Erster Teil
1759
Einleitung
Der Herr von N.** ein verdienter Officier, und zugleich ein Mann von Geschmack und Gelehrsamkeit, ward in der Schlacht bei Zorndorf verwundet. Er ward nach Fr** gebracht, und seine Wundärzte empfohlen ihm nichts eifriger, als Ruhe und Geduld. Langeweile und ein gewisser militärischer Ekel vor politischen Neuigkeiten, trieben ihn, bei den ungern verlassenen Musen eine angenehmere Beschäftigung zu suchen. Er schrieb an einige von seinen Freunden in B** und ersuchte sie, ihm die Lücke, welche der Krieg in seine Kenntnis der neuesten Literatur gemacht, ausfüllen zu helfen. Da sie ihm unter keinem Vorwande diese Gefälligkeit abschlagen konnten, so trugen sie es dem Herrn Fll. auf, sich der Ausführung vornehmlich zu unterziehen.
Wie mir, dem Herausgeber, die Briefe, welche daraus entstanden, in die Hände geraten, kann dem Publico zu wissen oder nicht zu wissen, sehr gleichgültig sein. Ich teile sie ihm mit, weil ich glaube, daß sie manchem sowohl von dem schreibenden, als lesenden Teile der sogenannten Gelehrten, nützlich sein können.
Ihre Anzahl ist bereits beträchtlich, ob sie gleich ihren Anfang nur vor drei oder vier Monaten können gehabt haben. Sie werden auch hoffentlich bis zur Wiederherstellung des Herrn von N.** fortgesetzt werden.
Ich habe völlige Gewalt sie drucken zu lassen, wie und wenn ich will. Der Verleger meinte, daß es am füglichsten [30] wöchentlich geschehen könnte; und ich lasse ihm seinen Willen.
O.
I. Den 4 Jenner 1759
Erster Brief
Etwas werden Sie freilich nachzuholen haben; aber nicht viel. Die zwei gefährlichen mühsamen Jahre, die Sie der Ehre, dem Könige und dem Vaterlande aufopfern müssen, sind reich genug an Wundern, nur nicht an gelehrten Wundern gewesen. Gegen hundert Namen, – und hundert sind noch zu wenig – die alle erst in diesem Kriege als Namen verdienstvoller Helden bekannt geworden; gegen tausend kühne Taten, die vor Ihren Augen geschahen, an welchen Sie Teil hatten, die zu Quellen der unerwartesten Veränderungen wurden, – kann ich Ihnen auch nicht ein einziges neues Genie nennen, kann ich Ihnen nur sehr wenige Werke schon bekannter Verfasser anführen, die mit jenen Taten der Nachwelt aufgehalten zu werden verdienten.
Es gilt dieses von uns Deutschen vor allen andern. Zwar hat der Krieg seine blutigste Bühne unter uns aufgeschlagen, und es ist eine alte Klage, daß das allzunahe Geräusch der Waffen, die Musen verscheucht. Verscheucht es sie nun aus einem Lande, wo sie nicht recht viele, recht feurige Freunde haben, wo sie ohnedem nicht die beste Aufnahme erhielten, so können sie auf eine sehr lange Zeit verscheucht bleiben. Der Friede wird ohne sie wieder kommen; ein trauriger Friede, von dem einzigen melancholischen Vergnügen begleitet, über verlorene Güter zu weinen.
Ich rufe Ihre Blicke aus dieser finstern Aussicht zurück. Man muß einem Soldaten sein unentbehrliches Geschäft durch die bejammernswürdigen Folgen desselben nicht verleiden.
Lieber will ich Sie und mich mit dem süßen Traume unterhalten, daß in unsern gesittetern Zeiten der Krieg nichts als ein blutiger Prozeß unter unabhängigen Häuptern ist, der [31] alle übrige Stände ungestöret läßt, und auf die Wissenschaften weiter keinen Einfluß hat, als daß er neue Xenophons, neue Polybe erwecket. Lieber will ich für Sie auch die leichtesten Spuren der unter uns noch wandelnden Musen aufsuchen, und ihnen bis in die glücklichern Reiche nachspüren, aus welchen sie, nicht längst, einen kürzern Weg zu uns gefunden zu haben scheinen.
Die Umstände, unter welchen Sie diese Arbeit von mir verlangen, machen sie mir zu einem Vergnügen, auf welches ich stolz zu sein Ursache habe. Kann sich derjenige weigern, Ihre Schmerzen durch kleine Zerstreuungen zu lindern, der Sie gern mit Ihnen geteilt hätte? etc.
Fll.
Zweiter Brief
Wenigstens ist die Gelehrsamkeit, als ein Gewerbe, unter uns in noch ganz leidlichem Gange. Die Meßverzeichnisse sind nicht viel kleiner geworden; und unsere Übersetzer arbeiten noch frisch von der Faust weg.
Was haben sie nicht schon alles übersetzt, und was werden sie nicht noch übersetzen! Eben itzt habe ich einen vor mir, der sich an einen englischen Dichter – raten Sie einmal an welchen! – gemacht hat. O Sie können es doch nicht erraten! – An Popen. 1
Und in Prosa hat er ihn übersetzt. Einen Dichter, dessen großes, ich will nicht sagen größtes, Verdienst in dem war, was wir das Mechanische der Poesie nen nen; dessen ganze Mühe dahin ging, den reichsten, triftigsten Sinn in die wenigsten, wohlklingendsten Worte zu legen; dem der Reim keine Kleinigkeit war – einen solchen Dichter in Prosa zu übersetzen, heißt ihn ärger entstellen, als man den Euklides entstellen würde, wenn man ihn in Verse übersetzte.
Es war auch ein bloßer Buchhändlereinfall; wie der Übersetzer selbst gestehet. Und was geht es diesem an, womit jener ihn Geld verdienen läßt, und selbst Geld zu verdienen [32] denket? Freilich sollte so ein blindlingsgefälliges Werkzeug eine bescheidenere Sprache führen, als unser Übersetzer des Pope führet. Er sollte nicht sagen: »Ich habe mir eingebildet, meinen Dichter völlig zu verstehen, und mich darauf verlassen, daß meine eigene kleine Dichtergabe, so geringe sie auch sein mag, mir zu Hülfe kommen würde, das Verstandene so auszudrücken, daß der Schwung und die Deutlichkeit nicht zu viel verlören-«
Denn je größer er sich selbst macht, desto unbarmherziger wird ihm der Leser sein törichtes Unternehmen aufmutzen, desto höhnischer wird er ihm jeden Fehler vorwerfen, der seinem Eigenlobe widerspricht. Z.E.
Pope will die Nachahmung der Alten rechtfertigen. Man verlangt, sagt er, und erwartet von einem Dichter, daß er ein gelehrter, und in den Werken der Alten belesener Mann (a Scholar) sei; und ist gleichwohl unwillig, wenn man findet, daß er wirklich so ein Mann ist – Was meinen Sie wohl, daß aus dieser feinen Anmerkung unter der Feder des Übersetzers geworden ist? Er hat Scholar, als ein wahrer Schüler, durch Schüler übersetzt und sagt: » 2In der Tat ist es sehr unbillig, daß man aus uns Schüler haben will, und dennoch unwillig wird, wenn man uns als Schüler befindet.«
Pope vergleicht den Virgil mit seinem Muster, dem Theokrit. Der Römer, sagt er, übertrifft den Griechen an Regelmäßigkeit und Kürze, und ist ihm in nichts nachzusetzen, als in der Einfalt des eigentümlichen Ausdrucks (simplicity and propriety of style). Pope meinet, daß der Stil in den Virgilischen Eklogen uneigentlicher, verblümter sei, als in den Theokritischen; und der Vorwurf ist nicht ohne Grund. Allein wie ihn der Übersetzer ausdrückt, ist er es gänzlich. Er gibt nämlich Propriety durch Richtigkeit; und welcher Schriftsteller, selbst keiner von den alten ausgenommen, ist dem Virgil in der Richtigkeit des Stils (Correctness) vorzuziehen? 3
[33] Pope erzählt die Geschichte seiner Autorschaft. Ich schrieb, sagt er, weil es mich angenehm beschäftigte; ich verbesserte, weil mir das Verbessern eben so viel Vergnügen machte, als das Schreiben; ich ließ drucken, weil man mir schmeichelte, daß ich Leuten gefallen könnte, deren Beifall einen guten Namen 4 verschaffte. – Der Übersetzer aber läßt ihn sagen: »daß ich denen gefallen könnte, denen ich zu gefallen wünschte.«
Virgil, der sich den Theokrit zum Muster vorgestellt – sagt Pope, und der Übersetzer: Virgil der den Theokrit ausschreibt.
Dieses sind noch lange nicht alle Fehler, aus der bloßen Vorrede und Abhandlung von der Schäferpoesie, aus den ersten und leichtesten, nämlich prosaischen, Stücken des ersten Bandes. 5 Urteilen Sie, wie es tiefer herein aussehen mag.
Was der Übersetzer zur Entschuldigung seiner oft undeutschen Wortfügungen anführt; wie er sich in dieser Entschuldigung verwirrt und sich unvermerkt selbst tadelt, ist auf der 17ten Seite des Vorberichts lustig zu lesen. Er verlangt, daß man, ihn zu verstehen, die Kunst zu lesen besitze. Aber da diese Kunst so gemein nicht ist; so hätte er die Kunst zu schreiben verstehen sollen. Und wehe der armen Kunst zu lesen, wenn ihr vornehmstes Geschäft sein muß, den Wortverstand deutlich zu machen! etc.
Fll.
Dritter Brief
Wollen Sie einen andern kennen lernen, dessen guter Wille uns nun schon den zweiten englischen Dichter verdorben [34] hat? – Verdorben klingt hart; aber halten Sie immer dem Unwillen eines getäuschten Lesers ein hartes Wort zu gute.
Von des Herrn von Palthen Übersetzung der Thomsonschen Jahrszeiten werden Ihnen frühere Urteile zu Gesichte gekommen sein. Nur ein Wort von seinenFabeln des Gay. 6
Ein guter Fabeldichter ist Gay überhaupt nicht, wenn man seine Fabeln nämlich nach den Regeln beurteilet, welche die Kunstrichter aus den besten Fabeln des Äsopus abstrahieret haben. Bloß seine starke Moral, seine feine Satyre, seine übrigen poetischen Talente machen ihn, trotz jenen Regeln, zu einem guten Schriftsteller.
Schade um so viel mehr, daß so manche feine Satyre dem Übersetzer unter der Arbeit verflogen ist! Und es muß eine sehr eilfertige Arbeit gewesen sein! Sehr oft hat er sich auch nicht die Zeit genommen, die Worte seines Originals recht anzusehen. Wenn Gay sagt:
The Miser trembling lock'd his chest;
(der Geizhals verschloß zitternd seinen Kasten) so sieht er lock'd für loock'd an, und übersetzt: Der Geizhals blickte zitternd auf seinen Kasten. 7
Das englische Chamäleon rühmt sich, es habe eines jeden Höflings Leidenschaft zu treffen gewußt:
I knew to hit each courtier's passion,
Und das deutsche sagt: ich vermied eines jeden Höflings Leidenschaft zu berühren. Dieses folglich ist kaum halb so geschickt als jenes. Verstehen etwa die deutschen Schmeichler ihr Handwerk weniger, als die Schmeichler einer andern Nation? 8
Gay beschreibt ein unglückliches Ehepaar. Er der Mann, sagt er, 9 liebt das Befehlen; und die Frau das Widersprechen. Sich sklavisch zu unterwerfen, ist durchaus nicht [35] ihre Sache. Sie will ihren Willen haben, oder will ihre Zufälle bekommen. –
She 'll have her will, or have her fits.
Der letzte Zug ist ungemein fein, und eine richtige Bemerkung. Sie werden krank, die lieben eigensinnigen Weiberchen, wenn man nicht tut, was sie haben wollen. – Nun sehen Sie, was der Herr von Palthen daraus macht: »Sie will entweder ihren Willen haben, oder auch umwechselnd die Herrschaft führen.« – O dreimal Glücklicher, dessen Gattin sich mit dem letztern begnügt!
Die kleinsten Partikeln werden oft unserm Übersetzer zum Anstoß. – Doch es muß Sie in die Länge verdrießen, daß ich mich mit solchen Kleinigkeiten aufhalte.
Lernen Sie nur noch aus einem einzigen Exempel, wie weit die Unverschämtheit der gelehrten Tagelöhner unter uns, geht. Ein gewisser C. G. Bergmann hat Bolingbroks Briefe über die Erlernung und den Gebrauch der Geschichte übersetzt, 10 und er ist es, von dem man sagen kann, daß er alles, was die Welt noch bis itzt von elenden Übersetzern gesehen hat, unendlich weit zurück lässet. – Ich muß den Beweis versparen. Er fordert mehr Raum als mir übrig ist.
Fll.
II. Den 11. Jenner 1759
Vierter Brief
Unsere Übersetzer verstehen selten die Sprache; sie wollen sie erst verstehen lernen; sie übersetzen sich zu üben, und sind klug genug, sich ihre Übungen bezahlen zu lassen. Am wenigsten aber sind sie vermögend, ihrem Originale nachzudenken. Denn wären sie hierzu nicht ganz unfähig, so würden sie es fast immer, aus der Folge der Gedanken abnehmen können, wo sie jene mangelhafte Kenntnis der Sprache zu Fehlern verleitet hat. Wenigstens geschieht es durch diese etwanige Fähigkeit, daß ihr Leser oft mehrere als nur die [36] gröbsten bemerkt; und die folgenden des Herrn Bergmanns sind gewiß nicht, erst durch die ängstliche Zusammenhaltung des Originals, entdeckt worden.
Bolingbroke, wenn er von Männern, die zwar selbst durch ihre Studien weder weiser noch besser werden, andere aber in den Stand setzen, mit mehr Bequemlichkeit und in nützlichern Absichten zu studieren, von den Herausgebern verlegener Handschriften, den Wortforschern u.s.w. redet, gedenkt mit Beifall eines Gelehrten, den man einst in der Kirche, in seiner Kapelle, unter der stückweisen Erwägung göttlicher Wohltaten, dergleichen bei frommen Leuten nicht ungewöhnlich ist, Gott auch dafür danken gehört, daß er die Welt mit Lexikonsmachern versehen habe. – Vergleichen Sie nunmehr dieses 11 mit folgender Übersetzung: »Ich billige daher die Andacht eines gelehrten Mannes aus der christlichen Kirche gar sehr, der in seiner Kapelle vergessen hatte, sich mit Gott zu beschäftigen, wie es bei andächtigen Personen gar nichts unerhörtes ist, und der unter andern besondern Danksagungen, wodurch er sich gegen die Gütigkeit Gottes erkenntlich bezeigte, der Welt Wörterbüchermacher verschaffte.« – – So viel Zeilen, so viel unverzeihliche Fehler.
Bolingbroke fährt in seiner philosophischen Laune fort: Diese Leute wollen eben so gern berühmt sein, als andere von größeren Talenten, und wenden die Mittel dazu an, so gut sie ihnen Gott verliehen hat etc. Sie verdienen Aufmunterung, so lange sie nur bloß zusammentragen, und weder dabei witzig sein, noch vernünfteln wollen. 12 – Und Bergmann fährt fort, zu verhunzen: »Diese Leute erwerben sich [37] Ruhm so wohl als solche, die höher sind als sie, durch diejenigen Mittel, so ihnen Gott gegeben hat, denselben zu erlangen etc. Sie verdienen aber dennoch Aufmunterung, weil sie beständig zusammen tragen, und weder auf Witz noch Vernunft Anspruch machen.«
Bolingbroke vergleicht die Systeme der alten Zeitrechnung und Geschichte mit bezauberten Schlössern. Sie scheinen, sagt er, etwas zu sein, und sind nichts als Phantome; löse die Bezauberung auf, (dissolve the charm) und sie verschwinden aus dem Gesicht, wie jene. – Hat ihn Bergmann verstanden? »Alle diese Systeme, läßt er ihn sagen, sind so viele bezauberte Schlösser; sie erscheinen als etwas, und sind nichts als Erscheinungen. Ihre Reize fliegen gleich diesen auseinander, und verschwinden aus unserm Gesichte.« –
O Bergmann ist ein ganz anderer Zauberer! Jene Stümper lassen verschwinden, was bloß da zu sein schien. Bergmann macht sein hocus pocus, und alle Gedanken, alle Einfälle, die wirklich da waren, sind weg! Ohne alle Spur, weg!
Das allertollste aber ist dieses, daß er – – (wie soll ich mich gleich rund genug ausdrucken? Ich will, mit Ihrer Erlaubnis, einen Ausdruck aus dem Hudibras borgen) daß er seinem Autor die Krätze gibt, um ihn reiben zu können. Das ist: er versteht ihn unrecht, und straft ihn in gelehrten Anmerkungen, wegen einer Ungereimtheit, die er selbst in ihn gelegt hat. Hören Sie nur!
Bolingbroke redet in seinem dritten Briefe von der Bibel, als eine Quelle der Geschichte betrachtet. Er kömmt auf die sogenannte Übersetzung der siebenzig Dolmetscher, und sagt: Die hellenistischen Juden erzählten von dieser Übersetzung, um sie in Ansehen zu bringen, ja gar zu heiligen, eben so viel wunderbare Dinge, als die andern Juden von dem Esra, welcher den Kanon ihrer Schriften zu machen anfing, und von Simon dem Gerechten erzählt hatten, welcher diesen Kanon zu Ende brachte. Diese heiligen Romane, fährt Bolingbroke fort, wurden zur Tradition, und die Tradition ward zur Geschichte; die Väter unserer christlichen Kirche ließen es sich nicht zuwider sein, Gebrauch davon zu machen. Der heil. Hieronymus etc. etc. Diese heiligen [38] Romane? Was nennt Bolingbroke so? Was sonst, als die frommen Märchen, deren er gleich vorher gedenkt?
Und doch will sein elender Übersetzer, daß er unter diesen Romanen die heiligen Bücher selbst, und nicht die jüdischen Fabeln von ihrer Erhaltung, und ihrer Verdolmetschung verstehe. »Hier sieht man, ruft er lächerlich aus, die Folgerung des Verfassers! Er hatte vorher ganz und gar nicht beweisen können, daß die biblischen Bücher nicht schon da gewesen wären, oder daß sie verfälscht worden, izt aber nennt er sie heilige Romanen, ohne uns zu sagen, wodurch sie sich in Romanen hätten verwandeln können etc.«
Possen! Wir wissen es freilich, daß Bolingbroke oft ziemlich cavalierement von der Bibel spricht; aber hier tut er es doch nicht. Der Herr verspare wenigstens sein Collegium auf eine andere Stelle.
Und nun sagen Sie mir, ist das deutsche Publikum nicht zu betauern? Ein Bolingbroke fällt unter die Hände seiner Knaben; sie schreien Kahlkopf über ihn, die Kahlkinne! Will denn kein Bär hervor kommen, und diese Buben würgen?
Bergmann muß nicht allein das Englische nicht wissen; er muß gar nichts wissen. Wenn Bolingbroke sagt: die Chronologie ist eine von den Wissenschaften, welche bloß a limine salutandae sind; so macht jener daraus: »welche man schon von weiten empfangen muß.« Wenn Bolingbroke von dem Kanon des Marshams redet, redet jener von Marshams Sätzen, und muß nicht wissen, daß das Buch dieses Gelehrten hier gemeinet wird, welches den Titel Canon chronologicus führt. Wenn Bolingbroke von dem Kanon der heiligen Bücher spricht, macht jener die Ordnung der heiligen Bücher daraus. Ich möchte wissen, was Herr Bergmann studierte? Ob die Theologie?
Schade, daß sich die gelehrte Welt des weltlichen Arms noch weniger bedienen darf, als die Kirche! Wäre es sonst nicht billig, daß man die Handlung, welche diese jämmerliche Übersetzung drucken lassen, mit Gewalt anhielte, uns eine bessere zu liefern, und jene ins Makulatur zu werfen? Sie müßte sich des Schadens wegen an den Übersetzer halten können.
Fll.
[39] Fünfter Brief
Der Übersetzer des Gay hat sich zu gleicher Zeit auch als Verfasser gezeigt, und »Versuche zu vergnügen«, 13 herausgegeben.
Ich denke so: mir nützlich zu sein, möchte man so oft und viel versuchen, als man nur immer wollte; wenn ich nur die Versuche mich zu vergnügen verbitten könnte. Laßt uns lieber den wilden Bart tragen, ehe wir zugeben, daß die Lehrlinge der Barbierstuben an uns lernen!
Der »Lenz« des Herr von Palthen scheinet eine Sammlung von alle dem zu sein, was er bei Übersetzung des Thomsonschen Frühlings, schlechteres gedacht hat; eine Sammlung von Zügen und Bildern, die Thomson und Kleist, und selbst Zachariä verschmähet haben. Er malt Mücken, 14 und der Himmel gebe, daß uns nun bald auch jemand Mückenfüße male! Doch nicht genug, daß er seine Gegenstände so klein wählt; er scheint auch eine eigene Lust an schmutzigen und ekeln zu haben. – Die aufgeschürzte Bauermagd mit Blutdurchströmeten Wangen, und derben sich zeigenden Waden, wie sie am abgespannten Leiterwagen stehet, mit zackigter Gabel den Mist darauf zu schlagen. – Der erhitzte brüllende Stier, mit der breiten Brust, und dem bucklichten Rücken, der die ihm nicht stehende Geliebte verfolgt, bis er endlich mit einem gewaltigen Sprunge über sie herstürzt und unwiderstehlich sie hält. – Der Ackersmann, der sein schmutziges Tuch löset, woraus er schmierigen Speck und schwarzes Brod hervor ziehet. – Die grunzende Sau, mit den fleckigten saubern Ferkeln. – Der feurige Schmatz einer Galathee. – – Zu viel, zu viel Ingredienzen für ein Vomitiv! [40] Hier ist eine Herzstärkung! Ein Projekt zu einem immerwährenden Frieden! »Aber keine Herzstärkung für mich; werden Sie sagen. Der Mann will mir das Handwerk legen!« – Ach nicht doch! Er meint es so böse nicht. Sein Haupteinfall ist diesen ein allgemeines Parlament oder Tribunal zu errichten, dessen Ausspruch sich alle europäische Staaten gefallen ließen. – Merken Sie nun, daß der Herr von Palthen ein Rechtsgelehrter ist? Aber, als jener alte Offizier seinen Vorschlag zur Verkürzung der Prozesse tat, und die alten gerichtlichen Duelle wieder einzuführen riet, nicht wahr, da verriet sich der Offizier auch? – Doch dieses bei Seite! Wenn sich nun unter den europäischen Mächten Halsstarrige fänden, die dem Urteile des Tribunals Genüge zu leisten sich weigerten? Wie da? O der Herr von Palthen hat vollstreckende Völker, er hat militarische Exekution. Hat er die? Nun wohl, so hat er Krieg; und Sie sollen Zeit genug weiter avancieren. Werden Sie nur bald gesund!
Was soll ich Ihnen von seinen drei ersten Oden des Horaz sagen? Gleich vom Anfange heißt es:
Metaque fervidis evitata rotis. Das Ziel zu erreichen, war das wenigste. Sie mußten um das Ziel herum! – Lassen Sie uns nicht weiter lesen.
Und wie oft zeiget der Herr von Palthen, ich weiß nicht, welche eingeschränkte Kenntnisse! – – Petrarch sagt von sich: 15 »Ich habe nie an Schmausen ein Vergnügen gefunden, sondern habe bei mäßiger Kost und gewöhnlichen Speisen ein vergnügteres Leben geführt, als alle Nachfolger des Apicius.« Und der Herr v. P. setzt in einer Anmerkung hinzu: »Es wird hier auf den Apicius Caelius gezielet, welcher zehn Bücher von der Kochkunst geschrieben etc.« – Allein, muß denn ein Mann, der Gerichte zubereiten lehrt, notwendig ein Schlemmer sein? Er hätte, wie bekannt, einen ganz andern Apicius hier anführen sollen, und würde unter drei berühmten Schlemmern dieses Namens die Wahl gehabt haben. [41] Das Projekt des Abts von St. Pierre zu einem beständigen Frieden, sagt der Herr v. P., sei ihm nicht zu Gesichte gekommen. Die ganze Welt kennt es. Es ist unendlich sinnreicher als seines, und läuft auf eine proportionierliche Herabsetzung der Kriegsheere aller europäischen Staaten hinaus.
Fll.
III. Den 18. Jenner 1759
Siebender Brief
Sie haben Recht; dergleichen schlechte Übersetzer, als ich Ihnen bekannt gemacht habe, sind unter der Kritik. Es ist aber doch gut, wenn sich die Kritik dann und wann zu ihnen herabläßt; denn der Schade, den sie stiften, ist unbeschreiblich. – Wenn durch eine große, wunderbare Weltveränderung auf einmal alle Bücher, die deutsch geschriebenen ausgenommen, untergingen; welch eine erbärmliche Figur würden dieVirgile und Horaze, die Shaftesburys und Bolingbroks bei der Nachwelt machen!
Oder meinen Sie, daß bei einem so allgemeinen Schiffbruche der Wissenschaften, die deutsche Gelehrsamkeit nur immerhin auch mit versinken möchte?
Das wäre zu bitter geurteilet! Man verachtet keinen Baum wegen seiner unansehnlichen Blüte, wenn er wegen seiner Frucht zu schätzen ist. Unsere schöne Wissenschaften würden zu vergessen sein; aber unsere Weltweisheit nicht. Noch zu bitter! – Nein, auch in jenen fehlt es uns nicht an Männern, die alsdenn an die Stelle der großen Ausländer, und der noch größern Alten treten müßten und könnten! Klopstock würde Homer; Cramer, Pindar; Utz, Horaz; Gleim, Anakreon; Geßner, Theokrit; Wieland, Lucrez –
Wieland, Lucrez? So geht es, wenn man träumet! Es finden sich im Traume Dinge oft wieder zusammen, die man seit vielen Jahren, nicht miteinander gedacht hat. Herr Wieland hätte es längst gern aus unserm Gedächtnis vertilgt, daß er der Verfasser der »Natur der Dinge« ist, und aus dem meinigen schien es auch wirklich vertilgt zu sein –
[42] Erlauben Sie mir, Ihnen von diesem Manne, der ohne Widerrede einer der schönsten Geister unter uns ist, mehr zu sagen; ich mag zu meinem vorigen Gegenstande nicht zurückkehren. Denn warum schriebe ich Briefe?
Wenige Gelehrte werden eine mehr doppelte Rolle gespielt haben, als Herr Wieland. Ich mag es nicht wieder erzählen, was Leute, die ihn in K** B** persönlich gekannt haben, von ihm zu erzählen wissen. Was geht uns das Privatleben eines Schriftstellers an? Ich halte nichts davon, aus diesem die Erläuterungen seiner Werke herzuholen. So viel ist unwidersprechlich, daß jenes Lehrgedicht, und die »Moralischen Briefe« uns den Herrn Wieland auf einem ganz andern Wege zeigten, als ihm hernach zu betreten beliebt hat. Wenn diese Veränderung durch innere Triebfedern, (mich plump auszudrücken) durch den eigenen Mechanismus seiner Seele erfolgt ist; so werde ich nicht aufhören, mich über ihn zu verwundern. Ist sie aber durch äußere Umstände veranlaßt worden, hat er sich, aus Absichten, mit Gewalt in seine itzige Denkungsart versetzen müssen, so betauere ich ihn aus dem Innersten meiner Seele.-
Sie wissen es schon zum Teil, wie schlecht er sich gegen den Herrn Utz aufgeführet hat. – Herr Utz, nach der Freiheit, zu der jeder seines gleichen berechtiget ist, erklärte sich wider eine gewisse Art von Dichtern; Herr Wieland hielt sich beleidiget, und anstatt seinen Gegner gleichfalls von der Seite des Schriftstellers anzugreifen, fiel er mit so frommer Galle, mit einem so pietistischen Stolze auf den moralischen Charakter desselben; brauchte so hämische Waffen; verriet so viel Haß, einen so verabscheuungswürdigen Verfolgungsgeist 16, daß einen ehrlichen Mann Schauder und Entsetzen darüber befallen mußte.
Er hatte sogar das Herz, einen verehrungswürdigen Gottesgelehrten zum Werkzeug seiner Erbitterung brauchen zu wollen. Doch dieser fand auch hier Gelegenheit, seine edle [43] Mäßigung, seine philosophische Billigkeit zu zeigen. Denn ohne Zweifel ist er allein Ursache, daß Herr Wieland in der Sammlung seiner »Prosaischen Schriften«? aus der Zuschrift der Empfindungen des Christen? die härteste Stelle weggelassen hat.
Ich sende Ihnen hier diese Sammlung, 17 in welcher Sie manchen neuen Aufsatz finden werden. Sie müssen sie alle lesen; denn wenn man einen Wieland nicht lesen wollte, weil man dieses und jenes an ihm auszusetzen findet; welchen von unsern Schriftstellern würde man denn lesen wollen? –
Fll.
Achter Brief
Auch mir sind unter den Wielandischen Schriften die »Empfindungen des Christen« das anstößigste gewesen.
Empfindungen des Christen, heißen Empfindungen, die ein jeder Christ haben kann, und haben soll. Und von dieser Art sind die Wielandischen nicht. Es können aufs höchste Empfindungen eines Christen sein; eines Christen nämlich, der zu gleicher Zeit ein witziger Kopf ist, und zwar ein witziger Kopf, der seine Religion ungemein zu ehren glaubt, wenn er ihre Geheimnisse zu Gegenständen des schönen Denkens macht. Gelingt es ihm nun hiermit, so wird er sich in seine verschönerte Geheimnisse verlieben, ein süßer Enthusiasmus wird sich seiner bemeistern, und der erhitzte Kopf wird in allem Ernste anfangen zu glauben, daß dieser Enthusiasmus das wahre Gefühl der Religion sei.
Ist er es aber? Und ist es wahrscheinlich, daß ein Mensch, [44] der den Erlöser am Kreuze denket, wirklich das dabei denket, was er dabei denken sollte, wenn er seine Andacht auf die Flügel der Horazischen Ode setzt und anhebt: »Wo ist mein entzückter Geist? Welch ein furchtbares Gesicht um mich her! – Schwarze Finsternis, gleich der ewigen Nacht, liegt auf dem bebenden Erdkreis. – Die Sonne ist erloschen, die verlassene Natur seufzt; ihr Seufzen bebet gleich dem schwachen Wimmern des Sterbenden durch die allgemeine Todesstille. – Was seh ich? Erbleichte Seraphim schweben aus dem nächtlichen Dunkel hier und da hervor! Sie schauen mit gefaltenen Händen, wie erstarret herab! Viele verbergen ihr tränendes Antlitz in schwarze Wolken. – O des bangen Gesichts! Ich sehe, ich sehe den Altar der Versöhnung, und das Opfer, das für die Sünde der Welt verblutet.« – 18
Schön! – Aber sind das Empfindungen? Sind Ausschweifungen der Einbildungskraft Empfindungen? Wo diese so geschäftig ist, da ist ganz gewiß das Herz leer, kalt.
So wie es tiefsinnige Geister gab, und noch gibt, welche uns die ganze Religion platterdings wegphilosophieren, weil sie ihr philosophisches System darein verweben wollen: so gibt es nun auch schöne Geister, die uns eben diese Religion wegwitzeln, damit ihre geistlichen Schriften auch zugleich amüsieren können.
Der Ton der Psalmen, welchen die Empfindungen des Herrn Wielands oft annehmen, hat mich an Petersens »Stimmen aus Zion« wieder erinnert.
Eine Vergleichung zwischen Petersen und Wielanden würde diesem auf keine Weise schimpflich sein. Petersen war ein sehr gelehrter und sinnreicher Mann, und kein gemeines poetisches Genie. Seine »Uranias« ist voll trefflicher Stellen; und was kann man mehr zu ihrem Lobe sagen, als daß Leibniz sie zu verbessern würdigte, nachdem er selbst den Plan dazu gemacht hatte?
Seine erstgedachten Stimmen sind hundert prosaische Lieder, die er selbst Psalmen nennt. Erlauben Sie mir, Ihnen einige kleine Stücke daraus vorzulegen:
[45] Drei und vierzigster Psalm
»Wie ist die Welt doch so überweise worden! Wie hat sich die Magd über die Frau erhoben!
Die Weisheit des Fleisches waffnet sich gegen die göttliche Einfalt; und die Vernunft ficht wider den Glauben.
Die Weltweisheit setzet sich gegen die göttliche Torheit; sie meistert Gottes Weisheit und verfälscht sein großes Wort.
Sie ist gar zu weise zum Himmelreich; darum kommen sie auch nicht dahin, wohin die Kinder kommen etc.«
Zwei und achtzigster Psalm
»Brüder! Lasset uns hingehen, und unser Leben lassen! Die Wahrheit ist wohl wert, daß wir sie bis in den Tod bekennen!
Es ist der treue und wahrhafte Zeuge vor uns hergegangen. Er hat ein gut Bekenntnis bekannt vor Pontio Pilato. Er mußte auch sterben, als ein Verführer –
Gott sei Dank, daß wir nicht leben, wie die Übeltäter! Wir haben zwar unserm Gott gesündiget, aber nicht der Welt.
Es ist recht und billig, daß uns unser Vater züchtiget; es ist recht, daß er diesen Leib zerbricht.
Wir müssen doch einmal unsere Hütten ablegen; warum nicht itzt, da wir noch mit unserm Tode preisen unsern Gott?
So wissen wir auch, daß der Tod seiner Heiligen bei ihm hochgeachtet sei, und daß er ihm seine Lieblinge nicht nehmen lasse –
Brüder! lasset uns nicht fürchten, wie die Heiden und Sünder pflegen. Furcht ist nicht in der Liebe und in dem Glauben zu unsern Gott.
Wir haben bisher dem Herrn gelebet, so wollen wir nun auch dem Herrn sterben.
Er wird mit uns durch Feuer und Wasser gehen; er wird uns nicht ungetröstet, noch ungestärkt lassen.
Siehe! Wir sehen ihn, o wie freundlich ist er uns! Er führet uns über den Tod! Halleluja! –«
Was sagen Sie hierzu? Könnte ich nicht die Verehrer des Herrn Wielands (seine Anbeter; er hat dergleichen) auffordern, mir erhabenere und pathetischere Stellen in seinen ganzen Empfindungen zu zeigen? Herr Wieland ist reich an Blümchen, an poetischem Geschwätze; Petersen an starken Gedanken, an großen Gesinnungen; ohne Zwang, ohne Schwulst. Beide haben die Sprache der H. Schrift zu brauchen gewußt, nur daß sie Petersen in ihrer edlen Einfalt gelassen,[46] Wieland aber durch affektierte Tiefsinnigkeiten, durch profane Allusionen, verunstaltet hat.
Und gleichwohl sind Petersens Stimmen gar bald verachtet, und vergessen worden. Denn Petersen war ein Schwärmer!
Fll.
Neunter Brief
Ich habe über des Herrn Wielands »Plan einer Akademie zur Bildung des Verstandes und Herzens junger Leute«, einige Anmerkungen gemacht, die ich niederschreiben und Ihnen nach und nach zur Beurteilung vorlegen will.
Herr Wieland will die alten Griechen bei seinem Entwurfe um Rat gefragt haben. Diese, sagt er, setzten die Erziehung hauptsächlich in die Übung der Gemüts- und Leibeskräfte, weil ohne Übung weder diese noch jene zur gehörigen Stärke, Lebhaftigkeit und regelmäßigen Bewegung gelangen. – Die Absicht, fährt er fort, zu welcher ihre Erziehung abzweckte, war ihre junge Bürger zu dem zu bilden, was sie καλοκαγαϑια nennten, in welchem Worte sie alle Vorzüge und Vollkommenheiten begriffen, die einen freien und edeln Menschen von einem Sklaven und menschenähnlichen Tiere unterscheiden, alle Eigenschaften und Geschicklichkeiten, welche den Menschen erhöhen, verschönern und zur Ausführung einer edeln Rolle im Leben tüchtig machen. Zu dieser Absicht, welche allein der menschlichen Natur würdig ist, flößte man der Jugend so früh als möglich den Geschmack am Schönen und Guten, nebst den besten moralischen und politischen Gesinnungen ein; in diesem Gesichtspunkte studierte man mit ihnen den Homer, und schmückte ihr Gedächtnis mit den weisesten Sprüchen der Dichter, welche die Lehrer und Philosophen der ältesten Griechen waren etc. – 19
Ich will vors erste bei einer Kleinigkeit stehen bleiben. Was Herr Wieland hier von dem Homer sagt, das hat seine Absichten, und der Leser soll die Anwendung davon selbst machen. Er soll bei sich denken: Da es uns, Gott sei Dank! auch [47] nicht an Homeren fehlt, warum werden denn nicht auch unsere Homere in dieser Absicht mit der Jugend gelesen?
Aber ehe ich mir selbst diese Frage vorlegte, wollte ich wohl dem Herrn Wieland mit einer andern beschwerlich fallen. Ich wollte ihn fragen: Hat Ihr Vorgeben, mein Herr, seine historische Richtigkeit? Ist es wahr, daß die alten Griechen ihre Jugend aus dem Homer und andern Dichtern Weisheit lehrten? Und wurde Homer, ich will nicht sagen durchgängig, sondern nur von allen denen unter ihnen verstanden, welchen das Beiwort καλοκαγαϑοι zukam?
Erinnern Sie sich, würde ich gegen den Herrn Wieland fortfahren, was uns Xenophon von dem Sokrates erzählet. 20 Sokrates hatte wirklich die Gewohnheit, in seinen Unterredungen lehrreiche Stellen aus Dichtern anzuführen; aber wie ging es ihm damit? Er berief sich z.E. wenn er wider den Müßiggang eiferte, und zu dem Müßiggange auch alle eitele, nur zeitverkürzende und schädliche Beschäftigungen rechnete, auf den Ausspruch des Hesiodus:
Εργον δ' ουδεν ονειδος, αεργειη δε τ' ονειδος.
Keine Arbeit, sondern allein der Müßiggang ist schimpflich. – Oder er drang darauf, daß alle die, welche dem Staate weder als Heerführer noch als Ratgeber nützlich sein könnten, sich müßten gefallen lassen, zu gehorchen, und führte in dieser Absicht das Betragen des Ulysses an, als die Griechen die Belagerung von Troja aufheben wollten. (Den Vornehmern, sagt Homer, 21 sprach Ulysses mit freundlichen Worten zu, wo sich aber ein Geringerer unnütze machte, den schlug er mit seinem Scepter und befahl ihm, ruhig zu sein:
Was machten die Ankläger des Sokrates aus diesen Stellen?
Sagten sie nicht, daß sie gefährliche Lehren enthielten? Daß Hesiodus alle Beschäftigungen billige, sie möchten noch so [48] ungerecht und schimpflich sein, wenn sie nur einträglich wären? Daß Homer die geringern und ärmern Leute zu schlagen rate? Und wer waren des Sokrates Ankläger? Vielleicht die Unwissendesten in ganz Athen? Gewiß nicht. Melitus wenigstens war nur deswegen wider den Sokrates so aufgebracht, weil ihm Sokrates die Dichter, seine Lieblinge, nicht genug zu schätzen schien. Er war also einer von den damaligen Kennern; und wollte man auch sagen, daß er diese Mißdeutungen nicht sowohl aus Unwissenheit, als aus Bosheit gemacht habe, so bedenke man wenigstens, was er dabei für Richter voraus setzte; und ob diese Richter Leute sein durften, mit welchen man in der Jugend den Homer, nach moralischen Absichten, gelesen hatte? –
Fll.
IV. Den 25. Jenner 1759
Zehnter Brief
So ist es auch wirklich: Die wahren Kenner der Dichtkunst sind zu allen Zeiten, in allen Ländern eben so rar, als die wahren Dichter selbst gewesen. Homer ward eben so wenig von allen Griechen verstanden als Klopstock von allen Deutschen. Ich sage Klopstock, und wenn Sie meinen, daß Bodmer dem Homer näher komme, so setzen Sie Bodmern an seine Stelle.-
Itzt erlauben Sie mir, in den Anmerkungen über den Erziehungsplan des Hrn. Wielands fortzufahren. Die wichtigsten werde ich von unserm gemeinschaftlichen Freunde, dem Hrn. D. entlehnen.-
Den schönen und großen Begriff, welchen uns Hr. W. von der Erziehung der alten Griechen macht, wo mag er den überhaupt herhaben? Er sagt zwar: »So viel ich mich der Beobachtungen erinnern kann, die ich bei Lesung ihrer Scribenten gemacht.« – Allein ich besorge, sein Gedächtnis hat ihm hier einen übeln Streich gespielt. Wenigstens beweiset die Stelle des Xenophon, auf die er sich beruft, das gar nicht, was sie beweisen soll.
[49] Die Philosophie, sagt Hr. W., wurde von den Griechen für das nötigste und wesentlichste Stück der Unterweisung gehalten. – Ja! aber was für eine Philosophie? War es wirklich die, »welche uns lehret, was edel oder niederträchtig, was recht oder unrecht, was Weisheit oder Torheit sei? Was die Religion, was die menschliche Gesellschaft, was der Staat in dem wir leben, was alle unsere übrigen Verhältnisse von uns fordern?« Nichts weniger! Es war eine Philosophie, quae ad rhetoricas meditationes, facultatem argutiarum, civiliumque rerum notitiam conducebat; 22 eine Philosophie, welche Aristoteles hernach unter dem Namen der exoterischen, von der wahren Philosophie gänzlich absonderte; kurz, es war die Weisheit der Sophisten.
Mit dieser moralischen und bürgerlichen Philosophie, fähret Hr. W. fort, verband man die schönen Künste, insbesondere die Beredsamkeit. – Auch dieses kann mit der historischen Wahrheit nicht bestehen. Die Griechen studierten die Philosophie nur in Absicht auf die Beredsamkeit, und dieser einzigen Kunst waren alle übrigen Wissenschaften untergeordnet. Selbst Alcibiades, – Xenophon sagt es mit ausdrücklichen Worten, – hielt sich nicht zum Sokrates um Weisheit und Tugend von ihm zu lernen; es war ihm einzig und allein um die Kunst zu überreden, und die Gemüter der Zuhörer zu lenken, in welcher Sokrates ein so großer Meister war, zu tun. – Daß von denen hier nicht die Rede ist, welche Philosophen von Profession werden wollten, versteht sich von selbst.
Es kann kein Vertrauen gegen den Hrn. W. erwecken, wenn man offenbar sieht, daß er seinen Lesern nur Staub in die Augen streuen will. Denken Sie nur, wie weit er geht. Er will uns bereden, daß die Griechen den Shaftesburyschen Begriff eines Virtuosen, durch ihr καλος καγαϑος ausgedruckt hätten. Ich wäre sehr begierig, nur einen einzigen Beweis von ihm zu erfahren, daß dieses καλος καγαϑος etwas anders bedeute, als was wir einen hübschen guten Mann heißen. Ich erinnere mich eben einer Stelle aus dem Plato, wo Sokrates [50] den jungen Theages fragt: τι ουν; ουκ εδιδαξατο σε ό πατηρ και επαιδευσεν άπερ ενϑαδε όι αλλοι παιδευονται, όι των καλων καγαϑων πατερων ύιεες; όιον γραμματα τε και κιϑαριζειν, και παλαιειν, και την αλλην αγωνιαν; Können hier καλοι καγαϑοι Virtuosen heißen? Und was ließen dergleichen Virtuosen ihre Söhne lernen? Lesen und schreiben, auf der Zitter spielen, ringen und andere körperliche Übungen.
Doch es möchte sein; Herr Wieland möchte immerhin uns die alte griechische Erziehung noch so sehr verschönern, wenn man nur sehen könnte, was er selbst in seinem Plane für einen Gebrauch davon gemacht habe. Aber alle die schönen Ideen, die er aus den alten Griechen will geschöpft haben, kommen in der Folge gar nicht mehr in Anschlag. Nach diesen historischen Prämissen, wie er sie nennet, speiset er uns mit lauter allgemeinen Dingen ab, die längst bekannt, und zum Teil recht herzlich seichte sind. Z.E.
Er sagt: 23 »Es soll von einem Kenner der Wissenschaften die Ordnung bestimmt werden, nach welcher die verschiednen Disziplinen und Studien, mit der Jugend getrieben werden sollen; damit das, was sie zuerst lernen, allezeit das Fundament zu dem folgenden abgebe.« – Wer mit den Wissenschaften ein wenig bekannt geworden, der weiß, daß es mit dieser eingebildeten Ordnung eine Grille ist. Alle Wissenschaften reichen sich einander Grundsätze dar, und müssen entweder zugleich, oder eine jede mehr als einmal getrieben werden. Die Logik, oder die Kunst zu denken, sollte man glauben, müsse billig vor allen andern Wissenschaften vorangehen; allein sie supponiert die Psychologie; diese die Physik und Mathematik, und alle die Ontologie.
Die Ontologie aber übergeht Hr. Wieland ganz und gar, und verrät an mehr als einer Stelle eine gänzliche Verachtung derselben. Hier, sagt unser D., möchte ich ihn wohl fragen, ob er jemals den Baco gelesen? Ob er gesehen, wie sehr dieser Weltweise eine Wissenschaft erhebt, in welcher die allgemeinen Gründe aller menschlichen Erkenntnis gelehrt werden? Ob er eine bessere Seelenübung kenne, als wenn man [51] junge Leute bald aus besondern Wissenschaften allgemeine fruchtbare Wahrheiten abstrahieren, bald allgemeine Wahrheiten auf besondere Fälle mit Nutzen anwenden lehret, und ihnen dadurch alle ihre Fähigkeiten erhöhet, den Verstand aufkläret, und den Weg zu großen und nützlichen Erfindungen bahnet? Ich will der itzigen Ontologie, fährt unser Freund fort, nicht das Wort sprechen. So wie sie in unsern philosophischen Büchern abgehandelt wird, ist sie für junge Leute zu hoch. Wenn sie aber der Lehrer wohl studieret hat? und bei dem Vortrage einer besondern Wissenschaft allezeit sein Augenmerk auf die allgemeinen Wahrheiten richtet, die sich daraus absondern lassen; so wird er die Aussichten seiner Untergebenen erweitern und einen jeden Funken von Genie anfachen, der in ihrer Seele gleichsam wie unter der Asche glimmet. Eine jede Wissenschaft in ihrem engen Bezirke eingeschränkt, kann weder die Seele bessern, noch den Menschen vollkommener machen. Nur die Fertigkeit sich bei einem jeden Vorfalle schnell bis zu allgemeinen Grundwahrheiten zu erheben, nur diese bildet den großen Geist, den wahren Helden in der Tugend, und den Erfinder in Wissenschaften und Künsten.
Fll.
Eilfter Brief
Herr Wieland verspricht uns seine besten und überlegtesten Gedanken von der Unterweisung der Jugend. Ich glaube nicht, daß er Wort gehalten hat; er muß sich während der Arbeit besonnen haben, daß auch seine schlechtern und übereilten Gedanken für die Deutschen schon gut genug wären. Die patriotische Verachtung, die er gegen seine Nation hat, läßt mich es vermuten.
Der größte Fehler, den man bei der Erziehung zu begehen pflegt, ist dieser, daß man die Jugend nicht zum eigenen Nachdenken gewöhnet; und diesen hat Hr. W. am wenigsten zu vermeiden gesucht. Er scheinet vielmehr ausdrücklich darauf führen zu wollen, wenn er verlangt, daß man in der untersten Klasse von jeder Wissenschaft eine historische Kenntnis[52] geben solle. 24 – Die Natur der Seele verkennt die Einteilung der menschlichen Erkenntnis in die historische, philosophische und mathematische, die wir der Deutlichkeit halber zu machen genötiget sind. Die ersten beiden müssen ohnstreitig mit gleichen Schritten fortgehen, indem ihnen die dritte in einer kleinen Entfernung folget. Das große Geheimnis die menschliche Seele durch Übung vollkommen zu machen – (Herr Wieland hat es nur dem Namen nach gekannt) – bestehet einzig darin, daß man sie in steter Bemühung erhalte, durch eigenes Nachdenken auf die Wahrheit zu kommen. Die Triebfedern dazu sind Ehrgeiz und Neubegierde; und die Belohnung ist das Vergnügen an der Erkenntnis der Wahrheit. Bringt man aber der Jugend die historische Kenntnis gleich Anfangs bei, so schläfert man ihre Gemüter ein; die Neubegierde wird zu frühzeitig gestillt, und der Weg, durch eignes Nachdenken Wahrheiten zu finden, wird auf einmal verschlossen. Wir sind von Natur weit begieriger, das Wie, als das Warum zu wissen. Hat man uns nun unglücklicher Weise gewöhnt, diese beiden Arten der Erkenntnis zu trennen; hat man uns nicht angeführt, bei jeder Begebenheit auf die Ursache zu denken, jede Ursache gegen die Wirkung abzumessen, und aus dem richtigen Verhältnis derselben auf die Wahrheit zu schließen: so werden wir sehr spät aus dem Schlummer der Gleichgültigkeit erwachen, in welchen man uns eingewieget hat. Die Wahrheiten selbst verlieren in unsern Augen alle ihre Reizungen, wo wir nicht etwa bei reifern Jahren von selbst angetrieben werden, die Ursachen der erkannten Wahrheiten zu erforschen.
Wenn aber unser Freund, der sich hier durch mich erklärt, behauptet, man müsse die historische Erkenntnis nie ohne die philosophische gehn lassen; so redet er von der historischen Kenntnis solcher Dinge, die man durch Nachdenken heraus gebracht, und ohne Nachdenken nicht recht begreifen kann, z.E. der in allen Wissenschaften demonstrierten Wahrheiten, der Meinungen und Hypothesen, die man angenommen, gewisse Erscheinungen zu erklären, wie nicht [53] weniger derjenigen Sätze, die man durch künstliche Erfahrungen und sorgfältige Beobachtungen heraus gebracht hat. Diese historische Kenntnis der Wissenschaften allein ist es, die man für schädlich halten muß. Die historische Kenntnis der geschehenen Dinge aber kann durch keine Anstrengung des Genies heraus gebracht oder gefunden werden; die Sinne und das Gedächtnis müssen hier beschäftiget sein, bevor man Witz und Beurteilungskraft gebrauchen kann. Daher ist es in der Natur der Seele gegründet, daß in Ansehung solcher Dinge, die historische Kenntnis den Grund legen muß; und hier ist ein neuer Fehler, den Herr Wieland begehet. Er sollte mit der Geschichte der Natur den Anfang machen, und diese allen Vorlesungen in der ersten Klasse zum Grunde legen. Sie enthält den Samen aller übrigen Wissenschaften, sogar die moralischen nicht ausgenommen; und wenn der Lehrer scharfsinnig genug ist, so wird er die Genies der Schüler bei dieser Gelegenheit leichtlich prüfen, und unterscheiden können, zu welcher Kunst oder Wissenschaft ein jedes derselben aufgelegt ist. Herr Wieland aber rechnet die Naturgeschichte mit zu dem Studium der Historie überhaupt, aus der er drei verschiedene Disciplinen gemacht wissen will.
Doch nicht genug, daß er den Wissenschaften, durch die vorläufige historische Kenntnis derselben, alle Anlockungen nimmt; er muß überhaupt nichts davon halten, die Wissenschaften als Wissenschaften vorzutragen, weil er den Rat gibt, sich aller trockenen Abhandlungen, abstrakter Untersuchungen und scharfen Demonstrationen so lange zu enthalten, bis die Untergebenen zu einer großen Reife des Verstandes gelanget sind. – Aber man folge nur diesem Rate, man sei nur so superficiell, und ich will vieles wetten, daß die Untergebenen zu dieser großen Reife des Verstandes nie gelangen werden. – Er schlägt dagegen vor, daß sich die Lehrer die Äsopische und Sokratische Methode eigen zu machen trachten sollen, weil diese »ihrer Leichtigkeit und Anmut wegen, der Wahrheit am leichtesten Zutritt zu unserer Seele verschaffe.« – Was für einen Begriff muß Herr Wieland von der Sokratischen Lehrart haben! Was tat Sokrates anders, als daß er alle wesentliche Stocke, die zu einer Definition gehören, durch [54] Fragen und Antworten heraus zu bringen, und endlich auf eben die Weise aus der Definition Schlußfolgen zu ziehen suchte? Seine Definitionen sind durchgehends richtig; und wenn seine Beweise nicht immer die strengste Probe aushalten, so sieht man wenigstens, daß es mehr ein Fehler der Zeiten? in welchen er lebte, als eine Vernachlässigung und Geringschätzung der trocknen Untersuchung von Seiten des Philosophen gewesen. Zu unsern Zeiten kann die Sokratische Lehrart mit der Strenge der itzigen Methode auf eine so geschickte Art verbunden werden, daß man die allertiefsinnigsten Wahrheiten herausbringt, indem man nur richtige Definitionen aufzusuchen scheinet. – Ich will geschwind schließen; Sie möchten mich um die Muster in dieser Art des Vortrages fragen.
Fll.
Zwölfter Brief
Es ist wahr, an einer andern Stelle 25 scheinet Herr Wieland die strengste Lehrart zu billigen, und es zu vergessen, daß er den Augenblick zuvor bloß auf die überredende Lehrart gedrungen hat. Aber warum wollen Sie sich über diesen Widerspruch wundern? Es ist der kleinste von denen, die ihm entwischen. – Ich verspreche, ihn zu heben, (ob ich gleich noch nicht weiß, wie?) wenn Sie mir vorher folgenden auflösen können.
Die christliche Religion ist bei dem Herr Wieland immer das dritte Wort. – Man prahlt oft mit dem, was man gar nicht hat, damit man es wenigstens zu haben scheine. – Haben Sie es bemerkt, wie er sie in seiner Akademie will vorgetragen wissen? »Ohne die gewöhnliche Methode der Theologen, und die ungeschickte Einteilung in Theologiam dogmaticam und moralem.« Bewundern Sie den neuen Reformator! Die ungeschickte Einteilung! – Das schreibt nun Herr Wieland so hin! – Und doch ist diese Einteilung auf dem Katheder unentbehrlich. Es ist ganz etwas anders, die Lehren des Glaubens [55] von den Pflichten des Lebens in der Ausübung zu trennen, und ganz etwas anders, sie in dem Vortrage, der Ordnung und Deutlichkeit wegen, abzusondern. Durch dieses erhält jenes nicht den geringsten Vorschub. Wer sich aber, so ausdrücklich als Herr Wieland, darwider erkläret, der gibt zu verstehen, daß er aus dem Inhalte der Dogmatik überhaupt nichts mache, und die Religion bloß als eine erhabene Moral gelehret wissen wolle. Herr Wieland wenigstens verrät diesen Vorsatz noch deutlicher, wenn er verlangt, »daß man von den eigentlichen Glaubensartikeln mit keinen andern, als mit Worten der Schrift reden solle.« – Und nun sind auf einmal alle mögliche Ketzer in den Schoß seiner Kirche aufgenommen! –
Dieses, und seine wiederholte Anpreisung des Shaftesbury, den er in seiner Akademie zum klassischen Schriftsteller macht, werden hoffentlich unsere Theologen nicht ermangeln, in Betrachtung zu ziehen, bevor sie sich in das poetische Interesse des Herrn Wielands verwickeln lassen. Shaftesbury ist der gefährlichste Feind der Religion, weil er der feinste ist. Und wenn er sonst auch noch so viel Gutes hätte; Jupiter verschmähte die Rose in dem Munde der Schlange.
Fll.
V. Den 1. Februar 1759
Dreizehnter Brief
Was ich unter des Herrn Wielands patriotischer Verachtung seiner Nation verstehe, werden Sie am besten aus einem Exempel abnehmen können. – Herr Wieland redet von der Beredsamkeit der Kanzel, und bricht in die Frage aus: »Wie lange wollen wir uns von den Franzosen beschämen lassen, welche ihre Bossuets, Bourdaloue, Massillons, Trublets aufweisen können, da hingegen unsere größten geistlichen Redner gegen jene nicht in Betrachtung kommen?«
Wenn doch dem Herrn Wieland diese einsichtsvolle Frage entwischt wäre, als er einem von unserngrößten geistlichen Rednern seine Empfindungen zueignete! An eben dem Orte, [56] wo er zu ihm sagt: »Es würde eine strafbare Undankbarkeit sein, wenn ich bei dieser Gelegenheit verschweigen wollte, mit wie vieler Rührung und Nutzen ich den verteidigten Glauben der Christen, für mich selbst, und mit andern gelesen, und wie lebhaft mich diese herzrührende Selbstgespräche in dem Glauben der christlichen Religion unterhalten haben.« – An diesem Orte, sage ich, hätte er fortfahren sollen: Das ist nun zwar alles wahr, mein Herr; aber doch werden Sie mir erlauben, Ihnen zu sagen, daß Sie deswegen noch lange kein Bourdaloue sind, noch lange kein Trublet! O der große Trublet! –
Aber ich glaube, ich fange an zu spotten; und das möchte ich nicht gern. – Wenn uns nur Herr Wieland auch gesagt hätte, warum denn nun unsere Mosheims und Sacks, unsere Jerusalems und Cramers, gegen jene Franzosen gar nicht in Betrachtung kommen? Die Franzosen, ohne Zweifel, haben eine blühendere Sprache; sie zeigen mehr Witz, mehr Einbildungskraft; der Virtuose spricht mehr aus ihnen; sie haben die körperliche Beredsamkeit bei ihren vortrefflichen Komödianten zu lernen Gelegenheit gehabt. Alles Eigenschaften, die dem geistlichen Redner notwendig sind, der mich eine halbe Stunde angenehm unterhalten will, und die ich demjenigen gern erlasse, der mehr als dieses sucht, und es seinem Amte für unanständig hält, auf meinen Willen zu wirken, ohne vorher meinen Verstand erleuchtet zu haben. Der wahre Gottesgelehrte weiß, daß er auf der Kanzel den Redner mit dem Lehrer zu verbinden habe, und daß die Kunst des erstern ein Hülfsmittel für den letztern, nie aber das Hauptwerk sein müsse.
Herr Wieland ist ja sonst weit mehr für die Engländer als Franzosen eingenommen. Wie kömmt es denn aber, daß er nur hier diese jenen vorzieht? Hier, in der Beredsamkeit, die man doch, nach seinen eigenen Grundsätzen, bei den Franzosen, wegen ihrer despotischen Regierungsart, die ganz gewiß ihren Einfluß auch bis auf die Kanzel erstreckt, am wenigsten suchen sollte? Kömmt bei ihm etwa auch ein Tillotson gegen die Bourdaloue und Trublets noch nicht in Betrachtung? Sind ihm jenes Demosthenische Reden, nach denen [57] sich unsere geistlichen Redner zuerst gebildet haben, vielleicht auch noch zu öde, zu unfruchtbar, zu dornicht? Ist ihm nur der der größte Redner, der die Affekten seiner Zuhörer am geschwindesten erregen kann?
Ich habe nur erst neulich eine sehr vortreffliche Stelle über diese Materie gelesen. Sie stehet in einer neuen Schrift, die uns gleichfalls aus der Schweiz 26 gekommen ist, daher man den Herr Wieland um so viel eher darauf verweisen könnte. Erlauben Sie mir, meinen Brief damit zu bereichern. – Ein vornehmer Theologus schreibet an einen jungen Geistlichen:
»Ich habe, sagt er, denjenigen Teil der Redekunst betrachtet, welcher mit Regung der Affekten umgehet; und ich weiß, daß diese Kunst bei den Gottesgelehrten sowohl, als bei den fanatischen und enthusiastischen Predigern in großer Hochachtung ist, und daß man viel Fleiß drauf wendet.
Die zwei großen Redner in Griechenland und Rom, Demosthenes und Cicero, beide Demagogi in einer demokratisch eingerichteten Republik, sind dennoch in Ausübung dieser Kunst sehr von einander unterschieden.
Der erste, welcher mit einem politern, gelehrtern und witzigern Volke zu tun hatte, setzte den größten Nachdruck seiner Beredsamkeit in die Stärke seiner Beweisgründe, und suchte also hauptsächlich den Verstand zu überzeugen. Tullius hingegen sahe mehr auf die Neigungen einer aufrichtigen, nicht so gelehrten und lebhaften Nation, und blieb deswegen bei der pathetischen Beredsamkeit, welche die Affekten erreget.
Allein das Vornehmste, welches man hiebei beobachten muß ist dieses, daß diese Redner in allen ihren Reden ein besonderes Vorhaben hatten; denn bald suchten sie die Verurteilung oder Lossprechung einer angeklagten Person, bald wollten sie das Volk zum Kriege bereden, bald bemühten sie sich ein Gesetz einzuführen, und dergleichen; und alles dieses wurde gleich auf der Stelle ausgemacht, nach dem der Vortrag des Redners Beifall fand. Hier war es unumgänglich nötig, die Affekten der Zuhörer entweder zu erregen, oder zu besänftigen, insonderheit zu Rom, wo Tullius war. Mit diesen letzten Schriften machen sich junge Geistliche (ich meine die, welche Autores lesen) insgemein mehr bekannt, als mit des Demosthenes seinen, welcher doch jenen in vielen Stücken übertraf, was insonderheit die Redekunst anlanget. Allein ich kann nicht sehen, wie die Kunst, die Affekten zu erregen, von großem Nutzen sein könne, wenn man die Christen unterrichtet, wie [58] sie ihren Wandel gebührend anzustellen haben, wenigstens in unsern nördlichen Climatibus, wo ich gewiß versichert bin, daß auch die größte Beredsamkeit von dieser Art wenig Eindruck in unsre Gemüter haben wird, ja nicht einmal so viel, daß die Wirkung davon sich nur bis auf den andern Morgen erstreckte.
Was mich aber insonderheit veranlasset, die Art zu predigen, da man nur die Affekten zu rühren sucht, zu verwerfen, ist dieses, weil ich gesehen habe, wie schlechten Vorteil dieselbe geschafft. Ich kenne einen Herrn, welcher dieses als eine Regel beobachtete, daß er alle die Paragraphen überhüpfte, zu deren Ende er etwan ein Punctum exclamationis gestellt hatte. Ich glaube gewiß, daß diejenigen Prediger, welche in lauter Epiphonematibus predigen, wenn sie sich umsehen, einen großen Teil ihrer Zuhörer in der Unachtsamkeit, und einen großen Teil schlafend finden werden.
Und es ist auch kein Wunder, daß ein solches Mittel nicht allemal anschlägt, maßen es so viel Kunst und Geschicklichkeit erfordert, wenn man es darin zu einiger Vollkommenheit bringen will als mancher nicht im Cicero findet, geschweige aus ihm lernet.
Ich bitte Euch daher gar sehr, diese Kunst (im Fall Ihr ja unglücklicher Weise Euch bereden sollet, daß Ihr dieselbe besäßet) sehr selten, und mit aller möglichen Behutsamkeit zu gebrauchen etc.«
Es wohnet mir eine dunkle Erinnerung bei, diese Gedanken bereits anderswo gelesen zu haben. Doch dem sei wie ihm wolle; der Schriftsteller, aus dem ich sie itzt entlehne, macht folgende Anmerkung darüber.
»Es ist nicht zu leugnen, sagt er, daß diese Stelle von einer großen Einsicht dieses Gottesgelehrten in die Wirkung der geistlichen Beredsamkeit auf das menschliche Gemüt zeuget. Allein ist wohl keine Gefahr bei seinem Rate, daß die Leute, dum vitant vitia, stulti in contraria currant? Mich bedünkt, die größte Kunst würde sein, das Gründliche und das Pathetische (wo es die Natur der Sache erlaubt) dergestalt mit einander zu verbinden, daß dieses letztere stets seinen Grund in der Vorstellung des ersten behielte.«
Sehr wohl! – Und eben diese so schwere Verbindung des Gründlichen und Pathetischen ist es, die unserm Mosheim, nach meinem Bedünken, einen sehr großen Vorzug vor allen französischen Predigern gibt. Allein was geht Herr Wielanden das Gründliche an? Er ist ein erklärter Feind von allem, was einige Anstrengung des Verstandes erfordert, und da er alle Wissenschaften in ein artiges Geschwätze verwandelt wissen will, warum nicht auch die Theologie?
Fll.
[59] Vierzehnter Brief
– Und die Sprache des Herrn Wielands? – Er verlernt seine Sprache in der Schweiz. Nicht bloß das Genie derselben, und den ihr eigentümlichen Schwung; er muß sogar eine beträchtliche Anzahl von Worten vergessen haben. Denn alle Augenblicke läßt er seinen Leser über ein französisches Wort stolpern, der sich kaum besinnen kann, ob er einen itzigen Schriftsteller, oder einen aus dem galanten Zeitalter Christian Weisens lieset. Licenz, visieren, Education, Disziplin, Moderation, Eleganz, Aemulation, Jalousie, Corruption, Dexterität, – und noch hundert solche Worte, die alle nicht das geringste mehr sagen, als die deutschen, erwecken auch dem einen Ekel, der nichts weniger als ein Puriste ist. Linge, sagt Herr Wieland so gar – –
(Und er befiehlt, daß die Schüler von ihrem Gelde, das ihnen zu ihren übrigen Ausgaben, zu Kleidern, Linge, et pour leurs menus plaisirs vom Hause gegeben wird, dem Hofmeister genaue Rechenschaft geben sollen. Sie sollen ihre Linge, fährt er fort, Bettzeug und Servietten, wie auch Löffel, Messer und Gabel mit bringen. Jeder läßt seinen silbernen Löffel und zwei zinnerne Teller dem Instituto zurück. – Es ist in der Tat höchst lächerlich, wenn man den Herrn Wieland solche Kleinigkeiten im voraus feststellen siehet, und sich erinnert, daß er kurz vorher die allerwesentlichsten Punkte von der Hand gewiesen. Die Ordnung, z.E. nach welcher die verschiedenen Disziplinen mit der Jugend zu treiben sind, soll ein Kenner der Wissenschaften 27 für ihn bestimmen, und er kann sich selbst darüber nicht einlassen, weil er keine Instruction für die Lehrer schreibt. Aber der silberne Löffel! Mit dem muß es vor allen Dingen seine Richtigkeit haben, wenn sich das andere finden soll! Genaue Eltern, besorge ich nur, denen ein silberner Löffel keine Kleinigkeit ist, werden hierbei etwas vermissen; Herr Wieland nämlich hat ihnen zu sagen vergessen, was denn nun endlich das Institutum mit allen den silbernen Löffeln machen soll. Und das hätte er[60] ihnen nun freilich wohl sagen müssen, und auch gar leicht sagen können; denn was ist augenscheinlicher, als daß eine Akademie zu Bildung des Verstandes und Herzens, ein Löffelcabinet haben muß? – )
Dieses noch im Vorbeigehen! – Wenn uns Herr Wieland, statt jener französischen Wörter, so viel gute Wörter aus dem schweizerischen Dialekte gerettet hätte; er würde Dank verdienet haben. Allein es scheinet nicht, daß er sich in diesem Felde mit kritischen Augen umgesehen. Das einzige Wort, entsprechen, habe ich ein oder zweimal mit Vergnügen bei ihm gebraucht gefunden. Es ist schwer, sagt er einmal, die Lehrer zu finden, die solchen Absichten entsprechen. (respondent) Dieses entsprechen ist itzt den Schweizern eigen, und nichts weniger als ein neugemachtes Wort. Denn Frisch führet bereits eine Stelle aus Kaysersbergers Postille an, wo es heißet: Die Getät und der Nom sollen einander entsprechen.
Man muß den neuesten schweizerischen Schriftstellern die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie itzt weit mehr Sorgfalt auf die Sprache wenden, als ehedem. Geßner und Zimmermann unter andern, schreiben ungemein schön und richtig. Man merkt ihnen den Schweizer zwar noch an; aber doch nicht mehr, als man andern, den Meißner oder Niedersachsen anmerkt. Herr Wielanden ist es daher um so viel mehr zu verdenken, wenn nur er seine Sprache in der Schweiz so vernachlässiget, daß ihm besonders gewisse eigentümliche Ausdrücke gar nicht mehr beifallen. Ist es z.E. deutsch, wenn er sagt: Pygmalionschnitzte eine Venus aus Marmor?
Die »Moralischen Beobachtungen und Urteile«, aus welchen ich in meinem vorigen Briefe eine Stelle angeführt habe, verraten ihren Geburtsort schon mehr. Sie haben eine Menge Wörter, die man hier nicht versteht, die aber viele Leser zu verstehen wünschten, weil sie wirklich etwas besonderes auszudrucken scheinen; dergleichen sind hürisch, 28 ringsinnig, 29 abschätzig, 30 Schik etc. 31
Und dem ohngeachtet lassen sie sich sehr wohl lesen. Sie scheinen aus dem Beitrage einer ganzen muntern Gesellschaft [61] entstanden zu sein. Der herrschende Ton darin ist Satyre und Humor. Folgende Beschreibung 32 eines Husaren, bei Anlaß des Lobes eines Mädchens wird Sie belustigen:
»Die keusche Climene fliehet vor jungen Männern, wie ein erschrocknes Küchlein vor dem erblickten Geier, und wie ein fleucht, wenn er auf den offenen Feldern des platten Böhmerlandes einen Husaren auf ihn zufliegen sieht. Welch ein Schauspiel! An seiner Stirne steht geschrieben Mord, und die Blicke seiner Augen sind alle vergiftete Spieße. Er schießet dieselben dicht wie einen Regen von sich aus, und tötet damit, noch ehe er tötet. Der Grausame behängt die Rüstung seines Pferdes mit sieben Totenköpfen; drei sind der Schrecken derer, die ihm von hinten nachzusehen das Glück haben; und viere pochen von vorne. Er hat sich zwischen denselben hingesetzt, wie Thomas Kulikan auf seinen Thron; und wie Satan von dem Herzen des Verräters Besitz genommen hat, also hat er sich mit dreistem Stolz auf sein Pferd geschwungen. Wer darf zu ihm sagen: Gott grüße dich? Alle hat er – abgenommen; sie bluten noch, und mit den kostbaren Tropfen, die herunter fallen, bezeichnet er seinen Weg. Die Erde will ewig mit einigen derselben gefärbet bleiben, um das Andenken dieses Zerstörers zum Abscheu zu erhalten andere haben die Tränen der Landeskinder ausgewaschen. Nun eilt, nun fliegt er, und wenn er in eine Stadt kömmt, so achtet der Grausame sich besser gerüstet, als ein Gesandter, der bei seinem öffentlichen Einzuge mit verschwenderischer Pracht auf einmal will sehen lassen, wie groß der sei, der ihn gesendet hat. O, daß Tausende, spricht er, nur einen Hals hätten! Warum muß ich so viel einzelne Köpfe spalten, und mein Saber noch hungern, wenn ich ihn durch den dicksten Hals geschlagen habe, wie ein Hund hungert, dem ein Kind ein Brosamchen ins Maul wirft! Er verschluckt es, er empfindet nichts dabei, und heischt mit gleich unverwandten Augen und hungernder Begierde die große Schüssel voll, die auf dem Tische steht. Kommt, Brüder! spricht er, wenn er Menschenköpfe zu spalten ausreitet, laßt uns sehen, wo wir Rüben zerhacken können. Er trinkt Blut aus Hirnschädeln; sein Pferd tränkt er auch damit, und wenn sein fürchterlicher Schnauzbart davon gerötet wird, so wischt er es nicht weg. Im Quartier spricht er zum Wirte: Gib, was du hast, und was du nicht hast, das gib auch, – alsdenn sterbe; und zur Wirtin: Lebe du bis Morgen, und spreite itzt ein Bett an, für mich und dich. Wenn ihm ein Priester begegnet, so flucht er, und denselben Tag will er nicht ausreiten, denn dieser Hund (sagt er) hat mir ein Unglück vorbedeutet.« – –
[62] Noch eine kleine Stelle will ich Ihnen daraus abschreiben, weil sie einige Beziehung auf meine vorige Briefe haben kann. Sie werden sie leicht entdecken. »Wie viele Heuchler und Ketzermacher, sagt der Verfasser, machen es gerade wie der nichtswürdige Blifilin der Historie des Fündlings, welcher bloß deswegen in der Bibel gelesen, damit Tom Jones Schläge kriege!«
Fll.
VI. Den 8. Februar 1759
Funfzehnter Brief
Eine unangenehme Nachricht, und die ich nur erst gestern erfahren habe! Auch der Grenadier, unser Preußischer Barde, ist bei Zorndorf verwundet worden. – Minerva hatte da noch einen andern Liebling zu schützen! – Doch sind seine Wunden so gefährlich nicht; sie haben auf eine kurze Zeit nur den Soldaten in ihm untüchtig gemacht, aber nicht den Dichter: denn dieser hat bereits, und in einem weit ernstern Tone, als man von ihm gewohnt ist, den großen Tag besungen. Das Gedicht gehet nur noch in der Handschrift hier unter seinen Freunden herum; und ich habe seiner noch nicht so lange habhaft werden können, es ganz für Sie abzuschreiben. Wollen Sie sich aber, bis dieses geschehen kann, mit einigen Fragmenten begnügen? – Es ist überschrieben:
»An die Muse
Von diesem Zeitpunkte hebet sich die Erzählung des Dichters an. Er bewundert, nach einer kurzen Apostrophe des feindlichen Feldherrn, in der aufgehabenen Belagerung von Ollmütz, wo der gemeine Haufe nichts als ein mißlungenes Unternehmen wahrnimmt, eine besondere göttliche Vorsehung.
[64] Hier folget eine sehr poetische Beschreibung der Verwüstungen, die das Russische Heer in den königlichen Staaten angerichtet. Ich habe nur folgendes Gleichnis daraus behalten:
Zugleich nimmt der König von dem Walle der unbezwungnen Veste, das Lager des Feindes in Augenschein, und fasset seinen Entschluß.
Und nun scheinet unsern Barden alle die Wut, mit welcher er in der Schlacht gestritten, aufs neue zu befallen. Er wird so schrecklich, daß seinem Leser die Haare zu Berge stehen. Aber warum mache ich Ihre Neugierde auf eine Stelle so rege, die ich Ihnen nicht mitteilen kann? Darauf fährt er kälter fort:
Endlich kömmt er auf seine eigene Verwundung; und diese Stelle ist eine von den allervorzüglichsten. Hier ist sie:
Ich werde Sie selten mit einem bessern Brief unterhalten können, als dieser ist. Auch ist das Gute darin nicht meine.
Fll.
Sechzehnter Brief
Ich vernehme mit Vergnügen, daß Ihnen die »Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freien Künste« 33 in die Hände gekommen. Lassen Sie sich in Ihrer guten Meinung von diesem kritischen Werke nichts irren. Man hat ihr Parteilichkeit und Tadelsucht vorgeworfen; aber konnten sich die mittelmäßigen Schriftsteller, welche sie kritisiert hatte, anders verantworten? Diese Herren, welche so gern jedes Gericht der Kritik für eine grausame Inquisition ausschreien, machen sehr seltsame Forderungen. Sie behaupten, der Kunstrichter müsse nur die Schönheiten eines Werkes aufsuchen und die Fehler desselben eher bemänteln, als bloß stellen. In zwei Fällen bin ich selbst ihrer Meinung. Einmal, wenn der Kunstrichter Werke von einer ausgemachten Güte vor sich hat; die besten Werke der Alten, zum Exempel. Zweitens, wenn der Kunstrichter nicht sowohl gute Schriftsteller, als nur bloß gute Leser bilden will. Aber in keinem von diesen Fällen befinden sich die Verfasser der Bibliothek. Die Güte eines Werks beruhet nicht auf einzeln Schönheiten; diese einzelne Schönheiten müssen ein schönes Ganze ausmachen, oder der Kenner kann sie nicht anders, als mit einem zürnenden Mißvergnügen lesen. Nur wenn das Ganze untadelhaft befunden wird, muß der Kunstrichter von einer nachteiligen Zergliederung abstehen, und das Werk so, wie der Philosoph die Welt, betrachten. Allein wenn das Ganze keine angenehme [68] Wirkung macht, wenn ich offenbar sehe, der Künstler hat angefangen zu arbeiten, ohne selbst zu wissen, was er machen will, alsdenn muß man so gutherzig nicht sein, und einer schönen Hand wegen, ein häßliches Gesicht, oder eines reizenden Fußes wegen, einen Buckel übersehen. Und daß dieses, wie billig, unsere Verfasser nur sehr selten getan haben, darin bestehet ihre ganze Strenge. Denn einigemal haben sie es doch getan, und mir sind sie noch lange nicht strenge genug.
Wenn Sie mir daher erlauben, daß ich die Bibliothek meinen Briefen gleichsam zur Basis machen darf; so bitte ich mir auch die Freiheit aus, verschiedenes darin anzeigen zu dürfen, womit ich so vollkommen nicht zufrieden bin. Meine Erinnerungen werden größten Teils dahinaus laufen, daß die Verfasser, wie gesagt, hier und da, und nicht bloß gegen Dichter, viel zu nachsehend gewesen sind.
Wie wenig, z.E. erinnern sie bei des Hrn. Prof. Gottscheds »Nötigem Vorrate zur Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst«; 34 und wie manches ist doch darin, das man ihm notwendig aufdecken sollte.
Können Sie sich einbilden, daß der Mann, welcher die Hans Rosenblüts, die Peter Probsts und Hans Sachsens so wohl kennet, nur denjenigen nicht kennet, der doch bis itzt dem deutschen Theater die meiste Ehre gemacht hat; unsern Johann Elias Schlegel? Unter dem Jahr 1747 führt er die »Theatralischen Werke« desselben an, und sagt: »Hier stehen 1. Canut; 2. der Geheimnisvolle; 3. die Trojanerinnen, 4. des Sophokles Elektra; 5. die stumme Schönheit; 6. die lange Weile.« Die beiden letztern stehen nicht darin, sondern machen nebst dem Lustspiele, »Der Triumph der guten Frauen«, welches es gar nicht anführet, einen besondern Band, welchen der Verfasser »Beiträge zu dem Dänischen Theater« benennet hat.
Und wie viel andere Unterlassungssünden hat Hr. Gottsched begangen, die ihm das Lob der Bibliothek sehr streitig machen, »daß er etwas so vollständiges geliefert habe, als man sonst, bei Sammlungen von dieser Art, von der Bemühung [69] eines einzigen Mannes kaum erwarten könne.« – Nicht einmal die dramatischen Werke seines Mylius hat er alle gekannt; denn den »Unerträglichen« vermissen wir gar, und von den »Ärzten« muß er auch nicht gewußt haben, daß Mylius Verfasser davon gewesen. Hat er es aber gewußt, und hat er ihn nur deswegen nicht genannt, weil er sich selbst nicht zu nennen für gut befunden; warum nennt er denn den Verfasser der »Alten Jungfer«?
Ich kenne sonst – und bin gar wohl damit zufrieden, – sehr wenig von unserm dramatischen Wüste; aber auch das wenige finde ich bei dem patriotischen Κοπροφορω noch lange nicht alle. So fehlen bei dem Jahre 1747 gleich zwei Stücke, der »Ehestand«, und das Lustspiel auf die Eroberung von Berg op Zoom etc.
Und vor allen Dingen: warum fehlt denn »Anne Dore, oder die Einquartierung, ein Schäferspiel, in einem Aufzuge«? Dieses Mensch kennet der Herr Professor doch ganz gewiß, und es ist gar nicht dankbar, daß er ihrer wenigstens nicht bei Gelegenheit seiner »Schaubühne« erwähnet hat.
Fll.
VII. Den 16. Februar 1759
Siebzehnter Brief
»Niemand, sagen die Verfasser der Bibliothek, 35 wird leugnen, daß die deutsche Schaubühne einen großen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.«
Ich bin dieser Niemand; ich leugne es gerade zu. Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreten entweder entbehrliche Kleinigkeiten, oder sind wahre Verschlimmerungen.
Als die Neuberin blühte, und so mancher den Beruf fühlte, sich um sie und die Bühne verdient zu machen, sahe es freilich [70] mit unserer dramatischen Poesie sehr elend aus. Man kannte keine Regeln; man bekümmerte sich um keine Muster. Unsre Staats- und Helden-Aktionen waren voller Unsinn, Bombast, Schmutz und Pöbelwitz. Unsre Lustspiele bestanden in Verkleidungen und Zaubereien; und Prügel waren die witzigsten Einfälle derselben. Dieses Verderbnis einzusehen, brauchte man eben nicht der feinste und größte Geist zu sein. Auch war Herr Gottsched nicht der erste, der es einsahe; er war nur der erste, der sich Kräfte genug zutraute, ihm abzuhelfen. Und wie ging er damit zu Werke? Er verstand ein wenig Französisch und fing an zu übersetzen; er ermunterte alles, was reimen und Oui Monsieur verstehen konnte, gleichfalls zu übersetzen; er verfertigte, wie ein Schweizerischer Kunstrichter sagt, mit Kleister und Schere seinen »Cato«; er ließ den »Darius« und die »Austern«, die »Elise« und den »Bock im Prozesse«, den »Aurelius« und den »Witzling«, die »Banise« und den »Hypocondristen«, ohne Kleister und Schere machen; er legte seinen Fluch auf das extemporieren; er ließ den Harlekin feierlich vom Theater vertreiben, welches selbst die größte Harlekinade war, die jemals gespielt worden; kurz, er wollte nicht sowohl unser altes Theater verbessern, als der Schöpfer eines ganz neuen sein. Und was für eines neuen? Eines Französierenden; ohne zu untersuchen, ob dieses französierende Theater der deutschen Denkungsart angemessen sei, oder nicht.
Er hätte aus unsern alten dramatischen Stücken, welche er vertrieb, hinlänglich abmerken können, daß wir mehr in den Geschmack der Engländer, als der Franzosen einschlagen; daß wir in unsern Trauerspielen mehr sehen und denken wollen, als uns das furchtsame französische Trauerspiel zu sehen und zu denken gibt; daß das Große, das Schreckliche, das Melancholische, besser auf uns wirkt als das Artige, das Zärtliche, das Verliebte; daß uns die zu große Einfalt mehr ermüde, als die zu große Verwickelung etc. Er hätte also auf dieser Spur bleiben sollen, und sie würde ihn geraden Weges auf das englische Theater geführet haben. – Sagen Sie ja nicht, daß er auch dieses zu nutzen gesucht; wie sein »Cato« es beweise. Denn eben dieses, daß er den Addisonschen »Cato«[71] für das beste Englische Trauerspiel hält, zeiget deutlich, daß er hier nur mit den Augen der Franzosen gesehen, und damals keinen Shakespeare, keinen Jonson, keinen Beaumont und Fletcher etc. gekannt hat, die er hernach aus Stolz auch nicht hat wollen kennen lernen.
Wenn man die Meisterstücke des Shakespeare, mit einigen bescheidenen Veränderungen, unsern Deutschen übersetzt hätte, ich weiß gewiß, es würde von bessern Folgen gewesen sein, als daß man sie mit dem Corneille und Racine so bekannt gemacht hat. Erstlich würde das Volk an jenem weit mehr Geschmack gefunden haben, als es an diesen nicht finden kann; und zweitens würde jener ganz andere Köpfe unter uns erweckt haben, als man von diesen zu rühmen weiß. Denn ein Genie kann nur von einem Genie entzündet werden; und am leichtesten von so einem, das alles bloß der Natur zu danken zu haben scheinet, und durch die mühsamen Vollkommenheiten der Kunst nicht abschrecket.
Auch nach den Mustern der Alten die Sache zu entscheiden, ist Shakespeare ein weit größerer tragischer Dichter als Corneille; obgleich dieser die Alten sehr wohl, und jener fast gar nicht gekannt hat. Corneille kömmt ihnen in der mechanischen Einrichtung, und Shakespeare in dem Wesentlichen näher. Der Engländer erreicht den Zweck der Tragödie fast immer, so sonderbare und ihm eigene Wege er auch wählet; und der Franzose erreicht ihn fast niemals, ob er gleich die gebahnten Wege der Alten betritt. Nach dem »Ödipus« des Sophokles muß in der Welt kein Stück mehr Gewalt über unsere Leidenschaften haben, als »Othello«, als »König Lear«, als »Hamlet« etc. Hat Corneille ein einziges Trauerspiel, das Sie nur halb so gerühret hätte, als die »Zayre« des Voltaire? Und die »Zayre« des Voltaire, wie weit ist sie unter dem »Mohren von Venedig«, dessen schwache Kopie sie ist, und von welchem der ganze Charakter des Orosmans entlehnet worden?
Daß aber unsre alten Stücke wirklich sehr viel Englisches gehabt haben, könnte ich Ihnen mit geringer Mühe weitläuftig beweisen. Nur das bekannteste derselben zu nennen; »Doctor Faust« hat eine Menge Szenen, die nur ein Shakespearesches [72] Genie zu denken vermögend gewesen. Und wie verliebt war Deutschland, und ist es zum Teil noch, in seinen »Doctor Faust«! Einer von meinen Freunden verwahret einen alten Entwurf dieses Trauerspiels, und er hat mir einen Auftritt daraus mitgeteilet, in welchem gewiß ungemein viel großes liegt. Sind Sie begierig ihn zu lesen? Hier ist er! – Faust verlangt den schnellsten Geist der Hölle zu seiner Bedienung. Er macht seine Beschwörungen; es erscheinen derselben sieben; und nun fängt sich die dritte Szene des zweiten Aufzugs an.
Faust und sieben Geister
Was sagen Sie zu dieser Szene? Sie wünschen ein deutsches Stück, das lauter solche Szenen hätte? Ich auch!
Fll.
Achtzehnter Brief
Sie haben gefunden, daß der zweite Band des »Messias« in der Bibliothek 36 mit vielem Geschmacke beurteilet worden. Überhaupt davon zu reden, bin ich auch dieser Meinung; ob ich gleich gegen wenig Rezensionen in dem ganzen Werke mehr einzuwenden hätte, als gegen diese.
Der Abhandlung des Herrn Klopstocks »Von der Nachahmung des Griechischen Sylbenmaßes im Deutschen«, hat der Kunstrichter zu wenig Gerechtigkeit widerfahren lassen. Daß sie der Verfasser selbst ein bloßes Fragment nennt, hätte ihn nicht verführen sollen. Sie ist in ihrer Art kein schlechteres Fragment, als noch bis izt der Messias selbst ist. Man sieht nur, daß noch nicht alles gesagt worden; aber was auch gesagt worden, ist vortrefflich. Nur muß man selbst über die alten Sylbenmaße nachgedacht haben, wenn man alle die feinen Anmerkungen verstehen will, die Herr Klopstock mehr im Vorbeigehen, als mit Vorsatz zu machen scheinet. Und so geht es, wenn ein Genie von seiner Materie voll ist, und die tiefesten Geheimnisse derselben kennet; wenn er davon reden muß, wird er selten wissen, wo er anfangen soll; und wenn er [73] denn anfängt, so wird er so vieles voraus setzen, daß ihn gemeine Leser dunkel, und Leser von etwas besserer Gattung superfiziell schelten werden. Es befremdet mich also gar nicht, daß auch den Kunstrichter in der Bibliothek, die Gedanken des Herrn Klopstocks nicht gänzlich überzeugt haben, und daß ihm überhaupt der prosaische Vortrag desselben nicht allzuordentlich und angenehm vorkömmt. – Mir gefällt die Prosa unsers Dichters ungemein wohl; und diese Abhandlung insbesondere ist ein Muster, wie man von grammatikalischen Kleinigkeiten ohne Pedanterie schreiben soll.
So gar hat der Kunstrichter die allerwichtigste Erinnerung des Herrn Klopstocks gänzlich übersehen. Sie betrifft das Geheimnis des poetischen Perioden; ein Geheimnis welches uns unter andern den Schlüssel gibt, warum alle lateinische Dichter, in Ansehung der Harmonie, so weit unter dem Virgil bleiben, ob gleich jeder ihrer Hexameter, vor sich betrachtet, eben so voll und wohlklingend ist, als jeder einzelne des Virgils.
Indem ich des Hexameters und des Herrn Klopstocks hier gedenke, fällt mir ein, Ihnen eine kleine Entdeckung mitzuteilen. Man hat gefragt, ob Herr Klopstock der erste sei, der deutsche Hexameter gemacht habe? Nein, heißt es, Herr Gottsched hat schon lange vor ihm dergleichen gemacht. Und lange vor Gottscheden, setzen noch belesenere hinzu, Heräus. Aber auch Heräus ist nicht der erste; sondern diesen glaube ich ein ganzes Jahrhundert früher in dem deutschen Übersetzer des Rabelais 37 entdeckt zu haben. Es ist bekannt, wie frei dieser mit seinem Originale umgegangen, und wie viel er ihm eingeschaltet hat. Unter seine Zusätze nun gehöret auch, am Ende deszweiten Kapitels, der Anfang eines Heldengedichts in gereimten deutschen Hexametern, das, wie es scheint, ein scherzhaftes Heldengedicht hat werden sollen. Die Hexameter sind, nach der damaligen Zeit recht sehr gut, und der Übersetzer sagt, er führe sie deswegen hier an: »Dieweil daraus die Künstlichkeit der Teutschen Sprach in allerhand Karmina bescheint; und wie sie nun nach Anstellung des Hexametri, [74] oder sechsmäßiger Sylbenstimmung und silbenmäßigen Sechsschlag, weder den Griechen noch Latinen (die das Mus allein essen wollten,) forthin weiche.« Er fährt in seiner possierlichen Sprache fort: »Wenn sie schon nicht die Prosodie oder Stimmäßigung also Abergläubig, wie bei ihnen halten, so ist es erst billig, denn wie sie ihr Sprach nicht von andern haben, also wollen sie mit nach andern traben: eine jede Sprach hat ihre sondere angeartete Tönung, und soll auch bleiben bei derselben Angewöhnung.« Ich weiß, daß Sie es nicht ungern sehen werden, wenn ich Ihnen den Anfang selbst abschreibe. Er lautet so:
Die Fortsetzung folgt künftig.
[75] VIII. Den 22. Februar 1759
Beschluß des achtzehnten Briefes
Es nennt sich unser deutscher Übersetzer des Rabelais, Huldrich Elloposcleros, und es ist höchst wahrscheinlich, daß Johann Fischart unter diesem Namen verborgen liegt. Ελλοψ heißt stumm, und ist bei den griechischen Dichtern das gewöhnliche Beiwort der Fische, daher es auch oft für sich allein einen Fisch bedeutet; und ελλοποσκληρος 38 folglich muß einen Mann bezeichnen, den das Los der Fische getroffen, der von Fischart ist. Und was kann einander ähnlicher sein, als dieser deutsche Rabelais, und der deutsche Bienenkorb des Philipp von Marnix, von welchem letztern man es gewiß weiß, daß ihn Fischart übersetzt hat.
Vor dem angeführten Eingange läßt Fischart noch eine Zueignung an die deutsche Nation vorher gehen. Sie ist in Hexametern und Pentametern abgefaßt, bei welchen letztern dieses Besondere ist, daß nicht allein Pentameter mit Pentameter, sondern auch jedes Hemistichion mit dem andern reimet. Ich bitte Sie, vornehmlich auf die letzten acht Zeilen aufmerksam zu sein.
Das heißt wahrhaftig ein fremdes Sylbenmaß mit einer sehr artigen Empfehlung einführen. Die Empfehlung des Heräus ist lange so sinnreich nicht, wenn er zu seinem Helden sagt:
Verschiedene Jahre nach Fischart hat Alsted in seiner »Enzyklopädie« wieder ein Muster von deutschen Hexametern gegeben, welches ich lange Zeit für das erste gehalten. Die erste Ausgabe der »Enzyklopädie« ist von 1620 in Quart, und in dieser findet es sich noch nicht, sondern erst in der nachherigen vollständigern Ausgabe in Folio.
Von Alsteden aber bis auf den Heräus habe ich des deutschen Hexameters nirgends gedacht gefunden. Auch nicht einmal in den Lehrbüchern der Dichtkunst, wo doch Muster in andern lateinischen Sylbenmaßen, in dem Alkaischen zum Exempel vorkommen. – Dergleichen Kleinigkeiten zu wissen, ist deswegen gut, um bei gewissen Lesern dem Vorwurfe der Neuerung vorzubauen.
Fll.
Neunzehnter Brief
Ich komme auf unsern »Messias« zurück. – Der Kunstrichter tadelt an dem Dichter unter andern, 39 »daß er zuweilen seine Wortfügungen dermaßen verwirre, daß sich die Beziehung der Begriffe auf einander verliere, und sie dunkel werden müßten.« Er führet folgendes Beispiel an:
und setzt hinzu: »Wer diese zwei Verse ungezwungen erkläret, erit mihi magnus Apollo, und wann er eine natürliche Konstruktion darin entdecken kann, Phyllida solus habeto.« – Mit dem Tadel selbst kann es hier und da seine Richtigkeit haben; aber das Beispiel ist unglücklich gewählt. Lassen Sie mich versuchen, ob ich die Phyllis verdienen kann. Die Konstruktion ist diese: Feiert! Der große Sabbat, der Sabbat des Bundes flamme Anbetung von den Sonnen zum Throne des Richters! Die Stunde ist gekommen! Und was ist denn hier unnatürliches? Etwa dieses, daß das Subjekt hinter seinem Zeitworte steht, und das Zeitwort durch das vorgesetzte Es zum impersonali geworden zu sein scheinet? Aber was ist in unserer Sprache gewöhnlicher als dieses? Hat der Kunstrichter nie das alte Lied gehört: Es woll uns Gott genädig sein? Und hat Herr Klopstock nicht eben so wohl sagen können: Es flamme Anbetung der große Sabbat des Bundes? Die Konstruktion ist also gerettet, und der Kunstrichter mache sich immer fertig, mich als seinen großen Apollo zu verehren! Denn wem kann der Sinn nun noch zweideutig sein? Eloa kömmt vom Throne Gottes herab, und ruft durch die Himmel daß itzt der Versöhner zum Tode geführet werde. Diese Stunde der Nacht, wie sie in der folgenden Zeile heißt, nennet Eloa den großen Sabbat des Bundes, und von diesem will er, daß er durch alle Welten Anbetung flamme, verbreite. –
Doch ich eile, Ihnen zu entdecken, wodurch zufälliger Weise diese Rezension des Messias bei weitem so unterrichtend nicht geworden ist, als sie wohl hätte werden können. Ihr Verfasser hat die Originalausgabe dieses großen Gedichts nicht gekannt, die nun schon vor vier Jahren, in der Königlichen Druckerei zu Kopenhagen 40 veranstaltet worden. Sie bestehet aus zwei prächtigen Bänden; aber die Pracht ist das geringste ihrer Vorzüge. Der erste Band enthält eine Abhandlung von der geistlichen Epopee und die ersten fünf Gesänge; der zweite enthält die fünf neuen Gesänge, und die schon erwähnte [78] Abhandlung von der Nachahmung der griechischen Sylbenmaße. – War diese Ausgabe vielleicht zu kostbar, daß sich die Liebhaber in Deutschland mit dem Hallischen Nachdrucke begnügen lassen? Oder haben die Herren Buchhändler sie vorsätzlich unterdrückt? Man sagt, daß sie es mit gewissen Büchern tun sollen. – Was läge unterdessen daran, wenn nur das Publikum bei dem Nachdrucke nichts verloren hätte. Aber hören Sie, wie viel es noch bis itzt verlieret. Man hat nur den zweiten Band nachgedruckt, und den ersten gar keiner Achtung gewürdiget. Gleichwohl enthält er, wie gesagt, eine besondere neue Abhandlung, und die Gesänge selbst sind an ungemein vielen Stellen verändert und verbessert worden.
Veränderungen und Verbesserungen aber, die ein Dichter, wie Klopstock, in seinen Werken macht, verdienen nicht allein angemerkt, sondern mit allem Fleiße studieret zu werden. Man studieret in ihnen die feinsten Regeln der Kunst; denn was die Meister der Kunst zu beobachten für gut befinden, das sind Regeln.
Sie sind itzt nicht in den Umständen, daß Sie selbst diese Vergleichung der ersten und neuern Lesarten anstellen könnten, die Sie zu einer andern Zeit sehr angenehm beschäftigen würde. Erlauben Sie mir also, Ihnen noch eines und das andere davon zu sagen. –
Welch einen lobenswürdigen Fleiß hat der Dichter auf die Sprache und den Wohlklang verwendet. Auf allen Seiten findet man Beispiele des bestimmtern Sylbenmaßes, der reinern Wortfügung, und der Wahl des edleren Ausdrucks. In Ansehung der Wortführung hat er unter andern eine Menge Participia, wo sie den Perioden zu schwerfällig, oder zu dunkel machten, aufgelöset. Z.E. wo er den Satan mit grimmigem Blicke den göttlichen Weltbau durchirren läßt,
Seine Zurückkunft, auf welche die Götter so lange schon harrten
Und so in hundert andern Stellen, mit welchen die Feinde der Mittelwörter nun weniger unzufrieden sein werden. – Gewisse Wörter hat der Dichter zu gemein befunden, und sie haben ausgesuchtern weichen müssen. Wo es vorher hieß:
Wische dem Knaben die Zähre vom Antlitz
Wischet mit mir, wenn er stirbt, das Blut von seinem Gesichte
ist beidemal für wischen, trocknen gesetzt. Das WortBehausung, welches der Dichter sonst sehr oft brauchte, hat überall seinen Abschied bekommen; und ich finde nur eine einzige Stelle, wo es stehen geblieben. Ich weiß zwar in Wahrheit nicht, was Herr Klopstock wider dieses alte ehrliche Wort haben mag; er muß aber doch etwas darwider haben, und vielleicht entdecken Sie es.
Andere Veränderungen betreffen Schönheiten des Detail. Dahin gehören besonders nicht wenige besser ausgemalte Beschreibungen; dergleichen diese, wo von den Geistern der Hölle im zweiten Gesange gesagt wird:
Itzt wollt er auf ihn donnern, allein die schreckliche Rechte etc.
Noch hat der Dichter hier und da ganz neue Stellen eingeschaltet. Ich führe Ihnen nur eine an, die Sie gewiß sehr schön finden werden. Wenn Satan in der Hölle den Tod Jesu beschließt, und sagt:
Aber auch die Kunst auszustreichen verstehet Herr Klopstock, und es sind manche Zeilen weggefallen, die sich seine Bewunderer nimmermehr würden haben nehmen lassen, wenn er sie ihnen nicht selbst genommen hätte. Es sind meistenteils Zeilen, die ein wenig in das Tändelnde fielen. So erhaben, als es z.E. sein sollte, wenn Adramelech sagte:
so klein war es in der Tat, und der Dichter hat sehr wohl daran getan, daß er die beiden letztern Zeilen in eine gezogen:
Und wären doch alle seine Verkürzungen von dieser Art! Doch so muß ich Ihnen leider sagen, daß dem Herrn Klopstock, ich weiß nicht welcher Geist der Orthodoxie, oft anstatt der Kritik vorgeleuchtet hat. Aus frommen Bedenklichkeiten hat er uns so manchen Ort verstümmelt, dessen sich ein jeder poetischer Leser gegen ihn annehmen muß. Was geht es diesem an, daß einem Schwachgläubigen die wütenden Entschließungen des Adramelechs, zu Ende des zweiten Gesanges, anstößig gewesen sind oder sein können? Soll er sich deswegen die vortreffliche Stelle rauben lassen, wo dieser rasende Geist auch die Seele des Messias zu töten sich vornimmt?
Und solche Stellen haben mehrere weichen müssen, die ich mir alle sorgfältig wieder in mein Exemplar eingetragen habe. Unter andern ist der Charakter des Verräters durch die fromme Strenge des Dichters noch einmal so unbestimmt geworden, als er vorher war. Er war schon anfangs sehr schielend, und nun weiß man vollends nicht was man daraus machen soll. Auch sogar alle die Wörter, die einen heidnischen Verstand haben können, die aber der Dichter, meinem Bedünken nach, sattsam geheiliget hatte, sind verwiesen worden; was vorher Schicksal hieß, heißt nun Vorsicht, und die Muse hat sich überall in eine Sängerin Sions verwandelt.
Die größte Verbesserung, wo das Genie des Dichters ohne Zweifel am wirksamsten gewesen, ist die, welche er mit der Rede des Vaters im ersten Gesang vorgenommen. Es ist der Anständigkeit gemäß, daß sich Gott so kurz als möglich ausdrückt; und jene Rede verstieß wider diese Regel viel zu sehr. Gleichwohl mußte alles, was Gott da sagt, gesagt werden; und der Dichter ist nunmehr also auf das Mittel gefallen, ihn selbst nur die ersten Zeilen sagen, und das übrige einen Seraph von dem Gesichte Gottes lesen zu lassen. Ich bewundere diesen Einfall als eine Veränderung, zu der ihn die Not gebracht; an und für sich selbst aber hat er meinen Beifall nicht.
[83]Fll.
XII. Den 22. März 1759
Dreißigster Brief
Die Fabeln des Rabbi Berachja Hanakdan, 41 oder wie er mit seinem ganzen Namen heißt: Berachja Ben-Natronai Hanakdan, haben Ihre Aufmerksamkeit an sich gezogen, und Sie wünschen mehrere von den eigentümlichen Erfindungen dieses Fabulisten zu lesen.
Vorher lassen Sie sich einen lustigen Fehler erzählen, den Herr Professor Gottsched mit diesen Fabeln gemacht hat. Weil sie ihr Verfasser »Fabeln der Füchse« zu nennen für gut befunden, so hat Herr Gottsched den schönen Einfall gehabt, sie für eine Übersetzung des »Reineke Fuchs« 42 auszugeben. Hören Sie nur, was er sagt: »Die zweite Übersetzung ist eine Hebräische, die unter dem Titel ›Mischle Schualim‹, die Fabeln von Füchsen 1557 zu Mantua gedruckt worden. Der Verfasser ist Rabbi Barachias Ben-Natronai gewesen. Nun meinet zwar Morhof, es wären auch andere Fabeln von andern Tieren darinnen; folglich möchte es nur ein Äsopisches Fabelbuch sein. Allein im ›Reineke Fuchs‹ kommen ja auch andere Fabeln von Tieren vor: und warum hätte man den Fuchs auf den Titel gesetzt, wenn seine Geschichte nicht die vornehmste darin wäre.«
Hätte Herr Professor Gottsched nicht in dem Wahn gestanden, daß ein Autor auch zu derjenigen Zeit müsse gelebt haben, wenn seine Schrift das erstemal gedruckt worden, so würde er vielleicht nachgeschlagen, und diesen Irrtum nicht begangen haben. Er würde gefunden haben, daß Berachja Hanakdan bereits am Ende des dreizehnten, und zum Anfange des vierzehnten Jahrhunderts gelebt, und also unmöglich das Werk eines Schriftstellers aus dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, dergleichen der »Reineke Fuchs« nach seinem eigenen Vorgeben ist, übersetzen können.
Ferner muß der Herr Professor gar nicht wissen, wie fast [84] alle Büchertitel der Rabbinen beschaffen sind. Sonst würde er von dem Titel auf das Buch mit solcher Zuversicht nicht geschlossen, noch Morhofen sein entscheidendes Allein in den Tag hinein, entgegen gesetzt haben. Morhof hatte das Buch ohne Zweifel gesehen; und hier, wo es gar nicht selten ist, kann es jeder zu sehen bekommen, und sich mit eigenen Augen überzeugen, daß es kein »Reineke Fuchs« ist. Es sind Äsopische Fabeln, die gar keinen Zusammenhang unter sich haben, und die Hanakdan, wie er auf der letzten Seite selbst sagt, deswegen »Fabeln der Füchse« genennet hat, weil die Füchse unter den Tieren, die ihre Rollen in der Fabel spielen die allerklügsten wären.
Es sind aber mehr neue und dem Rabbi eigene Erfindungen darunter, als Sie vielleicht aus der Nachricht, welche die Bibliothek davon erteilet, vermuten dürften. Hier sind einige derselben mit welchen Sie in den Sammlungen der Äsopischen Fabeln nichts ähnliches finden werden. Von den Schwierigkeiten der Übersetzung, sind Sie bereits unterrichtet.
Die XIX. Fabel
Die zwei Hirsche und der Mensch
Ein geheimnisvoller Tor wird oft für weise gehalten, und in den Rat der Verständigen gesetzt. – Zwei Hirsche standen am Ufer eines Baches, und schienen sich einander Geheimnisse in die Ohren zu flistern. Ein Mensch ging auf der Heerstraße, und die Neubegierde trieb ihn zu ihnen hin. »Warum redet ihr so leise, Freunde? fragte er. In dieser Einsamkeit wird euch niemand belauschen.« – Wir entdecken uns eben keine großen Geheimnisse, war die Antwort. Die wichtigste Ursache warum wir hier bei einander stehen, ist die lange Weile.
Die XXVIII. Fabel
Die Maus, die Sonne, die Wolke,
der Wind und die Mauer
Ein Stutzer unter den Mäusen dachte bei sich selbst: Siehe! es ist nicht gut alleine zu sein; doch finde ich unter allen Tieren keine Frau, die mir gefällt. Ich möchte eine schöne, gütige und vornehme Frau, die mir aber nichts verzehret. – Wo finde ich diese?
»– Wohlan! ich will die Sonne heiraten. Was kann dieser an Glanz [85] und Herrlichkeit gleichen? Die Sonne bringt Licht und Erquickung auf ihren Flügeln, wenn alle Bewohner der Erde in Finsternis eingehüllet schlummern. – So eben ging die Sonne auf. Unsere Maus ward entzückt, und sprach: ich habe dich je und je geliebt, und will dich zu mir ziehen aus lauter Gewogenheit, (Jer. XXXI, 3.) Ich will dich zur Frau nehmen, Sonne!« – Du bist nicht klug, Maus! versetzte die listige Sonne. Willst du ein Licht wählen, das alle Augenblick verlischt? Siehe! die Sonne scheinet, und gehet wieder unter. Wie oft werde ich nicht von den Wolken verdunkelt? Die Wolken, Maus! sind weit über mich. Erhebe deine Wünsche zu ihnen; so wirst du glücklicher sein. Die Maus eilete zu einer Wolke hin: »ich habe mir Mühe gegeben, und dich gefunden, meine Liebe, meine Schöne, meine Braut! Komm! du sollst meine sein; ich werde dich nie verlassen.« – Wenn du mich heiratest, antwortete die Wolke, so mußt du flüchtig und unstet herum wandern. Mich treibet der Wind, wohin es ihm gefällt. Laß von der Magd ab und wähle dir die Frau, denn ich bin dem Winde untertan. – Sie suchte hierauf den Wind, und fand ihn in einer Wüsten. Komm mit mir aus dieser Einöde, rief sie, komm! Ich habe dich unter allen Geschöpfen mir zur Frau erlesen. – O du betriegst dich sehr, antwortete der Wind, wenn du mich vielleicht für mächtig hältst! Siehe! ich mag toben wie ich will, so trotzt mir eine jede gemeine Mauer, und stehet aufrecht. Die Mauer würde dich weit glücklicher machen als ich. – Sie machte endlich auch der Mauer ihren Liebesantrag, und sagte, daß die Sonne, die Wolke und der Wind sie zu ihr schickten. – Gehe! antwortete die Mauer zornig. Wollen sie meiner spotten, weil ich mich nicht so gut bewegen kann, als sie? Sie sollten Mitleiden mit mir Elenden haben. Die Mäuse durchgraben meinen Grund, und machen sich allenthalben freie Durchwege. Jetzo haben mehr als zwei hundert Mäusegeschlechter in mir ihre Wohnungen aufgeschlagen und mich mit Zähnen und Füßen durchbohrt. Eine solche Frau lässest du dir anraten? – Der junge Freier sah sich in seiner stolzen Hoffnung betrogen, kehrte zu den Mäusen zurück, nahm sich eine aus seinem Geschlechte, und fand eine Gehülfin, die um ihn war. (I. B. Mos.)
Die Fortsetzung folgt künftig.
[86] XIII. Den 29. März 1759
Beschluß des dreißigsten Briefes
Die XXX. Fabel
Der Ochs und der Bock
Ein Ochs erblickte einen Löwen, und floh und hörte ihn immer hinter her brüllen. Endlich verkroch er sich hinter ein Gesträuche; dort hatte sich auch ein Bock versteckt; der Ochs erblickte ihn, und fuhr erschrocken zurück. Was fürchtest du dich, Vetter? rief der Bock, wir sind ja beide in einem Stall erzogen. Bist dus, antwortete der Ochs, alles was lebt ist mir heute Löwe, so sehr hat mich der Räuber geängstiget.
Wer verfolgt wird, fürchtet seinen eigenen Schatten.
Die XXXVI. Fabel
Der Wolf und die Tiere
Der Kanzler des Löwen, der Wolf, ward von allen Tieren verklagt, daß kein lebendiges Geschöpf vor seinem Räuberzahn sicher sei. Der Unersättliche, klagten sie, macht den Wald zur Einöde, unsere Weiber zu Witwen, und unsere Kinder zu Waisen. Der König zürnete, und verwies dem Wolf seine Grausamkeit mit harten Worten. Das Vergangene ist nicht mehr zu ändern, setzte er königlich hinzu; aber hinfüro hüte dich vor Gewalttätigkeit. Begnüge dich mit den toten Tieren, die du auf dem Felde findest, und schwöre, dich zwei ganze Jahre alles Fleisches zu enthalten, für jedes lebendige Tier, das du dich zu erwürgen gelüsten lässest. Der Wolf schwur und ging zurück. – Wenig Tage nachher überfiel ihn ein grausamer Hunger, und er sahe ein fettes Schaf auf der Wiese weiden. Da kämpften in ihm Gedanken mit Gedanken. Zwei Jahre kein Fleisch zu genießen! – Die Strafe ist hart! und ich habe geschworen – Doch in jedem Jahre sind drei hundert und fünf und sechzig Tage. Tag ist wenn ich sehen, und Nacht, wenn ich nicht sehen kann. So oft ich also die Augen verschließe ist Nacht, und wenn ich sie wieder auftue; so wirds Tag. – Schnell blinzte er die Augen zu, und tat sie wieder auf; da ward aus Abend und Morgen der erste Tag. Er zählte zwei volle Jahre. Nun, sprach er, habe ich für die Sünde zum voraus gebüßt, ergriff das Schaf und würgte es.
Ein Räuber findet leichtlich Mittel den kräftigsten Eid zu vereiteln.
[87] Die XXV. Fabel
Die Schafe, der Widder und der Löwe
Die Schafe waren einst in den Ställen allein, denn die Hirten hatten sich entfernt, und vergessen die Türen hinter sich zu verschließen. Keines blieb in dem Stalle , denn sie gingen heraus auf dem Felde Speise zu suchen. Sie hatten sich von dem Dorfe nur wenig entfernt, da kam ein Löwe aus der Wüsten hergezogen, und eilete sie zu erreichen. Sie erblickten ihn, und riefen sich einander zu: Wenn der Löwe brüllt, wer wird sich nicht fürchten? – Kein Mittel war zur Errettung übrig. – Sie sprachen also zum Widder, der sie anführte: Gehe du dem Fürchterlichen entgegen. Berede ihn mit glatter Zunge, daß er von uns abweiche. Der Widder zog von seinem Heere ab, trat näher und schmeichelte: Heil dir, König der Tiere! Du bist immerdar willkommen, und wer dich erblickt, der segnet dir entgegen. – Ha! brüllte der Löwe, bei dir und deinen Freunden werde ich Segen finden. Deine liebliche Reden sind vergeblich. Läßt sich ein König mit Worten abspeisen? Komm! dein Fleisch wird süßer sein, als dein Gruß.-
Der macht sich zum Gespötte, der einen Tyrannen durch Beredsamkeit zu gewinnen gedenkt.
Die LXXXXII. Fabel
Der stößige Ochs und sein Herr
Ein Ochs verkannte seinen Herrn, und so oft ihn dieser vor den Pflugschar spannte, stieß er um sich mit Macht. Der Herr ward böse, und verschnitt dem Mutwilligen die Hörner. Nun wird er gebändiget sein, sagte er zu seinen Nachbarn; ich habe ihm die Macht zu schaden geraubt. – Tages darauf wollte er ihn vorspannen, und er biß ihn mit seinen mörderischen Voderzähnen. Gut, sagte der Ackersmann, du sollst auch diese verlieren, und schlug ihm die Zähne aus. Aber der Ochs ward dadurch nicht demütiger, denn den dritten Tag, als sich der Herr ihm näherte, stieß er ihn mit der Hüfte zu Boden, und mißhandelte ihn jämmerlich. Das haben wir wohl gewußt, sagten die Nachbarn, der Unbändige schadet, so lange ein Glied an ihm ganz ist.
Die LXXXXVIII. Fabel
Ein hungriger Rabe fand ein Aas auf dem Felde und freuete sich dessen sehr. Er hüpfte für Freuden hin und her, schlug seine Flügel zusammen, und sang mit rauher Stimme so laut, daß der Adler in der Luft sein Geschrei hörte. Was mag dieses bedeuten, dachte der Adler: (2. B. M. c. 32, 18.) Es ist kein Geschrei gegen einander, [88] derer die obliegen, oder derer die unterliegen? Er ließ sich herab, verscheuchte den Raben, und trug das Gewild davon. –
Nun schreiet der Rabe nicht mehr, wenn er ein Fraß findet.
Fll.
Ende des ersten Teils
Nachricht
Das Schreiben des Herrn C. G. Bergmanns an den Verfasser dieser Briefe, welches wir am Ende des neunten Bogens unter unsern Lesern ausgeboten haben, würde gar keine Antwort verdienen, wenn er nicht unter andern auch diese unverschämte Wendung gebraucht hätte: daß in einer Übersetzung von mehr als 500 Seiten, ja wohl drei Fehler sein könnten. Denn auf drei Fehlerchen hat er alles, was in dem vierten Briefe wider ihn erinnert worden, zu reduzieren die Geschicklichkeit gehabt.
Wenn es nun wirklich wahr wäre, daß sein Criticus nur drei Fehler auftreiben können, und daß er auf diese drei Fehler die ganze Arbeit, als die elendeste Übersetzung verworfen hätte: so könnte er leicht die Grobheiten verdient haben, die ihm Bergmann zu sagen für gut befunden. Aus Achtung also gegen diejenigen von unsern Lesern, die nicht selbst Zeit oder Gelegenheit haben, sich von dem Gegenteile zu überzeugen, und deren Vertrauen wir nicht gern verscherzen wollten, müssen wir schon noch einige Seiten aufopfern.
Herr Bergmann trotzt auf den ganzen zweiten Brief seines deutschen Bolingbroke, in welchem man keinen Fehler habe zeigen können. Das ist aber daher gekommen, weil man diesen zweiten Brief nicht gelesen; denn in der Tat wimmelt er von Fehlern. Z.E.
S. 20. Highlanders übersetzt Herr Bermann durchRäuber.
S. 24. Let me explain what I mean, by an example übersetzt B: Lassen Sie mich erklären, was ich durch ein Beispiel verstehe. Es sollte heißen: Lassen Sie mich meine Meinung durch ein Beispiel erläutern.
S. 29. I have recorded these things übersetzt B: Ich habe diese Dinge überlegt. Es sollte heißen, aufgezeichnet.
[89]S. 33. The sentence is pronounced in one case, as it was in the other, too late to correct or recompense, but etc. übersetzt B: Das Urteil wird in einem Falle ausgesprochen, wie in dem andern verborgen zu bleiben, getadelt oder belohnt zu werden etc. Too late;verborgen zu bleiben! Too sieht Bergmann für to an, und late denkt er, muß die Bedeutung des lateinischen latere haben.
S. 44. Bolingbroke redet von den seichten Witzlingen, welche den Einfluß der Geschichte auf die Bildung des Herzens zur Tugend leugnen und darüber spotten. I will spend, fährt er fort, a few paragraphs, with your Lordships leave, to shew that such affirmations, for to affirm amongst these fine men is to reason, either prove too much, or prove nothing. Dieses übersetzt Bergmann: Ich will mit Ew. Gnaden Erlaubnis einige wenige Paragraphen verschwenden, Ihnen zu zeigen, daß solche Bekräftigungen entweder zu viel, oder zu wenig beweisen. Denn dieselben bestätigen, würde unter solchen witzigen Köpfen ein Gewäsche heißen. Ist in dem letzten Perioden ein Funken Menschenverstand?
Auf eben der Seite. If our general characters were determined absolutely, as they are certainly influenced, by our constitutions, and if our particular actions were so by immediate objects etc. Bolingbrok will sagen: daß unser Temperament auf unsern Charakter einen Einfluß habe, ist nicht zu leugnen; wenn aber unser Charakter durch unser Temperament, und unsere besondern Handlungen durch unmittelbare Gegenstände notwendig bestimmt würden etc. Bergmann aber übersetzt: Wenn unser allgemeiner Charakter eben so notwendig bestimmt wäre, so notwendig er durch unsere Leibesbeschaffenheit uns eingeflößt ist; und wenn wir unsere besondere Handlungen durch unmittelbare Gegenstände ausübten etc.
S. 130. These increated essences, a Platonist would say; übersetzt B. Ein Platoniker würde sagen, diese angeschaffene Wesen.
S. 135. They have seldom the skill and the talents necessary to put what they do know well together; übersetzt B: Sie haben selten die Geschicklichkeit und die nötige Gaben, [90] etwas aufzusetzen, was sie sehr wohl im Zusammenhange wissen. Er hätte konstruieren sollen: to put well together, what they do know.
S. 140. Bolingbroke redet von dem, was in den ältesten Jahrbüchern aufgezeichnet worden; und sagt, daß man darin nicht sowohl das, was wirklich aufgezeichnet zu werden verdienet, als vielmehr das, was damals den stärksten Eindruck auf die Gemüter gemacht, aufgezeichnet habe. The few passages of that time, which they retain, are not such as deserved most to be remembered; but such as, being most proportioned to that age, made the strongest impressions on their minds. Nun halte man die kauderwelsche Übersetzung dagegen: Die wenigen Zufälle dieser Zeit sind eben nicht so notwendig, daß sie verdienten angemerkt zu werden, sondern die, welche mit demjenigen Alter am meisten verwandt sind, das den stärksten Eindruck in ihre Gemüter machte.
S. 144. Bolingbroke sagt bei Gelegenheit des Cicero: Pompey, Cato, Brutus, nay himself, the four men of Rome, on whose praises he dwelt with the greatest complacency etc. d.i. bei deren Lobe er sich so ungemein gern verweilte. Bergmann aber sagt gerade das Gegenteil: diese vier Männer, die er so bescheiden erhebt.
S. 147. But this observation, like several others,becomes a reason, for examining and comparing authorities. Bergmann übersetzt: diese Anmerkung aber, nebst verschiedenen andern, gehört für einen Verstand, der den verschiedenen Grund untersuchen, und mit einander vergleichen kann etc. Becomes a reason! Gehört für einen Verstand!
S. 153. Bolingbroke redet von den Gottesgelehrten, und zwar von den rechtschaffensten unter ihnen, und sagt: Now it has been long matter of astonishment, how such persons as these, could take so much silly pains to establish mystery on metaphysics, revelationon philosophy and matters of fact on abstract reasoning. Dieses übersetzt Bergmann, wie sie sich so viel vergebliche Mühe geben können, in die Metaphysik, Geheimnisse; in die Weltweisheit, Offenbarung; und in abgezogne Vernunftschlüsse geschehene Dinge einzuführen. –
Aber wir können es unmöglich länger aushalten, unsinnige [91] Fehler abzuschreiben, und einem Bergmann seine Exercitia zu korrigieren. Man hatte ihm zugleich vorgeworfen, daß er auch nicht einmal drei Worte Lateinisch übersetzen könne, und er versetzt hierauf: Ich kann Ihnen Trotz bieten, mir noch eine lateinische Stelle zu zeigen, von der Sie mit Recht behaupten können, daß ich solche nicht verstanden hätte. Hier ist gleich noch eine, und zwar aus dem nämlichen zweiten Briefe! Bergmann übersetzt nämlich die Worte des Tacitus: Praecipuum munus annalium reor, ne virtutes sileantur, utque pravis dictis factisque ex posteritate et infamia metus sit: Ich halte es für die vornehmste Pflicht der Jahrbücher, daß die Tugenden nicht verschwiegen werden; damit der Nachwelt von schändlichen Reden und Taten und vor der Unehre eine Furcht beigebracht werde. Wo sagt Tacitus: damit? Wo sagt er, daß der Nachwelt Furcht solle beigebracht werden? Und Furcht vor schändlichen Reden und Taten?
Wir wollen mit einem Exempel beschließen, daß Herr Bergmann auch nicht drei französische Worte zu übersetzen wisse. Boileau, wie Bolingbroke anführt, (S. 52) sagt, daß ein guter Schriftsteller lieber nachahmen, als übersetzen, und lieber nacheifern, als nachahmen werde, und nennt dieses jouster contre l'original. Was meint man nun wohl das Bergmann hierunter verstanden habe? Er sieht jouster für ajouter an, und übersetzt in seiner Einfalt: wider den Inhalt der Urschrift hinzusetzen. Kann man sich einen lächerlichern Fehler gedenken? – O, wahrhaftig, mein Herr Bergmann, wenn das ein guter Übersetzer tun soll, so sind Sie der beste von der ganzen Welt! –