent, wußte sein Tun so scheinbar zu machen, daß es wohl zweifelhaft bleiben wird, ob er nicht der wahre Sebastian gewesen. –

Er kam, fähret Herr Gebauer fort, 98 zu Venedig An. 1598 zum Vorscheine, und nachdem er daselbst nicht allein bei dem gemeinen Volke, sondern auch bei etlichen vornehmen Personen Glauben fand, zumal da einige Portugiesen, die den König Sebastian wohl gekannt hatten, vor gewiß versicherten, daß er in dem Gesichte, in der Größe, in der Rede, demselben vollkommen gleiche, ward ihm dergestalt unter die Arme gegriffen, daß er sich seinem Stande gemäß aufzufahren anfing, und kein Bedenken hatte, sich vor den öffentlich auszugeben, den er vorstellte. Darüber bewegte sich der spanische Gesandte zu Venedig, Dominicus Mendoza, und brachte es bei dem Rate zu Venedig dahin, daß er in Haft genommen, und über seine Umstände, und wer er sei, befragt wurde. Da erzählte er umständlich, wie er in dem unglücklichen Treffen bei Alcassar in Afrika nicht sei erschlagen worden, sondern ob wohl hart verwundet, der Gefangenschaft wunderbarer Weise entgangen sei. In Algarbien, wohin er auf einem leichten Schifflein mit Christoval von Tavora übergesetzt, hätte er sich heilen lassen, und weil er des Anblicks der Menschen nach einem so großen Unglücke sich gescheuet und geschämet, habe er sich vorgenommen, Abessinien und andere weit entlegene Reiche und Lande zu besuchen. Auf dieser seiner Fahrt sei er nach Persien gekommen, habe mancherlei Schlachten beigewohnet, und viele Wunden empfangen; endlich sei er des Herumziehens müde worden, und habe sich mit einem frommen Alten in Georgien in ein einsames Kloster begeben, und daselbst ein Kläusnerleben [188] geführet, bis ihm endlich gefallen, seine Untertanen wieder zu sehen. Auf dieser Rückreise habe er erst in Sizilien gelandet, und von da Marcum Tullium Catizo von Cosenza nach Portugal abgefertiget, und als der nicht wieder kommen, habe er sich selbst auf den Weg gemacht, der Meinung, sich zuförderst zu Rom dem Pabste zu den Füßen zu werfen. Daran habe ihn die Bosheit seiner eigenen Leute verhindert, die ihn unterwegens beraubt, so daß er sich nach Venedig begeben müssen, wo man ihn bald vor denjenigen erkannt, der er wirklich sei. Das war nun geschwinde gesagt, aber es fehlte der Beweis, den man aber doch nach der Strenge von ihm nicht fodern konnte. Er sagte mit großer Freimütigkeit, daß er zu dem Rate zu Venedig sich des Besten versehe, der sich wohl erinnern würde, was er vor Briefe bei dem letzten Türkenkriege an sie geschrieben, und wie geneigt er sich wegen der Hülfe gegen sie erboten habe. Wer ihn, den König je gesehen habe, müßte ihn kennen. Zu dessen Bestärkung ward befunden, daß er, gleich dem Könige, in dem Gesichte sowohl, als an seinem ganzen Leibe an der linken Seite etwas kürzer war, als an der rechten; an seiner rechten Augenbraune war eine Narbe zu sehen von einer Wunde, wie bei König Sebastian, der solche in seiner Kindheit bekommen hatte; eine große Warze an der Fußzehe und andere Male, die man bei dem Könige wahrgenommen hatte, fanden sich bei diesem Sebastian auch. Er ward drei ganzer Jahre lang in der Haft behalten, und immittelst bewegten die geflüchteten Portugiesen Himmel und Erde, daß ihr König ihnen möchte frei gegeben werden. Selbst König Heinrich IV. in Frankreich, ließ durch seinen Gesandten, den Herrn du Fresne, den Rat zu Venedig bitten, sie möchten in der Sache sprechen, und die Portugiesen nicht im Irrtume lassen. Das Erkenntnis bestund nun darin, daß dieser Mann binnen acht Tagen das Venetianische Gebiete räumen sollte, bei ewiger Galeerenstrafe. Nun überlegten die Portugiesen fleißig, was vor einen Weg ihr König erwählen sollte, um sicher in sein Königreich zu gelangen, ob er durch Graupünden und die Schweiz, oder durch das Florentinische seinen Weg nehmen sollte. Zu seinem großen Unglücke erwählte [189] er den letztern. Er hatte kaum als ein Dominikaner Münch das Florentinische Gebiet betreten, als er daselbst erwischt, und von dem Großherzoge Ferdinand dem I. an die Spanier nach Neapel ausgeliefert wurde. Da gingen die Untersuchungen von neuem an, zu großer Verwunderung derer, die ihn des Betruges überführen wollten. Als ihn der spanische Unterkönig, Don Ferdinand Ruiz von Castro, Graf von Lemos, vor sich kommen ließ, trat er ihm mit großer Zuversicht unter die Augen, und weil er sahe, daß der Graf unbedeckt war, sprach er zu ihm: decket Euch, Graf von Lemos. Als dieser erwiderte, wer ihm die Macht gegeben habe, ihn mit solcher Kühnheit anzureden? soll er versetzt haben: diese Macht sei mit ihm geboren; wie er sich denn selbst so anstellen dürfe, als wenn er ihn nicht kenne? er müsse sich doch erinnern, daß sein Vetter, der König Philipp, ihn zweimal an ihn abgesandt habe, und daß der Degen, den er an seiner Seite habe, ihm damals von ihm sei geschenkt worden. Andere sagen, er habe ihn nur erinnert, daß er damals den Grafen mit einem Degen, seine Gemahlin aber mit einem Juwel beschenkt habe. Weil dies nun an sich seine Richtigkeit gehabt, habe der Graf ein ganz Bund seiner Degen, und die Juwelen seiner Gemahlin in das Zimmer bringen lassen, da unser Sebastian nicht allein die rechten Stücke gleich erkannt, und unter den andern herausgenommen, sondern auch an dem Juwel ihm gewiesen, wie man dasselbe an einem gewissen Orte eröffnen, und den darunter verborgenen Namen Sebastian, entdecken könne, welches Kunststück bisher dem Grafen und seiner Gemahlin verborgen gewesen. Der Ausgang war, daß man den Sebastian als einen Betrieger auf einen Esel setzte, ihn in Neapel schimpflich herumführte, sodann aber auf die Galeeren bringen ließ. Als er sich der Spanischen Küste näherte, ward alles in Portugal rege, so daß man ihn nach St. Lucar auf das Schloß setzen mußte, um seiner Person mehr versichert zu sein, an welchem Orte er geblieben und gestorben, ohne daß die Art seines Todes jemals recht bekannt worden.«

Dieses ist die Geschichte! Dabei aber läßt es unser Verfasser nicht bewenden, sondern stellet eine umständliche [190] Untersuchung darüber an, welche ein Meisterstück in ihrer Art ist. Es kömmt hierbei, sagt er, auf zwei Fragen an; »ob der Tod des König Sebastians dergestalt in der Gewißheit beruhe, daß man keine Ursache habe, daran weiter zu zweifeln, und wenn diese erste Frage sollte nicht können bejahet werden, ob jedoch der vierte Sebastian unter diejenigen billig gezählt werde, welche unter einem falschen Namen in der Welt eine große Rolle spielen wollen, oder ob auch dies im Zweifel beruhe.«

Kann man das erste mit Zuverlässigkeit erweisen, ist Sebastian bei Alcassar gewiß geblieben, so ist das zweite zugleich entschieden. Aber, leider, kann man jenes nicht, und aus allen Zeugnissen erhellet weiter nichts, als daß man den König eine Wunde in den Kopf bekommen und von seinem Pferde herab sinken sehen. Die Leiche, die man für die königliche, den Tag nach der Schlacht, aufgehoben, ist viel zu zerfetzt und verunstaltet gewesen, als daß sie hätte kenntbar sein können. Und haben sie gleich verschiedene von des Königs Leuten, besonders ein Sebastianus Resendius, in Gegenwart des Muley Hamet wirklich dafür erkannt, so läßt sich doch mit unserm Gebauer sehr wohl darauf antworten: »Es war wohl nichts natürlicher, als dieser Beifall. Wer hätte in des barbarischen Königs Gegenwart mit dem Resendio darüber wollen einen Streit anfangen, da nachdenkliche Leute leicht begreifen konnten, daß es dem Könige, wenn er sollte der Gefahr entflohen, oder auch unter den übrigen geringern Gefangenen annoch verborgen sein, allemal zuträglicher sei, daß man auf Mohrischer Seite seinen Tod glaube, als daß ihm nachgesetzt, oder sonst weiter nachgespüret werde.« – Es ist auch nicht zu leugnen, daß sogleich ein Ruf entstanden, der von der Walstatt aufgehobene Körper sei nicht der wahre Körper des Sebastians, sondern der Körper eines Schweizers. Die Märchen übrigens, welche, nach dem Ferreras und Thuanus, die Vermutung, als ob der König aus der Schlacht entkommen sei, fälschlich veranlaßt haben sollen, sind ohne alle Wahrscheinlichkeit.


Die Fortsetzung künftig

[191]

IX. Den 30. August 1759
Beschluß des 52sten Briefes

Und folglich läßt sich aus diesem Punkte, der anmaßliche Sebastian nicht verdammen. Aber, wenn man ihn selbst näher betrachtet, findet sich auch da keine Spur des Betruges? Keine; und hundert außerordentliche Umstände sind alle für ihn. – Er ist in den Händen der Dieci, oder der Zehnherren, zu Venedig. Sie kennen diesen strengen peinlichen Gerichtshof, dieses erschreckliche Fehmgerichte, dessen erste Regel es ist: correre alla pena, prima di esaminar la colpa. Dieses Gerichte läßt ihn drei ganze Jahre sitzen, kann in drei ganzen Jahren nichts auf ihn bringen, ob gleich die Spanier, während der Zeit, es nicht werden haben ermangeln lassen, ihm alles an die Hand zu geben, wodurch sich, hinter die Bosheit eines so listigen Feindes kommen zu können, nur einigermaßen hoffen ließ. Und da man es ihm endlich so nahe legt, daß es seinen Urteilsspruch nicht länger verweigern kann; was erkennet es? Eigentlich nichts; es will aber den Unglücklichen los sein, und befiehlt ihm, binnen acht Tagen das Venetianische Gebiete zu räumen. Binnen acht Tagen! »Das sieht, sagt unser Historicus, eher einem Verfahren ähnlich, mit dem man verunglückten Staatsdienern, oder unangenehmen Gesandten begegnet, als der Weise, nach welcher man mit schuldig erkannten Missetätern verfähret, die man durch die Gerichtsfolgen an die Grenzen bringen, und von da in die weite Welt laufen läßt.« – Es war den Venetianern hernach auch gar nicht gleichgültig, daß der Großherzog von Florenz ihren Verwiesenen anhielt, und an die Spanier auslieferte; denn der Kardinal von Ossat schreibt in einem seiner Briefe ausdrücklich, daß sie es für eine starke Beleidigung aufgenommen haben. – Nun ist er in Neapel. Aber auch da muß man ihn nicht haben überführen können; denn warum wäre man sonst glimpflicher mit ihm umgegangen, als mit den drei vorhergehenden Betriegern, die man alle eines schimpflichen Todes sterben ließ?

Ich würde Sie ermüden, wenn ich unserm Verfasser durch [192] alle kleine Umstände dieser Untersuchung folgen wollte; so interessant sie auch bei ihm selbst ist. Es ist wahr, er hätte sie ungleich interessanter machen können, wenn er nur ein klein wenig besser zu schreiben wüßte, und nicht überall den dozierenden Professor so sehr hören ließe. Aber sind wir nicht darüber schon einig geworden, daß wir unsern Gelehrten überhaupt daraus keinen Vorwurf machen wollen? Genug daß er sich überall, als den belesensten, als den sorgfältigsten und unparteiischsten Mann zeiget.

»Als den unparteiischsten? Was könnte einen Deutschen auch wohl bewegen, in einer Portugiesischen Geschichte parteiisch zu sein?« – Das könnten Sie mir nun wohl einwerfen! Aber doch glaube ich, daß sich ein Mann, der parteiisch sein kann, auch in gleichgültigen Dingen verrät. Er ist immer geneigt, sich geradezu zu erklären, und urteilet da allezeit selbst, wo er bloß seine Leser sollte urteilen lassen. – Auch gebe ich das noch nicht zu, daß in der Portugiesischen Geschichte gar nichts vorkomme, wobei ein Deutscher, aus diesem oder jenem Vorurteile, sollte es auch nur die Liebe zu seinem Volke sein, zur Parteilichkeit gereizet werden könnte.

Z.E. Wenn er von des Königs Johannes des zweiten eifrigen Bemühungen zur Aufnahme der Schiffahrt redet, gedenket er des bekannten Martin Beheims, der ihm sehr ersprießliche Dienste dabei geleistet habe. Nun wissen Sie, was verschiedene patriotische Gelehrte von diesem Nürenbergischen Geschlechter behaupten wollen; daß nämlich er, der erste wahre Entdecker der neuen Welt zu nennen sei. Sie stützten sich dabei vornehmlich auf die Zeugnisse des Ricciolus und Benzonus. Jener gibt zu verstehen, daß Beheim den Kolumbus vielleicht auf die Spur geholfen habe; und dieser sagt mit ausdrücklichen Worten, 99 daß Magellanus die in der Folge [193] nach ihm genannte Meerenge, aus einer Seekarte des Beheims habe kennen lernen. Ist es also einem Deutschen wohl zu verdenken, daß er hier einem Stüven und Doppelmayer beitritt, und mit dem Verfasser der Progrès des Allemands etc. Triumph ruft, daß seine Landesleute nicht allein die Druckerei und das Pulver, sondern auch die neue Welt entdeckt haben? Aber hören Sie, was dem ohngeachtet unser Historicus hiervon sagt: 100 »Ob übrigens Martin Beheim die neue Welt entdeckt habe, ja gar das Fretum Magellanicum gekannt, wie jenes Joh. Bapt. Ricciolus, 101 dieses aber Hieron. Benzonus bejahet, dünket mich eine sehr ungewisse Sache zu sein. Wenn Hartmann Schedel in seiner lateinischen Chronik schreibet, daß er und Jacobus Canus (der Kongo entdecket hat) über die Äquinoktiallinie hinaus und so weit gefahren, daß ihr Schatten, wenn sie gegen Osten zugesehen, ihnen zur rechten Hand gefallen; mag daraus noch nicht geschlossen werden, daß sie bis nach Amerika gekommen. Das erfährt jedermann, der nur über die Linie hinaus ist. Die alten Urkunden, welche Wülfer, Wagenseil, Stüven und Doppelmayer angezogen, sprechen davon nichts; und die größte Schwierigkeit finde ich in der an. 1492 von Beheim verfertigten Weltkugel, in welchem Jahre Kolumbus schon auf der Fahrt gewesen. Der Herr Doppelmayer hat diese Erdkugel in Kupfer vorgestellet, und je länger ich sie betrachte, je weniger finde ich, daß er den obbemeldeten großen Erfindern, Christophoro Columbo und Ferdinando Magellani ihren bis her gehabten Ruhm zweifelhaft machen können.« – – Und [194] an einem andern Orte 102 fügt er noch dieses hinzu: »Kolumbus hat also die neue Welt, Vesputius aber das eigentliche Amerika entdeckt, oder doch in der alten Welt zuerst recht bekannt gemacht. Wir Deutsche, die wir sonst recht große Erfinder sind, haben hier keinen Teil, nachdem Martin Beheims Verdienste hier nicht zulangen wollen, und müssen diese Ehre den Genuesern und Florentinern überlassen, es wäre denn, daß wir dieses vor unsere Ehre rechnen wollten, daß dieser vierte Teil der Welt dennoch einen deutschen Namen führet. Amerigo oder Americus ist nichts anders als der gute deutsche Name Emrich, und Amerika folglich so viel alsEmrichsland.«

Nach dieser unstreitigen Probe einer rühmlichen Unparteilichkeit, erlauben Sie mir, Ihnen auch noch eine Probe zu geben, wie weit unser Verfasser auch in Kleinigkeiten seine sorgfältige Untersuchung treibet. Ich wähle aber eine Stelle dazu, wo er dem ohngeachtet nicht auf den rechten Grund gekommen ist. Sie enthält die Geschichte eines bon-mot!

Herr Gebauer erzählt in dem Texte von dem Vater des itztregierenden Königs von Portugal, Johann dem fünften, daß er gegen seines Adel vielmals gesagt: »König Johann der vierte liebte euch, Don Pedro fürchtete sich für euch; allein ich, der ich Herr bin de jure et heredad, fürchte mich nicht für euch; und werde euch nicht lieben, als in so ferne euch eure Aufführung meiner königlichen Achtbarkeit würdig machet.« – In einer Note aber fügt er folgendes hinzu: »Da ich neulicher Zeit die Memoires pour servir à l'Histoire de Madame de Maintenon, die voller sonderlichen Nachrichten sind, wieder durchlaufe, bemerke ich eine Stelle, der ich hiebei gedenken muß. Es wird T. III. c. 4 von der Wiederrufung des berühmten Edikts von Nantes gehandelt, und gemeldet, daß der Erzbischof zu Paris, de Harley, der Bischof zu Meaux, Bossuet, und des Königs Beichtvater, der P. de la Chaise, König Ludwig dem XIV. in Frankreich, nachdem er angefangen fromm zu werden, die Ausrottung des Ungeheuers, das sechs seiner Vorfahren niederzulegen nicht vermocht [195] hätten, dergestalt angepriesen, daß er sich endlich beredet habe, das wahre Mittel seine Sünden zu tilgen sei, wenn er sein ganzes Reich katholisch mache. Das sei so weit gegangen, daß er gegen den Mr. De Ruvigni eines Tages sich herausgelassen habe, er wolle zufrieden sein, daß eine seiner Hände die andere abhaue, wenn die Ketzerei dadurch könne ausgerottet werden. Dieser Mr. de Ruvigni ist der berühmte Marquis von Ruvigni, Heinrich, der bei der hernach entstandenen Verfolgung mit einigen wenigen Personen erlanget, daß er mit seinem Hause das Königreich hat verlassen, und sich nach England begeben dürfen. Histoire de l'Edit de Nantes par Benoit T. III. P. II. p. 898. Er hat sich hernach in dem Irländischen, und Spanischen Sukzessionskriege unter dem Namen des Grafen von Galloway hervorgetan, zu welcher Würde ihn König William III. erhoben. Eben dieser Herr soll dem König Ludewig XIV. die Vorstellung getan haben, daß König Heinrich IV. oberwähntes Edikt gegeben, Ludewig XIII. solches erhalten, er selber es bestätiget habe, und dennoch dasselbe alle Tage durch die Erklärungen des Königlichen Rats gebrochen werde, worauf der König soll geantwortet haben: Mon grand Pere vous aimoit, mon Pere vous craignoit; pour moi, je ne vous crains ni ne vois aime. Mein Großvater liebte euch, mein Vater fürchtete euch, aber ich, ich fürchte euch nicht und liebe euch nicht. Wobei unten die geschriebenen Memoires des Bischofs von Agen angezogen werden, und der lateinische Vers beigefüget wird:


Vos dilexit avus, metuit pater, at ego neutrum.


Es wäre doch was sonderliches, wenn zween so große Könige einerlei Einfall gehabt hätten. Die Ehre der ersten Erfindung hätte König Ludewig; denn er soll das noch vor der Aufhebung des Edikts von Nantes gesprochen haben, zu welcher Zeit König Johannes von Portugal noch nicht geboren war. Daß aber dieser das sollte gewußt haben, was König Ludewig in Frankreich so lange Zeit vorher dem Marquis von Ruvigni soll gleichsam in das Ohr gesprochen haben, und solches sollte auf seine Umstände angewandt haben, ist schlechterdings unglaublich. Und bei reiferer Überlegung wird man bald merken, [196] daß das bon-mot sich besser auf König Johann und seine Großen, als auf König Ludwig und seine Hugonotten schicke. Es braucht also dies einen bessern Beweis, als noch vorhanden, zumal da bekannt, daß den Französischen Skribenten nicht ungewöhnlich ist, bei einem artigen Einfall über die historische Wahrheit weg zu schreiten. Wenigstens hat König Ludwig XIV. den lateinischen Vers nicht gebraucht, vielweniger gemacht, da er kein Wort Latein gekonnt, wie die Beweistümer davon in eben diesen Memoires de Maintenon anzutreffen sind. etc.«

Ich bin im Stande, ein Teil von den Schwierigkeiten zu lösen, die sich unser Historicus hier macht, und die er sich gewiß nicht würde gemacht haben, wenn er gewußt hätte, daß Johann V. und Ludwig XIV. ihren sinnreichen Einfall beide aus einer Quelle haben schöpfen können. Lesen Sie nämlich, was ich vonHeinrich dem vierten, zufälliger Weise, gefunden habe. Quelques uns se plaignoient que le Roy ne tiendroit point ce qu'il avoit promis aux Huguenots, sçavoir, ne feroit publier les Edicts faits en leur faveur, là où le Roy Henry le troisième son predecesseur leur avoit toujours tenu parole: il leur respondit: c'est aultre chose; le Roy Henry vous craignoit et ne vous aimoit pas; mais moi je vous aime et ne vous crains pas. Diese Stelle stehet unter den Apophthegmes de Henry le Grand, so wie sie Zinkgräf dem zweiten Teile seiner denkwürdigen Reden beigefügt und übersetzt hat. Was erhellet aber unwidersprechlicher daraus, als daß Ludwig XIV. zu dieser wirklich königlichen Rede seines Großvaters, aufs höchste nur den elenden Schwanz erfunden hat. Heinrich der vierte sagte: Mein Vorfahr fürchtete euch und liebte euch nicht; ich aber liebe euch, und fürchte euch nicht: und Ludewig XIV. fühlte sich groß genug – keines von beiden zu tun; und fromm genug – die sein Großvater geliebt hatte, zu hassen. Ein großer Verstand; ein in der Familie vom Vater auf den Sohn geerbtes Sprüchelchen so zu erweitern! Dazu hat er es auch noch verfälscht. Denn das ist zwar wahr, daß sein Vater Ludewig XIII. einfältig genug war, sich sowohl für alles, als für nichts zu fürchten; gleichwohl aber waren unter seiner Regierung die Hugonotten nichts weniger [197] als gefährlich, und sie spielten die große Rolle bei weitem nicht mehr, die sie unter dem dritten Heinrich gespielet hatten, von welchem sein Nachfolger mit Recht sagen konnte, daß er sie fürchten müssen. – Und was hindert, daß auch Johann V. diese Rede des großen Heinrichs nicht sollte gelesen haben?

G.

X. Den 7. September 1759
Drei und funfzigster Brief

Ich lief das sehr ansehnliche Verzeichnis der Schriften durch, die Herr Gebauer alle bei seinem Werke gebraucht oder angezogen hat; und vermißte von ohngefähr eine Kleinigkeit, von welcher ich gleichwohl gewünscht hätte, daß sie ihm bekannt geworden wäre. –

Sie wissen, welche Unruhen in Portugal auf die Nachricht von dem Tode des Sebastians folgten. Der Kardinal Heinrich war zu alt, war zu blödsinnig, und regierte zu kurze Zeit, als daß er das Königreich bei seinem Tode nicht in der äußersten Verwirrung hätte lassen sollen. Unter denen, welche Ansprüche auf den erledigten Thron machten, war Don Antonio einer der vornehmsten, und wie Sie sich erinnern werden, der einzige, welcher sich der Usurpation des Königs von Spanien auf eine tätliche Weise widersetzte. Diesen Herrn hat unser Historicus nun zwar nicht unter die Zahl der wirklichen Könige von Portugal gerechnet, wie es wohl die französischen und englischen Geschichtschreiber zu tun pflegen; er scheinet aber doch alles sorgfältig genug gesammelt zu haben, um uns auch diesen Durchlauchtigen Unglücklichen so kennen zu lehren, als er von der unparteiischen Nachwelt gekannt zu werden verdienet. –

Nun hat des Don Antonio Leben unter andern auch die Frau Gillot de Sainctonge beschrieben; und diese kleine Lebensbeschreibung ist es, von welcher ich mich wundere, daß sie dem Herrn Gebauer entwischen können. Der Amsterdamer Nachdruck, den ich davon vor mir habe, ist 1696 ans [198] Licht getreten, und das Pariser Original kann, vermute ich, nicht viel älter sein. – Ich kenne diese Verfasserin sonst aus einigen mittelmäßigen Gedichten, und würde eine historische Geburt von ihr schwerlich eines Anblicks gewürdiget haben, wenn sie sich nicht, gleich auf dem Titel derselben, einer besondern Quelle und eines Währmannes rühmte, der alle Achtung verdienet. Sie versichert nämlich, sich der »Memoires« des Gomes Vasconcellos de Figueredo bedienet zu haben. 103 Von diesem Manne ist es bekannt, daß er und sein Bruder die allergetreusten Anhänger des Don Antonio gewesen sind. Den letztern erkennet Herr Gebauer selbst dafür. Nur möchte er vielleicht fragen; aber wie kommen diese Memoires in die Hände der von Sainctonge? Sie wäre nicht die erste Nouvellenschreiberin, die sich dergleichen geheimer Nachrichten fälschlich gerühmt hätte. Ich selbst würde der bloßen Versichrung einer schreibsüchtigen Französin hierin wenig trauen; aber überlegen Sie diesen Umstand: eben der Gomes Vasconcellos de Figueredo, auf welchen sich die Frau von Sainctonge beruft, war ihr Großvater. Warum soll man einer Enkelin nicht glauben, wenn sie gewisse Handschriften von ihrem Großvater geerbt zu haben vorgibt? Und wenn das, was sie daraus mitteilet, an und vor sich selbst nicht unglaublich ist, noch mit andern unverdächtigen Zeugnissen streitet, was kann ein Historicus wider sie einwenden?

Erlauben Sie mir also, Ihnen in diesem Briefe verschiedenes daraus ausziehen zu dürfen, was diese und jene Stelle bei unserm Gebauer berichtigen oder in ein größers Licht setzen kann.

Vorher aber ein Wort von der Parteilichkeit der Fr. von Sainctonge. Die eheliche Geburt des Don Antonio ist bei ihr außer Zweifel. Ihr zu Folge hatte sein Vater, der Herzog Ludewig von Beja, es ausdrücklich in seinem Testamente bekannt, daß die Mutter des Antonio ihm wirklich, obgleich heimlich angetraut gewesen sei. 104 Gleichwohl sagt sie an [199] einem andern Orte, daß sich Antonio selbst, bis zu seiner Zurückkunft aus Afrika, bloß für einen natürlichen Sohn des Herzog Ludewigs gehalten habe. 105 Wenn dieses seine Richtigkeit hat, so kann jenes nicht wahr sein. Herzog Ludewig starb 1555, und die Zurückkunft des Antonio fällt in das Jahr 1568. Sollte Antonio ganzer dreizehn Jahr von dem Testamente seines Vaters nichts erfahren haben? Kurz, dieser Umstand ist falsch. Ludewig setzte den Antonio zwar zu seinem völligen Erben ein, aber diese Einsetzung beweiset für seine eheliche Geburt so viel als nichts. Wäre in dem Testamente ihrer gedacht gewesen, so würde man keinen weitern Beweis gefordert haben, den die Freunde des Antonio doch hernach umständlich führen mußten. – Was meine Geschichtschreiberin von dem Tode des Kardinal Heinrichs sagt, beweiset ihre unbedachtsame Parteilichkeit noch mehr. Der Kardinal starb in seinem 68sten Jahre, und sie sagt selbst: il etoit vieux et usé, c'en devoit etre assez pour faire juger qu'il n'iroit pas loin. Warum läßt sie es also nicht dabei? Warum läßt sie uns, außer dem Alter und der Krankheit, noch eine andere Ursache seines Todes argwohnen? Doch was argwohnen? Sie sagt mit trockenen Worten: Quelques Historiens disent que Philippes trouva le secret de l'empecher de languir. 106 Philippus erbarmte sich des kranken Heinrichs, und ließ ihn aus der Welt schaffen. Wenn sie doch nur einen von den Geschichtschreibern genennt hätte, die dieses sagen! Herr Gebauer wenigstens führt keinen an, dem diese grausame Beschuldigung eingekommen wäre; und ich sorge, die Fr. von Sainctonge wird die unselige Urheberin derselben bleiben.

So etwas macht ihr nun zwar keine Ehre; doch muß sie auch darum nicht lauter Unwahrheiten geschrieben haben. Das worin man ihr am sichersten trauen kann, sind ohne Zweifel die Nachrichten, die sie uns von dem Bruder ihres Großvaters gibt, und die Herr Gebauer bei folgender Stelle sehr wohl würde haben brauchen können. »In den Azorischen Inseln, sonderlich auf Tercera, hatte sich ein Ruf ausgebreitet,[200] König Sebastian sei nicht erschlagen, sondern entkommen, und werde sich bald seinen treuen Untertanen wieder zeigen. Als hierauf Antonius des König Heinrichs Tod und seine Erhebung denen auf Tercera wissen ließ, waren sie dessen wohl zufrieden, und ob sie gleich durch ihre Abgeordnete des Antonii Niederlage bei Alcantara und Flucht erfuhren, blieben sie doch in der Treue gegen ihren angebornen König beständig, zumal da Cyprian von Figueredo, ein standhafter Diener von dem unglückseligen Antonio, sie bei diesen Gedanken erhielt, und Petrus Valdes mit seinen Spaniern in einer Landung unglücklich war.« 107 – Herr Gebauer ist hier, wider seine Gewohnheit sehr concis, und führt auch, welches er sehr selten zu tun pflegt, ganz und gar keinen Währmann an. Er würde aber ohne Zweifel die Fr. von Sainctonge hier angeführt haben, wenn er sie gekannt hätte. Wenigstens würde er ihr in dem Vornamen des Figueredo gefolgt sein, welches eben der obgedachte Bruder ihres Großvaters war. Denn diese Kleinigkeit hat sie, aller Wahrscheinlichkeit nach, richtiger wissen müssen, als alle andere Skribenten. Sie nennet ihnScipio Vasconcellos de Figueredo; und nicht Cyprian. Er war, sagt sie, 108 Gouverneur auf Tercera, und hatte sich für den Antonio erkläret, ohne im geringsten auf die Vorschläge, die ihm der König von Spanien durch den Prinzen von Eboly, Ruy Gomes, tun ließ, hören zu wollen. Philipp II. brauchte also gegen ihn Ernst, und bemächtigte sich vors erste aller Güter, die er in Portugal hatte. Die Expedition aber, die er hierauf dem Petrus Valdes wider ihn auftrug, war nicht die einzige, welche Figueredo durch seinen standhaften Mut fruchtlos machte. Valdes oder, wie ihn die Frau von Sainctonges ohne Zweifel nicht so richtig nennet, Balde, war ein von sich selbst so eingenommener Mann, daß er glaubte, der Sieg könne ihm gar nicht fehlen. Er konnte sich nicht einbilden, daß man einen Augenblick gegen ihn bestehen könne, und behauptete doch, als es zur Tat kam, die Ehre seiner Nation sehr schlecht. Er ward gänzlich geschlagen, und kam, mit Schande und Verwirrung über[201] häuft, nach Portugal zurück. Philippus ließ ihn noch dazu in Verhaft nehmen, weil er ihm zur Last legte, daß er sich ohne seinen Befehl ins Treffen eingelassen habe; und Valdes bedurfte der kräftigsten Vorsprache aller seiner Freunde, um der ihm drohenden Gefahr zu entkommen. – Das Jahr darauf wurde ein zweiter Versuch auf Tercera unternommen, welcher noch unglücklicher ablief. Herr Gebauer scheinet von diesem gar nichts zu wissen; die Frau von Sainctonge aber erzählet folgendes davon: Der Gouverneur (Figueredo) habe so wenig Soldaten übrig gehabt, daß ein minder unerschrockener Mann als er, eher an eine vorteilhafte Kapitulation, als an die Verteidigung würde gedacht haben. Seinen Mut aber habe nichts erschüttern können; und er sei auf eine List gefallen, die von sehr guter Wirkung gewesen. Er habe nämlich eine große Anzahl Ochsen aus dem Gebirge kommen, und sie an dem Tage der Schlacht, mit brennenden Lunten auf ihren Hörnern, mitten unter dem kleinen Haufen seiner Truppen forttreiben lassen. Die Spanier, die einen sehr schwachen Feind vor sich zu finden geglaubt hätten, wären durch den Schein betrogen worden; sie hätten mit einer überlegenen Macht zu tun zu haben vermeinet, und daher mit so weniger Ordnung gestritten, daß auch eine gemeine Tapferkeit zureichend gewesen sein würde, sie zu überwinden. Das Metzeln sei erschrecklich gewesen; von allen spanischen Soldaten wären nur zwei entkommen, die sich in ein paar hohle Weiden verkrochen gehabt. Diese zwei hätten losen müssen, und der, den das glückliche Los getroffen, habe die Nachricht von dieser schrecklichen Niederlage nach Portugal überbringen müssen. 109

So glücklich nun aber Figueredo in Tercera war, so hielt es doch Antonio für noch vorteilhafter, wenn er einen so tapfern Mann beständig um sich haben könnte. Er ließ ihn folglich nach Frankreich überkommen, und vertraute Tercera dem Emanuel von Sylva an. Die Frau von Sainctonge beklagt sich, daß verschiedene Geschichtschreiber aus dieser Veränderung geschlossen hätten, Antonio müsse mit dem [202] Scipio nicht zufrieden gewesen sein, und führet dagegen eine Stelle aus einem Briefe des Antonio an den Pabst Gregorius XIII. an, worin er seiner Treue und Tapferkeit völlige Gerechtigkeit widerfahren läßt.

Nach den Erzählungen des Herrn Gebauers muß man glauben, daß sich Antonio, nachdem er sein Portugal verlassen müssen, beständig in Frankreich aufgehalten habe. Der Fr. von Sainctonge zu Folge aber, hat er sich weit öfter und länger in England aufgehalten. Seine erste Reise dahin tat er sogleich nach seiner glücklichen Entkommung aus dem Reiche, von Calais aus, wohin ihn das Enkhäusische Schiff gebracht hatte. Sie fällt in das Jahr 1581 und ich finde, daß Camden in seinem Leben der Königin Elisabeth, wie auch, aus ihm, Rapin, ihrer unter diesem Jahre gedenken. Zu seiner zweiten Reise nach England, brachten ihn die Nachstellungen, welchen er von Seiten des Königs von Spanien, während den Unruhen der Ligue, in Frankreich ausgesetzt war. Sie muß in dem Jahre 1585 geschehen sein, und die Frau von Sainctonge erzählet uns einen merkwürdigen Umstand davon, den sie aus den eigenhändigen Memoires des Don Antonio gezogen zu haben versichert. »Die Königin Elisabeth, sagt sie, lud ihn auf das inständigste ein, zu ihr nach England zu kommen. Er tat es also, und ward auf eine sehr galante Weise daselbst empfangen. Die Königin hatte eine große Anzahl von den Edelleuten ihres Hofes sich in Schäfer verkleiden lassen, und schickte sie ihm, bis auf die Höhe von Salisbury entgegen, mit dem Vermelden, daß er sich von der großen Schäferin des Landes allen möglichen Beistand zu versprechen habe. In allen Städten, wo er durch mußte, hielt man ihm den prächtigsten Einzug, so daß man ihn eher für einen Sieger, als für einen seiner Länder beraubten König hätte ansehen sollen.« – Dieser sein zweiter Aufenthalt in England dauerte bis in das Jahr 1590. Die Angelegenheiten von Frankreich hatten durch den Tod Heinrichs III. eine andere Gestalt gewonnen, und Don Antonio glaubte sich nunmehr von Heinrich dem vierten einen nachdrücklichen Beistand versprechen zu dürfen. Heinrich war damals zu Dieppe, und Don Antonio kam zu ihm herüber. Allein der [203] König dünkte sich selbst auf seinem Throne noch nicht so befestiget genug, daß er sich mit fremden Händeln abgeben könnte. Don Antonio kehrte also zwar unverrichteter Sache, aber doch mit vielen Versprechungen auf eine bequemere Zukunft, wieder nach England, wo er bis ins Jahr I594 blieb, da ihm Heinrich IV. durch seinen Gesandten, den Herrn Beauvais la Nocle versichern ließ, daß er, wenn er nach Frankreich kommen wollte, nunmehr sehr willkommen sein werde. Er ging also nach Calais über, und von da zu dem Könige nach Chartres. Heinrich bezeigte sich ungemein willig, ihm zu dienen; ließ ihm auch durch den Marschall de Matignon sagen, daß wenn er bei seiner (Heinrichs) Krönung mit gegenwärtig sein wollte, man ihm nicht allein den Vortritt dabei lassen, sondern ihn auch mit allem, was er zu dieser Zeremonie brauchen würde, versehen wollte. Don Antonio ließ sich aber mit seinem kurzen Atem entschuldigen, der ihm keinen Augenblick Ruhe gönne, und ging nach Paris, wohin ihm auch der König bald drauf folgte. Hier lag Antonio den König sehr an, ihm mit einer Summe von 26000 Talern beizuspringen; weil aber Heinrich sein bares Geld gegenwärtig selbst brauchte, so erlaubte er ihm, auf seinen Namen Geld zu borgen, und versprach es das folgende Jahr wieder zu geben. Clermont d'Amboise war bereits ernennt, die Truppen zu kommandieren, die der König dem Antonio geben wolle. Doch das Schicksal hatte es anders beschlossen, und der unglückliche Antonio starb. – Alles dieses erzählet die Frau von Saintonge, und es kann zu einer guten Ergänzung des Herrn Gebauers dienen, bei dem man, wie gesagt, auch nicht die geringste Spur findet, daß sich Antonio in England aufgehalten habe. – Was meinen Sie aber, ob es wohl Heinrichen IV. jemals ein wahrer Ernst gewesen ist, dem Antonio zu helfen, oder ob auch er eitel genung war, ihn bloß deswegen aus England kommen zu lassen, um seine Krönung durch die Gegenwart einer solchen Person glänzender zu machen? –

Das Besonderste was ich sonst bei der Frau von Saintonge finde, sind verschiedene Anekdoten, die Nachkommen des Don Antonio betreffend. Vornehmlich erzählt sie ein Liebesabenteur, [204] welches Don Ludewig, des Antonio Enkel, in Italien gehabt, sehr weitläuftig. Die Dame aber, mit welcher er es gehabt, weil er sie endlich geheiratet, kann keine andere sein, als die Prinzessin von Montelcone, mit der er sich, zu Folge der Histoire Genealogique de la Maison Royale de France, verbunden hat; wobei es mich aber wundert, daß sie die Frau von Saintonge schlechtweg une Dame Italienne nennet, und von ihrem Stande sehr kleine Begriffe erwecket. Damals muß sich Don Ludewig auch dem spanischen Gehorsame noch nicht unterworfen gehabt haben; denn der Vizekönig von Neapel war sehr erfreut, seiner habhaft zu werden. Er muß seine Ansprüche erst spät, mit seinem Vater dem Don Emanuel, aufgegeben haben, von welchem letztern die Frau von Saintonge auch meldet, daß er ein Kapuziner gewesen, ehe er diesen schimpflichen Schritt getan habe.

G.

Vierter Teil

1759

III. Den 18. Oktober 1759
Drei und sechzigster Brief

Freuen Sie sich mit mir! Herr Wieland hat die ätherischen Sphären verlassen, und wandelt wieder unter den Menschenkindern.

Hier haben Sie vors erste sein Trauerspiel »Lady Johanna Gray«! Ein Trauerspiel, das er in allem Ernste für die Bühne gemacht hat, und das auch wirklich bereits aufgeführet worden; in der Schweiz nämlich, und wie man sagt, mit großem Beifalle. Ihnen einen Begriff überhaupt davon zu machen, das werde ich nicht besser als mit einer Stelle aus des Dichters eigener Vorrede tun können. »Die Tragödie, sagt er, ist dem edeln Endzweck gewidmet, das Große, Schöne und Heroische der Tugend auf die rührendste Art vorzustellen, – sie in Handlungen nach dem Leben zu malen, und den Menschen [205] Bewunderung und Liebe für sie abzunötigen.« Von dieser Voraussetzung können Sie leicht einen Schluß auf die Charaktere und auf die Handlung seines Stücks machen. Die meisten von jenen sind moralisch gut; was bekümmert sich ein Dichter, wie Herr Wieland, darum, ob sie poetisch böse sind? Die Johanna Gray ist ein liebes frommes Mädchen; die Lady Suffolk ist eine liebe fromme Mutter; der Herzog von Suffolk ein lieber frommer Vater; der Lord Guilford ein lieber frommer Gemahl; sogar die Vertraute der Johanna, die Sidney, ist eine liebe fromme – ich weiß selbst nicht was. Sie sind alle in einer Form gegossen; in der idealischen Form der Vollkommenheit, die der Dichter mit aus den ätherischen Gegenden gebracht hat. Oder weniger figürlich zu reden: der Mann der sich so lange unter lauter Cherubim und Seraphim aufgehalten, hat den gutherzigen Fehler, auch unter uns schwachen Sterblichen eine Menge Cherubim und Seraphim, besonders weiblichen Geschlechts, zu finden. Teufel zwar erblickt er auch nicht wenige; sie verhüllen sich aber alle vor seinen Augen in finstere Wolken, aus welchen er sie nicht im geringsten zu exorzisieren sucht, aus Furcht sie möchten uns, wenn wir sie näher und in ihrer Wirksamkeit kennen lernten, ein wenig liebenswürdig vorkommen. So hat er es mit seinem Herzoge von Northumberland, und mit seinem Bischof Gardiner gehalten. Abscheulich sind sie genug; aber Schade, daß man sie nur lästern hört, ohne sie handeln zu sehen. – Lassen Sie es gut sein; wenn Herr Wieland wieder lange genug wird unter den Menschen gewesen sein, so wird sich dieser Fehler seines Gesichts schon verlieren. Er wird die Menschen in ihrer wahren Gestalt wieder erblicken; er wird sich, mit dem Homer, weit von den übertriebenen Moralisten entfernen, die sich einbilden, 110 μητε τι φαυλον αρετη προσειναι, μητε κακια χρησον; er wird finden, daß εν τοις πραγμασι και τω βιω των πολλων der Ausspruch seines Euripides wahr sei:


Ουκ αν γενοιτο χωρις εσϑλα και κακα.
Αλλ' εσι τις συγκρασις.

[206] Und alsdenn, wenn er diese innere Mischung des Guten und Bösen in dem Menschen wird erkannt, wird studieret haben, alsdenn geben Sie Acht, was für vortreffliche Trauerspiele er uns liefern wird! Bis itzt hat er den vermeinten edeln Endzweck des Trauerspiels nur halb erreicht: er hat das Große und Schöne der Tugend vorgestellt, aber nicht auf die rührendeste Art; er hat die Tugend gemalt, aber nicht in Handlungen, nicht nach dem Leben.

Ich werde mich in keine Kritik über den Plan seiner Johanna Gray einlassen. Ich finde, daß die Verfasser der »Bibliothek« es bereits getan haben; 111 und es so getan haben, daß die Kritik selbst damit zufrieden sein muß. Ich unterschreibe ihren Tadel; noch lieber aber ihr Lob, das sie dem Stücke in Ansehung des Sylbenmaßes, des Stils, des Vortrags erteilet haben. Alles was mir also Ihnen davon zu sagen übrig geblieben, bestehet in einigen Anmerkungen, die denSchöpfergeist des Herrn Wielands in ihr Licht setzen sollen.

Die Geschichte der Johanna Gray ist Ihnen bekannt. Eduard VI. starb den 6ten Julius 1553. Fünf Tage darauf ward Johanna zur Königin ausgerufen. Sie besaß den Thron neun Tage, und ward gefänglich in den Tour gesetzt, wo sie den 12ten Februar des folgenden Jahres hingerichtet ward. – Diesen ganzen Zeitraum von sieben Monaten hat Herr Wieland in die Dauer seines Trauerspiels einzuschränken gewußt. Eduard stirbt: erster Aufzug. Johanna wird Königin:zweiter Aufzug. Johanna wird abgesetzt und gefangen genommen: dritter Aufzug. Johanna ist gefangen:vierter Aufzug. Johanna wird hingerichtet: fünfter Aufzug. Alles dieses rollt bei dem Herrn Wieland so geschwind hinter einander weg, daß der Leser nicht mehr als ein einziges mal, zwischen dem vierten und fünften Aufzuge nämlich Zeit zu schlafen bekömmt.

Doch lassen Sie mich nicht, wie ein Gottschedianer kritisieren! Der Dichter ist Herr über die Geschichte; und er kann die Begebenheiten so nahe zusammen rücken, als er [207] will. Ich sage: er ist Herr über die Geschichte! Wir wollen sehen ob Herr Wieland diese Herrschaft in mehrern und wesentlichern Stücken zu behaupten gewußt hat.

Johanna war ein gelehrtes Mädchen. Sie verstand Griechisch, und konnte den Plato in der Grundsprache lesen. Das sagt die Geschichte, und Herr Wieland sagt es der Geschichte nach, ob er gleich von dieser Eigenschaft seiner Heldin in dem Stücke nicht den geringsten Vorteil ziehet.


––Nimmer werden uns
Bei Platons göttlichen Gesprächen
Die holden Stunden zu Minuten werden!

läßt er das Mädchen ausrufen; und der Leser macht sich in allem Ernste Hoffnung, sie eine Stelle aus dem »Phädon« exponieren zu hören. Aber seine Hoffnung schlägt fehl, und endlich denkt er, das eitle Mädchen habe mit ihrer Gelehrsamkeit nur prahlen wollen. Sie ist ohnedem eine Erzpedantin, der manchmal weiter nichts fehlt, als daß sie noch Hauptstück und Seite zitiere! Man höre nur:


–Was Gut, was Schön, was Edel ist,
Was erst den Menschen, denn den König bildet,
Des ersten Edwards väterlicher Sinn
Zu seinem Volk, und Richards Löwenmut,
Der kluge Geist des Salomons der Briten,
Das ganze Chor der Schwester-Tugenden
Die einst sich Alfreds Brust zum Tempel weihten,
Befruchteten sein Herz. Wie Davids Sohn
Bat er von Gott nicht Macht, nicht Ruhm, nicht Gold,
Er bat um Weisheit und er ward erhört!
Umsonst erbot ihm mit Syrenenlippen
Die Wollust ihre schnöden Süßigkeiten.
Wie Herkules, verschmäht er sie und wählte
Der Tugend steilen Pfad, den Weg der Helden!

Welch eine gelehrte Parentation auf ihren Mitschüler! Von allen ist etwas darin: vaterländische Historie, Bibel und Mythologie!

Die Geschichte sagt ausdrücklich, daß Johanna vornehmlich [208] durch das ungestüme Zusetzen ihres Gemahls, des Guilford Dudley, sei bewogen worden, die Krone anzunehmen. Auch der Dichter adoptiert diesen häßlichen Umstand, der uns von dem Guilford eine sehr nichtswürdige Seite zeiget. Wenn Guilford seine Gemahlin bittet, den Thron zu besteigen, was bittet er anders, als ihn nachzuheben? Diese schimpfliche Eigennützigkeit reimet sich zu dem edeln Charakter, den Herr Wieland dem Guilford sonst gegeben hat, im geringsten nicht.

Ferner sagt die Geschichte, daß der Herzog von Northumberland als der feigste Bösewicht gestorben sei, und noch auf dem Blutgerüste seinen Glauben verleugnet habe. Herr Wieland will dieses nicht um sonst gelesen haben; er bringt es an, ohne zu überlegen, daß der Anteil, welchen der Zuschauer an dem Schicksale seiner Johanna nimmt, unendlich dadurch geschwächt werde. Denn nunmehr, wie die Verfasser der »Bibliothek« mit Recht sagen, ist Johanna mehr eine betrogene, als eine verfolgte Unschuld, die sich mehr über die Ihrigen, als über ihre Feinde zu beklagen hat.

Und so könnte ich Ihnen noch mehr als einen Umstand anführen, den Herr Wieland ganz roh aus der Geschichte genommen hat, und der, so wahr er immer ist, dem Interesse seines Stücks schnurstracks zuwider läuft. Heißt das, als ein Genie arbeiten? Ich meinte, nur der Verfasser der »Parisischen Bluthochzeit« stehe in dem schülerhaften Wahne, daß der Dichter an einer Begebenheit, die er auf die tragische Bühne bringen wolle, weiter nichts ändern dürfte, als was mit den Einheiten nicht bestehen wolle, übrigens aber genau bei den Charakteren, wie sie die Geschichte von seinen Helden entwirft, bleiben müsse.

Aber wozu alle diese Anmerkungen? Das Trauerspiel des Herrn Wielands muß dem ohngeachtet ein vortreffliches Stück sein; und davon überzeugt mich ein ganz besonderer Umstand. Dieser nämlich: ich finde, daß die deutsche Johanna Gray in ihrem wahren Vaterlande bekannt geworden ist, und da einen englischen Dichter gereizt hat, sie zu plündern; sie recht augenscheinlich zu plündern. Die englischen Highwaymen aber berauben, wie bekannt, nur [209] lauter reiche Beutel und machen sie auch selten ganz leer. Folglich! –

Sollte nicht Milton auch einen Deutschen geplündert haben? Gottsched triumphierte über diese vermeintliche Entdeckung gewaltig! Aber es war eine Calumnie, und Gottsched hatte zu zeitig triumphiert. Hier will ich ihm also mit einem bessern, gegründetern Beispiele an die Hand gehen? wie gern sich die englische Biene auf unsern blumenreichen deutschen Auen treffen läßt. Einfältig muß unterdes mein englischer Plagiarius nicht sein; denn er hat sich darauf verstanden, was gut ist. Z E. die vortreffliche Stelle, wo Johanna zu ihrer Mutter sagt:


– – – Doch wenn Edward wirklich
Berechtigt war, die Kron auf Heinrichs Schwesterkinder
Zu übertragen, ist die Reihe denn
An mir? – – Was müßte meine Mutter sein,
Eh mir der Thron gebührte?
und ihre Mutter antwortet:
– – – Deine Mutter!
Und stolzer auf den Titel deiner Mutter
Als auf den Ruhm die glänzende Monarchin
Der ganzen Welt zu sein!

Diese vortreffliche Stelle, sage ich, die so hervorsticht, daß alle Rezensenten des Wielandischen Stücks sie ausgezogen haben, hat sich der Engländer fein eigen gemacht. Er übersetzt sie so:


Ev'n you my gracious Mother, what must you be
Ere i can be a Queen?
DUCHESS OF SUFFOLK. That, and that only,
Thy Mother; fonder of that tender Name,
Than all the proud Additions Pow'r can give.

Der Beschluß künftig

[210]

IV. Den 25. Oktober 1759
Beschluß des drei und sechzigsten Briefes

Nicht schlimm übersetzt! Gewiß, man sieht, der Engländer muß ein Mann sein, der etwas eben so schönes eben so wohl aus seinem eigenen Kopfe hätte sagen können. Vergleichen Sie noch folgende Stellen, und Sie werden finden, daß er Herr Wielanden, in der Wahl der edelsten und stärksten Ausdrücke, fast erreicht hat.

Wieland

– – – Ach, Kerkerbande
Und Schwert und Flammen sind den Heiligen
Gedräut, den unbeweglichen Bekennern
Des Evangeliums! Die Grausamkeit
Der Priester schont des schwächeren Geschlechts
Der Kinder nicht! Der Säugling selber wird
Des Speers geweihtes Eisen färben! –

Der Engländer

Persecution,
That Fiend of Rome and Hell, prepares her Tortures;
See where she comes in Mary's priestly Train!
Still wo't thou doubt, till thou behold her stalk,
Red with the Blood of Martyrs, and wide wasting
O'er Englands Bosom? All the mourning Year
Our Towns shall glow with unextinguish'd Fires;
Our Youth on Racks shall stretch their crackling Bones,
Our Babes shall sprawl on consecrated spears etc.

Wieland

Heil dir, Prinzessin, Heil dir, Enkelin
Von alten Königen, du schönste Blume
Von Yorks und Lancasters vereintem Stamme!
Durch deren Eifer, unter deren Schutze
Die göttliche Religion der Christen
Ihr leuchtend Angesicht, von ihren Flecken
Gereinigt, siegreich über alle Länder
Erheben soll, durch deren klugen Scepter
Gesetz und Freiheit, Fleiß und Überfluß
Und Wonne diese segensvolle Insel
[211]
Zur Königin der Erde krönen sollen.
Mein Knie beugt sich zuerst dir ehrfurchtsvoll,
Den Bund der unverletzten Treu zu weihen!
Heil, Ruhm und Glück der Königin Johanna!

Der Engländer

Hail, sacred Princess! sprung from ancient Kings,
Our England's dearest Hope, undoubted Offspring
Of York and Lancaster's united Line;
By whose bright Zeal, by whose victorious Faith
Guarded and fenc'd around, our pure Religion,
That Lamp of Truth which shines upon our Altars,
Shall lift its golden Head and flourish long;
Beneath whose awful Rule, and righteous sceptre,
The plenteous Years shall roll in long Succession;
Law shall prevail and ancient Right take place,
Fair Liberty shall lift her chearful Head,
Fearless of Tyranny and proud Oppression;
No sad Complaining in our streets shall cry,
But Justice shall be exercis'd in Mercy.
Hail, royal Jane etc.

Wieland

Verwünscht sei mein fataler Rat! Verwünscht
Die Zunge, die zu deinem Untergang
So wortreich war. – Ach meine Tochter,
Mir bricht mein Herz.

Der Engländer

Curs'd be my fatal Counsels, curs'd my Tongue
That pleaded for thy Ruin, and persuaded
Thy guiltless Feet to tread the Paths of Greatness!
My Child! – I have undone thee!

Genug! Leben Sie wohl; und lernen Sie hieraus, wie bekannt wir deutschen Dichter unter den Engländern sind.

G.

Vier und sechzigster Brief

So? Vermuten Sie, daß hinter meinem Engländer, der den Herrn Wieland soll ausgeschrieben haben, eine kleine Bosheit stecke? Sie meinen doch wohl nicht, daß ich, ein zweiter Lauder, die englische Verse selbst gemacht habe? Allzuviel [212] Ehre für mich! Nein, nein; mein Engländer existieret; und heißt – Nicholas Rowe. Was kann Herr Wieland dafür, daß Nicholas Rowe schon vor vierzig und mehr Jahren gestorben ist?

Aber Scherz bei Seite! Es sei fern von mir, dem Herrn Wieland ein Verbrechen daraus zu machen, daß er bei seinem Stücke einen der größten englischen Dichter vor Augen gehabt hat. Mich befremdet weiter nichts dabei, als das tote Stillschweigen, welches er wegen dieser seiner Nachahmung beobachtet. Und wenn er dem Rowe nur noch bloße einzelne Stellen zu danken hätte! Allein so hat er ihm auch den ganzen Plan zu danken; und ich kann ohne die geringste Übertreibung behaupten, daß fast keine einzige Situation sein eigen ist. – Sie hiervon zu überzeugen, erlauben Sie mir, Ihnen den Plan der englischen Johanna Gray mit wenigen vorzuzeichnen.

Edward lebt noch, und Johanna Gray ist mit ihrem Guilford noch nicht vermählet. Von diesem Punkte gehet Rowe aus. Die Herzoge von Northumberland und Suffolk, nebst einem gewissen Johann Gates eröffnen die Szene. Wir erfahren, daß der König in den letzten Zügen lieget, und daß der Herzog von Northumberland bereits seine Maßregeln genommen hat, die Nachfolge der päpstischen Maria zu verhindern. Die Gegenwart der Johanna ist dazu unumgänglich nötig; und der Herzog von Suffolk gehet ab, ihre Ankunft bei Hofe zu beschleinigen; so wie kurz zuvor Gates abgehet, ihre Freunde auf allen Fall in Bereitschaft zu halten. Northumberland verrät in einer Monologue weitaussehende Anschläge, deren glücklicher Fortgang vornehmlich darauf beruhe, daß Johanna, noch vor Edwards Absterben, mit seinem Sohne, dem Guilford vermählt werde. Der Graf von Pembrock kömmt dazu; ein junger hitziger Mann, den Northumberland durch Schmeicheleien zu gewinnen sucht. Pembrock stutzt darüber um so vielmehr, da er der erklärte Nebenbuhler seines Sohnes ist. Doch der alte Herzog versichert ihm, daß diese Sache zu klein sei, als daß sie seiner Achtung gegen ihn das geringste benehmen könnte, sie möge auch einen Ausgang haben, was für einen sie wolle. Er geht ab, und sagt, [213] daß er des Pembrocks im geheimen Rate erwarte. Pembrock bleibt allein und spottet des alten Bischofs Gardiner, der nicht aufhöre, ihm den Northumberland als einen falschen Mann abzumalen, ohne Zweifel aus bloßem Hasse gegen die neue Religion, welcher der Herzog zugetan sei. Er hält den Vater für eben so aufrichtig und edelgesinnt als den Sohn, mit dem er, ihrer Rivalität ungeachtet, eine vertraute Freundschaft unterhält. Guilford kömmt, und ihre Freundschaft ist ihr Gespräch. Guilford zittert, daß diese einen so gefährlichen Feind an ihrer beiderseitigen, auf eben denselben Gegenstand abzielenden Liebe haben müsse! Pembrock kann den Gedanken nicht ertragen, daß Johanna ihm den Guilford vielleicht vorziehen möchte. Er wird in den geheimen Rat gerufen, und bedingt sich von seinem Freunde nur noch dieses, daß sie in ihrer gemeinschaftlichen Bewerbung offenherzig und ohne die geringste Hinterlist, zu Werke gehen wollen. Guilford bleibt zurück, und empfängt die Johanna, die nunmehr bei Hofe anlangt. Sie haben ein kurzes Gespräch, in welchem sich, ungeachtet der Traurigkeit über den nahen Tod ihres königlichen Freundes, die Liebe der Johanna gegen den Guilford zeiget. – Aus diesem Aufzuge hat Herr Wieland nichts entlehnen können, indem er mit der Geschichte so weit nicht zurückgegangen ist. Die Person des Pembrocks aber hat er aus seinem Stücke ganz und gar auszuschließen für gut befunden: als eine Person, ohne Zweifel, die in der Geschichte eine ganz andere Rolle spielet. Den Grafen Wilhelm Herbert von Pembrock kann Rowe schwerlich darunter verstehen; er muß vielmehr den Sohn dieses Grafen meinen, welcher nachher mit der jüngern Schwester der Johanna vermählt ward.

Den zweiten Aufzug eröffnen abermals Northumberland und Suffolk. Die Väter haben nunmehr die Verbindung ihrer Kinder verabredet. Die Herzogin von Suffolk und Guilford kommen dazu. Guilford ist in der äußersten Entzückung über sein nahes Glück. Sie gedenken der Johanna, die an dem Bette des sterbenden Königs weine. Indem tritt sie herein, und verkündiget den Tod desselben. – Die letzte Rede des Königs ist bei dem Herrn Wieland folgende:


[214]
O Gott, – –
– nimm mich zu dir.
Nimm meinen Geist aus dieser Welt des Abfalls
Zu dir und zu den Geistern, die dich lieben,
Und deinen Willen tun. – O meine Seele
Lechzt lange schon, dein Angesicht zu schauen!
Du, Vater, weißest es, wie gut mirs wäre,
Bei dir zu sein! Und doch um derer willen,
Die zu dir weinen, laß mich länger leben!
Noch leben, bis das große Werk vollbracht ist,
Dein Reich in Englands Grenzen fest zu gründen.
Doch nicht mein Will, o Vater, sondern deiner
Gescheh! etc. –

In dieser Stelle hat Herr Wieland dem Rowe nichts zu danken; sie ist ganz sein! Rowe glaubte, ohne Zweifel, daß ein sterbender König sich nicht wie eine sterbende alte Frau ausdrücken müsse, und legt ihm pathetischere Worte in den Mund:


–Merciful, great Defender!
Preserve thy holy Altars undefil'd.
Protect this Land from bloody Men and Idols,
Save my poor People from the Yoke of Rome
And take thy painful servant to thy Mercy!

Northumberland und Suffolk beschließen, den Tod des Königs geheim zu halten, trösten die Johanna, und lassen sie mit ihrem Guilford allein, der ihr den gefaßten Entschluß, wegen ihrer schleinigen Verbindung, beibringen soll. Guilford tut es auf die zärtlichste und selbst ihrer Traurigkeit schmeichelhafteste Art. Eine sonderbare Szene! Johanna tritt ab, und auf einmal wird Guilford von seinem Freunde überrascht. Pembrock sieht ihn verwirrt, und will die Ursache seiner Verwirrung wissen. Guilford sucht ihn allmählich darauf vorzubereiten; endlich muß er mit dem Geheimnisse heraus, daß ihm sein gutes Glück bei ihrer Geliebten den Vorzug verschafft habe. Pembrock gerät in Wut, beschuldiget ihn eines verräterischen Verfahrens, daß er, wider ihre Abrede, [215] auf eine unedle Art seine Hoffnung untergraben habe, und geht in völliger Raserei ab.

Die Szene war bisher bei Hofe gewesen, und nunmehr, mit dem Anfange des dritten Aufzuges, verlegt sie der Dichter in den Tower. Gardiner der daselbst in einem weiten Verhafte gehalten wird, unterredet sich mit dem Pembrock. Der Bischof hat erfahren, daß die Vermählung zwischen der Johanna und dem Guilford wirklich vor sich gegangen, und zieht den Pembrock dadurch völlig auf seine und der Maria Seite. Sie treten ab, und Guilford führet seine Johanna herein, weil der geheime Rat sich in dem Tower versammeln will. Er bereitet sie auf die große Nachricht vor, die sie nun bald erfahren soll. Kurz darauf erscheint ihre Mutter, ihr Vater, der Herzog von Northumberland, nebst anderen Herren des geheimen Rats, und der edle Streit nimmt seinen Anfang, mit welchem Herr Wieland seinen ganzen zweiten Aufzug anfüllet. Hier ist es, wo er dem Engelländer das meiste abgeborgt hat.

Die erste Szene des vierten Aufzuges haben wiederum Pembrock und Gardiner. Sie versprechen sich beide, daß das Unternehmen des Northumberland einen blutigen Ausgang haben werde. Indem erscheint die Wache, und führt den Bischof auf Befehl der neuen Königin in eine engere Haft. Auch Pembrock soll abgeführet werden, aber Guilford kömmt dazu, schickt die Wache ab, und sagt, daß er selbst für diesen Gefangenen stehen wolle. Er war gekommen, sei nen Freund zu retten, gibt ihm seinen Degen wieder, und dringt in ihn, daß er sich augenblicklich in Sicherheit begeben soll. Der ergrimmte Pembrock ist über dieses Verfahren betroffen, und will der Großmut seines Freundes lange nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen bis ihm dieser den Befehl seines eignen Vaters zu seiner plötzlichen Hinrichtung zeiget, welchen er auf keine andere Weise, als durch die anscheinende Gefangennehmung, zu vereiteln gewußt habe. Nun kömmt Pembrock auf einmal wieder zu sich, und es erfolgt die rührendste Aussöhnung, bei der man sich unmöglich der Tränen enthalten kann. Kaum aber ist Pembrock fort, als Johanna mit einem Buche in der Hand (es ist der [216] »Phädon« des Plato) herein tritt. Die Katastrophe ist ausgebrochen, und sie beruhiget sich mit Betrachtungen über die Unsterblichkeit der Seele. Diese Szene ist es, welche sich Herr Wieland hätte zu Nutzen machen müssen, wenn seine Heldin nicht vergebens von ihrer Gelehrsamkeit geschwatzt haben sollte. Guilford erfährt von ihr, daß sie der geheime Rat verlassen und sich zu der Maria begeben habe. Die Herzogin, ihre Mutter, kömmt dazu; sie jammert; Guilford tobet, und Johanna bleibt ruhig. Indem erscheinen der Graf Sussex und Gardiner mit der Wache, und nehmen alle drei, im Namen der Königin Maria, gefangen.

In dem fünften Aufzuge erblicken wir den geschäftigen Bischof, der zur Hinrichtung der Gefangenen die nötigen Befehle erteilet. Zu ihm kömmt Pembrock. Seine mit dem Guilford erneuerte Freundschaft hat ihn nicht müßig gelassen; er hat bei der Königin, für die Gefangenen Gnade ausgewirkt, und gibt dem Gardiner frohlockend davon Nachricht. Doch das ist im geringsten nicht nach des Bischofs Sinne, er eilet also zur Maria, ihr diese unzeitige Gnade auszureden; und Pembrock begibt sich zu seinem Guilford. Itzt wird die hinterste Szene aufgezogen, und man sieht die Johanna auf ihren Knien liegen und beten. Guilford tritt zu ihr herein. Sie unterhalten sich mit Todesbetrachtungen, als Pembrock kömmt und ihnen seine fröhliche Botschaft bringet. Nur einen Augenblick glänzet ihnen dieser Strahl von Hoffnung. Gardiner erscheinet, und bekräftiget zwar die Gnade der Königin, aber bloß unter der Bedingung, daß sie beide zur römischen Kirche zurückkehren sollen. Diese Bedingung wird abgeschlagen; sogleich wird Guilford zum Tode geführet; die Szene eröffnet sich noch weiter; man erblickt das Blutgerüste; Johanna besteiget es, als eine wahre Heldin; Gardiner triumphieret; Pembrock verwünscht den Geist der Verfolgung; und das Stück schließt.

Nunmehr sagen Sie mir, was Herr Wieland mit diesem großen Plane anders gemacht hat, als daß er einen prächtigen Tempel eingerissen, um eine kleine Hütte davon zu bauen? Er hat die rührende Episode des Pembrocks herausgerissen, und die letzten drei Aufzüge in fünfe ausgedehnet, [217] durch welche Ausdehnung, besonders des fünften Aufzuges in seine beiden letzten, die Handlung ungemein schläfrig geworden ist. Herr Wieland läßt dem Guilford an einem Orte zur Johanna sagen:


Und selbst, o Scheusal, deine Räte selbst,
Die kaum mit aufgehabnen Händen schwuren,
Dir, dem Gesetz und unserm heilgen Glauben
Getreu zu bleiben, alle sind Verräter,
Verdammte Heuchler! – Pembrock, ach! mein Freund,
Mein Pembrock selbst, vom Gardiner betrogen,
Fiel zu Marien ab.

Man weiß gar nicht, was das für ein Pembrock hier ist, und wie Guilford auf einmal eines Freundes namentlich gedenket, der in dem Stücke ganz und gar nicht vorkömmt? Aber nun werden Sie dieses Rätsel auflösen können. Es ist eben der Pembrock des Rowe, dem er in seinem Stücke keinen Platz gönnen wollen, und der ihm dafür den Possen tut, sich, gleichsam wider seinen Willen, einmal einzuschleichen.

G.

V. Den 2. November 1759
Fünf und sechzigster Brief

Den Einfall des Herrn Professor Gottscheds, seinen Kern der deutschen Sprachkunst den sämtlichen berühmten Lehrern der Schulen in und außer Deutschland, zuzuschreiben, muß man ihn nicht für einen recht unverschämten Kniff eines gelehrten Scharlatans halten? Denn was ist diese Zuschrift anders, als ein Bettelbrief, seine Grammatik zu einer klassischen Grammatik deswegen machen zu helfen, weil sie in vier Jahren dreimal gedruckt worden, und der Herr Autor darüber ein Kompliment aus Wien und aus Chur im Graubündnerlande erhalten hat? Wenn der Name des Verlegers unter dieser Zuschrift stünde, so würde ich weiter nichts daran auszusetzen haben, als daß dieser vergessen, den Herren [218] Rektoren und Konrektoren in jedes Dutzend Exemplare, die ihre Schüler verbrauchen würden, das dreizehnte gratis obenein zu versprechen. Aber daß sich Gottsched selbst durch seine blinde Eitelkeit zu diesem Schritte verleiten lassen, das muß ihn notwendig in den Augen aller Rechtschaffenen nicht bloß lächerlich, es muß ihn verächtlich machen. Denn wenn es auch schon unwidersprechlich wäre, daß seine Sprachkunst, vor allen an dern in den Schulen eingeführt zu werden, verdiente; hätte ein großer Mann, wie er sein will, – denn alle große Männer sind bescheiden – einen dergleichen Vorzug nicht vielmehr in der Stille abwarten, als ihn zu erschleichen suchen sollen? –

Aber die berühmten Lehrer der Schulen, wie haben die sich dabei verhalten? Sehr leidend; doch scheinet es eben nicht, daß sie so leicht zu bestechen gewesen sind. Und in der Tat wäre es für den Herrn Professor selbst sehr zu wünschen, daß sie sämtlich ganz und gar nicht auf seine Zuschrift reflektieret hätten. Denn ich sorge, ich sorge, man fängt auch schon auf kleinen Schulen an, den berühmten Gottsched – auszulachen. Wenn nun der Lehrer das Büchelchen, über welches er zu lesen gebeten worden, auf allen Seiten verbessern und widerlegen muß, was für eine Achtung können die Schüler für den Professor mit auf die Universität bringen?

Und daß jenes zum Teil wirklich geschehen, beweisen unter andern die Anmerkungen, welche Herr Heinz, Rektor zu Lüneburg, über die Gottschedische Sprachlehre vor kurzen ans Licht gestellt hat. 112 »Da das Werk, hebt er seine Vorrede an, welches diese Anmerkungen veranlaßt hat, den Schulen gewidmet und zugeschrieben war: so hat, deucht mir, der berühmte Verfasser, wenn er uns anders so viel zutrauet, schon längst eine Kritik darüber vermuten müssen: und da unter so vielen Schullehrern sich doch, meines Wissens, [219] keiner dazu entschlossen hat, so dürfte ich mir wohl ohne Eitelkeit den Vorzug anmaßen, daß ich die Aufmerksamkeit desselben auf die Schulen, unter allen mit der größten Achtung erwidert habe.« – In diesem schleichenden Tone eines trocknen naiven Mannes, fährt Herr Heinz fort, und gestehet endlich, daß freilich seine ganze Beurteilung so ausgefallen, daß ihm der Herr Verfasser schwerlich Dank dafür wissen könne. »Ich verlange, sagt er, auch nichts unmögliches: berufe mich aber schlechterdings darauf, daß sie nicht anders geraten können, und daß sie gerecht sei.«

Ich möchte meinen Brief am aller ungernsten mit grammatikalischen Streitigkeiten anfüllen; und Sie wollen überhaupt, nicht so wohl diese Streitigkeiten selbst, als vielmehr bloß das Resultat derselben wissen. Hören Sie also, wie Herr Heinz seine ganze Kritik schließt. 113 »Wollen wir, sagt er, noch kürzlich zusammenrechnen, ehe ich meinen Skribenten verlasse? so ist, deucht mir, durch die bisherige Prüfung folgendes wohl ganz ausgemacht: daß beide Sprachlehren des Herrn Prof. wohl schwerlich mit Einsicht und reifer Gelehrsamkeit geschriebene Werke heißen können: daß sie ohne Kritik beinahe unbrauchbar sind, wegen der gar zu vielen Fehler, welche doch teils durch die ausnehmende Zuversicht, womit Herr G. seine Meinungen vorträgt, teils durch den ihm gewöhnlichen Dunst von Worten, teils durch das Gepränge einer eiteln und magern Philosophie, vor unwissenden und treuherzigen Lesern ziemlich versteckt werden. Ein Gelehrter wird nirgends etwas finden, das die gewöhnliche Erkenntnis der deutschen Sprache überstiege, und woraus ein grammatikalischer Geist, oder ein Naturell, das zur Philologie geboren, oder erzogen wäre, hervorleuchtete. An dessen statt offenbaret sich durch das ganze Werk eine enthusiastische Liebe und eigensinnige Parteilichkeit des V. für die deutsche Sprache, oder vielmehr für seine Meinungen und Vorurteile von derselben, nebst einem allzugroßen Vertrauen auf seine Einsicht, welche oft in unbedächtige Urteile und schnöde Verachtung gegen angesehene Schriftsteller, oder [220] gar gegen unschuldige Städte und Provinzen ausbrechen. Wenn andere Sprachlehrer mit ihm einerlei Frage abhandeln, so wiegt er immer am leichtesten: und der Mangel des Scharfsinnes, der Überlegung, und einer genugsamen Übung in diesem Felde, ist allen seinen Urteilen anzusehen. Die große Grammatik hat vor der andern sonst nichts voraus, als die Weitläuftigkeit, mit welcher die Sachen nicht gründlicher, vollständiger, gelehrter, sondern gedehnter, langweiliger, und in einem gewissen schlechten Verstande, philosophischer gesagt sind. Zur Probe kann das Kapitel von Nebenwörtern dienen; aber auch jedes andere Stück. Sie macht durchgängig viel Aufhebens von Kleinigkeiten, und tut, als ob vor ihr nicht nur keine Deutsche, sondern überall noch keine Sprachlehre geschrieben wäre; und als ob sie alle grammatikalische Begriffe und Einteilungen zuerst aus dem tiefen Brunnen, worin die Wahrheit verborgen liegt, herausholete, welches in der Tat weder Gelehrsamkeit noch Bescheidenheit beweiset. Freilich hätte man denken sollen, daß Hr. G. viel weiter sehen würde, als alle seine Vorgänger: da er sich nicht weniger als vier und zwanzig Jahr zur Ausarbeitung seiner Grammatik genommen, wie das Privilegium und die Vorrede bezeugen. Aber der Leser wird angemerkt haben, daß ich unsern V. oft aus Bödickern und Frischen verbessern können: hingegen zur Verbesserung dieser Männer aus Gottscheden wüßte ich auch nicht eine Stelle anzugeben. Ist das aber recht, seiner Vorgänger Verdienste zu unterdrücken, und ihre Bücher der Jugend aus den Händen zu spielen, wenn man es ihnen nicht einmal gleich tut? Wenn uns Deutschen nicht so gar leicht Genüge geschähe, so würde der Herr Prof. mit seiner lange erwarteten neuen Sprachlehre schwerlich eine andere Aufnahme erfahren haben, als ehemals ein gewisser Poet in Frankreich mit seinem Heldengedichte. Weil aber Herr G. alles mit der Erwartung seiner Grammatik angefüllt hatte, so wurden unsere alten wohlverdienten Sprachlehrer wenig gelesen, sondern die meisten sparten ihren Appetit nach grammatikalischer Erkenntnis auf das große Mahl, so er ihnen bereitete, und das ist wohl die Ursache des großen Beifalles, womit die neue Sprachlehre aufgenommen [221] worden. Was mag er aber in so lieber langer Zeit daran gebauet und ausgefeilet haben! da doch noch itzo nach so vielen gelehrten Erinnerungen so vieler Gönner und Freunde, wie in der andern Vorrede stehet, und nun nach so viel wiederholten Auflagen, gleichwohl noch so viel, ich mag wohl sagen, kindische Fehler darin sind? – Herr Gottsched, schließet er endlich, hätte daher viel besser getan, wenn er doch ein Sprachlehrer werden wollte, daß er die Bödikerischen und Frischischen Grundsätze bloß in bequemere Ordnung gebracht hätte. Ich will damit nicht sagen, daß ers hätte tun sollen, denn meiner Meinung nach, mußte er gar keine Sprachlehre schreiben: weil die grammatische Muse, nach so vielen feindseligen Angriffen, welche er in dem Baylischen Wörterbuche, und sonst überall, auf sie selbst, und auf ihre größten Günstlinge getan hatte, ihm von je her, nicht anders, als gehässig sein konnte.«

Was sagen Sie hierzu; vorausgesetzt, daß Herr Heinz ein ehrlicher Mann ist, der im geringsten nichts übertreibt? (Wenn Sie es nicht voraussetzen wollen, so glauben Sie es so lange auf mein Wort, bis Sie Lust bekommen, sich selbst davon zu überzeugen.) Wird es Ihnen noch wahrscheinlich sein, daß einer, ob er schon ein magrer Philosoph, und ein schlechter Dichter ist, dennoch wohl eine gute Sprachkunst schreiben könne? Oder gestehen Sie es nun bald, daß ein seichter Kopf nirgends erträglich ist?

Und Herr Professor Gottsched muß es selbst gefühlt haben, daß ihm dieser Gegner ein wenig zu sehr überlegen sei! Sie glauben nicht, wie seltsam er sich in seinem Neuesten 114 gegen ihn gebärdet! Ohne sich auch nur auf einen einzigen Tadel einzulassen, eifert und sprudelt er da etwas her, woraus kein Mensch klug werden kann; und begegnet dem Rektor mit einem so groben Professorstolze, als verhielte sich der Rektor zum Professor, wie der Schüler zum Rektor; da doch das Verhältnis in diesem Falle grade umgekehrt ist. »Hier steht abermal,« ruft er mit vollem Maule aus, »hier steht abermal ein Grammatiker auf, der an Herrn Prof. Gottscheds [222] Sprachkunst zum Ritter werden will. Herr Rektor Heinz zu Lüneburg, ist von einem innern Berufe genagt worden, sich durch einen Angriff eines berühmten Mannes auch berühmt zu machen. Und was war leichter als dies? Man kann ja bald etliche Bogen über ein Buch zusammen schreiben, dessen gute Aufnahme in Deutschland ihm ein Dorn im Auge war. Besondre Ursachen zur Feindschaft gegen denselben hatte er nicht: das gesteht er selbst. Die Pflichten der Mitglieder einer Gesellschaft, dergleichen die Deutsche zu Göttingen ist, werdens ihm vermutlich auch nicht auferlegt haben, einen seiner ältern Gesellschafter so stürmend anzugreifen. Um desto mehr wundern wir uns, daß er dennoch kein Bedenken getragen, einen solchen Anfall auf einen Mann zu tun, der ihm nicht den geringsten Anlaß dazu gegeben.« – Wenn werden die schlechten Skribenten einmal aufhören zu glauben, daß notwendig persönliche Feindschaft zum Grunde liegen müsse, wenn sie einer von ihren betrogenen Lesern vor den Richtstuhl der Kritik fordert? – »Doch wie?« fährt das Neueste fort; »hat nicht Herr Prof. G. seine kleine Sprachlehre den sämtlichen berühmten Schullehrern in Deutschland zugeschrieben? Es ist wahr, und der Augenschein zeigt es, daß solches mit viel Höflichkeit, mit vielen Lobsprüchen, und in dem besten Vertrauen zu ihnen geschehen ist. War nun das etwa ein zureichender Grund, denjenigen so grämisch anzuschnarchen, der ihm zugleich mit andern eine solche Ehre erwiesen? Welcher Wohlgesittete kann das begreifen?« – Derjenige Wohlgesittete, würde ich hierauf antworten, bei dem die Höflichkeit nicht alles in allen ist. Der die Wahrheit für keine Schmeicheleien verleugnet, und überzeugt ist, daß die nachdrückliche Warnung vor einem schlechten Buche ein Dienst ist, den man dem gemeinen Wesen leistet, und der daher einem ehrlichen Manne weit besser anstehet, als die knechtische Geschicklichkeit, Lob für Lob einzuhandeln. Zudem weiß ich auch gar nicht, was das Neueste mit demgrämischen Anschnarchen will; zwei altfränkische Wörter, die schwerlich aus einer andern, als des Herrn Professors eigener Feder können geflossen sein. Man kann nicht mit kälterm Blute kritisieren, als es Herr[223] Heinz tut; und die Stelle, die Sie oben gelesen haben, ist die stärkste in seinem ganzen Buche. Was finden Sie darin grämisches und angeschnarchtes? Grämisch anschnarchen kann niemand als Herr Gottsched selbst; und zwar fällt er in diesen Ton gemeiniglich alsdenn, wenn er satyrisch sein will. Z.E. Was ist geschnarchter als folgende Stelle? »Doch Herr Heinz besorget, es werde bei seinem Stillschweigen, die Gottschedische Grammatik ein klassisches Ansehen gewinnen; da ers zumal nicht ohne Galle bemerket, daß bisher alle seine Herrn Kollegen stille dazu geschwiegen: weswegen er glaubet, es sei besser, daß einer, als daß keiner das Maul auftue, und diesem großen Unheil steure und wehre. Allein mit seiner gütigen Erlaubnis, fragen wir hier, ob er denn wohl glaube, daß ein Buch darum gleich zu Boden geschlagen sei, weil er, Herr Heinz von Lüneburg, sich demselben widersetzet? Wir glauben es gewißlich noch nicht! Die Gottschedische Sprachkunst hat schon mehr solche grimmige Anfälle überstanden, und steht doch noch. Sie wird gewiß den seinigen auch überstehn.« – Welche Schreibart! Und wie witzig ist dasHerr Heinz von Lüneburg, auf welches einige Zeilen darauf der Sekundaner Kunz folgt!

Noch eine recht lustige Stelle aus dem »Heumonde« des Hrn. Prof. kann ich mich nicht enthalten, Ihnen abzuschreiben. Indem er Herr Heinzen aushunzt, kommen ihm auch die Verfasser der göttingischen gelehrten Zeitungen in den Weg, die sich dann und wann unterstehen, ihm eine kleine Wahrheit zu sagen, ohne zu bedenken, daß der Herr Professor ein altes Mitglied ihrer deutschen Gesellschaft ist. Er meint, er habe zu dieser Frechheit nun lange genug stille geschwiegen; und wenn sie ihn weiter »böse machten, so werde er einmal aufwachen, und ihnen durch den Zuruf:


Tecum habita et noris, quam sit tibi curta supellex


ihre Schwäche bekannt machen. – Wir wissen auch nicht, fährt hierauf der ›Heumond‹ fort, was ihn bisher zu solcher Geduld und Gelassenheit bewogen; zumal da die göttingischen Zeitungen für ein Werk von einer ganzen Sozietät der Wissenschaften gelten sollen, unter deren Aufsicht, und mit [224] vermutlicher Genehmhaltung sie herauskommen. Gewiß in solchen Zeitungen verdammt zu werden, ist kein solcher Spaß, als wenn einen ein jeder unbekannter und ungenannter Kritikaster herunter macht. Wer also auf seinen guten Namen hält, der ist in seinem Gewissen verbunden, von einem so unbefugten und gewaltsamen Richter sich auf einen höhern zu berufen, und den Ungrund seiner Urteile zu zeigen. Nichts, als die Verbindung mit der göttingischen deutschen Gesellschaft kann ihn, unsers Erachtens, bisher abgehalten haben, hier so lange stille zu sitzen. Allein wer weiß, wie lange es dauert, so schicket er ihr sein Diplom (nach Hrn. Rat Königs in Haag Beispiele) zurück; und setzet sich wieder in die natürliche Freiheit, seine Ehre zu retten. Bis dahin kann er ihnen mit dem Achill in der Iphigenia zurufen:


Dankt es dem Bande bloß, das meinen Zorn noch hemmet,
Sonst hätt er schon mein Herz gewaltsam überschwemmet.«

– Welch eine Drohung! Die arme deutsche Gesellschaft, wenn ihr dieses Unglück begegnen sollte! Ich glaube, sie würde darüber zu einer wendischen. Denn wie kann eine deutsche Gesellschaft ohne Gottscheden bestehen?

O.

VIII. Den 23. November 1759
Siebenzigster Brief

Hier ist etwas von einem Verfasser, der ziemlich lange ausgeruhet hat! – Es sind die Fabeln des Herrn Lessings. 115

Er meldet uns in der Vorrede, daß er vor Jahr und Tag einen kritischen Blick auf seine Schriften geworfen, nachdem er ihrer lange gnug vergessen gehabt, um sie völlig als fremde Geburten betrachten zu können. Anfangs habe er sie ganz verwerfen wollen; endlich aber habe er sie, in Betrachtung so vieler freundschaftlichen Leser, die er nicht gern dem Vorwurfe aussetzen wollen, ihren Beifall an etwas ganz [225] unwürdiges verschwendet zu haben, zu verbessern beschlossen.

Den Anfang dieser Verbesserung hat er mit seinen Fabeln gemacht. »Ich hatte mich, sagt er, bei keiner Gattung von Gedichten länger verweilet, als bei der Fabel. Es gefiel mir auf diesem gemeinschaftlichen Raine der Poesie und Moral. Ich hatte die alten und neuen Fabulisten so ziemlich alle, und die besten von ihnen mehr als einmal gelesen. Ich hatte über die Theorie der Fabel nachgedacht. Ich hatte mich oft gewundert, daß die gerade auf die Wahrheit führende Bahn des Aesopus, von den Neuern, für die blumenreichen Abwege der schwatzhaften Gabe zu erzählen, so sehr verlassen werde. Ich hatte eine Menge Versuche in der einfältigen Art des alten Phrygiers gemacht. etc.«

Und kurz; hieraus ist das gegenwärtige kleine Werk seiner Fabeln entstanden, welches man als den ersten Band der gänzlichen Umarbeitung seiner Schriften anzusehen hat. Ich muß die Ordnung, die er darin beobachtet, umkehren, und Ihnen vorher von seinen beigefügten Abhandlungen über diese Dichtungsart etwas sagen, ehe ich die Fabeln selbst Ihrem Urteile unterwerfen kann.

Es sind diese Abhandlungen fünfe. Die erste, welche die weitläufigste und dabei die wichtigste ist, untersuchet das Wesen der Fabel. Nachdem die Einteilung der Fabeln in einfache und zusammengesetzte, (das ist in solche, die bei der allgemeinen Wahrheit, welche sie einprägen sollen, stehen bleiben, und insolche, die ihre allgemeine Wahrheit auf einen wirklich geschehenen, oder doch als wirklich geschehen, angenommenen Fall, weiter anwenden) vorausgeschickt worden, gehet der Verfasser die Erklärungen durch, welche de la Motte, Richer, Breitinger und Batteux von der Fabel gegeben haben. Bei der Erklärung des ersten, die allen folgenden Erklärungen zum Muster gedienet habe, ist er vornehmlich gegen das Wort Allegorie, und behauptet, daß die Fabel überhaupt nicht in der Erzählung einer allegorischen Handlung bestehe, sondern daß die Handlung nur in der zusammengesetzten Fabel allegorisch werde, und zwar allegorisch, nicht mit dem darin enthaltenen allgemeinen Satze, [226] sondern mit dem wirklichen Falle, der dazu Gelegenheit gegeben hat. An der Erklärung der Richer setzet er vornehmlich dieses aus, daß sie ein bloßes allegorisches Bild zu einer Fabel für hinreichend hält. »Ein Bild, sagt er, heißet überhaupt jede sinnliche Vorstellung eines Dinges, nach einer einzigen ihm zukommenden Veränderung. Es zeigt mir nicht mehrere, oder gar alle mögliche Veränderungen, derer das Ding fähig ist, sondern allein die, in der es sich in einem und demselben Augenblicke befindet. In einem Bilde kann ich also zwar wohl eine moralische Wahrheit erkennen, aber es ist darum noch keine Fabel. Der mitten im Wasser dürstende Tantalus ist ein Bild, und ein Bild, das mir die Möglichkeit zeiget, man könne auch bei dem größten Überflusse darben. Aber ist dieses Bild deswegen eine Fabel? – Ein jedes Gleichnis, ein jedes Emblema würde eine Fabel sein, wenn sie nicht eine Mannigfaltigkeit von Bildern, und zwar zu einem Zwecke übereinstimmenden Bildern, wenn sie, mit einem Worte, nicht dasnotwendig erforderte, was wir durch das Wort Handlung ausdrücken.« – Mit diesem Worte verbindet er aber einen viel weitern Sinn, als man gemeiniglich damit zu verbinden pfleget, und verstehet darunter jede Folge von Veränderungen, die zusammen ein Ganzes ausmachen. Denn daß die Erklärung, welche Batteux von der Handlung gibt, daß sie nämlich eine Unternehmung sein müsse, die mit Wahl und Absicht geschieht, bei der Fabel nicht Statt finde, zeiget er umständlich, indem die allerwenigsten Äsopischen Fabeln in diesem Verstande Handlung haben. Batteux, wie der Verfasser sehr wahrscheinlich zeiget, hat seine Erklärung nur von einem einzigen in seiner Art zwar sehr vollkommenen, deswegen aber doch zu keinem allgemeinen Muster tauglichen Exempel abstrahieret, und überhaupt die Handlung der Äsopischen Fabel mit der Handlung der Epopee und des Drama viel zu sehr verwirrt. »Die Handlung der beiden letztern, sagt er, muß außer der Absicht, welche der Dichter damit verbindet, auch eine innere, ihr selbst zukommende Absicht haben. Die Handlung der ersten braucht diese innere Absicht nicht, und sie ist vollkommen genug, wenn nur der Dichter seine Absicht damit erreichet etc.« Der Grund [227] hiervon liegt in den Leidenschaften welche jene erregen sollen, und auf deren Erregung diese ganz und gar keinen Anspruch macht. – Diese und verschiedene andere Anmerkungen nimmt der Verfasser nunmehr zusammen, und sagt: »In der Fabel wird nicht eine jede Wahrheit, sondern ein allgemeiner moralischer Satz, nicht unter die Allegorie einer Handlung, sondern auf einen einzeln Fall, nicht versteckt oder verkleidet, sondern so zurückgeführet, daß ich, nicht bloß einige Ähnlichkeiten mit dem moralischen Satze in ihm entdecke, sondern diesen ganz anschauend darin erkenne.« – Und das ist das Wesen der Fabel? Noch nicht völlig. Noch fehlet ein wichtiger Punkt, von welchem die Kunstrichter bloß ein dunkles Gefühl gehabt zu haben scheinen; dieser nämlich: der einzelne Fall, aus welchem die Fabel bestehet, muß als wirklich vorgestellet werden. Begnügen wir uns an der Möglichkeit desselben, so ist es ein Beispiel, eine Parabel.


Der Beschluß künftig

IX. Den 29. November 1759
Beschluß des siebenzigsten Briefes

Nachdem der Verfasser diesen wichtigen Unterschied an einigen Beispielen gezeigt, läßt er sich auf die psychologische Ursache ein, warum sich das Exempel der praktischen Sittenlehre, wie man die Fabel nennen kann, nicht mit der bloßen Möglichkeit begnüge, an welcher sich die Exempel an derer Wissenschaften begnügen. Er findet diese Ursache darin, weil das Mögliche, als eine Art des Allgemeinen, die Lebhaftigkeit der anschauenden Erkenntnis verhindere, welche Lebhaftigkeit gleichwohl unentbehrlich ist, wenn die an schauende Erkenntnis zur lebendigen Erkenntnis, als worauf die Moral bei ihren Wahrheiten vornehmlich sieht, erhöhet werden soll. Er zeiget hierauf, daß schon Aristoteles diese Kraft des Wirklichen gekannt, aber eine falsche Anwendung davon gemacht habe, weil er sie aus einer unrechten Quelle [228] hergeleitet. Aristoteles lehret nämlich, die historischen Exempel hätten deswegen eine größere Kraft zu überzeugen, als die Fabeln, weil das Vergangene gemeiniglich dem Zukünftigen ähnlich sei. Unser Verfasser aber sagt: »Hierin, glaube ich, hat Aristoteles geirret. Von der Wirklichkeit eines Falles, den ich nicht selbst erfahren habe, kann ich nicht anders als aus Gründen der Wahrscheinlichkeit überzeugt werden. Ich glaube bloß deswegen, daß ein Ding geschehen, und daß es so und so geschehen ist, weil es höchst wahrscheinlich ist, und höchst unwahrscheinlich sein würde, wenn es nicht, oder wenn es anders geschehen wäre. Da also einzig und allein die innere Wahrscheinlichkeit mich die ehemalige Wirklichkeit eines Falles glauben macht, und diese innere Wahrscheinlichkeit sich eben sowohl in einem erdichteten Falle finden kann: was kann die Wirklichkeit des erstern für eine größere Kraft auf meine Überzeugung haben, als die Wirklichkeit des andern? Ja noch mehr: da das historisch Wahre nicht immer auch wahrscheinlich ist; da Aristoteles selbst sagt, daß das Vergangene nur gemeiniglich dem Zukünftigen ähnlich sei; der Dichter aber die freie Gewalt hat, hierin von der Natur abzugehen, und alles, was er für wahr ausgibt, auch wahrscheinlich zu machen: so sollte ich meinen, wäre es wohl klar, daß der Fabel, überhaupt zu reden, in Ansehung der Überzeugungskraft, der Vorzug vor den historischen Exempeln gebühre.« – Und nunmehr trägt der Verfasser seine völlige Erklärung der Fabel vor, und sagt: Wenn wir einen allgemeinen moralischen Satz auf einen besondern Fall zurückführen, diesem besondern Falle die Wirklichkeit erteilen, und eine Geschichte daraus dichten, in welcher man den allgemeinen Satz anschauend erkennet: so heißt diese Erdichtung eine Fabel.

Die zweite Abhandlung betrifft den Gebrauch der Tiere in der Fabel. »Der größte Teil der Fabeln, sagt der Verfasser, hat Tiere, oder wohl noch geringere Geschöpfe zu handelnden Personen. – Was ist hiervon zu halten? Ist es eine wesentliche Eigenschaft der Fabel, daß die Tiere darin zu moralischen Wesen erhoben werden? Ist es ein Handgriff, der dem Dichter die Erreichung seiner Absicht verkürzt und [229] erleichtert? Ist es ein Gebrauch, der eigentlich keinen ernstlichen Nutzen hat, den man aber zu Ehren des ersten Erfinders, beibehält, weil er wenigstens schnakisch ist – quod risum movet? Oder was ist es?« Batteux hat sich auf diese Fragen nicht eingelassen, sondern listig genug den Gebrauch der Tiere seiner Erklärung der Fabel sogleich mit angeflickt. Breitinger hingegen behauptet, daß die Erreichung des Wunderbaren die Ursache davon sei, und glaubt daher die Fabel überhaupt nicht besser als durch ein lehrreiches Wunderbare erklären zu können. Allein unser Verfasser zeiget, daß die Einführung der Tiere in der Fabel nicht wunderbar ist, indem es darin vorausgesetzt und angenommen werde, daß die Tiere und andere niedrige Geschöpfe, Sprache und Vernunft besitzen. Seine Meinung gehet also dahin, daß die allgemein bekannte Bestandtheit ihrer Charaktere diese Voraussetzung veranlasset und so allgemein beliebt gemacht habe. »Je tiefer wir, setzt er hinzu, auf der Leiter der Wesen herab steigen, desto seltener kommen uns dergleichen allgemein bekannte Charaktere vor. Dieses ist denn auch die Ursache, warum sich der Fabulist so selten in dem Pflanzenreiche, noch seltener in dem Steinreiche, und am allerseltesten vielleicht unter den Werken der Kunst finden läßt. Denn daß es deswegen geschehen sollte, weil es stufenweise immer unwahrscheinlicher werde, daß diese geringern Werke der Natur und Kunst, empfinden, denken und sprechen könnten, will mir nicht ein. Die Fabel von dem ehernen und irdenen Topfe ist nicht um ein Haar schlechter und unwahrscheinlicher, als die beste Fabel z.E. von einem Affen, so nahe auch dieser dem Menschen verwandt ist, und so unendlich weit jene von ihm abstehen.«

In der dritten Abhandlung sucht der Verfasser eine richtigere Einteilung der Fabeln festzusetzen. Die alte Einteilung des Aphthonius ist offenbar mangelhaft. Schon Wolf hat bloß die Benennungen davon beibehalten, den damit zu verknüpfenden Sinn aber dahin bestimmt, daß man den Subjekten der Fabel entweder solche Handlungen und Leidenschaften, überhaupt solche Prädikate, die ihnen zukommen, oder solche die ihnen nicht zukommen, beilege. In dem [230] ersten Falle hießen es vernünftige Fabeln; in dem andern sittliche Fabeln; und vermischte Fabeln hießen sie alsdenn, wenn sie etwas sowohl von der Eigenschaft der sittlichen als vernünftigen Fabel hätten. Allein auch diese verbesserte Einteilung will unserm Verfasser darum nicht gefallen, weil das nicht zukommen einen übeln Verstand machen, und man wohl gar daraus schließen könnte, daß der Dichter eben nicht gehalten sei, auf die Natur der Geschöpfe zu sehen, die er in seinen Fabeln aufführet. Diese Klippe also zu vermeiden, glaubt er, man werde am sichersten die Verschiedenheit der Fabeln auf die verschiedene Möglichkeit der einzeln Fälle, welche sie enthalten, gründen können. Diese Möglichkeit aber ist entweder eine unbedingte oder eine bedingte Möglichkeit; und um die alten Benennungen gleichfalls beizubehalten, so nennt er diejenigen Fabeln, vernünftige Fabeln, deren einzelner Fall schlechterdings möglich ist; diejenigen hingegen, wo er es nur unter gewissen Voraussetzungen ist, nennt er sittliche Fabeln. Die vernünftigen sind keiner fernern Abteilung fähig; wohl aber die sittlichen. Denn die Voraussetzungen betreffen entweder die Subjekte der Fabeln, oder die Prädikate dieser Subjekte. Fabeln, worin die Subjekte vorausgesetzt werden, nennet er mythische Fabeln; und Fabeln, worin erhöhtere Eigenschaften wirklicher Subjekte angenommen werden, nennet er hyperphysische Fabeln. Die ferner daraus entstehende vermischte Gattungen nennet er die vernünftig mythischen, dievernünftig hyperphysischen, und die hyperphysisch mythischen Fabeln. – Welche Wörter! werden Sie ausrufen. Welche unnütze scholastische Grübelei! Und fast sollte ich Ihnen Recht geben. Da doch aber einmal die Frage von der Einteilung der Fabel war, so war es ihm auch nicht so ganz zu verdenken, daß er die Subtilität in dieser Kleinigkeit so weit trieb, als sie sich treiben läßt. – Was er auf die Fragen antwortet, wie weit in den hyperphysischen Fabeln die Natur der Tiere zu erhöhen sei, und ob sich die Äsopische Fabel zu der Länge eines epischen Gedichts ausdehnen lasse, ist wichtiger; ich übergehe es aber, weil es ohne seine Versuche, die er in Absicht der letztern Frage, gewagt hat, nicht wohl zu verstehen ist. Wenn[231] Sie es einmal selbst lesen sollten, so werden Sie leicht finden, daß seine Versuche seine Spekulation nicht erschöpfen.

In der vierten Abhandlung redet er von dem Vortrage der Fabeln. Er charakterisiert den Vortrag des Aesopus und Phädrus, und scheinet mit dem Vortrage des la Fontaine am wenigsten zufrieden zu sein. La Fontaine bekannte aufrichtig, daß er die zierliche Präzision, und die außerordentliche Kürze, durch die sich Phädrus so sehr empfehle, nicht habe erreichen können; und daß alle die Lustigkeit, mit welcher er seine Fabeln aufzustützen gesucht, weiter nichts als eine etwanige Schadloshaltung für jene wesentlichere Schönheiten sein solle. »Welch Bekenntnis!« ruft unser Verfasser aus. »In meinen Augen macht ihm dieses Bekenntnis mehr Ehre, als ihm alle seine Fabeln machen! Aber wie wunderbar ward es von dem französischen Publico aufgenommen! Es glaubte, la Fontaine wolle ein bloßes Kompliment machen, und hielt die Schadloshaltung unendlich höher, als das, wofür sie geleistet war. Kaum könnte es auch anders sein; denn die Schadloshaltung hatte allzuviel Reizendes für Franzosen, bei welchen nichts über die Lustigkeit gehet. Ein witziger Kopf unter ihnen, der hernach das Unglück hatte, hundert Jahr witzig zu bleiben, 116 meinte so gar, la Fontaine habe sich aus bloßer Albernheit (par betise) dem Phädrus nachgesetzt; und de la Motte schrie über diesen Einfall: mot plaisant, mais solide!« – Er gehet hierauf die Zieraten durch, deren die Fabel nach dem Batteux, fähig sein soll, und zeiget, daß sie schnurstracks mit dem Wesen der Fabel streiten. Sogar Phädrus kömmt ihm nicht ungetadelt davon, und er ist kühn genug, zu behaupten, daß Phädrus, so oft er sich von der Einfalt der griechischen Fabeln auch nur einen Schritt entferne, einen plumpen Fehler begehe. Er gibt verschiedene Beweise hiervon, und drohet seine Beschuldigung vielleicht gar durch eine eigene Ausgabe des Phädrus zu rechtfertigen.

– Ich besorge sehr, unser Verfasser wird mit dieser Abhandlung am wenigsten durchkommen, und er wird von Glück zu sagen haben, wenn man ihm keine schlimmere Absicht [232] gibt, als die Absicht, seine eigene Art zu erzählen, so viel als möglich, zu beschönigen.

Die fünfte Abhandlung ist die kürzeste, und redetvon einem besondern Nutzen der Fabeln in den Schulen. Es ist hier nicht die Frage von dem moralischen Nutzen, sondern von einem Nutzen, welchen der Verfasser den heuristischen nennet. Er glaubt nämlich, daß die Erfindung der Fabeln eine von den besten Übungen sei, durch die ein junges Genie gebildet werden könne. Da aber die wahre Art, wie eine Fabel erfunden wird, vielen Schwierigkeiten unterworfen ist, so rät er vors erste die Fabeln mehr finden als erfinden zu lassen; »und die allmähligen Stufen von diesem Finden zum Erfinden, sagt er, sind es eigentlich, was ich durch verschiedene Versuche meines zweiten Buches habe zeigen wollen.« Es sind aber diese Versuche nichts anders als Umschmelzungen alter Fabeln, deren Geschichte er bald eher abbricht, bald weiter fortführet, bald diesen oder jenen Umstand derselben so verändert, daß sich eine andere Moral darin erkennen läßt. Aus einigen Beispielen werden Sie sich einen deutlichern Begriff davon machen können. Z.E. die bekannte Fabel von der Krähe, die sich mit den ausgefallenen Federn anderer Vögel geschmückt hatte, führt er einen Schritt weiter, und macht folgende neue Fabel daraus.

Die sechste des zweiten Buchs

»Eine stolze Krähe schmückte sich mit den ausgefallenen Federn der farbigten Pfaue, und mischte sich kühn, als sie genug geschmückt zu sein glaubte, unter diese glänzende Vögel der Juno. Sie ward erkannt; und schnell fielen die Pfaue mit scharfen Schnäbeln auf sie, ihr den betriegerischen Putz auszureißen. Lasset nach! schrie sie endlich; ihr habt nun alle das eurige wieder. – Doch die Pfaue, welche einige von den eigenen glänzenden Schwingfedern der Krähe bemerkt hatten, versetzten: Schweig, armselige Närrin; auch diese können nicht dein sein, und hackten weiter.« –


Diese Fabel kann für neu gelten, ob sie gleich aus alten Stücken zum Teil zusammen gesetzt ist: denn es liegt eine neue Moral darin. »So geht es dem Plagiarius! Man ertappt [233] ihn hier; man ertappt ihn da; und endlich glaubt man, daß er auch das, was wirklich sein eigen ist, gestohlen habe.« – Oder die Fabel von den Fröschen, die sich einen König erbeten hatten:

Die dreizehnte des zweiten Buchs

»Zeus hatte nunmehr den Fröschen einen andern König gegeben; anstatt eines friedlichen Klotzes, eine gefräßige Wasserschlange. Willst du unser König sein, schrien die Frösche, warum verschlingst du uns? – Darum, antwortete die Schlange, weil ihr um mich gebeten habt. – Ich habe nicht um dich gebeten! rief einer von den Fröschen, den sie schon mit den Augen verschlang. – Nicht? sagte die Wasserschlange. Desto schlimmer. So muß ich dich verschlingen, weil du nicht um mich gebeten hast.«


Diese Fabel fängt da an, wo die alte aufhöret, und erhält dadurch gleichsam eine Art von historischer Wahrscheinlichkeit. – Und aus diesen Proben werden Sie zugleich von dem Tone und der Schreibart unsers Fabulisten urteilen können. Jedes von den drei Büchern enthält dreißig Fabeln; und wenn ich Ihnen nunmehr noch einige aus dem ersten und dritten Buche vorlege, so wird es hoffentlich alles sein, was Sie diesesmal von mir erwarten. Die erste, welche ich anführen will, scheinet er mit Rücksicht auf sich selbst und die einfältige Art seines Vortrages gemacht zu haben.

Der Besitzer des Bogens
Die Schwalbe
Der Geist des Salomo

G.

X. Den 6. Dezember 1759
Ein und siebenzigster Brief

Ein Gelehrter, den Sie, so viel ich weiß, in Frankfurt an der Oder suchen müssen, fing bereits im vorigen Jahre an, eine Sammlung ungedruckter Briefe gelehrter Männer herauszugeben. [234] In dem ersten Buche derselben nahmen sich besonders verschiedene Briefe von des Vignoles und Theoph. Sig. Bayern aus, indem sie an nützlichen Sachen ungleich reicher waren, als die übrigen. In dem zweiten Buche versprach der Herausgeber den gelehrten Briefwechsel des Stephanus Vinandus Pighius zu liefern. Es scheinet aber, daß ihn ein sehr glücklicher Umstand dieses Versprechen aufzuschieben, verleitet hat. Sein Unternehmen selbst hat nämlich so viel Beifall gefunden, daß ihm nicht nur verschiedene Gelehrte ihre literarischen Schätze von dieser Art mitgeteilet haben, sondern daß ihm auch, durch Vermittelung des Herrn von Münchhausen, der ganze Vorrat ungedruckter Briefe in der königlichen Bibliothek zu Hannover, zu beliebigem Gebrauche angetragen worden. Durch diesen Beitrag also ist er in den Stand gesetzt worden, uns noch vorher mit andern lesenswürdigern Briefen zu unterhalten, als ihm die Briefe des Pighius mögen geschienen haben.

Die ersten vier Bücher, auf welche die Sammlung nunmehro angewachsen ist, und welche den ersten Band derselben ausmachen, enthalten hundert und neunzig Briefe. 117 Bynckershoeck, Beverland, Gisbert Cuper, d'Orville, J.A. Fabricius, Grävius, Gramm, Schannat, J.P. von Ludewig, Gesner etc. sind die berühmten Namen ihrer Verfasser.

Sogar von Leibnizen finden sich in dem vierten Buche ein Dutzend Briefe, und Sie können leicht glauben, daß ich diese zu lesen am begierigsten gewesen bin. Die ersten zwei derselben sind an. P. J. Spenern geschrieben und enthalten wenig mehr, als einige jetzt veraltete Neuigkeiten. Die folgenden sechse aber an den berühmten Huetius sind desto interessanter und enthalten Gedanken eines Philosophen, die noch immer unterrichten können. Die zwei ersten sind von dem Jahre 1673 und zu Paris geschrieben, aus welchen Datis, wenn Sie sich der Lebensgeschichte unsers Weltweisen erinnern, Sie ohngefähr den Inhalt erraten können. Huetius hatte damals die Besorgnung der Ausgabe der klassischen Schriftsteller, [235] welche vornehmlich zum Gebrauche des Dauphins eingerichtet sein sollten; und er glaubte, daß er sich bei dieser Arbeit auch unsers Leibniz versichern müßte. Ob dieser nun gleich damals sich mit ganz andern Dingen beschäftigte, und besonders an seiner Rechenmaschine arbeitete: so ließ er sich doch bewegen; denn ihm war in dem ganzen Bezirke der Wissenschaften nichts zu klein, so wie ihm nichts zu groß war. Nur bat er sich aus, daß man ihm einen Autor geben möchte, bei welchem sich Philosophie, und eine gesunde Philosophie anbringen ließe. Man schlug ihm in dieser Absicht den ältern Plinius, den Mela, die Schriftsteller vom Ackerbaue, den Apulejus, den Capella und den Boethius vor. »Mich zum Plinius zu entschließen, schreibt er, verstehe ich zu wenig von der Arzneigelahrheit; und von den Schriftstellern des Ackerbaues schreckt mich meine geringe Kenntnis der Ökonomie ab.« Er wählte also den Martianus Capella, und das Urteil, das er von diesem Schriftsteller fällt, ist sehr vorteilhaft, und sollte hinlänglich genug sein, dem Capella mehr Leser zu verschaffen, als er itziger Zeit wohl haben mag: Martianum Capellam, usus ingentis auctorem, gratum varietate, scientias non libantem tantum, sed intrantem, solum ex superstitibus scriptorem cujusdam artium liberalium encyclopaediae. Er fing auch schon wirklich an daran zu arbeiten, und wollte die Anmerkungen des Grotius, die dieser in seinem funfzehnten Jahre gemacht hat, seiner Ausgabe ganz einverleiben. Allein welch Schicksal war es, das uns derselben beraubte? Jaucourt sagt in seiner Lebensbeschreibung unsers Weltweisen, daß ihm alles, was er dazu aufgeschrieben, boshaft entwendet worden, und daß er in der Folge keine müßigen Augenblicke finden können, es wieder herzustellen. Leibniz muß diesen Verlust noch in Paris erlitten haben, denn in den Briefen, die er 1679 aus Hannover an den Huetius schreibet, wird des Capella gar nicht mehr gedacht, als einer ohne: Zweifel schon längst aufgegebenen und abgetanen Sache. Jaucourt kann übrigens aus diesem Briefe darin verbessert werden, daß Leibniz den Capella selbst aus eigenem Antriebe gewählet, und daß es eben nicht der Einsicht des Huetius zuzuschreiben, daß er sich nur mit [236] diesem und keinem andern Autor abgeben wollen. Denn Leibniz kannte sich wirklich besser, als ihn Huetius kannte; welches unter andern auch daraus zu ersehen, daß ihm dieser mit aller Gewalt auch den Vitruvius aufdringen wollte, mit dem er sich aber abzugeben rund abschlug, weil er nicht hoffen könne, etwas außerordentliches dabei zu leisten. –

Übrigens muß es ein wenig verdrießen, daß Leibniz bei dieser Gelegenheit nicht allein allzuklein von sich selbst, (denn ein bescheidner Mann kann sich selbst so viel vergeben, als er will,) sondern auch allzu klein von seiner Nation spricht: Id enim fateor, tametsi neque ingenium, neque doctrinam mihi arrogem, diligentiae tamen laudem aliquando apud aequos censores consecutum. Et quid aliud expectes a Germano, cui nationi inter animi dotes sola laboriositas relicta est? Nun wundere man sich noch, wie es komme, daß die Franzosen einen deutschen Gelehrten so gering schätzen, wenn die besten deutschen Köpfe ihre Landesleute unter ihnen so erniedrigen, nur damit man ihnen Höflichkeit und Lebensart nicht absprechen könne. Denn das bilde man sich ja nicht ein, daß diese aus Komplimenten zusammengesetzte Nation, auch das für Komplimente halte, was gewissermaßen zur Verkleinerung ihrer Nachbarn dienen kann.

Die drei folgenden Briefe hat Leibniz bei Gelegenheit des Huetschen Werkes »Von der Wahrheit der christlichen Religion«, geschrieben, und sie enthalten sehr vortreffliche Gedanken über den Gebrauch der Philologie und Kritik. »Die Kritik, sagt er, die sich mit Prüfung der alten Handschriften, Münzen, und Inscriptionen beschäftiget, ist eine sehr nötige Kunst, und zur Festsetzung der Wahrheit unsrer Religion, ganz unentbehrlich. Denn das glaube ich gewiß, gehet die Kritik verloren, so ist es auch mit den Schriften unsers Glaubens geschehen, und es ist nichts gründliches mehr übrig, woraus man einem Chineser oder Mohametaner unsere Religion demonstrieren könne. Denn gesetzt, man könnte die fabelhaften Historien von Theodorico Veronensi, wie sie bei uns die Ammen, unter dem Namen Dietrichs von Bern, den Kindern erzählen, von den Erzählungen des Cassiodorus, eines zeitverwandten Schriftstellers, der bei diesem Könige [237] Kanzler war, nicht unterscheiden; gesetzt, es käme die Zeit, da man mit den Türken zweifelte, ob nicht Alexander der Große des Königs Salomon oberster Feldherr gewesen sei; gesetzt, es wären uns, anstatt des Livius und Tacitus weiter nichts als einige von den zierlichen aber im Grunde abgeschmackten geheimen Nachrichten von den Liebeshändeln großer Männer, wie sie itzt geschrieben werden, übrig; gesetzt, es kämen die fabelhaften Zeiten wieder, dergleichen bei den Griechen vor dem Herodotus waren: würde nicht alle Gewißheit von geschehenen Dingen wegfallen? Wir würden nicht einmal zeigen können, daß die Bücher der heiligen Schrift nicht untergeschoben wären, noch viel weniger, daß sie göttlichen Ursprungs wären. Unter allen Hindernissen, welche die Ausbreitung der christlichen Religion in den Morgenländern findet, ist dieses, meiner Meinung nach, auch das vornehmste, daß das dasige Volk, weil es von der allgemeinen Geschichte ganz und gar nichts weiß, die historischen Beweise; auf welche sich die christliche Religion stützet, nicht begreifen kann.« – Er gibt hierauf eine sehr sinnreiche, aber aus dem vorhergehenden sehr natürlich fließende Ursache an, warum zu Anfange des vorigen Jahrhunderts, die Kritik so stark getrieben, und in den neuern Zeiten hingegen so sehr vernachlässiget worden. »Die Kritik, sagt er, wenn ich die Wahrheit gestehen soll, ward damals durch die theologischen Streitigkeiten genähret. Denn es ist kein Übel in der Welt, das nicht etwas gutes veranlassen sollte. Indem man nämlich von dem Sinne der Schrift, von der Übereinstimmung der Alten, von echten und untergeschobenen Büchern häufig streiten mußte, und nur derjenige von den Kirchenskribenten aller Jahrhunderte richtig urteilen konnte, der sich in den übrigen Werken des Altertums gehörig umgesehen hatte: so durchsuchte man aufs genaueste alle Bibliotheken. Der König von England Jacobus selbst, und andere von den vornehmsten Gliedern der Kirche und des Staats, gaben sich mit dergleichen Streitigkeiten, vielleicht ein wenig nur allzusehr ab. Als aber diese Streitigkeiten in Kriege ausbrachen, und nach so viel vergossenem Blute, die Klügern wohl sahen, daß mit alle dem Geschrei nichts ausgerichtet [238] werde, so bekamen, nach wiederhergestelltem Frieden, sehr viele vor diesem Teile der Gelehrsamkeit einen Ekel. Und nun fing sich ein neuer Periodus mit den Wissenschaften an; indem in Italien Galiläus, in England Baco, Harväus und Gilbertus, in Frankreich Cartesius und Gassendus, und in Deutschland der einzige, den ich diesen Männern entgegen zu setzen wüßte, Joachim Junge, durch verschiedene treffliche Erfindungen oder Gedanken, den Menschen Hoffnung machten, die Natur vermittelst der mathematischen Wissenschaften näher kennen zu lernen. – Ich will jetzt nicht untersuchen, worin es, wie ich glaube, heut zu Tage versehen wird, und woher es kömmt, daß die Schüler so großer Männer, ob sie gleich mit so vielen Hülfsmitteln versehen sind, dennoch nichts besonderes leisten; denn es ist hier nicht der Ort dazu. Ich will nur dieses einzige anmerken, daß seit dieser Zeit das Studium der Altertümer und die gründliche Gelehrsamkeit hin und wieder in Verachtung gekommen, so daß sich wohl gar einige in ihren Schriften irgend einen Autor zu zitieren, sorgfältig enthalten, teils damit sie alles aus ihrem Kopfe genommen zu haben scheinen mögen, teils weil es ihrer Faulheit so bequemer ist; da gleichwohl die Anführung der Zeugen, wenn es auf geschehene Dinge ankömmt, von der unumgänglichsten Notwendigkeit ist, und nur durch sie gründliche Untersuchungen sich von einem seichten Geschwätz unterscheiden. Damit also dieses Übel nicht weiter um sich fresse, kann man die Welt nicht ernstlich genug erinnern, wie viel der Religion an der Erhaltung der gründlichen Gelehrsamkeit gelegen sei.« –

Und was meinen Sie, wenn diese Erinnerung schon zu Leibniz Zeiten, da noch Gudii und Spanheime, Vossii und Heinsii lebten, so nötig war, wie viel nötiger wird sie jetzt sein, jetzt da wir noch kaum hier und da Schatten von diesen Männern haben, und besonders unsere Gottesgelehrte, die sich die Erhaltung dieser gründlichen Gelehrsamkeit am meisten sollten angelegen sein lassen, gleich das allerwenigste davon verstehen? Doch anstatt diese verkleinernde Parallele weiter auszuführen, erlauben Sie mir lieber, Ihnen noch den Schluß des Leibnizischen Briefes vorzulegen.

[239] »Ich kann überhaupt mit denjenigen gar nicht zufrieden sein, die alle Hochachtung gegen das Altertum ablegen, und von dem Plato und Aristoteles nicht anders als von ein Paar elenden Sophisten reden. Hätten sie diese vortrefflichen Männer aufmerksam gelesen, so würden sie ganz anders von ihnen urteilen. Denn die metaphysische und moralische Lehre des Plato, welche die wenigsten aus ihrer Quelle schöpfen, ist wahr und heilig, und das, was er von den Ideen und ewigen Wahrheiten sagt, verdienet Bewunderung. Die Logik, Rhetorik und Politik des Aristoteles hingegen, können im gemeinen Leben von sehr großem Nutzen sein, wenn sie sich in einem guten Kopfe, der die Welt und ihre Händel kennet, finden. Sogar kann man ihm nicht genug dafür danken, daß er in seiner Physik den wahren Begriff des Stetigen gegen die scheinbaren Irrtümer der Platoniker gerettet hat. Und wer endlich den Archimedes und Apollonius verstehet, der wird die Erfindungen der allergrößten Neuern sparsamer bewundern.«

Gewiß die Kritik auf dieser Seite betrachtet, und das Studium der Alten bis zu dieser Bekanntschaft getrieben, ist keine Pedanterei, sondern vielmehr das Mittel, wodurch Leibniz der geworden ist, der er war, und der einzige Weg, durch welchen sich ein fleißiger und denkender Mann ihm nähern kann. – Aber welchen lustigen Kontrast machet mit dieser wahren Schätzung der Kritik und alten Schriftsteller, die Denkungsart dieses und jenen grundgelehrten Wortforschers, von welchem sich in eben dieser Sammlung Briefe finden. Z.E. Gisbert Cupers. Dieser Mann war ohnstreitig einer von den größten Antiquariis, der aber die Antiquitäten einzig und allein um der Antiquitäten willen studierte. Er hält sich stark darüber auf: Saeculis superioribus plerosque eruditorum magis stilo operam dedisse, quam ritibus, moribus, aliisque praeclaris rebus, quae veterum libris continentur, illustrandis. Und damit Sie ja nicht etwa denken, daß er unter diesen praeclaris rebus vielleicht auch die philosophischen Meinungen der Alten verstehe, so lesen Sie folgende Stelle aus einem andern seiner Briefe: Recte facis, quod edere constitueris Jamblichi Protrepticon, nam illius nec Greca valent[240] nec Latina. Ego olim illud percucurri, sed eidem inhaerere non poteram, quia me magis oblectabant antiqui ritus, veteris aevi reliquiae et historia; nec capiebar admodum tricis philosophicis etc.

Unterdessen ist doch in den Briefen dieses Cupers, deren uns eine ansehnliche Folge an den von Almeloveen und an J. A. Fabricius mitgeteilet wird, viel nützliches und nicht selten auch angenehmes. So macht er unter andern die Anmerkung, daß die Wahrheit bei den Alten zwar als eine allegorische Person eingeführet, und von einigen die Tochter des Jupiters, von andern die Tochter des Saturnus oder der Zeit, von andern die Säugamme des Apollo genennt werde, daß sie aber doch als keine Göttin von ihnen verehret worden, daß sie weder Tempel noch Altäre gehabt habe. Vossius, sagt er, in seinem Werke de Idololatria habe zwar angemerkt, daß Anaxagoras zwei Altäre, den einen dem Verstande, und den andern der Wahrheit gesetzt habe. Allein Vossius habe sich hier geirret, weil diese Altäre nicht Anaxagoras gesetzt habe, sondern sie dem Anaxagoras gesetzt worden, welcher durch die Aufschrift derselben Νου und Αληϑειας selbst bezeichnet worden, indem, wie anderweitig bekannt sei, Anaxagoras wirklich den Beinamen Νους geführet habe. (Wenn Sie Kühns Ausgabe des Aelianus nachsehen wollen, so werden Sie finden, daß Cuper den Vossius hier nur zur Hälfte verbessert hat. Denn Kühn zeigt deutlich, daß Aelian nicht von zwei Altären, sondern nur von einem einzigen rede, welcher nach einigen die Aufschrift Νου und nach andern die Aufschrift Αληϑειας geführt habe.) Die Betrachtung endlich die Cuper über diese von den Heiden unterlassene göttliche Verehrung der Wahrheit anstellet, macht seiner Frömmigkeit mehr Ehre, als seiner Scharfsinnigkeit: Quodsi jam admiscere vellem hisce profanis rebus sanctae nostrae religionis christianae mysteria; an non inde concludere possemus, Deum veritatem genuinam suis, et primo quidem Iudaeis, inde Christianis, et praecipue veris, solis revelasse; gentiles eam male quaesivisse in indagatione rerum naturalium, et ita Deum voluisse, ut nec summam hanc virtutem uti aliquod Numen colerent etc. Ich würde auf eine [241] natürlichere Ursache gefallen sein. Wenn die Alten die Wahrheit als keine Göttin verehret haben, so kam es ohne Zweifel daher, weil der abstrakte Begriff der Wahrheit nur in den Köpfen ihrer Weltweisen existierte, und ihre Weltweisen die Leute nicht waren, die gern vergötterten, und die Menge der Altäre vermehrten.

Wollen Sie, daß ich Sie noch ein andermal mit verschiedenen artigen Kleinigkeiten und literarischen Anekdoten aus dieser Sammlung von Briefen unterhalten soll: so erwarte ich nur einen Wink.

G.

Fünfter Teil
1760
I. Den 3. Januar 1760
Sieben und siebenzigster Brief

Ecce iterum Crispinus!

Ich werde abermals das Vergnügen haben, Sie mit einem Werke zu unterhalten, das durch die Feder des berühmten Herrn Dusch geflossen ist.


– – – Et est mihi saepe vocandus
Ad partes. – – –

Und wie oft werde ich dieses abermals, abermals brauchen müssen! Herr Dusch hat geschrieben, schreibt, und wird schreiben, so lange er noch aus Hamburg Kiele bekommen kann: Schoßhunde und Gedichte; Liebestempel und Verleumdungen; bald nordische und bald allgemeine Magazine; bald satyrische, bald hämische Schriften; bald verliebte, bald freimütige, bald moralische Briefe; bald Schilderungen, bald Übersetzungen; und Übersetzungen bald aus dem Englischen, bald aus dem Lateinischen.


– – Monstrum nulla virtute redemptum!


[242] »O der Polygraph! Bei ihm ist alle Kritik umsonst. Ja man sollte sich fast ein Gewissen machen, ihn zu kritisieren; denn die kleinste Kritik, die man sich gegen ihn entfahren läßt, gibt ihm Anlaß und Stoff zu einemBuche. Und so macht sich ja der Criticus seiner Sünden teilhaft! – Zwar von diesen seinen Streitbüchern, sage ich Ihnen diesesmal nichts. Sie sind noch schlechter als seine Übersetzungen; und das Beste muß ich Ihnen doch zuerst bekannt machen.

Eine Duschische Übersetzung also abermals! Und der Abwechselungen wegen, nicht sowohl aus dem Englischen als aus dem Lateinischen! Eine Zwitterübersetzung aus beiden; wenn man sie recht benennen soll. – Lesen Sie den Titel davon am Rande.« 118 – »Aber wo steht denn da etwas von Herr Duschen? Sie werden sich irren.« – Nicht doch; ich irre mich nicht. Das Buch ist ja so dicke; und scheinet mit einer so liebenswürdigen Geschwindigkeit translatieret zu sein! Wer kann aber dickere Bücher geschwinder translatieren, als Herr Dusch?

Doch wenn Ihnen allenfalls dieser Beweis, weil er in Deutschland geführet wird, nicht bündig genug scheinet: Hier ist ein anderer! »Der Jugend besser fortzuhelfen«, sagt Herr Dusch in der Vorrede, »und in eben der Absicht, worin Herr Martin seinem lateinischen Texte eine engländische Übersetzung beigesetzet hat, habe ich eine eigene deutsche Übersetzung unternommen.« – Aus dieser eigenen deutschen Übersetzung nun, führe ich meinen andern bündigern Beweis.

Er lautet so! – Sie erinnern sich doch, daß ich in einem meiner vorigen Briefe, 119 eine Stelle aus den Schilderungen des Hrn. Dusch getadelt habe, welche eine Beschreibung der [243] herbstlichen Nachtgleiche sein sollte? »Itzo wieget die Waage Tag und Nacht in gleichen Schalen, und der Stand der Sonne teilet den Erdkreis in Licht und Finsternis.« Sie erinnern sich doch, daß diese Beschreibung nach zwei Zeilen des Virgils sollte gemacht sein, die Herr Dusch nicht verstanden hatte?


Libra die somnique pares ubi fecerit horas,
Et medium luci atque umbris jam dividit orbem.

Nun sind diese Zeilen aus dem ersten Buche Georgicorum; und ich weiß selbst nicht aus welcher heimlichen Ahndung ich nach der Übersetzung derselben zu allererst sahe. Und was meinen Sie, daß ich da fand? Ich fand: »Wenn die Waage die Tage und die Stunden des Schlafs gleich gemacht, und den Erdkreis in Licht und Finsternis geteilet hat.« O Herr Dusch! rief ich aus. Willkommen Hr. Dusch! – Urteilen Sie selbst, ob es wohl wahrscheinlich ist, daß zwei verschiedene Skribenten eben denselben lächerlichen Fehler sollten gemacht haben? Gewiß nicht! Der Verfasser der Schilderungen und unser Übersetzer müssen eins sein; und müssen eins sein in Herr Duschen!

Aber wenn es Herr Dusch wäre, werden Sie vielleicht einwenden, warum sollte Herr Dusch eben denselben Fehler mit Vorsatz noch einmal wiederholt haben? – Ich antworte: weil er ihn für keinen Fehler hielt; weil er, ohne Zweifel, als er ihn zum andernmale beging, meine Kritik noch nicht gelesen hatte. Und als er sie endlich zu lesen bekam, war der Bogen Rr in seiner Übersetzung leider schon abgedruckt. EinenCarton aber machen zu lassen, das würde ihn zu sehr verraten haben; und er wollte mit diesem kleinen Triumphe seinen Kunstrichter durchaus nicht beglücken. Gnug, daß er sich meine Erinnerung da stillschweigend zu Nutze machte, wo es noch möglich war. In der Parallelstelle nämlich, die ich damals anführte:


Jam rapidus torrens sitientes Sirius Indos
Ardebat coelo et medium sol igneus orbem
Hauserat

hat er das medium orbem richtig übersetzt; ob es gleich auch [244] hier Ruäus falsch verstehet, indem er medium orbem hauserat durch siccaverat medium orbem gibt, aus welchem siccaverat es unwidersprechlich erhellet, daß er unter orbem den Erdkreis verstanden hat. Ich will zwar nicht verhehlen, daß den Herrn Dusch hier sein Martin eben sowohl kann zurechte gewiesen haben, als ich. Denn Martin merket bei dieser Stelle sehr wohl an, daß von der Zeit des Nachmittags die Rede sei, weil Virgil sage, die Sonne habe die Mitte oder die Hälfte ihres Laufes vollendet. Aber doch will ich noch wetten, daß Herr Dusch bei der Übersetzung seinen Martin würde vergessen haben, wenn er nicht auf einer andern Seite einen kleinen Denkzettel bekommen hätte. – Sie sollen gleich meiner Meinung sein. –

Denn, was gibt mir Herr Dusch, wenn ich ihm in eben denselben Worten: »Wenn die Waage die Tage und die Stunden des Schlafes gleich gemachet, und den Erdkreis in Licht und Finsternis geteilet hat« noch einen recht häßlichen, abscheulichen Fehler zeige? – Im Lateinischen heißt die erste Zeile


Libra die somnique pares ubi fecerit horas etc.

Man findet sie aber auch so:

Libra dies somnique pares etc.


Und was ist hier dies und dort die? Beides, wie Sie wissen, ist der alte Genitivus für diei. Aber wußte das Herr Dusch? Hat er nicht offenbar dies für den Accusativus in der mehreren Zahl genommen, da er übersetzt: »wenn die Waage, die Tage und die Stunden des Schlafes gleich macht?« Die Waage macht die Tage gleich? Welcher Unsinn! Wenn ist denn bei Herr Duschen in einem Herbste ein Tag dem andern gleich? Was kann der Mann doch gedacht haben? Virgil sagt: Wenn die Waage die Stunden des Tages und des Schlafes gleichgemacht etc. Ist denn das nicht ganz etwas anders? – Dieser Fehler des Herrn Dusch ist also unwidersprechlich. Und ich setze dazu: unverzeihlich; denn wenn er sich der Anmerkung seines Martin noch erinnert hätte, wenn er sich Zeit genommen hätte, sie wieder nachzulesen: so hätte er ihn unmöglich [245] begehen können. »Bei den alten Römern, sagt Martin, endigte sich der Genitiv der fünften Deklination in es: also war Dies eben das, was wir izt Diei schreiben. Oft wurde es Die geschrieben, welches an dieser Stelle alle Herausgeber annehmen. Ich aber habe, auf Glauben des Aulus Gellius, Dies dafür gesetzt; er sagt nämlich, diejenigen, die Virgils eigenes Manuskript gesehen, hätten versichert, daß es Dies geschrieben wäre. Q. Ennius in sexto decimo annali Dies scripsit pro diei in hoc versu:


Postremae longinqua dies confecerit aetas.


Ciceronem quoque affirmat Caesellius in oratione, quam pro P. Sestio fecit, dies scripsisse pro diei, quod ego impensa opera conquisitis veteribus libris plusculis ita, ut Caesellius ait, scriptum inveni. Verba sunt haec Marci Tullii: Equites vero daturos illius dies poenas. Quo circa factum hercle est, ut facile iis credam, qui scripserunt idiographum librum Virgilii se inspexisse, in quo ita scriptum est:


Libra dies somnique pares ubi fecerit horas;


id est: Libra diei somnique.« – Denken Sie doch nur! Diese lange Anmerkung schreibt Herr Dusch auf dem Bogen E. von Wort zu Wort hin; und auf dem Bogen Rr hat er – sie schon wieder vergessen. Was soll man von ihm sagen? Ist es nicht offenbar, daß er ohne zu denken schreibt? daß er weder bei der Anmerkung, noch bei der Übersetzung muß gedacht haben? – Und nun wieder auf mein voriges zu kommen: So gut er hier seinen Martin vergessen hatte; eben so gut hätte er ihn ja auch bei dem hauserat medium orbem vergessen können, wenn er nicht, bei meinem Ausdrucke zu bleiben, von einer andern Seite einen kleinen Denkzettel bekommen hätte.

Als Herr O. unsere Briefe herauszugeben anfing, sagte er davon: »Ich teile sie dem Publico mit, weil ich glaube, daß sie manchem, sowohl von dem schreibenden, als lesenden Teile der so genannten Gelehrten, nützlich sein können.« 120 [246] – Sie glauben nicht, wie sehr des Herrn Duschs anderes Ich, oder sein kritischer Freund sich, über diese gute Meinung unseres ehrlichen O. formalisieret hat. Und hier ist doch gleich ein Exempel, an seinem eigenen Freunde, daß unsere Briefe wirklich einem sogenannten Gelehrten von dem schreibenden Teile, nützlich gewesen sind, und noch nützlicher hätten sein können, wenn es sein Autorstolz nicht verhindert hätte!

Unterdessen muß bei Fehlern von dieser Art noch etwas mehr als die bloße Nachlässigkeit des Herrn Dusch Schuld haben. Dieser Schilderer der Natur, dieser phantasiereiche Dichter muß sich von dem Weltgebäude nicht die geringste Vorstellung, nicht das allerkleinste Bild, weder nach den alten, noch nach den neuern Hypothesen, zu machen wissen. Hier ist ein neues recht lustiges Exempel: Virgil redet (lib. I. v. 242. 43.) von den beiden Polen, und sagt:


Hic vertex semper nobis sublimis; at illum
Sub pedibus Styx atra videt, manesque profundi.

Der eine Pol, sagt er, ist uns sublimis; der andere ist uns sub pedibus, und diesen, der uns sub pedibus ist, den sehen Styx atra, manesque profundi. Was kann deutlicher sein? Und doch war es Herrn Duschen nicht deutlich genug, denn er übersetzt: »Ein Pol ist uns allezeit erhaben, den andern aber sehen der Styx und die Manes, unter ihren Füßen.« – Die Manes, unter ihren Füßen? Warum nicht gar unter ihrem Kopfe. Denn Herr Dusch wird wohl einmal gehört haben, daß die Antipoden auf den Köpfen gehen. Und unter den Köpfen läßt sich immer noch eher etwas sehen als, unter den Füßen. – Der Übersetzer hat sich ohne Zweifel abermals durch die Interpretation des Ruäus verführen lassen, welcher den Vers:


Sub pedibus Styx atra videt, Manesque profundi.


in seiner Prose so versetzt und erläutert: sed illum Styx nigra, et umbrae infernae vident sub pedibus. Nur daß man es dem Ruäus nicht so unwidersprechlich beweisen kann, daß er sub pedibus auf die Manes gezogen hat, als dem Herrn Dusch!

[247] Wie finden Sie diese Proben? Was glauben Sie auf die ganze Übersetzung daraus schließen zu können? »daß sie elend ist!« – Übereilen Sie sich nicht. Herr Dusch hat es für eine Bosheit erkläret, aus zwei oder drei Fehlern das Ganze zu verdammen. – Nach dem die Fehler sind, mein Herr Dusch! – Aber diese Ausflucht soll ihm inskünftige nicht mehr zu statten kom men. Und Sie müssen es sich gefallen lassen, darunter zu leiden. – Werfen Sie allenfalls den Brief hier weg, wenn Sie sich Ihrer Schuljahre nicht gern erinnern wollen.

»Ich habe mich genauer an meinen Text gebunden, sagt Herr Dusch, um jungen Leuten die Mühe zu erleichtern, als ich ohne diese Absicht würde getan haben.« – Gut! Aber mußte sich diese Sklaverei gegen den Text auch so weit erstrecken, daß die Worte der deutschen Übersetzung dem Schüler kaum so viel helfen, als ob er sie nach und nach aus dem Wörterbuche zusammen gestoppelt und so hingeschrieben hätte? Daß er nunmehr für:


– – – tenuisque Lageos
Tentatura pedes olim, vincturaque linguam

weiter nichts zu lesen bekömmt, als: den leichten Lageos, der einst deine Füße versuchen, und deine Zunge binden wird? Mußte sie gar so weit gehen, daß Herr Dusch im Deutschen lieber zu einem ganz andern Verstande Anlaß geben, als von der wörtlichen Bedeutung abgehen wollte? Z.E.


Cui tu lacte favos et miti dilue Baccho


übersetzt Herr Dusch: Du aber opfere ihr mit Milch und reifem Weine vermischten Honigseim. Miti Baccho, mit reifem Weine? Es ist wahr, mitis hat die Bedeutung reif, als wo Virgil sagt:


Heu male tum mites defendit pampinus uvas.


Wenn wir aber im Deutschen reif zu Weine setzen, so bedeutet Wein uvas, nicht aber vinum. Gleichwohl will Virgil nicht sagen, daß man der Ceres Honigseim mit Milch und reifen Trauben, sondern mit Milch und lieblichem Weine [248] vermischt, opfern solle. – Mit dem nämlichen Worte reif, begehet Herr Dusch kurz zuvor einen ähnlichen Fehler, der aber noch weit lächerlicher ausfällt. Virgil sagt:


––––annua magnae
Sacra refer Cereri, laetis operatus in herbis:
Extremae sub casum hyemis, jam vere sereno.
Tunc agni pingues, et tunc mollissima vina.

Und Herr D. übersetzt: Feiere der großen Ceres ihr jährliches Fest, und bringe ihr auf den grünenden Rasen ihr Opfer; wenn der Winter zu Ende gehet, und der Frühling schon heiter wird. Denn sind die Lämmer fett; denn ist der Wein am reifsten. – Wenn ist der Wein am reifsten? Das ist: wenn gibt es die reifsten Trauben? Wenn der Winter zu Ende geht? Wenn der Frühling nun heiter wird? O mein Herr Dusch, wie leben Sie in der Zeit! – Es kann wohl sein, daß mollis hier und da auch soviel als reif heißt, ob ich mich gleich auf keine Stelle zu besinnen wüßte. Aber es heißt doch nicht immer reif, und wenn es auch immer reif hieße: so hätten Sie es doch hier nicht durch reif geben sollen. –


(Die Fortsetzung folgt.)

II. Den 10. Januar 1760
Beschluß des sieben und siebenzigsten
Briefes

Bald vergesse ich es, an wen ich schreibe. Ich wende mich wieder zu Ihnen. Eine wörtliche Übersetzung von dieser Art muß notwendig auch da, wo sie richtig ist, unendlichen Zweideutigkeiten unterworfen sein, und hat, wenn noch so wenig an ihr zu tadeln ist, doch weiter keinen Nutzen, als daß der junge Mensch, dem Herr Dusch die Mühe zu erleichtern sucht, sein Wörterbuch seltener nachschlagen darf. Aber wehe dir, junger Mensch, »dem Herr Dusch die Mühe zu erleichtern sucht«, wenn du darum dein Wörterbuch[249] seltener nachschlägst! Höre im Vertrauen: Herr Dusch selbst hat es zu wenig nachgeschlagen. Er hat dich keiner Mühe überhoben; weil er sich selbst die Mühe nicht geben wollen, das was er nicht wußte, dir zum Besten zu lernen! Nimm dein Wörterbuch, und schlage nach, was heißt Myrtus? du findest ein Myrtenbaum. Und Herr Dusch glaubt, es heiße ein Lorbeerbaum. Denn er übersetzt:


– cingens materna tempora myrto 121


durch: Daß er die Schläfe mit dem mütterlichen Lorbeer umgürte. Nimm dein Wörterbuch, und schlage nach, was heißt caper? Du findest, ein Ziegenbock. Und Herr Dusch sagt, es heiße eine Ziege Denn er übersetzt:


Non aliam ob culpam Baccho caper omnibus aris
Caeditur. 122

durch: Nur dieses Verbrechens wegen wird dem Bacchus auf allen Altären eine Ziege geschlachtet. Willst du unterdessen deinen guten Freund hier entschuldigen, so sage: Ei, die Ziege ist hier ein Bock! Und das ist wahr! – Nimm nochmals dein Wörterbuch, und schlage nach, was heißt pernox? Du findest übernächtig. Und Herr D. sagt, es heiße hartnäckig. Denn, wenn Virgil von dem Ochsen sagt, der in dem blutigen Kampfe mit seinen Nebenbuhlern den Kürzern gezogen:


Victus abit, longeque ignotis exulat oris:
Multa gemens ignominiam, plagasque superbi
Victoris, tum quos amisit inultus amores:
Et stabula aspectans regnis excessit avitis.
Ergo omni cura vires exercet, et inter
Dura jacet pernox instrato saxa cubili:

so übersetzt Herr Dusch: Der Überwundene gehet davon, und scheidet weit weg in eine entfernte unbekannte Gegend, und beseufzet kläglich seine Schmach, die Wunde, die er von dem stolzen Sieger empfing, und die Geliebten, die er ungerächet [250] verlor; schauet den Stall an, und scheidet aus dem Reiche seiner Väter. Dann gibt er sich alle Mühe, seine Kräfte zu üben, und liegt hartnäckig auf harten Steinen, ohne Streue. – Pernox, hartnäckig! Siehest du, Herr Dusch wußte nur von einem einzigen Adjectivo in x, und das war pertinax!

Rede ich nicht schon wiederum mit jemand andern? – Als wenn ich es nicht wüßte, daß Sie ohnedem nicht so weit lesen würden. – Wenn ich daher dennoch einen neuen Bogen anlege, so geschieht es nicht, Sie zu unterhalten; es geschieht Herr Duschen zu belehren.

Hier sind noch einige Stellen, mein Herr Dusch, die ich unter dem Durchblättern Ihrer Übersetzung, mit der Bleifeder angestrichen habe. Wir wollen sie näher betrachten.

Virgil sagt, Lib. I. v. III daß auch derjenige Landmann seinem Acker einen großen Dienst erzeige,


–qui ne gravidis procumbat calmus aristis,
Luxuriem segetum tenera depascit in herba,
Cum primum sulcos aequant sata.

dieses übersetzen Sie: Der die geile Saat, sobald sie mit der Furche eine gleiche Höhe erreichet, von seinem Viehe, wenn sie noch im zarten Kraute stehet, abfressen läßt etc. – Mit der Furche eine gleiche Höhe erreichet: ist sehr schlecht gesagt. Die Furchen sind die tiefen Einschnitte, die der Pflug gezogen hat, und sind also auf dem gepflügten Felde, gegen die Striche Erde, welche der Pflug aufwirft, das niedrigste. Wie kann also die Saat zur Höhe dieses niedrigsten Teiles des Ackers wachsen? Die Furchen stehen hier für den Acker überhaupt; und aequare heißt hiereben machen. Der Dichter will also sagen: Wenn die Saat die Furchen eben macht; sie gleichsam mit einem ausgespannten grünen Teppiche überziehet, unter welchem die unebene Fläche des Ackers versteckt liegt. Daß aequare aber eben machen heiße, hätten Sie aus dem 175. Verse eben desselben Buchs lernen können:


Area cum primis ingenti aequanda cylindro.


Es hilft Ihnen nichts, wenn Sie zu Ihrer Entschuldigung auch [251] schon das ventos aequante sagitta aus der Äneis anführen wollten. Ein Übersetzer muß sehen, was einen Sinn macht.


Lib. I. 113

Virgil fährt fort: auch der erzeige seinem Acker eine ersprießliche Wohltat:
–––Quique paludis
Collectum humorem bibula deducit arena;
Praesertim incertis si mensibus amnis abundans
Exit, et obducto late tenet omnia limo.
Unde cavae tepido sudant humore lacunae.

Der Dichter will sagen: Wenn nach starken Regengüssen, oder nach ausgetretenen Flüssen, auf den Vertiefungen des Ackers Wasser stehen bleibt, und Pfützen macht, so soll der Landmann diese Pfützen bibula deducere arena. Das ist, wie ich es verstehe, mit Sande, als welcher die Eigenschaft hat, daß er das Wasser leicht in sich schluckt, austrocknen. Bibula arena ist mir also das Mittel, wodurch er das Wasser wegschaffen soll. Sie hingegen verstehen den Ort darunter, von welchem er es wegschaffen soll, und übersetzen: der von dem schwammigten Lande das gesammelte Wasser eines Sumpfes ableitet. Sie machen dem Landmanne eine unendliche Mühe! Das Wasser durch Kanäle von dem Acker abzuleiten, ist nichts geringes; und oft wird es für ihn schlechterdings unmöglich sein. Aber die Pfützen mit Sand austrocknen; das kann ihm sehr leicht sein. Ich weiß wohl, Sie haben diesen Fehler mit den gemeinen Auslegern gemein. Denn auch Ruäus erklärt die gegenwärtige Stelle durch: qui derivat ex terra bibula aquam illic collectam, instar paludis. Aber entschuldigen blinde Führer?


Lib. I. v. 133


Virgil will die Ursache angeben, warum Jupiter die freiwillige Fruchtbarkeit des goldnen Weltalters aufgehoben habe, und sagt, es sei geschehen:


Ut varias usus meditando excuderet artes
Paulatim et sulcis frumenti quaereret herbam.

[252] So wie in der ersten Zeile meditando das Mittel und den Weg anzeigt, wie die verschiedenen Künste hervorgebracht werden sollten: so zeigt es auch sulcis in der zweiten an. Die Menschen sollten durch ackern, sich Getreide verschaffen lernen. Sie übersetzen daher ganz links: Damit Erfahrung und Nachsinnen nach und nach verschiedene Künste mit Mühe erfinden, und in den Furchen das Kraut des Getreides suchen möchte. Hier ist alles nur halb recht!


Lib. I. v. 308

–tum figere damas,
Stupea torquentem Balearis verbera fundae:
Cum nix alta jacet, glaciem cum flumina trudunt.

Der Dichter redet von den Beschäftigungen im Winter, und rechnet darunter auch, Gemsen mit der Balearischen Schleuder zu erlegen. Sie aber, mein Herr, machen aus der Balearischen Schleuder, einen Balearischen Schleuderer und sagen dadurch eine Absurdität, denn ich glaube eben nicht, daß auf den Balearischen Inseln tiefer Schnee liegt, und die Flüsse Eisschollen treiben. Dann ist es Zeit für den Balearischen Schleuderer Gemsen zu erlegen, wenn ein tiefer Schnee liegt etc.


Lib. I. v. 475

– pecudesque locutae,
Infandum!

übersetzen Sie: Und Tiere redeten ein entsetzliches Zeichen. Sie nehmen also Infandum hier für das Adjectivum, und glauben es werde als ein Substantivum gebraucht. So aber habe ich es nie gefunden. Es ist hier das Adverbium, oder die Interjektion, wie Sie es nennen wollen. Eben wie in der Äneis:


Navibus, infandum, amissis unius ob iram
Prodimur.

Doch Sie werden sagen: Es fehlet meiner Übersetzung weiter nichts als die Interpunktion nach redeten. Ich will Ihnen glauben.

[253] Sie sehen, ich bin noch immer in dem ersten Buche. Und mehr als das erste Buch habe ich von Ihrer Übersetzung auch nicht gelesen; und auch dieses nurobenhin gelesen. Alles andere aus den übrigen Büchern ist mir bloß bei dem Aufschlagen in die Augen gefallen.

Ich fand z.E. Jährlich muß man drei bis viermal den Boden pflügen, und mit der umgekehrten Hacke die Klöße beständig zerschlagen, und dem ganzen Weingarten die Last der Blätter leichter machen. Was kann man unter diesen letztern Worten anders verstehen, als daß der Dichter die abgefallenen Blätter aus dem Weingarten wegzuschaffen, oder sie unterzuhacken befiehlet? Und doch will Virgil ganz etwas anders sagen; denn


– omne levandum
Fronde nemus 123

ist von dem sogenannten Blatten zu verstehen, da man die obersten Blätter abreißt, um der Sonne mehr Kraft zu geben. Nemus ist hier eben das, was der Dichter in der 417ten Zeile arbusta nennet. Und Ihre zweideutige Übersetzung würde nur alsdenn zu entschuldigen sein, wenn anstatt nemus, vinea stünde.


Ferner fand ich in eben demselben Buche: Und den Hyläus, der dem Lapithära mit einem schweren Becher drohet. Lapithära? Was ist das für ein Ding? Ich würde es unmöglich haben erraten können, wenn ich nicht den Text zu Hülfe genommen hätte.


– Hylaeum Lapithis cratere minantem. 124


Ein ganzes Volk so zu einer einzelnen Person zu verstümmeln!


Desgleichen: Auf büschichten Feldern, wo Gruß liegt. Gruß? Was heißt Gruß? Ich muß wirklich den Text wieder zu Hülfe nehmen:


et dumosis calculus arvis 125


[254] Ah, Sie haben Gries wollen schreiben! Es ist doch vortrefflich, daß Sie Virgil manchmal besser verstehet, als ich. Daß dumosis noch etwas mehr als büschicht heiße, will ich so hingehen lassen.

Auch las ich von ohngefähr die ersten funfzig Zeilen des dritten Buchs. Und wie mancherlei war mir da anstößig. Ich will Ihnen nicht aufmutzen, wie kindisch Sie diese Zeilen:


– Tentanda via est, qua me quoque possim
Tollere humo, victorque virum volitare per ora. 126

übersetzt haben: Auch ich muß es versuchen, mich auf einer neuen Bahn von der Erde zu erheben, und als ein Sieger durch den Mund der Welt zu fliegen. Volitare per ora virum: durch den Mund der Welt fliegen. Ich will nicht erwähnen, daß es einen ganz schielenden Verstand macht, wenn Sie


Primas Idumaeas referam tibi, Mantua, palmas. 127


übersetzen: Ich will der erste sein, der dir, Mantua, die idumäischen Palmen bringt. Was für idumäische? Denn so heißt mich der vorgesetzte Artikel die fragen? Es ist kein bloßes poetisches Beiwort mehr, sobald dieser vorgesetzt wird. – Es möchte alles gut sein, wenn Sie nur nicht aus dem feinen Hofmanne, der Virgil war, einen plumpen Prahler machten. Wie haben Sie immer und ewig die Zeilen:


Cuncta mihi, Alpheum linquens lucosque Molorchi
Cursibus et crudo decernet Graecia cestu. 128

übersetzen können: Das ganze Griechenland wird mir zu Ehren im Wettlaufe streiten. Das vorhergehende illi, nämlich dem Cäsar,


Centum quadrijugos agitabo ad flumina currus

zeiget deutlich, daß mihi hier bloß als ein Füllwort stehet, so wie in unzähligen Stellen: als
[255]
Depresso incipiat jam tum mihi taurus aratro
Ingemere etc.
oder
– ah nimium ne sit mihi fertilis illa.

Wenn ein Übersetzer bei dergleichen Gelegenheiten das mihi also ja ausdrücken will, so muß es gleich falls durch das bloße deutsche Füllwort mir geschehen: »Das ganze Griechenland soll mir im Wettlaufe streiten.« Oder hätten Sie ihm durchaus eine bestimmte Bedeutung geben wollen, so hätten Sie anstatt mir zu Ehren, auf mein Geheiß sagen müssen. Denn nur dieses kann höchstens der Zusammenhang leiden. Ruäus selbst erkläret diese Stelle richtiger, als es sonst seine Gewohnheit ist, durch: meo jussu certabit cursu etc. – Doch itzt erst werde ich gewahr, daß Ihr Martin selbst, dem Dr. Trapp zu Folge, dieses mihi, durch in meum honorem gibt. Er irret sich ganz gewiß; und Sie, der Sie an mehrern Stellen von ihm abgehen, hätten ihm hier am wenigsten folgen sollen. Eben so wenig hätten Sie sich, bei dem 58ten Verse, durch seine angeführte Stelle aus dem Columella, sollen verführen lassen. Der Dichter will lehren, wie eine gute Zuchtkuh gestaltet sein müsse, und setzt endlich hinzu


– – quaeque ardua tota. 129


Sie übersetzen dieses: imgleichen, wenn sie hoch ist. Arduus heißt nicht was vergleichungsweise hoch ist, sondern was sich hoch trägt. So sagt der Dichter anderswo:


Hinc bellator equus campo sese arduus infert.

Desgleichen sagt er von einer überfahrenen Schlange:
Parte ferox, ardensque oculis et sibila colla
Arduus attollens etc.
Und noch von einem andern Pferde:

– Frontemque ostentans arduus albam.


[256] Kurz, der Dichter redet von einer Kuh, die den Hals hoch trägt, und nicht von einer, die ihrer ganzen Gestalt nach hoch ist. Eben dasselbe Merkmal verlangt er auch an einer Zuchtstute, wo er sich weniger zweifelhaft ausdrücket:


– – Illi ardua cervix etc.


Und nun sollte ich Ihnen auch etwas aus dem vierten Buche anführen. Doch dieses will ich nicht eher tun, als bis Sie mir Trotz bieten werden, Ihnen in dem vierten Buche einen Fehler zu zeigen. Ich weiß, mit diesem Trotz bieten sind Sie sehr geschwind.

Auch sollte ich von Ihren Anmerkungen noch etwas sagen. Wo Sie gute Leute ausgeschrieben haben, da sind sie so ziemlich gut. Wo Sie aber etwas aus Ihren eigenen Kräften versuchen wollen, da glauben Sie gar nicht wie klein Sie erscheinen! Ich nehme die Anmerkung 20) Seite 625 zum Beweise; wo die Worte: nec gratia terrae nulla est, quam inaratae terrae, ein sauberes Pröbchen einer ganz vortrefflichen Latinität sind.

Und warum prahlen Sie mit der Richtigkeit Ihres Textes? Er ist höchst fehlerhaft, und ohne eine bessere Ausgabe nicht wohl zu brauchen. So stehet injusta für injussa, sperantia für spirantia etc. – Doch das sind alles Kleinigkeiten! Sie haben uns wieder ein dickes Buch geliefert; und dafür müssen wir Ihnen freilich verbunden sein. –

Gnug mit dem Herrn Dusch gesprochen! Was unsere galanten Briefsteller die courtoisie nennen, das ist nunmehr wieder an Sie gerichtet. Ich bin etc.

A.

VI. Den 7. Februar 1760
Ein und achtzigster Brief

Der Verfasser der scherzhaften Lieder, deren größter Teil Ihnen wegen seiner naiven Wendungen und feinen Sprache, so viel Vergnügen gemacht hat, und von welchen bereits eine zweite verbesserte Auflage erschienen ist, hat sich aufs neue [257] in einer andern, und höheren Sphäre gezeigt. In der tragischen. 130 Und mit Ehren.

»Was?« – wird ohne Zweifel auch hier der kritische Freund des Herrn Dusch auffahren – »Was? ein Witzling, der den Geist der anakreontischen Gedichte besitzet, sollte auch den Geist der Tragödie besitzen? Der eine erschüttert das Herz; Schrecken und Tränen stehen ihm zu Gebote; der andere erregt ein kurzes Vergnügen über einen unerwarteten Einfall; und wenn er uns ermuntert hat, und wenn wir lachen, so hat er alle Ehre, die er hoffen kann. – Man sollte glauben,« fährt dieser tiefsinnige Kunstrichter fort, »daß diese beiden sehr verschiedenen Eigenschaften sich nicht wohl mit einander vertragen könnten. Ich wenigstens« 131

Ja, er wenigstens! – Er, der Freund des Herrn Dusch! – Er wird es solchergestalt gleich a priori wissen, daß die Trauerspiele unsers scherzhaften Liederdichters nichts taugen. Wollen Sie es bei dieser philosophischen Nativitätstellung bewenden lassen? Oder wünschten Sie lieber, mit Ihren eigenen Augen zu sehen, und nach Ihren eigenen Empfindungen zu schließen? – Ich weiß schon, was Sie tun werden; und dieser Brief mag Sie darauf vorbereiten.

In dem Vorberichte klaget Herr Weise – denn warum sollte ich Bedenken tragen, Ihnen den Mann zu nennen, der Ihnen gefallen hat, und den Sie nun bald hoch schätzen werden? – über den Mangel an deutschen Trauerspielen. Daß es den Deutschen am tragischen Genie fehlen sollte, kann er sich nicht überreden. »Aber ein unglückliches Schicksal, sagt er, hat bisher über die deutsche Schaubühne gewaltet. Einige dieser Lieblinge der Musen sind in der Morgenröte ihres Witzes verblühet, und haben uns durch ihre ersten Früchte gezeiget, was für eine angenehme Hoffnung wir mit ihnen verloren haben.« – Dieses muß Sie an die Herren von Cronegk und von Brawe erinnern, von welchen beiden ohne Zweifel der letztere das größere tragische Genie war. Er hat noch ein Trauerspiel in Versen völlig ausgearbeitet hinterlassen, [258] und Freunde, die es gelesen haben, versichern mich, daß er darin mehr geleistet, als er selbst durch seinen »Freigeist« zu versprechen geschienen. – »Andere«, fähret Herr W. fort, »lassen, wir wissen nicht aus was für unglücklichen Ursachen, die Jahre des Genies vorbei fliehen: sie schmeicheln uns mit Hoffnung, und lassen sie unerfüllet, bis sie die Geschäfte des Lebens überhäufen, oder sie sich in andere Sorgen verteilen.« – Ich kann nicht sagen, wer diese andere sind. Sind es aber wirklich tragische Genies, so verspreche ich mir von ihrer Verzögerung mehr Gutes als Schlimmes. Die Jahre der Jugend sind die Jahre nicht, von welchen wir tragische Meisterstücke erwarten dürfen. Alles was auch der beste Kopf in dieser Gattung, unter dem dreißigsten Jahre, leisten kann, sind Versuche. Je mehr man versucht, je mehr verdirbt man sich oft. Man fange nicht eher an zu arbeiten, als bis man seiner Sache zum größten Teile gewiß ist! Und wenn kann man dieses sein? Wenn man die Natur, wenn man die Alten gnugsam studieret hat. Das aber sind lange Lehrjahre! Gnug, daß die Jahre der Meisterschaft dafür auch desto länger dauern. Sophokles schrieb Trauerspiele bis in die achzigsten Jahre. Und wie gut ist es einem Tragicus, wenn er das wilde Feuer, die jugendliche Fertigkeit verloren hat, die so oft Genie heißen, und es so selten sind. »Noch andern, heißt es weiter, fehlt es an Aufmunterung; sie haben niemals eine gute Schauspielergesellschaft gesehen, und kennen die dramatische Dichtkunst bloß aus den Aristoteles und Hedelin.« –

Das ist ohne Zweifel ein Hauptpunkt! Wir haben kein Theater. Wir haben keine Schauspieler. Wir haben keine Zuhörer. – Hören Sie, was ein neuer französischer Schriftsteller 132 von diesem Punkte der Aufmunterung sagt: »Eigentlich zu reden, sagt er, gibt es ganz und gar keine öffentlichen Schauspiele mehr. Was sind unsere Versammlungen in dem Schauplatze, auch an den allerzahlreichsten Tagen, gegen die Versammlungen des Volks zu Athen und zu Rom? Die alten Bühnen konnten an die achtzig tausend [259] Bürger einnehmen. Die Bühne des Scaurus war mit drei hundert und sechzig Säulen, und mit drei tausend Statuen gezieret. Wie viel Gewalt aber eine große Menge von Zuschauern habe, das kann man überhaupt aus dem Eindrucke, den die Menschen auf einander machen, und aus der Mitteilung der Leidenschaften abnehmen, die man bei Rebellionen wahrnimmt. Ja der, dessen Empfindungen, durch die große Anzahl derjenigen, welche daran Teil nehmen, nicht höher steigen, muß irgend ein heimliches Laster haben; es findet sich in seinem Charakter etwas Einsiedlerisches, das mir nicht gefällt. Kann nun ein großer Zulauf von Menschen die Rührung der Zuschauer so sehr vermehren, welchen Einfluß muß er nicht auf die Verfasser, und auf die Schauspieler haben? Welcher Unterschied, zwischen heut oder morgen einmal, ein Paar Stunden, einige hundert Personen, an einem finstern Orte zu unterhalten; und die Aufmerksamkeit eines ganzen Volkes, an seinen feierlichsten Tagen zu beschäftigen, im Besitz seiner prächtigsten Gebäude zu sein, und diese Gebäude mit einer unzählbaren Menge umringt und erfüllt zu sehen, deren Vergnügen oder Langeweile von unsern Talenten abhangen soll?« – So redet ein Franzose! Und welcher Sprung von dem Franzosen auf den Deutschen! Der Franzose hat doch wenigstens noch eine Bühne; da der Deutsche kaum Buden hat. Die Bühne des Franzosen ist doch wenigstens das Vergnügen einer ganzen großen Hauptstadt; da in den Hauptstädten des Deutschen, die Bude der Spott des Pöbels ist. Der Franzose kann sich doch wenigstens rühmen, oft seinen Monarchen, einen ganzen prächtigen Hof, die größten und würdigsten Männer des Reichs, die feinste Welt zu unterhalten; da der Deutsche sehr zufrieden sein muß, wenn ihm ein Paar Dutzend ehrliche Privatleute, die sich schüchtern nach der Bude geschlichen, zuhören wollen.

Doch lassen Sie uns recht aufrichtig sein. Daß es mit dem deutschen Drama noch so gar elend aussiehet, ist vielleicht nicht einzig und allein die Schuld der Großen, die es an ihrem Schutze, an ihrer Unterstützung mangeln lassen. Die Großen geben sich nicht gern mit Dingen ab, bei welchen sie wenig oder gar keinen glücklichen Fortgang voraussehen.

[260] Und wenn sie unsere Schauspieler betrachten, was können ihnen diese versprechen? Leute ohne Erziehung, ohne Welt, ohne Talente; ein Meister Schneider, ein Ding, das noch vor ein paar Monaten Wäschermädchen war etc. Was können die Großen an solchen Leuten erblicken, das ihnen im geringsten ähnlich wäre, und sie auffrischen könnte, diese ihre Repräsentarii auf der Bühne, in einen bessern und geachtetern Stand zu setzen? –

Ich verliere mich in diesen allgemeinen Betrachtungen, die uns noch sobald keine Änderung hoffen lassen. – Das erste Trauerspiel des Hrn. Weise heißt: »Eduard der Dritte«.

Eduard der Zweite war gezwungen worden, sich von der Regierung los zu sagen, und es geschehen zu lassen, daß sie auf seinen Sohn, Eduard den Dritten übergetragen wurde, während dessen Minderjährigkeit seine Mutter Isabella, mit ihrem Lieblinge Mortimer freie Hand zu haben hofften, und sie eine Zeitlang auch wirklich hatten. Der abgesetzte König ward aus einem Gefängnisse ins andere geschleppt; und ich habe folgenden Umstand bei dem Rapin nie ohne die größte Rührung lesen können. »Als ihn die Ritter Maltraves und Gournay, die ihm als Wächter oder vielmehr als Peiniger zugegeben waren, in sein letztes Gefängnis, in das Schloß zu Barkley brachten, nahmen sie tausend unanständige Dinge mit ihm vor, sogar daß sie ihm auf freiem Felde mit kaltem Wasser, welches aus einem schlammigten Graben genommen worden, den Bart putzen ließen. So viel Beständigkeit er auch bis dahin bezeuget hatte, so konnte er sich doch bei dieser Gelegenheit nicht enthalten, sein Unglück zu beweinen, und zu erkennen zu geben, wie sehr er davon gerührt sei. Unter den Klagen und Vorwürfen, die er denjenigen machte, welche ihm mit so vieler Grausamkeit begegneten, sagte er, daß sie, sie möchten auch machen, was sie wollten, ihm doch nicht den Gebrauch des heißen Wassers nehmen sollten, um sich den Bart putzen zu lassen. Und indem ließ er zwei Ströme von heißen Tränen aus seinen Augen die Wangen herabfließen.«

Der arme Mann! – Und es war ein König! – Aber was fällt Ihnen sonst bei dieser Antwort ein? Wenn sie ein Dichter erfunden [261] hätte, würde nicht der gemeine Haufe der Kunstrichter sagen: sie ist unnatürlich; der Schmerz ist so witzig nicht? Und doch war der Schmerz hier so witzig; wenn derjenige anders witzig ist, der das sagt, was ihm die Umstände in den Mund legen. Demnach denke nur auch der Dichter vor allen Dingen darauf, seine Personen, so zu reden, in eine witzige Situation zu setzen? und er kann gewiß sein, daß alle der Witz, den ihnen diese Situation gibt, nicht nur untadelhaft, sondern höchst pathetisch sein wird. Diderot, den ich Ihnen oben angeführt habe, erläutert den nämlichen Satz durch das Exempel einer geringern Person: »Eine Bäuerin, erzählt er, schickte ihren Mann zu ihren Ältern, die in einem benachbarten Dorfe wohnten. Und da ward dieser Unglückliche von einem seiner Schwäger erschlagen. Des Tages darauf ging ich in das Haus, wo sich der Fall zugetragen hatte. Ich erblickte ein Bild, und hörte eine Rede, die ich noch nicht vergessen habe. Der Tote lag auf einem Bette. Die nackten Beine hingen aus dem Bette heraus. Seine Frau lag, mit zerstreuten Haaren, auf der Erde. Sie hielt die Füße ihres Mannes, und sagte unter Vergießung von Tränen, und mit einer Aktion, die allen Anwesenden Tränen auspreßte: Ach, als ich dich hieher schickte, hätte ich wohl geglaubt, daß diese Füße dich zum Tode trügen!« Auch das war Witz, und noch dazu Witz einer Bäuerin; aber die Umstände machten ihn unvermeidlich. Und folglich auch muß man die Entschuldigung der witzigen Ausdrücke des Schmerzes und der Betrübnis nicht darin suchen, daß die Person, welche sie sagt, eine vornehme, wohl erzogene, verständige und auch sonst witzige Person sei; denn die Leidenschaften machen alle Menschen wieder gleich: sondern darin, daß wahrscheinlicher Weise ein jeder Mensch ohne Unterschied, in den nämlichen Umständen das nämliche sagen würde. Den Gedanken der Bäuerin hätte eine Königin haben können, und haben müssen: so wie das, was dort der König sagt, auch ein Bauer hätte sagen können, und ohne Zweifel würde gesagt haben.

Aber ich komme von unserm Eduard ab. Sie wissen sein grausames Ende. Er wollte vor Betrübnis und Kummer nicht [262] bald genug sterben. Seine Wächter erhielten also Befehl, Hand anzulegen. Sie überfielen ihn, und steckten ihm eine Röhre von Horn in den Leib, durch welche sie ein glühendes Eisen stießen, das ihm das Eingeweide verbrennen mußte. Er starb unter den entsetzlichsten Schmerzen; und sein Sohn ward überredet, daß er eines natürlichen Todes gestorben sei.

Der Bruder dieses Unglücklichen, und der Oheim des jungen Königes, Edmund Graf von Kent, hatte an der Veränderung der Regierung nicht geringen Anteil gehabt. Er hatte sich von den Kunstgriffen der Isabella hintergehen lassen, und erkannte es zu spät, daß er seiner brüderlichen Liebe, zum Besten einer Buhlerin, und nicht zum Besten seines Vaterlandes, vergessen habe. Seine Großmut erlaubte ihm nicht, sich lange zu verstellen. Er ließ es Isabellen und ihrem Mortimer gar bald merken, wie übel er mit ihrer Aufführung zufrieden sei; und da sein Verhalten sonst unsträflich war, so konnten ihm diese nicht anders als mit List beikommen. Sie ließen ihm nämlich durch Personen, die er für seine Freunde hielt, auf eine geschickte Art zu verstehen geben, daß sein Bruder Eduard noch am Leben sei, und daß man seinen Tod aus keiner andern Ursache ausgesprengt habe, als um den Bewegungen zuvor zu kommen, die seine Anhänger erwecken könnten. Sie fügten hinzu, daß er in dem Schlosse Corfe genau bewahret werde, und wußten dieses vorgegebene Geheimnis nicht allein durch verschiedene Umstände zu unterstützen, sondern auch durch das Zeugnis vieler angesehenen Personen zu bestätigen, unter welchen sich zwei Bischöfe befanden, die entweder sowohl als Edmund betrogen waren, oder ihn betriegen halfen. Der ehrliche Edmund ließ sich in dieser Schlinge fangen, und faßte den Anschlag, seinen Bruder aus dem Gefängnisse zu ziehen. Er begab sich selbst nach Corfe, und verlangte frei heraus, zu seinem Bruder gelassen zu werden. Der Befehlshaber des Schlosses stellte sich bestürzt, daß Edmund von diesem Geheimnisse Nachricht bekommen habe, und leugnete ihm gar nicht, daß Eduard in dem Schlosse sei, aber er versicherte ihm, daß er die nachdrücklichsten Befehle habe, niemanden zu ihm zu [263] lassen. Edmund verdoppelte sein Anhalten; der Befehlshaber bestand auf seiner Weigerung; endlich faßte jener den unglücklichen Entschluß, diesem ein Schreiben an den Gefangenen anzuvertrauen, in welchem er ihm versicherte, daß er mit allem Ernste an seiner Freiheit arbeiten wolle. Dieses Schreiben ward sogleich der Königin gebracht! Sie hatte ihren Zweck erreicht; Edmund hatte sich strafbar gemacht. Sie vergrößerte ihrem Sohne die Gefahr, in der er sich durch die Ränke seines Oheims befinde; und kurz, Edmund verlor seinen Kopf.

Nun darf ich Ihnen bloß sagen, daß unser Dichter diese gegen den Edmund gebrauchte List, als eine Wahrheit angenommen, und das Schicksal des Edmunds mit dem Schicksale des gefangenen Königs verbunden hat: und sogleich wird Ihnen der ganze Inhalt des Stückes ohngefähr in die Gedanken schießen. Die Ökonomie ist die gewöhnliche Ökonomie der französischen Trauerspiele, an welcher wenig auszusetzen, aber selten auch viel zu rühmen ist. Und eben daher kann ich mich in keine Zergliederung einlassen.

Das erste Dutzend Verse verspricht, in Ansehung des Ausdruckes und der Wendung, nichts geringers als eine Schlegelsche Versifikation.


LOKESTER zu dem Grafen von Kent.

Ja Freund, dies ist der Dank, den man am Hofe gibt,
Wo man den Edeln haßt, und den Verräter liebt!
Ich, der der Königin ein Heer nach Suffolk brachte,
Mich bei der Welt verhaßt, und sie gefürchtet machte,
Die oft durch meinen Rat, stets durch mein Schwerd gekriegt,
Durch jenen Ruhm erwarb, durch dieses oft gesiegt;
Ich, der an sie zuletzt den König selbst verraten,
So sehr sein Elend sprach und Freunde für ihn baten:
Ich werd itzt kaum gehört, und niemals mehr befragt,
Und wär ich ohne dich, so wär ich schon verjagt.

Doch dieser schöne Anfang zeigt nur, wie edel die Sprache unsers Dichters sein könnte, wenn er sich überall die gehörige [264] Mühe gegeben hätte. Er hat sich leider ein wenig zu oft vernachlässiget, und dadurch selbst seinen Charakteren und Situationen den größten Schaden getan. Charaktere und Situationen sind die Contours des Gemäldes; die Sprache ist die Colorite; und man bleibt ohne diese nur immer die Hälfte von einem Maler, die Hälfte von einem Dichter.

Ich will Sie aber dadurch nicht abgeschreckt haben! So wie der Anfang ist, so werden Sie noch unzähliche Stellen finden. Besonders in den Szenen, die Edmund mit dem jungen Könige, und mit der Isabella hat. Was kann, einige Kleinigkeiten ausgenommen, stärker sein, als folgende Stelle? Edmund hat der Königin bittere Wahrheiten, in Gegenwart ihres Sohnes hören lassen; und sie versetzt: Er habe eine andere Sprache geführt,


– – – – so lang er noch geglaubt,
Daß er für sich allein nur Englands Thron geraubt.
EDMUND. – – – – Nein; sprich, so lang er glaubte,
Daß nicht die Königin für Mortimern ihn raubte;
So lang er noch geglaubt, es stritte seine Hand
Für Freiheit, und Gesetz, und Prinz und Vaterland;
So lang er noch geglaubt, daß er der Briten Rechte,
Die Schottland an sich riß, durch seinen Mut verfechte;
So lang er noch geglaubt, daß Englands Ruh und Glück
Dein großer Endzweck wär, und daß man das Geschick
Der Staaten Albions, der Herrschaft schwere Bürde,
Den Weisesten des Reichs indes vertrauen würde:
Allein so bald er sah, daß Geiz nach eigner Macht,
Stolz, blinde Rachbegier den Anschlag ausgedacht,
Daß man nicht für das Glück des besten Prinzen sorgte,
Und zu der Missetat frech seinen Namen borgte,
Daß man den König nicht der Freiheit überließ,
Durch Barbarngleiche Wut ihn in den Kerker stieß,
Wo man vielleicht noch itzt den Unglückselgen quälet,
Wenn unaussprechlich Leid ihn nicht bereits entseelet –

ISABELLA die ihrem Sohne den Degen von der Seite reißen will.

Verwegner! Rasender! entgehe meiner Wut –

[265] EDMUND. Kühl in des Lieblings Arm dein aufgebrachtes Blut! etc.

G.

XII. Den 20. März 1760
Ein und neunzigster Brief

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Noch ein Wort von der schuldigen Ehrenrettung des Herrn Prof. Gottscheds! Die vermeinte Ehrenrührung, darüber sich Herr Gottsched beschwert, gründet sich auf einen Brief im 17ten Stücke der Schadischen Staats- und gelehrten Zeitung, in welchem ein gewisser G. aus L. versichert, er sei der Verfasser der bekannten Schrift, die der Herr von V. unter dem Titel: Candide ou l'Optimisme, traduit de l'allemand de Mons. le Docteur Ralph, im französischen herausgegeben. Er, Herr G. aus L. habe das Manuskript an seinen vertrauten Freund, den Herrn S. G. nach Paris geschickt, es sei aber demselben entwendet, und darauf so ins Französische übersetzt worden, »wie die Herren Franzosen gemeiniglich die deutschen Schriften zu übersetzen pflegen.« Er verwundert sich über den Herrn v. V. daß er ihm einen solchen Streich gespielet, da er, V. ihm, dem Herrn G. doch mehr als einmal öffentliche Zeugnisse seiner Hochachtung gegeben, und noch mehr befremdet es ihn, daß ihm V. den Namen Doktor Ralph beigelegt, da ihm doch der Name G. beinahe so gut bekannt sein müßte, als sein eigener. »Jedoch, setzt Herr G. hinzu, man kann ungefähr die Ursachen des Neides erraten, seitdem ich einer Gnade gewürdigt worden, von welcher nicht nur ganz Germanien spricht, sondern die auch in Frankreich hat bekannt werden müssen.« Herr Gottsched, der selten Spaß verstehet, besorgte, die ganze Welt würde ihn für den Verfasser des »Candide« halten, »und einem Unschuldigen, wie er sich im Neuesten ausdrückt, solche groben Irrtümer, und satyrische Verwegenheit zuschreiben, davon ihn in seinem Leben nicht geträumet hat.« Er machte gewaltigen Lärm in seinem Neuesten, schrieb auch deswegen an Schaden. Dieser schiebt die Schuld auf den Sekretär Dreyer, und versichert, er habe die Schrift, Candide niemals gelesen, und sich daher gar nicht vorstellen können, daß eine Bosheit darunter stecke. Um aber dem Herrn Dreyer gar keine Ausflucht zu lassen, beweiset Herr Schade in bester Form, daß man den Herrn Pr. Gottsched notwendig für den Urheber besagten Briefes halten müsse; 1) aus dem Anfangsbuchstaben des Orts L. 2) aus dem Anfangsbuchstaben des Namens G. 3) aus der Gnade, die dem Herrn Pr. Gottsched von Sr. Königl. Maj. in Preußen widerfahren, und endlich 4) aus dem vertraueten Freund S. G. [266] zu Paris. Doch trauet Herr Sch. dem letzten Beweis selbst nicht viel zu, und mit Recht! denn wer weiß, wie viel vertraute Freunde in Paris S. G. heißen mögen?

Dem sei wie ihm wolle, Gottsched erlangt Genugtuung, und Herr Schade demonstriert gar deutlich, daß Herr Gottsched unmöglich der Verf. des Candide sein könne. Ich dächte Gottsched hätte sich immer auf seine Unschuld verlassen können. Kein Vernünftiger wird in ihm den schalkhaften Doktor Ralph suchen. Eher möchte ich Dreyer für den Erfinder der vernünftigen Archäenwanderung, als Gottsched für den Verf. des Candide halten.

Z.


N.S.


Ich kann diesen Brief unsers Z. unmöglich ohne einen kleinen Zusatz fortschicken. Der gute Z., sehe ich wohl, verstehet von den Gottschedischen Autorstreichen eben so wenig als von der Schadischen Archäenwanderung. Würde er sonst die Protestation des Professors, daß er der Verfasser des »Candide« nicht sei, so gutherzig an und aufgenommen haben? Woraus beweiset Herr Gottsched, daß er den »Candide« nichtkönne gemacht haben? Nicht wahr, aus seiner Verabscheuung der darin vorgetragenen Lehren? Wenn ich Ihnen nun aber beweise, daß er diese Verabscheuung nur vorgibt, und daß er das aller unsinnigste, was im »Candide« zu finden ist, in völligem Ernste behauptet? Wie da? Und nichts ist leichter zu beweisen. Erinnern Sie sich wohl den närrischen italienischen Grafen im »Candide«, dem nichts mehr gefällt, der alles überdrüssig geworden ist, der von den vortrefflichsten Werken der Alten und Neuern auf eine so skurrile Art urteilet, daß man notwendig an seinem gesunden Verstande zweifeln muß? Sollte man nicht glauben, daß dieser rasende Virtuose nur deswegen eingeführet worden, um ihn durch seinen eigenen Mund lächerlich und verächtlich zu machen? Notwendig. Und doch betriegen wir uns alle, die wir dieses glauben. Denn sieh, Herr Gottsched erkläret ausdrücklich, in seinemHandlexico der schönen Wissenschaften, daß es die pure lautere Wahrheit sein soll, was der närrische Italiener sagt. Kann man das anders als eine authentische Erklärung, als eine Erklärung annehmen, die der Verfasser als derjenige gibt, der sich seiner Meinung am [267] besten bewußt sein muß? Er schreibt nämlich unter dem Artikel Milton. »Das verlorene Paradies hat unter den Deutschen so viele Bewunderer und Tadler gefunden, daß wir unsere Meinung nicht sagen, sondern nur die Worte eines auch unstreitig großen französischen Dichters (der aber auch gut Engländisch versteht) hieher setzen wollen.« – Und nun folgt das atrabiläre Urteil des Grafen, welches ich Ihnen unmöglich abschreiben kann, weil es wahre Tollheiten sind. Herr Gottsched aber schließt es mit den Worten: »So schreibt Herr von Voltaire in seinem Optimisme.« – Wir kennen den Voltaire nunmehr, der das geschrieben hat! Denn was? Das wäre Voltairens Urteil über den Milton? Das ist das Urteil des Sénateur Procuranté Noble Venitien! (Denn itzt besinne ich mich erst, daß ihn Herr Gottsched zu keinem Grafen gemacht hat) Das ist das Urteil Viri celeberrimiJoannis Christophori Gottschedii P. P. Metaphysices ordinarii et Poeseos extraordinarii in Academia Lipsiensi. – Und kurz, glauben Sie mir nur auf mein Wort, ich weiß es eben so gewiß, daß Herr Gottsched den »Candide« gemacht hat, als Herr Gottsched weiß, daß der Verfasser der »Miß Sara Sampson« die »Briefe die neueste Literatur betreffend«, macht. 133

G.

Sechster Teil
1760
XIX. Den 8. Mai 1760
Hundert und zweiter Brief

Der zweite Teil des »Nordischen Aufsehers« ist noch nicht hier. Sie müssen sich gedulden. – Aber hätte ich Ihnen doch nie etwas von diesem Werke geschrieben! Ich hätte es vor aussehen sollen, wofür man meine Freimütigkeit aufnehmen [268] würde. Die kleine Wolke, die der Hamb. »Anzeiger« über meinen Horizont heraufgeführet, 134 hat sich in ein erschreckliches Ungewitter ausgebreitet. Und es ist keine unbekannte Stimme mehr, die aus der finstern Höhe desselben auf mich herabdonnert. Es ist die Stimme eines Professors, eines berühmten Professors, der von der Grammatik an bis auf die Philosophie, seine Lehrbücher geschrieben hat.

Hier ist der Titel dieses Ungewitters: »Vergleichung der Lehren und Schreibart des Nordischen Aufsehers, und besonders des Herrn Hofprediger Cramers, mit den merkwürdigen Beschuldigungen gegen dieselben, in den Briefen, die neueste Literatur betreffend, aufrichtig angestellt von Johann Basedow, Prof. der Königl. Dän. Ritterakad.« 135 Nun? werden Sie sagen. Das verspricht doch auch kein Ungewitter. Herr Basedow will ja nur vergleichen; und aufrichtig vergleichen; er redet ja nur von merkwürdigen Beschuldigungen. – O Sie vergessen, daß das Titelblatt eines Orkans die Meerstille ist.

Erlauben Sie mir immer, mich ein wenig possierlich auszudrücken. Denn wenn ich einen ernsthaften Ton annehmen wollte: so könnte ich leicht empfindlich werden. Und das wäre ein Sieg, den ich nicht gern einem Gegner über mich verstatten wollte. – Was Herr Basedow auf dem Titel merkwürdige Beschuldigungen nennt, heißen einige Seiten weiter, offenbar falsche, grausame, bis zu einer seltnen Grausamkeit getriebene Beschuldigungen. Meine Kritik ist hart, bitter, lieblos, unbesonnen; und zwar so lieblos und so unbesonnen, daß man ohne Traurigkeit an ihre Existenz zu unsern Zeiten nicht denken kann. Sie ist ein Phänomenon, dessen Wirklichkeit man ohne einigen Beweis auf ein bloßes Wort fast nicht glauben würde. Ich besitze eine schamlose Dreistigkeit. Ich verleumde. Ich habe abscheuliche Absichten. Ich habe das schwärzeste Laster begangen. Ich habe einen unglücklichen Charakter. Ichverdiene den Abscheu der Welt. Er wünschet ausMenschenliebe, daß ich mich den Augen der Welt verbergen könne. [269] Nun da! So einen Freund haben Sie! – Wie beredt ist die Menschenliebe des Herrn Basedow! Welch einen Spiegel hält sie mir vor! Er stehet hinter mir, und zeiget mir ein Ungeheuer darin. Ich erschrecke, und sehe mich um, welcher von uns beiden das Ungeheuer ist. Diese Bewegung ist natürlich.

Könnte man härtere Dinge von mir sagen, wenn ich mich auch des Hochverrats schuldig gemacht hätte? Wenn ich auch den Himmel gelästert hätte? Ich habe das schwärzeste Laster begangen. Ich habe einen unglücklichen Charakter. Ich verdiene den Abscheu der Welt. Wer ist denn die Majestät, die ich beleidiget habe? »Alle Kenner, stößt Herr Basedow in die Trommete, alle Kenner der itzigen Gelehrsamkeit der Teutschen, wissen die Verdienste des Herrn Hofprediger Cramers.« Der Verfasser der nach dem Bossuetschen Muster fortgesetzten Weltgeschichte; der neueste und sorgfältigste Ausleger des Briefes an die Hebräer; der geistliche Redner, der in unsern Tagen kaum so viel Predigten schreiben kann, als die Welt von ihm zu lesen verlangt; der Übersetzer des »Chrysostomus«, welcher seinem Originale gleicht, das er durch viele Anmerkungen und Abhandlungen bereichert hat; derjenige, dem wir die beste Übersetzung der Davidischen Psalmen in gebundner Schreibart zu danken haben; der Verfasser des »Schutzgeistes«; derjenige, der an dem »Jünglinge«, den BremischenBeiträgen, und darauf erfolgten »Vermischten Schriften«, einen ansehnlichen Anteil genommen hat; endlich der Verfasser der meisten Stücke des »Nordischen Aufsehers«, sind nur – – ein einziger Mann, welcher in der ersten Hälfte der gewöhnlichen Lebenszeit ein solcher einziger Mann ist! –

Sie sehen, Herr Basedow nimmt das Maul voll, er mag schmähen, oder er mag loben. Die Hyperbel ist seine Lieblingsfigur in beiden Fällen. Dieser einzige Mann! Nicht zu vergessen: er war auch einer von denhällischen Bemühern, dieser einzige Mann! – Aber soll ich ungerecht gegen jemand sein, weil ihn ein Schmeichler auf eine unverschämte Art lobt? Nein. – Herr Cramer ist allerdings ein verdienter Gottesgelehrter; einer von unsern trefflichsten Schriftstellern. Aber Herr Cramer ist ein Mensch; könnte er in einer Wochenschrift [270] nicht etwas gemacht haben, was ihm nicht ähnlich wäre? Und wenn ich das und das an ihm mißbillige, verkenne ich darum seine Verdienste?

Ich weiß gar nicht, was Herr Basedow will. Für ihn schickte es sich am allerwenigsten, der Verfechter des »Nordischen Aufsehers« zu werden. Er hat Lobsprüche darin erhalten, die seine Unparteilichkeit sehr zweifelhaft machen müssen. Ich beneide ihm diese Lobsprüche nicht. Ich spreche sie ihm auch nicht ab. Aber man dürfte sagen: eine Hand wäscht die andere. Und noch mehr. Herr Basedow ist selbst einer von den Verfassern des »Nordischen Aufsehers«. Es würde mir ein Leichtes sein, die Stücke zu nennen, die ganz gewiß niemand anders als er gemacht hat: oder ich müßte mich auf die Schreibart wenig verstehen. Wenn man nun also vermutete, daß es ihm nicht sowohl um die Wahrheit, nicht sowohl um die Ehre des Herrn Cramers, als um seine eigene Ehre, um die Ehre eines Buchs zu tun sei, in welchem er gerne wolle, daß ein ewiger Weihrauch für ihn dampfe; eines Buchs, das er gewisser Maßen auch sein Buch nennen kann?

Herr Cramer selbst findet sich ja durch unsere Kritik bei weiten nicht so beleidigt, als ihn Herr Basedow beleidiget zu sein vorgibt. Denn er soll ihrer, in der Vorrede zu dem zweiten Bande, ganz gleichgültig erwähnt haben. Und warum nicht? Herr Cramer ist ein rechtschaffener Mann, den es auf keine Weise befremdet, wenn andere andrer Meinung sind, und er nicht immer den Beifall erhält, den er sich überhaupt zu erhalten bestrebet. Diese lautere Quelle gebe ich seinem Betragen, ob ihm gleich Herr Basedow eine ganz andere gibt. »Die Selbstverteidigung, sagt er, wenn sie nicht zu unvollständig scheinen sollte, müßte oftmals in einem Tone reden, der von denjenigen, die alles, was sie sehen und hören, in Fehler und Laster verwandeln, für den Ton einer verdächtigen Zufriedenheit mit sich selbst könnte ausgegeben werden. Überdem pflegen Seelen von einer gewissen Würde so wenig furchtsam und argwöhnisch zu sein, daß sie, wenn ihre Unschuld in einem gewissen Grade klar ist, bei der verständigen und billigen Welt keine Verantwortung derselben zu bedürfen glauben.« – Nicht doch! So ein großes Air hat Herr Cramer [271] gewiß nicht affectieren wollen. Hätte er es aber affectieren wollen, so hätte sein Freund keinen solchen Commentarium darüber schreiben müssen. Er hätte es müssen darauf ankommen lassen, ob man diesen edlen Stolz, den Seelen von einer gewissen Würde haben, von selbst merken werde.

Denn nur alsdenn tut er seine Wirkung. Keine Großmut will mit Fingern gewiesen sein. Sind es gar die Finger eines Freundes, o so wird sie vollends lächerlich! etc.

G.

Hundert und dritter Brief

Auch nicht in der geringsten Kleinigkeit will mich Herr Basedow Recht haben lassen. Lieber stellt er sich unwissender als ein Kind, verwirret die bekanntesten Dinge, und verfälscht auf die hämischste Art meine Worte, die ich mit vielem Bedachte gewählt hatte.

Ich habe gezweifelt, ob man dem Herrn Cramer ein poetisches Genie zugestehen könne. Ich habe aber mit Vergnügen bekannt, daß er der vortrefflichste Versificateur ist. Ich nehme beide Ausdrücke so, wie sie die feinsten Kunstrichter der Engländer und Franzosen nehmen. »Ein poetisches Genie,« sagt einer von den ersten, 136 den ich eben vor mir liegen habe, ist so außerordentlich selten, that no country in the succession of many ages has produced above three or four persons that deserve the title. The man of rhymes may be easily found; but the genuine poet, of a lively plastic imagination, the true Maker or Creator, is so uncommon a prodigy, that one is almost tempted to subscribe to the opinion of sir William Temple, where he says: »That of all the numbers of mankind, that live within the compass of a thousand years, for one man that is born capable of making a great poet, there may be a thousand born capable of making as great generals, or ministers of state, as the most renowned in story.« Und ich habe ein Verbrechen begangen, daß ich [272] gezweifelt habe, ob der Herr Hofprediger ein solcher außerordentlicher Mensch ist? Wenn er es wäre: er würde ganz sicherlich ein schlechter Hofprediger sein. Eben dieser Engländer erkennet unter seinen Landsleuten eigentlich nur drei Männer für Poeten, den Spenser, den Shakespeare, den Milton. Eben derselbe spricht Popen den Namen eines Poeten schlechterdings ab. Popen spricht er ihn ab, der unter so vielen vortrefflichen Werken, auch eine Ode auf die Musik gemacht hat, die wenigstens nicht schlechter ist, als die beste Cramersche Ode. Und wozu macht er dafür Popen? Eben dazu, wozu ich Cramern mache: zu den vortrefflichsten Versificateur. Und ich habe Cramern geschmäht, daß ich ihn mit Popen auf eine Bank setze? Ist denn ein Versificateur nichts als ein Reimer? Kann man der vortrefflichste Versificateur sein, ohne ein Mann von vielem Witze, von vielem Verstande, von vielem Geschmacke zu sein? Diderot, der neueste, und unter den neuen unstreitig der beste französische Kunstrichter, verbindet keinen geringern Begriff mit dem Namen eines Versificateurs. Quelle difference entre le Versificateur et le Poete! Cependant ne croyez pas que je méprise le premier: son talent est rare. Mais si vous faites du versificateur un Apollon, le poete sera pour moi un Hercule. Or supposez une lyre à la main d'Hercule, et vous n'en ferez pas un Apollon. Appuyez un Apollon sur une massue: jettez sur ses epaules la peau du lion de Nemée, et vous n'en ferez pas un Hercule. Dieses seltene Talent gebe ich dem Herrn Cramer, und gebe es ihm in dem höchsten Grade: und doch habe ich ihn geschmäht, doch habe ich ihn auf eine ungezogene Art geschmäht? Sind seine Schmeichler nicht die unverschämtesten, die unwissendsten, die unter der Sonne sein können? Wenn sie noch nicht gelernt haben, wie sehr und worin der Poet von dem Versificateur unterschieden ist: so mögen sie es doch nur erst lernen, ehe sie einen ehrlichen Mann, der es zu begreifen gesucht hat, und sich diesem Begriffe gemäß ausdrückt, darüber chicanieren. Wäre das nicht billig? Oder suchen sie es erst aus unsern Briefen zu lernen? Jeder von uns wird ihnen sagen: παρ' εμοι ποκος ου κναπτεται. Und der aufrichtige Herr Basedow! Mit aller seiner Aufrichtigkeit [273] ist er ein offenbarer Falsarius. Ich habe, wenn Sie meine alten Briefe nachsehen wollen, Cramern den vortrefflichsten Versificateur genennt: und Herr Basedow macht seinen Lesern weiß, ich hätte ihn nur einen guten Versificateur genennt, und läßt 137 diese beiden Worte mit Schwabacher drucken, als ob es meine eigene Worte wären. Welch eine schamlose Dreistigkeit! mich seines eigenen Ausdrucks zu bedienen. Ist denn ein guter, mit welchem Beiworte man oft eine kalte Ironie verbindet, eben das, was der vortrefflichste ist, mit welchem Beiworte sich leicht nichts zweideutiges, nichts ironisches verbinden läßt? – Ich sage ferner: Cramer besitzt die beneidenswürdigste Leichtigkeit zu reimen: und Basedow läßt mich ihm nur eine beneidenswürdige beilegen. Ich brauche nicht gern einen Superlativum ohne Ursache. Und wo ich ihn brauche, will ich, daß mir ihn mein Gegner lasse, wenn ich an seiner Aufrichtigkeit, mit der er so prahlet, nicht sehr zweifeln soll.

Aber wie elend führt er, auch nach dieser Verfälschung, die Sache seines Freundes. Hören Sie doch nur. »Das poetische Genie des Herrn Hofpredigers, und besonders zu erhabenen und zugleich lehrreichen Oden, ist zu bekannt, als daß der Journalist mit Grunde hätte hoffen können, Beifall zu finden, da er es ihm despotisch absprach, und nichts als die Vollkommenheit eines Versificateurs lassen wollte.« – Es ist zu bekannt? Was ist denn zu bekannt? Daß in den Cramerschen Oden, (weil es doch mit aller Gewalt Oden heißen sollen) sich Genie zeiget? Das habe ich nie geleugnet. Aber Genie eines Versificateurs, und nicht Genie eines Poeten. Dieses spreche ich ihm ab; nicht jenes. Oder ich müßte glauben, daß man derVortrefflichste in seiner Art sein könne, ohne Genie zu haben. – Hören Sie doch den guten Basedow noch weiter: »Ob desselben drei Oden, im ersten Teile des Nordischen Aufsehers, Anlaß geben, ein solches Urteil zu fällen, werden die Leser aus folgenden Strophen sehen.« – Aus einzeln Strophen will Herr Basedow beweisen, daß Cramer ein poetisches Genie habe? Und wenn diese Strophen auch die [274] vollkommensten von der Welt wären; so könnten sie das nicht beweisen. Hier sind sie.


Aus der Ode über die Geburt Christ,
Erst wird er niederknien und streiten
Der Löw aus Juda. Ewigkeiten
Voll Ehre sind der Preis des Siegs!
Er leidet, Gott uns zu versühnen,
Dann werden ihm die Völker dienen,
Wir sind die Beute seines Kriegs.
Nun werden wir wieder den Himmel bewohnen,
Uns, wenn wir nur kämpfen, erwarten auch Kronen!
Wie herrlich ist der Sieger Lohn?
O kämpfet, o kämpfet, uns krönet der Sohn.
Aus der Ode über das Leiden Jesu
Ich, ewig hab ich es begehret,
Ich habe, Vater, dich verkläret,
Verklären will ich dich noch mehr.
Ich hatte tief in Qual versunken,
Schon mehr als einen Kelch getrunken,
Ach wie ist deine Hand so schwer?
Allein ich will sie ganz versühnen,
Laß sie in diesen Wunden ruhn.
Vergib, vergib, o Vater, ihnen,
Sie wissen, Herr, nicht was sie tun.
Aus der Ode auf den Geburtstag des Königs
Da sie dem Throne nahe kamen,
Ertönt auf einmal ihr Gesang,
Und alle nennten Friedrichs Namen,
Und alle nennten ihn voll Dank:
Uns hat Jehova sein Leben,
In einer der gnädigsten Stunden gegeben,
Fleug unser Dank, fleug mit umher!
Er, der ihn gab, gedenke seiner!
Wer liebt nicht seine Beherrscher? doch keiner
Wird billiger geliebt, als er.

Können Sie sich des Lachens enthalten? Diese Strophen sollen beweisen, daß Herr Cramer ein Poet ist, und ich ein Verleumder [275] bin? Bald bewiesen sie, daß ich ein Schmeichler wäre. Denn wenn nicht in sehr vielen Cramerschen Oden, sehr viele, viel schönere Strophen wären: so wäre ich es wirklich, und ich würde mir es nimmermehr vergeben, daß ich einen solchen Sänger den vortrefflichsten Versificateur genennet hätte. In diesen Strophen ist er kaum ein leidlicher.

G.

XX. Den 15. Mai 1760
Hundert und vierter Brief

Ich habe geurteilet: Viele Worte machen; einen kleinen Gedanken durch weitschweifende Redensarten aufschwellen; labyrinthischen Perioden flechten, bei welchen man dreimal Atem holen muß, ehe man einen ganzen Sinn fassen kann: Das sei überhaupt die vorzügliche Geschicklichkeit desjenigen von den Mitarbeitern an dem »Nordischen Aufseher«, der die meisten Stücke geschrieben zu haben scheine. Soll ich mein Urteil widerrufen, weil es Herr Basedow für eine Verleumdung ausschreiet? Es ist wahr, ich habe es mit keinen Beispielen bestätiget. Aber mit wie vielen will er es noch bestätiget haben? Mit unzähligen? – Ich darf das Buch nur auffallen lassen, wo es auffallen will. – Aber, wer wird mir abschreiben helfen? Und o des armen Papiers, das ich so verschwenden muß! – Was hilfts? Herr Basedow hat einen zu starken Trumpf darauf gesetzt. Ich muß, liebe Hand.


Also, z. E.

»Große Beispiele der Frömmigkeit und Tugend unter denen, welche sich durch Geburt und Würden über andere Menschen erheben, sind nicht allein so rührend, sondern auch so unterweisend und lehrreich, daß nach meinem Urteile, selbst die, welche sie nicht nach ihrer ganzen Größe kennen, aus Ehrfurcht und Liebe gegen die Religion das Andenken derselben zu erhalten und fortzupflanzen verbunden sind, und von der bloßen Furcht, nicht genug von ihnen sagen zu können, nie zurückgehalten werden dürfen, öffentlich auszubreiten und zu rühmen, was sie davon wissen, wenn sich zumal alle Stimmen zu ihrem Ruhme vereinigen.« etc.

»Die Trunkenheit ist eine so schändliche Beleidigung der Tugend; [276] sie erniedriget den Menschen so tief; die Vernachlässigung und Übertretung der edelsten Pflichten, ist bei ihren Ausschweifungen so unausbleiblich, und sie hat so viele nachteilige und unglückselige Einflüsse, nicht allein auf die Wohlfahrt derjenigen, welche sich dadurch der schönsten Vorzüge unserer Natur berauben, sondern auch auf das öffentliche und gemeine Beste, daß sowohl der Menschenfreund, als der Patriot, unter einer dringenden Verbindlichkeit stehet, für sichre und zuverlässige Mittel besorgt zu sein, einem so gefährlichen Laster Grenzen zu setzen, und den ausschweifenden Gebrauch berauschender Getränke zu verhindern.« etc.


Wie gefallen Ihnen diese Perioden? – Aber sie könnten noch länger sein. – O Geduld, ich will Sie auch nur erst in Atem setzen. Da sind schon etwas längere.


Z. E. »So sorgfältig sich auch Altern in der Erziehung ihrer Kinder bestreben mögen, sie von ihrer ersten Kindheit an zur Tugend zu bilden, und alles zu verhindern, was ihr Herz verderben, oder die angeboren Unordnung desselben unterhalten und vermehren kann; so notwendig es auch ist, sehr frühzeitig mit denselben, als mit vernünftigen Wesen umzugehen, die des Nachdenkens und der Überzeugung fähig sind: So ist es dennoch beinahe unmöglich, diese wichtigen Endzwecke ohne allen Gebrauch schmerzhafter Mittel zu erreichen, ob es gleich eine eben so unleugbare Erfahrung bleibt, daß nach den von Natur sehr verschiedenen Charakteren der Kinder, einige der Züchtigung mehr, und andere derselben weniger bedürfen.«

Oder: »So oft ich mich zurück erinnere, wie sorgfältig mein Vater schon in meiner frühsten Jugend den Geist der Frömmigkeit und eine lebhafte Neigung, aus Gehorsam und Liebe gegen das höchste Wesen, tugendhaft zu sein, in meine Seele zu pflanzen suchte, und wenn mir mein Gedächtnis sagt, vor welchen Ausschweifungen, zu denen ich, gleich andern, starke Reizungen und Versuchungen gehabt habe, diese Neigung mich bewahret hat: So fühle ich mich allezeit von den zärtlichsten Empfindungen der Dankbarkeit durchdrungen, ob ich sie gleich durch nichts beweisen kann, als nur dadurch, daß ich das Andenken seiner Gesinnungen erhalte, und durch sein Beispiel andere Väter aufmuntere, Kinder, die sie glücklich zu machen wünschen, auf eine ähnliche Weise zu erziehen.«


Wie nun? – Welcher Schwall von Worten! Welche Teuerung an Gedanken! Gedanken? Daß man der schändlichen Trunkenheit steuren müsse; daß man die Kinder auch manchmal züchtigen müsse etc. Kann man abgedroschnere Wahrheiten [277] mit aufgeblasenern Backen predigen? – Mit diesen vier Perioden fangen sich vier verschiedene Stücke an. Und wenn ich Ihnen versichre, daß sich dreißig andere nicht viel erträglicher anfangen; daß in allen Mittel und Ende dem Anfange vollkommen gemäß sind; daß der Verfasser sehr oft mitten in seiner Materie noch weit schleppender, langweiliger, verworrener wird: werden Sie mir auf mein Wort glauben? Nicht? Ich begehre es auch nicht. Aber Ihr Atem soll es empfinden. Lesen Sie; nehmen Sie dabei alle Ihre Gedanken zusammen; und sagen Sie mir am Ende, was Sie gelesen haben.


»Da sich, hebt das dreißigste Stück an, in unsern Zeiten die Bestreitung, und Verachtung der Religion so weit ausbreitet, daß sie auch die Gespräche des Umganges vergiftet; so ist es für diejenigen, welche sich nach ihren äußerlichen Umständen in die Gesellschaften der größern Welt eingeflochten sehen, nicht genug, mit den Wahrheiten ihres Glaubens bekannt zu sein, und die Gründe einzusehen, die einen vernünftigen Beifall wirken. Wer Anfalle zu befürchten hat der muß seine Feinde, er muß ihre Stärke, ihre Waffen, und die Art, wie sie streiten, kennen, damit er sich zur Zeit des Kampfes desto glücklicher verteidigen könne. Es scheinet zwar, daß man von den Einwendungen wider die Wahrheit nicht unterrichtet zu sein brauche, sobald man sie nicht aus Vorurteil und Gewohnheit annimmt; sobald man sie bekennt, weil es richtige, überwiegende und unumstößliche Beweise waren, die uns überredeten. Allein wenn man diese Wissenschaft besitzt, und die Schwäche, die Nichtigkeit, und besonders auch die Strafbarkeit der Einwürfe kennt: So hat man weniger zu befürchten, daß dieRuhe unsers Verstandes in der Wahrheit eine unerwartete und gewaltsame Erschütterung leiden werde; unsre Vernunft ist selbst vor einer plötzlichen Unordnung und Verdunklung sichrer; man ist vorbereiteter und geübter, zu widerstehen, und ist der rechtschaffene Mann, der seinen Glauben liebt, nicht verbunden, denen zu widerstehen, welche die großen Grundsätze desselben angreifen, und entweder durch künstliche und verblendende Schlüsse, oder durch Einfälle, welche voll Witz zu sein scheinen, ihrer Würde und zugleich ihres Nutzens zu berauben suchen? Vielleicht ist seine Überzeugung so gewiß und unbeweglich, daß ihn keine Einwürfe irren können; aber wenn er in irgend einem gesellschaftlichen Gespräche, durch solche Zudringungen aufgefodert, welche ihn verbinden, beleidigte Wahrheiten zu verteidigen, auf gewisse Einwürfe nicht antworten kann; wenn er nicht fähig ist, ihnen ihren falschen Schimmer von Wahrheit und Vernunft zu nehmen, und das Falsche in feindseligen Beschuldigungen zu entdecken: So wird er [278] wider seinen Willen die stolzen Verächter seines Glaubens in der Einbildung bestärken, daß sie diejenigen, die sich für verbunden achten, Religion zu haben, weit übersehen; sie werden sein Stillschweigen und die Verwirrung, worein sie ihn brachten, für einen Triumph über sie selbst halten, und den Schwächern können sie vielleicht mit geringerer Mühe zur Gleichgültigkeit gegen Wahrheiten verführen, die er nicht genug schärzet, weil er sie nicht genug untersucht hat.« etc.


Was plaudert der Mann? Sie werden ihn schon noch einmal lesen müssen. Und wenn Sie denn nun sein Bißchen Gedanken weghaben: wollten Sie sich nicht getrauen, es mit dem siebenden Teile seiner Worte, eben so stark und schöner vorzutragen?

G.

Hundert und fünfter Brief

Nun frage ich Sie, wenn dergleichen labyrinthische Perioden, bei welchen man dreimal Atem holen muß, ehe sich der Sinn schließet; wenn dergleichen Perioden, die man geschrieben oder gedruckt, durch alle ihre verschränkte und verschraubte Glieder und Einschiebsel, kaum mit dem Auge verfolgen kann, ohne drehend und schwindlicht zu werden; wenn der gleichen Perioden uns von der bedächtlichen langsamen Aussprache eines Kanzelredners Wort vor Wort zugezählet würden, ob wohl die feurigste Aufmerksamkeit, das beste Gedächtnis sie in ihrem ganzen Zusammenhange fassen, und am Ende auf einmal übersehen könnte? Nimmermehr. Was habe ich denn also für ein Verbrechen begangen, wenn ich gesagt habe, der Stil dieses Verfassers im »Nordischen Aufseher«, »sei der schlechte Kanzelstil eines seichten Homileten, der nur deswegen solche Pneumata herpredige, damit die Zuhörer, ehe sie ans Ende derselben kommen, den Anfang schon mögen vergessen haben, und ihn deutlich hören können, ohne ihn im geringsten zu verstehen?« Habe ich etwas anders als die strengste Wahrheit gesagt? Freilich ist das nicht der einzige schlechte Kanzelstil; freilich predigen nicht alle seichte Homileten so: sondern nur die seichten Homileten predigen so, die in Mitternachts Rhetorik das Kapitel von [279] den zusammengesetzten Perioden nicht ohne Nutzen studieret haben.

Welche invidiöse Wendung aber Herr Basedow dieser meiner Kritik gibt, das ist ganz unbegreiflich. Alles nämlich, was ich wider diesen vornehmsten Verfasser des »Nordischen Aufsehers« sage, soll ich wider den Herrn Hofprediger Cramer gesagt haben. Von diesem, dem Herrn Hofprediger Cramer, soll ich mit schamloser Dreistigkeit, ohne den geringsten Beweis gesagt haben: Sein Stil sei der schlechte Kanzelstil eines seichten Homileten etc. – Träumt Herr Basedow? O so träumt er sehr boshaft.

Was habe ich denn mit dem Herrn Cramer zu tun? Ist Herr Cramer jener vornehmste von mir getadelte Verfasser des »Nordischen Aufsehers«: so sei er es immerhin. War ich denn verbunden, es zu wissen? – Doch nein; das will ich nicht einmal für mich anführen. Ich will es gewußt haben. Geht denn das wider den Herrn Cramer überhaupt, was wider den HerrnCramer als Nordischen Aufseher geht? Muß die Kritik, die einzelne Blätter von ihm trifft, alle seine Schriften treffen? Wenn ich zum Exempel zu dem Herrn Basedow sagte: Mein Herr, in dieser Ihrer Ausdehnung meines Tadels, ist eben so wenig Billigkeit, als Verstand. Habe ich damit gesagt, in allen Basedowschen Schriften sei eben so wenig Billigkeit als Verstand?

Ich habe immer geglaubt, es sei die Pflicht des Kriticus, so oft er ein Werk zu beurteilen vornimmt, sich nur auf dieses Werk allein einzuschränken; an keinen Verfasser dabei zu denken; sich unbekümmert zu lassen, ob der Verfasser noch andere Bücher, ob er noch schlechtere, oder noch bessere geschrieben habe; uns nur aufrichtig zu sagen, was für einen Begriff sich man aus diesem gegenwärtigen allein, mit Grunde von ihm machen könne. Das, sage ich, habe ich geglaubt, sei die Pflicht des Criticus. Ist sie es denn nicht?

Hätte ich zu verstehen geben wollen, daß der Vorwurf, den ich dem vornehmsten Verfasser des »Nordischen Aufsehers«, wegen seiner unleidlichen Schreibart mache, auch allen andern Schriften des Herrn Hofprediger Cramers zu machen sei: so würde ich es gewiß ausdrücklich gesagt haben; [280] ich würde den Herrn Cramer dabei genennt haben, so wie ich es ohne die geringste Zurückhaltung bei dem allgemeinen Urteile über seine Oden getan habe. Aber wie konnte ich das hier tun, da ich mir deutlich bewußt war, daß Herr Cramer in seinen moralischen Abhandlungen, die in den »Bremischen Beiträgen« und den »Vermischten Schriften« zerstreuet sind, diese Schreibart nicht habe; daß er diese Schreibart von seinem Chrysostomus und Bossuet nicht könne gelernet haben? Ob er sie in seinen Predigten hat; das weiß ich nicht: denn diese habe ich nie gelesen. So viel aber weiß ich, wenn er diese Schreibart in seinen Predigten hat, daß ich den Herrn Hofprediger betaure; daß ich seine Zuhörer betaure. Aber es kann nicht sein; es muß in seinen Predigten mehr Licht, mehr Ordnung, mehr nachdrückliche Kürze herrschen: oder er verkennet die geistliche Beredsamkeit ganz. Welcher Prophet, welcher Apostel, welcher Kirchenlehrer, hat je das Wort des Herrn in solchen Ciceronischen Perioden verkündiget? In Perioden, die Cicero selbst nur alsdenn flochte, wenn er die Ohren einer unwissenden Menge kützeln, wenn er gerichtliche Ränke brauchen, wenn er mehr betäuben, als überzeugen wollte?

Und im Grunde sind das nichts weniger, als Ciceronische Perioden, die Arthur Ironside macht. Man suche mit Fleiß die allerlängsten aus den Reden des Römers, und ich will verloren haben, wenn man einen einzigen findet, in welchem alle Symmetrie sowohl unter den Worten, als unter den Gedanken, so gewaltig vernachlässiget ist. Und nur diese Symetrie, von welcher Arthur gar nichts weiß, macht die langen zusammengesetzten Perioden erträglich, besonders wenn sie eben so selten eingesteuert werden, als es die kurzen und einfachen bei ihm sind.

Unterdessen muß bei dem Herrn Basedow Cicero doch derjenige sein, dessen Beredsamkeit noch größere Armseligkeiten des Arthur Ironside decken, und wenn Gott will, gar in Schönheiten verwandeln muß. Sie erinnern sich der ekel haften Ausdehnung des Gleichnisses von einem Menschen, der ein kurzes und blödes Gesicht hat. 138 Herr Basedow gesteht [281] zwar selbst, daß dieses Gleichnis um fünf bis sechs Zeilen kürzer sein könnte: Aber können Sie sich einbilden, was er gleichwohl davon sagt? »Ich gestehe es, sagt er, einige große Schriftsteller, die mehr Demosthenisch als Tullianisch sind, würden hier ein so ausführliches Gleichnis nicht gewählt haben. Aber wer war größer, Tullius oder Demosthenes? Viele gute Schriftsteller würden dies Gleichnis nicht so haben ausführen können, wenn sie auch gewollt hätten. Aber diese würden auch dadurch gezeigt haben, daß ihnen eine gewisse Art der Größe in der Beredsamkeit fehle, die man an einem Cramer mit Ehrerbietung bewundert.« – Da haben wirs! Nun will ich gern nicht stärker in den Herrn Basedow dringen; nun will ich ihn gern nicht auffordern, mir doch ein ähnliches so ausgerecktes Gleichnis bei dem Tullius zu zeigen. Denn wenn er gestehen müßte, daß auch bei dem Tullius keines anzutreffen wäre, was hätten wir, nach der einsichtsvollen Frage: Aber wer war größer, Tullius oder Demosthenes? anders zu erwarten, als die zweite Frage: Aber wer ist größer, Tullius oder Cramer? – Lieber will ich bewundern, mit Ehrerbietung bewundern, und schweigen.

G.

XXI. Den 22. Mai 1760
Hundert und sechster Brief

Welche verräterische Blicke Herr Basedow in das menschliche Herz schießet! Auch meines liegt so klar und aufgedeckt vor seinen Augen, daß ich darüber erstaune. – Sie erinnern sich, daß mir das Blatt, in welchem der »Nordische Aufseher« beweisen will, ein Mann ohne Religion könne kein rechtschaffener Mann sein, mißfiel. Ich glaubte, es mißfiele mir deswegen, weil darin von einem unbestimmten Satze unbestimmt raisonnieret werde. Aber nein, mein Mißfallen hat einen andern Grund. Herr Basedow weiß, daß es mir des wegen mißfallen habe, »weil in demselben einigen, die ich selbst für rechtschaffene Männer halte, dieser beliebte Name abgesprochen wird.« Ich erschrak, als ich diese Worte zum [282] erstenmale las. Ich las sie noch einmal, um zu sehen, ob ich wenigstens nicht ein Vielleicht dabei überhüpft hätte. Aber da war kein Vielleicht. Was Herr Basedow weiß, das weiß er ganz gewiß. Allwissender Mann! rief ich aus; Sie kennen mein Herz so vollkommen, so vollkommen, daß – daß mir das Ihrige ganz Finsternis, ganz Rätsel ist. – Mag ich es doch auch nicht kennen!

Die vornehmste Erinnerung, die ich dem Aufseher gegen seine Erhärtung eines so strengen Ausspruches machte, war diese, daß er das Wort, ein Mann ohne Religion, in dem Beweise ganz etwas anders bedeuten lasse, als es in dem zu beweisenden Satze bedeute. Und diese Zweideutigkeit habe ich eine Sophisterei genennt. Der Text ist lustig, den mir Herr Basedow darüber lieset. Gesetzt, sagt er, daß es mit diesem Vorwurfe auch seine Richtigkeit hätte: »ist es nicht ein menschlicher Fehler der größten Philosophen, sich selbst durch eine unvermerkte Zweideutigkeit der Worte zu hintergehen? Niemand hat noch eine Metaphysik ohne Fehler geschrieben, und ich getraue mir zu sagen, daß die Fehler in dieser Wissenschaft mehrenteils aus der Zweideutigkeit der Worte entstehen. Wer nur solche Zweideutigkeiten nicht mit Fleiß braucht, um andere zu verblenden, wer in ein solches Versehen nicht oft verfällt, wer sich nicht, wenn man ihm seinen Fehler entdeckt hat, durch neue Zweideutigkeiten hartnäckig verteidiget, der kann allemal ein großer und verehrungswürdiger Mann sein, und dem kann man, ohne Lust an gelehrten Scheltworten, nicht Sophistereien und Fechterstreiche vorwerfen. Sonst müßte kein Leibniz, Wolf, Mosheim, ja kein großer Mann, von seinen Beurteilern mit Recht verlangen können, daß er mit solchen unhöflichen Vorwürfen möchte verschont bleiben.« – Ich verstehe von der Höflichkeit nichts, die Herr Basedow hier prediget. Er nennet gelehrte Scheltworte, was nichts weniger als Scheltworte sind. Wenn ein großer Mann eine Sophisterei begehet, und ich sage, daß er eine begangen hat: so habe ich das Kind bei seinem Namen genennt. Ein anderes wäre es, wenn ich ihn deswegen einen Sophisten nennte. Man kann sich einer Sophisterei schuldig machen, ohne ein Sophist zu sein; so wie [283] man eine Unwahrheit kann gesagt haben, ohne darum ein Lügner zu sein; so wie man sich betrinken kann, ohne darum ein Trunkenbold zu sein. Herr Cramer ist ein großer und verehrungswürdiger Mann. Nun ja; und er soll es auch bleiben. Aber was verbindet mich denn, von einem großen und verehrungswürdigen Manne in dem Tone eines kriechenden Klienten zu sprechen? Und ist das der Ton, der einem großen und verehrungswürdigen Manne gefällt? Ein solcher Mann sieht auf die Wahrheit, und nicht auf die Art, wie sie gesagt wird; und hat er sich wo geirret, so ist es ihm unendlich lieber, wenn man ohne Umstände sagt: das und das dünkt mich eine Sophisterei: als wenn man viel von menschlichen Fehlern der größten Philosophen präliminieret, und ihn um gnädige Verzeihung bittet, daß man es auch einmal so gemacht hat, wie er es macht, daß man auch einmal seinen eigenen Verstand gebraucht hat.

So viel von der Höflichkeit meiner Erinnerung. Nun hören Sie wie Herr Basedow beweisen will, daß mein Tadel auch ungegründet und falsch sei. Er analysieret in dieser Absicht das ganze Blatt; und es ist nötig, daß ich Ihnen das Skelet, welches er davon macht, vor Augen lege.


»Satz: Keine Rechtschaffenheit ist ohne Religion.

Erster Beweis. Ein Rechtschaffener sucht die Pflichten, die aus seinen Verhältnissen gegen andere folgen, allesamt getreu und sorgfältig zu erfüllen. Und man hat auch Pflichten gegen Gott, welche ein Mensch ohne Religion nicht zu erfüllen trachtet.

Erster Zusatz. Polidor, dessen unerschöpflicher Witz über Lehren spottet, die er niemals untersucht hat, und Lehren lächerlich macht, ohne sich darum zu bekümmern, ob sie es verdienen, ist also kein rechtschaffener Mann, ob er gleich seine Zusage hält, und zuweilen mitleidig ist, welches vielleicht noch eine Wirkung des in der Jugend gelernten Katechismus sein kann, den er nunmehr verachtet.

Zweiter Zusatz. Der Mensch hat eine natürliche Neigung zu denen Handlungen, die, wenn sie aus dem rechten Grunde geschehen, rechtschaffen heißen. Aber diese Neigung ist im hohen Grade schwach und unzuverlässig.

Zweiter Beweis. Ein Rechtschaffener muß eine gründliche Erkenntnis von den Gegenständen haben, gegen welche man rechtschaffen handeln muß. Indem er zu dieser Erkenntnis kömmt, gelangt er auch zur natürlichen Erkenntnis Gottes; und durch diese [284] zum Wunsche einer Offenbarung. Alsdann hat er die Pflicht, eine vorgegebene Offenbarung ohne sorgfältige Untersuchung nicht zu verwerfen, vielweniger zu verspotten. Tut er es, so ist er (vermöge des ersten Beweises) nicht rechtschaffen.

Dritter Beweis. Wegen der Macht der Leidenschaften ist nicht zu erwarten, daß ein Mensch, der weder geoffenbarte noch natürliche Religion hat, die gesellschaftlichen Pflichten zu erfüllen geneigt sei, und also in dieser eingeschränkten Bedeutung ein rechtschaffener Mann sein könne. Man hat aber bessern Grund es zu hoffen, wenn er die Religion in seinem Verstande für wahr hält, und sein Herz zur Ausübung derselben gewöhnt.«


Was für eine kleine, unansehnliche, gebrechliche Schöne ist der »Nordische Aufseher«, wenn man ihm seine rauschende Einkleidung, seinen rhetorischen Flitterstaat, seine Kothurnen nimmt. Eine solche Venus kann nicht sagen: Ich bin nackend mächtiger, als gekleidet. Gegen sie darf Minerva nur ihre Eule zu Felde schicken. – Doch lieber keinen Witz! Herr Basedow ist ein Todfeind von allem Witze. Er erwartet Gründe; und wie können Gründe bei Witz bestehen?

Erlauben Sie mir also, eine ganz trockene Prüfung der drei Beweise, wie sie Herr Basedow ausgezogen hat, anzustellen. – Vor allen Dingen muß ich wegen der Bedeutung des Worts ein Mann ohne Religion mit ihm einig werden. Ein Mann ohne Religion also, heißt entweder ein Mann, der kein Christ ist, der diejenige Religion nicht hat, die ein Christ vorzüglicher Weise die Religion nennet: Das ist die erste Bedeutung: Oder es heißt ein Mann, der gar keine geoffenbarte Religion zugibt, der weder Christ, noch Jude, noch Türke, noch Chineser etc. weiter als dem Namen nach ist, der aber eine natürliche Religion erkennt, und die Wahrheiten derselben auf sich wirken läßt: Das ist die zweite Bedeutung. Oder es heißt ein Mann, der sich weder von einer geoffenbarten, noch von der natürlichen Religion überzeugen können; der alle Pflichten gegen ein höheres Wesen leugnet: Das ist die dritte Bedeutung. Mehr als diese drei Bedeutungen sollte das Wort ein Mann ohne Religion nicht haben. Allein, ich weiß nicht wie es gekommen ist, daß man ihm auch eine vierte gibt, und einen Mann – ich will sogleich den rechten Ausdruck brauchen,[285] – einen Narren oder Bösewicht darunter verstehet, der über alle Religion spottet.


Nun lassen Sie uns sehen, auf welche von diesen vier Bedeutungen der erste Beweis passet. Ein Rechtschaffener sucht die Pflichten, die aus seinen Verhältnissen gegen andre folgen, allesamt getreu und sorgfältig zu erfüllen. Und man hat auch Pflichten gegen Gott, welche ein Mensch ohne Religion nicht zu erfüllen trachtet. Gut. Aber was für ein Mensch ohne Religion? In der ersten Bedeutung? Nein. Denn ist er schon kein Christ, so erkennet er doch als Türke, oder Jude etc. Pflichten gegen Gott, und trachtet diese Pflichten zu erfüllen. In der zweiten Bedeutung? Auch nicht. Denn auch dieser erkennet Pflichten gegen Gott, die er zu erfüllen trachtet, obgleich nur aus der Vernunft erkannte, und nicht geoffenbarte Pflichten. Ob es bei jenem die rechten Pflichten sind; ob sie bei diesem hinlänglich sind: Das ist hier die Frage nicht. Genug jener glaubt, daß es die rechten sind; dieser glaubt, daß sie hinlänglich sind. Also wird der Beweis wohl auf die dritte Bedeutung passen? Auf einen Menschen, der gar keine Pflichten gegen ein höchstes Wesen erkennet? Eben so wenig. Denn gegen diesen ist der gegenwärtige Beweis ein offenbarer Zirkel! Man setzt nämlich das, was er leugnet, als bewiesen voraus, und bringt in die Erklärung der Redlichkeit Pflichten, die er für keine Pflichten erkennet. Sollte dieser Beweis gelten: so mag sich der Herr Hofprediger Cramer in Acht nehmen, daß ihn ein Papist nicht gegen ihn selbst kehret, und in der nämlichen Form von ihm erhärtet, daß er kein guter Christ sei. Der Papist dürfte nämlich nur sagen: Ein guter Christ suchet die Pflichten, die ihm seine Religion auflegt, allesamt getreu und sorgfältig zu erfüllen. Nun legt ihm diese auch Pflichten gegen den Pabst auf, die Pflicht nämlich dieses Oberhaupt der Kirche für untrüglich zu halten, welche Herr Cramer nicht zu erfüllen trachtet. Der Beweis wäre lächerlich; aber könnte Herr Cramer im Ernst etwas anders darauf antworten, als was der Mann ohne Religion in unsrer dritten Bedeutung, zu seiner Verteidigung vorbringen würde? Das ist unwidersprechlich, sollte ich meinen. Also, zur vierten Bedeutung. Gilt der Beweis gegen einen [286] Mann, der über alle Religion spottet? Hier gibt es zu unterscheiden. Entweder er spottet darüber, weil er von der Falschheit aller Religion überzeugt ist; oder er spottet darüber, ohne diese Überzeugung zu haben. In dem ersten Falle trifft ihn der Beweis eben so wenig, als den Mann ohne Religion in der dritten Bedeutung. In dem andern Falle aber ist er ein Rasender, dem man schlechterdings die gesunde Vernunft und nicht bloß die Religion absprechen muß. Gegen diesen hat Herr Cramer Recht; voll kommen Recht: ein Rasender, ein Mann ohne gesunde Vernunft, kann kein rechtschaffner Mann sein.

Und das hat Herr Cramer mit seinem ersten Beweise bewiesen! Doch die Wahrheit ist mir zu lieb, als daß ich ihm hier nicht mehr einräumen sollte, als er bewiesen hat. Aus seinem Beweise erhellt es zwar nicht, daß derjenige, der über die Religion spottet, weil er von der Falschheit derselben überzeugt ist, kein rechtschaffner Mann sei; aber dennoch ist es wahr; er ist keiner. Allein er ist nicht deswegen kein rechtschaffner Mann, weil er keine Religion hat; sondern weil er spottet. Wer gibt ihm das Recht, über Dinge zu spotten, die unzählige Menschen für die heiligsten auf der Welt halten? Was kann ihn entschuldigen, wenn er durch Spöttereien arme Blödsinnige um ihre Ruhe, und vielleicht noch um ein mehreres bringt? Er verrät Lieblosigkeit, wenigstens Leichtsinn; und handelt unrechtschaffen an seinem Nächsten. Denn auch sogar ein Christ, der gegen Mahometaner über den Mahomet spotten, weiter nichts als spotten wollte, würde kein rechtschaffner Mann sein. Er lehre, wenn er glaubt, daß seine Lehren anschlagen werden; und sei überzeugt, daß jede Unwahrheit, die er aufdeckt, sich ohne sein Zutun von selbst verspotten wird.

Bei dem allen scheinet es, als habe es Herr Cramer selbst empfunden, daß er hier nicht eigentlich mit einem Manne ohne Religion, sondern mit einem Religionsspötter zu tun habe; und zwar auch nur mit diesem in so fern er spottet, und nicht in so fern er keine Religion hat. Denn was ist sein Polidor, den er in dem ersten Zusatze seines Beweises, zu einem Exempel eines Mannes ohne Religion macht, anders, [287] als einReligionsspötter? Und zwar noch dazu einer von den allerdümmsten, dem man unmöglich einen Funken Menschenverstand zugestehen kann; denn er spottet über Lehren, die er niemals untersucht hat, und macht Lehren lächerlich, ohne sich darum zu bekümmern, ob sie es verdienen. Und das heißt ein Mann ohne Religion? Es gemahnt mich nicht anders, als wenn man einen Lahmen beschreiben wollte: ein Lahmer sei ein Mensch ohne Flügel.

Der Beschluß künftig
XXII. Den 29. Mai 1760

Beschluß des 106ten Briefes

Ich wende mich zu dem zweiten Beweise. »Ein Rechtschaffner muß eine gründliche Erkenntnis von den Gegenständen haben, gegen welche man rechtschaffen handeln muß. Indem er zu dieser Erkenntnis kömmt, gelangt er auch zur natürlichen Erkenntnis Gottes; und durch diese zum Wunsche einer Offenbarung. Alsdann hat er die Pflicht, eine vorgegebene Offenbarung, ohne sorgfältige Untersuchung nicht zu verwerfen, vielweniger zu verspotten. Tut er es; so ist er (vermöge des ersten Beweises) nicht rechtschaffen.« – Das ist ein Beweis? Und ein zweiter Beweis? Wenn doch Herr Basedow so gut sein wollte, ihn in eine syllogistische Form zu bringen. Doch er fühlt es selbst, daß dieses Geschwätze auf den ersten Beweis hinausläuft; daß es weiter nichts ist, als der erste Beweis, auf den Religionsspötter näher eingeschränkt. Und in wie fern der Satz von diesem gilt, darüber habe ich mich erklärt. Er gilt von ihm, nicht in so fern er keine Religion hat, sondern in so fern er spottet.

Also der dritte Beweis: »Wegen der Macht der Leidenschaften ist nicht zu erwarten, daß ein Mensch, der weder geoffenbarte noch natürliche Religion hat, die gesellschaftlichen Pflichten zu erfüllen geneigt sei, und also in dieser eingeschränkten Bedeutung ein rechtschaffner Mann sein könne.

[288] Man hat aber bessern Grund es zu hoffen, wenn er die Religion in seinem Verstande für wahr hält, und sein Herz zur Ausübung derselben gewöhnt.« Auch dieses Raisonnement ist kein Beweis unsers Satzes. Herr Basedow hat für gut befunden, meine Einwendung dagegen gar nicht zu verstehen. Ich sage nämlich: Hier ist die ganze Streitfrage verändert; anstatt zu beweisen, daß ohne Religion keine Rechtschaffenheit sein könne, sucht man nur taliter qualiter so viel zu erschleichen, daß es wahrscheinlicher sei, es werde eher ein Mann von Religion, als ein Mann ohne Religion rechtschaffen handeln. Aber weil jenes wahrscheinlicher ist, ist dieses darum unmöglich? Und von der Unmöglichkeit ist gleichwohl in dem Satze die Rede: Es kann keine Rechtschaffenheit ohne Religion sein. Herr Basedow sagt selbst, es solle diesem Beweise der zweite Zusatz zur Einleitung dienen. Und wie lautet der zweite Zusatz? »Der Mensch hat eine natürliche Neigung zu denen Handlungen, die wenn sie aus dem rechten Grunde geschehen, rechtschaffen heißen. Aber diese Neigung ist im hohen Grade schwach und unzuverlässig.« Warum ist sie so schwach und unzuverlässig? Wegen der Gewalt der Leidenschaften. Und diese zu bändigen, das lehrt uns nur die Religion? Oder haben wir nicht auch hinlängliche Gründe, unsere Leidenschaften der Vernunft zu unterwerfen, die mit unsern Verhältnissen gegen ein höchstes Wesen in gar keiner Verbindung stehen? Ich sollte es meinen. Haben wir nun dergleichen: so kann jene natürliche Neigung zu rechtschaffnen Handlungen, so schwach und unzuverlässig sie wegen der Leidenschaften immer sein mag, wenn wir diese ihre Hindernisse aus dem Wege räumen, auch ohne Religion stark und zuverlässig werden. Und kann sie das, wie steht es um den Cramerschen Beweis? Ist es nicht offenbar, daß er ihn durch diesen Zusatz selbst untergraben hat? Herr Basedow sage nicht: Aber die Religion gibt uns noch mehrere Gründe, unsre Leidenschaften zu bemeistern etc. Das gebe ich zu. »Allein, habe ich damals schon erinnert, kömmt es denn bei unsern Handlungen bloß auf die Vielheit der Bewegungsgründe an? Beruhet nicht weit mehr auf der Intension derselben? Kann nicht ein einziger Bewegungsgrund, [289] dem ich lange und ernstlich nachgedacht habe, eben so viel ausrichten, als zwanzig Bewegungsgründe, deren jedem ich nur den zwanzigsten Teil von jenem Nachdenken geschenkt habe?« Wenn Herr Basedow das nicht versteht: so kann ich ihm freilich nicht helfen; und man muß ihm erlauben, so lange zu schwatzen als er will.

Und wahrhaftig, sein Geschwätze erregt ordentlich Mitleiden. Er räumt es ein, daß ein Mann ohne Religion ein sehr unbestimmtes Wort sei; aber doch, meinet er, habe Herr Cramer nicht nötig gehabt, es zu bestimmen. Und warum nicht? »Der Herr Hofprediger, sagt er, trägt im Nordischen Aufseher kein System vor, und hat die Absicht nicht, allen möglichen Chicanen eines Widersachers auszuweichen. Sonst hätte er allerdings ausdrücklich anzeigen müssen, ob er untereinem Manne ohne Religion, einen solchen verstehe, der gar keine hat, oder nur denjenigen etc.« Kann man eine größere Absurdität sagen? Deswegen, weil der Herr Hofprediger kein System schreibt, darf er unter eben demselben Worte, bald das, bald jenes verstehen? Herr Basedow wird nie ein System schreiben: ich wette darauf.

In dem ersten Beweise, fährt er fort, meinet Herr Cramer einen Mann ohne alle Religion; in dem zweiten einen leichtsinnigen Spötter der Religion; und in dem dritten wieder einen Mann ohne alle Religion. Als dem Verfasser eines Wochenblatts, versichert er, sei ihm diese Vertauschung erlaubt gewesen; und ich verdiene den Abscheu der Welt, und habe das schwärzeste Laster begangen, weil ich Bösewicht geglaubt habe: »Der Nordische Aufseher müsse und wolle in dieser ganzen Abhandlung den Satz: ohne Religion ist keine Rechtschaffenheit, in einer und derselben Bedeutung verstehen.«

Das habe ich leider geglaubt. Ja ich habe sogar geglaubt, daß Herr Cramer unter einem Manne ohne Religion, bloß einen Mann verstehe, der die christliche Religion in Zweifel ziehet. Denn ich Bösewicht setzte voraus, Herr Cramer werde doch etwas haben sagen wollen; er werde doch lieber etwas falsches (das ihm aber wahr scheine), als gar nichts haben sagen wollen. Nun aber, da uns Herr Basedow sein Wort gibt, daß Herr Cramer wirklich gar nichts habe sagen wollen: [290] muß ich mich freilich auf den Mund schlagen. Sie glauben nicht, wie ich mich schäme! Wollte doch der Himmel, daß ich mich vor den Augen der Welt verbergen könnte!

G.

Hundert und siebender Brief

Herr Cramern muß es also hier gegangen sein, wie es allen gehet, die ihre Gedanken unter der Feder reif werden lassen. Man glaubt eine große Wahrheit erhascht zu haben; man will sie der Welt ins Licht setzen; indem man damit beschäftiget ist, fängt man selbst an, sie deutlicher und besser einzusehen; man sieht, daß sie das nicht ist, was sie in der Entfernung zu sein schien; unterdessen hat man sein Wort gegeben; das will man halten; man dreht sich itzt so, itzt anders; man geht unmerklich von seinem Ziele ab; und schließt endlich damit, daß man etwas ganz an ders beweiset, als man zu beweisen versprach; doch immer mit der Versicherung, daß man das Versprochene bewiesen habe. Amphora coepit institui, currente rota urceus exit.

Ohne Religion kann keine Rechtschaffenheit sein! diesen großen Satz wollte Herr Cramer beweisen, um alle Gegner der Religion, wo nicht auf einmal in die Enge zu treiben, doch wenigstens so zu brandmarken, daß sich keiner seiner Entfernung von der Religion mehr öffentlich rühmen dürfe. Der Vorsatz war vortrefflich, und eines eifrigen Gottesgelehrten würdig. Schade nur, daß sich die Wahrheit nicht immer nach unsern guten Absichten bequemen will. Nicht will? O sie wird müssen; wir verstehen uns aufs beweisen. »Denn, sagt Herr Cramer, ein Mensch welcher sich rühmet, daß er keine Pflicht der Rechtschaffenheit vernachlässige, ob er sich gleich von demjenigen befreit achtet, was man unter dem Namen der Frömmigkeit begreift, ist- ein Lügner, muß ich sagen, wenn ich nicht strenge, sondern nur gerecht urteilen will; weil er selbst gestehet, kein rechtschaffener Mann gegen Gott zu sein.« Da steht der Beweis; und er ist noch dazu schön gesagt. Nun will Herr Cramer weiter gehen. Aber indem überlegt er seinen Beweis noch einmal: »Ein Rechtschaffener [291] sucht alle Pflichten zu erfüllen, auch die Pflichten der Religion; nun sucht ein Mann ohne alle Religion diese nicht zu erfüllen, ergo – Denn er hält sie für keine Pflichten:« fällt ihm ein, ehe er sein Ergo ausdenkt. »Er hält sie für keine? das ist etwas anders. So fällt mein Beweis in die Brüche. Ich striche ihn gern aus; wenn ich nicht alles ausstreichen müßte. Ich muß sehen, wie ich mir helfe.« – Geschwind schlägt er also die Volte, und schiebt uns für einen Mann ohne alle Religion, einen Religionsspötter, einen Dummkopf unter, der über Lehren spottet, die er niemals untersucht hat. – »Und so einer kann doch kein rechtschaffner Mann sein?« – Kein Mensch wird ihn dafür erkennen. »Kein Mensch? Ja, nun habe ich zu wenig bewiesen. Vorhin zu viel, itzt zu wenig: wie werde ich es noch machen, daß ich mich mit meinem frommen Paradoxo durchbringe?« So denkt er, und schleicht sich stillschweigend aus dem Paradoxo in die angrenzende Wahrheit. Anstatt zu beweisen, daß ohne Religion keine Rechtschaffenheit sein könne, beweiset er, daß da, wo Religion ist, eher Rechtschaffenheit zu vermuten sei, als wo keine ist. Das, sage ich, beweiset er; versichert aber jenes bewiesen zu haben, und schließt. – Nun, ihr Herrn Basedows,


– – Jovis summi causa clare plaudite!


Wie gesagt: so muß es Herr Cramern hier gegangen sein. Er versprach etwas zu beweisen, wobei wir alle die Ohren spitzten, und currente calamo bewies er etwas, was keines Beweises braucht. Ich aber, der ich mir dieses von dem Herrn Cramer nicht so gleich einbilden konnte, tat ihm dabei Unrecht, bloß weil ich ihm nicht gern Unrecht tun wollte. Ich glaubte nämlich, er verstehe unter einem Manne ohne Religion, einen Mann ohne Christentum; ich hielt ihn für einen übertriebenen Eiferer, um ihn für keinen Mann zu halten, der so schreibt, als es in der Hitze des Dispüts kaum zu reden erlaubt ist.

G.

[292] Hundert und achter Brief

Aber ich habe doch gleichwohl den Herrn Hofprediger Cramer zum Socinianer machen wollen? Ich? Ihn zum Socinianer?

Arthur Ironside empfiehlt seinen Lesern die Methode, nach welcher ihn sein Vater in der Kindheit den Erlöser kennen lehrte. Diese Methode bestand darin, daß er anfangs von der Gottheit desselben gänzlich schwieg, und ihn bloß als einen frommen und heiligen Mann, und als einen Kinderfreund vorstellte. Ich mache hierüber die Anmerkung, daß ein Kind, so lange es den Erlöser nur von dieser Seite kennet, ein Socinianer sei. Folglich habe ich Herr Cramern zum Socinianer gemacht? O Herr Basedow! O Logik!

Und hören Sie nur, was er wider die Anmerkung selbst erinnert. »Das Kind, sagt er, ist zu der Zeit, da es Christum als einen Menschenfreund, Wundertäter und Lehrer denkt, kein Socinianer; denn obgleich ein Socinianer ihn auch so denkt, so leugnet derselbe doch zugleich, daß er auch Gott und ein wahrer Versöhner sei, und nur durch das letzte verdienet er den Namen eines Socinianers.« – Nur durch das Leugnen? Ist denn aber das Leugnen etwas anders, als eine Folge des Widerspruchs? Man frage so ein Kind, das Christum nur als einen Menschen kennet: war nicht Christus auch wahrer Gott? »Gott? das wüßte ich nicht.« – Ja, er war es ganz gewiß. – »Ach nicht doch; Papa, der mir so viel von ihm gesagt hat, hätte mir das sonst auch wohl gesagt.« Nun leugnet das Kind. Nun ist das Kind erst ein Socinianer? Oder von einer andern Seite. Das Kind eines Socinianers, das den Lehrbegriff seines Vaters eingesogen hat, aber von keinen Leuten weiß, die Christum für mehr als einen großen und heiligen Mann halten, das also mit diesen Leuten noch nie in Widerspruch geraten können: das Kind ist kein Socinianer? Armselige Ausflüchte!

Nestor Ironside rechtfertigte seine Methode damit, daß man auch hier von dem Leichten und Begreiflichen zu dem Schwerern fortgehen müsse. Ich erkenne diese Regel der Didaktik; ich erinnere aber, daß dieses Leichtere, von welchem [293] man auf das Schwerere fortgehen müsse, nie eine Verstümmlung, eine Entkräftung der schweren Wahrheit, eine solche Herabsetzung derselben sein müsse, daß sie das, was sie eigentlich sein sollte, gar nicht mehr bleibt. »Und daran, fahre ich fort, muß Nestor Ironside nicht gedacht haben, wenn er es, nur ein Jahr lang, dabei hat können bewenden lassen, den göttlichen Erlöser seinem Sohne bloß als einen Mann vorzustellen, den Gott zur Belohnung seiner unschuldigen Kindheit, in seinem dreißigsten Jahre mit einer so großen Weisheit, als noch niemals einem Menschen gegeben worden, ausgerüstet, zum Lehrer aller Menschen verordnet, und zugleich mit der Kraft begabt habe, solche herrliche und außerordentliche Taten zu tun, als sonst niemand außer ihm verrichten können.« – In dieser Stelle habe ich, nach dem Herrn Basedow, nicht mehr als zwei Verfälschungen begangen. Denn er fragt:Steht denn im Nordischen Aufseher etwas von einem Jahrlang? Werden daselbst die vortrefflichen Eigenschaften des Heilandes, für eine Belohnung seiner unschuldigen Kindheit ausgegeben?

Antwort auf die erste Frage: Das Jahrlang ist freilich mein Zusatz, aber ich sollte meinen, ein so billiger Zusatz, daß mir Herr Cramer Dank dafür wissen sollte. »Ein Kind, sagt Herr Basedow, ist früher, fähig zu fassen, daß der Heiland ein gehorsames Kind, ein weiser und unschuldiger Mann, ein großer Lehrer, Wundertäter und Menschenfreund war, als es seine Gottheit und Erlösung fassen kann.« Wie viel früher? Weniger als ein Jahr? So muß die Erkenntnis des Kindes mehr als menschlich zunehmen; oder der Übergang von dem einen Satze zu dem andern muß sehr gering und leicht sein. Ich Abscheu der Welt! Ich setze nur ein Jahr, wo ich vier bis fünf Jahre hätte setzen können.

Antwort auf die zweite Frage: Ja, allerdings läßt es der Aufseher den Nestor Ironside seinem kleinen Arthur sagen, daß die vortrefflichen Eigenschaften des Heilandes eine Belohnung seiner tugendhaften Kindheit gewesen wären. Nestor, sagt er, habe ihm erzählt, wie unschuldig, wie lehrbegierig, wie fromm, wie gehorsam das Kind Christus gewesen sei. »Und darum, läßt er ihn fortfahren, darum hätte er auch [294] täglich an Weisheit und Gnade vor Gott und Menschen zugenommen; er wäre die Freude, das Wohlgefallen und die Bewunderung aller seiner Freunde und Bekannten geworden, und Gott hätte ihn endlich, nachdem er seine unschuldige Jugend in der Stille und Zufriedenheit mit der Armut und dem Mangel seiner Ältern zurück gelegt hatte, in seinem dreißigsten Jahre mit einer so großen Weisheit ausgerüstet etc.« Das ist eine zusammengesetzte periodus consecutiva, und das Darum, womit die Periode anfängt, muß auf alle Glieder derselben gezogen werden. Wenn ich also lese: Darum, weil er ein so unschuldiges, lehrreiches, frommes, gehorsames Kind war, rüstete ihn Gott in seinem dreißigsten Jahre mit so großer Weisheit aus etc.: so habe ich hoffentlich nicht falsch konstruiert. Und wofür hätte der junge Arthur die Wundergaben, womit Christus in seinem dreißigsten Jahre ausgerüstet ward, auch anders halten können, als für Belohnungen und Folgen seiner tugendhaften Kindheit? Er wußte ja sonst nichts anders von Christo!

G.

XXIII. Den 5. Junius 1760
Hundert und neunter Brief

»Warum verschweigt der Criticus die Rechtfertigung, die Herr Cramer seinem Rate« (einem Kinde den Erlöser, vors erste nur als einen frommen und heiligen Mann vorzustellen) »wahrlich um schwächerer Personen willen, als ein Journalist sein sollte, in demselben funfzigsten Stücke zugefügt hat?« – So fragt Herr Basedow, und wahrlich in einem Tone, daß ein treuherziger Leser darauf schwören sollte, ich hätte diese Rechtfertigung aus bloßer Tücke verschwiegen. Und ich bin mir doch bewußt, daß ich sie aus bloßem Mitleiden verschwiegen habe.

Denn wie lautet diese Rechtfertigung? So wie folget: »Mein Vater fand selbst in der Offenbarung eine Anleitung zu einer vorzüglichen Art des Unterrichts in diesen uns so notwendigen und unentbehrlichen Lehren, und zwar so wohl in der [295] vortrefflichen Rede, die Paulus vor den Atheniensern, als in der Schutzrede, die er vor dem Landpfleger Felix und dem Könige Agrippa hielt. In beiden redet er von Christo; aber auf eine solche Art, die uns lehrt, wie man diejenigen von ihm unterrichten müsse, die noch gar keine Erkenntnisse von seiner erhabenen und herrlichen Person haben. Er schwieg mit einer bewundernswürdigen Weisheit in dem ersten Unterrichte, den er den Atheniensern gab, von den schweren und tiefsten Geheimnissen des Christentums. Er fing damit an, daß er ihnen einen Begriff von der Gottheit beizubringen suchte. Die Schöpfung und Regierung der Welt von Gott, und seine Vorsehung, die Schuldigkeit ihn kennen zu lernen, und seinen Gesetzen zu gehorchen, und das künftige Gericht durch einen Menschen, den er dazu ersehen, und deswegen von den Toten erweckt hätte, waren die ersten Lehren, die er ihnen verkündigte: und er wählte sie offenbar deswegen, weil sie schon einige obgleich falsche Begriffe davon hatten. So wenig sagte er das erstemal von Christo, ob er gleich genug sagte, ihre Neubegierde und Aufmerksamkeit zu reizen. Lehren von einem tiefern Inhalte würden eine ganz widrige Wirkung hervorgebracht, und ihren Verstand nicht sowohl erleuchtet, als verblendet haben. Man sieht diesen großen Lehrer der Völker in seiner Schutzrede vor Felix und Agrippa eine ähnliche Methode beobachten, und ihn aus den Lehren von dem Heilande der Welt dasjenige aussuchen, was von einem noch ununterrichteten Verstande am leichtesten gefaßt werden konnte. Er machte ihnen Christum, welches besonders merkwürdig ist, zuerst nicht als einen Versöhner, der für die Menschen eine vollkommene Genugtuung geleistet hätte, sondern als den Lehrer des menschlichen Geschlechts bekannt, als den, der verkündigen sollte ein Licht dem Volke Israel und den Heiden.«

»Diese Rechtfertigung« (setzt Herr Basedow von dem Seinigen hinzu) »ist vollkommen gründlich, und dem Criticus zu stark, als daß er ihrer erwähnen dürfte. Man darf nicht sagen, daß das Apostolische Exempel deswegen, weil Heiden und Juden Meinungen hatten, die den Geheimnissen des Christentums gerade entgegen gesetzt waren, einem stufenweise [296] zunehmenden Unterrichte der Kinder nicht zur Rechtfertigung dienen könne. Denn erstlich erhellet doch so viel daraus, daß es nicht ketzerisch sei, von Christo anfangs dasjenige zu sagen, was weniger wunderbar ist, und vors erste von dem Schweren und Geheimnisvollen zu schweigen. Zweitens ist das Unvermögen kleiner Kinder, den Ausdruck der Geheimnisse zu verstehen, gewiß eine eben so wichtige Ursache dieser Lehrart, als die Vorurteile der Juden und Heiden.«

Herr Basedow glaube ja nicht, daß ich auf diesem Einwurfe, den er sich selbst macht, und selbst beantwortet, bestehen werde. Und warum nicht? Weil er eine Kleinigkeit als unstreitig voraussetzet, an der ich mir die Freiheit nehme, noch sehr zu zweifeln. An der ich zweifle? Die ich schlechterdings leugne. Und welches ist diese Kleinigkeit? Nur diese: daß Paulus bei besagten Gelegenheiten besagte Methode wirklich gebraucht habe.

Dieses, wie gesagt, leugne ich. Urteilen Sie, ob ich Grund habe. – Zuerst von der Rede des Apostels vor den Atheniensern. 139 Der Apostel wird vor Gerichte geführet, und er soll da sagen, was dieses für eine neue Lehre sei, die er lehre. Er fängt an zu reden; wirft ihnen ihren Aberglauben vor; dringet auf den wahren Begriff einer einzigen höchsten Gottheit, der ihren eignen Weisen nicht ganz unbekannt gewesen sei; und eilet zu der Sache zu kommen, die man eigentlich von ihm zu wissen verlangt, zu seiner neuen Lehre. Die Worte, Und zwar hat Gott die Zeit der Unwissenheit übersehen; nun aber gebeut er allen Menschen an allen Enden Buße zu tun; diese Worte, sage ich, sollen den Einwurf vorläufig beantworten, den man von der Neuheit seiner Lehre hernehmen könnte; und nun ist er auf einmal Mitten in seiner Materie: Darum, daß er einen Tag gesetzt hat, auf welchen er richten will den Kreis des Erdbodens mit Gerechtigkeit durch einen Mann, in welchem ers beschlossen hat, und jedermann fürhält den Glauben, nachdem er ihn hat von den Toten auferweckt. Das sind die Sätze, über die er sich nunmehr weiter [297] verbreiten will; die er den Atheniensern in der Folge seiner Rede näher erklären will. Aber was geschieht? Da sie hörten die Auferstehung der Toten, da hattens etliche ihren Spott, etliche aber sprachen: wir wollen dich davon weiter hören. Es waren Teils Epikurer, Teils Stoiker, die den Apostel vor Gerichte geführt hatten. Die Epikurer spotteten; die Stoiker wurden kalt: jene lachen; diese gähnen: keiner besteht auf seiner Anklage, und also ging Paulus von ihnen. Nun frag ich: wie kann man dieses für eine ganze, vollständige Rede des Apostels halten? Es ist ja offenbar nichts mehr, als der bloße Anfang einer Rede. Er ward unterbrochen; man wollte ihn nicht mehr hören, als er nun eben auf das kam, wovon Herr Cramer sagt, daß er es vorsetzlich mit einer bewundernswürdigen Weisheit in dem ersten Unterrichte verschwiegen habe. Verschwiegen? Verschweigt man das, wozu man uns nicht kommen läßt? Paulus erwähnt des Glaubens, erwähnt des Gerichts; aber seine Zuhörer gehen fort. Lag die Ursache also in dem Paulus, lag sie also in seiner didaktischen Klugheit, von dem minder Wunderbaren anzufangen, daß er ihnen von diesem Glauben nicht mehr sagte? daß er sie denMann nicht näher kennen lehrte, durch welchen Gott den Kreis des Erdbodens richten wolle? Herr Cramer macht, zu meinem nicht geringern Erstaunen, aus diesem Manne einen Menschen: aus diesem Manne, den Petrus mit einer ihm selbst am besten bewußten Emphasis, 140 den Mann von Gott nennt, einen Menschen. Ich möchte doch wissen, wie er diese Vertauschung bei unsern Exegeten verantworten wollte. Sie ist ganz gewiß unverantwortlich; ob ich sie gleich für weiter gar nichts ausgeben will, als für eine Übereilung des Herrn Hofpredigers. Hätte Paulus weiter reden können, so würde sein zweites Wort unfehlbar von der Gottheit dieses Mannes gewesen sein. Denn er beobachtete in diesem Punkte die menschliche Klugheit des Herrn Hofpredigers so wenig, daß er schon vorher zu Athen auf dem Markte alle Tage, zu denen, die sich herzufanden, von der Gottheit Christi gesprochen hatte. Wie hätte sonst der heilige Geschichtschreiber [298] hinzusetzen können: Etliche aber der Epikurer und Stoiker Philosophi zankten mit ihm, und etliche sprachen: Was will dieser Lotterbube sagen? Etliche aber: Es siehet, als wolle er neue Götter verkündigen. Das machte, er hatte das Evangelium von Jesu, und von der Auferstehung ihnen verkündigt. Man überlege die Worte: »Es scheinet als wolle er neue Götter verkündigen; das machte, er hatte ihnen das Evangelium von Jesu verkündiget.« Nichts kann deutlicher sein. Folglich kann Herr Cramer aus der obigen Rede für sich nichts schließen. Erstlich, weil sie nicht der erste Unterricht war, den der Apostel den Atheniensern gab; und zweitens weil es eine unterbrochene Rede war. Vielmehr kann man den Herrn Cramer aus diesem Exempel förmlich widerlegen; weil es drittens offenbar ist, daß der Apostel gerade das Gegenteil von dem getan hat, was er ihn tun läßt, daß er seinen Unterricht ohne Umschweife von der Gottheit Christi angefangen hat. Denn er schien neue Götter zu verkündigen, weil er ihnen das Evangelium von Jesu verkündigte.

Ich hätte hier eine feine Gelegenheit, gelehrte Bücher zu plündern, und meinem Briefe selbst dadurch ein gelehrtes Ansehen zu geben. Aber wer betrachtet gern etwas durch ein Vergrößerungsglas, was er mit bloßen Augen deutlich genug sehen kann? Erlauben Sie mir unterdessen, nur einen einzigen Mann anzuführen, dessen exegetische Gelehrsamkeit ein wenig mehr außer Zweifel gesetzt ist, als des Herrn Cramers oder meine. Es ist D. Heumann. Herr Basedow sei so gut, und lese dieses würdigen Gottesgelehrten »Erklärung der Apostelgeschichte«, wenn er die Meinung seines Freundes von der obigen Rede des Paulus, Vers vor Vers widerlegt und verworfen finden will. Gleich Anfangs gedenkt der Doctor der Vorstellungen, welche Sebastian Schmidt, und Franciscus Fabricius von dieser Rede des Apostels gemacht haben, und sagt: »Beiden aber kann ich darin keinen Beifall geben, wenn sie glauben, es habe Paulus diese Rede an die Professoren der Stoischen und Epikurischen Weisheit gehalten, und daher die Lehren der Vernunft von Gott oder der philosophischen Theologie vornehmlich vorgetragen. Der letztere, Fabricius, will auch die Klugheit unsers heiligen [299] Redners zeigen, und suchet sie auch darinnen, daß Paulus Gott nicht den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs genennet, auch seine Lehren nicht aus den Propheten, sondern aus heidnischen Poeten, bestätigt, wie auch Jesum nicht einmal mit Namen genennt habe. Wie unbedachtsam ist doch dieses! Wird nicht auf diese Weise Paulo fast eben die Klugheit beigelegt, welche die Jesuiten in China ausüben, deren Bekehrungsklugheit von ihren eigenen Religionsverwandten gemißbilliget wird?« – Was sagen Sie zu dieser Stelle? Der Doctor will von keiner Bekehrungsklugheit wissen, die der Hofprediger eine bewundernswürdige Weisheit nennt. Er schwieg mit einer bewundernswürdigen Weisheit in dem ersten Unterrichte, den er den Atheniensern gab, von den schweren und tiefsten Geheimnissen des Christentums. Die Rede, die der Apostel auf dem Areopago hielt, war der erste Unterricht nicht, den er den Atheniensern gab; und in dem vorhergegangenen ersten Unterrichte, sagt der Doctor ausdrücklich, »lehrte Paulus, Jesus sei der Sohn Gottes. 141 Die Spötter nennten Jesum einen neuen und fremden, das ist, bisher unerhörten Gott. Sie sagten neue Götter, und meinten doch nur den von Paulo gepredigten Jesum. Diese Art zu reden ist gewöhnlich, wenn man indefinite redet« etc. Eben so ausdrücklich behauptet der Doctor, daß Paulus in der gedachten Rede selbst, allerdings von den eigentlichen Glaubenslehren würde geredet haben, wenn ihn das laute Gelächter der spöttischen Zuhörer nicht aufzuhören gezwungen hätte. Er erklärt die letzten Worte πισιν παρεχειν πασιν durch »die Glaubenslehren allen Menschen vortragen, und sie belehren, daß, die Seligkeit zu erlangen, der Glaube an Jesum das einzige Mittel sei.« Er sagt nicht, daß der Apostel den Atheniensern nur deswegen von einem künftigen Gerichte durch einen Mann, den Gott dazu ersehen, geprediget, weil dieses eine Lehre gewesen sei, von welcher sie schon einige, obgleich falsche Begriffe gehabt hätten: sondern er sagt, daß es deswegen geschehen sei, weil Paulus durch diese [300] drohende Vorstellung des Gerichts, seine Zuhörer aufmerksam machen, und bewegen wollen, daß sie den Beweis seiner göttlichen Gesandtschaft von ihm verlangen möchten. »Diesen Beweis, fährt der Doctor fort, würde er ihnen überzeuglich gegeben haben, wenn sie nicht bald darauf mit spöttischem Schreien ihm in die Rede gefallen wären, und dieselbe zu beschließen, ihn genötigt hätten.« etc.

Nun von des Apostels Schutzrede vor dem Landpfleger Felix. – Auch in dieser ist nicht die geringste Spur von der didaktischen Klugheit, welche die Methode des Herrn Cramers entschuldigen soll. Und wie könnte es auch? Paulus hat darin nichts weniger als die Absicht zu unterrichten, und seiner Lehre Proselyten zu schaffen: sondern er sucht einzig und allein die bürgerliche Klage von sich abzulehnen, welche die Juden gegen ihn erhoben hatten. Er zeiget aus den Umständen der Zeit, daß die Beschuldigung, als habe er einen Aufruhr erregen wollen, schon an und vor sich selbst unwahrscheinlich sei, und füget die wahre Ursache hinzu, warum er von den Juden so verleumdet werde; darum nämlich, weil er nach diesem Wege, den sie eine Sekte heißen, also dem Gotte seiner Väter diene, daß er glaube allem, was geschrieben stehet im Gesetze und in den Propheten. Von diesem Wege sagt er alsdenn nur auch ganz allgemeine Dinge, und wenig mehr als ohngefähr einen Einfluß auf den Charakter eines ehrlichen Mannes, eines ruhigen und wohltätigen Bürgers haben konnte. Und dieses tut er, nicht um den Felix zu größern Geheimnissen vorzubereiten, sondern bloß um von ihm als Richter, bürgerliche Gerechtigkeit zu erlangen. Kurz, es ist mir unbegreiflich, wie Herr Cramer in dieser Rede seine Methode hat finden können. Hätte er unterdessen nur einige Zeilen weiter gelesen; so würde er gerade das Gegenteil derselben, auch hier gefunden haben. Nach etlichen Tagen aber, fährt der Geschichtschreiber fort, kam Felix mit seinem Weibe Drusilla, die eine Jüdin war, und fodert Paulum, und hört ihn von dem Glauben an Christo. Da aber Paulus redet von der Gerechtigkeit, und von der Keuschheit, und von dem zukünftigen. Gerichte, erschrak Felix und antwortete: Gehe hin auf diesmal, wenn ich gelegene Zeit [301] habe, will ich dich her lassen rufen. Diese Stelle ist höchst merkwürdig. Felix und seine Gemahlin hören den Apostel von dem Glauben an Christo, von den unbegreiflichsten Geheimnissen unsrer Religion. Aber nicht über diese unbegreifliche Geheimnisse erschraken sie; nicht diese unbegreifliche Geheimnisse hatten Schuld, daß sie nicht Christen wurden: sondern das strenge und tugendhafte Leben, auf welches der Apostel zugleich mit drang, das schreckte sie ab.

Aber ich eile, auch noch ein Wort von der Schutzrede des Paulus vor dem Könige Agrippa, zu sagen. – Ich werde hier recht sehr auf meiner Hut sein müssen, daß mir nicht etwas hartes gegen den Herrn Cramer entfähret. Seine ganze Theologie mußte ihn verlassen haben, als er schreiben konnte, »Paulus habe Christum dem Agrippa, zuerst nicht als einen Versöhner, der für die Menschen eine vollkommene Gnugtuung geleistet hatte, sondern als den Lehrer des menschlichen Geschlechts bekannt gemacht, als den, der verkündigen sollte ein Licht dem Volke Israel und den Heiden.« Das ist zu arg! Hören Sie nur. Agrippa war ein Jude; also ein Mann, der mit dem Apostel in dem Begriffe von dem Messias überein kam; also ein Mann, dem er nicht erst beweisen durfte, daß Gott durch die Propheten einen Messias versprochen habe; sondern den er bloß überführen mußte, daß Jesus der versprochene Messias sei. Und dieses tat er dadurch, daß er zeigte, die Prophezeiungen, der Messias werde leiden müssen, werde der erste unter denen sein, die von den Toten auferstehen, diese Prophezeiungen wären in Jesu erfüllt worden. Paulus schwieg also von der Göttlichkeit und Genugtuung des Messias hier so wenig, daß er beides vielmehr bei dem Agrippa voraussetzte. Leiden, Sterben, Auferstehen, ein Licht dem Volke und den Heiden verkündigen; alles dieses faßt der Apostel in einen einzigen Perioden: und doch kann Herr Cramer behaupten, daß er von Christo nur als einem Lehrer und nicht als einem Versöhner gegen den Agrippa gesprochen habe? Er lese doch nur: Daß Christus sollte leiden, und der Erste sein aus der Auferstehung von den Toten, und verkündigen ein Licht dem Volke und den Heiden.

[302]

Und das ist nun die Rechtfertigung, welche Herr Basedow vollkommen gründlich, und mir zu stark nennet, als daß ich ihrer hätte erwähnen dürfen. Noch einmal: ich habe ihrer aus bloßem Mitleiden nicht erwähnt.

G.

XXIV. Den 12. Junius 1760
Hundert und zehnter Brief

Sie sind meine polemischen Briefe müde. Ich glaube es sehr gern. Aber nur noch eine kleine Geduld; ich habe wenig mehr zu sagen, und will mich so kurz als möglich fassen.

Wenn Herr Cramer die Rechtfertigung seiner Methode in der Offenbarung nicht findet: so kann er sie nirgends finden, als in seiner guten Absicht. Diese will ich ihm nicht im geringsten streitig machen. Allein ein Projektmacher, wenn es auch ein theologischer Projektmacher wäre, muß mehr als eine gute Absicht haben. Sein Projekt muß nicht allein für sich selbst praktikabel sein, sondern die Ausführung desselben muß auch unbeschadet anderer guten Verfassungen, die bereits im Gange sind, geschehen können. Beides vermisse ich an dem Projekte des Herrn Cramers. Vors erste ist es für sich selbst nicht praktikabel. Denn so ein Kind, das den Erlöser erst als einen frommen und heiligen Mann, als einen Kinderfreund, soll kennen und lieben lernen, müßte so lange dieser vorbereitende Unterricht dauerte, von allem öffentlichen und häuslichen Gottesdienste zurückgehalten werden; es müßte weder beten noch singen hören, wenn es in den Schranken der mit ihm gebrauchten Methode bleiben sollte. Zweitens streitet das Cramersche Projekt mit mehr als einer angenommenen Lehre unserer Kirche. Ich will itzt nur die Lehre von dem Glauben der Kinder nennen. Herr Cramer muß wissen, was unsere Kirche von dem Glauben der Kinder, auch schon alsdenn, wenn sie noch gar keine Begriffe haben, lehret; er muß wissen, daß die Frage, die einem Täuflinge geschiehet: Glaubest du etc. mehr saget, als: Willst du mit der Zeit glauben etc.

[303] Und hier will ich abbrechen. Schließlich möchte ich den Herrn Basedow, folgendes zu überlegen, bitten. Als ich in dem »Nordischen Aufseher« eine Methode angepriesen fand, die mir eine unbehutsame Neuerung eines Mannes zu sein schien, der die strenge Orthodoxie seinen guten Absichten aufopfert; als ich sie mit Gründen angepriesen fand, die den sorgfältigsten Exegeten gewiß nicht verraten; als ich den betäubenden, niederdonnernden Ausspruch, ohne Religion kann keine Redlichkeit sein, damit verglich: war es nicht sehr natürlich, daß mir gewisse Gottesgelehrten dabei einfielen, »die sich mit einer lieblichen Quintessenz aus dem Christentume begnügen, und allem Verdachte der Freidenkerei ausweichen, wenn sie von der Religion überhaupt nur fein enthusiastisch zu schwatzen wissen.« Weder Herr Basedow noch Herr Cramer wird leugnen wollen, daß es dergleichen Gottesgelehrten itzt die Menge gibt. Wenn aber jener meine allgemeine Anmerkung so ausleget, als ob ich sie schlechterdings auf diesen angewendet wissen wolle; so muß ich seine Auslegung für eine Calumnie erklären, an die ich nie gedacht habe. Ich sage: »auch der ›Nordische Aufseher‹ hat ein ganzes Stück dazu angewandt, sich diese Miene der neumodischen Rechtgläubigkeit zu geben etc.« Ist denn dieses eben so viel, als wenn ich gesagt hätte: Auch der Nordische Aufseher ist einer von diesen Rechtgläubigen? Ich rede ja nur von einer Miene, die er sich geben will. Ich sage ja nicht, daß er sich diese Miene aus eben der Ursache geben will, aus welcher sie jene führen. Jene führen sie, um ihre Freidenkerei damit zu maskieren; und er will sie annehmen, vielleicht weil er glaubt, daß sie gut läßt, daß sie bezaubert. Wenn eine neue Mode aus einer gewissen Bedürfnis entsprungen ist, haben darum alle, welche dieser Mode folgen, die nämliche Bedürfnis? Haben alle, die einen Kragen am Kleide tragen, einen Schaden an ihrem Halse, weil ein solcher Schaden den ersten Kragen, wie man sagt, veranlaßt hat?

G.

[304] Hundert und elfter Brief

Die Verlegenheit, in die mich Herr Basedow in Ansehung des zweiten Mitarbeiters an dem »Nordischen Aufseher«, des Herrn Klopstocks, mit aller Gewalt setzen will, hat mich von Grund des Herzens lachen gemacht.

»Auch das fünf und zwanzigste Stück, sagt Herr Basedow, von einer dreifachen Art über Gott zu denken, dessen Verfasser der Herr Klopstock ist, wird von dem Herrn Journalisten sehr feindselig angegriffen. Er muß vermutlich das Klopstockische Siegel nicht darauf gesehen haben, wie auf andern Stücken desselben Verfassers, von welchen er mit Hochachtung redet.« – Herr Basedow will vermutlich hier spotten. Vermutlich aber wird der Spott auf ihn zurück fallen. Denn gesetzt, ich hätte allerdings das Klopstockische Siegel darauf erkannt: was weiter? Hätte ich es bloß deswegen, ohne fernere Untersuchung, für gut, für vortrefflich halten sollen? Hätte ich schließen sollen: weil Herr Klopstock dieses und dieses schöne Stück gemacht hat; so müssen alle seine Stücke schön sein? Ich danke für diese Logik. »Herr Klopstock, heißt es an einem andern Orte, so gewogen der Criticus sich demselben auch anstellt« etc.Anstellt? Warum denn anstellt? Ich kenne den Herrn Klopstock von Person nicht; ich werde ohne Zweifel nie das Vergnügen haben, ihn so kennen zu lernen; er wohnt in Kopenhagen, ich in ** ; ich kann ihm nicht schaden; er soll mir nichts helfen: was hätte ich denn also nötig, mich gegen ihn anzustellen? Nein, ich versichere den Herr Basedow auf meine Ehre, daß ich dem Herrn Klopstock in allem Ernste gewogen bin; so wie ich allen Genies gewogen bin. Aber deswegen, weil ich ihn für ein großes Genie erkenne, muß er überall bei mir Recht haben? Mit nichten. Gerade vielmehr das Gegenteil: weil ich ihn für ein großes Genie erkenne, bin ich gegen ihn auf meiner Hut. Ich weiß, daß ein feuriges Pferd auf eben dem Steige, samt seinem Reiter den Hals brechen kann, über welchen der bedächtliche Esel, ohne zu straucheln, gehet.

Wer heißt den Herrn Klopstock philosophieren? So gewogen bin ich ihm freilich nicht, daß ich ihn gern philosophieren [305] hörte. Und können Sie glauben, Herr Basedow selbst ist in dem gedachten Stücke nicht ganz mit ihm zufrieden. Sie wissen, was ich dagegen erinnert habe. Erstlich, daß er uns mit seiner dritten Art über Gott zu denken, nichts Neues sage; das Neue müßte denn darin liegen, daß er das denken nennet, was andere empfinden heißen. Das räumet Herr Basedow ein, und fragt bloß: »Ob man denn über alte Dinge etwas neues sagen müsse? Und ob denn Herr Klopstock nicht das Recht gehabt habe, das Wortdenken anders zu nehmen, als es in der üblichen Sprache einiger Systeme genommen werde?« Ich selbst habe ihm dieses Recht zugestanden, und nur wider den Irrtum, auf welchen er dadurch verfallen ist, protestieret; als worin mein zweiter Einwurf bestand. Er sagt nämlich, daß man durch die dritte Art über Gott zu denken, auf neue Wahrheiten von ihm kommen könnte, wenn die Sprache nicht zu arm und schwach wäre, das, was wir dabei dächten, auszudrücken. Ich sage: keine neue Wahrheiten! Und was sagt Herr Basedow? »Ich gestehe, es wäre vielleicht nicht ganz abzuraten gewesen, den Ausdruck neue Wahrheiten zu vermeiden, oder ihn vielmehr zu erklären.« Das gesteht Herr Basedow, und doch zankt er mit mir. Ja freilich; wenn es erlaubt ist, allen Worten einen andern Verstand zu geben, als sie in der üblichen Sprache der Weltweisen haben: so kann man leicht etwas Neues vorbringen. Nur muß man mir auch erlauben, dieses Neue nicht immer für wahr zu halten.

Aber wieder auf das Vorige zu kommen: Hatte ich wirklich das Klopstockische Siegel auf dem gedachten Stücke nicht gesehen? O nur allzudeutlich; und ich dächte, ich hätte es auch nur allzudeutlich zu verstehen gegeben. Ich schrieb nämlich: »Ich verdenke es dem Verfasser sehr, daß er sich bloß gegeben, so etwas auch nur vermuten zu können.« Dieses er war nicht umsonst in dem Manuskripte unterstrichen, ward nicht umsonst mit Schwabacher gedruckt. Dieses er war Herr Klopstock. Denn Herr Basedow wird doch wohl wissen, wofür die Gottschede und Hudemanns den Herrn Klopstock halten. Dieser Leute wegen tat es mir im Ernste leid, daß er eine Theorie verraten habe, die ihren kahlen Beschuldigungen auf gewisse Weise zu statten komme.

[306] Und so wenig ich aus des Herrn Klopstocks Philosophie mache, eben so wenig mache ich aus seinen Liedern. Ich habe davon gesagt: »sie wären so voller Empfindung, daß man oft gar nichts dabei empfinde.« Herr Basedow hingegen sagt von dem Liede, von welchem damals vornehmlich die Rede war: »Es ist, wie mich dünkt, ganz so gedankenreich und schön, wie die folgende Strophe.«

Jesus, Gott wird wiederkommen.


Ach laß uns dann mit allen Frommen
Erlöst zu deiner Rechten stehn!
Ach du müssest, wenn in Flammen
Die Welt zerschmilzt, uns nicht verdammen!
Laß alle kämpfen dich zu sehn!
Dann setz auf deinen Thron
Die Sieger, Gottes Sohn,
Hosianna!
Zur Seligkeit
Mach uns bereit,
Durch Glauben, durch Gerechtigkeit.

Das nennt Herr Basedow gedankenreich? Wenn dasgedankenreich ist; so wundere ich mich sehr, daß dieser gedankenreiche Dichter nicht längst der Lieblingsdichter aller alten Weiber geworden ist. Ist das der Dichter, der jenen Traum vom Sokrates gemacht hat? Damit aber Herr Basedow und seines gleichen, nicht etwa meinen mögen, daß mein Urteil über die Klopstockischen Lieder ein bloßer witziger Einfall sei, so will ich ihnen sagen, was ich dabei gedacht habe. Es kann wahr sein, dachte ich, daß Herr Klopstock, als er seine Lieder machte, in dem Stande sehr lebhafter Empfindungen gewesen ist. Weil er aber bloß diese seine Empfindungen auszudrücken suchte, und den Reichtum von deutlichen Gedanken und Vorstellungen, der die Empfindungen bei ihm veranlaßt hatte, durch den er sich in das andächtige Feuer gesetzt hatte, verschwieg und uns nicht mitteilen wollte: so ist es unmöglich, daß sich seine Leser zu eben den Empfindungen, die er dabei gehabt hat, erheben können. Er hat also, wie man im Sprüchworte zu sagen pflegt, die Leiter nach [307] sich gezogen, und uns dadurch Lieder geliefert, die von Seiten seiner, so voller Empfindung sind, daß ein unvorbereiteter Leser oft gar nichts dabei empfindet. Der »Hamburgische Anzeiger« sagt, es sei ihm dieses mein Urteil eben so vorgekommen, »als ob jemand von Lessings schönen Fabeln urteilen wollte, sie wären so witzig, daß sie oft ganz aberwitzig darüber würden.« Der Herr versuche nunmehr, ob er in seine Instanz eben den richtigen Sinn legen kann, der in meinem Urteile liegt. Desto schlimmer aber für Lessingen, wenn seine Fabeln nichts witzig sind!

G.

Hundert und zwölfter Brief

Herr Basedow – und nun werde ich seiner zum letztenmale gedenken, – wirft auf allen Seiten mit Lieblosigkeiten, mit Verleumdungen um sich; und der »Hamburgische Anzeiger« sagt, daß ein sehr niedriger Bewegungsgrund mich aufgebracht habe, den Aufseher als ein höchst schlechtes Werk herunter zu setzen. Beide Herren muß ein verborgenes Geschwür jucken, das sie mit aller Gewalt aufgestochen wissen wollen. Ihr Wille geschehe also. Ich wünsche, daß die Operation wohl bekommen möge.

Erinnern Sie sich wohl des erdichteten Briefes, den der nordische Aufseher in seinem sieben und dreißigsten Stücke mitteilet? Vielleicht haben Sie ihn über schlagen. Ich meine folgenden.


»Mein Herr!


Hoffentlich werden Sie sich doch, bei dem Schlusse des ersten Teils Ihrer Blätter, in Kupfer stechen lassen. Ich habe Sie zwar noch nicht gesehen, so oft ich Sie auch auf unsern Spaziergängen aufgesucht habe, und ich habe ein scharfes Gesicht. Gewiß Sie entziehen sich dem Publico allzusehr. Dennoch getraue ich mir, Sie vollkommen zu treffen. Das verspreche ich: Ihr Portrait soll keinem in der Bibliothek der schönen Wissenschaften etwas nachgeben. Ein altes saures Gesicht mit Runzeln, wie Gellert und ein anderer Dichter; tiefsinnig; schief; auch ein wenig mürrisch, denn im Schatten bin ich stark. Nicht wahr? Ich warte nur auf Ihre Erlaubnis, mein Herr, um den Grabstichel in die Hand zu nehmen; die Platte ist schon fertig. Ich mache auch Inscriptionen in Prosa [308] und Versen, wenn Sie sie haben wollen. Ihr Verleger ist, wie ich höre, so eigen, daß er Ihr Bild dem Werke, ohne Ihr Wissen nicht vorsetzen will. Aber der wunderliche Mann! Er soll nicht dabei zu kurz kommen; das such wird gewiß desto bessern Abgang haben. Nur muß er meine Mühe nicht umsonst verlangen.

Das will ich Ihnen noch im Vertrauen stecken: Ich kenne eine etwas betagte reiche Witwe, welche alle Augenblicke bereit ist, sich in Sie zu verlieben, wenn Sie so aussehen, wie ich Sie zeichnen will. Die Frau sieht nicht übel aus. Sie sind doch noch Witwer? Ich bin

Mein Herr

Ihr untertänigster Diener

Philipp Kauk.

Kupferstecher«


Ich frage einen jeden, dem es bekannt ist, daß der Kupferstecher, der ein Paar Portraits vor der »Bibliothek der schönen Wissenschaften« gemacht hat, wirklich Kauke heißt, ob diesem Briefe das geringste zu einem förmlichen Pasquille fehlt? Ich wußte nicht, ob ich meinen Augen trauen sollte, als ich sahe, daß sich ein Mann, wie der Nordische Aufseher, der von nichts als Religion und Redlichkeit schwatzt, der es seiner Würde für unanständig erklärt hatte, sich mit der Satyre abzugeben, daß sich so ein Mann so schändlich vergangen hatte. Gesetzt der Künstler spräche zu ihm: »Mein Herr, der Sie so eigenmächtig nicht Tadel, sondern Schande austeilen, darf ich wohl wissen, wie ich zu diesem Brandmale komme? Es ist wahr, ich habe eines von den bewußten Portraits gestochen; aber nicht aus freiem Willen, sondern weil es mir aufgetragen ward, weil mir die Arbeit bezahlt ward, und ich von dieser Beschäftigung lebe. Ich habe mein Bestes getan. Allein man hat mir ein so schlechtes Gemälde geliefert, daß ich nichts besseres daraus habe machen können. Ich sage Ihnen, daß alle die Fehler, die Sie in meinem Stiche tadeln, in dem Gemälde gewesen sind; und daß ein Kupferstecher keinen Fehler des Gemäldes nach Gutdünken verbessern kann, ohne in Gefahr zu sein, die Ähnlichkeit auf einmal zu vernichten. Was weiß ich, ob Herr Gellert ein Adonis ist, oder ein saures Gesicht mit Runzeln hat? Was weiß ich, ob der andere Dichter (den ich nicht einmal gestochen habe) schief und mürrisch aussieht? Wir Kupferstecher [309] stechen die Leute, wie wir sie gemalt finden. Und als Kupferstecher, sollte ich meinen, hätte ich doch immer noch einen Stichel gezeigt, der fester und kühner ist, und mehr verspricht? als daß er eine so öffentliche Beschimpfung verdient hätte. Doch dem sei wie ihm wolle. Wenn ich auch schon der allerelendeste Kupferstecher wäre, warum gehen Sie aus den Schranken des kritischen Tadels? Warum muß ich noch etwas schlimmeres als der elendeste Kupferstecher, warum muß ich Ihr Kuppler sein? Muß ichIhr Kuppler sein, weil Ihre Freunde das Unglück durch mich gehabt haben, nicht so schön und artig in der Welt zu erscheinen, als sie sich in ihren Spiegeln erblicken? Dieses einzige frage ich Sie: muß ich darum Ihr Kuppler sein?« – Wenn, sage ich, der Künstler zu dem Aufseher so spräche; was könnte der fromme, redliche, großmütige Mann antworten?

Herr Basedow möchte gar zu gern meinen Namen wissen. Gut; er soll ihn erfahren, sobald einer von ihnen, entweder Herr Cramer, oder Herr Klopstock, oder er selbst, das Herz hat, sich zu diesem Pasquille zu bekennen.

G.

Siebenter Teil

1760

XII. Den 18. September 1760
Hundert und sieben und zwanzigster
Brief

Sie kennen doch den Äsopischen Zahnschreier, Hermann Axel, den die Schweizerischen Kunstrichter vor einigen Jahren mit so vieler zujauchzenden Bewunderung austrommelten? Er unterschied sich von andern Zahnschreiern besonders dadurch, daß er sehr wenig redte. Wenn er aber seinen Mund auftat, so geschah es allezeit mit einer Fabel. Der schnakische Mann war in der Schweiz überall willkommen; er durfte ungebeten bei den Tafeln und Gastmählern vornehmer [310] und geringer Personen erscheinen; man hielt dafür, daß seine Zeche durch die Fabeln, die er unter die Gespräche mischte, überflüssig bezahlt sei. Unter andern wußte er sehr viel von Gauchlingen zu erzählen; wie die Gauchlinger über ihre böse Bach ratschlagen; wie die Gauchlinger nicht Spitzhosen anstatt Pluderhosen tragen wollen; wie die Gauchlinger etc. Alle dieseGauchlingiana haben seine Freunde zu Papiere gebracht, und sie in den »Freimütigen Nachrichten«, in den »Kritischen Briefen«, in der Vorrede zu M. v. K. »Neuen Fabeln«, zum ersten, zweiten, dritten, und der Himmel gebe, letzten male drucken lassen.

Das alles wissen Sie. Aber wissen Sie auch, daß Hermann Axel noch lebt? Daß er nunmehr auf seine eigene Hand ein Autor geworden ist? Daß er einen kläglichen Beweis gegeben, wie wirksam das Gift seiner Schmeichler auf seinen gesunden Verstand gewesen sein müsse? Diese bösen Leute hatten ihn und den Aesopus so oft zusammen genennt, bis er sich wirklich für einen zweiten Patäcus (ός εφασκε την Αισωπου ψυχην εχειν 142) gehalten. Nun fiel Lessingen vor kurzem ein, an dieser Seelenwanderung zu zweifeln, und verschiedenes wider die Axelische Fabeltheorie einzuwenden. Wer hieß ihm das? Er hätte die Schweizer besser kennen sollen. Er hätte wissen sollen, daß sie den geringsten Widerspruch mit der plumpsten Schmähschrift zu rächen gewohnt sind. Hermann Axel spricht zwar wenig; aber er kann desto mehr schreiben. Er wird eine Sündflut von Fabeln wider ihn ausschütten. Er wird mit Stoppen undKräuterbündeln um sich werfen. Er wird – – alles tun, was er wirklich in folgendem Buche getan hat.Lessingische unäsopische Fabeln: enthaltend die sinnreichen Einfälle und weisen Sprüche der Tiere. Nebst damit einschlagender Untersuchung der Abhandlung Herrn Lessings von der Kunst Fabeln zu verfertigen. 143

Dieses Buch, welches um die Hälfte stärker ist als die Lessingischen Fabeln selbst, hat so viel sonderbare Seiten, daß ich kaum weiß, von welcher ich es Ihnen am ersten bekannt machen soll. So viel läßt sich gleich aus dem Titel abnehmen, [311] daß es aus Fabeln und Abhandlungen bestehet. Jene sollen spöttische Parodien auf Lessings Fabeln sein; und in diesen soll die Lessingische Theorie von der Fabel mit Gründen bestritten werden. Hermann Axel dünkt sich in Schimpf und Ernst maitre passé; er will nicht bloß die Lacher auf seiner Seite haben, sondern auch die denkenden Köpfe; er fängt mit Fratzengesichtern an, und höret mit Runzeln auf. Aber woher weiß ich es, werden Sie fragen, daß Hermann Axel der Verfasser von diesen Lessingischen unäsopischen Fabeln ist? Woher? Er hat sich selbst dazu bekannt, indem er verschiedene von den Fabeln, die ihm in den Kritischen Briefen beigelegt werden, hier wieder aufwärmt? hier zum viertenmale drucken läßt. Mit was für Recht könnte er das tun, wenn nicht diese sowohl als jene seine wären; wenn er nicht beide für Geburten von ihm erkannt wissen wollte?

Lesen Sie nur gleich die erste Fabel, um alle die Beschuldigungen auf einmal zu übersehen, die er seinem witzigen Antagonisten macht. Witzig ist hier ein Schimpfwort, muß ich Ihnen sagen. Denn mit allem würde Lessing vor ihm noch eher Gnade finden, als mit seinem Witze. Den kann er durchaus nicht leiden.

Die neue Fabel-Theorie

»Ich saß an einem murmelnden Bache auf einem glatten Steine, und rief die Muse an, die den Aesopus seine Fabeln gelehrt hatte. Indem kam mit seltsamen Bocksprüngen eine Gestalt wie eines Faunus aus dem nahen Walde hervor; er kam gerade auf mich zu, und sagte: Die Muse hört dich nicht, sie ist itzo beschäftiget einem Poeten beizustehen, der den Tod Sauls und Jonathans singt: ich will statt ihrer dir bei deiner Geburt helfen. Ich bin von dem Gefolge der Musen, und diene den Poeten und Malern nicht selten bei ihrer Arbeit; sie nennen mich Capriccio, ich bin jener Geist


– ille ciens animos et pectora versans,
Spiritus a capreis montanis nomen adeptus.

Die Deutschen haben mir noch keinen Namen gegeben, und nur wenige von ihnen kennen mich. Ich machte eine tiefe Verneigung, und sagte, daß ich bereit wäre, mit ihm auf die Fabeljagd zu gehen. Diese Mühe, sagte er, können wir uns sparen; dafür wollen wir im Aelian und Suidas und Antonius Liberalis jagen. Wenn wir ihre [312] Geschichten bald eher abbrechen, bald weiter fortführen, bald einzelne Umstände herausnehmen, und eine neue Fabel darauf bauen oder eine neue Moral in eine alte Fabel legen, werden wir an Fabelwildbret niemals Mangel haben. Jede Folge von Gedanken, jeder Kampf der Leidenschaften soll uns eine Handlung sein. Warum nicht? Wer denkt und fühlt so mechanisch, daß er sich dabei keiner Tätigkeit bewußt sei? Zu derselben brauchen wir auch die innere Absicht der aufgeführten Personen nicht, es ist genug an unserer Absicht. Nur laßt uns nicht vergessen, unserer Fabel die Wirklichkeit zu geben mit dem Es war einmal – Ich erlasse dir auch die kleinen sonderbaren Züge in den Sitten der Tiere. Du hast genug an den allgemein bekannten, und diese magst du erhöhen, so weit du willst, und sie so nahe zur menschlichen Natur bringen, als du willst. Der müßte ein Dummkopf sein, der deine Fabeln lesen wollte, um die Naturgeschichte darin zu studieren.

Gewiß, sagte ich, werden wir so Fabeln bekommen, aber es werden wohl Stoppische sein? Um Vergebung, versetzte er, nicht Stoppische, sondern Lessingische: In diesen letzten Tagen ist Lessing den Menschen geschenkt worden, Stoppens unverdaute Fabeltheorie zu verdauen, zu verbessern, und unter die szientifische Demonstration zu bringen. Wir können ihm die Verantwortung überlassen. Er kann sich mit Witz aushelfen, wenn es ihm an Natur fehlt, und er hat Unverschämtheit übrig, den Mangel an Gründlichkeit zu ersetzen.

Lasset uns, sagte ich, das Werk ohne Verzug angreifen. Hilf mir, muntrer Capriccio, zu Reimen oder Hexametern, zu Gemälden, zu Zeichnungen der Orter, der Personen, der Stellungen, zu Gedanken die hervorstechen, zu Anspielungen. Fort mit dem Plunder versetzte er, den können wir gänzlich entbehren. Wozu braucht die Fabel Anmut? Willst du das Gewürze würzen? Kurz und trucken; mehr verlangt unser Lehrer nicht; gute Prose -

Entschuldige dich dann mit deinem Unvermögen, gib deine Grillen für Orakel, du wirst weder der Erste noch der Letzte sein, der das tut – – –

Alles, was er mir sagte, dünkte mich seiner satyrischen Gestalt und seinem bocksmäßigen Namen zu entsprechen. Indessen folgte ich ihm, und verfertigte auf einem Stein folgende Fabeln.«


Wie gefällt Ihnen das? Die Schnake ist schnurrig genug; aber lassen Sie uns doch sehen, auf wie viel Wahrheit sie sich gründet. Erst eine kleine Anmerkung über den Capriccio. Der arme Capriccio! Hat der es nun auch mit den Schweizern verdorben? Noch im Jahr 1749, als sie uns die Gedichte des Pater Ceva bekannt machen wollten, stand Capriccio bei ihnen in sehr großem Ansehen. Da war er der poetische Taumel; [313] da war er der muntere Spürhund, der in einer schallenden Jagd, die das Hüfthorn bis in die abgelegensten dunkelnsten Winkel der menschlichen Kenntnisse ertönen läßt, das seltsamste Wild aufjagt; da war er Musis gratissimus hospes; da hatte er dem Pater sein Gedicht auf den Knaben Jesus machen helfen; da hatte er auch deutschen Dichtern die trefflichsten Dienste getan; den einen hatte er in einer zärtlichen Elegie seine Liebe derjenigen erklären lassen, »die ihm das Schicksal zu lieben auferlegt und ihm ihre Gegenliebe geordnet, die er aber noch nicht kannte, noch niemals gesehen hatte; der andere war durch ihn in einer choriambischen Ode bis in die Tiefen jener Philosophie gelangt, in welchen er sich mit seinen Freunden noch als Atomos, die allererst aus der Hand der Natur kamen, erblickte, bevor sie noch geboren waren, doch sich nicht ganz unbewußt.«


Klein wie Teilchen des Lichts ungesehn schwärmeten,
– wie sie – auf einem Orangeblatt
Sich zum Scherzen versammelten,
Im wollüstigen Schoß junger Aurikelchen
Oft die zaudernde Zeit schwatzend beflügelten.

Das alles war und tat Capriccio bei den Schweizern 1749. Und was lassen sie ihm 1760 tun? Schlechte Lessingische Fabeln machen. Welche Veränderung ist mit ihm vorgegangen? Mit ihm keine, aber desto größere mit den Schweizern. Capriccio ist der Gefährte der Fröhlichkeit:


Laetitia in terras stellato ex aethere venit,
Cui comes ille ciens animos et pectora versans,
Spiritus a capreis montanis nomen adeptus;

und seit 1749 fanden die Schweizer für gut, mit derFröhlichkeit, und zugleich mit ihrem ganzen Gefolge, zu brechen. Sie waren fromme Dichter geworden, und ihr poetisches Interesse schien ein ernstes, schwermütiges System zu fordern. Sie hatten sich andächtige Patriarchen zu ihren Helden gewählt; sie glaubten sich in den Charakter ihrer Helden setzen zu müssen; sie wollten es die Welt wenigstens gern überreden, daß sie selbst in einer patriarchalischen Unschuld [314] lebten; sie sagten also zu der Fröhlichkeit: was machst du? und zu dem Capriccio: du bist toll! Vielleicht zwar lief auch ein kleiner Groll gegen diesen mit unter. Er war ihnen in dem »Noah« nicht munter genug gewesen: er hatte ihnen da nicht genug seltsames poetisches Wild aufgejagt. Denn wer weiß, ob nicht Capriccio einer von den Spürhunden ist, die nicht gern ins Wasser gehen; und besonders nicht gern in so gefährliches Wasser, als die Sündflut. Da dachten die Schweizer: willst du uns nicht, so wollen wir dich auch nicht; lauf! Man höret es zum Teil aus ihrem eigenen Geständnisse. Einer von ihren Poeten singt itzt den Tod Sauls und Jonathans: ist Capriccio bei ihm? Nein. Die Muse nur ist bei ihm; und Capriccio schwärmt indessen, ich weiß nicht wo herum, ob es gleich von ihm weiter heißt:


–pictoribus ille
Interdum assistens operi, nec segnius instans
Vatibus ante alios, Musis gratissimus hospes.

Ich sorge, ich sorge, die Muse folgt ihrem Capriccio nach. Noch eine Messe Geduld, und wir werden es sehen. Wenn sie sich doch ja mit ihm wieder aussöhnten! Da war es mit den Schweizern noch auszuhalten, als Capriccio ihr Freund war. Da durfte Lemene ungescheut vor ihnen singen:


Vorrei esser ne l'Inferno
Ma con Tantalo nel rio,
Ma che'l rio fosse Falerno
Ma non fuggisse mai dal labro mio.
Es war ein allerliebster Einfall! Denn der Einfall kam vom Capriccio. Seit dem kam der Einfall
Es donnert! Trink und sieh auf mich!
– – –
Zeus ist gerecht; er straft das Meer:
Sollt er in seinen Nektar schlagen?

allem Ansehen nach, zwar auch vom Capriccio: allein Capriccio steht nicht mehr bei ihnen in Gnaden, und Lessing ist ein profaner Bösewicht.

[315] Aber zur Sache. »Laß uns, muß Capriccio sagen, im Aelian und Suidas und Antonius Liberalis jagen.« Was will Hermann Axel damit zu verstehen geben? Offenbar, daß Lessing seine Fabeln nicht erfunden, sondern aus diesen alten Schriftstellern zusammen gestoppelt habe. Es ist wahr, er führet sie in seinem Verzeichnisse an: allein wer diese Anführungen untersuchen will, wird finden, daß nichts weniger als seine Fabeln darin enthalten sind. Kaum daß sie einen kleinen Umstand enthalten, auf welchen sich dieser oder jener Zug in der Fabel beziehet, und den er dadurch nicht ohne Autorität angenommen zu haben erweisen will. Die Wahrheit zu sagen, hätte ich es selbst lieber gesehen, wenn uns Lessing diese kleine gelehrte Brocken erspart hätte. Wem ist daran gelegen, ob er es aus dem Aelian oder aus der Acerra philologica hat, daß z. E. das Pferd sich vor dem Kamele scheuet? Wir wollen nicht die Genealogie seiner Kenntnis von dergleichen bekannten Umständen, sondern seine Geschicklichkeit sie zu brauchen, sehen. Zudem sollte er gewußt haben, daß der, welcher von seinen Erfindungen, sie mögen so groß oder so klein sein als sie wollen, einige Ehre haben will, die Wege sorgfältig verbergen muß, auf welchen er dazu gelangt ist. Nicht den geringsten Anlaß wird er verraten, wenn er seinen Vorteil verstehet: denn sehr oft ist die Bereitschaft diesen Anlaß ergriffen zu haben, das ganze Verdienst des Erfinders; und es würden tausend andere, wenn sie den nämlichen Anlaß gehabt hätten, wenn sie in der nämlichen Disposition ihn zu bemerken, gewesen wären, das nämliche erfunden haben. Unterdessen kömmt es freilich noch darauf an, ob die Stellen, welche L. anführt, dergleichen Anlasse sind. Z. E. Sie erinnern sich seiner Fabel

Die Furien

Diese Fabel ist die einzige, bei welcher L. den Suidas anführet. Und was stehet im Suidas davon? Dieses: daß αειπαρϑενος (immerjungfer) ein Beiname der Furien gewesen sei. Weiter nichts? Und doch soll dem Suidas mehr als Lessingen diese Fabel gehören? So jagte er in dem Suidas um diese Fabel zu finden? Ich kenne den Suidas auch; aber wer im Suidas nach [316] Einfällen jagt, der dünkt mich in England nach Wölfen zu jagen! Ohne Zweifel hatte er also einen ganz an dern Anlaß diese Fabel zu machen; und sein Capriccio war nur munter genug, das αειπαρϑενος auszustöbern, und es in diesem gelegenen Augenblicke bei ihm vorbei zu jagen.


Die Fortsetzung folgt

XIII Den 25. Septembr. 1760
Beschluß des hundert und sieben und
zwanzigsten Briefs

Ich wüßte auch kaum zwei bis drei Exempel anzuführen, wo L. seinen alten Währmännern mehr schuldig zu sein schiene, als er dem Suidas in dieser Fabel von den Furien schuldig ist Hingegen könnte ich sehr viele nennen, wo er sie ganz vor langer Weile zitiert, und man es ihm zu einem Verdienste anrechnen müßte, wenn er seine Erdichtungen wirklich aus den angeführten Stellen herausgewickelt hätte. Hermann Axel muß es nach der Hand auch wohl selbst gemerkt haben, daß es so leicht nicht ist, in den alten Classicis zu jagen, ohne ein gelehrter Wilddieb zu werden. Denn sein Capriccio verspricht es zwar zu tun; am Ende aber sieht man, daß er weder im Suidas, noch im Aelian, sondern in den Schriften des Genfer Rousseau, in Browns Estimate, in Popens Briefen gejagt hat. Nun habe ich zwar alle Hochachtung gegen diese Männer, und sie sind unstreitig größer, als jene staubigte Compilatores: allein demohngeachtet ist es weniger erlaubt sich aus solchen Männern, als aus jenen Alten zu bereichern. Denn dieses nennt das Publikum, welches sich nicht gern ein Vergnügen zweimal in Rechnung bringen läßt, verborgene Schätze graben; und jenes mit fremden Federn stolzieren.

Doch damit ich Axeln nicht verleumde: eine einzige Fabel (weil er es doch einmal Fabel nennt) finde ich, die er einem Alten zu danken hat; und zwar dem bekannten Schulbüchelchen [317] des Plutarchs, »Wie man mit jungen Leuten die Dichter lesen soll«. Ich sage zu danken hat; denn jagen hat er sie nicht dürfen: das Tier war zahm genug, sich mit der Hand greifen zu lassen. Es heißt bei dem Plutarch: ότι μεν, ώς Φιλοξενος ό ποιητης ελεγεν, των κρεων, τα μη κρεα, ήδισα εσι, και των ιχϑυων, όι μη ιχϑυες, εκεινοις αποφαινεσϑαι παρωμεν, όις ό Κατων εφη, της καρδιας την ύπερωαν ευαισϑητοτεραν ύπαρχειν. Οτι δε των εν φιλοσοφια λεγομενων, όι σφοδρα νεοι τοις μη δοκουσι φιλοσοφως, μηδε απο σπουδης λεγεσϑαι, χαιρουσι μαλλον, και παρεχουσιν ύπηκοους έαυτους και χαιροηϑεις, δηλον εσιν ήμιν.

»Ob es wahr ist, was der Dichter Philoxen sagt, daß das angenehmste Fleisch das ist, was nicht Fleisch ist, und die angenehmsten Fische die, die nicht Fische sind: das wollen wir denen zu entscheiden überlassen, die mit dem Cato zu reden, allen ihren Verstand im Gaumen haben. Das aber ist unstreitig, daß junge Leute diejenigen philosophischen Lehren am liebsten anhören, am willigsten befolgen, die in keinem ernsthaften, philosophischen Tone vorgetragen werden.« – Nun, was meinen Sie, daß hieraus für eine Fabel geworden? Folgende:

Der Reiz der Zubereitung

»Cinna der Poet bat Cleander den leckerhaften Esser auf ein wirtschaftliches Mittagsmahl. Eine Schüssel mit Speisen ward aufgetragen, Cleander aß mit bedachtsamer Miene und sagte: das angenehmste Fleisch ist, was nicht Fleisch ist. Hernach kam eine Schüssel mit Fischen; dann sagte er: der angenehmste Fisch ist, der kein Fisch ist. Cinna gab ihm zu erkennen, daß er diese rätselhafte Sprache nicht verstünde. Cleander versetzte: Soll ein Mann, der den Geschmack nur in der Kehle hat, den hierüber belehren, der ihn in dem Verstande hat? Der Gedanke kann dir nicht fremd sein daß die Menschen diejenige philosophische Schrift am liebsten haben, und mit dem meisten Vergnügen lesen, die nicht philosophisch noch im Ernst geschrieben scheinet. Sie wollen in dem Vortrage und den Vorstellungen eine schmackhafte und niedliche Zubereitung haben. Ich dächte, daß wir dieser Betrachtung deinen Phaeton, deine Verwandlungen, und deine Katze in Elysium schuldig wären.«


Und das nennt Axel eine Lessingische Fabel? Wenn er uns doch nur eine einzige anführte, wo dieser Verfasser ein so kahler Ausschreiber ist, und eine schöne Stelle eines Alten [318] so jämmerlich zu seinem Nutzen verarbeitet. Was hat Axel hier hinzuerfunden? Was hat er anderes, was hat er mehr hinein gelegt, als nicht schon darin liegt? Wenn er, als ein Schweizer, wenigstens nur noch einen Schritt weiter gegangen wäre, und den leckerhaften Esser zum dritten hätte sagen lassen, »der angenehmste Käse ist der, der kein Käse ist:« so wäre es doch noch etwas gewesen. Aber auch das hat er nicht getan; und er scheinet mir ganz der Poet Cinna selbst gewesen zu sein, der hier die Ehre hat, gegen den Fresser eine sehr alberne Person zu spielen.

Nicht L. sondern Axel selbst ist seit langer Zeit als ein Zusammenschreiber bekannt, der seine Belesenheit für Erfindungskraft zu verkaufen weiß. Z. E. Als ihn der Verfasser der »Neuen kritischen Briefe« sein Probestück machen ließ, und ihm verschiedene Aufgaben zu Fabeln vorlegte, befand sich auch diese darunter: »Auf einen der sich rühmte, er kenne das Gedicht, der Messias, sehr wohl, es wäre in Hexametern verfasset, und er hätte den Vers aus demselben behalten:«

Also versammelten sich die Fürsten der Hölle zu Satan. Geschwind besann sich Axel auf ein anderes Schulbüchelchen, und erzählte folgendes:

Der Palast des Prinzen Eugens

»Man redete in einer Gesellschaft von dem Palaste des Prinzen Eugens, der in dem Preußischen Überfall sollte niedergerissen werden. Man war sehr bemüht sein Ebenmaß, seine Abteilungen und ganze Form zu untersuchen. Ein Mensch, der große Reisen getan hatte, schwieg lange stille, endlich fing er an Dieser Palast ist mir so gut bekannt, als irgend jemanden. Ich war in Wien, als er gebauet ward, und ich habe das Glück ein Stückchen von dem Marmor zu besitzen, woraus er gebauet ist. Zugleich zog er das Stückchen aus der Tasche, und beteuerte, daß ers von dem Marmor herunter geschlagen hätte, von welchem der Palast erbauet worden.«

Was ist das anders, als das Märchen des Hierokles von dem Scholastiker, welcher sein Haus verkaufen wollen? Σχολασικος οικιαν πωλων, λιϑον απ' αυτης εις δειγμα περιεφερε.

Ich habe oben die Lessingische Fabel von den Furien angeführt. Um keine andere abschreiben zu dürfen, erlauben [319] Sie mir, Ihnen an dieser zu zeigen, wie glücklich Axel parodieret, wann er seinen Gegner von der Seite der Moral verdächtig machen will. Erst frage ich Sie: was hat L. wohl mit seinen Furien haben wollen? Was anders, als daß es eine Art von wilden Spröden gibt, die nichts weniger als liebenswürdige Muster der weiblichen Zucht genennt zu werden verdienen? So offenbar dieses ist, so wenig will es ihm doch Axel zugestehen, sondern glaubt diese Moral erst durch nachstehende Fortsetzung hinein zu legen.

Unempfindlichkeit ist nicht strenge Zucht

»Hast du die drei strengen züchtigen Mädchen noch nicht gefunden, Iris, die ich dir befahl zu suchen, damit ich der Venus Hohn sprechen könnte? Also fragte Juno die Botschafterin des Himmels. Ich fand sie, antwortete Iris, aber sie waren schon vergeben, Merkurius hatte sie zum Pluto geführt, der sie für Furien brauchen will. Für Furien, diese Tugendhaften? sprach Juno. O, versetzte Iris, vollkommen strenge; alle dreie hatten den geringsten Funken Liebe in ihrem Herzen ersticket, alle dreie haben niemals einer Mannsperson gelächelt. Die Göttin machte große Augen und versetzte: du hast mir diesmal einen schlechten Begriff von deinem Verstande gemacht, und deine Moral ist mir verdächtig, indem du Tugend, Keuschheit und Zucht mit Menschenhaß und Unempfindlichkeit vermischest. Gellert soll mir die suchen, die ich verlange.«


Der seltsame Axel! Also muß man dem Leser nichts zu denken lassen? Und das Kompliment, daß Gellert hier bekömmt! Er, den die Schweizer ehedem, wie Lessingen, mit Stoppen in eine Klasse setzten!

So sehr unterdessen Herr L. von Axeln gemißhandelt worden, so weiß ich doch nicht, ob es ihn eben sehr verdrießen darf, seine Fabeln so geflissentlich parodieret zu sehen. Er mag sich erinnern, was der Abt Sallier zu dem ersten Requisito einer Parodie macht. Le sujet qu'on entreprend de parodier, doit toûjours estre un ouvrage connu, célébre et estimé. La critique d'une piéce mediocre, ne peut jamais devenir interessante, ni picquer la curiosité. Quel besoin de prendre la peine de relever des defauts, qu'on n'apperçoit que trop sans le secours de la critique? Le jugement du public previent celui du censeur: ce seroit vouloir apprendre aux autres ce [320] qu'ils sçavent aussi bien que nous, et tirer un ouvrage de l'obscurité ou il merite d'etre enseveli. Une pareille parodie ne sçauroit ni plaire ni instruire; et l'on ne peut parvenir à ce but, que par le choix d'un sujet qui soit en quelque façon consacré par les eloges du public. Und wenn es gar wahr wäre, was man uns mehr als einmal zu verstehen gegeben hat, daß Hermann Axel niemand anders als unser berühmter Bodmer sei: wie eitel kann er darauf sein, diesen kritischen Vejanius,


Spectatum satis et donatum jam rude,

noch eins bewogen zu haben
– antiquo se includere Iudo.

G.

Vierzehnter Teil

1762

VI. Den 13. Mai 1762
Zweihundert und drei und dreißigster Brief

Wie kömmt es, fragen Sie in einem Ihrer Briefe, daß man mir nichts von der merkwürdigen Ausgabe der Lichtwerschen Fabeln sagt, die ein Ungenannter, ohne Vorwissen des Verf. 144 herausgegeben, und davon in öffentlichen Blättern so verschiedentlich geurteilt wird? – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – In der Tat eine seltene Begebenheit! Von Seiten des ungenannten Herausgebers war der Schritt, meines Erachtens, eben so unbillig, als unerhöret. Er war unbillig, denn Hr. L. kann allezeit die Erfindungen seines Geistes als sein wahres Eigentum betrachten, in welchem sich niemand, ohne des Eigentumsherrn Vorwissen, unterstehen darf, Veränderungen vorzunehmen, und sollten es auch die allerglücklichsten Verbesserungen sein. – – – – – – – – – – – – – – – Wollte der Ungenannte seine Kritik üben, oder der Welt [321] seinen feinen Geschmack zeigen; so war ein andrer weit billigerer Weg für ihn übrig. – – – – – – – Aber so wie er es anfing, mußte sich Herr L. notwendig beleidiget finden, denn alle Schmeicheleien, die er ihm in dem Vorbericht vorsagt, konnten die gekränkte Vaterliebe eines Autors unmöglich besänftigen, der das Unglück hat, die Geburten seines Geistes, wie von einer Fee unter der Hand in ganz andere Gestalten verwandelt zu sehen. – – – – – – – – – – – – – – – Man kann also, wie mich deucht, nicht in Abrede sein, daß das Verfahren des ungenannten Verbesserers unbillig sei, und daß Hr. L. sich mit Recht über ihn beschwere.


»Nein! sagt unser Freund Hr. G. Man kann die Sache zur Entschuldigung des Ungenannten aus einem ganz andern Augenpunkte betrachten. Es ist noch nicht ausgemacht, daß sich das Eigentumsrecht über die Werke des Geistes so weit erstrecket. Wer seine Schriften öffentlich herausgibt, macht sie durch diese Handlung publici juris, und so denn stehet es einem jeden frei, dieselbe nach seiner Einsicht zum Gebrauch des Publikums bequemer einzurichten. Zumal da dem Autor durch diese Handlung nichts von seinem Rechte benommen wird, indem das erste Geschenk, das er dem Publico gemacht hat, deswegen nicht vernichtet wird, und er selbst noch immer die Freiheit hat, die ihm angebotene Veränderungen nach Belieben anzunehmen, oder zu verwerfen. Mit dem Eigentum der Güter dieser Welt hat es eine ganz andere Beschaffenheit. Diese nehmen nicht mehr als eine einzige Form an, und niemand als der Besitzer hat das Recht diejenige Form zu wählen, die er für die bequemste hält. Hingegen bleibet die erste Ausgabe einer Schrift unverändert, und eine von einem andern veranstaltete verbesserte Auflage, ist bloß als ein Vorschlag anzusehen, wie nach der Einsicht dieses Herausgebers das Werk vollkommener gemacht werden könnte. Gesetzt der Vorschlag werde angenommen; so kömmt, wie der Herausgeber in dem Vorberichte bemerkt, dennoch die größte Ehre dem ersten Verfasser zu, der seine meisten Gemälde so weit gebracht hat, daß nur wenige Pinselzüge für eine fremde Hand übrig gelassen waren. Wird der Vorschlag gemißbilliget, so kann ihn der noch lebende Verfasser öffentlich verwerfen, und das Publikum hat das [322] Vergnügen, den Ausspruch zu tun. Wenn ja in dergleichen Verfahren eine Ungerechtigkeit Statt findet; so müßte es vielmehr gegen einen tuten Verfasser sein, der nicht mehr vermögend ist, sich über die vorgeschlagenen Verbesserungen zu erklären. Hat man es aber einem Rammler und einem Lessing nicht übel genommen, vielmehr Dank gewußt, daß sie einen Logau nach ihrer Weise verbessert heraus gegeben; warum will man es denn dem Ungenannten zu einem solchen Verbrechen anrechnen, daß er einem lebenden Verfasser seine Verbesserungen zur Beurteilung vorlegt, und sich gefallen läßt, ob er dieselben annehmen, oder ausschlagen will.« –


So weit Herr G.!

Drei und zwanzigster Teil
1765
V. Den 27. Junii 1765
Drei hundert und zwei und dreißigster Brief

Der Verfasser der »Versuche über den Charakter und die Werke der besten italienischen Dichter 145«, ist ein Mann, der eine wahre Hochachtung für sich erwecket. So ein Werk hat uns gefehlt, und es mit so vielem Geschmacke ausgeführet zu sehen, konnten wir wünschen, aber kaum hoffen. Er ist der erste Übersetzer, wenn man den, der eine so genaue Bekanntschaft mit allen den besten Genies einer ganzen Nation zeiget, der ein so feines Gefühl mit einem so richtigen Ur teile verbindet, unter dessen Bearbeitung so verschiedne Schönheiten in einer Sprache, für die sie gar nicht bestimmt zu sein schienen, einen Glanz, ein Leben erhalten, das mit der Blüte, in welcher sie auf ihren natürlichen Boden prangen, wetteifert: wenn man, sage ich, so einen Schriftsteller anders einen Übersetzer nennen darf; wenn er nicht vielmehr [323] selbst ein Original ist, dem auch die Erfindsamkeit nicht mangeln würde, hätte es sich ihrer, uns zum besten, nicht itzt entäußern wollen.

Man kann mit Wahrheit sagen, daß die italienische Literatur noch nie recht unter uns bekannt geworden. Zwar war einmal die Zeit, da unsere Dichter sich fast nichts als welsche Muster wählten. Aber was für welche? Den Marino mit seiner Schule. Der Adonis war unsern Posteln und Feinden das Gedicht aller Gedichte. Und als uns die Kritik über das Verdienst dieser Muster und dieser Nachahmer die Augen öffnete, so erwogen wir nicht, daß unser falscher Geschmack gerade auf das schlechteste gefallen war, sondern Dante und Petrarca mußte die Verführung ihrer schwülstigen und spitzfindigen Nachkommen entgelten. Concetti ward die Ehrenbenennung aller italienischen Gedichte, und wenn der einzige Tasso sich noch einigermaßen in Ansehen erhielt, so hatte man es fast einzig und allein den Sprachmeistern zu verdanken.

Der Inhalt dieser Versuche wird daher für die meisten Leser auch das Verdienst der Neuheit haben, und unsere guten Köpfe werden ganz unbekannte Gegenden und Küsten darin entdecken, wohin sie ihr poetisches Commercium mit vielem Vorteile erweitern können. Den Vorzug, der die italienische Dichtkunst insbesondere unterscheidet, setzet der Verfasser in die Lebhaftigkeit der Einbildungskraft und den Reichtum an Bildern, die mit der Stärke und mit der Wahrheit ausgemalet sind, daß sie sich in die Gegenstände selbst zu verwandeln scheinen. Und dieses ist gleich die Seite, von welcher unsere Dichtkunst nur sehr zweideutig schimmert. Ich sage zweideutig; denn auch wir haben malerische Dichter die Menge; aber ich besorge sehr, daß sie sich zu den malerischen Dichtern der Italiener nicht viel anders verhalten, als die Niederländische Schule zu der Römischen. Wir haben uns zu sehr in die Gemälde der leblosen Natur verliebt; uns gelingen Szenen von Schäfern und Hirten; unsere komische Epopeen haben manche guteBambocciade; aber wo sind unsere poetische Raphaels, unsere Maler der Seele?

Das Vortreffliche der italienischen Dichter hat indes unsern [324] Verfasser nicht geblendet; er siehet ihre Schwäche und Fehler, wie ihre Schönheiten. Man muß bekennen, sagt er, daß sie bei weiten mit der Stärke nicht denken, mit der sie imaginieren. Daher kömmt die Unregelmäßigkeit des Plans, nach dem die meisten ihrer Gedichte angelegt sind; daher die häufigen Ungleichheiten, und der Mangel an starken und neuen Gedanken, die einen denkenden Geist so angenehm in den Schriften der Engländer beschäftigen; dieses ist endlich die Ursache, die zu weilen auch einige ihrer besten Dichter zu den leeren Spitzfindigkeiten verleitet hat, die den italienischen Geschmack in so übeln Ruf gebracht haben.

Die poetische Landkarte, die er bei dieser Gelegenheit entwirft, scheinet dem ersten Ansehen nach ein Spiel des Witzes zu sein, und ist im Grunde mit aller Genauigkeit einer gesunden Kritik aufgenommen. »Man kann bemerken, sagt er, daß jemehr sich die Völker dem Süden nähern, mit desto leichterer Nahrung sich ihre Seelen so wohl als ihre Körper befriedigen. Der Engländer braucht ohne Zweifel die schwereste und die solideste. Seinem Geschmack ist vielleicht der unsrige am ähnlichsten. Dem Franzosen ist diese Nahrung zu stark, er muß sie mit Esprit verdünnen, oder er ist im Notfall auch mit Esprit allein zufrieden. Die Italiener entsagen gern beiden, wenn man nur ihre Einbildungskraft durch Gemälde beschäftiget, und ihr Gehör durch einen musikalischen Klang vergnügt. Die Spanier sind endlich so mäßig, daß sie sich mit einem bloßen prächtigen und harmonischen Schalle, mit einer Reihe tönender Worte begnügen können. Man hat in der Tat Poesien von ihren berühmtesten Dichtern, die niemals ein Mensch, auch ihre Verfasser selbst nicht verstanden haben, die aber sehr gut klingen und voll von prächtigen Metaphern sind. So verschieden ist der Geschmack der Völker, so verschieden ihre Vorzüge.«

Der Verfasser bedienet sich bei den Werken, die er uns bekannt macht, der Ordnung der Zeit, und diese Ordnung hat den Vorteil einer Geschichte, die den Ursprung und das Wachstum der italienischen Dichtkunst zeiget, und uns die verschiedenen Veränderungen in dem Geschmacke der Nation vor Augen stellet. Den ersten Band nehmen also Dante [325] und Petrarca ein, und wir lernen diese Väter der welschen Poesie in ihrer wahren Gestalt kennen. Der zweite Band enthält die Dichter des funfzehnten Jahrhunderts, und aus dem sechzehnten die vornehmsten Nachahmer des Petrarca? nebst demjenigen Dichter, den man eigentlich den Dichter der Nation nennen muß, dem Ariost.


Der Beschluß folgt künftig

VI. Den 4. Julii 1765
Beschluß des dreihundert und zwei
und dreißigsten Briefes

Die geringe Anzahl der guten Dichter des funfzehnten Jahrhunderts, des Zeitalters der Medices, dieser großmütigen Beschützer und Aufmunterer aller Künste und Wissenschaften, veranlaßt den Verfasser zu einer Anmerkung, die eben so scharfsinnig als wahr ist. Da sie auf den äußerlichen Zustand der deutschen Literatur gewissermaßen angewendet werden kann, so wünschte ich sehr, daß sie diejenigen endlich ein mal zum Stillschweigen bringen möchte, die über den Mangel an Unterstützung so häufige und bittere Klagen führen, und in dem Tone wahrer Schmeichler den Einfluß der Großen auf die Künste so übertreiben, daß man ihre eigennützige Absichten nur allzudeutlich merkt. »Man irret sehr, sagt er, wenn man den Mangel großer Genies zu gewissen Zeiten dem Mangel der Belohnungen und Aufmunterungen zu schreibt. Das wahre Genie arbeitet, gleich einem reißenden Strome, sich selbst seinen Weg durch die größte Hindernisse. Shakespeare, der zu einem Handwerke erzogen worden, ward ein großer Poet, ohne irgend eine Aufmunterung zu haben, ja so gar, ohne selbst es zu wissen. Einer der größten heutigen italienischen Dichter macht, als ein armer Bäcker junge, Verse, die einen großen Kunstrichter in Erstaunen setzen, und ihn bewegen, sich seiner anzunehmen. Überhaupt können Aufmunterungen niemals Genies erzeugen; und sie [326] schaden gewiß allemal denen, die es schon sind, wenn der Gönner nicht selbst den wahren, den großen Geschmack der Künste besitzet. Einen Beweis davon findet man vielleicht selbst in den so gerühmten Freigebigkeiten Ludwigs des vierzehnten, die ihm so viel Ehre gemacht haben. Alle die großen Genies, die seiner Regierung den größten Glanz gaben, waren ohne seine Aufmunterung entstanden, und Racine, der so sehr den Geschmack der Natur hatte, dessen Genie mit dem Geiste der Alten genährt war, hätte vermutlich seine Tragödien nicht durch so viel Galanterie entnervet, wir würden mehr Athalien von ihm haben, wenn ihn nicht diese Aufmunterungen genötiget hätten, dem Geschmacke eines weibischen Hofes zu schmeicheln. Der wichtigste Nachteil aber, welchen der große Schutz vielleicht nach sich ziehet, den die schönen Wissenschaften bei Regenten finden, ist dieser, daß dadurch die Begierde zu schreiben, zu sehr ausgebreitet wird, daß so viele, bloß witzige Köpfe sich an Arbeiten wagen, die nur dem Genie zukommen. Diese, welche die großen Züge der Natur nicht erreichen können, (denn die trifft allein das Genie) suchen sich durch neue Manieren, durch Affektationen zu unterscheiden, oder führen das Publikum von der Natur zum Gekünstelten. Dieses ist vermutlich die Ursache, daß allemal auf die Zeiten der großen Beschützer der Künste, Zeiten des übeln Geschmacks und des falschen Witzes gefolgt sind.«

Eine andere kleine Ausschweifung unsers Verfassers wird Ihnen zeigen, daß er nicht allein Dichter zu schätzen fähig ist. Sie betrifft den Machiavell. »Machiavell,« sagt er, ein sehr großer Kopf, den wir aus seinem Fürsten zu wenig kennen, und zu unrichtig beurteilen, brachte nach der »Calandra« des Kardinals Bibiena, ein paar Komödien auf den Schauplatz, in denen das Salz des Moliere, mit dem Humor und der komischen Stärke der Engländer vereiniget ist. Dieser Machiavell ist es außerdem, der die Prose der Italiener zu ihrer wahren Vollkommenheit gebracht hat. Er vermied die aufgedrungenen, weitschweifigen Perioden des Boccaz. Sein Stil ist rein, kurz gedrängt, und voll Sachen, und beständig klar. Seine Geschichte von Florenz ist die erste unter den [327] wenigen neuern Geschichten, die man den schönen historischen Werken der Alten an die Seite setzen kann. Sie vereiniget die Klarheit und Reinigkeit des Nepos in der Erzählung mit dem Tiefsinn und der Stärke des Tacitus in den Betrachtungen. Aber keines von seinen Werken macht ihm so viel Ehre, als die »Diskurse über den Livius«, ein ganz originales Werk, das voll von Entdeckungen in der Staatskunst ist, deren verschiedene man in den Werken des Präsidenten Montesquieu, als die seinigen, bewundert, weil man den Italiener nicht genug kennt, den Montesquieu sehr studieret hatte.

Mit eigentlichen Proben aus den gewählten Stücken will ich Ihnen nicht langweilig werden. Sie haben das meiste längst im Originale gelesen, und wenn ich Ihnen nochmals wiederhole, daß sich in der Übersetzung eine Meisterhand zeiget, welche die Schönheiten der Versifikation, die notwendig verloren gehen müssen, nicht bloß mit der reinsten, geschmeidigsten, wohlklingendsten Prose, sondern auch mit unzählig kleinen Verbesserungen und Berichtigungen desjenigen, was in der Urschrift oft ein wenig schielend, ein wenig affektiert ist, kompensieret hat: so werden Sie ohne Zweifel die Vergleichung selbst anstellen wollen.

Herr Meinhardt, so heißt unser Verfasser, hat sich selbst eine Zeitlang in Italien aufgehalten; ein Umstand, welcher allein ein gutes Vorurteil für ihn erwecken kann. Vor kurzen, wie ich höre, hat er eine zweite Reise dahin unternommen; es wäre sehr zu beklagen, wenn die Fortsetzung seines Werks darunter leiden sollte. Meinen Sie aber, daß dieser würdige Mann vielleicht eine Prädilektion für die Italiener habe? Sie irren sich; er muß mit der englischen Literatur eben so bekannt sein, als mit der welschen. Denn ihm haben wir auch die Übersetzung von Heinrich Homes »Grundsätzen der Kritik« 146 zu danken. Hier mußte sich der schöne Geist mit dem Philosophen in dem Übersetzer vereinigen. Es war ein Rätsel für mich, in welchem von unsern Übersetzern ich diese Vereinigung [328] suchen sollte. Ein ganz unbekannter Name mußte dieses Rätsel lösen. Sie freuen sich; aber Sie wundern sich zugleich. Erinnern Sie sich, was Seneca sagt: Einige sind berühmt; andere sollten es sein.

N. S. Ich weiß nicht, ob gewisse Gedichte, die vor einiger Zeit unter dem Namen »Petrarchischer Gedichte« 147 ans Licht getreten, bereits eine Frucht der nähern Bekanntschaft sein sollen, in die Hr. Meinhardt unsere Dichter mit dem Petrarca gebracht hat. Das weiß ich aber, daß diesen Gedichten, welche für sich betrachtet, sehr artig sind, das Beiwort Petrarchischer ganz und gar nicht zukömmt. Ist es doch auch ein bloßer Zusatz des Herausgebers, der selbst zweifelt, ob der Verfasser damit zufrieden sein werde. Er kann unmöglich; denn sein Ton ist mehr der spielende Ton des Anakreons, als der feierlich seufzende des Petrarca. Der platonische Italiener guckt nicht so lüstern nach des Busens Lilgen, und wenn er Tod und Ewigkeit mit den Ausdrücken seiner Zärtlichkeit verwebt, so verwebt er sie damit; an statt daß in den deutschen Gedichten das Verliebte und das Fromme, das Weltliche und das Geistliche, wie in dem ruhigen Elementglase, in ihrer ganzen klaren abstechenden Verschiedenheit neben einander stehn, ohne durch ihre innere Vermischung jene wollüstige Melancholie hervorzubringen, welche den eigentlichen Charakter des Petrarca ausmacht.

G.

Fußnoten

1 Herrn Alexander Pope sämtliche Werke etc. Erster Band. Altona bei D. Iversen. 1758. in 8vo.

2 That people should expect us to be Scholars, and yet be angry to find us so. In der Vorrede.

3 Abhandlung von der Schäferpoesie 6.7. der deutschen Übersetzung.

4 Such as it was a credit to please. In der Vorrede.

5 In dem Vorberichte verspricht man die neun englischen Oktavbände in sechs deutsche zu bringen, und in den ersten deutschen die Hälfte des zweiten englischen mit zu fassen. Am Ende aber hat man sich anders besonnen; und die Leser erhalten nicht einmal den ganzen englischen ersten Band in diesem ersten deutschen; denn es fehlet ihm noch der Epilogus zu Rowe's »Jane Shore«.

6 Hamburg und Leipzig bei Grund und Holle 1758. in 8vo.

7 VI. Fabel.

8 II. Fabel.

9 XII. Fabel.

10 Leipzig, bei Lankischens Erben in groß 8. 1758.

11 I approve therefore very much the Devotion of a Studious man at Christ-church, who was overheard in his oratory entering into a detail with God, as devout Persons are apt to do, and amongst other perticular thanksgivings acknowledging the divine Goodness, in furnishing the world with Makers of Dictionaries.Letter I. p. 6.

12 These men court fame, as well as their betters, by such means as God has given them to acquire it – They deserve encouragement, however, whilst they continue to compile, and neither affect with, nor presume to reason.

13 Erste Sammlung. Rostock und Wismar bei Berger und Bödner 1758. groß 8. Enthält 1) Der Lenz. 2) Übersetzung des zweiten Buchs des Palingenius. 3) Projekt, einen immerwährenden Frieden zu unterhalten. 4) Petrarchs Leben in einem Sendschreiben an die Nachwelt von ihm selbst. 5) Lieder des Horaz. 6) Nachricht von dem Buche Naufrage des Isles flottantes. 7) Leben des Johann Philipp Palthenius.

14 Seite 14.

15 S. 89.

16 In der letzten seiner Sympathien; und hernach in der Zuschrift seiner Empfindungen eines Christen, an den Herrn Oberkonsistorialrat Sack.

17 Zürich, bei Orell und Compag. 1758. in drei Teilen. Enthält I. 1) Sympathien. 2) Theages, oder Unterredung von Schönheit und Liebe. 3) Gesicht von einer Welt unschuldiger Menschen. II. 1) Empfindungen des Christen. 2) Hymne auf die Allgegenwart Gottes. III. 1.) Betrachtung über die Gerechtigkeit Gottes. III. 1) Betrachtungen über den Menschen. 2) Gesicht des Mirza. 3) Zwei Selbstgespräche eines tugendhaften Heiden. 4) Plan einer Akademie, zu Bildung des Verstandes und Herzens junger Leute. 5) Gespräch des Sokrates von der scheinbaren und wahren Schönheit.

18 Empfindungen XIV. S. 99.

19 Im dritten Teile. S. 101.

20 Im ersten Buche seiner denkwürdigen Reden des Sokrates.

21 Im 2ten Buche der Ilias, v. 189. U. f.

22 Gellius XX,

23 III. Teil, S. 128.

24 S. 131

25 S. 143.

26 Moralische Beobachtungen und Urteile. Zürich, bei Orell, und Compagnie, 1757. in 8vo.

27 S. 128.

28 S. 20.

29 S. 22

30 S. 114

31 S. 179

32 S. 136.

33 Leipzig, bei Dyk, in groß 8vo. bis zum 2ten Stücke des 4ten Bandes.

34 In dem ersten Stücke des dritten Bandes, S. 85

35 Des dritten Bandes, erstes Stück. S. 85.

36 Ersten Bandes, zweites Stück. S. 291.

37 Die Übersetzung ist 1617 gedruckt.

38 Von dem angeführten Ελλοψ nämlich, und κληρος das Los; so wie βαϑυκληρος, Ναυκληρος. Noch natürlicher zwar würde man es von Ελλοψ und σκληρος hart herleiten können, daß es so viel heiße, als Fischhart, zusammengezogen Fischart.

39 Des ersten Bandes, zweites Stück. S. 328.

40 Im Jahr 1755. in groß Quart.

41 Bibliothek d. sch. Wiss. III. Band. 1tes St. S. 73.

42 In der Vorrede zum Reineke Fuchs S. 43.

43 Biblioth.. d. sch. W. II. Bandes 2tes st. S. 366.

44 Als er in den Olympischen Spielen mit dem Rennpferde den Preis erhielt.

45 Pisa, der Name der Stadt, ohnfern welcher die Olympischen Spiele gehalten wurden. Pherenikus hieß das Rennpferd, auf welchem Hiero den Preis erhielt.

46 Der Name des Flusses, neben welchem die Rennbahn war.

47 Er verstehet den Teil von Griechenland, welcher nach dem Pelops, Peloponnesus genennt ward. Und diese einzige Erwähnung des Pelops veranlasset die ganze folgende weitläuftige Ausschweifung zum Lobe dieses Helden.

48 Die Fabel erzählt von dem Tantalus, des Pelops Vater, die Götter hätten in so sehr geliebt, daß sie ihn mit an ihre Tafel gezogen. Einst als Tantalus die Götter wieder bewirten wollen, habe er seinen Sohn, den Pelops, geschlachtet, und ihn denselben vorgesetzt. Keiner von den Göttern aber habe davon gekostet, außer Ceres die ein wenig zu heißhungrig, ein Stück von der Schulter verzehret habe. Die Götter hätten hierauf die übrigen Stücke in einen reinen Kessel geworfen, und den Pelops lebendig wieder herausgezogen, nachdem sie ihm eine helfenbeinerne Schulter, anstatt der verspeisten, gegeben. Dieser reine Kessel (καϑαρος λεβης) ist es, welchen unser Übersetzer, zwar schön, aber etwas zu undeutlich das heilende Erz nennt.

49 Daß Pindar hier auf den Tantalus kömmt, ist kein neuer Sprung. Sondern es dienet, um die Ursache anzugeben, warum Pelops gleichwohl wieder aus dem Himmel zurückgeschickt worden.

50 Wer bei dem Oenomaus, um dessen Tochter Hippodamia anhielt, mußte sich gefallen lassen, ein Wettrennen zu Wagen, mit ihr einzugehen. Der Vater versprach sie dem, der sie, oder vielmehr den Myrtilus, welcher sie allezeit führte, einholen würde. Wenn aber der Vater, der ihnen auf seinem Wagen nachfolgte, sahe, daß der Freier sie nun bald einholen möchte, tötete er ihn mit seinem Wurfspieße.

51 Den Hiero nämlich, auf welchen er nunmehr wieder zurück kömmt.

52 Ein Berg in der Gegend, wo die Olympische Spiele gehalten wurden. Er hatte von dem Saturnus seinen Namen, weil dieser mit dem Jupiter um die Herrschaft des Himmels auf ihm gekämpft.

53 Als er auf dem vierspännigen Wagen den Preis erhielt. Kamarina war eine Stadt in Sizilien. Der Dichter weihet dem Jupiter seinen Gesang, weil diesem die Olympischen Spiele heilig waren, deren alle vier Jahre wiederkommende Zeit er die zirkelnden Stunden des Zeus nennet.

54 Jupiter donnerte diesen Riesen, der den Himmel mit erstürmen wollte, zu Boden, und wälzte den Ätna über ihn.

55 Und diese Wahrheit erläutert er durch das folgende Beispiel. Erginus, der Sohn des Klymenus, war einer von den Argonauten und als diese auf Lemnos landeten, traf es sich, daß gleich die Königin Hypsipyla, zum Andenken ihres verstorbenen Vaters, Ritterspiele halten ließ. Als nun die Argonauten dazu eingeladen wurden, machte sich Erginus unter die bewaffneten Wettrenner; und weil er bereits graue Haare hatte, ob er gleich so alt noch nicht war, lackten die Lemnischen Zuschauerinnen über sein kühnes Unterfangen. Unterdes lief er doch, kam selbst dem Calais und Zetes, den Söhnen des Boreas, zuvor, und erhielt zum großen Erstaunen derer, die vorhin über ihn gelacht hatten, den Preis. – Ob es nötig sei, mit den Auslegern des Pindars, diesem Beispiele zu Folge anzunehmen, daß auch Psaumis, an den diese Ode gerichtet, in seinen jungen Jahren bereits graue Haare gehabt, weiß ich eben nicht.

56 Diese Ode ist bei dem Pindar, als eine Zulage gleichsam zu der vorhergehenden zehnten Ode, an eben diesen Agesidamus, anzusehen, dessen Sieg zu besingen der Dichter gleich anfangs versprochen hatte. Weil ihm aber dieses Versprechen entfalles war, und er es erst eine ziemliche Zeit nachher, mit der gedachten zehnten Ode erfüllte, so schrieb er diese eilfte noch oben darein, und nennte sie auch selbst τοκος, die Zinse.

57 Bei J. J. Schorndorf, in groß Oktav.

58 Im ersten Stücke der Sammlung vermischter Schriften.

59 An Introduction of the ancient Greek and Latin Measures into British Poetry; attempted in the following Pieces, viz. a Translation of Virgils first Eclogue; a Translation of Virgils fourth Eclogue; Jacob and Rachel, a pastoral etc. London 1737. 8vo

60 Cissides und Paches, in drei Gesängen, von dem Verfasser des Frühlings, Berlin bei Voß 1759.

61 Yet the scrupulous division of his Pastorals into Months, has obliged him either to repeat the same description, in other words for three months together; or when it was exhausted before, entirely to omit it: whence it comes to pass that some of his Eclogues (as the sixth, eighth and tenth for example) have nothing but their Titles to distinguish them. The reason is evident, because the year has not that variety in it to furnish every month with a particular description, as it may every season.

62 Der Herausgeber dieser Briefe nimmt hier Gelegenheit eine kleine Nachricht einzuschalten. Herr Dusch hat sich zum zweiten, dritten und viertenmale gegen unsere Kritik seiner Übersetzung des Pope mit vieler Bitterkeit verantwortet. Zum zweitenmale in dem Altonaer Reichspostreuter; zum drittenmale in gewissen neuen Briefen an Freunde und Freundinnen, und zum viertenmale in der Vorrede zu dem zweiten Bande seiner Übersetzung selbst. Besonders haben wir uns über seinen Brief in dem Reichspostreuter nicht genug verwundern können. Nachdem er darin einige kleine Nachlässigkeiten, die er begangen hat, die wir aber niemals der Rügung würden wert geschätzt haben, selbst angezeigt, sagt er unter andern: »Und nun möchte ich wohl meinen Prahler auffordern, mir in den beiden Stücken, der Vorrede nämlich und der Abhandlung von der Schäferpoesie, seinen Vorrat (von Fehlern) aufzuweisen.« – Wir haben uns zwar nie eines Vorrates von Fehlern eben in diesen beiden Stücken gerühmt. Aber dem ohngeachtet kann ich ihm hier melden, daß seine Aufforderungen angenommen worden. Es soll sich ehstens zeigen ob Fll. oder Herr Dusch der Prahler ist. In diesen Briefen zwar soll es nicht geschehen, weil wir den Platz zu etwas bessern brauchen können. Dem Leser unter dessen doch einen kleinen Vorschmack zu geben, können wir nicht unangemerkt lassen, daß selbst in dieser kleinen Stelle, welche eben aus der Abhandlung über die Schäferpoesie des Pope angeführet worden, Herr Dusch mehr als einen Fehler begangen hat. Z.E. Wie ungeschickt übersetzt er The scrupulous division durch die gar zu richtige Einteilung. Und to repeat the same description for three months together durchfür drei Monate zusammen zu wiederholen. Wie links! Wie sinnlos! Hat Herr Dusch in seinem Wörterbuche nicht gefunden, daß together eben so wohlnach einander als zusammen heißen kann? (Einschaltung des Herausgebers O.)

63 Seite 291.

64 Seite 241.

65 Seite 66.

66 Seite 112.

67 Georg. lib. I. v. 209.

68 Georg. lib. IV. v. 425.

69 Seite 64.

70 Seite 179.

71 Seite 180.

72 Seite 274.

73 Seite 188.

74 Seite 187.

75 Seite 93.

76 Seite 221.

77 Seite 159.

78 S. den 36sten Brief.

79 Friedrichs von Logau Sinngedichte; zwölf Bücher. Mit Anmerkungen über die Sprache des Dichters herausgegeben von C. W. Ramler, und G. E. Lessing. Leipzig, 1759. in der Weidmannischen Buchhandlung. Ein Alphabet, 12 Bogen.

80 Der nordische Aufseher, herausgegeben von Johann Andreas Cramer. Erster Band. Sechzig Stück. Kopenhagen und Leipzig bei Ackermann. 3 Alphab. 12 Bogen.

81 Stück 46. 47. 48.

82 Stück 50.

83 Stück 9 und 22.

84 Stück 21.

85 Stück 24. 29.

86 Stück 34. 36. 38. 40.

87 Stück 52.

88 St. XI.

89 Stück XXV.

90 Zu Anfange des XX. Stücks.

91 Stück XLIII.

92 Stück LIV.

93 Stück LIX.

94 Stück XV.

95 Stück XVIII.

96 Stück XVI.

97 George Christian Gebauers Portugiesische Geschichte von den ältesten Zeiten dieses Volks, bis auf die itzigen Zeiten, mit genealogischen Tabellen und vielen Anmerkungen versehen, in denen die Belege und allerhand Untersuchungen der historischen Wahrheiten anzutreffen sind. Leipzig in der Fritschischen Handlung, 1759. In Quart, an drei Alphabet.

98 Seite 19 des zweiten Teils.

99 Hujus Freti observatio Magellano tribuenda est, nam reliquarum navium praefecti, fretum esse negabant, et sinum duntaxat esse censebant. Magellanus tamen fretum istic esse norat quia ut fertur, in charta marina adnotatum viderat, descripta ab insigni quodam Nauclero cui Nomen Martinus Bohemus, quam Lusitaniae Rex in suo Musaeo adservabat. Benzonus de India occidentali. Tom. IV. Americae Theodori de Bry.

100 Erster Band, S. 124 in der Anmerkung.

101 Herr Gebauer hätte nicht sagen sollen, daß es Ricciolus bejahe. Er läßt es sehr ungewiß. Die Stelle ist diese: Christophorus Columbus – cum prius in Madera Insula, ubi conficiendis ac delineandis chartis Geographicis vacabat, sive suopte ingenio, ut erat vir Astronomiae, Cosmographiae et Physices gnarus, sive indicio habito a Martino Bohemo, aut ut Hispani dictitant, ab Alphonso Sanchez de Helva nauclero, qui forte inciderit in Insulam postea Dominicam dictam, cogitasset de navigatione in Indiam occidentalem etc. Geographiae et Hydrograph. Reform. Lib. III. cap. 22. P.93.

102 Ebendaselbst S. 139.

103 Histoire de Dom Antoine Roy de Portugal; tirée des Memoires de Dom Gomes Vasconcellos de Figueredo par Mad. de Saintonge. In Duodez.

104 S. 18.

105 S. 26.

106 S. 31. 32.

107 S. 4. 5. des zweiten Bandes.

108 S. 60 und 3.

109 S. 75. 76.

110 Plutarch.

111 Bibliothek der schönen Wissenschaften, vierten Bandes, zweites Stück. S. 785.

112 Johann Michael Heinzens Anmerkungen über des Herrn Professor Gottscheds deutsche Sprachlehre, nebst einem Anhange einer neuen Prosodie. Göttingen und Leipzig in Küblers Verlage 1759.

113 S. 205.

114 In seinem »Heumonde« dieses Jahres S. 546.

115 Berlin bei C. F. Voß in 8vo.

116 Fontenelle.

117 Sylloge nova Epistolarum varii argumenti. Volumen I. libros IIII. priores continens. Norimbergae impensis Hered. Felseckeri 1760. 2 Alph. 4 Bogen.

118 Vergilii Maronis Georgicorum libri IV. Mit kritischen und ökonomischen Erklärungen Hrn. D. Johann Martins, Lehrers der Botanik zu Cambrigde, und anderer der berühmtesten Ausleger. Nebst einer deutschen Übersetzung und Anmerkungen. Zum Gebrauch der Schulen, um die Jugend zu einer frühen Erlernung der Haushaltungskunst zu ermuntern. Hamburg und Leipzig bei Grunds Wittwe und Holle. 1759 in groß Oktav 2 Alph. 6 Bogen.

119 S. den ein und vierzigsten Brief im zweiten Teil.

120 S. die Einleitung zu dem ersten Teile dieser Briefe.

121 Lib.I. v. 28.

122 Lib. II. 380.

123 Lib. II. v. 400.

124 Lib. II. v. 457.

125 Lib. II. v. 180.

126 Lib. III. v. 8. 9.

127 Lib. III. v. 12.

128 Lib. III. v. 19. 20.

129 Lib. III. v. 58.

130 Beitrag zum deutschen Theater. Leipzig bei Dyk 1759.

131 S. Duschs vermischte Schriften. S. 46.

132 Diderot in den Unterredungen über seinen natürlichen Sohn.

133 Man sehe das Neueste aus der anmutigen Gelehrsamkeit No. II. von diesem Jahre.

134 Man sehe den zwei und neunzigsten Brief.

135 Soröe 1760, in groß Oktav, fünf Bogen.

136 Der Verfasser des Essay on the Writings and Genius of Pope. S. III.

137 Seite 9.

138 Man sehe unsern funfzigsten Brief.

139 Apostelg. XVII.

140 Apostelg. II, 22.

141 S. dessen Erklärung des neuen Testaments, Seite 246 des sechsten Teiles.

142 Plutarch im Leben des Solons.

143 Zürich, bei Orell und Compagnie, in Oktav.

144 Unter dem Titel: M. J. Lichtwers u.s.w. auserlesene verbesserte Fabeln und Erzählungen in zweien Büchern. Greifswalde und Leipzig. 1761.

145 Braunschweig, im Verlage des Waisenhauses, erster Band 1763. zweiter Band 1764 in 8.

146 Leipzig in der Dyckischen Handlung. Erster und zweiter Teil, 1763 in 8.

147 Berlin 1764 in 8.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Lessing, Gotthold Ephraim. Ästhetische Schriften. Briefe, die neueste Literatur betreffend. Briefe, die neueste Literatur betreffend. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E88F-7