Gesang der Blinden

Horch, aus tiefstem Lebensabgrund,
Drin kein Lichtstrahl je hinabtaucht,
Sucht die Stimme frommer Blinden
Aufzutönen
Nach dem Schönen,
Im Gesang ein Licht zu finden.
Klaglos in der dunklen Wohnung,
Wo kein Bild die kahle Wand schmückt,
Träumen sie hinab die Stunden,
Still genügsam,
Fromm und fügsam
Und in Eintracht gramverbunden.
Lichtlos sitzen sie beim Nachtmahl,
Wie die Schatten in der Grabnacht.
[71]
Keiner Lampe trautes Leuchten
Kann der Kranken
Nachtgedanken
Mit der Hoffnung Tau befeuchten.
Niemals können sie sich selig
Blick in Blick und liebend ansehn;
Nur im Hauch, nur im Berühren
Nahen süße
Seelengrüße,
Wenn sie Hand an Hand sich führen.
Steigt vor ihrem Geist die Schöpfung
Als ein Tönemeteor auf,
Schmerzlich ringen sie nach Bildern,
Ihr Entzücken
Auszudrücken,
Ewiges im Wort zu schildern.
Wie ein Sturm der Nacht durchatmet's
Ihre Brust in wilder Andacht,
Drängt ihr Herz, ein Wonnetoben
Auszuweinen
Vor dem Einen,
Den auch Sterne tönend loben.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Lingg, Hermann von. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. 4. Vermischte Gedichte. Gesang der Blinden. Gesang der Blinden. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-F1D6-F