Gotthold Ephraim Lessing
Samuel Henzi
Ein Trauerspiel

[Motto]

Ελευτηεριασ, ηεν μεν το εν μερει αρχηεστραι και αρχηειν ηεν δε το ζὲν, ηὸς βουλεται τις

Arist. Resp. Lib. VI.e. 2

[371]

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Henzi. Wernier.

HENZI
kömmt in tiefen Gedanken und wendet sich plötzlich um.
Wer folgt mir? – Liebster Freund, bist dus? – Wen suchst du? – – Mich?
Du folgst mir nach? – – Warum?
WERNIER.
Und warum wunderts dich?
Hat mich nicht Henzi stets mit offnem Arm empfangen?
Nur jetzo fragt er mich, was ich ihm nachgegangen?
Ich sah erstaunt, daß er so früh aufs Rathaus ging,
Sich mit sich selbst besprach, das Haupt zur Erde hing;
Ich sah, daß Zorn und Gram so Blick als Schritt verrieten,
Ob sie der Neugier gleich sich zu entfliehn bemühten.
Der Anblick drang ans Herz – – Was quält den edlen Geist?
Ich floh ihm nach, und seh – –
HENZI.
Was?
WERNIER.
Daß es ihn verdreußt.
Ach! bin ich nicht mehr wert sein Unglück mit zu tragen?
Ist er nicht Freunds genug mirs ungefragt zu sagen?
Hab ichs an ihm verdient, daß er so grausam ist,
Und mir den süßen Weg zu gleichem Gram verschließt?
Bedenke, wie wir da uns brüderlich umfaßten,
Als wir, zu patriotsch, die Hassenswerten haßten,
[371] Als unterdrücktes Recht, als unser Vaterland,
Den zu bescheidnen Mund kühn, doch umsonst, entband.
Bern seufzet noch wie vor. Die Helden sind vertrieben;
Doch ist ihr bester Teil in dir zurück geblieben.
Bern sieht allein auf dich. Bern hofft allein von dir,
Freiheit, und Rach und Wohl. Drum Henzi, gönne mir
Das unermeßne Glück, wenn dich die Nachwelt nennet,
Daß sie mich als den Freund von ihrem Schutzgott kennet.
Wie aber? – – Schweigst du noch? – – Du siehst mich traurig an?
O daß mein schwacher Geist dich nicht erraten kann!
O könnt ich göttlich jetzt in deine Seele blicken,
Und was du mir verhöhlst dir unbewußt entrücken!
O stünde mir dein Geist so frei wie dein Gesicht,
Und schlöß ich dann daraus, was jede Miene spricht!
Ich gäbe, könnt es sein, dein Mißtraun zu bestrafen,
Mein Leben zehnmal hin, dir Ruhe zu verschaffen.
Zu meiner Rache dann erführst du nimmermehr,
Wer dir den Dienst getan, daß ich dein Freund es wär.
Ja, Henzi, könntest du dich nicht erkenntlich zeigen,
Ich weiß, es schmerzte dich, wie mich dein Stilleschweigen.
Erwäge, gestern schon wichst du mir listig aus,
Und flohst, mich nicht zu sehn – – o Gott! – – in Dücrets Haus.
So mußte Dücrets Haus dich von dem Freund befreien?
So hattest du mich mehr, als dieses Haus zu scheuen?
Des Scheusals unsres Staats? Warum nahm Bern ihn ein?
Wird ihm Bern heiliger als Genf und Frankreich sein?
Doch – – du kehrst dich von mir? Du willst mich – – auch nicht sehen.
Freund! – – Henzi! – – noch umsonst? – – Henzi! – – Vergebnes Flehen?
Sprich! Sage was dich quält? Warum beschwer ich dich?
Was suchst du hier so früh? Wie? Du verlässest mich?
Wie? Soll ich dich etwan – – soll ich dich kniend bitten? – –
HENZI.
O Gott! o welcher Kampf! Was hat mein Herz gelitten!
O Freund, dein edler Geist ist größres Glückes wert,
Als, daß zu seiner Pein, er meine Pein erfährt.
[372] Was nutzt mirs, daß mein Freund mit mir gefällig weine?
Nichts, als daß ich in ihm mir zweifach elend scheine.
Frei, fröhlich, ungequält hab ich dir sonst gedeucht;
Denn sich verstellen ist bei kleinen Übeln leicht.
Warum hast du in mich jetzt tiefer blicken müssen,
Und mir der Freudigkeit erborgte Larv entrissen?
O wär es selbst vor mir, wornach du fragst, versteckt!
Liebt ich dich weniger, hätt ich dir mehr entdeckt.
Du weißt es Zeit genug, wenn du es dann wirst wissen,
Wann wir, steht Gott uns bei, die Frucht davon genießen.
O Bern! o Vaterland! – – – doch schon zu viel gesagt!
Freund habe nichts gehört! – – Freund habe nichts gefragt!
Noch warte bis der Tag – – nur dieser Tag vergangen,
Und morgen, liebster Freund – –
WERNIER.
Wär ich für Gram vergangen.
O Bern? O Vaterland? Ja, ja, dein großer Geist,
Für Bern erzeugt, weiß nicht, was mindre Sorge heißt.
Wie selig, Henzi, ists, fürs Vaterland sich grämen,
Und sein verlaßnes Wohl freiwillig auf sich nehmen.
Doch sei nicht ungerecht, und glaube, daß in mir
Auch Schweizer Blut noch fließt, und wirket wie in dir.
Teil deine Last mit mir. Kann ich gleich minder fassen,
So kann ich doch wie du, für Bern mein Leben lassen.
Nicht morgen, heute noch, eröffne mir die Bahn,
Worauf ich unter dir, Bern und dich rächen kann.
HENZI.
O sage nichts von mir. Enterbt von Amt und Ehre,
Ertrüg ich mein Geschick, wanns einzig meines wäre.
Wär jedes Amt im Staat mit einem Mann bestellt,
Der dienen kann und will; ich spräch als jener Held:
Glückselig Vaterland! du kannst mich nicht versorgen,
Der Helden sind zu viel; und bliebe gern verborgen.
Allein, wann Eigennutz den kühnen Rat belebt;
Und wann den Grund des Staats die Herrschsucht untergräbt;
Wann die das Volk gewählt zu seiner Freiheit Stützen,
Den anvertrauten Rang gleich strengen Szeptern nützen;
Wann Freundschaft statt Verdienst, wann Blut für Würde gilt;
[373] Wann der gemeine Schatz des Geizes Beutel füllt;
Wann man des Staates Flehn, der sie aus Gunst erkoren,
Der nur aus Nachsicht fleht, empfängt mit tauben Ohren;
Wann wer der Freiheit sich das Wort zu reden traut,
Zum Lohn für seine Müh ein schimpflich Elend baut;
Freiheit! wann uns von dir, du aller Tugend Same,
Du aller Laster Gift, nichts bleibet als der Name:
Und dann mein weichlich Herz gerechten Zorn nicht hört,
So bin ich meines Bluts – – ich bin des Tags nicht wert.
WERNIER.
Jetzt redte Henzi! Freund, ich fühl es, was er sagte.
O wer gleich Bruto denkt, sich auch gleich Bruto wagte.
Freund, du verstehst mich schon. Doch, sieh hier meine Faust!
Gönn ihr den süßen Stoß, wann du vor Blut dich graust.
Glaub mir, noch heute kann ich hundert Brüder finden,
Wann du – – wann Henzi nur sich will mit uns verbinden.
Du weißt, was jetzt den Rat mit bangen Warten quält.
Vielleicht, daß dieser Streich geschwind und glücklich fällt.
Vielleicht, daß das Geschick, das noch den Wütrich stützet,
Zum Wohl des Vaterlands verschworne Helden schützet.
Denn noch ist nichts entdeckt, als was ein dunkles Blatt
Von Mannschaft und Gewehr kaum halb verraten hat.
So bald man Freiheit! Bern! als ihre Lösung höret,
Muß ich der erste sein, der das Geschrei vermehret.
O hört ichs heute noch! Und Henzi rief mit mir!
Und Bern wär heut noch frei, und frei gehorcht es dir!
Warum kenn ich sie nicht, und trage gleiche Bürde,
Daß mir des Staates Wohl wie ihnen sauer würde,
Daß ich auch einst mit Ruhm zun Kindern sagen kann:
»So sauer ward es mir! mein Leben wagt ich dran,
Daß ich euch, mein Geschlecht, als Freie könnte küssen.
Seid stark, und laßt dies Glück auch euer Kind genießen.«
HENZI.
Du willst sie kennen?
WERNIER.
Ja.
HENZI.
So kenn sie dann in mir!
WERNIER.
O redte Henzi wahr!
HENZI.
Kenn sie in mir!
WERNIER.
In dir?
[374] Und hast mir nichts gesagt? Mußt ich in deinen Augen
Der Freiheit sonst zu nichts, als sie zu wünschen taugen?
Freund, ungerechter Freund! – – Doch ich vergeß es schon,
Du hast mirs noch entdeckt. Freund hier nimm deinen Lohn!

Er umarmt ihn.

Doch eile, lehre mich, wer? wo sind deine Glieder?
Sind sie des Hauptes wert? Sinds meiner würdge Brüder?
Wie weit ists? Ist ihr Zweck mehr als Bern zu befrein?
Doch, du regierst das Werk, wie kanns zu tadeln sein?
Vergib dem ekeln Stolz, der gern nichts wagen möchte,
Als was ihm Ruhm und Bern die alte Hoheit brächte.
HENZI.
Besorge nichts, auch uns ist nicht die Ehre feil.
Auch unser Endzweck ist nichts Schlechters, als Berns Heil.
Der Gott des Vaterlands, der unsern Schwur vernommen,
Von dem, von dem allein uns Glück und Sieg muß kommen,
Der dreimal mächtge Gott straf uns, und unser Kind,
Wann sein allsehend Aug uns eigennützig findt;
Wann wir die Tyrannei nur darum rächen wollen,
Daß unsre Brüder sie in uns vertauschen sollen;
Wann nach vollbrachter Tat – – doch so weit komm es nie,
Sind wir so rasend frech, dann mehr zu sein als sie.
Fuetter, Richard, Wyß, die ehrenvollen Namen,
Der unverfälschte Rest vom freien Schweizer Samen,
Die weder Stand noch Glück zum Pöbel niederdrückt,
Den Freiheit kaum so lang, als sie neu ist entzückt,
Die sinds, und andre mehr, die heut im Rat es wagen,
Den ungerechten Dienst ihm drohend aufzusagen.
Sieh! darum bin ich hier. Ich führ für sie das Wort – –
WERNIER.
Und morgen zieht ihr dann aus Bern vertrieben fort.
Wie? mehr vermögt ihr nicht? Ohnmächtiges Beschwören!
Euch, nur im Drohen stark, wird keine Otter hören!
Ja führe nur das Wort! donnre wie Cicero.
Du weißt es wie er starb, vielleicht stirbst du auch so.
Den Wütrichen das Recht keck unter Augen setzen,
Gibt unglückselgen Stoff, daß sies nur mehr verletzen.
Besinn dich, wie es ging, nun ists das fünfte Jahr – –
Nein, wenn der Nachdruck fehlt, so unterlaßts nur gar.
HENZI.
Auch diesen haben wir. Bewehrt zum nahen Streite
[375] Steht uns bei Tausenden das Landvolk treu zur Seite.
Fuetter wacht am Tor, und läßt es heut noch ein;
Denn länger als den Tag, soll Bern nicht dienstbar sein.
Ich selbst kann tausend Mann mit Flint und Schwerd bewehren,
Die bei dem ersten Sturm sich mutig zu uns kehren.
Und zweifelst du, wann uns der Ausbruch nur gelingt,
Daß nicht Berns bester Teil zu unsrer Fahne dringt?
Doch alles wird man eh, als dieses Äußre wagen.
Den Fleck des Bürgerbluts kann kein Schwerd rühmlich tragen.
Drum wollte Gott, der Rat vernähm uns heute noch!
Denn heute noch ists Zeit, und linderte sein Joch,
Und gönnte sich den Ruhm, der keinen König zieret,
Daß er ein freies Volk durch freie Wahl regieret.
Dies macht Regenten groß, kein angemaßtes Recht,
Kein Menschen ähnlich Heer, von Gott verdammt zum Knecht.
Freund, kann es möglich sein, daß die sich glücklich schätzen,
Die unverschämt sich selbst an Gottes Stelle setzen?
Daß der vor Scham nicht stirbt, der überzeugt kann sein,
Kein Herz räum ihm die Ehr, die er sich raubet, ein?
WERNIER.
So weit denkt kein Tyrann. Er schätzt sich gnug verehret,
Wann sich ein scheuer Blick vor ihm zur Erde kehret.
Doch, welche Lust, o Freund, erfüllt mein bebend Herz,
Empfindbar dem allein, der mit gerechtem Schmerz
Für Bern in Tränen floß, und flehte Gottes Rechte,
Daß sie uns einen Held zum Rächer rüsten möchte.
Hier steht er dann in dir. Aus Ehrfurcht nenn ich dich
Nun nicht mehr meinen Freund.
HENZI.
Freund, so beschämst du mich?
WERNIER.
Nun wohl, komm, eile dann, den Helden mich zu zeigen.
Wo sind sie? – Komm! – Du bleibst? – Du schweigst? – Was sagt das Schweigen?
[376]
HENZI.
Freund dies verlange nicht.
WERNIER.
Wie? Komm doch! Soll ich nun
Den Schwur, den sie getan, nicht dir und ihnen tun?
HENZI.
Ich trau dir ohne Schwur.
WERNIER.
Allein ich will sie sehen.
HENZI.
Du wirst, wenn du sie siehst, erzürnt von ihnen gehen.
WERNIER.
Fuetter, Richard, Wyß – – die solltens, sprachst du, sein.
Sind sie es nicht?
HENZI.
Sie sinds, doch sind sies nicht allein.
Es hat ein Ungeheur sich unter uns gedrungen,
Der flüchtge Rottengeist, verflucht von tausend Zungen,
Und nach Verdienst verflucht; den nicht die Sorg um Staat,
Den Rach und Grausamkeit uns zugeführet hat;
Der die Tyrannen haßt, nur um Blut zu vergießen,
Und den, o hart Geschick, wir doch erhalten müssen.
Sieh! das macht meinen Gram. Ich scheu den tollen Geist,
Der uns vielleicht mit sich in sein Verderben reißt.
WERNIER.
Wer ists?
HENZI.
Er, der wohin er kam die Ruhe störte,
Der jüngst mit frecher Stirn dein Kind zur Eh begehrte.
WERNIER.
Wer? Dücret?
HENZI.
Eben der.
WERNIER.
Der ehrenlose Mann?
Was geht Fremdlingen Bern, und unsre Freiheit an?
O speit ihn aus von euch! daß er die beste Sache,
Die besten Bürger nicht durch sich verdächtig mache.
O speit ihn aus von euch! Nehmt mich an seine Statt,
Der mindre Bosheit zwar, doch gleiche Kühnheit hat.
Wer wird sich lieber nicht zur Sklaverei bequemen,
Wenn er die Freiheit soll von Dücrets Händen nehmen?
O heute stoßt ihn noch – –
HENZI.
Und so verlangst du wohl,
Daß er uns heute noch mit Bern verraten soll?
Sonst wär es längst geschehn – –
WERNIER.
O dem ist vorzubeugen.
[377] Mein Arm lehrt ihn geschwind ein ewig Stilleschweigen.
HENZI.
Nur gleich getötet! Freund, wenn wir selbst uneins sind – –
Doch, hör ich recht? Er kömmt. Verlaß mich! Geh! Geschwind!
Ich hab ihn her bestellt. Ich will dich wieder finden.
Geh! und laß deinen Zorn die Klugheit überwinden.
2. Auftritt
Andrer Auftritt
Henzi. Dücret.

HENZI.
Er hat ihn doch gesehn.
DÜCRET.
Ha! alles steht uns bei.
Hat Henzi Mut genug, so sind wir morgen frei.
HENZI.
Ein Geist wie du, hat stets die Vorsicht ausgeschlagen.
Was wüßtest du auch mehr, als tollkühn dich zu wagen?
An Mute fehlt mirs nicht. Doch an Bedacht fehlts dir.
DÜCRET.
O an Bedacht! Doch sprich, war Wernier nicht hier?
Vertraust du dich dem auch?
HENZI.
Kann ich mich dir vertrauen,
So kann ich doch wohl auch auf einen Berner bauen.
DÜCRET.
Trau, Henzi, traue nur, bis du verraten bist.
Was hilfts ein Berner sein, wenn man ein Sklave ist?
Ich kenn ihn mehr als du. Er ist dem Rat gewogen,
Sonst hätt er längst mit mir ein festes Band vollzogen.
Warum nimmt er mich nicht zu seinem Tochtermann?
Weil er den Feind des Rats in mir nicht lieben kann.
Denn so klein bin ich nicht, daß eine tolle Liebe
Den Haß der Tyrannei aus meiner Brust vertriebe.
Er hebt vielleicht sein Kind für einen Ratsherrn auf – –
HENZI.
O laß der frechen Zung nicht allzusehr den Lauf.
Scheu mich in ihm. Er ist mein Freund.
DÜCRET.
Das kann man hören,
Die Wahrheit würdst du mir sonst nicht zu sagen wehren.
HENZI.
Er haßt den Rat und dich. Nur haßt er dich noch mehr.
Doch schweig davon – – Kommt bald Wyß und Fuetter her?
[378] Ich habe vieles noch mit ihnen zu beschließen – –
DÜCRET.
So wird auch dieser Tag wohl ungebraucht verfließen.
Es ist gnug überlegt. Wag was man wagen muß,
Und kröne durch die Tat des langen Zauderns Schluß.
Komm mit mir aus der Stadt, das Landvolk zu verstärken,
Und zeige dich die Nacht mit blutgen Wunderwerken.
Erschrecke, morde, brenn, vertilge Kind und Haus,
Und lösch mit Feur und Schwerd Berns Schimpf und Knechtschaft aus.
Du schütterst? – – Feiger Mann – –
HENZI.
Nur feig zu Grausamkeiten.
Geh, Untier, deine Wut soll mich vom Recht nicht leiten.
Weißt du, ob Gott nicht selbst an unsre Freiheit denkt,
Er, der der Großen Herz wie Wasserbäche lenkt,
Daß sich der harte Rat auf unser Flehn erweichet,
Und dann am größten wird, wann er dem Bürger gleichet?
Verdienen sie den Tod, so hat Gott seinen Blitz.
DÜCRET.
Auf so was Kleines sieht er nicht vom hohen Sitz.
Er hat von Sorgen frei, Tyrannen zu bestrafen,
Empfindlichkeit und Wut und Stahl und Faust erschaffen.
HENZI.
Schweig Lästrer! Ich erweis an dir sonst mit der Tat
Warum er, was du nennst, allein erschaffen hat.
Bist du nicht hassenswert?
DÜCRET.
Nun wohl, man mag mich hassen,
Darf sich mein freier Geist nur nicht gebieten lassen.
Ich bin schadlos genug. Sei du die Lust der Welt,
Und dien, gerechter Mann, so lang es dir gefällt.
HENZI.
Fein höhnisch! Dienst du nicht, wenn du den Lastern dienest?
DÜCRET.
Wie lehrreich! Dienst du nicht, wenn du dich nichts erkühnest?
Was soll dir dann die Macht?
HENZI.
Durch sie Bern zu befrein,
Den Rat zu nötigen, groß und gerecht zu sein.
Er bleibe, was er ist, wann er uns nicht mehr drücket,
Wann Dienst und Regiment zum gleichen Teil beglücket,
Wann er als seinen Herrn erkennt das Vaterland
Und ist nur, was er ist, des Volkes Mund und Hand.
[379] Wie gern wird Bern alsdann in ihm sich selber lieben – –
DÜCRET.
Und er die Tyrannei nur etwas feiner üben.
Du hast Verstand genug zu einem Rädelsmann,
Doch Tugend allzuviel.
HENZI.
Die man nie haben kann.
DÜCRET.
Wer ist je ohne Blut der Freiheit Rächer worden?
Wer sich zu dienen scheut, der scheu sich nicht zu morden.
Die Not heißt alles gut. Sie hebt das Laster auf;
Und bald wirds Tugend sein, folgt Glück und Sieg nur drauf.
Wer Unkraut tilgen will, darf der die Wurzel schonen?
Sie wird die gütge Hand mit neuer Mühe lohnen.
Drum soll die Nachwelt auch durch uns geborgen sein,
Und wollen wir in uns auch unser Kind befrein,
So muß die Tyrannei und der Tyrann erliegen,
Denn nur durch dessen Tod ist jene zu besiegen.
So denkt Fuetter, Wyß, so denkt Richard und ich,
Und deine Gütigkeit scheint allen hinderlich.
Sieh, Henzi, dieses Blatt läßt dir die Namen wissen,
Die alle diese Nacht durch uns erkalten müssen.
Nimm. Lies es. Folget mir, geht heute nicht in Rat;
Weil er ohndem Verdacht, ob gleich auf uns nicht, hat.
Lies nur, doch laß dich nicht der Namen Menge schrecken.
Ihr schneller Tod wird uns die Freiheit auferwecken.
Was wagt man – –
HENZI
lieset.
Steiger? Wie? Der soll der erste sein?
Der Redlichste des Rats? Das geh ich nimmer ein.
Soll das gerechte Haupt der Glieder Frevel büßen?
Ihn hat Freundschaft und Blut dem Vaterland entrissen.
Er kann Berns Vater sein. Bern seufzet noch um ihn.
Drum laß uns ihn dem Schimpf, sein Herr zu sein, entziehn.
DÜCRET.
Wohl! durch den Tod.
HENZI
zerreißt das Blatt.
Da nimm die unglückselge Rolle
Und sage deiner Brut – – –
DÜCRET.
Daß Henzi dienen wolle?
Daß ihm des Feindes Blut wie seines kostbar ist?
Daß er des Staates Wohl um Steigers Wohl vergißt?
HENZI.
Ja Rasender!

Geht zornig ab.

[380]
3. Auftritt
Dritter Auftritt
DÜCRET.
Er geht? Henzi! Henzi! Verräter!
Ha! deiner Weichlichkeit schein ich ein Missetäter?
Wer? Steiger? Steiger findt an Henzi seinen Freund?
Er soll dem Tod entfliehn? Er? Mein geschworner Feind?
Aus Rache gegen ihn hat Dücret sich verschworen – –
Und sollt er Henzis Brust mit ihm zugleich durchbohren – –
Die Rache sei vollführt! Und weh dem Hindernis!
Ha! Steiger! nur Geduld! die Rach ist allzu süß.

Geht ab.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Dücret, Fuetter, Richard, Wyß.

DÜCRET.
Kommt Freunde! Uns vereint gemeinschaftliche Rache.
Kämpft, wenn ihr kämpft, für Bern, doch auch für eure Sache.
Der Tag ist endlich da. Und – – wär er schon vorbei!
Und stürzte Nacht und Tod die lange Tyrannei!
Ich seh gerechte Scham durch eure Wangen dringen.
Doch kann die Scham allein die Freiheit wieder bringen?

Fuetter sieht ihn zornig an.

So! zeiget allgemach des Zornes edle Spur!
FUETTER.
Schweig! diesen edlen Zorn reizt deine Frechheit nur.
Wahr ists; wir schämen uns der ungeerbten Ketten,
Doch schämen wir uns mehr, mit Schimpf uns zu erretten.
Des unterdrückten Staats großmütge Rächer sein;
Sich für das Vaterland, und nicht für sich, befrein;
Verwegne Richter nur, nicht das Gericht abschaffen;
Den Mißbrauch ihres Amts, und nicht ihr Amt zu strafen,
Ist ein zu heilig Werk, als daß ein Geist wie du,
Voll Rach und Eigennutz, ein Feind gemeiner Ruh,
[381] Ein Fremdling, der sich uns nur schrecklich sucht zu machen,
Es würdig unternähm –
DÜCRET.
Dein Stolz ist zu verlachen.
Denn gleichwohl braucht ihr mich.
FUETTER.
So braucht ein Arzt das Gift,
Das außer seiner Hand nur hämsche Morde stift.
DÜCRET.
Das Gleichnis ist gewählt! Auch Henzi würd es loben,
Der nur von Tugend träumt und läßt Tyrannen toben.
Doch lieber sprich mit Ernst, als oratorisch schön,
Den Helden minder gleich, die auf der Bühne stehn,
Und auf des Sittenspruchs geborgte Stelzen steigen,
Dem Volk die Tugenden im falschen Licht zu zeigen.
Sprich ungekünstelt! Sprich! Was habt ihr bis anitzt
Der Freiheit eures Berns, auf das ihr trotzt, genützt?
Hab ich das Schwerste nicht stets auf mich nehmen müssen?
Denn ihr könnt weiter nichts, als raten, zweifeln, schließen,
So tugendhaft ihr seid, so durstig nach der Ehr;
Und eine Heldentat erfordert etwas mehr.
Hab ich das Landvolk nicht zu unserm Zweck gelenket?
Hat euch nicht meine List manch mächtig Glied geschenket?
Vielleicht wär euer Mut zwar ohne mich gleich groß,
Doch wär er ohne mich, zum mindsten, waffenlos.
Zur Kühnheit in der Brust gehört auch Stahl in Händen,
Was dem entflieht muß dann ein donnernd Rohr vollenden.
Geht! schickt den kühnsten Held ohn dieses in den Streit
Die Feigheit zielt; er fällt. O weibisch tapfre Zeit!
Jedoch, was brauch ich viel zu meinem Ruhm zu sagen?
Wer seine Taten rühmt, will keine größern wagen.
Nur darum seht ihr mich mit neidschem Hochmut an,
Daß ich kein Bürger bin, doch mehr als er getan.
Ein großes Herz muß sich an keinen Undank kehren.
Beschimpfet ihr mich gleich, und wünscht mich zu entbehren,
Und nennt mich eures Ruhms gewisses Hindernis;
Die Strafe wär zu hart, wann Dücret euch verließ.
Er kennet seinen Wert. O möchtet ihr ihn kennen,
Und ihm der Treue Lohn, euch zu erretten, gönnen.
Für alle seine Müh, für alle die Gefahr,
Verlangt er statt des Danks: man stell ihn größrer dar.
[382] Für Bern und seinen Schwur wünscht er Glück, Blut und Leben,
Ja, dem dies alles weicht, die Tugend aufzugeben.
Sie, die nur allzu oft den ihr geweihten Geist,
Von großen Taten ab, zu kleinen Skrupeln reißt;
Die selten Helden schafft, doch öfters sie ersticket,
Noch eh der kühnen Faust ein nützlich Laster glücket;
Die sich für Blut entsetzt, auch wann es büßend fließt,
Und der ein Heldenmord die größte Schandtat ist:
Die opfr ich für euch auf. Was ihr abscheulich schätzet,
Das überlaßt nur mir, der sich für nichts entsetzet.
Folgt mir. Geht nicht in Rat; und spart euch auf die Nacht,
Eh das verlangte Recht euch ihm verdächtig macht.
Was sollen Recht und Flehn bei einem Wütrich nützen,
Der seine Laster muß mit neuen Lastern stützen?
Gnug, daß er unbereut, zum Sterben unbeschickt,
Sein Unrecht und den Tod in einem Nu erblickt.
WYSS.
Wahr ists; wir sind der Welt ein strafend Beispiel schuldig.
Man dient schon halb mit Recht, murrt man bloß ungeduldig,
Wagt sich die feige Faust selbst an den Fessel nicht,
Der, wann er brechen soll, mit Blut gebeizt nur bricht.
Laßt, Freunde, länger nicht euch einen Fremdling treiben,
Und in des Mietlings Hand des Staates Wohlfahrt bleiben,
Sein Beispiel schimpfet uns – –
DÜCRET.
Zwar ist der Schimpf sehr klein,
Doch, möcht er euch ein Sporn, mich so zu schimpfen sein!
RICHARD.
Schweig Dücret! Gnug, wir sind aus unserm Schlaf erwachet.
Zorn, Rach und Wut entbrennt. Du hast sie angefachet.
Dein Ruhm ist Neides wert; und dieser gnüge dir.
Des Werkes schwerern Teil, den übernehmen wir.
Von uns, von uns nur will sich Bern befreien lassen.
Steh ab! Es möchte dich statt alles Dankes hassen.
Wir sind uns selbst genug. Es zeige diese Nacht,
Ob uns die Tugend nur zu feigen Bürgern macht;
Ob sie das Rachschwerd nie in fromme Hände fasset,
Ob sie des Wütrichs flucht und seinen Tod doch hasset.
[383] Ihr wißt es, Blut und Glück verbindet mich dem Rat.
Doch Blut und Glück gehört zu allererst dem Staat.
Sein Wink, sein Wohl sei uns die heiligste der Pflichten,
Und soll man Faust und Stahl auf einen Vater richten.
Umsonst hegt ein Tyrann mit mir verwandtes Blut;
Ich tue das an ihm, was er am Staate tut;
Er unterdrückt sein Recht; ich will sein Blut verspritzen.
Flieht von entheiligten, sonst frommen Richtersitzen!
Kommt, Wyß, Fuetter, kommt!
FUETTER.
Wohin erhitztes Paar?
RICHARD.
Wohin die Freiheit ruft; in rühmliche Gefahr.
Kommt, lasset nur den Rat noch heute sicher wüten,
Des künftgen Morgens Glück soll alles froh vergüten.
FUETTER.
Hat Dücret doch gesiegt? Und werdet ihr ihm gleich?
Pflanzt er durch grobe List auch seine Wut in euch?
Ihr seid des Haupts nicht wert, das uns der Himmel schenket,
Das nur auf Freiheit sinnt, da ihr nur Rache denket.
Euch kennet Henzi nicht; und euch verkenn auch ich.
Nennt mich nicht euer Glied, dies Bündnis schimpfte mich.
Geht! raset, mordet nur, und stürzet eure Brüder,
Sind es Tyrannen gleich, mit samt dem Staate nieder!
Doch wißt, ich werd es sein, der euch dem Rat entdeckt,
Und eurer blinden Wut gewißre Grenzen steckt.
Der Staat versprach in euch sich edle freie Bürger,
Und findet im voraus leichtsinnge Brüder Würger?
Welch Bubenstück, hebt ihr die Freiheit also an,
Ist schrecklich gnug, das er von euch nicht fürchten kann?
Nein, ewig drücke den der Knechtschaft Schand und Bürde,
Der seine Freiheit nur zu Lastern brauchen würde.
O Freiheit, welcher Schimpf! o Henzi, welche Qual
Steht deiner Tugend vor – –
DÜCRET.
Spar auf ein andermal
Sein unschmackhaftes Lob. Vielleicht wirds bald geschehen,
Daß ihr ihn unverlarvt, wie ich ihn sah, könnt sehen.
Geschicht es nicht zu spät, so dankt es einzig mir.
Du drohst uns mit Verrat, doch – – zittre selbst dafür!
Vielleicht – – ich zweifle nicht – – Wir sind wohl schon verraten.
[384]
FUETTER.
Ha! Einem Dücret träumt von lauter Missetaten.
Geh nur! steck andere mit deinem Mißtraun an.
Wer täte so was? – – Doch, vielleicht hast dus getan?
Du nur – –
DÜCRET.
Ist das mein Dank, wann ich euch hinterbringe,
Daß Steiger selbst vielleicht in eur Geheimnis dringe?
Daß ein treuloses Glied den schweren Schwur verlacht,
Und Mitgenossen sich, die ihr nicht kennet, macht;
Daß es mit jedermann den großen Vorsatz teilet,
Der schon von Haus zu Haus, von Ohr zu Ohren eilet;
Daß es der Strafe trotzt, die es auf den Verrat
Mit euch selbst festgesetzt, mit euch beschworen hat.
RICHARD.
Er trotzt der Strafe? Wie? Wer ists? Du mußt ihn nennen.
Es soll nur eines sein, ihn töten und ihn kennen.
Er soll dem Himmel eh, als unsrer Straf entfliehn.
Wer ist es?
FUETTER.
Wer?
WYSS.
Wer ists?
DÜCRET.
Hier kömmt er! strafet ihn!

Geht ab.
2. Auftritt
Andrer Auftritt
Henzi. Fuetter. Richard. Wyß.

HENZI.
Bin ich noch euer Freund? – – Bestürzt euch diese Frage,
So gönnt mir, daß ich euch als Freund die Wahrheit sage.
Der große Tag ist da, der Bern und euer Wohl,
Mit Bitten oder Macht, stets billig, richten soll.
Doch wünsch ich blieb er nur so lange noch entfernet,
Bis ihr was Tugend sei, was eure Pflicht, gelernet.
Noch kennt ihr beides nicht. Und wünschet frei zu sein?
Wißt, Pflicht und Tugend nur muß dieses Glück verleihn.
Ein Lasterhafter kann zwar ohne Herrscher leben,
Stolz ohne Ketten gehn, vor keinem Richtstuhl beben;
Doch alles dieses ist der Freiheit kleinster Teil.
[385] Nur gleichgeteilte Sorg um das gemeine Heil;
Nur fromme Sicherheit, rechtschaffen ungezwungen,
Nicht unbelohnt zu sein, und nie zur Lehr gedrungen,
Der Wahrheit die man fühlt, nicht die der Priester sehn,
Und für uns sehen will, freimütig nachzugehn;
Nur unverfälschtes Recht, wenn ärmre Bürger bitten;
Nur ungestörte Wahl gleichgültger Mod' und Sitten;
Nur unbeschimpfte Müh, die nicht, statt Lohns Genuß,
Der Großen faulen Bauch mit sich ernähren muß;
Nur schmeichelhafte Pflicht fürs Vaterland zu streiten,
Statt eines Königes herrschsüchtgen Eitelkeiten,
Um die ein rasend Schwerd eh tausend Bürger frißt,
Als er ein einzig Wort in seinem Titel mißt:
Nur dieses, Freunde, macht der Freiheit schätzbar Wesen,
Für die schon mancher Held den süßen Tod erlesen.
Sagt denn ob man bei ihr die Tugend missen kann,
Die ihr so kühn verletzt, als kühner kein Tyrann?
Ist denn der Blutdurst auch zu einer Tugend worden?
Und ist es Bürgerpflicht, die Bürger zu ermorden?
Ein Vorsatz gleicher Art steht nur Rebellen an.
Seid ihr Rebellen? Wohl! Geht sucht euch euren Mann.
Für Helden hielt ich euch, die für den Riß sich stellen,
Von diesen ward ich Haupt, und kein Haupt von Rebellen.
RICHARD
spöttisch.
Gewiß ein feiner Griff! hört und bewundert ihn!
Daß man Vorwürfe macht, Vorwürfen zu entfliehn.
Ist denn die Untreu auch zu einer Tugend worden?
Welch Laster ziert uns mehr, verraten oder morden?
HENZI.
Was sagst du? – – Solchen Spott verstehet Henzi nicht.
Ich hör es allzuwohl, daß Dücret aus euch spricht.
Wars ihm noch nicht genug, ins Laster euch zu stürzen?
Müßt ihr, auf seinen Trieb, auch Henzis Ehre kürzen?
Scheint der, der für sich nichts, und alles für den Staat,
Und eure Rechte tut, euch fähig zum Verrat?
Wie? oder ist bei euch, wer sich ein Missetäter
Zu werden scheut – – ist der so gleich auch ein Verräter?
Noch reuet mich es nicht, was ich im Zorn getan.
Der Zorn war tugendhaft. Er stünd euch allen an.
[386]
Die unglückselge Roll riß ich in hundert Stücken.
O möcht ein Gleiches mir mit euren Herzen glücken!
Riß ich die Wut heraus, noch eh sie Wurzel schlägt,
Noch weil der seichte Geist der Menschheit Spuren hegt.
Jedoch auch die sind hin. Sonst würdet ihr erblassen,
Und nicht den, der euch straft, das was er strafet hassen.
Wann eure Wut nur Blut, nur Blut der Bürger sucht,
So sucht nur meines erst, der sie und euch verflucht.
Eh Steiger sterben soll – –
FUETTER.
Was Rolle? Steiger? Sterben? –
Versteht ihr was hiervon?
WYSS.
Genug uns zu verderben.
Welch schrecklicher Verdacht dringt mit Gewalt in mich.
Je mehr ich ihn bestreit, je mehr bestärkt er sich.
Hört ihr, wie Steiger ihm so sehr am Herze lieget – –
FUETTER.
Wie? Zweifl' ich länger noch, ob er, ob Dücret trieget?
Nein, deine Tugend, Freund, zerstreuet den Verdacht;
Dein Herz ward uns zum Glück, nicht zum Verrat gemacht.
Man malt die Unschuld oft in fürchterlichen Zügen.
Wo nichts zu tadeln ist, ist dennoch Stoff zum Lügen.
Allein erkläre dich. Wer dürst nach Bürger Blut?
Wir deine –?
HENZI.
Gütger Gott! So schöpf ich wieder Mut?
So find ich noch in euch die tugendhaften Freunde?
Des Lasters Feinde zwar, doch stets menschliche Feinde.
So war es Dücret nur, der mit verfluchter Hand
Die blutgen Urtel schrieb, die mich auf euch entbrannt?
So hab ich Steigers mich vergebens angenommen? – – –
Mein Zorn verlöscht so schnell, so schnell er erst entglommen.
Erkennet nun, wie wert mir eure Tugend ist,
Erkennt es, und verzeiht – –
FUETTER.
Ha! welche Teufels List!
O Freunde! ließen wir so schimpflich uns betriegen? – –
Doch wie? – – Zorn und Verdacht scheint noch in euch zu siegen?
Seid ihr noch nicht gewiß, daß Dücret Zwietracht spinnt,
Daß Henzi redlich ist, daß wir verraten sind?
[387]
RICHARD.
Nicht der, des böser Sinn am Unglück sich ergötzet,
Der Redlichkeit und Wort für nichts als Worte schätzet,
Nicht der allein verrät, auch der, dem Pflicht und Freund
Auf seine Heimlichkeit ein Recht zu haben scheint,
Der aus blöder Begier sich alle zu verbinden,
Auch alle läßt den Weg uns zu verderben finden.
HENZI.
Genug! ich höre schon, worauf dein Eifer geht.
Wahr ists, ich war zu schwach. Ein Freund hat mich erfleht.
Ich hab ihm unsern Zweck – –
FUETTER.
Du hast – –
WYSS.
O Lastertaten!
HENZI.
Hört mich!
RICHARD.
Wir hörens schon. Wir sind – –
WYSS.
Wir sind verraten!
FUETTER.
So hast du Wort und Schwur – –
HENZI.
Die hab ich nicht verletzt,
Weil ihr dies neue Glied selbst eurer würdig schätzt.
Ein Mann, von alter Treu, in Glück und Sturm geübet,
Der nur die Tugend mehr als seine Freiheit liebet,
Sonst alles für sie wagt, und für euch wagen wird – –
FUETTER.
Ja, wenn im Urteil sich die Freundschaft nie geirrt,
So wär dein Fehl vielleicht – –
WYSS.
Kannst du ihn noch vertreten?
HENZI.
Wer so wie ich gefehlt, Freund, hat es nicht vonnöten.
WYSS.
Wie? Nicht vonnöten? Ei! du tugendhafter Mann,
Der schlechter als ein Weib den Mund regieren kann!
Verführer, was wirst du uns noch bereden wollen,
Wann du verraten willst, und wir nicht murren sollen?
»Ein Freund hat mich erfleht!« O träfe der Verrat,
Nur unser Glücke mehr und weniger den Staat,
So könnte noch dein Blut für deinen Frevel büßen,
So wär er größer nicht, als wir die Strafe wissen.
Doch einem Feind des Staats wär dies mehr Gnad als Pein,
Ein Leben voller Schimpf muß seine Strafe sein.
Die Enkel werden dich noch mit Entsetzen nennen,
Für deren Freiheit wir nun nichts als sterben können.
Denn wer steht uns dafür, daß dein unwürdger Freund,
Kein gleicher Schwätzer ist, daß er es treuer meint?
[388]
HENZI.
Er selber steht dafür! Jedoch, ich seh ihn kommen,
Und eurem Vorwurf ist zugleich die Kraft benommen.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Wernier und die Vorigen.

FUETTER, RICHARD, WYSS zugleich, voller Erstaunen.

Wie? Wernier?


Sie umarmen ihn.

HENZI.
Wie nun? Umarmt ihr euren Feind?
Was ändert euch so schnell? Flieht ihn! Er ist mein Freund!
Flieht ihn, er ist wie ich ein Schwätzer und Verräter,
Ein Feind des freien Staats, ein Schaum der Übeltäter!
Flieht ihn! Er ist mein Freund; wie wär er tugendhaft?
WYSS.
O Henzi, quäl uns nicht, wir sind genug gestraft!
Die Tugend haben wir in dir und ihm gekränket.
RICHARD.
Sieh, wie man irren kann, wenn man zu eifern denket.
Das Feuer riß uns hin, und mit sich selbst entzweit,
Sieht allezeit die Furcht, was sie zu sehen scheut etc.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Lessing, Gotthold Ephraim. Dramenfragmente. Samuel Henzi. Samuel Henzi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-EA90-2