Imre Madách
Die Tragödie des Menschen
Dramatische Dichtung

1. Scene

[3] Erste Scene.

Im Himmel. Der Herr mit Glorienschein umgeben auf seinem Throne Knieende Engelscharen. Die vier Erzengel stehen neben dem Throne. Großer Strahlenglanz.

CHOR DER ENGEL.
Gott sei gepriesen, Ehre dem Allmächt'gen,
Der allem, was vorhanden, Dasein gab;
Ein Wort von ihm schuf Himmel, Erde, Welten,
Von seinem Blick hängt auch das Ende ab.
Er ist der Weisheit, Kraft und Wonne Fülle,
Uns überstrahlt der Abglanz nur davon;
Und froh des reichen Anteils knieen dankbar
Anbetend wir um seinen hohen Thron.
Der Urgedanke ist zur That geworden,
Das hehre Schöpfungswerk, es ist vollbracht;
Von allem, was da lebt und webt, erwartet
Nun würd'gen Zoll des Schöpfers Herrschermacht.
DER HERR.
Das Meisterwerk ist fertig, und ist gut.
Es geht nun seinen Gang, der Schöpfer ruht.
Äonen wirbelt's um die Achse fort,
Bis abgenützt ein Radzahn hemmt den Lauf.
Auf also, meine Weltengeister, auf,
Flink tretet euern ew'gen Reigen an!
Wie ihr im Flug einhersaust mir zu Füßen,
Will ich nun schau'n und mich ergötzen dran.

Die Genien der Welten stürmen, einfache und doppelte Sternenkugeln verschiedener Größe und Farbe vor sich herrollend, am Throne vorbei. Leise Sphärenmusik.
[3]
CHOR DER ENGEL.
Sieh' in seines Glanzes Dünkel
Hier den Feuerball im Kreise,
Ganz bescheid'nem Sternenhäuflein
Dient er unbewußterweise.
Jener winz'ge Stern hingegen,
Der dort blinzelt, wie ein Lichtlein,
Mag für Millionen eine
Unermeßlich große Welt sein.
Mächtig suchen sich zwei Globen
Anzuziehen, abzustoßen;
Aber dieser Kampf ist's eben,
Der sie lenket als Genossen.
Donnernd saust ein Fixstern nieder,
Und der Anblick macht dich beben,
Während drauf unzähl'ge Wesen
Ruhig und zufrieden leben.
Jenes anspruchslose Flämmchen
Gilt dereinst als Stern der Liebe.
Gott behüt's zum Trost der Menschen
Im bewegten Weltgetriebe.
Dort die Wiege künft'ger Welten,
Hier der Sarg des Wurmbenagten;
Eitlen Thoren eine Mahnung,
Mächt'ger Zuspruch dem Verzagten.
Ein Komet droht, daß er nimmer
Weiser Ordnung sich bequeme;
Doch, kaum hat der Herr gesprochen,
Wird sein Irrweg zum Systeme. –
Komm, du Weltgeist jung und lieblich,
Dessen Rund stets Wechsel leidet,
Bald hellstrahlend, bald in Trauer,
Heut' grün, morgen weiß gekleidet.
Dich begleitet Himmelssegen.
Immer vorwärts ohne Zagen!
Auf dir werden sich im Wettkampf
Mächtige Ideen jagen,
Freude, Leid, Schön, Häßlich wechseln,
[4] Gleichwie Sommer, Winter fallen;
Doch vereinen Licht und Schatten,
Gottes Zorn und Wohlgefallen.

Die Schutzgeister der Gestirne sind vorübergezogen.
ERZENGEL GABRIEL.
Der du den wüsten Raum gemessen,
Indem du ihn mit Stoff erfüllet,
Wodurch sich Größe und Entfernung
Hat auf dein weises Wort enthüllet,
Hosanna dir, Gedanke!

Wirft sich nieder.
ERZENGEL MICHAEL.
Die du das ewig Wandelbare
Mit dem Beständigen vermähltest,
Indem für Zeit und Ewigkeiten
Du Art und Einzelwesen wähltest,
Dir keusche Kraft, Hosanna!

Wirft sich nieder.
ERZENGEL RAFAEL.
Die du zur Quelle frischer Freuden
Bewußtsein gabst dem trägen Stoffe,
Daß deiner Weisheit teilhaft werde
Die weite Welt und Segen hoffe,
Hosanna dir, o Güte!

Wirft sich nieder.
Pause.
DER HERR.
Und Lucifer du schweigst, stehst mürrisch da,
Kannst nicht ein Wort zu meinem Lobe finden!
Vielleicht gefällt dir nicht, was ich erschuf?
LUCIFER.
Was sollte mir gefallen dran? Daß ein'ge
Urstoffe mit je andern Eigenschaften,
Zu größern kleinern Kügelchen geknetet,
Einander haschen, jagen, und sich schließlich
In ein paar Würmern zu Bewußtsein aufbläh'n,
Bis alles gar, gesättigt, abgekühlt,
Doch nur die tote Schlacke übrig bleibt.
[5] Die Eigenschaften dieser Stoffe hast du
Vielleicht in ihnen selber nicht vermutet;
Und wenn, so kannst du sie gewiß nicht ändern.
Guckt einmal ihren richtigen Gebrauch
Der Chemiker dir ab, so macht er's auch.
Als Koch und Kellner hast du da den Menschen
An deinen großen Schöpfungsherd gestellt,
Und duldest, daß er dir ins Handwerk pfusche.
Nun sudelt er und dünkt sich einen Gott.
Hat er die Suppe ordentlich versalzen,
Das Bier verschüttet, angebrannt den Braten,
Dann wirst du in zu spätem Zorn erglüh'n,
Und konntest doch von einem Dilettanten
Voraussichtlich nichts besseres erwarten.
Wozu am Ende deine ganze Schöpfung?
Schaffst dir ein selbstverherrlichendes Loblied,
Fügst es in einen schlechten Leierkasten,
Und wirst es nimmer satt, daß diese Weise
Dich für und für in einem Atem preise.
Schickt sich für einen ernsten Greis, wie du,
Ein Spiel, wie's Kinderherzen nur erfreut?
Wo seinen Herrn mit Staub vermengt ein Funke
Nachäfft – kein Konterfei, ein Zerrbild nur –
Bestimmung, Willensfreiheit sich bekriegen,
Und von gesundem Sinne keine Spur.
DER HERR.
Dir ziemt nur Huldigung und nicht Kritik.
LUCIFER.
Ich kann nur geben, was mein Wesen birgt.

Auf die Engel zeigend.

Sattsam lobhudelt dies Gelichter dich.
Die können sich den Aufwand auch gestatten;
Du zeugtest sie ja, wie das Licht den Schatten,
Seit jeher aber existire ich.
DER HERR.
Wie unverschämt! Hat dich nicht Stoff erzeugt?
Wo war dein Reich, wo deine Macht vorher?
[6]
LUCIFER.
Dasselbe könnt' ich fragen auch von dir.
DER HERR.
Seit Urbeginn der Zeiten ward geplant
Und lebt' in mir, was nun geworden ist.
LUCIFER.
Empfandst du nicht die schauerliche Leere,
Die alles Werden hat gehemmt so lang,
Und immer hemmend dich zu schaffen zwang?
War dieses Hindernis nicht Lucifer,
Der Geist, der stets verneint von altersher?
Hast mich besiegt, denn mein Geschick gebeut
Im Kampf' zu unterliegen allezeit,
Doch neugekräftigt wieder zu erstehn.
Du zeugtest Stoff, und da gewann ich Spielraum,
Beim hellen Leben steht der blasse Tod,
Verstimmung folgt dem Glücke, Licht wirft Schatten,
Die Hoffnung hat den Zweifel zum Gefährten.
Du siehst, wo du bist, bin gewiß auch ich.
Und der ich so dich kenne, soll dir huld'gen?
DER HERR.
Ha, aus den Augen mir, abtrünn'ger Geist!
Könnt' dich vernichten wohl, doch thu' ich's nicht.
Magst ringen los von allen Geistesbanden,
Im Staube niedrig, ein verpönter Wicht;
Und so gehaßt, verstoßen und verlassen
Sollst reuevoll zur Einsicht kommen erst,
Daß du umsonst an deiner Kette zerrst,
Mit Gott im Kampfe nimmer Fuß wirst fassen.
LUCIFER.
Ach nein, so leicht stößt du mich nicht von hinnen,
Wie schnödes Werkzeug, unbrauchbar geworden!
Selbander schufen wir, drum fordere
Ich meinen Anteil.
[7]
DER HERR
spottend.
Gut, du sollst ihn haben.
Auf Erden dort, im Paradiese, sieh',
Zwei schlanke Bäume. Ich verfluche sie,
Dann nimm dir beide hin, sie seien dein.
LUCIFER.
Karg mißt du deine Gaben zu, wahrhaftig!
Je nun, du bist ja ein gar großer Herr,
Und denkst, mir muß ein Fußbreit Raum genügen.
Hat die Verneinung nur den kleinsten Halt,
Hebt deine Welt sie aus den Angeln bald.

Bricht auf.
CHOR DER ENGEL.
Aus Gottes Angesicht, Verruchter, fort!
Heil dem Gesetzesquell, Heil unserm Hort!
[8]

2. Scene

Zweite Scene.

Im Paradiese. In der Mitte der Baum der Erkenntnis und der Baum des ewigen Lebens. Adam und Eva kommen. Verschiedene Tiere umgeben sie mit zahmer Zuversicht. Aus dem offenen Himmelsthore strahlt Glorie und erklingt sanfte Harmonie der Engelschöre. Sonnenheller Tag.

EVA.
Wie ist's zu leben, ach, so süß, so schön!
ADAM.
Und Herr sein über alles weit und breit.
EVA.
Zu fühlen, wie man sorgt für uns im Vollen,
Und nichts dafür als Dankbarkeit zu zollen
Dem Spender, der uns all' die Wonne beut.
ADAM.
Abhängig sein ist wohl ein Lebensgrundsatz
Von dir. Mich dürstet Weib. Schau, wie verlockend
Die Frucht dort winkt.
EVA.
Ich werde eine pflücken.
DIE STIMME DES HERRN.
Laß ab, laß ab! Gab dir die ganze Erde,
Nur dieser beiden Bäume Lockfrucht meide,
Denn über selbe wacht ein andrer Geist,
Und sichern Todes stirbt, wer sie genießt.
Dort lächelt dir die süße Traube zu,
[9] Hier ladet kühler Schatten dich zur Ruh'
Auf weichem Moos, wenn heiß die Sonne glüht.
ADAM.
Ein wunderlich' Gebot, doch klingt's ganz ernst.
EVA.
Warum sind diese Bäume uns versagt,
Die schönsten grad'?
ADAM.
Warum ist blau der Himmel,
Die Erde grün? – Genug, daß es so ist.
Komm, folgen wir der Stimme, Eva komm!

Lassen sich in einer Laube nieder.
EVA.
Schmieg' an mein Herz dein Haupt, ich fächle dich.

Großer Windstoß. Lucifer erscheint im Gebüsche.
ADAM.
Ha Weib! was ist das? Nie hört' ich dergleichen.
Als dränge unbekannte Feindesmacht
In unsern Frieden ein.
EVA.
Ich zittere.
Nun sind die Himmelsklänge auch verstummt.
ADAM.
An deiner Brust mein' ich sie noch zu hören.
EVA.
Und mir, erlischt die Glorie dort oben,
Erglänzt hier unten sie in deinem Auge.
Wo gäb' es außer dir auch Licht für mich,
Die ich mein Sein nur deiner Sehnsucht danke;
Grad' wie in ihrem Herrscherglanz die Sonne,
Um nicht verwaist am Firmament zu stehn,
Ihr Ebenbild aufs glatte Wasser malt
[10] Und damit tändelt, froh des Spielgefährten;
Vergessend, daß nur blasser Wiederschein
Der eig'nen Glut ist, was der Spiegel zeigt,
Mit dieser auch sofort erlöschen würde.
ADAM.
Sprich nicht so Eva, du beschämst mich sonst.
Was ist der Schall, lauscht ihm kein günstig' Ohr?
Der Strahl, kann er in Farbe nicht erglänzen?
Was wär' ich, wenn nicht, wie der Ruf im Echo,
Mein Sein in dir zu schönerm Sein erwachte,
Worin ich lieben kann mein eignes Ich?
LUCIFER.
Was lausch' ich diesem zärtlichen Gekose?
Muß ab mich wenden, sonst erleb' ich noch
Die Schande, daß die kalte Überlegung
Das kindliche Gemüt beneiden muß.

Ein Vöglein auf einem nahen Zweige hebt zu singen an.
EVA.
Ach hör' nur Adam, sag', verstehst du wohl
Des kleinen Thoren holdes Liebeslied?
ADAM.
Soeben lauschte ich des Baches Murmeln,
Und fand, er singe ganz dasselbe Lied.
EVA.
Welch' wunderbare Harmonie hierin:
So viele Sprachen und ein einz'ger Sinn!
LUCIFER.
Was zaudre ich so lange? Auf zur That!
Schwur ihnen Untergang, sie müssen fallen.
Und doch hält neuer Zweifel mich zurück,
Ob mit des Wissens, wie der Eitelkeit
Und Hoffart Waffen ich nicht zwecklos kämpfe;
Denn zwischen mir und ihnen, ein Asyl,
[11] Steht, ihre Herzen vor Erschlaffung schützend
Und den Gesunk'nen aufrichtend: die Liebe.
Doch wozu grübeln? Auf, wer wagt, gewinnt!

Neuer Sturmanfall. Lucifer erscheint vor dem erschrockenen Menschenpaare. Die Glorie umdüstert sich. Lucifer lacht.

Was staunet ihr? –

Zu Eva, die fliehen will.

Liebreizend Weib, o weile!
Nur einen Augenblick laß dich bewundern.

Eva bleibt stehen und erholt sich langsam.
Beiseite.

Wie oft wird sich dies Vorbild wiederholen!

Laut zu Adam.

Und du hast Furcht?
ADAM.
Vor dir, du Jammerbild?
LUCIFER
beiseite.
Paßt auch zum Ahnherrn stolzer Mannesart.

Laut.

Verwandter Geist, willkommen!
ADAM.
Sag', wer bist du?
Kommst du von unten oder oben her?
LUCIFER.
Wie's dir gefällt, uns gilt dies gleich.
ADAM.
Nicht wußt' ich,
Daß außer uns allda noch Menschen lebten.
LUCIFER.
Oho! Noch vieles giebt's, was du nicht weißt,
Auch niemals wissen wirst. Du glaubst doch nicht
Der fromme Greis hätt' dich aus Staub geschaffen
Um seine ganze Welt mit dir zu teilen?
Du lobst ihn, und dafür erhält er dich,
Sagt dir, von diesem nimm, und jenes meide,
Behütet, leitet dich, wie's liebe Vieh;
Was hättest du auch selbst zu denken nötig!
[12]
ADAM.
Zu denkeu? – Ach, und denk' ich etwa nicht?
Bin ich mir nicht bewußt, den Sonnenschein,
Des süßen Daseins Wonne zu genießen?
Kenn' ich nicht Gottes grenzenlose Güte,
Der mich zum Gotte dieser Erde schuf?
LUCIFER.
Das hält vielleicht auch jener Wurm von sich,
Der dir das reife Obst vor'm Munde wegfrißt,
So wie der Aar, der dort aufs Vöglein stößt.
Wodurch bist du denn ihnen überlegen?
Ein Funke ist's, der in der Brust euch glimmt,
Unendlicher Gewalten leise Regung;
Grad' wie im Bache eine Welle oft
Einen Moment aufblitzt, um gleich im Grau
Des allgemeinen Bettes zu zerrinnen. –
Eins gäb' es allenfalls: das Denkvermögen,
Das unbewußt in deiner Seele dämmert;
Das könnt' dich mündig machen, denn es ließe
Dich selber wählen zwischen Gut und Böse,
Daß du dir selbst bereitest dein Geschick,
Von der Vorsehung unabhängig seiest.
Doch dir behagt es augenscheinlich besser,
Im weichen Schoße deines Düngerhaufens
Dem Wurme gleich unwissend zu vergehn. –
Bequem ist die Ergebung in den Glauben;
Schön, aber schwer auf eignen Füßen stehn!
ADAM.
Du sagst da große Dinge, deine Worte
Betäuben mich.
EVA.
Und mich begeistern sie.
Was du zum Besten giebst, ist schön und neu.
LUCIFER.
Doch Wissen ist allein noch nicht genügend;
[13] Um damit wahrhaft Großes zu vollbringen
Wär' außerdem Unsterblichkeit vonnöten.
Denn was vermag die kurze Spanne Dasein?
Hier die zwei Bäume bergen diese Güter,
Doch hat sie euch verboten euer Hüter.
Von diesem wirst du allwissend wie er,
Und deines Leibes Reiz verewigt der.
EVA.
Ach unser Schöpfer handelt doch recht grausam!
ADAM.
Doch wenn du uns betrügst?

Die Glorie klärt sich ein wenig.
HIMMLISCHER CHOR.
Welt, wehe dir,
Der Lügengeist versucht!
DIE STIMME DES HERRN.
Mensch, hüte dich!
ADAM.
Welch' Stimme wieder?
LUCIFER.
Wind rauscht in den Zweigen.
Der Schöpfung Zier,
Euch als Gebühr,
Helft Elemente
Erwerben mir!

Windstoß, die Glorie schwindet.

Die beiden Bäume da gehören mir.
ADAM.
Wer bist du denn? uns Menschen gleichst du ja.
LUCIFER.
Sieh' dort den Aar, der in den Wolken kreist,
[14] Schau' hier den Maulwurf, der im Erdreich wühlt,
Für jeden ist der Horizont ein andrer.
Das Geisterreich entzieht sich deinem Blick,
Der Mensch erscheint als Höchstes dir. Dem Hunde
Ist auch der Hund das höchste Ideal,
Hält er für seinesgleichen dich, ist's viel.
Doch ebenso, wie du auf ihn herabsiehst,
Und ihn beherrschst gleich einer Schicksalsmacht,
Ihm, göttergleich, Fluch oder Segen bringend:
Sehn wir, des Geisterreiches edle Söhne,
Auf euch, ihr Erdenkinder, stolz herab.
ADAM.
Von diesen einer wärst du also?
LUCIFER.
Ja.
Und zwar der Stärkste unter den Gewalt'gen,
Der kürzlich neben Gottes Thron gestanden,
Und teilhaft war der höchsten Glorie.
ADAM.
Was bliebst du nicht in jenen Himmelshöhen,
Wozu kamst du auf diese staub'ge Erde?
LUCIFER.
Ich wurd' es satt, der Zweite dort zu sein.
Das ew'ge Einerlei ist Höllenpein.
Unreifer Kinderstimmen fader Chor,
Langweilt mit seinem ew'gen Lob mein Ohr.
Sturm, Kampf, Disharmonie verlange ich,
Das ist mein Fall, die rechte Welt für mich,
Wo sich der Geist auf eig'ne Thatkraft stützt,
Wohin mir folgen mag, wer Mut besitzt.
ADAM.
Nicht doch. Gott wird uns strafen, weichen wir
Vom Wege ab, den er uns gütig wies.
[15]
EVA.
Warum? Wofür uns strafen? – Hat er uns
Die Bahn gesteckt, auf der wir wandeln sollen,
Hätt' er uns so ausstatten müssen, daß uns
Kein Hang zur Sünde auf Abwege locke.
Wozu mit schwindeligem Haupte uns
Dem Tod' geweiht an einen Abgrund stellen?
Und liegt die Sünde auch in seinem Plan,
Wie Stürme zwischen sonn'ge Tage fallen,
Wer hält für schuld'ger jene, weil sie toben,
Als diese, weil sie wärmen und beleben?
LUCIFER.
Ei seht mir doch, der erste Philosoph!
Und eine hübsche Reihe wird dir noch,
Mein holdes Mühmchen, auf dem Fuße folgen,
Die aller Wege über selbes streitet.
So mancher kommt ins Tollhaus, mancher schrickt noch
Zur rechten Zeit zurück, ans Ziel kommt keiner.
Drum laßt das Grübeln, eitles Kopfzerbrechen.
Jedwedes Ding weist so viel Seiten auf,
Daß, wer sie alle durchstudieren will,
Stets wen'ger weiß, als er am Anfang wußte,
Und nicht dazukommt, je sich zu entscheiden.
Das Grübeln ist der Tod der frischen That.
EVA.
Ich pflücke also eine von den Früchten.
ADAM.
Der Herr hat sie verflucht.

Lucifer lacht.

Doch pflück' sie nur.
Es komme über uns, was kommen muß.
Wir wollen wissend sein, wie Gott.

Zuerst Eva, dann Adam kosten vom Apfel der Erkenntnis.
EVA.
Dazu
Auch ewig jung.
[16]
LUCIFER.
Nun noch hieher, hieher.
Das ist der Baum des ew'gen Lebens. Schnell,
Beeilet euch!

Zieht sie zum andern Baume, ein Cherub mit flammendem Schwerte verstellt ihnen den Weg.
CHERUB.
Weg Sünder, weg von hier!
DIE STIMME DES HERRN.
O Adam, Adam! du hast mich verlassen,
Auch ich verlasse dich. Sieh' deine Ohnmacht.
EVA.
Wir sind verloren.
LUCIFER.
Ihr verzagt?
ADAM.
Bewahre!
Es ist nur meines Auferwachens Schauer. –
Nur fort von hier, wo immer hin, fort, fort!
Denn wüst und fremd ist mir nun dieser Ort.
HIMMLISCHER CHOR.
Ach, weinet Brüder, gebet Mitleid kund;
Die Lüge siegt, die Erde geht zu Grund'!
[17]

3. Scene

Dritte Scene.

Prachtvolle Gegend außerhalb des Paradieses. Kleine Holzhütte. Adam schlägt Pflöcke ein zu einer Umzäunung. Eva pflanzt eine Laube. Lucifer.

ADAM.
Dies hier ist mein. Anstatt der großen Welt
Wird dieser Raum nun mein Zuhause sein.
Besitze ihn, schütz' ihn vor wilden Tieren,
Und zwinge ihn mir reiche Frucht zu tragen.
EVA.
Und ich pflanz' eine Laube, wie die vor'ge,
Und zaub're das verlorne Paradies
In unser neues Heim.
LUCIFER.
Welch' großes Wort
Habt ihr da ausgesprochen. Eigentum,
Familie wird eure Welt bewegen
Und allen Glück's und Jammers Quelle sein.
Und diese zwei Begriffe wachsen fort,
Bis Vaterland und Industrie d'raus werden,
Die alles Schöne und Erhab'ne zeugen
Und schließlich ihre eigne Brut verschlingen.
ADAM.
Du sprichst in Rätseln. Sagtest Wissen zu;
Darob verschmäht' ich des Instinkts Behagen,
Um, kämpfend zwar, mir Größe zu erringen.
Und was ist der Erfolg?
[18]
LUCIFER.
Ei, fühlst du's nicht?
ADAM.
Ich fühle wohl, daß, wie mich Gott verließ,
Mit leerer Hand uns in die Wüste stieß,
Auch ich von ihm mich wandte, und nun selbst
Mein eigner Gott ward. Was ich mir erringe,
Ist ehrlich mein. Dies macht mich stark und stolz.
LUCIFER
beiseite.
Magst, eitler Fant, jetzt in die Faust dir spucken,
Will sehn, wie stark dein Herz, wenn Blitze zucken.
EVA.
Ich aber setze meinen Stolz darein,
Daß ich der Menschheit Mutter werde sein.
LUCIFER
beiseite.
Welch' Ideal schafft sich des Weibes Herz,
Verew'gen, was die Schuld schuf: Not und Schmerz!
ADAM.
Was soll ich ihm auch danken? Bloßes Sein?
Mein Dasein, wenn es aufwiegt seine Last,
Ist es nicht das Ergebnis eigner Plage?
Muß den Genuß, den ein Trunk Wasser beut,
Mit heißen Durstes Pein mir erst verdienen.
Es liegt der Preis von eines Kusses Honig
In der Verstimmung, die dem Kusse folgt.
Und ist auch jedes Band der Dankbarkeit
Gelöst, steht mir auch frei, mein Schicksal nun
Selbst aufzubaun und wieder zu vernichten,
Was ich im Dunkel tastend mir ersann,
Dazu braucht' ich wohl deine Hilfe nicht,
Das hätte meine eigne Kraft bewältigt.
Du nahmst die schwere Kette mir nicht ab,
Womit mein Leib mich an die Scholle bindet.
[19] Ich fühle wohl, kann ich's auch nicht benennen,
Was meine stolze Seele niederhält.
Und sei's ein Härchen, – um so schmählicher.
Sieh, will ich springen, fällt mein Leib zurück;
Möcht' ich erspähen, was die Ferne birgt,
Versagt mein Ohr, mein Auge mir den Dienst;
Und schwebe ich auf leicht bewegten Schwingen
Der Phantasie einmal in höhern Sphären,
Zwingt mich der Hunger wiederum in Demut
Herabzusteigen zu dem groben Stoffe,
Den ich vorher mit Füßen schon getreten.
LUCIFER.
Dies Band ist stärker, mächtiger als ich.
ADAM.
O weh, du bist mir ein recht schwacher Geist,
Wenn dieses unsichtbare Spinngewebe,
Dies Nichts, das tausend Wesen gar nicht merken,
Mit dem Gefühl der Freiheit darin zappeln,
Und wen'ge auserles'ne Geister nur
Undeutlich ahnen, dir noch trotzt.
LUCIFER.
Und dies allein ist's, was mir trotzen kann,
Denn Geist ist's auch, wie ich bin. Oder meinst du,
Weil es verborgen und im Stillen schafft,
Es sei nicht stark? – Du irrst. Oft sitzt im Dunkel,
Was Welten bauen und erschüttern kann,
Denn schwindeln würde man bei seinem Anblick.
Nur Menschenwerk gleißt gern und macht Getöse,
Des Dauer eine Spanne Zeit beschränkt.
ADAM.
Nun so gewähre mir ein wenig Einblick
In dieses Walten. Wie du weißt, besitze
Ich Mut genug, und möchte wahrlich sehn,
Was da auf mich noch Einfluß üben soll,
Der ich in mir begrenzt ein Ganzes bin.
[20]
LUCIFER.
»Bin« – welch' ein lächerliches Wort! Du warst,
Wirst sein. Das Leben ist ein nimmer müdes
Unausgesetztes Werden und Vergehn.
Doch schau dich um und sieh mit Geisteraugen.
ADAM
was er in der Folge sagt, wird alles sichtbar.
Welch' sanfte Flut quillt rings um mich empor,
Ununterbrochen in die Höhe strebend,
Wo sie sich teilt und bis zu beiden Polen
Als Sturm dahinjagt?
LUCIFER.
Sieh', das ist die Wärme,
Die in das Reich des Eises Leben trägt.
ADAM.
Und der zwiefache Feuerstrom, der jetzt
An mir vorüberzuckt. Zermalmt mich schier
Und wirkt auf meine Nerven doch belebend.
Was ist's, was ist's? Mir saust der Kopf davon.
LUCIFER.
Das ist der Magnetismus.
ADAM.
Selbst das Erdreich
Wankt unter mir. Was ich für fest und formlos
Gehalten habe, ist gährender Urstoff,
Unwiderstehlich, der Gestalt begehrt,
Nach Leben ringt. Dort als Krystall und hier
Als Knospe. O! wohin kommt meines Ich's
Geschloss'ne Individualität
Inmitten dieses wirren Durcheinanders?
Was wird aus meinem Leib, auf den ich blöde
[21] Als festes Werkzeug mein Vertraun gesetzt
Bei meinen großen Plänen und Begierden?
Verwöhntes Kind, das ebensoviel Pein
Als Wollust mir verursacht, sinkst du wohl
Zu einer Handvoll Asche nur zusammen,
Indem dein übrig Wesen, Luft und Wasser,
Das rot und frisch soeben sich noch freute,
Mit meinem Sein ins Wolkenmeer verdunstet?
Ein jedes Wort, der flüchtigste Gedanke
Verzehrt je einen Teil von meinem Hirn.
Ja, ich verbrenne! – und das arge Feuer
Schürt ein verborgner Geist vielleicht darum,
Daß er an meiner Aschenglut sich wärme.
Weg, weg mit dieser Vision, sie treibt mich
Zum Wahnsinn noch! So mitten in dem Kampfe,
Mit dem Bewußtsein der Verlassenheit,
Allein stehn zwischen tausend Elementen,
Ist schrecklich, schrecklich! O warum auch stieß ich
Die Vorsehung von mir, die mein Instinkt
Bereits geahnt, doch nicht gewürdigt hat,
Und jetzt mein Wissen hoffnungslos ersehut!
EVA.
Nicht wahr, nicht wahr? Ich fühle auch dergleichen,
Wenn du mit wilden Tieren kämpfest, oder
Ich unser Gartenfeld ermattend pflege.
Mein feuchter Blick durchwandert Himmel, Erde,
Ich schau' mich um im weiten Weltenall,
Und nirgends ein Verwandter, nirgends Freunde,
Die uns ermut'gen, trösten, schützen wollten.
Einst war es anders, einst in schönern Zeiten!
LUCIFER
höhnisch.
Nun, ist in euch die Seele so verschrumpft,
Daß ohne Fürsorg', ohne Pfleg' ihr friert,
Und Unterordnung euch so sehr vonnöten;
So will ich einen Gott heraufbeschwören,
Viel freundlicher, als jener rauhe Alte:
[22] Den Schutzgeist dieser Erde. Kenne ihn
Vom Himmel her, ist ein bescheidner Bursche.

Erscheine, Erdengeist!
Entrinnst mir nicht, du weißt.
Urzweifel rufet dich,
Wer sonst erkühnte sich?

Flammen schlagen aus der Erde, eine dichte dunkle Wolke bildet sich mit einem Regenbogen unter schrecklichem Donner.
LUCIFER
zurücktretend.
Wer bist du, schauderhaftes Ungetüm?
Du bist es nicht, den ich gerufen habe;
Der Geist der Erde ist ja schwach und sanft.
DIE STIMME DES ERDENGEISTES.
Was dir im Himmelschore schwach erschien,
Im eignen Wirkungskreis ist's stark unendlich.
Da bin ich nun, weil eines Geistes Ruf
Ich folgen mußt'; doch merk' dir, eine Macht
Entfesseln und regieren ist nicht eins.
Zeig' ich mich, wie ich bin, so unterliegst du
Und diese beiden Würmer da vergehn.
LUCIFER.
Sag', wie erreicht dann deine stolze Nähe
Der Mensch, wählt er zu seiner Gottheit dich?
STIMME DES ERDENGEISTES.
Verteilt im Wasser, im Gewölk, im Hain,
Allüberall, worein den Blick er senkt
Sehnsuchtsvoll und erhobenen Gemütes.

Verschwindet.
Den Hain, die Quelle bevölkern leichtfüßige, spielende Nymphen.
EVA.
Ah sieh' die reizenden Gesichter rings!
Wie lieblich winkt uns ihr verwandter Gruß.
[23] Nun sind wir nicht verlassen, einsam mehr,
Sie brachten uns des Glückes Weihekuß.
Sie spenden uns im Kummer Trost gelind,
Und guten Rat, wenn wir in Zweifel sind.
LUCIFER.
Wo fändet ihr auch bessere Berater –
Ihr, die ihr schon beschlossen, wenn ihr fragt –
Als diese leichten, lieblichen Gestalten,
Die stets antworten, wie die Frage lautet.
Auf reine Herzen blicken sie mit Lächeln,
Als widerwärt'ge Fratzen grinsen grausig
Sie den, der in Verzweiflung, grimmig an.
In allerlei Gestalten werden sie
Euch bis an euer Ende treu begleiten,
Dem weisen Forscher sänstigende Schatten,
Den ewig jungen Herzen Ideale.
ADAM.
Was nützt der Flimmer dieses Gaukelspiels,
Das hier an mir vorüberzieht? Begreif's nicht,
Und hab' nur um ein Rätsel mehr zu lösen.
O Lucifer, halt' mich nicht länger hin,
Laß alles wissen mich, wie du versprochen!
LUCIFER
beiseite.
Dies Wissen wird dir noch recht schlecht bekommen,
Und sehnst nach Einfalt dich gewiß zurück.

Laut.

Geduld, Geduld! Du weißt wohl, daß du jeden
Moment Genusses bitterlich erkämpfen,
Manch' harte Lehre dir gefallen lassen
Und viel' Enttäuschungen verwinden mußt,
Bis endlich alles dir verständlich wird.
ADAM.
Ei ja, du kannst leicht von Geduld salbadern,
Vor dir liegt eine Ewigkeit, doch ich
[24] Hab' nicht genossen von des Lebens Baume,
Mein kurzes Dasein mahnt zur Eile mich.
LUCIFER.
Alles, was lebt, hat gleiche Lebensdauer,
Der hundertjähr'ge Baum, die Eintagsfliege.
Kommt zu Bewußtsein, freut sich, liebt und stirbt,
Wenn's Tagewerk vollbracht, der Trieb befriedigt.
Es eilet nicht die Zeit, wir ändern uns,
Ein Tag und ein Jahrhundert sind sich gleich.
Laß's sein, auch du erfüllest deinen Zweck,
Nur glaube nicht, es sei des Menschen Wesen
In diesen staubgebornen Leib gezwängt.
Schau die Ameise und den Bienenschwarm.
Tausende eilen sinnlos hin und her,
Sie handeln blind, sie irren und sie fallen;
Doch lebt und webt in einheitlichem Geiste
Als bleibend Individuum die Art,
Und führt den festen Plan gewiß zu Ende,
Bis alles aufhört, alles stille steht.
Dein Leib zerfällt in Staub, wohl ist es wahr,
Ersteht jedoch in hundert Neugestalten,
Und nichts brauchst du von neuem zu beginnen.
Sündigtest du, bereuen's Kindeskinder,
Dein Zipperlein erbt sich in ihnen fort;
Was du gefühlt, erfahren und erlernt,
Bleibt Millionen Jahre lang dein eigen.
ADAM.
Dies ist ein Rückblick, der dem Greise ziemt.
Nach andrem sehnt sich meine junge Brust:
Möcht' einen Blick in meine Zukunft werfen;
Lass' sehn, wofür ich kämpf', weshalb ich leide.
EVA.
Auch mich lass' sehn, ob in so vieler Wandlung
Nicht schwinden, nichts verlieren meine Reize.
[25]
LUCIFER.
Es sei! Ich senke euch in Zauberschlaf,
Und ihr sollt eurer Zukunft fernstes Ende
In schwankem, wandelbarem Traumbild schaun.
Doch wenn ihr seht, wie nichtig euer Ziel,
Wie schwer der Kampf, den ihr zu kämpfen habt;
Daß euch kleinmüt'ges Zagen nicht befalle,
Und ihr die Wahlstatt nicht verzweifelt räumt,
Setz' ich ein Licht an eures Traumes Himmel,
Das euch bestechen wird, was ihr geträumt,
Für Täuschung anzusehn: den Strahl der Hoffnung.

Führt Adam und Eva unterdessen in die Hütte, wo sie entschlummern.

[26]

4. Scene

Vierte Scene.

In Ägypten. Vorne eine offene Halle. Adam als Pharao, noch jung, auf dem Throne. Lucifer als sein Minister. In respektvoller Entfernung glänzendes Gefolge. Im Hintergrunde arbeiten Sklaven am Bau einer Pyramide, unter Aufsehern, welche mit Geißeln die Ordnung aufrecht erhalten. Heller Tag.

LUCIFER.
Erhab'ner Herr! bekümmert fragt dein Volk,
Das für dein Wohlsein gern sein Herzblut gäb',
Was wohl den allgewalt'gen Pharao
Auf seines Thrones Pfühl nicht ruhen läßt?
Weshalb verschmäht dein Herz des Tages Freuden,
Was opferst du die Träume deiner Nächte,
Und überläßt nicht deiner großen Pläne
Ausführungssorge dem geduld'gen Sklaven,
Der darum atmet, daß er für dich sorge?
Wo ohnehin schon dein ist aller Ruhm,
Dein alle Herrschaft auf der weiten Welt,
Und von den ausgesuchtesten Genüssen,
Was nur ein Menschenkind vertragen kann.
Hundert Provinzen mehren deine Schätze,
All' ihre Blumen duften bloß für dich,
Und süße Früchte zeit'gen sie nur dir.
Wohl tausend Frauen seufzen dir entgegen:
Das blonde Mädchen mit den blauen Augen
Voll Schwärmerei, so zart wie hingehaucht;
Die braune Maid, mit lechzend heißen Lippen,
Wahnsinn'ge Leidenschaft im Feuerblick.
Dein sind sie alle. Eine flücht'ge Laune
Von dir beschließt ihr Schicksal. Jede fühlt,
[27] Daß ihres Lebens einz'ger Zweck erfüllt ist,
Konnt' ein'ge Augenblicke sie dir würzen.
ADAM.
All' dies hat keinen Reiz für mich. Es fällt
Erzwungnem Zolle gleich mir in den Schoß,
Erring' es nicht, verdank' es nicht mir selbst.
Doch mit dem Bau, den ich allda errichte,
Glaub' ich den rechten Weg erwählt zu haben,
Der sicherlich zu wahrer Größe führt.
Selbst die Natur soll dran die Kunst bewundern.
Jahrtausenden wird's meinen Namen künden,
Erdbeben nicht, und nicht Orkane stürzen's.
Hier hat der Mensch die Allmacht überwunden.
LUCIFER.
O Pharao, und bist du wirklich glücklich
In diesem Wahne? Leg' die Hand aufs Herz.
ADAM.
Nein, glücklich bin ich nicht. Kann dir nicht sagen
Welch' Leere ich in meinem Herzen fühle.
Gleichviel, nicht Glück, nur Ruhm hab' ich begehrt,
Und dieser wartet mein mit off'nen Armen.
Wenn nur die Menge nicht mein Leid gewahrt.
Vermöchte sie mich einmal zu bedauern,
Anbetung würde nimmer mir zu teil.
LUCIFER.
Wenn aber einst du selbst zur Einsicht kommst,
Daß aller Ruhm nur eitles Gaukelspiel?
ADAM.
Unmöglich!
LUCIFER.
Und wenn doch?
[28]
ADAM.
Dann legte ich,
Mit einem Fluch auf meine Nachwelt, mich
Zum Sterben hin.
LUCIFER.
Ei, daran stirbst du nicht,
Wie sehr du's auch erkennen wirst; beginnst
Sogar aufs neue zu demselben Ende.

Die Aufseher prügeln einen von den Arbeitersklaven derart, daß er wehklagend und verfolgt bis in die Halle flüchtet und vor dem Throne zusammenbricht.
DER SKLAVE.
Hilf Herr!

Eva, als Gattin des Sklaven, entringt sich dem Arbeiterhaufen, und stürzt sich mit schmerzlichem
Aufschrei auf ihren Gatten.
EVA.
Vergebens flehst du da um Hilfe.
Wer unsre Leiden niemals durchgekostet,
Versteht dich nicht! – Schwach ist ein Weheruf,
Und hoch der Thron. Warum rufst nicht nach mir,
Die dich bedeckt und mit dem eignen Leibe
Die Hiebe auffängt?
ADAM
zu den eindringenden Aufsehern, die den Sklaven und sein Weib hinausschleppen wollen.
Laßt ihn liegen, packt euch!

Die Aufseher ab.

Welch' ungewohnt Gefühl beschleicht mein Herz?
Wer ist dies Weib und welchen Zaubers mächtig,
Daß sie den großen Pharao zu sich
Gleichwie mit Ketten in den Staub kann ziehn?

Steht auf.
LUCIFER.
Sieh' das ist wieder einer von den Fäden,
[29] Mit denen dich dein Herr zum Spott umgeben,
Damit du einsiehst, welch' ein Wurm du bist,
Wenn du im Übermaße deines Dünkels
Gleich einem losen Schmetterling umherschwärmst.
Wie stark der dünne Faden ist, hast du
Bereits gesehen; stets entgleitet er
Den Fingern, die ihn haschen wollen. Drum
Kann ich ihn nicht zerreißen.
ADAM
indem er die Stufen des Thrones herabsteigt.
Sollst's auch nicht.
So weh die Fessel thut, so süß ist sie.
LUCIFER.
Doch paßt's nicht, daß ein Weiser und ein König
Darunter seufze.
ADAM.
Traun, was soll ich also?
LUCIFER.
Es bleibt nichts übrig, als daß dieses Fadens
Vorhandensein das Wissen standhaft leugne,
Und roh darüber lache Kraft und Stoff.
ADAM.
Ich kann nicht drüber lachen, kann's nicht leugnen.
EVA.
Dein Blut, mein armer Gatte, rinnt in Strömen.
Will's stillen. Es thut weh, nicht wahr, es schmerzt?
DER SKLAVE.
Das Leben schmerzt mich nur, bald ist's vorüber.
EVA.
Wozu ach, hättest du bisher gelebt,
Stürbest du jetzt, wo wir uns wiederfanden!
[30]
DER SKLAVE.
Wozu ein Knecht lebt? – Daß zur Pyramide
Er Steine schleppe für den Mächtigen,
Und wenn er einen tauglichen Ersatzmann
Ins Joch gestellt hat, sterbe. – Millionen
Für einen.
ADAM.
Ach welch' grauenhafte Rede!
LUCIFER.
Des Sterbenskranken irres Fieberrasen.
ADAM.
Wie sagte er?
LUCIFER.
Was ficht dich an, Gebieter?
Die Sache ist doch nicht der Rede wert.
Um einen Sklaven giebt's auf Erden wen'ger.
EVA.
Dir zählt er nichts, mir eine ganze Welt.
O weh, wer wird hinfort mich Ärmste lieben?
DER SKLAVE.
Ich länger nicht. – Mich, Weib, vergiß auf ewig.

Stirbt.
ADAM.
Ich will's. Den Toten weg!

Man hebt den Leichnam auf.

Auf, holde Braut!
Dein Platz ist hier auf meines Thrones Kissen.
Du bist so gut der Schönheit Königin,
Wie ich die Kraft beherrsche. Ja, wir mußten
Einander finden.
EVA.
Großer Pharao,
Ich weiß, der Magd ist Schicksal dein Gebot;
[31] Ich sträube mich auch nicht, gewähre mir
Nur Frist, daß ich mich sammle, dann befiehl.
ADAM.
Nie mehr dies Wort. O reicht denn meine Macht
Nicht über des Befehles Zwang hinaus?
EVA.
Genug für jetzt, wenn dein gebietend Wort
Nicht schmerzlich mich berührt. O neide nicht
Die mir vom ersten Weh erpreßten Thränen
Dem toten Gatten. Sieh, welch' schöner Leichnam!
Mein Gott, wie schön!

Wirft sich auf ihn.
ADAM.
Ein Leichnam, ach, und schön!
Was für ein Widerspruch. – Eiskalter Spott
Ist diese Ruh' auf unser heißes Streben;
Der stumme Mund belächelt mitleidvoll,
Wie wir um eitle Zwecke uns bemühn.
LUCIFER.
's ist ein entwichner Sklave, der dir trotzt;
Er hat ja deine Ketten überwunden.
ADAM.
Dem Toten Friede, dem Lebend'gen Heil!
Der dort fühlt deine Thränen nicht; dein Lächeln
Vermiß ich peinlich.

Der Leichnam wird hinausgetragen. Adam führt Eva auf den Thron.

Weib, an meine Seite!

Wehklagen unter den Arbeitern. Eva schrickt zusammen.

Mein Lieb, was ist dir?
EVA.
Hörst du nicht des Volkes
Wehklagen?
ADAM.
Ach, zum erstenmal vernehm' ich's.
Es klingt nicht schön, doch achte nicht darauf;
[32] Gieb einen Kuß mir, und vergiß die Welt.

Zu Lucifer.

Und du mach' dieses Wehgeschrei verstummen.
LUCIFER.
Das kann ich nicht, das ist des Volkes Recht,
Es hat es mit dem Joche mitererbt.

Abermal Wehgeschrei. Eva kreischt auf, Adam erhebt sich.

Du leidest Teure, und ich weiß nicht wie
Ich helfen könnte. Wie ein Blitzstrahl fährt
Der Angstruf durch dein Herz in mein Gehirn,
Mir ist's, als schrie die ganze Welt um Hilfe.
EVA.
O Herr, vernichte mich, verzeihe aber,
Wenn mich des Volkes Leid nicht ruhen läßt!
Wohl weiß ich, daß ich deine Magd nur bin,
Daß meines Lebens Zweck dich zu ergötzen;
Vergesse alles, was mich rings umgiebt:
Elend und Größe, Jugendträume, Hoffnung,
Sogar den Toten, daß mein Lächeln Wonne
Und meine Lippe Flammenglut dir sei.
Doch wenn das Volk, dies tausendarm'ge Wesen,
Dort draußen mit gepeitschtem Rücken jammert,
Fühl' ich, das losgetrennte Kind vom Volke,
Als zarte Faser eines wunden Körpers
All' diese Pein in meinem Herzen auch.
ADAM.
Ich fühle sie mit dir. Ach, Millionen
Für einen Einzigen! – So sagte ja
Auch der Verblichne.
EVA.
Großer Pharao!
Du bist so erust geworden, und das hab'
Nur ich verschuldet. O verbanne mich
Aus deiner stolzen Nähe, oder lehre
Mich taub zu sein.
[33]
ADAM.
Du warst ein bess'rer Lehrer,
Du lehrtest mich den Wehruf zu vernehmen.
Ich will ihn nicht mehr hören! Frei hinfort
Sei's Sklavenvolk! Was soll mir solcher Ruhm,
Den man in einer einzigen Person
Erreichet, mit dem Jammer und Verderben
Von Millionen, die auch Menschen sind?
Ihr Leiden fühl' ich millionenmal,
Die Lust nur einmal.
LUCIFER.
Pharao, du schwärmst.
Die Menge ist ja von des Schicksals Mächten
Dazu bestimmt, in jeder Art von Mühle
Das Rad zu treten. Dazu ist sie da.
Befrei' sie heute: was du weggeworfen,
Ihr kommt's doch nicht zu gute, denn sie sucht sich
Gewiß schon morgen einen neuen Herrn.
Du glaubst doch nicht, daß sie dein Joch ertrüge,
Läg' ihr nicht das Bedürfnis im Gefühl
Stets einen Herrn zu haben über sich,
Erfüllte Selbstbewußtsein ihr die Brust?
ADAM.
Was jammert sie denn so, als ob die Knechtschaft
Ihr schmerzlich wäre?
LUCIFER.
Nun, sie fühlt den Schmerz,
Obschon sie nicht weiß, was ihr wehe thut.
Denn jeder Mensch strebt instinktiv nach Herrschaft,
Und dies Gefühl, nicht Bruderliebe ist's,
Was zu dem hochgeschwungnen Freiheitsbanner
Die Massen treibt. – Zwar wird es ihnen nie
Ganz klar bewußt, und spornt sie nur als Ahnung
Zu allem an, was eine Neuerung
Und die Verneinung des Besteh'nden ist;
[34] Stets hoffend, so verkörpert zu erschaun,
Was sie von Erdenglück geträumt. Doch ist
Ein tiefes Meer das Volk. Kein Sonnenstrahl
Durchdringt je seine Masse, die bleibt finster.
Es glitzert nur die aufgeworfne Welle
Am glatten Spiegel seiner Oberfläche,
Wie durch des blinden Zufalls Gunst jetzt du.
ADAM.
Warum gerade ich?
LUCIFER.
Du oder einer
Dir anverwandt, in dem des Volks Instinkt
Bewußt geworden, und der kühn es wagt,
Als angestaunter Held der hehren Freiheit
Auf deinen Herrscherposten sich zu drängen,
Indes die Menge nichts gewinnt, sich nur
Der Name ändert, und die Herrschaft bleibt.
ADAM.
Wie endlos ist der Kreislauf deiner Schlüsse,
Woraus vielleicht gar kein Entkommen möglich.
LUCIFER.
Doch giebt es einen Ausweg. Etlichen,
Die sich hervorthun, spende Kettlein, Ringe,
Und ähnlich' Spielzeug; sprich: Hiermit erheb' ich
Euch übers Volk, von nun an seid ihr edler. –
Sie werden's glauben, und das Volk verachtend
Getrost ertragen, daß du sie verachtest.
ADAM.
Versuch' mich mit so eitlem Truge nicht.
Fortan kein Knecht mehr! Alle seien frei!
Verkünd' es ihnen, aber spute dich,
Daß es zu spät sei, wenn die Reue kommt.
LUCIFER
beiseite.
Nur blindlings fort so, glaube immerhin,
[35] Treibt's Schicksal dich, du gingst nach eignem Sinn!

Geht hinaus.
ADAM.
Und dieses Werk soll unvollendet stehn,
Ein Trümmerhaufen, jedermann zur Warnung,
Der hoch hinaus will, und in Riesenschrift
Ein Fragezeichen ird'scher Macht und Schwäche.

Draußen großer Jubel, die Arbeiter zerstreuen sich. Lucifer kommt zurück.

Knecht freue dich, daß sich vor dir die Größe
Gebengt, nur glaube nicht, es wär' erzwungen.
EVA.
O tröste dich, geliebter Mann, was soll dir
Der eitle starre Ruhm? Er schleicht sich nur
Wie eine kalte Schlange zwischen uns.
ADAM.
Doch ist er groß.
EVA.
Verzicht' auf ihn. Der Jammer
Hat aufgehört, stört unsre Seligkeit
Nicht mehr. Wonach mag sich dein Herz noch sehnen,
Wenn du an meinem Herzen ruhen kannst?
ADAM.
Ach Weib, wie eng ist doch dein Horizont!
Und dies grad' zieht den stolzen Mann zu dir. – –
Die Kraft kann einzig nur das Schwache lieben,
Wie das noch unbeholfne Kind am wärmsten
Die schutzbereiten Mutterarme hegen.
EVA.
Es langweilt dich vielleicht schon, Pharao,
Mein ungereimtes albernes Geschwätz?
Doch wenn ich einmal nicht gescheiter bin. –
[36]
ADAM.
O wünsche dir es nicht, mein süßes Liebchen.
Verstand hab' ich allein genug; um Kraft
Und Größe beuge ich mich nicht herab
Auf deinen Busen, noch um Wissen; all' dies
Find' ich in meinen Bücherrollen besser.
Du schwätze nur, damit ich deine Stimme
Vernehme und ihr Klang mein Herz durchzittre.
Wovon du sprichst, ist einerlei. Wer fragt
Was wohl die Vöglein zwitschern? Darum lauschen
Wir doch in süßer Ahnung ihrem Sange.
Du sei mir nur wie eine seltne Blüte,
Kostbarer Tand, zwar nutzlos, aber schön,
Was solchem Dinge eben Wert verleiht.

Zu Lucifer.

Und dennoch rüttelt aus dem Wonnerausch
Mich ein Verlangen. Es mag thöricht sein, –
Doch ach, versage mir es nicht! – Laß kühn
Mich einen Blick in meine Zukunft werfen,
Weit, weit, wei's in Jahrtausenden soll kommen.
Was wird aus meinem Ruhme?
LUCIFER.
Fühlst du nicht,
Indes ihr Küsse tauscht, das laue Lüftchen,
Das deine Wange streift und dann verfliegt?
Wo's hinstrich, bleibt ein dünnes Schichtlein Staub,
In einem Jahre ist kaum fingerhoch,
In hundert Jahren knietief schon der Staub.
In drei-, viertausend Jahren hat verschüttet
Er deine Pyramiden, und es deckt
Ein Grab von Wüstensand auch deinen Namen.
In deinen Lustgefilden heult der Schakal,
Geknechtet Bettelvolk haust in der Öde.

Was Lucifer sagt, wird alles sichtbar.

Und das bewirkt nicht der Orkane Toben,
Nicht des erschloss'nen Erdreichs grollend Beben,
Nur schwacher Lufthauch, der dich sanft umkost.
[37]
ADAM.
Ein schrecklich Bild!
LUCIFER.
Sei ohne Furcht, dein Geist
Geht nur verloren. Dauernd bleibt dein Körper
Als Mumie erhalten, zum Begaffen
Für naseweis' unbärtig Schülervolk,
Mit wüst verzerrtem Antlitz, das die Aufschrift,
Eh'mals so deutlich, nicht erkennen läßt,
Ob du einst Herrscher oder Knecht gewesen:

Stößt mit dem Fuße nach einer Mumie, welche inzwischen vor dem Throne erschien, und dessen Stufen langsam hinabrollt.
ADAM
aufspringend.
Verfluchter Höllenspuk, fort, fort mit dir!
Unsinniges Bestreben, blinder Ehrgeiz! –
Es klingt mir noch im Ohre: Millionen
Für Einen! Diesen Millionen muß ich
Geltung verschaffen, und im freien Staate,
Denn anders kann's nicht sein. Der Einzelne
Mag fallen, wenn nur die Gemeinschaft lebt,
Die sich zum Wohle aller ihrer Glieder
Aus Einzelnen zum großen Ganzen aufbaut.
EVA.
Und mich verläßt du auch, dein treues Lieb?
ADAM.
Dich und den Thron, ja, ich verlasse alles.
Geleit' mich, Lucifer, zu neuem Ziel,
Hab' ohnehin viel schöne Zeit verloren
Auf diesem Irrweg.

Bricht, sein Schwert zückend, auf.
EVA.
Kehrst du, o mein König,
Mit rauh zerstörter Hoffnung einst zurück,
Mein Herz bleibt dir ein sicheres Asyl.
[38]
ADAM.
Ja, ja, mir ahnt, daß ich dich wiederfinde,
Mein Liebling, in geläuterter Gestalt.
Dann wirst du sonder Zwang mich ungeheißen
Als deinesgleichen lieben – wonniglich.

Geht ab.
LUCIFER.
Halt, nicht so rasch, kommst früh genug ans Ziel!
Merkst du dann, was du eingebüßt beim Spiel,
Wird's manche heiße Zähre dir erpressen.
Ich lache in den Bart. Nur zu indessen!
[39]

5. Scene

Fünfte Scene.

In Athen. Der Marktplatz mit einer Rednerbühne in der Mitte. Im Vordergrunde seitwärts eine offene Tempelhalle mit Götterstatuen, Blumenguirlanden, Altar. Eva als Lucia, Gattin des Heerführers Miltiades, mit ihrem Sohne Kimon, von mehreren Dienern begleitet, die Opfergegenstände tragen, kommt auf die Tempelhalle zu. Am Platze lungert zerlumptes Volk umher. Strahlender Morgen.

EVA.
So komm doch, komm hierher, mein lieber Kleiner;
Sieh, dahin fuhr auf schnellem Schiff dein Varer,
Zu kämpfen fern an feindlichen Gestaden.
Ein rohes Volk lebt dort, das es gewagt hat
Die goldne Freiheit unsres Vaterlandes
In keckem Übermute zu bedrohn.
Wir wollen beten, innig beten Kind,
Daß unser gutes Recht der Himmel schütze,
Und unverletzt den Vater wiederbringe.
KIMON.
Was mußte Vater in die Ferne ziehn,
Daß er dies lump'ge feige Volk beschütze,
Wenn unterdes daheim sein Weib sich grämt?
EVA.
O weh, o weh, mein Sohn, urteile nicht
Vermessen über deinen guten Vater,
Auf daß dich nicht der Gottheit Fluch ereile!
Ein liebend Weib allein besitzt das Recht
Zu klagen über ihres Mannes Schritte,
Ob deren Unterlassen sie sich schämte.
Dein Vater that, wie's einem Manne ziemt.
[40]
KIMON.
So fürchtest du, er möchte schwach sich zeigen,
Könnt' unterliegen gar?
EVA.
Nein, nein, mein Sohn,
Dein Vater ist ein Held, wird sicher siegen;
Nur eines giebt's, was ich befürchten kann,
Daß er sich selber nicht bezwingt.
KIMON.
Wieso?
EVA.
Ein mächt'ger Laut wohnt unsrer Seele inne,
Die Ehrbegier. Im Sklaven schlummert sie;
Und wenn sie auch erwacht, so sinkt sie doch,
Weil ihr der Kreis zu enge, zum Verbrechen
Herunter. Mit dem eignen Blute aber
Zieht Freiheit sie als Bürgertugend groß.
Ja, diese ruft, was schön und hehr, ins Leben;
Jedoch, wird sie zu stark, dann überfällt sie
Die eigne Mutter, und ein Kampf entbrennt
Bis eins von beiden wehrlos unterliegt.
Wenn diese Stimme Übermacht gewönne
In ihm, wenn er dies heil'ge Vaterland
Verraten könnte, würd' ich seiner fluchen.
Komm, beten wir mein Sohn!

Sie gehen in die Tempelhalle, indessen sammeln sich immer mehr Leute am Marktplatze.
ERSTER AUS DEM VOLKE.
Man hört ja heute
Nichts Aufregendes, keine Neuigkeit,
Als stieße unser Herr auf keinen Feind.
ZWEITER AUS DEM VOLKE.
Auch hier daheim ist alle Welt so schläfrig.
Ach, will denn niemand Ränke schmieden mehr,
[41] Die auszuführen man, wie einst vor Zeiten,
Des allgewalt'gen Volkes Lungen brauchte?
Den ganzen Morgen streif' ich schon umher,
Und niemand kauft mir meine Stimme ab.
ERSTER AUS DEM VOLKE.
Langweil'ges Leben das, gar nichts zu thun!
EIN DRITTER AUS DEM VOLKE.
Ein kleiner Aufruhr würde gar nicht schaden.

Eva hat unterdessen das Opferfeuer angezündet, ihre Hände gewaschen und sich zum Opfern vorbereitet. Ihre Diener beginnen einen Hymnus, der strophenweise in die folgende Scene eingreift. Auf dem Markte hat sich eine Menge Bürger und
Volk angesammelt. Zwei Demagogen kämpfen um die Rednerbühne.
ERSTER DEMAGOG.
Mach, daß du fortkommst, dieser Platz kommt mir zu!
Dem Lande droht Gefahr, wenn ich nicht spreche.

Das Volk heult Zustimmung.
ZWEITER DEMAGOG.
Es geht zu Grunde, wenn du sprichst. Weg, Söldling!

Das Volk lacht und applaudiert.
ERSTER DEMAGOG.
Du bist kein Söldling, weil dich niemand kauft.
O Bürger! Schmerzerfüllt ergreif' ich's Wort,
Weil's einer edlen Seele Schmerz bereitet
Das Hocherhab'ne in den Staub zu zerren;
Und mir gebeut die heil'ge Bürgerpflicht
Am heut'gen Tage einen großen Mann
Vor euern strengen Richterstuhl zu fordern,
Herab vom Siegeswagen, nach verrauschtem
Triumphe.
ZWEITER DEMAGOG.
Du fängst gut an, Bösewicht!
Bekränze nur vorerst das arme Schlachtrind,
Das du zum Opfer auserkoren.
[42]
ERSTER DEMAGOG.
Weg da!
AUS DEM VOLKE.
Was brauchen wir den Spötter anzuhören?

Zerren am zweiten Demagogen.
ERSTER DEMAGOG.
Doch fällt's mir noch so schwer, es muß gesagt sein;
Denn du, selbstherrliches allmächt'ges Volk,
Giltst mehr in meinen Augen als dein Feldherr.
ZWEITER DEMAGOG.
Dies Pack von hungerigen Krämerseelen,
Das hundemäßig auf den Abfall lauert
Vom Tische seiner Herren? – O du Feigling!
Nein, dein Geschmack ist nicht beneidenswert.
AUS DEM VOLKE.
Stopft ihm das Maul, auch er ist ein Verräter!

Mißhandeln ihn noch ärger. Eva opfert zwei Tauben und Weihrauch auf dem Altare.
EVA.
O Aphrodite! nimm mit Wohlgefallen
Mein Opfer an, erhöre mein Gebet:
Nicht Lorbeerkränz' erfleh' ich für den Gatten,
Nur seiner Heldenbrust daheim den Frieden!

Im Opferrauche erscheint lächelnd Eros. Die Charitinnen umstehen ihn und bestreuen ihn mit Rosen. In Andacht versunkene Gruppe.
DIE MÄGDE.
Erhöre sie!
EROS.
Des reinen Herzens Segen,
Weib, über dich!
[43]
DIE CHARITINNEN.
Und der Charitinnen
Schutz sei mit dir!
DIE MÄGDE.
Hab' Dank, o Aphrodite!
ERSTER DEMAGOG.
Hört also die Anklage: Miltiades
Hat's Vaterland verraten.
ZWEITER DEMAGOG.
Freche Lüge!
Hört mich an, oder 's trifft der späten Reue
Beschämung euch.
ERSTER AUS DEM VOLKE.
Weg da, du Unverschämter!

Reißen ihn ganz in das Gewühl.
ERSTER DEMAGOG.
Die Blüte eurer Jugend führt' er an,
Nahm Lemnos kürzlich erst mit einem Streiche,
Und bleibt unthätig jetzt vor Pharos stehn.
Er ist bestochen.
DRITTER AUS DEM VOLKE.
Tod, Tod über ihn!
ERSTER BÜRGER.
So schreit doch, oder zieht aus meiner Miete!

Das Opfer ist zu Ende, die Götter sind verschwunden.
EVA
sich erhebend.
Was ist das für ein Lärm? komm, sehn wir nach.
KIMON.
Ach Mutter, ein Verräter wird verurteilt!
[44]
EVA
indem sie auf die Stufen der Halle heraustritt.
Es preßt mir allemal das Herz zusammen,
Seh' ich den hungerigen Pöbelhaufen
Ein Urteil fällen über große Männer.
Fällt einmal etwas in den Schmutz, das glänzt,
So sieht's die Menge stets mit Schadenfreude,
Und überhäuft's mit Hohn, als wollte sie
Dadurch den eignen Schmutz entschuldigen.
ZWEITER AUS DEM VOLKE.
Herr, ich bin heiser, und schrie gar zu gerne.
ZWEITER BÜRGER.
Da hast du, schmiere deine Gurgel.
ZWEITER AUS DEM VOLKE.
Aber
Was soll ich schrein?
ZWEITER BÜRGER.
Tod dem Verräter! schreie.
AUS DEM VOLKE.
Tod, Tod!
EVA.
Von wem ist eigentlich die Rede?
ZWEITER DEMAGOG
zu ihr tretend.
Von wem sonst, als der seine Zeitgenossen,
Um eines Hauptes Höhe überragt,
Was diese nicht vertragen können?
EVA.
Götter!
Von Miltiades? – Und du, alter Krispos,
Den aus der Sklaverei mein Mann befreit,
Auch du schreist Tod?
[45]
KRISPOS.
Vergieb Frau, von uns beiden
Kann nur der eine leben. Mit drei Kindern
Erhält mein Haus, der mich so stimmen heißt.
EVA.
Weh' dir, wenn dein Geschick dich so erniedrigt!
Obschon ich dir verzeihe, weil du hungerst.
Doch du Thersites, und ihr übrigen,
Die ihr im Wohlstand ruhig schlummern könnt,
Nachdem mein Mann den Feind von euren Thoren
Verjagt? – O Undankbare!
THERSITES.
Gute Frau,
Es kommt uns selbst recht bitter an. Jedoch
Was thun? Das ist einmal des Volkes Stimmung.
Wer setzte wohl sein Hab und Gut aufs Spiel,
Indem er den empörten Wogen trotzt?
ERSTER DEMAGOG.
Verkünde also, wie das Volk geurteilt.

Lucifer als Krieger mit schreckerfülltem Antlitze kommt gelaufen.
LUCIFER.
Verderben droht, der Feind ist vor den Thoren!
ERSTER DEMAGOG.
Das kann nicht sein, steht siegreich unser Feldherr
Denn nicht vor ihm?
LUCIFER.
Er selbst ist ja der Feind.
Erfuhr, was ihr im Schild' führt gegen ihn,
Gerechter Zorn entbrannt' in seiner Brust,
Und während ihr da schwätzt, steht er vor euch
Mit Schwert und Feuer.
[46]
ZWEITER BÜRGER.
Ihr Verräter, seht,
Ihr habt dies Unheil über uns gebracht.
AUS DEM VOLKE.
So haut sie nieder. – Unser Feldherr lebe!
Weh uns, weh uns, lauft, was ihr laufen könnt!
Wir sind verloren.
ERSTER DEMAGOG.
Noch nicht. Eilt zu huld'gen
Entgegen ihm ans Thor.
EVA.
O Götter! Schmerzlich
War mir das Urteil, bitterer jedoch
Ist, daß du es gerechtfertigt, obgleich ich
Dich so nun wieder habe.
ERSTER AUS DEM VOLKE.
Nehmt die Gattin
Gefangen. Widerfährt der Stadt ein Leid,
Soll samt dem Kind' sie blassen Todes sterben.
EVA.
Ach gerne stürb' ich, liebster Mann, für dich,
Träf nur mein Kind nicht seines Volkes Fluch!
KIMON.
Sei unbesorgt um mich, komm' Mutter, komm',
Vor jedem Leid schützt uns dies Heiligtum.

Sie flüchten sich vor den Verfolgern in die Halle, hinter ihnen lassen Nymphen eine Rosenkette vor das Volk herab, das sogleich zurückweicht. Draußen erschallen Posaunen, das Volk stiebt wehklagend auseinander. Die Nymphen verschwinden.
LUCIFER
reibt sich lachend die Hände.
Kein schlechter Spaß. Wie gut hat's kühles Wissen,
[47] Kann lachen da, wo Herzen brechen müssen.

Sich gegen den Tempel wendend.

Wenn nur der Anblick dieses ewig Schönen,
Das immer sich verjüngt, nicht stets mich störte.
Es überläuft mich kalt in seinem mystisch
Fremdart'gen Banne, der das Nackte keusch,
Die Sünde edel, und ein bös' Geschick
Erhaben macht durch seinen Rosenschmuck,
Und seiner Einfalt weihevollen Hauch. –
Wo bleibt so lange meine Welt: der Unhold,
Das zweifelhafte Schreckgespenst der Hölle,
Dies Blendwerk endlich einmal zu verscheuchen,
Des Himmelsmacht dem fast besiegten Menschen
Mit mir im Kampfe immer wieder aufhilft?
Doch wollen wir ja sehn, wenn uns in Bälde
Die Schrecknisse des Todes überkommen,
Ob dies langweil'ge Schattenspiel nicht einmal
Hier seine Grenze endlich doch erreicht.

Adam, als Miltiades, wird an der Spitze einer bewaffneten Schar verwundet einhergeführt. Vor ihm flehend das Volk und die Demagogen.
AUS DEM VOLKE.
Es lebe unser Feldherr! Hab Erbarmen
Du großer Mann!
ADAM.
Was habt ihr denn verschuldet,
Daß ihr von mir Erbarmen heischt? Was kann
Der Starke von dem Schwachen wohl erflehn? –
Doch kommt mir weder Weib noch Kind entgegen;
Es widerfuhr den beiden doch kein Leid?
EVA.
Ach Miltiades, warum kommst du auch,
Kann sich dein Weib nicht deines Kommens freun? –
Mein Sohn, ich sinke nieder, stütze mich .....
Nicht einmal einen guten Namen läßt
Dein Vater dir, o weh, o weh! –
[48]
ADAM.
Was ist das?
Begreife nicht. Um Gnade fleht das Volk,
Mir flucht mein Weib, und diese Brust hier blutet
Fürs Vaterland.
EVA.
Mehr blutet noch mein Herz,
Und's Vaterland am meisten. Oder weshalb
Kamst an der Spitze einer Kriegerschar? –
ADAM.
Gebühret solch' Geleit nicht meinem Range?
Ich kam, weil diese schwere Wunde mich
Nicht länger meines Amtes walten läßt;
Ich kam, um in die Hände meiner Sender,
In des alleinherrschenden Volkes Hand,
Die meiner Bürgertugend anvertraute
Gesetzliche Gewalt zurückzulegen,
Und über die Erfolge meiner Sendung,
Wie sich's gebühret, Rechenschaft zu legen.
Entlasse euch nun, meine Kriegsgefährten,
Habt eures Herdes Ruhe wohl verdient;
Und dir geweiht, Pallas-Athene, hänge
Auch ich mein Schwert in deinem Tempel auf.

Läßt sich die Stufen der Halle hinaufführen. Seine Krieger zerstreuen sich.
EVA
ihrem Gatten um den Hals fallend.
Ach Miltiades, wo giebt's eine Frau,
Glücksel'ger als dein Weib, du edler Mann!
Schau nur, schau deinen Sohn, wie ähnlich dir,
Wie groß, wie schön!
ADAM.
Ihr meine Lieben all'!
KIMON.
Ich wußte wohl, daß, was mein Vater thut,
Auch wohlgethan ist.
[49]
EVA.
O beschäm' mich nicht!
Dies hätt' die Gattin besser wissen sollen.
ADAM.
Mein Sohn, du weihe deines Vaters Schwert.
KIMON
indem er das Schwert aufhängt.
Behüte Göttin dieses teure Schwert,
Bis ich es einst von dir zu holen komme.
EVA.
Zu diesem zwiefach dargebrachten Opfer
Will ich, die Mutter, Weihrauch streun. Sieh, Pallas,
Hernieder!

Opfert Weihrauch.
ERSTER DEMAGOG
auf der Rednerbühne.
Sagt' ich's nicht, daß er ein feiler
Verräter sei, von Darius erkauft?
Erheuchelt ist die Wunde, gegen ihn
Will er nicht kämpfen.
AUS DEM VOLKE.
Tod, Tod dem Verräter!
ADAM.
Hört nur, was ist das für ein Lärm da draußen?
EVA.
Ach Miltiades, das sind Schreckenslaute,
Die Menge nennt dich neuerdings Verräter.
ADAM.
Ha, lächerlich, einen Verräter mich,
Der ich bei Marathon gesiegt?
EVA.
O leider,
[50] Verhält sich's so! Es ist ein schändlich' Treiben,
Das du zu Hause angetroffen hast.
ERSTER DEMAGOG.
Was zögert ihr, euch seiner zu bemächt'gen?

Das Volk drängt sich zur Tempelhalle, darunter Lucifer.
EVA.
In diesem Heiligtume bist du sicher,
Miltiades, rühr' dich nicht von der Stelle! –
Warum auch mußtest du dein Heer entlassen?
Was hast du dieses Sündennest nicht lieber
Einäschern lassen? Ketten nur verdient
Dies Lumpenpack, das wohl fühlt, wie du ihm
Zum Herrn geboren, weil du edler bist
Als allesamt. Es wird dich morden, morden,
Damit's nicht knechtisch dir zu Füßen falle!
ERSTER DEMAGOG.
Hört nur, wie des Verräters Gattin spricht!
EVA.
Das Weib hat stets ein Recht, den Gatten selbst
Dann zu verteid'gen, wenn er schuldig ist;
Wie erst, wenn er so rein, wie mein Gemahl,
Und seine Feinde so verrucht, wie ihr!
ERSTER DEMAGOG.
Was läßt das allgewalt'ge Volk sich so
Heruntersetzen?
ERSTER AUS DEM VOLKE.
Aber wenn sie dennoch
Die Wahrheit spräch'?
ERSTER BÜRGER.
Verdächtig scheint mir, wer
Zu ihnen hält. Schreit, elendes Gesindel,
Oder krepiert vor Hunger!
[51]
AUS DEM VOLKE.
Tötet ihn!
ADAM.
Verhüll' des Knaben Blick, er soll mein Blut
Nicht schaun! Mach', Weib, dich los von dieser Brust!
Der Blitzstrahl, welcher auf den harten Fels
Herniederfährt, soll dich fürwahr nicht treffen.
Nur ich mag sterben. – Wofür lebt' ich auch
Da ich nun seh', wie albern jene Freiheit,
Für die ich all' mein Lebtag treu gekämpft.
ERSTER DEMAGOG.
Was zaudert ihr noch?
AUS DEM VOLKE.
Tötet, tötet ihn!
ADAM.
Will dieses feige Volk drum nicht verdammen.
Es ist nicht seine Schuld, in der Natur schon
Liegt's ihm, daß Elend es zum Sklaven stemple,
Und harte Sklaverei zum blut'gen Werkzeug
Herrschsücht'ger Meuterer erniedrige.
Nur ich, ich ganz alleine war ein Thor,
Zu glauben, solch ein Volk bedarf der Freiheit.
LUCIFER
beiseite.
Hast deine eigne Grabschrift da verfaßt,
Die nach dir auf manch' große Gruft noch paßt.
ADAM.
Geleitet mich hinunter, denn nicht länger
Mag ich dies Heiligtum in Anspruch nehmen
Zu meinem Schutz.

Läßt sich die Stufen hinunterführen, indem er Eva sanft in die Arme ihrer Dienerinnen legt.

Wohlan – ich bin bereit!
[52]
ZWEITER DEMAGOG.
Verteid'ge dich, es ist noch nichts verloren!
ADAM.
Wie würde diese Wunde brennen, sagt' ich
Ein Wort der Selbstverteidigung.
ZWEITER DEMAGOG.
O thu' es!
Soeben kroch dies Volk vor dir im Staube.
ADAM.
Ach eben deshalb wäre es vergebens,
Denn nie verzeiht das Volk die eigne Schande.
LUCIFER.
Nun, bist du jetzt ernüchtert?
ADAM.
Sehr!
LUCIFER.
Und ist dir's
Nun klar, daß du ein edlerer Gebieter
Der stumpfen Menge warst, als sie dir ist?
ADAM.
Mag sein, doch ist es so und so Verderben,
Anders benannt ein und dasselbe Los,
Dagegen anzukämpfen eitles Streben.
Ich werd' es auch nicht thun. – Und dann wozu,
Wozu auch sollt' ein glühend Herz sich sehnen
Nach Hocherhabenem? Sich selber lebe
Und nach Genüssen hasche nur der Sinn,
Die Spanne Lebensfrist froh auszufüllen
Und trunken in des Hades Schoß zu taumeln.
[53] Führ', Lucifer, auf neue Bahnen mich.
Will hohnlachend hinfür des Nächsten Tugend
Und Qual betrachten, nur nach Wollust strebend.
Und du Weib, die mir einst – so sagt mein Herz –
Hast Lauben in die Wüstenei gezaubert,
Wärst nicht bei Trost, fiel's ein dir, meinen Sohn
Als sorgliche gewissenhafte Mutter
Zum tugendhaften Bürger zu erziehn.
Mit vollem Recht' thät spotten dein die Dirne
Im Freudenhaus dort, mit geschminkten Wangen,
Von Wein erhitzt, Begierde auf den Lippen.
Ergötze, freue dich, verwirf die Tugend! –
Nun aufs Schaffot, durch Henkershand zu sterben –
Zur Strafe. Nicht als wär' ich einer Schandthat
Fähig gewesen, sondern weil mich eine
Erhabene Idee begeistern konnte.

Inzwischen bringt man einen Block vor die Stufen, daneben steht Lucifer mit einem Beile. Adam neigt sein Haupt.
ERSTER DEMAGOG.
Jetzt richtet ihn. Das Vaterland soll leben!
LUCIFER
halb flüsternd.
Ein schöner Abschied, nicht? – Nun, tapfrer Herr,
Berührt dich nicht ein bißchen sonderbar
Der eis'ge Hauch des schauerlichen Todes?
EVA.
Erhörtest nicht, o Pallas, mein Gebet!

Aus dem Tempel tritt der Genius des Todes, als sanftblickender Jüngling, mit gesenkter Fackel und einem Kranze zu Adam.
ADAM.
Pallas hat dich erhört. – Leb' wohl, leb' wohl,
Ich bin beruhigt, meine Lucia!
LUCIFER.
Verflucht! erlogne Traumwelt du, hast wieder
Mir meinen schönsten Augenblick zerstört!
[54]
EVA.
Fluch über dich, fühlloses feiles Volk!
Rauh rührtest du ans Glück, und ach, sofort
Sank seine frische Blüte in den Staub.
Und dir kann kaum so süß die Freiheit sein,
Als für mein Herz sie schmerzlich bitter ward.
[55]

6. Scene

Sechste Scene.

In Rom. Offene Halle mit Götterstatuen und Prunkgefäßen, in denen Räucherwerk brennt. Aussicht auf die Apenninen. – In der Mitte eine gedeckte Tafel mit drei Ruhebänken. Adam als Sergiolus, Lucifer als Milo, Catulus, lauter Lüstlinge. Eva als Julia, Hippia und Cluvia, Lustdirnen, leichtfertig gekleidet, schwelgen. Auf einer Tribüne kämpfen Gladiatoren, Sklaven stehen Befehle erwartend umher, Flötenspieler machen Musik. Abend, später Nacht.

CATULUS.
Wie schlau und flink ist, Sergiolus, schau,
Der Gladiator mit der roten Binde!
Möcht' wetten, daß er jenen dort besiegt.
ADAM.
Den nicht, beim Herkules!
CATULUS.
Was, Herkules!
Wer glaubt heut noch an Götter? Schwöre lieber
Bei deiner Julia, dann glaub' ich's eher.
ADAM.
Es sei!
LUCIFER.
Dein Schwur hat wahrlich festen Grund,
Wenn an die Stelle einer falschen Gottheit
Du eine andere falsche Gottheit setzest.
Doch sag', wie sollen wir den Eid verstehn?
Gilt ihre Schönheit, ihre Liebe, oder
Gar ihre Treue uns als Unterpfand?
[56]
CATULUS.
Der Liebreiz ist vergänglich, und wenn er
Auch nicht vergänglich wäre, würde morgen
Dir schal erscheinen, was dich heut' entzückt;
Leicht dürfte dich ein minder schönes Weib
Abwendig machen durch den Reiz der Neuheit.
ADAM.
Hab ihre Treu gemeint, denn wer verschwendet
An seine Herzensfreundin mehr als ich?
HIPPIA.
O süße Einfalt! Wärst du denn imstande
Sie unaufhörlich liebend zu umarmen?
Und könntest du's, der du so unersättlich
Nach Wollust schmachtest, und so ganz vergeblich
Umherschwärmst, weil in jedem Weibe du
Nur einen losen Teil der Reize findest;
Indes das höchste Ideal von Schönheit
Und Wollust stets dir unerreichbar vorschwebt?
Wie kannst du wissen, ob nicht eine Laune,
Ein Traum vielleicht auch sie verführen wird?
Die wundbedeckten Glieder eines Fechters.
ADAM.
Wahr, nur zu wahr, nicht weiter Hippia!
Warum lockt uns, gleich Tantalus, die Wollust,
Wenn wir der Kraft des Herkules ermangeln,
Uns nicht wie Proteus schlau verwandeln können,
Und ein verachteter obskurer Sklave
Nach einer martervoll durchlebten Woche
Die Schäferstunde ungesucht genießt,
Nach der sein Herr sich ganz vergeblich sehnt?
Wär' nur ein Wassertrunk die Sinneslust
Dem schier Verschmachtenden, und Tod dem Kühnen,
Der sich kopfüber in die Wogen stürzt?
[57]
LUCIFER.
Welch' intressanter Lehrkurs über Sitten,
In schöner Mädchen Schoß, bei Becherklang.
Doch eure Wette?
ADAM.
Nun, wenn ich verliere,
Sei Julia dein Eigen.
CATULUS.
Und gewinnst du?
ADAM.
Gehört dein Roß mir.
CATULUS.
Nach vier Wochen magst
Du sie getrost zurück dir nehmen, oder
Beileib', ich stoße sie in meinen Fischteich.
LUCIFER.
Schau, Julia, den schönen fetten Fisch.
Iß doch, du wirst ja einen andern mästen.
EVA.
Und prassen nicht einst Würmer auch an dir?
Es freue sich wer lebt, so lang er atmet;
Und wer sich nicht des Lebens freuen kann,
Soll wenigstens aus vollem Halse lachen.

Trinkt.
ADAM
zum Gladiator.
He, halt dich gut!
CATULUS.
Nur tapfer ausgeholt!

Der Gladiator des Catulus fällt und hebt um sein Leben flehend den Finger. Adam will das Begnadigungszeichen geben. Catulus hält ihm die Hand zurück und streckt die Faust ballend seinen Daumen gegen den Gladiator.

[58] Recipe ferrum! – Feige Memme. Habe
Der Sklaven noch genug, ich bin nicht geizig.
Wer könnt' euch, meine Schönen, diese kleine
Leichtaufregende Scene vorenthalten,
Ist doch der Kuß weit süßer, die Begierde
Viel glüh'nder, wenn ein bißchen Blut geflossen.

Der Gladiator hat unterdessen seinen Gegner umgebracht.
ADAM.
Das Roß ist mein! Komm' teure Julia,
Umarme mich! Den Leichnam schafft hinaus! –
Hei Tänzer! Spielet nun Komödie,
Genug für heut' von diesem.

Der Leichnam wird hinausgetragen, Tänzer nehmen die Bühne ein.
CATULUS.
Cluvia!
So komm' du auch; ich kann's nicht lang mit ansehn,
Wenn andre kosen.
LUCIFER.
Und wir, Hippia,
Woll'n wir nicht auch dem guten Beispiel folgen?
Doch lecke dir die Lippen eher ab,
Ob ihrem Rot kein Gift anhaftet. Recht so! ....
Nun, Schätzchen, können wir uns auch erlust'gen.
ADAM.
Wie pocht dein Herz so ungestüm, ich kann
Daran nicht Ruhe finden, Julia!

Sie flüstern.
LUCIFER.
Hör' nur, der Narr da faselt noch vom Herzen!
CATULUS.
Herzliebchen, sieh, ich lasse dein's in Ruhe.
Du kannst damit ganz nach Belieben schalten,
Wenn ich's nicht weiß, sind sonst nur deine Küsse
Recht feurig und allzeit bereit für mich.
[59]
CLUVIA.
Großmüt'ger Gönner, auf dein Wohl! Stoß an!

Trinkt.
CATULUS.
Gut, gut, doch Cluvia, entziehe mir
Nicht deinen weichen Arm und vollen Busen;
Sieh' da, mein Kranz glitt mir bereits vom Haupt.

Zu den Tänzerinnen.

Ach, das ist eine meisterhafte Wendung,
Wie üppig und wie graziös dabei!
CLUVIA.
Ich halte dir die Augen zu, wenn du
Dort suchst, wofür ich auch wetteif're, ohne
Nur den geringsten Lobspruch zu erringen.

Auf Lucifer zeigend.

Betrachte lieber diese Essigmiene!
Was nützt dem Sauertopf die schöne Maid,
Wenn er mit ihr nichts anzufangen weiß,
Und zugiebt, daß sie einschläft, während er
Mit kühlem Blick' hohnlächelnd nur verfolgt
Die hundert süßen, wenngleich närr'schen Dinge,
Die dem gesell'gen Umgang Duft verleihn.
CATULUS.
Fürwahr, ein solches Jammerbild erkältet
Die sangesfrohe Stimmung ganzer Kreise.
Wer des Momentes Zauber widersteht
Und von der Flut sich nicht hinreißen läßt,
Der taugt nicht viel und bleibe nur daheim.
HIPPIA.
Gewiß, gewiß. Ich fürchte fast, den Armen
Hat wirklich schon der schwarze Tod gepackt,
Der in der Stadt jetzt wütet.
ADAM.
Ach, hinweg
[60] Mit diesem düstern Bild! Ein Lied, ein Lied!
Recht lustig! Wer von euch kann wohl das Schönste?
HIPPIA
singt.
Die Liebe und den Wein
Lass' nie zu viel dir sein.
Andres Aroma
Hat jeder Becher,
Und wie die Sonne wüste Gräber,
Vergoldet unsern Lebenstag
Der Rausch, der süße Taumel.

Die Liebe und den Wein
Lass' nie zu viel dir sein.
Anderen Zauber
Hat jedes Mädchen,
Und wie die Sonne wüste Gräber,
Vergoldet unsern Lebenstag
Der Rausch, der süße Taumel.
CATULUS.
Das war nicht schlecht. Was kannst du, Cluvia?
CLUVIA
singt.
Es waren wohl recht närr'sche Zeiten,
Als einer von den schönsten Leuten
Sich um Lucretia bemühte,
Und sie in Wollust nicht erglühte,
Auch in kein Lupanar gegangen,
Durch eignen Dolch den Tod empfangen.
ALLE.
Freut euch, daß jetzt die Welt gescheiter,
Und ihr drin lebet, heil und heiter!
CLUVIA.
Es waren wohl recht närr'sche Zeiten,
Als Brutus für das Volk zu streiten
[61] Zum Schwerte griff, wie Söldner thun,
Und konnte schön daheim doch ruhn.
Hat auch für solche Narrenspossen
In heißer Schlacht sein Blut vergossen.
ALLE.
Freut euch, daß jetzt die Welt gescheiter
Und ihr drin lebet, heil und heiter!
CLUVIA.
Es waren wohl recht närr'sche Zeiten:
Ein Hirngespinst konnt' Helden leiten;
Die hielten heilig, was zum Lachen.
Ein solcher Thor wär' für den Rachen
Der Bestien im Cirkus heute
Zu grausem Schauspiel seltne Beute.
ALLE.
Freut euch, daß jetzt die Welt gescheiter,
Und ihr drin lebet, heil und heiter!
LUCIFER.
Ach Cluvia, hast Hippia besiegt!
Ich wollt' ich wär's, der dieses Lied gedichtet.
ADAM.
Du singst nicht, Julia? Warum so traurig?
Um uns ist alles lustig, voller Freude.
Thut dir nicht wohl an meiner Brust zu ruhn?
EVA.
Ach wohl, sehr wohl! Doch mußt du mir verzeihn,
Wenn ernst mein Glück mich stimmt. Ich glaube wirklich
Ein lachend Glück ist gar kein wahres Glück.
Es mischt in uns're süßesten Momente
Ein Tropfen sich von unnennbarem Weh,
Wir ahnen wohl, daß solche Augenblicke
Nur Blüten sind, – die bald verwelken.
[62]
ADAM.
Gerade
So ist es mir zu Mute.
EVA.
Und besonders
Wenn ich ein Lied hör', wenn Musik erklingt.
Da lausch' ich nicht dem engbeschränkten Worte,
Es wiegt der Töne Schwall mich, wie ein Kahn;
Mir ist's, als läg ich träumend da und flöge
Auf den harmon'schen Schwingungen der Töne
Zurück in eine ferne ferne Zeit,
Wo unter sonn'gen Palmen ich gewandelt
In Unschuld, kindlich froh, und meine Seele
Zu Großem, Reinem, Edlem war berufen.
Verzeih', es ist nur tollen Traumes Zauber,
Ich küsse dich schon wieder, – ich erwache.
ADAM.
Hört auf mit der Musik, dem Tanz'! Es widert
Dies Meer endloser Süßigkeit mich an.
Mein Herz verlangt nach etwas Bitterem:
Wermut in meinen Wein, und einen Stachel
Auf die Korallenlippen, Sturm ums Haupt!

Die Tänzer entfernen sich, von draußen hört man Wehgeschrei.

Welch' Weheruf dringt so durch Mark und Bein?
LUCIFER.
Man kreuzigt eben ein paar Hirnverbrannte,
Die da von Recht und Brüderlichkeit träumten.
CATULUS.
Geschieht den Narren recht, sie hätten fein
Zuhause bleiben, sorgenlos genießen,
Und um sich her die Welt vergessen sollen.
Was mußten sie sich auch um andre kümmern?
LUCIFER.
Zum Bruder wünscht den Reichen sich der Bettler;
Verwechsle sie, und dieser kreuzigt jenen. –
[63]
CATULUS.
So laßt uns über Elend, Macht und Pest,
Die unsre Stadt gerade decimiert,
Wie der erzürnten Götter Ratschluß lachen.

Neuer Weheruf.
ADAM
für sich.
Mir ist's, als läg ich träumend da und flöge
Auf Schalles-Schwingen in vergangne Zeiten,
Wo meine Seele, ach, noch unverderbt
Zu Großem, Reinem, Edlem war berufen.
Sagtest du nicht so, Julia?
JULIA.
Ja wohl!

Unterdessen ist es finster geworden. An der Halle zieht ein Leichenzug vorüber mit Tibien, Fackeln und Klageweibern. Die ganze Gesellschaft versinkt auf einige Zeit in starres Schweigen.
LUCIFER
auflachend.
Euch ist die Lust vergangen, wie ich merke.
Giebt's keinen Wein mehr, oder fehlt's an Witz,
Daß selbst der saure Herr es satt bekommt?
Am Ende ist hier einer unter uns,
Der Angst hat, oder sich bekehren will.
ADAM
indem er seinen Becher nach ihm schleudert.
Zum Henker auch! mir das zu bieten!
LUCIFER.
Na,
Ich lade einen neuen Gast zu uns,
Vielleicht kehrt neue Lust mit ihm hier ein.
He! Knechte, bringt den Wanderer herein,
Der da mit Fackelglanz des Weges zieht!
Wir bieten ihm doch einen frischen Trunk? – –

Man bringt den Leichnam in offnem Sarge herein und setzt ihn auf die Tafel. Sein Gefolge bleibt im Hintergrunde. Lucifer trinkt ihm zu.

Trink Bruder! heute dir und morgen mir!
[64]
HIPPIA.
Vielleicht ist dir ein Küßchen lieber?
LUCIFER.
Küss' ihn,
Und stiehl den Obolus ihm aus dem Munde.
HIPPIA.
Warum nicht, wenn ich deinesgleichen küsse?

Küßt den Leichnam. Apostel Petrus tritt aus dem Gefolge hervor.
APOSTEL PETRUS.
Die Pest, Verwegne, atmest du da ein!

Zurückschaudernd erheben sich alle von ihren Plätzen.
ALLE.
Die Pest?! – wie schrecklich! – fort von hier, fort, fort!
APOSTEL PETRUS.
Du feig' Geschlecht, du elendes Gezücht!
So lang dir Glück und Freude lächelt, gleich
Den Fliegen in der Sonne, unverschämt,
Das Gott und Tugend dreist mit Füßen tritt;
Doch wenn Gefahr an deine Thüre pocht,
Der wucht'ge Finger Gottes dich berührt,
Sich feig verkriecht und jämmerlich verzweifelt.
Füblst du denn nicht, wie schwer des Himmels Strafe
Schon auf dir lastet? Schau nur, schau dich um,
Die Stadt verödet, rohes fremdes Volk
Zertritt die goldnen Saaten, alle Ordnung
Ist aufgelöst, niemand befiehlt und niemand
Gehorcht. Mit hocherhobnem Haupte schreiten
Durch stille Friedensstätten Raub und Mord,
Entsetzen, bleiche Sorge hinterher.
Und Himmel, Erde, Allewelt versagt
In diesen Nöten Mitleid, Hilfe dir.
Nicht wahr, vermagst mit geilem Sinnesrausch
Nicht einzuschläfern jene ernste Stimme,
[65] Die alle Tiefen deines Innern aufwühlt
Und dich zu bess'rem Ziel vergeblich drängt?
Nicht wahr, du fühlest nicht Befriedigung,
Nur Ekel weckt die Wollust dir im Herzen?
Du schau'st dich ängstlich um, die Lippen stammeln .....
Umsonst, an deine alten Götter mangelt
Der Glaube dir, sie sind zu Stein geworden.

Die Götterstatuen zerfallen in Staub.

Ihr Bild zerfällt in Staub, und nimmer findest
Du eine neue Gottheit, die aufs neue
Dich aus der Schlacke reinigend erhöbe.
Schau dich nur um, was wütet in der Stadt
Verheerender noch als die Pest? Unzähl'ge
Erheben sich von ihrem weichen Pfühl,
Um mit verwilderten Anachoreten
Die Wüsten der Thebais zu bevölkern,
Dort suchend, was noch ihre stumpfen Sinne
Erregen könnte, sie erheben möchte.
Du wirst, o ausgeartetes Geschlecht,
Spurlos vom Schauplatz dieser Welt verschwinden.
HIPPIA.
O wehe mir, welch' fürchterliche Pein!
Eiskalter Schweiß, des Orkus Flammenglut.
Das ist die Pest, die Pest, ich bin verloren!
Will mir denn keiner beistehn von euch allen,
Die ihr so viel Genuß mit mir geteilt?
LUCIFER.
Ja heute dir, und morgen mir, mein Schatz!
HIPPIA.
So tötet mich, soll euch mein Fluch nicht treffen.
APOSTEL PETRUS
zu ihr tretend.
O fluche nicht, mein Kind, verzeihn ist edler!
Ich will dich stützen und der große Gott,
Der ew'gen Liebe einzig wahrer Gott.
Erhebe dich zu ihm, durch dieses Wasser
[66] Wird deine Seele von der Sünde Schlacken
Gereinigt und geht ein in seinen Himmel.

Tauft sie aus einem Gefäße, das er von der Tafel nimmt.
HIPPIA.
Mein Vater, o wie fühl ich mich erleichtert!

Stirbt.
CATULUS
bricht auf.
Ich reise heute noch in die Thebais.
Es ekelt diese Sündenwelt mich an.
CLUVIA.
Verweile Catulus, ich geh' mit dir.

Gehen hinaus.
ADAM
in Gedanken verloren, tritt in den Vordergrund.
Eva folgt ihm.
Und du hier Julia? was suchst du da,
Wo Todeshand die Freude ausgerottet?
EVA.
Und ist an deiner Seite nicht mein Platz?
Ach Sergiolus! welcher Reichtum edler
Gefühle war in dieser Brust zu finden,
Wo du vergängliches Gelüst nur suchtest!
ADAM.
Und auch in mir. Wie schade, daß es so ist!
Zu Grunde gehen, elend, eng, erbärmlich,
Und leiden bis dahin. O lebt ein Gott,

Kniet nieder und hebt die Hände zum Himmel.

Sorgt er für uns, beherrscht er unser Dasein,
So mag er neue Völker und Ideen
Erstehen lassen; jene um das träge
Blut aufzufrischen, diese, daß das Edle
Spielraum gewinne hoch emporzustreben.
Ich fühle klar, wie alles abgenützt ist,
Was unser war, und daß zu neuem Schaffen
[67] Die Kraft uns mangelt. Gott, erhöre mich!

Am Himmel erscheint in Glorie das Kreuz. Hinter den Bergen sieht man den Feuerschein brennender Städte. Von den Höhen steigen halbwilde Horden herab. Von weitem ertönt andächtiger Hymnus.
LUCIFER
für sich.
Kalt läuft mir's übern Rücken bei dem Anblick.
Doch ist es nicht der Mensch, mit dem ich ringe?
Was mir nicht möglich, thut er selbst für mich.
Hab' solchen Spaß schon oft mit angesehn.
Ist mit der Zeit die Glorie verschwunden,
Bleibt immer aufrecht noch das blut'ge Kreuz.
APOSTEL PETRUS.
Der Herr hat dich erhört. Schau nur um dich,
Die faule Erde rings wird neugeboren.
Die bärenhäutigen Barbarenkrieger,
Die Feuerbränd' in stolze Städte werfen,
Die Saaten friedlicher Jahrhunderte
Ruchlos zerstampfen, und für ihre Rosse
Zur Stallung jüngst verlass'ne Tempel küren,
Sie bringen frisches Blut in die verschrumpften,
Schon ausgedorrten Adern. Und die dort
Im Cirkus fromme Hymnen singen, während
Des Tigers Zahn ihr Eingeweid' zerfleischt,
Sie sind die Träger mächtiger Ideen
Von Nächstenlieb' und gleichen Menschenrechten,
Die bis zum Grund die Welt erschüttern werden.
ADAM.
Mein Sinn steht wohl nach andrem, wie ich fühle
Als zu genießen faul auf weichem Pfühle;
Des warmen Bluts allmähliches Entweichen
Ist eine Wollust, wahrlich ohnegleichen!
APOSTEL PETRUS.
So sei dein Ziel denn: Herrlichkeit für Gott,
Arbeit für dich! des Menschen Geist ist frei,
Kann gelten lassen alles, was in ihm,
Es bindet ihn nur ein Gebot: die Liebe.
[68]
ADAM.
Auf, auf! zu streiten für die neue Lehre,
Begeistert eine neue Welt zu schaffen,
Die ihre Blüte in der Rittertugend
Entfalten soll, und deren Poesie
Am Hochaltar dem hehrsten Ideale
Verklärter Weiblichkeit in Andacht huldigt!

Bricht, sich auf Petrus stützend auf.
LUCIFER.
Unmögliches, Adam, begeistert dich!
So schickt für einen ernsten Mann es sich.
Gott ist's gefällig, weil's dem Himmel kürt,
Dem Teufel lieb, weil's zur Verzweiflung führt.
[69]

7. Scene

Siebente Scene.

In Konstantinopel. Offener Platz. Einige Bürger lungern herum. – In der Mitte der Palast des Patriarchen, rechts ein Nonnenkloster, links ein Hain. Adam als Tancred, in kräftigem Mannesalter, gefolgt von anderen Rittern, kommt an der Spitze zurückkehrender Kreuzfahrer, mit fliegenden Fahnen unter Paukenschall. Lucifer als sein Schildknappe. Abend, später Nacht.

ERSTER BÜRGER.
Seht, da kommt wieder ein Barbarenschwarm.
O flieht, versperret Thür und Thor, daß er
Nicht Lust verspüre, neuerdings zu plündern!
ZWEITER BÜRGER.
Versteckt die Weiber; nur zu gut kennt dieses
Gesindel die Genüsse der Serails.
ERSTER BÜRGER.
Auch unsre Frauenwelt des Siegers Recht.
ADAM.
Halt, Halt! Was flieht ihr so entsetzt vor uns?
Seht ihr denn nicht dies heil'ge Zeichen da,
Das brüderlich uns einem Zweck verbindet?
Wir trugen unsres Glaubens Licht, die Lehre
Der Nächstenliebe hin nach Asien,
Damit die rohen Millionen dort,
Wo unsres Heilands heil'ge Wiege stand,
Des Segens der Erlösung teilhaft werden.
Und unter euch gäb's keine Nächstenliebe?
[70]
ERSTER BÜRGER.
Dergleichen Reden hörten wir schon oft,
Und flugs warf man uns Brände in die Häuser.

Zerstreuen sich.
ADAM
zu den Rittern.
Nun seht, das ist die unheilvolle Frucht,
Wenn Raubgesindel mit verruchten Plänen
In seiner Faust die heil'ge Fahne schwingt,
Und feig des Pöbels Leidenschaften schmeichelnd
Zum Führer sich ganz unberufen aufdrängt.
Ihr Ritter wert! solange unsern Schwertern
Sich unbescholtne Ehre, Gottes Lob,
Der Frauen Schutz und Tapferkeit vermählt,
Sind wir berufen, diesen schmutz'gen Dämon
Im Zaum zu halten und dahin zu leiten,
Daß er trotz seiner Neigung Großes nur
Und Edles stets vollbringe.
LUCIFER.
Das klingt gut.
Doch Tancred, wenn das launenhafte Volk dich
Als seinen Führer nimmer anerkennt?
ADAM.
Dort wo der Geist, ist auch der Sieg. Ich schmetter's
Zu Boden.
LUCIFER.
Und wenn dieser Geist beim Volke
Einst auch vorhanden sein wird? Steigst du dann
Hinab zum Volk?
ADAM.
Wozu hinuntersteigen?
Ist's denn nicht edler es emporzuheben?
Des Kampfes schwier'ger Stellung zu entsagen
Aus Mangel an Mitkämpfern ist gewiß
Gerad so kleinlich, wie's engherzig wäre
[71] Keinen Genossen anzunehmen, bloß
Aus Neid um seinen Teil am Siegespreis.
LUCIFER.
Ei sieh', was ward aus der Idee so groß,
Wofür die Märtyrer des Cirkus starben!
Ist dies für alle gleiches Menschenrecht?
Ganz sonderbare Nächstenliebe das!
ADAM.
Ach lass' den Spott! Glaub' ja nicht, ich verkenne
Des Christentumes hocherhabne Lehre.
Sie ist die einz'ge Sehnsucht meines Lebens.
Es kann und mag da wirken, wer in sich
Den Funken fühlt. Wer sich zu uns emporkämpft,
Den nehmen wir gewiß mit Freuden auf,
Ein Schwertstreich reiht ihn unserm Orden ein;
Des Ordens Schätze aber müssen wir
Bewahren vor dem Chaos, das noch gärt.
O wär', o wäre doch die Zeit schon da!
Denn unsere Erlösung wird erst dann
Vollendet sein, wenn jede Schranke fiel,
Weil alles rein. – Doch eines solchen Tages
Erscheinen möcht' ich wahrlich sehr bezweifeln,
Wenn, der dies große Werk ins Leben rief,
Nicht Gott in seiner Allmacht selber wäre.
Ihr habt gesehen, wie man uns empfangen.
Verwaist inmitten des Gewühls der Stadt,
Bleibt uns nichts übrig, als in jenem Hain
Ein Lager aufzuschlagen, wie inmitten
Von Heiden wir's zu machen pflegten. Bis sich's
Zum Bessern wendet. Geht! Bald folg' ich euch.
Ein jeder Ritter steht für seine Mannen.

Die Kreuzfahrer schlagen ein Lager auf.
LUCIFER.
Wie schade, daß dein hoher Geistesflug
Auch jetzt nur solch' anrüch'ge Frucht erzeugt,
Die außen rot, doch innen faul ist!
[72]
ADAM.
Halt!
Du glaubst also an gar nichts Edles mehr?
LUCIFER.
Und wollte ich's, was nützte dir mein Glaube,
Sobald dein eigenes Geschlecht nicht glaubt?
Der Ritterorden, den als Leuchtturm du
Inmitten wilder Meereswogen aufstellst,
Wird einst erlöschen, halb zerfallen, und
In grauser Sturmesnacht dem kühnen Schiffer
Zu einer weit gefährlicheren Klippe,
Als wenn er nie vorher geleuchtet hätte.
Was heute lebt und Segen bringend wirkt,
Stirbt mit der Zeit; der Geist entflieht daraus,
Ein Aas nur überdauert ihn der Körper,
Und hauchet mörd'rische Miasmen aus
Ins neue Leben, welches rings entsteht.
Ja, so verbleibt uns aus verfloss'nen Zeiten
Das einst Erhab'ne.
ADAM.
Bis sich unser Orden
Auflöset, dringen seine heil'gen Lehren
Vielleicht doch in die Menge, und dann ist
Auch die Gefahr vorbei.
LUCIFER.
Die heil'gen Lehren!
Ach gerade die sind immer euer Fluch,
Wenn ihr wo unversehens auf sie stoßt.
Denn so lang wendet, spitzet, spaltet, schleift
Ihr dran herum, bis sie zum Wahne, oder
Zur Fessel werden. Trotzdem, daß exakte
Begriffe die Vernunft nicht fassen kann,
Sucht ihr hochmüt'ge Menschen, immer welche
Zu schmieden, stets zu eurem eignen Unheil.
Betrachte dieses Schwert, es kann gewiß
Um etwas länger oder kürzer sein
[73] Und bleibt in seinem Wesen doch dasselbe.
Dies läßt sich ins Unendliche so steigern.
Wo ist wohl der exakte Punkt, der da
Die Grenze bildet? Obschon dein Gefühl
Sofort das Rechte trifft, wenn die Veränd'rung
Im Großen eintritt. – Aber ach, wozu
Streng' ich mich an? das Reden ist ermüdend;
Schau dich nur selber ein klein wenig um.

Es zeigen sich wieder einige Bürger.
ADAM.
Ihr Freunde, meine Mannen sind ermattet,
Erbitten sich ein Obdach. In der Hauptstadt
Des Christentumes werden sie doch nicht
Vergeblich bitten?
DRITTER BÜRGER.
Nun, es fragt sich, ob
Du nicht am End' in Ketzerei verfallen,
Sonach weit schlimmer als ein Heide bist?
VIERTER BÜRGER.
Wie steht's denn eigentlich um deinen Glauben?
Bekennst du dich zum Homousion
Oder zum Homoiusion?
ADAM.
Versteh'
Euch nicht.
LUCIFER.
Gieb's ja nicht zu, das ist die Hauptsach'.
VIERTER BÜRGER.
Er zweifelt, der ist sicher falschen Glaubens.
MEHRERE.
Fort, schließen wir uns ein in uns're Häuser.
Fluch dem, der ihnen Unterkunft gewährt!

Zerstreuen sich. Der Patriarch in fürstlicher Pracht, mit glänzendem [74] Geleite, kommt aus seinem Palaste, ihm folgt ein Schwarm Mönche in Ketten geschmiedete Ketzer mit sich führend, endlich Soldaten und Volk.
ADAM.
Bin ganz verblüfft. – Doch sage, welch' ein Fürst kommt
So hoffärtig herausfordernd daher?
LUCIFER.
Der Patriarch, Nachfolger der Apostel.
ADAM.
Und dies bloßfüß'ge schmutzige Gesindel,
Das die Gefesselten so schadenfreudig,
Demut heuchelnd begleitet?
LUCIFER.
Das sind Mönche,
Christliche Cyniker.
ADAM.
Ich sah dergleichen
In meinen heimatlichen Bergen nie.
LUCIFER.
Du siehst sie schon noch. Langsam, Schritt für Schritt
Verbreitet sich der Aussatz; aber nimm dich
Gar wohl in acht sie zu beleidigen,
Denn ihre absolute Tugend macht
Sie unversöhnlich.
ADAM.
Welche Tugend, ach,
Kann Leuten dieser Art wohl eigen sein?
LUCIFER.
Entsagung, Dürftigkeit ist ihre Tugend,
Wie sie am Kreuz zuerst geübt dein Meister.
ADAM.
Der hat, sie übend, eine Welt erlöst,
[75] Doch diese feigen Memmen lästern Gott nur,
Indem sie wider ihn sich gleich Rebellen
Auflehnen, und verschmähen seine Gaben.
Wer gegen Mücken mit derselben Waffe
Zu Felde zieht, mit der es heldenhaft
Den Bären anzugreifen, ist ein Thor.
LUCIFER.
Doch wenn in ihrem Eifer sie die Mücken
Für ungeheure Bären halten. Wie?
Steht ihnen nicht das Recht zu? Sind sie nicht
Berechtigt im Gefühle ihres Mutes
Bis in die Hölle zu verfolgen alle,
Die da genießen?
ADAM.
Ach, ich sehe wohl,
Doch steh' ich da, ein ungläubiger Thomas.
Will diesem Blendwerk voll ins Auge schaun.

Tritt vor den Patriarchen.

Ehrwürd'ger Vater, wir sind müde Streiter
Des heil'gen Grabes. Nach beschwerlicher
Mühsamer Reise will man uns in diesen
Stadtmauern keinen Unterstand gewähren.
Der du so mächtig, nimm dich unser an!
PATRIARCH.
Mein Sohn, ich kann mich mit geringen Dingen
Jetzt nicht befassen, denn mich ruft zu Wicht'germ
Die Ehre Gottes und des Volkes Heil,
Indem ich über Ketzer richten muß,
So da Gift säend rings wie Unkraut wuchern,
Und die, wenn wir sie auch mit Schwert und Feuer
Ohn' Unterlaß ausrotten, uns die Hölle
Stets neugekräftigt wieder auf den Leib hetzt.
Seid ihr jedoch des Kreuzes echte Ritter,
Was sucht ihr erst in weiter Ferne Mohren?
Der weit gefährlichere Feind ist hier.
Auf also, überfallet dessen Dörfer,
Selbst Weiber, Greise, Kinder rottet aus!
[76]
ADAM.
Unschuld'ge, Vater, das verlangst du doch nicht?
PATRIARCH.
Unschuldig ist die Schlange auch, so lang sie
Noch winzig, oder wenn bereits der Giftzahn
Ihr ausgefallen, und schonst du sie etwa?
ADAM.
Es muß wohl eine große Sünde sein,
Worüber solcher Zorn entbrennen konnte
Im Bund' der Christenliebe.
PATRIARCH.
O mein Sohn!
Nicht der übt Liebe, der dem Leichnam fröhnt,
Sondern derjen'ge, der die arme Seele
Zurückgeleitet, wenn es sein muß, über
Des Schwertes Klinge oder durch die Flamme,
Zu dem, der sprach: Nicht Frieden, sondern Kampf
Bring ich auf Erden. – Die Verruchten da
Verkünden im geheimnisvollem Lehrsatz
Der heiligen Dreifaltigkeit ganz falsch
Das Homoiusion, während die Kirche
Als Glaubenssatz das Homousion
Hat aufgestellt.
MÖNCHE.
Tod über sie, schon brennt
Der Scheiterhaufen!
ADAM.
Gebet, Freunde, doch
Das Jota auf! In heißer Heldenschlacht
Ums heil'ge Grab wird euer Todesmut
Ein nützlicheres, schön'res Opfer sein.
EIN GREISER KETZER.
Erzlügner, führe uns nicht in Versuchung!
[77] Für unsern wahren Glauben werden freudig
Wir dort verbluten, wo es Gott gefällt.
EINER VON DEN MÖNCHEN.
Ha, Unverschämter, rühmst dich wahren Glaubens?
DER GREISE KETZER.
Ist etwa das Concil zu Rimini
Mit manchen andern nicht auf uns'rer Seite?
DER MÖNCH.
Abwege sind's auf die man dort geriet.
In Nicaea jedoch und sonstigen
Rechtgläubigen Concilien entschied
Man sich für uns.
DER GREISE KETZER.
Abtrünn'ge Finsterlinge!
Die Unverschämtheit, sich mit uns zu messen!
Gieb an, wo habt ihr auch nur einen einz'gen
So großen Kirchenvater aufzuweisen,
Wie Arius, die beiden Euseb sind?
DER MÖNCH.
Nun, habt ihr einen Athanasius?
DER GREISE KETZER.
Wo sind denn eu're Märtyrer?
DER MÖNCH.
Wir haben
Wohl mehr als ihr.
DER GREISE KETZER.
O, schöne Märtyrer,
Die Satans Blendwerk in den finstern Tod
Der ewigen Verdammnis hat verlockt!
Ich sage euch, ihr seid das Babylon,
Die Metze, von der Sankt Johannes schrieb,
So vom Erdboden baß vertilget wird.
[78]
DER MÖNCH.
Der siebenköpf'ge Drach', der Antichrist
Seid ihr, von denen Sankt Johannes spricht.
Betrüger, Schurken, Teufelsspießgesellen!
DER GREISE KETZER.
Ihr Diebe, Räuber, Schleicher, Buhler, Schlemmer!
PATRIARCH.
Zu lange weilen wir schon, fort mit ihnen,
Zur Ehre Gottes, auf den Scheiterhaufen!
DER GREISE KETZER.
Zur Ehre Gottes? Du hast recht, Verruchter,
Zur Ehre Gottes fallen wir als Opfer!
Ihr seid die Stärkern, handelt ganz nach Willkür,
Doch ob ihr wohlgethan, darüber richtet
Die himmlische Gerechtigkeit. – Gezählt
Sind eurer Sündenlaufbahn Stunden schon.
Aus unserm Blut' erstehen neue Kämpfer,
Siegreich lebt die Idee, die Flammenlohe
Verbreitet auf Jahrhunderte ihr Licht.
Kommt, geh'n wir glorreich in den Martertod!
DIE KETZER
singen im Chore.

1. Mein starker Gott, mein starker Gott, warum hast du mich verlassen? Ich heule, aber meine Hilfe ist ferne.

2. Mein Gott, des Tages rufe ich, so antwortest du nicht; und des Nachts schweige ich auch nicht.

3. Aber du bist heilig.

Der XXII. Psalm.

DIE MÖNCHE
fallen im Chore ein.
1. Herr, hadere mit meinen Haderern; streite wider meine Bestreiter.
2. Ergreife den Schild und Waffen, und mache dich auf mir zu helfen.
3. Zücke den Spieß, und schütze mich wider meine Verfolger.

Der XXXV. Psalm.


[79] Unterdessen zieht der Patriarch und die Prozession vorbei. Einige Mönche mit Traktaten mischen sich
unter die Kreuzfahrer.
LUCIFER.
Warum so wortlos, sage was entsetzt dich?
Hältst du's für eine Tragödie? Betracht' es
Nur als Komödie, und 's macht dir Spaß.
ADAM.
O scherze nicht! Auch um ein Jota also
Kann jemand so entschlossen in den Tod geh'n?
Was ist dann das Großartige, Erhab'ne?
LUCIFER.
Was einem andern lächerlich mag scheinen.
Ein Haar nur scheidet diese zwei Begriffe
Es urteilt zwischen beiden eine Stimme
Im Herzen, und der rätselhafte Richter
Heißt Sympathie, die einmal blind vergöttert,
Ein andermal brutal zu Tode geißelt
Mit ihrem Spotte.
ADAM.
Warum mußten diese
Gebrechen mir auch in die Augen fallen!
Der stolzen Wissenschaft Haarspalterei,
Dies mörderische Gift, so meisterhaft
Gezogen aus der farbenprächtigsten
Frischesten Blume? – Diese schöne Blume
Hab' ich gekannt, einst in der Blütezeit
Uns'res verfolgten Glaubens. Ach wo ist
Die Frevlerhand, die sie zu Grund gerichtet?!
LUCIFER.
Die suche nirgends als im Siege selbst,
Der stets zersplittert, tau end Wünche weckt.
Gefahr ist's die vereint, Märtyrer zeugt,
Und Kraft verleiht; dort ist sie bei den Ketzern.
[80]
ADAM.
Wahrhaftig, weit weg würfe ich mein Schwert,
Und zöge in mein nordisch Heimatland,
Allwo in der Urwälder Schatten noch
Der Manneswert, die reine Einfachheit
Dem Gifte dieser glatten Zeiten trotzt;
Wenn ohne Unterlaß mich eine Stimme
Nicht heimlich mahnte, daß grad' diese Ära
Neuzugestalten ich berufen bin.
LUCIFER.
Verlorne Liebesmühe. Nie und nimmer
Wirst gegen den herrschenden Zeitgeist du
Ein Individuum zur Geltung bringen.
Der Zeiten Lauf ist ein gewalt'ger Strom,
Er trägt dich, oder du versinkst in ihm.
Der Einzelne vermag ihn nicht zu lenken,
Er schwimmt nur mit. – Die in der Weltchronik
Als groß verzeichnet stehn und mächtig wirkten,
Sie haben ihr Jahrhundert wohl begriffen,
Doch die Ideen nimmer selbst gezeugt.
Nicht auf den Hahnenschrei fängt's an zu tagen,
Sondern der Hahn kräht darum, weil es tagt.
Dort jene, die in ihren Fesseln sich
Beeilen den Märtyrertod zu sterben,
Sehn einen Schritt voraus; in ihrer Mitte
Dämmert der neuerstandene Gedanke,
Und freudig lassen sie für das ihr Leben,
Was ihre sorgenlosen Epigonen
Einst mit der Straßenluft einatmen werden.
Doch lassen wir das, wirf nur einen Blick
In euer Lager. Was für Mönche treiben
Voll Schmutz sich dort herum, welch' wüsten Handel
Beginnen sie, was halten sie für Reden,
Begleitet von wahnsinnigen Gebärden?
Komm, hör' nur einmal zu.
EIN MÖNCH
inmitten sich herandrängender Kreuzfahrer.
Kauft, tapfre Krieger,
[81] Kauft ungesäumt das Lehrbuch frommer Buße,
Als sichern Führer in Gewissenszweifeln.
Man lernt daraus genau, wie viele Jahre
Der Mörder, Mädchenschänder, Kirchenräuber,
Meineid'ge in der Hölle braten wird.
Dies Büchlein lehrt, es kann ein Jahr der Strafe
Der reiche Mann mit zwanzig einigen,
Der Arme mit drei Solidi erkaufen,
Und wer schon ganz unfähig ist zu zahlen,
Mit ein paar Tausend Geißelhieben. – Kauft
Dies unschätzbare Buch!
DIE KREUZFAHRER.
Nur her damit.
Auch mir, mein heil'ger Vater. – Und mir auch!
ADAM.
Ruchlose Händler, und noch schlecht're Käufer!
Zieh's Schwert, und sprenge diesen eklen Markt.
LUCIFER
verwirrt.
Verzeihe, dieser Mönch ist schon seit lange
Mein Partner. Und mir ist auch diese Welt
Gar nicht so widerlich. Kam Gottes Lob
In Schwung, so kam auch ich damit empor,
Und du bliebst ein klein wenig nur zurück.

Eva als Isaura und Helene, deren Kammerjungfer, stürzen kreischend auf Adam zu, von einigen Kreuzfahrern verfolgt, die sich aber sofort aus dem Staube machen.
EVA
niedersinkend.
Du Ritter, rette mich!
ADAM
indem er sie aufhebt.
O edle Dame,
Komm' doch zu dir, hier bist du sicher. Öffne
Die schönen Augenlider. Wie bezaubernd!
Was mag ihr denn nur zugestoßen sein?
[82]
HELENE.
Wir waren draußen die Natur genießen.
In uns'res Gartens schattigem Gebüsch,
Auf frischem Rasen sitzend lauschten wir
Dem Nachtigallenschlag' und sangen mit;
Auf einmal sehn im Dickicht ein paar Augen
Im Feuer wilder Leidenschaft wir funkeln.
Erschrocken nehmen wir Reißaus, wir laufen,
Und keuchend, dröhnend hinter uns her vier
Baumstarke Kerle aus dem nahen Kreuzheer.
Sie hatten uns beinahe eingeholt,
Als wir mit knapper Not zu euch gelangten.
ADAM.
Ich weiß fürwahr nicht, ob ich wünschen soll,
Daß du erwachest, wenn du mich am Ende
Dann einem flücht'gen Traumbild gleich verläßt?
Wie kann ein Körper so durchgeistigt sein,
So edel, so anbetungswürdig!
LUCIFER.
Ach,
Ein Körper und durchgeistigt! – Ärger könnte
Das Schicksal die Verliebten gar nicht strafen
Für ihre Tollheit, als indem 's das alles
Wahr machte, was sie ihren Auserwählten
So überschwänglich anzudichten pflegen.
ADAM.
Mir ist's, als hätt' ich dich einst schon gekannt,
Als wären wir vereint vor Gott gestanden.
LUCIFER.
Um alles bitt' ich dich, sei eingedenk:
So unterhaltlich deine Lieb' zu zweien,
So abgeschmackt ist sie für einen dritten.
ADAM.
Sie schlägt die Augen auf, sie lächelt. Dank dir
O Himmel!
[83]
EVA.
Ritter, du hast mich gerettet,
Wie soll ich dir es danken?
ADAM.
Ist ein Wort
Von deinen Lippen nicht der reichste Lohn?
LUCIFER
zu Helenen.
Ein karger Lohn. Selbst den versagst du mir?
HELENE.
Wofür wär' ich dir denn zu Dank verpflichtet?
LUCIFER.
Ja glaubst du denn, der edle Ritter hat
Auch dich gerettet? Welche Eitelkeit!
Wenn so ein Ritter kühn ein Fräulein rettet,
Kommt doch die Zofe nur dem Knappen zu.
HELENE.
Und was gewönne ich dabei? Entweder
Zeig ich mich dankbar, und dann bin ich doch
Nicht besser d'ran, als wenn mich die Gefahr
Ereilet hätte: oder undankbar,
Der Sünde so wie so anheimgefallen.
Die vier Verfolger waren gar nicht übel.
ADAM.
Wohin befiehlst du, daß ich dich geleite?
EVA.
Hier gegenüber winkt des Klosters Pforte.
ADAM.
Des Klosters, sagst du? Dessen düstre Pforte
Wird doch nicht jede Hoffnung mir verschließen?
Schenk' mir ein Zeichen, das zu diesem Kreuz
[84] Ich heften kann, damit, während mich jenes
Stets an den Kampf gemahnt, der mein Beruf,
Dies wiederbringe meinen schönsten Traum,
Und ich nicht müde werde auszuharren
Die Ewigkeit von langen bangen Jahren,
An deren Ende in entrückter Ferne
Der heißersehnte Minnelohn mir winkt.
EVA.
Nimm dieses Band.
ADAM.
Nachtschwarz ist dein Geschenk.
Nicht Gram, o Dame, Hoffnung, Hoffnung gieb mir!
EVA.
Mein Zeichen ist's, kann dir kein andres geben,
In Klostermauern grünt die Hoffnung nicht.
ADAM.
Auch keine Liebe, und wo du bist, Mädchen,
Kann Liebe doch nicht fehlen. Dein Gewand
Zeigt mir, daß du noch keine Nonne bist.
EVA.
Hör' auf mit weitern Fragen mich zu quälen,
Denn es berührt mich peinlich, wenn ich seh',
Wie meine Worte deinen Kummer steigern.
LUCIFER.
Versperren diese Mauern da auch dich?
HELENE.
Ach ja, doch liegt der Schlüssel nicht im Meere.
LUCIFER.
Wie Schad'! Welch' schöne Elegie ließ sich
Aus diesem Mißgeschicke fabrizieren.
[85]
HELENE.
Du Falscher, geh' mir aus den Augen!
LUCIFER.
Aber
Warum? nähm' sich's nicht prächtig aus, wenn ich
Um deinen Schlüssel auf den Meeresgrund
Hinunterstiege?
HELENE.
Das verlang' ich gar nicht.
LUCIFER.
Ich gehe dran. Die gier'gen Ungeheuer
Der grausen Tiefe schnappen schon nach mir.
HELENE.
Ach, komm zurück, sonst bringt die Angst mich um!
Der Schlüssel wird in meinem Fenster sein.
ADAM.
Laß wenigstens mich deinen Namen wissen;
Daß ich in mein Gebet ihn schließen könne,
Des Himmels Segen auf dein Haupt erflehend,
Wenn du mir durchaus nicht gestatten willst
Deines Geschickes Bitternis zu teilen.
EVA.
Isaura ist mein Name. Und der deine?
Weit besser ziemt's der Himmelsbraut zu beten.
ADAM.
Ich heiße Tankred.
EVA.
Tankred, Gott mit dir!
ADAM.
Isaura, o verlaß mich nicht so bald,
[86] Ich fluche sonst dem unglücksel'gen Namen,
Den scheidend du zum erstenmal genannt.
Zu schnell entfliehst du mir, dein wonnig Weilen
Ist selbst für einen flücht'gen Traum zu kurz.
Wie spinne ich ihn weiter, wenn du mir
Ein Rätsel bleibst, und ich dies Zaubermärchen
Mit deines Schicksals goldnem Faden nicht
Ausschmücken kann?
EVA.
Vernimm denn mein Geschick.
Mein Vater war auch einer von den Rittern
Des heil'gen Grabes, als einmal des Nachts
Der wilde Feind unter Geheul sein Lager
Mit Schwert und Feuer überfiel. Es war
Zur Rettung keine Hoffnung mehr; da that er
Ein fromm' Gelöbnis der Jungfrau Maria,
Daß, wenn er wiederkehrt, er mich ihr weiht.
Er kehrte glücklich wieder, und ich nahm
Das heil'ge Abendmahl auf dies Versprechen.
ADAM.
O heil'ge Mutter! Du Verkörperung
Der keuschen reinen Liebe, hast du dich
Nicht zürnend abgewandt, zu schwer beleidigt
Durch dies unheil'ge sträfliche Gelübde,
Das deiner Tugend einen Sündenstempel
Aufdrückt, des Himmels Huld in Fluch verwandelnd.
HELENE.
Und du verlangst mein Schicksal nicht zu wissen?
LUCIFER.
Das kenn' ich: liebtest, wurdest schlimm betrogen,
Dann liebtest nochmal, da betrogst schon du.
Bald liebtest wieder, – wurdest deines Helden
Schnell überdrüssig, und jetzt harret leer
Auf einen neuen Gast dein offnes Herz.
[87]
HELENE.
Wie sonderbar! In dir steckt wohl der Teufel?
Wer hätt für so bescheiden dich erachtet,
Daß gegenwärtig du mein Herz für leer hältst.
LUCIFER
zu Adam.
Beeile dich o Herr! Dir bangt's zu scheiden,
Und ich bin nicht imstande meinen Sieg
Hintanzuhalten.
ADAM.
Jedes deiner Worte,
Isaura, giebt mir einen Stich ins Herz.
Versüße meinen Schmerz mit einem Kuß!
EVA.
Wie kannst du, Ritter, das von mir verlangen?
Du hörtest, welch' Gelübde ich gethan.
ADAM.
Doch mir ist's nicht verwehret dich zu lieben?
EVA.
Ja du bist glücklich, aber wie vergesse
Ich dich? O Tankred, lass' mich jetzt von hinnen,
Sonst schwinden meine Kräfte; Gott mit dir!
Im Himmel droben sehe ich dich wieder.
ADAM.
Leb' wohl! Mich wird die Rückerinnerung
An diesen Tag allwegs begleiten.

Eva tritt in das Kloster ein.
HELENE
beiseite.
Feigling!
Soll ich denn alles thun?

Laut.

Der Schlüssel wird
Im Fenster sein und nicht am Meeresgrund.
ADAM.
Nun also, gehen wir!
[88]
LUCIFER.
Zu spät, vorbei!
Ja siehe, so verrückt ist dein Geschlecht.
Einmal seht ihr im Weibe nur das Werkzeug
Eurer Begierde, und streift roh vertiert ihm
Den Blütenstaub der Poesie vom Antlitz,
Euch selbst der schönsten Knospen eurer Liebe
In geiler Unersättlichkeit beraubend;
Ein andermal stellt ihr das Weib als Gottheit
Auf den Altar, kämpft und verblutet drum
Ganz zwecklos, während dessen süßer Kuß
In Einsamkeit verdorrt. Weswegen schätzt
Ihr's nicht als Weib im angezeigten Kreise
Seines gemess'nen weiblichen Berufes?

Unterdessen ist es ganz finster geworden. Der Mond geht auf. Isaura und Helene am Fenster.
ISAURA.
Wie sehnsuchtsvoll sah er mich an! Mit Beben,
Ja, bebend stand der starke Held vor mir;
Doch Frauentugend und Religion
Gebieten, – hier vertraure ich mein Dasein
Als heil'ges Opfer.
HELENE.
Nein, es ist erstaunlich,
Wie rasend unser feig Geschlecht doch ist!
Hat's einmal mit dem Vorurteil gebrochen,
Stürzt es nach Wollust wie ein wildes Tier,
Reißt alle Würde sich vom Angesicht
Und watet weltverachtet im Moraste.
Wenn nicht, so zittert's vor dem eignen Schatten,
Läßt seine Reize unfruchtbar verwelken,
Der Wonne sich und andere beraubend.
Warum hält's nicht die Mittelstraße ein?
Was hie und da ein kleines Abenteuer
Ein zärtliches Verhältnis schaden kann, –
Mit Anstand freilich, ist mir unbegreiflich?!
Das Weib besteht doch auch nicht bloß aus Geist.
[89]
EVA.
Helene, blick hinaus, ob er noch dasteht?
Wie könnt' er auch so leicht gegangen sein?
Möcht' seine Stimme nur noch einmal hören!
ADAM
zu Lucifer.
Sieh' zu, ob sie nicht dort am Fenster weilt,
Noch einen Scheideblick mir nachzusenden?
O könnt' die schlanke Huldgestalt ich nochmal
Erschaun! – Isaura, lass' dich's nicht gereuen,
Daß ich noch hier bin!
EVA.
Für uns beide wär's
Wohl besser, wenn du nicht mehr hier verweiltest;
Denn mit Gewalt getrennte Herzen schmelzen
Gar leicht zusammen, und s schmerzt nur aufs neue,
Wenn man sie wieder voneinander reißt.
ADAM.
Du wagst es in die stille Nacht zu schaun,
Die wie ein großes Herz voll Liebe pocht,
Wo wir, nur wir allein nicht lieben dürfen?
Fürchtest du nicht, daß dich ihr Zauber hinreißt? –
EVA.
All' das lebt auch in mir als flücht'ger Traum,
Der mich vielleicht vom Himmel herbegleitet.
Ein süßes Lied durchhallt die lauen Lüfte,
Und schwesterliche Küsse bietend lächeln
Von jedem Zweig, aus jedem Blumenkelche
Tausende sanfter Genien herfür;
Doch Tankred, nimmer sprechen sie zu uns.
ADAM.
Warum, warum denn aber? Soll mich diese
Armsel'ge Mauer hindern? Der ich siegreich
[90] Den Heiden so viel' Beute abgerungen,
Kann ich denn diesen Wall nicht übersteigen?
LUCIFER.
Gewiß nicht, denn es schützet ihn der Zeitgeist,
Der stärker ist als du bist.
ADAM.
Ha, wer sagt das?!

Im Hintergrunde leuchtet der Feuerschein eines Scheiterhaufens auf.
DIE KETZER
im Chore von Ferne.
21. Errette meine Seele vom Schwert, meine Einsame von Hunden.
22. Hilf mir aus dem Rachen des Löwen und errette mich von den Einhörnern.
23. Ich will deinen Namen predigen meinen Brüdern, ich will dich in der Gemeine rühmen.
EVA.
O Gott, sei ihren armen Seelen gnädig!
ADAM
zusammenschaudernd.
Welch' schrecklicher Gesang!
LUCIFER.
Ist euer Brautlied.
ADAM.
Sei's immerhin, ich schrecke nicht zurück,
Will ohne Zagen für dich allem trotzen.
DIE MÖNCHE
im Chor von Ferne.

26. – – sie müssen mit Schande und Scham gekleidet werden, die sich wider mich rühmen.

27. Rühmen und freuen müssen sich, die mir gönnen, daß ich Recht behalte, und immer sagen: der Herr müsse hoch gelobet sein, der seinen Knechte wohl will


[91] Beim Anfang obigen Chores ist Adam, der zur Klosterpforte getreten, wieder stehen geblieben, im Turme schreit eine Nachteule, in der Luft fliegen Hexen, und vor der Pforte erhebt sich ein Totengerippe aus der Erde und steht drohend vor Adam.
EVA
das Fenster zuwerfend.
Hilf Gott!
DAS GERIPPE.
Hinweg von dieser heil'gen Schwelle!
ADAM.
Wer bist du grauenhafte Schreckgestalt?
DAS GERIPPE.
Ich bin der Geist, der stets zugegen sein wird
So oft du küßt, so oft ihr euch umarmt.
HEREN
kichernd.
Süß' Saat und sauer Erntegut,
Dein Tauber zeuge Schlangenbrut.
Isaura, komme!
ADAM.
Was für Mißgestalten!
Seid ihr so sehr verändert, oder ich?
Hab' einstens heiter lächelnd euch gekannt.
Was ist hier Wirklichkeit, was Traumgesicht?
Wahrhaftig euer Spuk lähmt meinen Arm.
LUCIFER.
Ei wie famos, in welche angenehme
Gesellschaft mich der Zufall da gebracht!
Wie lange harr' ich schon auf dieses Glück.
Dies wohlanständ'ge Heer zerlumpter Hexen,
Das doch die einstigen halbnackten Nymphen
[92] An Unverschämtheit weit noch übertrifft.
Mein alter Spießgesell, der grause Tod,
Der schroffe Tugend karrikierend, sie
Dem Erdensohn' zum Ekel werden läßt.
Seid mir gegrüßt! Hätt' ich nur Zeit, – wie Schade, –
Gern' möchte ich die Nacht mit euch verplaudern.

Die Erscheinungen verschwinden.

Auf, Tankred, auf! Dein Liebchen hat bereits dir
Das Fenster vor der Nase zugeschlagen;
Was stehn wir in stockfinstrer Nacht noch da?
Der Wind weht kalt, kriegst noch die Gicht zum Lohn.
Gleich ist Helene hier, was mach ich dann?
Der Teufel wird doch nicht der Minne pflegen?
Er machte sich auf ewig lächerlich,
Und holte alle seine Macht dann selber.
Wie sonderbar, mit heißem Herzen sehnt sich
Der Mensch nach Liebe und erreicht nur Qual;
Der Teufel kann hingegen eisgepanzert
Mit aller List sich ihrer kaum erwehren.
ADAM.
Geleit' mich, Lucifer, zu neuem Dasein!
Ich zog zu Feld' für heilige Ideen,
Und fand nur Fluch in deren übler Deutung;
Zu Gottes Lob' hat Menschen man geopfert,
Mein treulich Trachten auszuführen war
Der Mensch jedoch zu kümmerlich entartet,
Veredeln wollt' ich unsere Genüsse,
Und den Genuß stempelte man zur Sünde;
Ich pflanzte Rittertugend, und gerade
Sie stieß den Dolch ins Herz mir. Fort von hier
In eine neue Welt! Hab' zur Genüge
Erwiesen, was ich wert bin, der ich wahrlich
Mich tapfer schlagen und entsagen konnte;
Kann sonder Scham den rauhen Kampfplatz räumen.
Nichts soll, gewiß, hinfür mich mehr begeistern;
Die Welt mag ihren Weg gehn wie sie will,
Ich greife nimmer in ihr Räderwerk,
[93] Schau ihrem trägen holperigen Gange
Gleichgültig zu mit teilnahmslosem Blick;
Denn ich bin müde, sehne mich nach Ruhe.
LUCIFER.
So ruhe also aus! Doch glaub' ich kaum,
Daß dich dein reger ungestümer Geist
Je ruhen lasse. Adam, folge mir!
[94]

8. Scene

Achte Scene.

In Prag. Der Garten des kaiserlichen Palastes. Rechts eine Laube, links ein Observatorium. Vor demselben ein geräumiger Erker mit Kepplers Schreibtisch, Stuhl und astronomischen Gerätschaften. Lucifer als Kepplers Famulus auf dem Erker. Im Garten lustwandeln gruppenweise Höflinge und Damen, unter ihnen Eva, als Barbara, Kepplers Gattin. Kaiser Rudolf steht mit Adam, als Keppler, in Gespräch vertieft. Im Hintergrunde brennt der Scheiterhaufen eines Ketzers. Abend, später Nacht. Zwei Höflinge im Vordergrunde vorübergehend.

ERSTER HÖFLING.
Wer ist das wieder, dem dort eingeheizt wird,
Ein Ketzer oder eine Hexe?
ZWEITER HÖFLING.
Weiß ich's!
Es ist schon längst nicht Mode mehr hiefür
Sich zu interessieren; nur die Hefe
Des Volkes drängt sich um den Scheiterhaufen.
Selbst diese jauchzet nicht mehr vor Entzücken,
Schaut schweigsam zu und murrt in sich hinein.
ERSTER HÖFLING.
Dergleichen war zu meiner Zeit ein Fest,
Da war der Hof, der Adel stets zugegen.
Ach so entarten gute alte Sitten!

Gehen vorüber.
LUCIFER.
Gar wohl thut's Feuer an so kühlem Abend.
Fürwahr es hält mich ziemlich lang' schon warm,
[95] Doch fürcht' ich, daß es bald verlöschen wird.
Und nicht durch männlichen Entschluß erstickt,
Nur weil in jetziger gleichgült'ger Zeit
Sich niemand finden wird, der auf die Glut
Ein frisches Holzscheit würfe; und ich kann
Dabei erfrieren. Aber eines großen
Gedankens Fall ist immer ja so kleinlich.

Ab ins Observatorium. Rudolf und Adam treten in den Vordergrund.
RUDOLF.
Nun Keppler, stelle mir mein Horoskop.
Ich hatte einen bösen Traum heut' Nacht,
Und bin besorgt, in was für Konjunkturen
Mein Stern sich neuerlich befinden mag.
Schon vorigesmal trat in seinem Hofe
Ein Zeichen auf von schlimmer Vorbedeutung,
Beim Sternenhaupt der Schlange.
ADAM.
Soll geschehn,
Mein Herr und Kaiser, wie du es befiehlst.
RUDOLF.
Wenn nur einmal die climacter'schen Tage
Vorüber sind, dann gehn wir neuerdings
An unser großes Werk, das neulich uns
Um keinen Preis gelingen wollte. Habe
Aufs neue wieder Hermes Trismegistus,
Synesius, Albertus, Paracelsus,
Den Schlüssel Salomons und andre Werke
Durchblättert, bis ich d'raufkam, wo der Fehler
Sich vorigesmal eingeschlichen hat.
Als König Graubart wir genug erhitzten,
Erschien der Rabe und der rote Leu;
D'rauf hat von zwei Planeten gleich beeinflußt,
Der Mercurius duplex sich entwickelt
Und auch der Erze Weisheitssalz gesetzt.
Das nasse Feuer und das trock'ne Wasser
[96] Verfehlten wir jedoch, und deshalb konnte
Die heil'ge Hochzeit nicht zustande kommen,
Dies glorreich herrliche Ergebnis, welches
Dem Greise Jugend in die Adern flößt,
Und Grauerz in Edelmetall verwandelt.
ADAM.
Verstehe, hoher Herr!
RUDOLF.
Noch auf ein Wort!
Bei Hofe ist ein bös' Gerücht in Umlauf,
Daß du den neuen Lehren dich ergeben,
Und der kathol'schen Kirche heil'ge Dogmen
Bekrittelst: ja sogar gerade jetzt,
Wo deine Mutter böser Hexerei
Bei zichtigt im Kerker sitzt, dich sehr
Verdächtig machst, indem du aus der Hast
Sie unermüdlich zu befreien strebst.
ADAM.
O Majestät! Ich bin ja doch ihr Sohn!
RUDOLF.
Die Kirche, das ist deine wahre Mutter.
Laß doch die Welt mein Sohn, sie ist ganz gut
So wie sie ist, such nichts an ihr zu bessern.
Hab' ich dich nicht mit Gnaden überhäuft?
Du weißt recht gut, dein Vater war nur Schenkwirt,
Doch stellt' ich deinen Adel außer Zweifel,
Was nicht geringe Mühe mich gekostet.
Ich hab' dich in des Thrones nächste Nähe
Erhoben. So gewannst du nur die Hand
Der schönen Barbara. Darum ermahn' ich
Dich wiederholt, sei auf der Hut mein Sohn!

Ab.
Adam bleibt in Gedanken versunken bei den Stufen seines Erkers stehen. Zwei Höflinge in den Vordergrund tretend.
[97]
DRITTER HÖFLING.
Schau, wie der Astronom schon wieder grübelt!
VIERTER HÖFLING.
Den Ärmsten quälet ohne Unterlaß
Die Eifersucht. Umsonst, er kann sich nicht
In seine jetzige Umgebung schicken,
Der Bauer schlägt ihm allmal ins Genick.
DRITTER HÖFLING.
Er kann's nicht fassen, daß ein echter Ritter,
Der seine Dame göttergleich verehrt,
Sein Blut allzeit bereit ist zu vergießen,
Wagt's einer ihre Tugend zu verleumden.
In Huldigung mutmaßt er Nebenzwecke.
EVA
schließt sich mit einer andern Gruppe den beiden Höflingen an und klopft lachend dem zweiten Höfling mit ihrem Fächer auf die Schulter.
Ach geh' du Schalk von einem Ritter! Gnade!
Um Gottes willen! Über deine Späße
Muß man sich ja zu Tode lachen. Schau,
Wie schrecklich ernsthaft die zwei Herren sind.
Am Ende hat auch euch schon der verwünschte
Unstäte Geist der Neuerung erfaßt?
Dann aber geht nur aus den Augen mir!
Die Gattung Leute find' ich unausstehlich,
Die mit vergällter trüber Lebensansicht
Uns diese sanfte Welt voll Glanz mißgönnen,
Und unzufrieden über neues brüten.
DRITTER HÖFLING.
Uns trifft der Vorwurf nicht, verehrte Dame!
Wer sehnte sich in diesem Kreis' nach Änd'rung?
ERSTER HÖFLING.
Wenn ich nicht irre, stehet dort ein Mann
Mit diesen finstern Zeichen auf der Stirne.
[98]
EVA.
Mein Mann, der Arme? – Ach, um Gottes willen!
Verschont ihn mit so gräßlichem Verdacht
Vor mir, die ich an ihn durch heil'ge Bande
Gekettet bin. Er ist ja krank, – sehr krank.
ZWEITER HÖFLING.
Krankt er vielleicht an diesen schönen Augen?
DRITTER HÖFLING.
Ha, sollte er, was niemand sich erkühnt,
Mit eifersüchtigem Verdacht dich kränken?
Ich schleudert' als dein Ritter dem Verweg'nen
Mit Freuden meinen Handschuh ins Gesicht.

Sie gelangen indessen zu Adam.

Wie gut, daß wir uns treffen. Dieser Tage
Will ich auf meine Güter reisen, Meister!
Möcht' wissen, was für Wetter wir bekommen?
ERSTER HÖFLING.
Und ich erführe gerne, ob mein Söhnlein
Auch unter einem guten Stern geboren?
Verwichne Nacht um Zwölfe kam 's zur Welt.
ADAM.
Bis morgen früh wird beides fertig sein.
VIERTER HÖFLING.
Es bricht schon alles auf, komm, geh'n wir auch!
DRITTER HÖFLING.
Wir sind an eurer Treppe, meine Dame,
Ich wünsche wohl zu ruhen, gute Nacht!

Flüsternd.

In einer Stunde .....
EVA
flüsternd.
Rechts in jener Laube ....

Laut.

Ihr Herren, gute Nacht! Komm, lieber Mann!

[99] Alle gehen fort. Adam und Eva auf den Erker. Adam sinkt in einen Lehnstuhl. Eva steht vor ihm. Es wird immer dunkler.
EVA.
Ich brauche Geld, Johannes!
ADAM.
Ach, ich habe
Nicht einen Heller! Alles gab ich dir schon.
EVA.
Soll ich denn also immer nur entbehren?
Die andern Damen glänzen wie die Pfauen,
Kann kaum mich unter ihnen sehen lassen.
Wahrhaftig wenn ein und der andre Höfling
Vertraulich lächelnd in das Ohr mir flüstert,
Die Königin von allen sei doch ich:
Schäm' ich mich deiner, der die Königin
In ihren Hofkreis so armselig hinstellt.
ADAM.
Ei plage ich mich denn nicht Tag und Nacht?
Ja ich begehe schmählichen Verrat
An meinem besten Wissen deinetwegen.
Ich schände freventlich die keusche Wahrheit,
Indem ich hirnverbrannte Horoscope
Und Wetterprophezeiungen verfert'ge.
Verheimliche, was klar erfaßt mein Geist,
Und künde laut, was ich für falsch erkannt.
Muß vor mir selbst erröten, denn ich bin
Weit schlechter noch als die Sibyllen waren,
Die selbst dran glaubten, was sie prophezeiten,
Während ich weiß, daß meine Weissagungen
Nichts sind als grobe Übertölpelung.
Und dennoch gebe ich mich her dazu,
Um deine Launen zu befriedigen.
Wozu verwend' ich dieses Sündengeld?
Für mich brauch' ich von Gottes weiter Welt
Nichts als die Nacht und ihre blanken Sterne,
[100] Nichts als die sanfte Harmonie der Sphären,
Das Übrige ist alles, alles dein.
Wenn aber die Schatzkammer Kaiser Rudolfs
Meist leer ist, und bloß erst auf vieles Bitten
Und Betteln höchst unordentlich gezahlt wird.
Auch das bekommst du, was ich morgen kriege,
Und du bist undankbar, das thut mir weh!
EVA
weinend.
Du wirfst mir vor, was du für Opfer bringst.
Und hab' ich dir nicht auch genug geopfert,
Als ich, vornehmer Leute Kind, mein Schicksal
An deinen zweifelhaften Rang geknüpft?
Kamst du nicht erst durch mich in bess're Kreise?
Das, Undankbarer, kannst du doch nicht leugnen!
ADAM.
Ist Geist und Wissen zweifelhaften Ranges?
Der Lichtstrahl, der aus heiterm Himmel sich
Mir auf die Stirn' gesenkt, von dunkler Abkunft?
Wo giebt es wahren Adel außer diesem?
Was ihr so nennt, ist ein zerbrechliches,
Schon halbverfall'nes Götzenbild, woraus
Der Geist entwichen ist, mein Adel aber
Bleibt ewig jung, voll Kraft. Weib, wenn du mich
Verstehen könntest, wenn in deiner Brust
Auch eine Seele wohnte, so verwandt mir,
Wie ich bei deinem ersten Kuß geglaubt;
Setztest du deinen Stolz in mich, und suchtest
Das Glück nicht außer mir in fremden Kreisen,
Tischtest nicht alles, was so süß in dir,
Der Außenwelt auf, und verspartest nicht
Das Bitt're stets nur für den eig'nen Herd.
Weib, wie unendlich hab' ich dich geliebt!
Auch jetzt lieb' ich dich noch, doch bitt'rer Stachel
Drang mit der Liebe Honig mir ins Herz.
Mich schmerzt zu seh'n, wie edel sich dein Sinn
Gestaltet hatte, könntest Weib du sein.
Ach, dein Verhängnis hat dich ruiniert,
[101] Das in dem Weibe nur noch einen Abgott
Aufrechterhält, wie es die Ritterzeit,
Gleich einer wahren Gottheit hochgehalten!
Doch damals hat man wirklich dran geglaubt,
Das waren große Zeiten; jetzt glaubt niemand,
Die heut'ge Zeit ist gar zu zwergenhaft,
Und die Abgötterei verhüllt nur Laster.
Ich würd' auf Scheidung dringen, riß das Herz
Mir aus der Brust; und thät' es noch so weh,
Vielleicht wär' ich dann ruhiger. Auch du
Lebtest getrennt von mir wohl glücklicher.
Doch da ist die unanfechtbare Ordnung,
Die unumstößliche Auctorität,
Das Wort der Kirche wieder; und so müssen
Wir in Geduld ausharren miteinander,
Bis uns des Grabes ew'ge Rast erlöst.

Läßt sein Haupt in die Hand sinken, Eva streichelt ihn gerührt.
EVA.
Nun mein Johannes, nimm's nicht gar so traurig,
Wenn hie und da ich dies und jenes sage;
Ich wollte dich nicht kränken. Aber sieh',
Der Hof ist gegen mich so sonderbar,
Vom Hof' die Damen sind so stolz, so spöttisch,
Was soll ich Ärmste ihren Launen trotzen?
Nicht wahr, 's giebt keinen Groll mehr zwischen uns?
Nun gute Nacht! vergiß das Geld nicht morgen!

Geht die Stufen hinab in den Garten.
ADAM.
Welch' wunderlich Gemisch von Gut und Böse
Ist doch das Weib, gebraut aus Gift und Honig!
Warum bestrickt's uns dennoch? weil das Gute
Ihm eigen ist, indessen seine Fehler
Der Zeit, die es geboren, angehören.
He Famulus!

Lucifer kommt mit einer Studierlampe und stellt sie auf den Tisch.
LUCIFER.
Zu Diensten, Meister!
[102]
ADAM.
Brauche
Nativität und Wetterprophezeiung,
Mach mir sie schleunigst.
LUCIFER.
Selbstverständlich glänzend;
Wer kaufte für sein Geld die nackte Wahrheit?
ADAM.
Doch allzugrellen Unsinn mußt vermeiden.
LUCIFER.
So krassen Unsinn könnt' ich kaum erfinden,
Daß es die Eltern unwahrscheinlich fänden.
Ist nicht ein jeder neugebor'ne Sprößling
Ein Messias, ein Leuchtstern voll Verheißung,
Neu aufgegangen der Familie?
Und wird erst später zum gemeinen Bengel!

Schreibt.
Eva ist unterdessen bei der Laube angelangt, der dritte Höfling tritt ihr entgegen.
DER DRITTE HÖFLING.
Wie lang', Grausame, läßt du hier mich schmachten!
EVA.
Ist etwa dir das Opfer schon zu groß
Der kühlen Nachtluft ausgesetzt zu sein,
Indes ich einen guten edlen Mann
Schamlos betrüge, den gerechten Fluch
Des Himmels auf mich lade, mich dem Urteil
Der Welt aussetze, Ritter, dir zu Lieb!
HÖFLING.
Des Himmels Fluch, der Welt Urteil ach, dringt nicht
In das Geheimnis dieser dunklen Laube!
ADAM
in Gedanken.
Ich wünschte ein Zeitalter, ohne Kämpfe,
[103] Wo das gewohnte ebene Geleise
Der eingewurzelten Gesellschaftsordnung,
Dies Vorurteil, durch alten Brauch geheiligt,
Niemand berührt, wo still ich ruhen kann
Und mir vergönnt ist, mit gleichgilt'gem Lächeln
Die Heilung meiner Wunden abzuwarten,
So mannigfache Kämpfe mir geschlagen.
Es kam die Zeit. Was nützet's, wenn in dieser
Keuchenden Brust die rege Seele lebt,
Dies peinigende heilige Vermächtnis,
Das dem thörichten erdgebannten Menschen
Aus dem verlor'nen Himmelreich verblieb,
Die sich nach Thaten sehnt, die nimmer Ruh' giebt,
Und rastlos unermüdlich gegen träges
Genießen ankämpft. Famulus, heda,
Schaff' Wein herbei, ich zittere vor Kälte!
Nüchterne frost'ge Welt das, muß fürwahr
Ein Übriges thun um sie anzufeuern.
Nur so kann wer in der Pygmäenzeit sich
Begeistern und dem Unflat rings entrücken.

Lucifer bringt Wein, Adam schenkt sich wiederholt ein und trinkt fort bis ans Ende der Scene.

O öffne, öffne mir, endloser Himmel,
Dein heiliges geheimnisvolles Buch!
Geht über deinen ewigen Gesetzen
Mir bie und da ein Licht auf, so vergess' ich
Der Zeiten Nacht und alles um mich her.
Ja, du bist ewig, während alles andre
Vergänglich ist, ja du erhebest mich,
Wo alles andre mich nur niederdrückt!
HÖFLING.
O Barbara, könnt' ich dich mein doch nennen!
Wenn Gott so deinen Mann von hinnen riefe,
Daß er den Himmel recht begreifen möchte,
Um den er sich sein Lebenlang bemüht!
EVA.
Schweig Ritter, ich bedauerte den Armen
[104] So sehr, daß in der Sündflut meiner Thränen
Dir sicherlich kein einz'ger Kuß verbliebe.
HÖFLING.
Du scherzest.
EVA.
Nein, es ist die laut're Wahrheit.
HÖFLING.
Verstehe wer dies rätselvolle Wesen?
O Barbara, so liebst du mich ja gar nicht!
Wenn ich nun arm, verstoßen wäre, sag',
Was wärst du fähig dann für mich zu thun?
EVA.
Fürwahr, ich kann das im Moment nicht wissen.
ADAM.
Ob wohl noch eine Zeit kommt, welche diese
Gleichgültigkeit hinwegschmelzt und mit neuer
Thatkraft dem alten Kram ins Auge blickt,
Als Richter auftritt, strafet und erhebt?

Steht auf und tritt taumelnd an den Rand des Erkers.

Die nicht zurückschrickt vor gewalt'gen Mitteln,
Sich nimmer scheuet das geheime Wort
Kühn auszusprechen, welches einer mächt'gen
Lawine gleich auf der verhängnisvollen
Bahn unaufhaltsam weiterrollen wird,
Auch den zerschmetternd, der es ausgesprochen?

Man hört die Marseillaise.

Ich höre, ja ich hör' das Lied der Zukunft,
Ich fand das Wort, den hehren Talisman,
Der diese altersschwache Welt verjungt!
[105]

9. Scene

Neunte Scene.

Der Schauplatz verwandelt sich plötzlich in den Grêve-Platz zu Paris, der Erker in das Gerüst einer Guillotine, neben welcher Lucifer als Scharfrichter steht. Adam als Danton spricht vom Rande des Gerüstes zu einer stürmischen Volksmenge. Unter Trommelwirbel erscheint eine zerlumpte Rekrutenschar und stellt sich beim Gerüste in Reih und Glied. Sonnenheller Tag.

ADAM
fortsetzungsweise.
Ja Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!
VOLKSMENGE.
Tod
All' jenen, die 's nicht anerkennen wollen!
ADAM.
Das sag ich auch. – Zwei Worte sollen retten
Die hart bedrohte große Staatsidee.
Eins sprechen wir für alle Braven aus,
Das Wort: »Dem Vaterlande droht Gefahr!«
Und sie erwachen, sie erheben sich.
Das andre donnern wir den Schelmen zu,
Das Wörtchen: »zittert!« – und sie sind vernichtet.
Es standen wider uns die Fürsten auf,
Wir aber warfen ihnen uns'res Herrschers
Haupt vor die Füße; dann erhoben sich
Die Pfaffen, und wir wanden ihre Waffe,
Des Bannes Blitzstrahl ihnen aus der Faust,
Indem wir die Vernunft, die lang verfolgte,
Auf ihren Thronsitz wieder eingesetzt.
Doch auch das andre Wort verhallt nicht spurlos,
Das in der argen Not das Vaterland
[106] Den Besten seiner tapfern Söhne zuruft.
Elf Heere kämpfen an der Landesgrenze,
Fortwährend drängt sich uns're Heldenjugend
Die Stelle der Gefall'nen auszufüllen.
Wer sagt, daß ein blutdürst'ger toller Wahn
Die Nation bald decimieren wird?
Wenn's Roherz wallt, scheidet's die Schlacke aus,
Der edle Teil bleibt alsdann rein zurück;
Und sind wir auch blutdürstig, nennt man uns
Gleichwohl mit Abscheu wilde Bestien,
Es sei nur groß und frei das Vaterland!
REKRUTEN.
Gebt Waffen, Waffen uns und einen Führer!
ADAM.
Recht so, recht so! Ihr wollt nur Waffen haben,
Wo es doch an so vielem euch gebricht.
Die Kleider reißen euch bereits vom Leibe,
Mit bloßen Füßen schreitet ihr einher.
Ihr werdet aber mit dem Bajonett
Euch alles bald erobern, denn euch bleibt
Der Sieg nicht aus. Das Volk ist unbezwinglich.
Soeben saht ihr einen General
Der Republik auf dem Schaffot verbluten,
Weil an der Spitze unserer Soldaten
Er sich vom Feinde schmachvoll schlagen ließ.
VOLKSMENGE.
O der Verräter!
ADAM.
Richtig, denn das Volk
Nennt keinen andern Schatz sein, als das Blut,
Das es mit so verschwenderischer Großmut
Dem Vaterlande opfert. Wenn nun einer,
Der über diesen heil'gen Schatz des Volkes
Gebietet, nicht die Welt erobern kann,
So ist er ein Verräter.

Aus der Reihe der Rekruten tritt ein Offizier hervor.
[107]
DER OFFIZIER.
Setze mich
An seine Stelle Bürger, und ich will
Den Schandfleck tilgen.
ADAM.
Freund, dein Selbstvertraun
Ist ohne Zweifel lobenswert, doch mußt du
Für deines Wortes treuliche Erfüllung
Vom Schlachtfeld erst die Bürgschaft mir erbringen.
DER OFFIZIER.
Die Bürgschaft trage ich in dieser Brust.
Und dann, auch ich hab' einen Kopf, nicht schlechter
Als der soeben unterm Beil gefallen.
ADAM.
Und wer bürgt mir dafür, daß du ihn auch
Zur Stelle lieferst, wenn ich ihn verlange?
DER OFFIZIER.
Wo willst du einen sich'rern Bürgen finden,
Als ich dir bin, dem nichts das Leben gilt?
ADAM.
Die Jugend pflegt nicht immer so zu denken.
DER OFFIZIER.
Noch einmal, Bürger, ford're ich dich auf.
ADAM.
Nur noch Geduld, das Ziel entgeht dir nicht.
DER OFFIZIER.
Hast, wie ich sehe, kein Vertraun zu mir,
So lerne, Bürger, besser von mir denken.

Erschießt sich.
[108]
ADAM.
Ach, Schad' um ihn, hätt' eine Feindeskugel
Fürwahr verdient! Entfernet seinen Leichnam.
Auf Widersehen Freunde, nach dem Sieg.

Die Rekrutenschar marschiert ab.

O könnt' ich euer Schicksal teilen! aber
Mir ist nur Kampf beschieden, und kein Ruhm,
Kein Feind, durch dessen Hand zu fallen ehrt,
Nur einer, der durch Trug und listige Ränke
Mich und das Vaterland verderben will.
VOLKSMENGE.
Sag' uns nur wer es ist, und er soll sterben!
ADAM.
Wen ich bezeichnen konnt', der lebt nicht mehr.
VOLKSMENGE.
Und die Verdächtigen? – Wenn einer einmal
Verdacht erregte, ist er auch schon schuldig,
Er ist gebrandmarkt durch das Volksgefühl,
Durch diesen nimmer irrenden Propheten.
Tod den Aristokraten! Machen wir
Uns in die Kerker auf, und halten wir
Allda Gericht, das Volksgericht ist heilig.

Die Volksmenge macht sich auf in die Gefängnisse.
ADAM.
Nicht dort ist die Gefahr, stark sind die Riegel,
Die dumpfe Luft, die Sinn und Sehnen mordet,
Ist ohnehin mit euch verbündet schon.
Drum lasset sie. Mit hocherhob'nem Haupt
Hohnlachet der Verrat, und schleift ganz offen
Den Dolch dort auf den Bänken des Konvents.
VOLKSMENGE.
Auf also über den Konvent, noch ist
Er nicht genug geläutert. – – – Über diesen
[109] Kann's später losgehn, eher nehmen wir
Zur Übung alle Kerkerhöhlen durch.
Du, Bürger Danton, sammle nur einstweilen
Die Namen der Verräter.

Die Volksmenge unter Drohungen ab. Unterdessen schleppen einige Sansculotten einen jungen Marquis und Eva als dessen Schwester vor das Gerüst.
EIN SANSCULOTTE.
Sieh' da bringen
Wir wieder zwei Aristokratensprossen.
Ihr stolzes Antlitz, ihre feine Wäsche
Beweisen zur Genüge ihre Schuld!
ADAM.
Welch' edles Paar! Kommt näher, junge Leute.
DER SANSCULOTTE.
Wir aber eilen jetzt zu den Gefährten,
Wo manche blut'ge Arbeit unser harrt,
Und schmähliches Verderben den Verrätern.

Die Sansculotten ziehen mit dem übrigen Volke ab, die jungen Leute treten auf das Gerüst. Um das Gerüst verbleiben nur einige Wächter.
ADAM.
Ich weiß nicht, welch' sympathisches Gefühl mich
Zu euch hinziehet, doch selbst mit Gefährdung
Des eignen Lebens will ich eures retten.
DER MARQUIS.
Nein, Danton, sind wir schuldig, so verrätst du
Das Vaterland, wenn du uns nicht verurteilst;
Sobald uns aber keine Schuld trifft, brauchen
Wir deine dünkelhafte Gnade nicht!
ADAM.
Wer bist du, daß du so mit Danton sprichst?
DER MARQUIS.
Ich bin Marquis.
[110]
ADAM.
Halt – weißt du nicht, daß außer
Dem »Bürger« schlechtweg keine Titel gelten?
DER MARQUIS.
Ich habe nicht vernommen, daß mein König
Die Ehrentitel aufgehoben hätte.
ADAM.
Unsel'ger, schweig'! Tritt ein in unser Heer
Und eine schöne Laufbahn steht dir offen.
DER MARQUIS.
Ich habe, Bürger, keinerlei Befugnis
Vom König in ein fremdes Heer zu treten.
ADAM.
Dann stirbst du.
DER MARQUIS.
Nun, so starb nur einer mehr
Aus meiner Väter Stamm für seinen König.
ADAM.
Warum rennst du so blind in dein Verderben?
DER MARQUIS.
Und glaubst du, euch Volksmänner nur gebührt
Dies edle Vorrecht?
ADAM.
Was du trotzest mir?
Nun gut, so trotz' ich auch! wir wollen sehn
Wer wohl der Stärkere? ich rette dich
Selbst wider deinen Willen, und es wird
Für solches Thun mir eine ruhiger
Denkende Zukunft, wo sich die Parteiwut
Bereits gelegt hat, sicher Dank noch wissen.
[111] Nationalgardisten, bringet ihn
Auf mein Quartier! Ihr haftet mir für ihn.

Einige bewaffnete Nationalgardisten führen den Marquis ab.
EVA.
Sei stark mein Bruder!
DER MARQUIS.
Gott behüt' dich, Schwester!

Ab.
EVA.
Hier hast du noch ein Haupt, gewiß nicht schlechter
Als das der Roland.
ADAM.
Kein so hartes Wort
Von diesen zarten engelreinen Lippen.
EVA.
Auf dem Schaffot geziemt kein sanft'res Wort.
ADAM.
Dies schreckliche Gerüst ist meine Welt.
Als du 's betratst, kam mit dir ein Stück Himmel
Hieher und schließt mich in sein Heiligtum.
EVA.
Nie haben das erkorne Opfertier
Die Priester auf dem Todesgang verspottet.
ADAM.
Das Opfer, glaube mir, das bin ich selbst.
Und sieht man auch mit Neid auf meine Macht,
Betrachte ich doch gleicherweise Leben
Wie Tod verachtend, freudlos meinen Thron,
Zähl', wie viel' täglich mir zur Seite fallen,
Und warte, bis die Reihe auch an mich kommt.
In diesem Blutbad quält mich das Alleinsein,
Die Ahnung, wie mir Liebe wohlthun würde.
[112] O Weib, wenn diese Himmelswissenschaft
Du mich nur einen Tag lang lehren wolltest,
Legt' ich am nächsten Tage ohne Murren
Mein unstät Haupt beruhigt unters Beil!
EVA.
In dieser Schreckenswelt wirbst du um Liebe,
Erschüttert dich denn dein Gewissen nicht?
ADAM.
Gewissen ist ein Vorrecht der Alltagswelt;
Wen's Schicksal treibt, der hat nicht Zeit zur Umschau.
Wann hörtest du vom Sturme, daß er anhielt,
Weil wo am Weg' ein Röslein zart genickt?
Und dann, wer hätte Tollkühnheit genug
Den Mann der Öffentlichkeit zu bekritteln?
Wer sieht den Faden, der auf seiner großen
Schaubühne einen Catilina leitet,
Den kühnen Dolchstoß eines Brutus lenkt?
Meint ihr, von wem die laute Fama spricht,
Hätt' aufgehört gleichzeitig Mensch zu sein,
Und wäre in ein überirdsches Wesen
Verwandelt, dem die tausend Nichtigkeiten,
Privatumstände, kleinen Tagessorgen
Ganz ferne stehn? Glaub's ja nicht, denn das Herz
Pocht auf dem Throne auch; und hatte Cäsar
Ein Liebchen traut, so kannte diese ihn nur
Als guten Tropf, und hatte keine Ahnung,
Wie's Erdenrund vor ihm erbebt, gezittert.
Und wenn dem so ist, sag', o sag', warum
Solltest du mich nicht lieben? bist du denn
Kein Weib, und ich, bin ich kein Mann vielleicht?
Man sagt, das Herz muß lieben oder hassen,
Wie's eines oder's andre mit zur Welt bringt.
Ich fühle, meines ist verwandt dem deinen,
Und Jungfrau, du verstündest nicht dies Wort?
EVA.
Und wenn, was würd' es nützen? Dich bewegt
[113] Ein andrer Gott, als ich im Herzen trage;
Wir können so einander nie verstehn.
ADAM.
Nun, so laß ab von deinen Idealen,
Die längst veraltet sind! Was opferst du
Verbannten Göttern? Einzig nur ein solcher
Altar kann für des Weibes Andacht passen,
Der ewig jung bleibt, und der ist das Herz.
EVA.
Auch ein verlassener Altar kann seine
Märtyrer haben. Hoheitsvoller ist es,
O Danton, die Ruine pietätvoll
Zu hegen, als die neuerstandne Macht
Mit Jubel zu begrüßen! Und gewiß
Schickt für ein Weib sich ersteres weit besser.
ADAM.
Nie hat man mich sentimental gesehn,
Und wenn jetzt wer, Feind oder Freund, so sähe,
Daß der, den sein Geschick durchs Leben peitscht
Gleich einem Sturm die Welt zu reinigen,
Hier am Schaffot nun anhält um zu lieben,
Vor einem Mädchen, Thränen in den Augen:
Könnt' Dantons Fall voraus verkünden, lachte
Hell auf, und mit dem Schrecken wär's vorbei.
Dennoch fleh' ich um einen Hoffnungsstrahl!
EVA.
Wenn überm Grabe dein versöhnter Geist
Den blut'gen Staub der Jetztzeit abgestreift,
Vielleicht .....
ADAM.
Hör' auf, hör' auf! Kein Wort mehr, Kind!
Ich glaube nicht an jene and're Welt,
Kämpf hoffnungslos mit meines Schicksals Mächten.

Die Volksmenge kehrt mit blutigen Waffen, auf Lanzen einige blutige Häupter tragend, wild zurück. Einige drängen sich auf das Gerüst.
[114]
VOLKSMENGE.
Nun haben wir Gerechtigkeit geübt.
Welch' stolze Art war das!
EIN SANSCULOTTE
Danton einen Ring überreichend.
Sieh' diesen Ring
Leg' ich dem Vaterland zu Füßen. Einer
Von jenen Schuften drückte mir denselben
Verstohlen in die Hand, als ich mein Messer
Ihm an die Kehle setzte. Diese Sorte
Meint wohl, wir wären Räuber. Und du lebst noch?
Ha, folge deiner Sippe!

Sticht Eva nieder, die am rückwärtigen Teile des Gerüstes hinabstürzt.
ADAM
seine Augen bedeckend.
Weh, sie ist
Dahin! – Wer kann dir, Schicksal, widerstehn?!
VOLKSMENGE.
Jetzt zum Konvent! Mitbürger, führe uns!
Die Namen der Verräter hast beisammen?

Das Volk räumt das Gerüst. Eva, als zerlumptes, aufgeregtes Weib aus dem Volke, drängt sich durch die Menge, und stürzt, in einer Hand einen Dolch, in der andern ein blutiges Haupt, auf Danton zu.
EVA.
Sieh', Bürger Danton, den Verschwörer da;
Er wollte dich ermorden, ich hab' ihn
Gemordet!
ADAM.
Wenn er meiner Stelle besser
Entsprochen hätte, thatest du wohl unrecht,
Wenn nicht, dann hast du recht gethan.
EVA.
Ich that
Gewiß nur recht, und fordre meinen Lohn:
Bring eine Nacht mit mir zu, großer Mann!
[115]
ADAM.
Kann Sympathie auch solche Brust erfüllen?
Wie steht der Tigerin zart fühlen an?
EVA.
Mir scheint gar, Bürger, daß auch du bereits
Blaublut-Aristokrat geworden, oder
Im hitz'gen Fieber so romantisch faselst.
Du bist ein Mann, ich bin ein Weib und jung,
Bewunderung führt mich, o Held, zu dir!
ADAM
beiseite.
Mich schaudert. Schließen muß ich meine Augen,
Kann dies verruchte Blendwerk nicht ertragen.
Welch' wunderbare Ähnlichkeit! – Wenn einmal
Wer einen Engel kannte und dann ihn
Nach seinem Sündenfalle wiedersah,
Mag Ähnliches vielleicht gesehen haben.
Dieselben Züge, auch derselbe Wuchs,
Dieselbe Stimme, alles; ja es fehlt nur
Ein winzig Etwas, gar nicht zu beschreiben,
Und welcher Unterschied! Ach, jene blieb
Mir unerreichbar, denn es schützte sie
Die Glorie, die sie umgab; vor dieser
Erfüllt mit Abscheu mich der Hölle Dunst!
EVA.
Was murrst du in den Bart da?
ADAM.
Ich berechne,
Daß kaum so viele Nächte mir verbleiben,
Als es im Vaterland Verräter giebt.
VOLKSMENGE.
Auf zum Konvent, du brauchst sie nur zu nennen!

Unterdessen kommen Robespierre, Saint-Just und andere Mitglieder des Konvents mit einem neuen Volkshaufen, und stellen sich auf eine improvisierte Erhöhung.

[116]
SAINT-JUST.
Wie sollte er sie nennen, ist er ja
Doch selbst ihr Hauptverbündeter!

Das Volk murrt.
ADAM.
Du wagst,
Saint-Just, mich anzuklagen, weißt wohl nicht,
Wie stark ich bin?
SAINT-JUST.
Du warst es einst im Volk.
Doch's Volk ist weise, es erkannte dich,
Und heißet des Konvents Beschluß nun gut.
ADAM.
Ich kenne keinen Richter über mir,
Als nur das Volk, und dieses ist mein Freund.
SAINT-JUST.
Dein Freund ist, wer dem Vaterlande Feind.
Das souveräne Volk soll richten; vor ihm
Klag ich dich an, du Vaterlandsverräter,
Am Staatsschatz der Veruntreuung, im Herzen
Der Sympathie für die Aristokraten,
Des frechen Strebens nach Tyrannenherrschaft.
ADAM.
Gieb acht, es donnert nieder dich mein Wort.
Du klagst mich fälschlich an!
ROBESPIERRE.
Lass't ihn nicht sprechen!
Ihr wisset, seine Zunge ist so glatt
Wie eine Schlange, schneidet weg sie ihm,
Im Namen uns'rer Freiheit!
VOLKSMENGE.
Nein, wir schenken
Ihm kein Gehör, er soll verurteilt werden!

Umzingeln ihn und nehmen ihn gefangen.
[117]
ADAM.
So schenkt mir kein Gehör, die niederträcht'ge
Anklage aber will ich auch nicht hören,
Durch Worte überzeugen wir einander
Doch nimmermehr. Nicht einmal in der That
Bin ich besiegt. Du kamst mir nur zuvor,
Das ist das Ganze. brüste dich damit
Nicht gar zu sehr! Freiwillig strecke ich
Die Waffen, – hab' die blut'ge Arbeit satt.
Doch fordre ich dich auf mir in drei Monden
Auf diesem Wege nachzufolgen. Nimm dich
Zusammen Henker, richtest einen Riesen!

Neigt sein Haupt unter die Guillotine.

[118]

10. Scene

Zehnte Scene.

Das Ganze verwandelt sich im Momente wieder so, wie es in der achten Scene war. Adam sieht man wieder als Keppler, das Haupt auf seinen Schreibtisch niedergesenkt. Lucifer, als sein Famulus, steht neben ihm und klopft ihm auf die Schulter. Der Morgen graut.

LUCIFER.
Die Hinrichtung bleibt diesmal weg.
ADAM.
Wo bin ich?
Wo sind die Träume, die mich so erregt?
LUCIFER.
Sie sind mit deinem Rausch verflogen, Meister!
ADAM.
In dieser schnöden Zeit erzeuget also
Nur Rausch noch Großes im verwelkten Herzen?
Ha, welch' großart'ges Bild that sich da auf
Vor meinem geist'gen Auge! Blind ist wohl,
Wer diesen Gottesfunken nicht begreift,
Und war er auch mit Blut und Schmutz besudelt.
Wie groß, wie riesenhaft erschienen Tugend
Und Laster da, und wie erstaunlich beide,
Denn Kraft drückt ihren Stempel ihnen auf!
Was mußte ich aus diesem Traum erwachen?
Daß ich hier Umschau haltend nur noch besser
Erkenne die Pygmäenhaftigkeit
Der Gegenwart, mit ihrem unter Lachen
Und Scherzen gleißnerisch versteckten Laster
Und der erlogenen Gewohnheitstugend!
[119]
LUCIFER.
Ach, den moral'schen Katzenjammer kenn' ich,
Der sich am Morgen nach dem Rausche einstellt!
EVA
aus der Laube tretend.
Hinweg von mir! So war denn mein Verdacht
Doch keine Täuschung. Also wagst du es
Zu list'gem Gattenmord mich aufzufordern,
Hältst wirklich solcher schnöden Unthat fähig,
Von der du Ritterlichkeit heuchelnd lügst,
Sie wäre deines Herzens Ideal?
DER HÖFLING.
Um Gottes willen, ruhig meine Teure!
Bemerkt man uns, so giebt es noch Skandal.
ADAM.
Auch jene beiden Weiber waren Traum nur?
Was sage ich, ein Weib in zwei Gestalten,
Verändert mit der Sturmflut meines Schicksals,
Wie eine Woge, glänzend bald, bald finster.
EVA.
Ach so, bei dir ist der Skandal die Hauptsach'!
Was kümmert im Versteck die Sünde dich,
Du tadelloser Ritter du? O weh,
Ihr höhnt das Weib so lange, bis es nicht
Der Tugend altehrwürd'ge Überlief'rung
Von sich wirft, wie ein dummes Vorurteil;
Dann seht ihr's mit geringschätzendem Lächeln
Als niedrig Werkzeug eu'res Lasters an!
Hinweg, lass' nimmer blicken dich vor mir!
DER HÖFLING.
Nun übertreibst du abermals. Wir werden
Zum Gegenstand des Spottes, wenn wir diesen
Alltagsfall gar so feierlich behandeln.
Wir sehn einander auch in Zukunft, lächeln
Und tändeln wie bisher zusammen, ohne
Über Geschehnes Worte zu verlieren.
Ich wünsche einen guten Morgen, Dame!

Ab.
[120]
EVA.
Elender! Ach, hier steh' ich Ärmste nun
Mit meiner Sünde und mit meinen Thränen.

Ab.
ADAM.
So war es nur ein Traum, und nun ist's aus.
Doch nicht mit allem! Die Ideen sind
Wohl stärker als der schlechte Stoff; Gewalt
Kann diesen stürzen, jene leben ewig.
Ich sehe meine heiligen Ideen
Sich still entwickeln, immer mehr und mehr
Klarheit gewinnend, würdevoll, bis langsam
Und langsam sie die ganze Welt erfüllen.
LUCIFER.
Der Tag rückt vorwärts Meister, 's kommt die Lehrstund',
Die ungeduld'ge Jugend sammelt sich
Ein Wort von deiner Weisheit zu erhaschen.

Läutet ein an der Sternwarte angebrachtes Glöcklein.
ADAM.
Ach, zieh' mich mit der Wissenschaft nicht auf!
Ich muß erröten, wenn man mich drum lobt.
LUCIFER.
Du unterrichtest ja die edle Jugend.
ADAM.
Ich unterricht' sie nicht, ich richte sie
Mechanisch ab nur dies und das zu thun
Nach Worten, die sie nicht verstehen können,
Weil selbe ohne Sinn, gar nichts bedeuten.
Uneingeweihte glauben, wir Adepten
Citieren Geister mit den großen Worten;
Derweil ist's Ganze nur ein Kniff, um schlau
Des Taschenspiels Kunstgriffe zu bemänteln.

Ein Schüler kommt eiligen Schrittes, und begiebt sich auf den Erker.
SCHÜLER.
Du warst so gütig, Meister, und beriefst
[121] Mich heut zu dir. Du hast mir auch versprochen,
Daß du nun meinen Wissensdrang befriedigst,
Mich tiefer in die Dinge blicken läßt,
Als du's bei andern für ersprießlich hältst.
ADAM.
Wahr, wahr, dein Eifer ist so groß, daß du
Auf dieses Vorrecht billig Anspruch hast.
SCHÜLER.
Nun bin ich da. Ich zittre vor Verlangen,
In der Natur geheimnisvolle Werkstatt
Einblick zu nehmen, alles aufzufassen
Und besser zu genießen, kühn beherrschend,
Mit dem Gefühle der Erhabenheit,
Das Reich der Stoffe, wie die Geisterwelt.
ADAM.
Verlangst zu viel, du Staubkörnlein im Weltall.
Wie willst durchschaun du das großart'ge Ganze?
Du wünschest Macht, verlangst Genuß und Wissen;
Bricht deine Brust darunter nicht zusammen,
Umfaßt du alles das, bist du ein Gott.
Verlange weniger, vielleicht erreichst du's.
SCHÜLER.
Des weiten Wissens, welch' Geheimnis immer
Du mir erschließt, ich kann nur profitieren,
Denn gar nichts, fühle ich, ist mir begreiflich.
ADAM.
Nun gut, ich sehe, daß du würdig bist.
Will ins geheimste Heiligtum dich führen,
Du sollst die Wahrheit sehn, wie ich sie sehe.
Ob aber nicht ein unberufnes Ohr
Uns wo belauscht, denn schrecklich ist die Wahrheit,
Ja tödlich, wenn sie heute schon ins Volk dringt.
Es kommt die Zeit, o wäre sie schon da!
Wo man von ihr auf offner Straße spricht;
Doch dann ist's Volk nicht minderjährig mehr.
[122] Jetzt gieb die Hand drauf, daß du nicht verrätst,
Was du vernehmen wirst. So! Höre denn!
SCHÜLER.
Wie klopft mein Herz vor Wissensdrang und Furcht!
ADAM.
Was sagtest du mir grad' vorher mein Sohn?
SCHÜLER.
Daß ich im Wesentlichen nichts begreife.
ADAM
mit Vorsicht.
Nun sieh', ich auch nicht, – und du kannst mir glauben,
Auch sonsten keiner. Die Philosophie
Ist nur all' dessen Poesie, wovon
Wir keinen richtigen Begriff noch haben.
Und unter andern hohen Wissenschaften
Ist diese wohl die unschuldigste noch,
Weil sie in ihrer Welt voll Hirngespinsten
Ganz still sich mit sich selber unterhält.
Nun hat sie aber andere Geschwister,
Die in den Sand mit wicht'ger Miene schreiben,
Hier einen Strich als Wirbelschlund bezeichnen,
Dort einen Kreis als Heiligtum. Schon reizt dich's
Hell aufzulachen, doch bald wirst du inne,
Welch' schrecklich ernster Streich das Ganze ist.
Denn während mit gepreßter Brust und zitternd
Den Staubfiguren alles sorglich ausweicht,
Sind hie und da Fußangeln aufgestellt,
Die den Verwegnen, der sie überschreitet,
Auf's Blut verletzen. Solcher Unsinn, siehst du,
Steht immer uns im Wege, jede Macht,
So sie einmal besteht, als Gegenstand
Der Pietät scheinheilig stets beschirmend.
SCHÜLER.
Ach, ich versteh' dich, und bleibt's ewig so?
ADAM.
Einst wird man übers Ganze weidlich lachen.
[123] Es sieht den Staatsmann, den wir groß genannt,
Den Orthodoxen, den wir angestaunt,
Die Nachwelt für Komödianten an,
Sobald an ihre Stelle wahre Größe,
Natürlich ungekünstelt Echtes tritt,
Das dort nur springt, wo's einen Graben giebt
Und seine Wege sucht, wo frei die Bahn.
Die Lehre, die jetzt nur zum Wahnsinn führt,
Durch ihr verwickelt Wesen, wird, obschon
Sie niemand lernt, doch jedermann verstehn.
SCHÜLER.
Dies also ist die Sprache, leicht verständlich,
Wie die Apostel sie gesprochen einst.
Wenn aber alles andre Plunder ist,
So raube mir den Glauben an die Kunst nicht;
Und diese zu erlernen muß man doch
Zu festgesetzten Regeln sich bequemen.
ADAM.
Die Kunst ist auch dann am vollkommensten,
Wenn sie sich so verbirgt, daß man von ihr
Nichts merkt.
SCHÜLER.
Soll ich denn also bei der rauhen
Profanen Wirklichkeit nun stehen bleiben?
Es hauchet unsern Werken doch gewiß
Nur Idealisierung Seele ein.
ADAM.
Wahr, wahr, die streuet Geist aus über selbe,
Erhebt, macht ebenbürtig der Natur,
Und zeitigt zum lebendigen Geschöpf,
Was ohne sie nur totes Machwerk bliebe.
Brauchst nimmer zu befürchten, daß, indem
Du idealisierest, du die große
Lebendige Natur je übertriffst.
Die Regeln und die Muster aber lasse.
Wer Kraft in sich verspürt, in wessen Brust
[124] Ein Gott wohnt, der wird reden, meißeln, singen,
Wühlt Schmerz in seiner Seele, wird er schluchzen,
Ganz herzerschütternd, und beseligt lächeln,
Wenn sich sein Geist in Wonneträumen wiegt.
Und bricht er sich auch neue Bahnen, sicher
Gelangt er stets zum vorgesteckten Ziel.
Aus seinem Werke macht sich neue Regeln,
Zur Fessel wohl, doch nie als Schwingen,
Für Zwerggeschlechter die Abstraktion.
SCHÜLER.
Ach Meister, sag, was soll ich also thun?
Der ich der Wissenschaft so viele Nächte
Geopfert, ward ich nur dem Hohlkopf gleich,
Und ist so viele Mühe ganz verloren?
ADAM.
Verloren nicht, denn grade dies giebt dir
Ein Recht nun jede Lockung zu verschmähn.
Wer der Gefahr noch nie ins Aug' geblickt,
Ist wohl, wenn er zurückweicht, feig zu nennen;
Doch der erprobte Held kann ungestraft
Den Stänker meiden, man wird seinen Mut
Drum nicht in Zweifel ziehen. Also nimm
Hier alle die vergilbten Pergamente,
All' diese schimmeligen Folianten,
Und wirf sie in den Ofen; denn sie sind es,
Die uns entwöhnen, auf den eignen Beinen
Einherzuschreiten, und die uns des Denkens
Mit unsern eignen Köpfen überheben.
Sie schleppen die Gebrechen von vergangnen
Jahrhunderten hinüber in die Neuzeit.
Ins Feuer denn mit ihnen, und hinaus
Ins Freie! Schad' wär's immer nur zu lernen
Was Singen heißt, und wie der Laubwald aussieht
Indes dein Leben zwischen staub'gen Wänden
Freudlos verrinnt? Hältst für so lang das Leben
Daß bis ans Grab du Theorien studierst?
Zusammen sagten wir Valet der Schule,
[125] Dich leite deine frische, ros'ge Jugend
Zu heiterm Sonnenschein und frohen Liedern;
Mich führe du, mein zweifelhafter Schutzgeist,
In jene neue Welt, die sich entwickelt,
Wenn die Ideen eines großen Mannes
Der Menschheit einmal klar verständlich sind,
Und es dem scheu verborgenen Gedanken
Vergönnt sein wird ein freies Wort zu sprechen
Auf den Ruinen fluchbeladner Wälle.
[126]

11. Scene

Elfte Scene.

In London. Zwischen dem Tower und der Themse wird Markt gehalten. Eine bunte Menge wogt lärmend auf und nieder. Adam als betagter Mann, steht mit Lucifer auf einer Zinne des Tower. Gegen Abend.

CHOR
mit dem Getöse der brausenden Menge verschmelzend, von leiser Musik begleitet.
Rastlos rauscht die Flut des Lebens,
Jede Woge eine Welt.
Was verschlägt es dir, wenn diese
Sinkt und jene höher schwellt?
Fürchtest einmal, daß die Menge
Leicht den einzelnen verschlingt,
Und ein andermal, daß einer
Millionen kühn bezwingt.
Zitterst heute für das Wissen,
Morgen für die Poesie,
Willst doch in Systeme zwängen,
Forschbegier und Phantasie.
Magst du noch so dichten, trachten,
Was du schöpfest ist nur Schaum,
Und das ew'ge Meer rauscht weiter,
Achtet deines Ringens kaum.
Laß es rauschen, selber regelt
Sich im Kampf der Unterschied;
Nichts im Leben geht verloren,
Altes wird stets neugeboren,
Höre nur sein Zauberlied!
[127]
ADAM.
Das ist's, das Endziel meines heißen Strebens,
Ein wüster Irrweg war mein Pfad bislang;
Da liegt vor mir der Markt des vollen Lebens,
Wie schön, ermunternd klingt sein Wettgesang!
LUCIFER.
Schön aus der Höhe, wie ein Kirchenlied,
Wo jeder heis're Mißton, jeder Seufzer
Und Weheruf zur Arie verschmilzt
Bis er heraufgelangt. So hört's auch Gott,
Und glaubt darum, er habe diese Welt
Ganz gut gemacht; doch hörte sich's gewiß
Dort unten anders an, wo auch des Herzens
Pulsschläge in die Harmonie sich mischen.
ADAM.
Du höhn'scher Zweifler, also sag', ist dies
Nicht eine schön're Welt, als alle jene,
Durch die du mich bisher hindurchgequält?
Die moosbedeckten Schranken sind gefallen,
Verschwunden alle drohenden Gespenster,
Wie sie die grämliche Vergangenheit
Der Zukunft mit geweihter Glorie
Als ihren Fluch zu hinterlassen pflegt.
Der Brust ist freier Kampfesraum beschieden,
Nicht mehr erstehn durch Sklaven Pyramiden.
LUCIFER.
Auch in Ägypten hätte man so weit
Herauf der Sklaven Jammer nicht gehört,
Und ohne das, wie gottvoll seine Werke!
Hat nicht das souveräne Volk Athens
Gerecht, ja groß gehandelt, als es seinen
Vornehmsten, meist beliebten Mann geopfert,
Weil's Vaterland Gefahr hätt' laufen können?
Wenn wir nur alles aus gemess'ner Höhe
Betrachten, und durch Weiberthränen oder
Sonst welchen Unsinn uns nicht stören lassen.
[128]
ADAM.
Hör' auf, hör' auf, du ewiger Sophist!
LUCIFER.
Und zugegeben, daß das Weh erstorben,
Ist anstatt dessen alles so verflacht jetzt.
Wo ist das Hohe, das uns anzieht, wo
Die Tiefe, die uns schreckt? wo uns'res Lebens
So süß ergreifend' buntes Wechselspiel?
Nicht mehr ist's wilden Wogenkampfes Sprühn,
Nur glatter Sumpf voll aufgeduns'ner Kröten.
ADAM.
Des ungetrübten allgemeinen Wohlseins
Gefühl ist doch Ersatz genug dafür.
LUCIFER.
Beurteilst auch von deinem hohen Standpunkt
Das Leben, welches dir zu Füßen wimmelt,
Gerade so, wie über das Vergangne
Die rücksichtslose Weltgeschichte richtet.
Sie hört nicht Wehgeschrei, nicht heis're Rede;
Was sie auf ihre ew'gen Blätter zeichnet,
Ist nur das Lied von der Vergangenheit.
ADAM.
Der Satan selbst wird schon romantisch, oder
Gar doktrinär; eins wie das andere
Ist eine wirkliche Errungenschaft.
LUCIFER
auf den Tower weisend.
Das ist kein Wunder, wenn wir auf gespenst'gem
Spuk längstverwichner Zeiten fußen, mitten
In einer neuen Welt.
ADAM.
Der morsche Standpunkt
Behagt mir auch nicht, will entschlossen mich
Hinabbegeben in die neue Welt,
Und fürchte kaum, daß ich in ihren Wogen
[129] Die Poesie und der Ideen Größe
Nicht wiederfände. Möglich, daß sie sich
Nicht mehr in himmelstürmend urgewalt'gem
Titanenkampfe äußern werden, aber
Sie schaffen in bescheidenerem Kreise
Sich eine um so reizendere Welt,
Viel segensreicher, als je eine war.
LUCIFER.
Du brauchst dir auch nicht die geringste Sorge
Deshalb zu machen; denn so lang es Stoff gtebt,
Besteht auch meine Macht in der Verneinung,
Die mit dem Stoffe stets im Streite liegt.
So lang ein Menschenherz noch schlägt, ein Hirn
Gedanken faßt, und ein Gebot der Ordnung
Dem Drange wilder Wünsche Schranken zieht,
Wird in der Geisterwelt auch Poesie
Und manch' erhabene Idee sich finden.
Doch sag', was sollen wir denn für Gestalt
Annehmen, wenn wir in das Volksgewühl
Hinuntersteigen? Denn so können wir
Nur hier verbleiben, wo uns Schwärmerei
Romantischer Vergangenheit umschwebt.
ADAM.
Nun, welche immer, Dank dem Schicksal giebt's
Nichts, was hervorragt mehr. Um zu erfahren
Wie's Volk fühlt, müssen wir hinuntersteigen
Zur breiten Schichte des gemeinen Volks.

Beide steigen in das Innere des Towers hinab, und treten als Arbeiter gekleidet zu dessen Thor heraus sich in das Gewühl mischend. – Ein Marionettenmann steht bei seiner Bude, auf welcher ein Affe sitzt, in rotem Rocke, an einer Kette.
DER MARIONETTENMANN.
Hieher liebwerte Herren, nur hieher!
Die Vorstellung allda beginnt sogleich.
Das Stück ist äußerst lustig anzuschaun,
Wie Schlangenlist das erste Weib verführt,
Schon damals der Neugierde Unterthan,
[130] Und wie das Weib damals schon in die Patsche
Gebracht den Mann. Zu sehn ein Affe schnurrig,
Mit welcher Würde er den Menschen spielt;
Ein Bär auch als Tanzmeister ist zu sehn.
Hieher liebwerte Herren, nur hieher!

Gedränge um die Bude.
LUCIFER.
Ach Adam! meiner Treu man spricht von uns hier.
Es ist doch schön, wenn einem solche Rolle
Zu Teil ward, daß noch nach sechstausend Jahren
Die heitre Jugend ihren Spaß dran findet.
ADAM.
Weg von dem abgeschmackten Scherze! Weiter!
LUCIFER.
Ein abgeschmackter Scherz? schau nur die Knaben,
Die grad noch in der Schulbank über Nepos
Geschlummert haben, wie vergnügt sie sind.
Nun soll mir Einer sagen, wer hat recht?
Diejenigen, die erst ins Leben treten,
Mit kaum erwachtem Kraftgefühle, oder
Derjenige, der mit vermorschtem Hirn
Aus selbem schon hinaustritt. Findest du
An einem Shakespeare etwa mehr Gefallen,
Als sie an diesem kunterbunten Zerrbild?
ADAM.
Ei Lucifer, das Zerrbild ist 's ja eben,
Was ich nicht leiden kann.
LUCIFER.
Es haftet dir
Noch aus dem alten Griechentume an.
Schau, ich, der lieblichen Romantik Sprosse,
Wenn's besser dir gefällt, auch deren Vater,
Bei Geistern ist's kein großer Unterschied – –
Ich bin entzückt vom Zerrbild. Ist es nicht
Ein Affenzug auf stolzem Menschenantlitz,
[131] Dem Hohen nachgeschmißner Straßenkot,
Verrückter Edelmut, ein härnes Prachtkleid,
Der Keuschheit Lob in frecher Dirnen Mund,
Verhimmlung alles Niedern und Verworfnen,
Des Abgelebten Fluch auf Liebesfreuden?
Es macht vergessen, daß mein Reich verloren,
Weil ich in neuer Form nun wieder aufleb'.
DER MARIONETTENMANN
Adam auf die Schulter klopfend.
He, was verstellt ihr da den besten Platz?
Ihr Lumpenpack, es macht umsonst nur Spaß,
Wer lebenssatt sich hängen lassen will.

Adam und Lucifer weichen zur Seite. Ein kleines Mädchen kommt Blumen verkaufend.
DAS KLEINE MÄDCHEN.
Kauft Veilchen, liebe Leute, Veilchen kauft!
Des Lenzes erste Boten, selbstgepflückt;
Dies holde Blümchen giebt der Waise Brot,
Ist eine Zier, die auch den Armen schmückt.
EINE MUTTER
indem sie Veilchen kauft.
Sollst für mein totes Kind mir diese lassen.
EIN MÄDCHEN
gleichfalls kaufend.
Wird gut zu meinen dunklen Locken passen.
DAS KLEINE MÄDCHEN.
Kauft Veilchen, meine Herren, Veilchen kauft!
EIN JUWELENHÄNDLER
in seiner Bude.
Daß uns dies Unkraut immer Konkurrenz macht,
Und wir's nicht aus der Mode bringen können.
Mehr zieren einen schönen Hals doch Perlen,
Um deren Glanz schon der verwegne Taucher,
Der sie heraufgeholt, die Ungeheuer
Der Meerestiefe freventlich versucht hat.

Zwei Bürgermädchen kommen miteinander.
ERSTES BÜRGERMÄDCHEN.
Welch' prächt'ge Stoffe, teuere Juwelen!
[132]
ZWEITES BÜRGERMÄDCHEN.
Schön wär's, wenn jemand uns was kaufte, gelt?
ERSTES BÜRGERMÄDCHEN.
Nur zu verruchten Nebenzwecken thäte
Noch so etwas die heut'ge Männerwelt.
ZWEITES BÜRGERMÄDCHEN.
Nicht einmal so! sind aller Feinheit bar,
Verderbt von Dirnen und von Kaviar.
ERSTES BÜRGERMÄDCHEN.
Ja darum sind sie gar so übermütig,
Daß sie uns nicht einmal beachten.
ZWEITES BÜRGERMÄDCHEN.
Oder
So sehr bescheiden, daß sie nichts mehr wagen.

Gehen vorüber. In einer Laubhütte schenkt man Wein. Um den Tisch zechende Arbeiter. Weiter hinten Musik und Tanz. Soldaten, Bürger und verschiedenes Volk unterhalten sich und gaffen umher.
WIRT
zwischen seinen Gästen.
Nur immer lustig! Gestern ist vorbei
Und Morgen holst nie ein; drum nichts vertagt.
Die Vögelein am Feld' speist Gott der Herr
's ist alles eitel, wie die Bibel sagt.
LUCIFER.
Ei, diese Art Philosophie gefällt mir.
Nun setzen wir uns auf die schatt'ge Bank da,
Und sehn wir zu, wie billig und wie gut
Bei saurem Wein und greulicher Musik
Das sorgenlose Völklein sich belustigt.
ERSTER ARBEITER
beim Tische.
Ja, die Maschinen sind des Teufels Werk!
Sie nehmen uns das Brot vorm Munde weg.
ZWEITER ARBEITER.
Bleibt uns zu trinken nur, verschmerzen wir's.
[133]
ERSTER ARBEITER.
Ha, und der Reiche – ist der Teufel selber,
Saugt sich gemächlich voll an unserm Blut.
Käm einer jetzt daher, schickt ihn zur Hölle!
Wie's jüngste Beispiel thäten mehr noch gut.
DRITTER ARBEITER.
Was hättest du davon? Heut' baumelt er,
Und unser Los, wird's deshalb minder schwer?
ZWEITER ARBEITER.
Einfält'ge Reden! mag der Reiche kommen,
Ich thu ihm nichts, setz ihn da neben mich,
Will sehn, wer nobler ist, wer flotter zecht.
DER WIRT
zu Adam.
Mit was kann ich Euch dienen Herr?
ADAM.
Mit nichts.
DER WIRT.
Dann schert euch fort von meiner Bank, Schlaraffen!
Meint ihr, daß ich das Geld nur stehle, oder
Zu Bettlern werden lasse Weib und Kind?
ADAM
aufstehend.
Wagst so zu sprechen?
LUCIFER.
Laß den Grobian!
ADAM.
So gehen wir, was sehen wir auch zu,
Wie sich der Mensch zum rohen Tier erniedrigt!
LUCIFER.
Ach da ist, was ich schon so lange suche,
Hier geht's gemütlich, ungezwungen her,
Dies tolle Stampfen, dieses wilde Lachen,
Der helle Ausbruch bachanal'schen Feuers,
Das Rosenglut auf fahle Wangen malt,
[134] Wie eitler Wahn manch Elend überfirnißt.
Ist das nicht herrlich?
ADAM.
Ach, mich ekelt's an!

Sind unterdessen zu den Tanzenden gelangt. Zwei Bettler kommen zankend.
ERSTER BETTLER.
Das hier ist mein Platz, da bin ich befugt.
ZWEITER BETTLER.
Hab' doch mit mir Erbarmen, sterbe Hungers,
Bin schon zwei Wochen keiner Arbeit fähig.
ERSTER BETTLER.
So bist du also gar kein rechter Bettler,
Du hergelaufner Störer du; ich rufe
Den Bettelvogt.

Der zweite Bettler schleicht sich fort. Der erste nimmt den Platz ein.

Um Christi Wunden willen
Dem Dulder ein Almosen, liebe Herren!

Ein Soldat reißt einem Handwerkergesellen seine Tänzerin vom Arme.
SOLDAT.
Fahr ab, du Bauernlümmel! oder meinst
Am Ende gar, du wärst was Rechts?
HANDWERKERGESELLEN.
Sollst's fühlen,
Wenn du's nicht glaubst.
ZWEITER HANDWERKERGESELLE.
Ei laß ihn, weich ihm aus;
Denn sein ist alle Macht und Herrlichkeit.
ERSTER HANDWERKERGESELLE.
Was braucht er Einen noch zu schmäh'n, wenn so schon
Sein Stand wie ein Blutegel saugt an uns.
EINE LUSTDIRNE.
Goldne Äpfel zu erbeuten
That man einst mit Drachen streiten. –
[135] Äpfel wachsen wohl noch immer,
Drachen giebt's schon lange nimmer.
Blöd ist, wer sie wo erschant,
Und sich nicht zu pflücken traut.

Schmiegt sich an einen Jüngling.
LUCIFER
in den Anblick der Lustbarkeiten versunken.
Nun schau, derlei Koketterie gefällt mir,
Wer reich ist, soll auch zeigen seine Schätze;
Worauf der Geizhals sitzt, die Eisentruhe
Kann ebensogut Sand wie Gold enthalten.
Wie rührend dieses Lümmels Eifersucht,
Wie er die Blicke seines Mädchens hütet!
Er weiß den Wert des Augenblicks zu schätzen,
Obschon er ganz im Reinen ist mit ihr, –
Jedoch was kümmert's ihn, – daß binnen kurzem
Sie einem andern in die Arme sinkt.
ADAM
zu einem der Musikanten.
Mensch, warum gehst du mit der Kunst so um,
Sag nur, gefällt dir etwa, was du spielst?
DER MUSIKER.
Bewahre, 's ist mir eine helle Pein,
Tagtäglich diese Melodei zu geigen,
Und hören, wie man stampft und jauchzt dabei.
Der wilde Ton verfolgt mich selbst im Traume.
Was thun? muß leben, und sonst kann ich nichts.
LUCIFER
noch immer in den Anblick vertieft.
Wer setzte von der flatterhaften Jugend
So praktische Philosophie voraus?
Dies Mädchen weiß, daß es im Leben nicht
Der letzte Augenblick, den sie genießt;
Und während sie umarmet, sucht ihr Auge
Bereits ein neu Verhältnis. Teure Kinder,
Welch große Freude ihr mir da bereitet,
Daß ihr so frohen Mutes für mich schanzt!
Mein Segen: Schuld und Elend sei mit euch!
[136]
ZWEITER HANDWERKERGESELLE
singend.
Wem nach wochenlanger Plag'
Herzensfroh, bei Sang und Klang,
Weib und Wein gefallen mag,
Hei, dem macht kein Teufel bang!

Man hört die Endakkorde einer Kirchenmusik. Eva als Bürgermädchen kommt, ein Gebetbuch und einen Blumenstrauß in der Hand, mit ihrer Mutter aus der Kirche.
EIN HÄNDLER.
Hieher, mein schönes Fräulein, nur hieher!
Es kann Euch niemand billiger bedienen.
EIN ANDERER HÄNDLER.
Ei, trauet ihm nicht, er führt falsches Maß
Und alte Ware. Hieher, schönes Fräulein!
ADAM.
Du hältst mich an so schnödem Ort zurück,
O Lucifer! dieweil das Heil, verkörpert,
Mir da beinahe unbemerkt entschwebt.
LUCIFER.
Dergleichen ist dir doch nichts neues mehr?
ADAM.
Sie kommt grad aus der Kirche, o wie schön,
Wie schön sie ist!
LUCIFER.
Sich sehn zu lassen war sie
Nur dort, vielleicht sogar sich umzuschaun.
ADAM.
Der Spott ist kalt, tritt ihr damit nicht nahe!
Es schwebt ihr noch die Andacht auf den Lippen.
LUCIFER.
Bekehrst dich, wie ich sehe, wirst am Ende
Sogar noch Pietist?
[137]
ADAM.
Ein schlechter Witz das.
Denn ist's in meiner Brust auch noch so frostig,
So schadet das nur mir; jedoch im Weibe
Verlang ich Vorurteil, dies heil'ge Feuer
Verklärter Poesie, entschwundner Zeiten
Musik, den unberührten Schmelz der Blume.
LUCIFER.
So zeige mir, wo ist denn dies Stück Himmel?
Das kannst du selbst vom Teufel nicht erwarten,
Daß er um deinen wechselnden Geschmack
Stets zu erraten sich den Kopf zerbreche.
Genug, wenn er herbeischafft, was du wünschest.
ADAM.
An dieses Mädchens Brust! Wo sonst?
LUCIFER.
So spricht
Der Grünspecht auch, hat er wo einen Wurm
Erwischt; er schaut sich eifersüchtig um,
Und meint, es gäbe keinen bessern Bissen,
Während's die Taube ekelt vor dem Fraße.
So findet auch der Mensch sein Heil nur selbst,
Und oft gerade da, wo statt des Himmels
Ein andrer sich die Hölle hat bereitet.
ADAM.
Und welche Würde, welche keusche Tugend;
Ach, kaum getraue ich mich ihr zu nahn!
LUCIFER.
Nur keck drauf los! Bist bei den Frauenzimmern
Gewiß kein Neuling, und bei rechtem Licht
Betrachtet, wird sie auch erkäuflich sein.
ADAM.
Schweig doch!
[138]
LUCIFER.
Vielleicht um höhern Preis als andre.

Ein Jüngling tritt unterdessen bescheiden zu Eva, und überreicht ihr ein Pfefferkuchenherz.
DER JÜNGLING.
Ich bitte Fräulein dieses Marktgeschenk
Aus meinen Händen gütigst anzunehmen.
EVA.
Wie hübsch von Euch, daß Ihr an mich gedacht!
Wir haben Euch schon lange nicht gesehn.
Warum besucht Ihr uns so selten, Arthur?

Sprechen leise miteinander, Adam sieht aufgeregt zu, bis sich der Jüngling entfernt.
ADAM.
Soll der unreife Knabe da besitzen,
Wonach mein Männerherz umsonst sich sehnt?
Ach, wie vertraut sie thun, und wie sie lächelt!
Nun winkt sie ihm zum Abschied gar noch nach! –
O welche Pein, die Eifersucht verzehrt mich!
Ich kann nicht mehr umhin sie anzusprechen.

Nähert sich Eva.
MUTTER.
Wohl weiß ich, Arthurs Eltern sind vermöglich,
Doch bin ich nicht recht sicher, ob zu eurem
Verhältnis sie auch gute Miene machen?
Drum sollst du seinen mindern Nebenbuhler
Nicht ganz beiseite setzen, der dich heut
Mit diesem Blumenstrauße überraschte.
ADAM.
Laßt, Damen, mein Geleite euch gefallen,
Damit euch im Gedränge nichts geschieht.
EVA.
Ei, welche Keckheit!
MUTTER.
Unverschämter, weg!
Glaubt er vielleicht, er hat vor sich ein Mädchen,
Dem Allewelt Schönheiten sagen darf?
[139]
ADAM.
Was sonst, beim Himmel, könnte man denn sagen?
So schwebte weiblicher Vollkommenheit
Lieblichstes Ideal im Traum mir vor.
MUTTER.
Ja träumen mag er dreist, was ihm beliebt;
Wem aber dieses Mägdleins Reize blühn,
Darf kein so hergelaufner Tagdieb sein.

Adam steht verwirrt da, eine Zigeunerin tritt zu Eva.
ZIGEUNERIN.
Ach Schönste aller Schönen, stehet stille,
Weist her die Hand, so winzig weiß und zart;
Laßt euch wahrsagen, welche Segensfülle
Im Schoß des schwanken Schicksals euer harrt!

Indem sie ihre Handfläche betrachtet.

Ein schöner Bräutigam, – recht nah sogar, –
Gesundheit, Reichtum, hübscher Kinder Schar .....

Kriegt Geld.
LUCIFER
auf Adam weisend.
Hochweise Schwester, lass' auch etwas hören
Vom Schicksal meines Kameraden hier.
ZIGEUNERIN.
Ich kann fürwahr nicht recht ins Reine kommen,
Ob Hunger oder Galgen ihm bevorsteht.
ADAM
zu Eva.
O weiset mich doch nicht so schnöde ab,
Dies Herz, ich fühl es, ist für mich geschaffen!
EVA.
Gieb Mutter, doch nicht zu ....
MUTTER.
Ich ruf' die Wache,
Wenn er nicht weicht!
[140]
EVA.
Laß ihn, er kommt vielleicht
Von selber zu Vernunft, und eigentlich
Hat er ja gar nichts Schreckliches verübt.

Entfernen sich.
ADAM.
O heil'ge Poesie, so bist du denn
Aus dieser Welt der Prosa ganz verschwunden?
LUCIFER.
Warum nicht gar! Das Pfefferkuchenherz,
Der Blumenstrauß, die Laube und der Tanz,
Was waren sie wohl sonst? Sei nur nicht gar
So wählerisch, genug giebt's noch zu schwärmen.
ADAM.
Dank schön dafür, wenn Habsucht, Eigennutz
Dahinter steckt, und rein selbstloser Aufschwung
Gar nirgends mehr zu finden ist!
LUCIFER.
Auch der
Dürft' reichlich auf der Schulbank vor sich finden,
Wo's Leben noch nicht gänzlich aufgeräumt.
Da kommen ein'ge solche Kameraden.

Einige Studenten schlendern daher.
ERSTER STUDENT.
Heut sind wir, Jungens, den Schulmoder los,
Heut wollen wir einmal was Rechts genießen.
ZWEITER STUDENT.
Hinaus ins Freie, denn die Stadt, die hass' ich,
Mit ihrer Ordnung, ihrem Krämersinn!
DRITTER STUDENT.
Versuchen wir's irgendwo anzubinden,
Das Raufen ist ein männliches Vergnügen.
ERSTER STUDENT.
Entreißen wir den Söldnern ihre Mädchen
Frisch weg vom Schoß, da haben wir gleich Streit;
[141] Wir eilen stracks ins Freie dann mit ihnen,
Geld für Musik und ein paar Krüge Bier
Hält auch vor, und so werden wir bis Abend
Mit den Erinnerungen uns'res Sieges
Im Kreise roter Wangen Prinzen sein.
VIERTER STUDENT.
Ach herrlich, herrlich! den Philister ärgern .....
ERSTER STUDENT.
Die Bande uns'res Bundes fester fügend, –
Und froh genießen, was nur eben möglich,
Bis einst, begeistert für das Vaterland, sich
Auf edlerm Kampfplatz tummelt uns're Thatkraft.

Gehen vorüber.
ADAM.
Ein schönes Schauspiel in der flachen Welt,
Mein Herz ahnt bess'rer Zeiten Keim darin.
LUCIFER.
Wirst sehen, wie sich dieser Keim entwickelt,
Wenn einst der Schulstaub abgeschüttelt ist.
Die beiden Fabrikanten, die da nahn,
Sind jung gewesen, was jetzt diese Burschen.

Es kommen zwei Fabrikanten im Gespräch.
ERSTER FABRIKANT.
Umsonst, man hält die Konkurrenz nicht aus!
Ein jeder greift nach dem Wohlfeilern nur,
Ich muß die Güte meiner Ware fälschen.
ZWEITER FABRIKANT.
Der Arbeitslohn, der muß vermindert werden.
ERSTER FABRIKANT.
Das geht nicht, lehnen sich ja jetzt schon auf,
Weil sie nicht leben können, diese Hunde!
Vielleicht ist ihre Klage nicht ganz grundlos;
Wer heißt die Racker aber sich beweiben,
Was brauchen sie ein halbes Dutzend Kinder?
[142]
ZWEITER FABRIKANT.
Man muß sie mehr beschäftigen. Sie sollen
Die halbe Nacht zur Arbeit noch verwenden,
Sich auszuruhn genügt die andre Hälfte,
Wem 's träg zu träumen ohnehin nicht frommt.

Gehen ab.
ADAM.
Was führtest du mir diese Zwei vor Augen!
Doch sag, wo ist das Mädchen hingekommen?
Nun Lucifer, jetzt zeige deine Macht,
Hilf, daß sie mich erhöre.
LUCIFER.
Selbst der Satan
Vergeudet ungern seine Kraft für nichts.
ADAM.
Dir mag es nichts sein, mir ist's eine Welt.
LUCIFER.
Nun, so gewinne sie. Vermöge nur
Deiner Gefühle immer Herr zu werden,
Schrick nicht vor Lug und Trug zurück, geh ein
Auf meine Fragen, und sie ist die Deine.

Laut, daß es die hinter ihnen lauschende Zigeunerin hört.

Ihr seht, Mylord, wie unbequem es ist
Derart vermummt sich unters Volk zu mischen;
Wir stoßen jeden Augenblick auf neue
Beleidigungen. Hätte dieses Volk
Nur die geringste Ahnung, daß noch heute
Aus Indien vier uns'rer Schiffe hier
Vor Anker gehen, sicher würde man
Ganz anders uns behandeln.
ADAM.
Sehr wahrscheinlich!
ZIGEUNERIN
beiseite.
Ha, diese unerwartete Entdeckung
Ist eine hübsche Summe Geldes wert!

[143] Zu Adam.

Ich bitte, auf ein Wort. Ihr habt euch listig
Verstellen wollen, dafür hab ich euch
Gestraft mit meiner schlimmen Prophezeiung;
Denn, wie ihr seht, vor mir giebt's kein Geheimnis,
Seit lange bin mit Satan ich im Bunde.
LUCIFER
beiseite.
Das ginge mir noch ab, du alte Vettel!
ZIGEUNERIN.
Es kommen eure Schiffe heut noch an.
Was aber viel erfreulicher als das,
Ist, daß ein schönes Mädchen für euch glüht.
ADAM.
Wie kann ich sie gewinnen?
ZIGEUNERIN.
Ist sie doch
So gut wie euer schon.
ADAM.
Sie wies mich ab.
ZIGEUNERIN.
Ei, eben deshalb läßt sie nicht von euch.
Ihr werdet sehn, bald ist sie wieder da,
Erinnert euch dann meiner Prophezeiung.

Ab.
ADAM.
Dies alte Weib da überbietet dich.
LUCIFER.
Es sei mir fern, ihr glänzendes Verdienst
In Zweifel ziehn zu wollen; sie vertritt
In diesem Augenblick des Teufels Stelle.

Ein Marktschreier erscheint auf einem Karren, unter Trompetenschall, von einer Menge Volk umgeben, und bleibt in der Mitte des Schauplatzes stehen.
DER MARKTSCHREIER.
Platz da! Mit Achtung soll man mir begegnen,
In Wissenschaften ist mein Haupt ergraut,
[144] Bis die geheimsten Schätze der Natur
Ich unermüdlich forschend aufgedeckt.
ADAM.
Was ist das für ein wunderlicher Kauz?
LUCIFER.
Die Wissenschaft ist's, die sich, um zu leben,
Zur niedrigsten Marktschreierei bequemt;
Gerade so, wie damals, als du selbst
Der Wissenschaft oblagst, nur daß es jetzt
Mehr Lärmens noch bedarf, als ehedem.
ADAM.
So arg hab ich's doch nie getrieben. Pfui,
Der Schändliche!
LUCIFER.
Was kann er denn dafür,
Wenn 's seinem ganzen Wesen widerstrebt
Und er das Schicksal abzuwenden trachtet,
Daß über seinem Grab geschrieben stehe:

»Ex gratia speciali
Mortuus in hospitali«,

Wenn er für andre Tag' und Nächte opfernd
Dahin gelangte seinen Lohn zu fordern?
DER MARKTSCHREIER.
Zum wahren Wohl der Menschheit müht' ich mich,
Nun könnt ihr 's euch zu nutze machen.
Seht dieses Fläschchen Lebenselixir
Giebt Jugendkraft dem Altersschwachen,
Hier Tankreds Zaubertrank, das Hausrezept
Fand man in Memphis Felsengrüften,
Dies Schönheitsmittel brauchte Helena,
Da Kepplers astrolog'sche Schriften!
ADAM.
Hörst, was er feil hat? während wir das Licht
In ferner Zukunft suchten, findet er's
Im längst Vergangenen.
[145]
LUCIFER.
Die Gegenwart
Wird nie geehrt, wie 's keinen großen Mann
Im Schlafrock giebt. Sie gilt für unsre Ehfrau,
Zehn Jahre nach der Hochzeit, wo uns schon
Bekannt, wie viel sie Sommersprossen hat.
DER MARKTSCHREIER.
Kauft, kauft, sollt's nicht bereuen. Nie im Leben
Wird's bessere Gelegenheit mehr geben!
AUS DER MENGE.
Nur her damit, ich kann was immer brauchen! –
Ach, welches Glück, welch' vorteilhafter Kauf!
LUCIFER.
Nun sieh, wie dieses Volk, das nicht mehr glaubt,
Dennoch nach allem Wunderbaren hascht.

Eva kommt mit ihrer Mutter zurück, die Ziegeunerin folgt ihnen flüsternd.
EVA.
Unnütz Gewäsch, kenn' euresgleichen schon.
ZIEGEUNERIN.
Ich soll nicht selig werden, wenn's nicht wahr ist.
Der Herr ist so verliebt in euch, daß er
Euch heute noch zur Maitresse sich erkürt.
Wie eine Fürstin werdet ihr logieren,
Mit Vieren auf den Ball, ins Schauspiel fahren.
MUTTER.
Bedenkt man's wohl, ist's hundertmal gescheiter,
Als unter schlichter Haube zu verblühn
In eines schmier'gen Schusters dumpfer Werkstatt.
ZIEGEUNERIN.
Schaut nur, dort steht er, – wie er späht nach euch!
EVA.
Es ist nicht schön von ihm, fast nehm' ich's übel,
Daß er so lange braucht um mich zu finden.
Hat wirklich feine Hände, noble Haltung!
[146]
MUTTER.
Selbst sein Begleiter scheint mir annehmbar.
Ist seine Nase auch ein wenig krumm,
Und hinkt er auch ein bißchen, er ist doch
Ein stattlicher recht netter alter Herr.
Ich gehe Kind, die beste Art Vermittlung
Ist, miteinander euch allein zu lassen.
ZIGEUNERIN
zu Adam.
Da ist sie, sichtlich schmachtet sie nach euch.
ADAM.
Ich fliege schon zu ihr. O welche Wonne!
ZIGEUNERIN.
Denkt aber auch an die Vermittlerin!
LUCIFER
giebt ihr Geld.
Dies Geldstück ist von meinem Kameraden,
Und dieser Händedruck von mir.
ZIGEUNERIN
aufschreiend.
Au weh!
Das nenn ich aber eine harte Faust.

Ab.
LUCIFER.
Mein Händedruck erfüllte dich mit Wonne,
Wenn du das wirklich wärest, altes Beest,
Wofür du dich so unverfroren ausgiebst.
EVA
zu Adam.
Ihr könntet mir ein Marktgeschenk verehren,
Dies Schönheitsmittel sticht mir in die Augen ...
ADAM.
Auf deinen Wangen liegt der echte Zauber
Der Wirklichkeit, und diesem Schönheitsmittel
Kommt wohl nichts gleich.

Der Marktschreier fährt unterdessen ab.
EVA.
Ihr seid zu gütig, Herr!
[147]
ADAM.
Beschäme mich nicht. Diamanten will ich
Und Perlen um den schönen Hals dir legen;
Nicht ihn zu schmücken, sondern nur weil diese
An würdigerem Ort nicht strahlen könnten.
EVA.
Dort drüben sah ich viele Juweliere,
Doch paßt so etwas nicht für arme Mädchen.
ADAM.
Nun schaun wir uns die Sachen einmal an!
LUCIFER.
Ist gar nicht nötig, denn zufällig hab' ich
Ganz auserlesnen Schmuck bei mir.

Überreicht Schmucksachen, die Eva mit großer Freude betrachtet und anprobiert.
EVA.
Wie schön,
Wie niedlich, ach, wie wird man mich beneiden!
ADAM.
Doch dieses Herz da will ich nimmer sehn!
EVA.
Ich kann's wegwerfen, wenn es Euch zuwider.

Wirft's weg.
LUCIFER.
Und ich zertrete es.

Tritt darauf.
EVA.
Was ist denn das?
Mir war's als hört ich einen Schmerzensschrei,
Ach, oder bilde ich es mir nur ein?

Unterdessen bringt man einen Verurteilten auf dem Armensünderkarren über die Bühne, Volk drängt sich ihm nach.
AUS DER MENGE.
Beeilen wir uns! Hab ich nicht gesagt,
Wie feig er ist? Noch trotzt er. Auf, ihm nach!
[148]
ADAM.
Was für ein Lärm, welch' unerhört Gedränge?
EVA.
Man henkt da einen. Gut, daß wir gerade
Zur Stelle sind. O gehn wir mit! Es ist
Ein packend Schauspiel, und auch eine schöne
Gelegenheit in meinem Schmuck zu glänzen.
ADAM.
Was hat denn wohl der Elende verbrochen?
EVA.
Ich weiß es nicht.
LUCIFER.
Es ist auch einerlei,
Doch will ich's euch erzählen. Lange Zeit
War er in der Fabrik Lowells beschäftigt;
Das Blei ist aber Gift, und mußte er's
In einem fort einatmen. Also kam er
Auf Wochen ins Spital. Bei seinem Weibchen
Stellt' sich die Not ein. Lowells Sohn war jung
Und herzensgut; bald fanden sie einander,
Und haben alles um sich her vergessen.
ERSTER ARBEITER.
Mut, Kamerad! Du stirbst als Märtyrer,
Dein Name wird geehrt sein unter uns.
LUCIFER.
Der Mann genas und fand sein Weib nicht mehr,
Sein Platz war ausgefüllt, vergeblich sucht'
Er Arbeit. Bis ins Innerste empört,
Wagt' er zu drohen. Lowells Sohn erwidert'
Mit einem Faustschlag. Da geriet ein Messer
Dem Unglücksel'gen in die Hand, – jetzt führt
Man ihn hinaus. – Der alte Lowell wurde.
Wahnsinnig.

Bei den letzten Worten kommt Lowell in melancholischem Wahnsinn.
[149]
LOWELL.
Ach, du lügst, du lügst, mein Geist
Ist nicht gestört! Verstehe ich denn nicht
Was meines Sohnes blut'ge Wunde raunt?
Nimm alle meine reichen Schätze hin,
Und mache, daß ich's nimmer fasse. Lieber
Wollt' ich in Wirklichkeit wahnsinnig sein!
DRITTER ARBEITER.
Halt' dich nur tapfer, bleibst nicht ungerächt!
ERSTER ARBEITER.
Erhebe dich, auf sie fällt nur der Schimpf!

Der Verurteilte mit seinem Gefolge ist vorübergezogen.
ADAM.
O markerschütterndes, grausames Schauspiel!
Was führst du meinen Rechtssinn in Versuchung?
Wer kann entscheiden, wen da ärgre Schuld trifft?
Wär' etwa gar nur die Gesellschaft Schuld? –
Wo diese faul ist – wuchern alle Laster.
LOWELL.
Ja die Gesellschaft. Nimm den Reichtum mir,
Nur lass' mich jener Wunde Mär' vergessen.
EVA.
Kommt, kommt, denn wir bekommen keinen Platz!
ADAM.
Wie dank ich dir, o gütiges Geschick,
Daß du mich keinen Richter werden ließest!
Am grünen Tische, im bequemen Armstuhl
Ist's leicht Gesetze schreiben, – rasch verurteilt
Die Oberflächlichkeit; doch ach, wie schwer
Kommt's dem an, der die Herzen untersucht,
Deren geheimste Falten würdigend!
LUCIFER.
Bei solcher Ansicht käme kein Prozeß
Jemals zu Ende. Niemand thut das Böse
[150] Nur weil es böse ist. Der Teufel selbst
Beruft sich stets auf irgend einen Rechtsgrund,
Und jeder hält den seinigen für stärker.
Der Rechtsgelehrte haut kurzweg den heillos
Verworrnen Knoten durch, den zu entwirren
Zehntausend Philanthropen nicht vermöchten.

Unterdessen sind sie beim Tower angelangt, wo sich in einer Nische ein Heiligenbild befindet.
EVA.
Laßt uns, mein Freund, ein wenig hier verweilen,
Will meinen Strauß zum Heil'genbild da stecken.
LUCIFER
flüsternd.
Gieb's ja nicht zu, sonst ist es aus mit uns!
ADAM.
Die reinste Unschuld, – ich verwehr's ihr nicht.
EVA.
Von früh'ster Kindheit an bin ich gewohnt,
So oft mein Weg mich hier vorüber führt,
Des Bildes zu gedenken, und auch jetzt
Thut's mir so wohl. Im Nu ist es geschehn,
Und flink ausschreitend bringen leicht wir ein
Was wir versäumt.

Steckt den Blumenstrauß an das Bild, er verdorrt aber plötzlich, und von ihrem Halse, von ihren Armen kollern die Schmucksachen in Eidechsen verwandelt herab.

Mein Gott, was ist denn das?
LUCIFER.
Ich warnte dich vergeblich.
EVA.
Hilfe, Hilfe!
ADAM.
Nur ruhig Liebste, wir erregen Aufsehn! –
Du sollst noch zehnmal reichern Schmuck bekommen.
[151]
EVA.
Weg, weg von mir! fort! Hilfe! ach Erbarmen!
Ein ehrlich Mädchen ward von bösen Gauklern
Und einer alten Hexe da beschimpft!

Es bildet sich ein Volksauflauf, die Zigeunerin kommt mit Wachleuten.
ZIGEUNERIN.
Man gab mir falsches Geld, sie müssen hier sein,
Quecksilber war's, zerschmolz mir in der Hand!
LUCIFER.
Es lag vielleicht an deiner Hand, und nicht
Am Gelde. Adam, machen wir uns auf,
Hier zu verweilen ist nicht ganz geheuer!

Verschwinden in den Tower, und während unten der Volksauflauf und die Verwirrung zunimmt, erscheinen sie oben auf der Mauerzinne wieder.
ADAM.
Ich hab' mich abermals getäuscht. Ich wähnte,
Es wär' genug die nächtlichen Gespenster
Der finsteren Vergangenheit zu bannen,
Und für gesunden Wettstreit Raum zu schaffen.
Warf eine wicht'ge Schraube aus dem Uhrwerk,
Welches die Pietät zusammenhielt,
Versäumte aber, sie durch eine andre
Befestigung sorgfältig zu ersetzen.
Was ist das für ein Wettstreit, wo der eine
Bis an die Zähne kriegerisch gewappnet
Dem nackt Entblößten gegenübersteht?
Welch' eine Unabhängigkeit, wo Scharen
Elend verhungern müssen, wenn sie sich
Ins Joch des einzelnen nicht beugen wollen?
Dies ist ein Kampf von Hunden um den Knochen!
Ich will statt dessen eine Volksgemeinschaft,
Die schützt, nicht straft, ermuntert, und nicht abschreckt,
Die mit vereinter Kraft zusammenwirkt,
Wie sie der Wissenschaft im Geiste vorschwebt,
Und deren Ordnung die Vernunft bewacht.
[152] Sie kommt gewiß, ich fühle das, ich weiß es ....
O führ' mich, Lucifer, in diese Welt!
LUCIFER.
Du eitler Mensch, weil dein beschränktes Auge
Nur einen wüsten, wirren Haufen sieht,
Glaubst schon, es gäbe kein Zusammenwirken,
Und keine Ordnung in des Lebens Werkstatt?
So thue einen Blick mit Geisteraugen,
Und schau das Werk, das allesamt vollbringen;
Doch nur für uns, nicht für ihr winz'ges Ich.

Es wird finster. Der ganze Markt bildet sich zu einer Gruppe, die an einem in der Mitte des Schauplatzes gähnenden Grabe gräbt, und dasselbe umtanzt, bis nacheinander alle hineinspringen, teils stumm, teils wie sie nacheinander gesprochen.
CHOR.
Drauf los, der Spaten klinge hell!
Kein Aufschub, heut' muß es geschehen,
Obschon des Werks Vollendung noch
Jahrtausende nicht zu ersehen.
Ja Wieg' und Sarg ist einerlei,
Der Anfang muß vom Ende borgen;
Stets hungrig und doch immer satt,
Was heute fällt, ersteht schon morgen!

Das Sterbeglöcklein ertönt.

Horch, horch, die Abendglocke ruft!
Gethan ist's, ziehen wir von hinnen;
Es mag, wem neues Sein beschert,
Das große Werk von vorn' beginnen.
DER MARIONETTENMANN.
Das Stück ist aus, von meinen Possen
Hab' nur ich selber nichts genossen.
DER WIRT.
Habt euren Wein getrunken nun,
Wünsch', werte Gäste, wohl zu ruhn!
[153]
DAS KLEINE MÄDCHEN.
Wer Veilchen will, den Weg nicht scheue,
Auf meinem Grabe blühen neue.
ZIGEUNERIN.
Sein Schicksal wollte jeder schauen,
Nun schließt er's Auge voller Grauen.
LOWELL.
Kein Glück barg meine Geldertruhe,
Jetzt finde ich umsonst die Ruhe.
ARBEITER.
Um sind die schweren Wochentage,
Erhole mich von deren Plage.
STUDENT.
Ich träumt' so süß, – man stört' mich auf,
Nehmt Träume wieder euren Lauf!
SOLDAT.
Meint' Wunder, wie ich wacker wär',
Und stolpre in die Grube leer.
LUSTDIRNE.
Der Rausch verflog, die Schminke ging herab.
Hier ist's so kalt, wird's besser sein im Grab?
DER VERURTEILTE.
Lass', Fesseln, euch zurück, wohin ich zieh'
Gilt wohl ein anderes Gesetz als hie.
DER MARKTSCHREIER.
Mit eitlem Wissen machten wir uns breit,
Nun stehn wir staunend vor der Wirklichkeit.
EVA.
Was gähnst du, finstre Tiefe, mir zu Füßen?
Durch deine Nacht, meinst, giebt's nicht Weg noch Steg;
[154] Den Erd' geboren, nur der Staub verfällt dir,
Ich schreite glorreich über dich hinweg.
Der Geist der Liebe, Poesie und Jugend
Führt mich in meine ew'ge Heimat ein,
Auf diese Welt bringt nur mein Lächeln Freude,
Fällt's auf ein Wangenpaar wie Sonnenschein.

Schwebt, indem sie ihren Schleier und Mantel in das Grab fallen läßt, verklärt empor.
LUCIFER.
Nun Adam, kennst du sie?
ADAM.
Ach! Eva, Eva!
[155]

12. Scene

Zwölfte Scene.

Der Hof eines in U-form gebauten Phalansters. Das Erdgeschoß der beiden Flügel bildet eine offene Säulenhalle. In der Halle rechts sind zwischen in vollem Gang befindlichen Maschinen Arbeitsleute beschäftigt. In der Halle links hantiert in einem Museum, voll verschiedenster naturwissenschaftlicher Gegenstände, mechanischer und chemischer Apparate und anderer Raritäten, ein Gelehrter. Alle zum Phalanster Gehörigen sind gleich gekleidet. Adam und Lucifer entsteigen mitten im Hofe der Erde. Tag.

ADAM.
Welch' Land, welch' Volk, wohin wir da gerieten?
LUCIFER.
Land, Volk, das sind veraltete Begriffe.
War der Begriff vom Vaterland nicht kleinlich?
Nur blindes Vorurteil konnt ihn erzeugen,
Engherzigkeit, Wetteifer nur erhalten.
Jetzt ist die ganze Erde unsre Heimat,
Genosse zum Gemeinzweck jedermann,
Und über weiser Ordnung lindes Walten
Wacht hochgeschätzt die hehre Wissenschaft.
ADAM.
So hat sich meiner Seele Ideal
Denn doch verwirklicht. Ei wie ist das prächtig!
So habe ich es immer mir gewünscht.
Um eines thut's mir Leid: ich misse schmerzlich
Des Vaterlandes herrliche Idee.
Sie hätt' vielleicht in dieser neuen Ordnung
Doch auch bestehen können. Denn der Mensch
Braucht eine Schranke, scheut Unendlichkeit,
[156] Verliert an innerem Gehalt, wenn er
Sich in die Weite schrankenlos verliert;
Hängt an Vergangenheit und Zukunftsträumen.
Ich fürchte, daß er für die weite Welt
Sich nimmer so begeistern wird, wie er
Sich für der Eltern Grab begeistern konnte.
Wer für Blutbande gern sein Leben ließe,
Hat für die Freundschaft höchstens eine Thräne.
LUCIFER.
Verwirfst dein Ideal schon, wie ich merke,
Bevor du es leibhaft verwirklicht sahst.
ADAM.
O glaube das nicht! Doch ich bin begierig
Von der Idee zu hören, welche nun
Die weite Welt vereint, die jetzt die alte
Begeisterung, dies ew'ge, heil'ge Feuer
Des warmen Menschenherzens, das bislang
Durch hundert Nichtigkeiten ward geschürt,
Und nur zu hohlen Kämpfen ausgenützt,
Endlich zu edlerm, wahren Ziele lenkt.
Doch sage mir, wo sind wir eigentlich,
Was ist dies für ein Ort? dann führe mich,
Daß meine Seele in dem Glücke schwelge,
Welches dem Menschen nach so vielen Kämpfen
Als wohlverdienter Lohn zu teil geworden.
LUCIFER.
Dies ist, gleich vielen andern, ein Phalanster,
Des zeitgemäßen Menschen neues Heim.
ADAM.
So gehn wir denn!
LUCIFER.
Halt, halt, nur nicht so eilig!
Wir müssen uns vorher der alten Haut
Entledigen. Wenn wir als Adam hier
Und Lucifer erschienen, würde diese
Gelehrte Welt an uns gewiß nicht glauben,
[157] Und uns vernichten, oder gar am Ende
Zur Analyse in Retorten thun.
ADAM.
Ei, welchen Unsinn schwätzest du da wieder!
LUCIFER.
Ist schon nicht anders in der Geisterwelt.
ADAM.
So thue wie du willst, doch schnell, nur schnell!

Lucifer verwandelt beide den im Phalanster Befindlichen ähnlich.
LUCIFER.
Nimm diesen Kittel. Fort mit deinen Locken!
Nun sind wir fertig.
ADAM.
Sprechen beim Gelehrten
Zuerst wir vor.
LUCIFER.
Gelehrter, sei gegrüßt!
DER GELEHRTE.
Ach, stört mich nicht bei meinem großen Werke,
Hab' keine Zeit zu plaudern!
LUCIFER.
Thut uns leid,
Sehr leid! Wir sind Gelehrten-Kandidaten,
Und kommen aus dem tausendsten Phalanster,
Uns hat dein großer Ruf hiehergeführt.
GELEHRTER.
Ein lobenswerter Eifer, muß bekennen.
Doch meine Arbeit kann jetzt unterbleiben;
Wenn nur das Feuer unterm Scheidekolben
Nicht ausgeht, fügt der Stoff sich mir nach Wunsch.
LUCIFER.
Ach, habe ich mich nicht geirrt, so blieb auch
In dir noch, dessen Witz Natur und Menschen
[158] Durchs Destillirrohr trieb, als Bodensatz
Die große Eitelkeit!
GELEHRTER.
Nun können wir
Uns sorglos unterhalten. Aber sagt mir,
Zu welchem Fach gehört ihr eigentlich?
ADAM.
Wir knüpften an kein Fach die Wißbegier,
Begehren volle Übersicht des Ganzen.
GELEHRTER.
Da geht ihr fehl! Im Kleinen steckt das Große.
Die Gegenstände sind gar mannigfaltig,
Und unser Dasein nur sehr kurz bemessen.
ADAM.
Sehr wahr! Ich weiß wohl, daß auch solche nötig,
Die Sand zutragen, die den Stein behaun;
Es wölbt sich keine Kuppel ohne sie.
Jedoch sie tappen alle nur im Dunkeln
Umher, und keiner weiß, wozu er hilft.
Der Meister selbst nur überblickt das Ganze;
Und brächt' er auch nicht einen Backstein fertig,
Erschafft er doch das Werk gleich einem Gott.
Und solch ein Meister ist auch groß im Wissen.
LUCIFER.
Und deshalb kommen wir zu dir, o Weiser!
GELEHRTER.
Ihr thatet wohl daran, kann 's würdigen.
Des Wissens Zweige sind vielfält'ge Züge
Ein und desselben großen Organismus,
Sie fesseln nur vereint.
LUCIFER.
Wie Frauenschönheit.
GELEHRTER.
Bei alledem ist doch nur die Chemie ....
[159]
LUCIFER.
Des Lebens Sitz, der Mittelpunkt.
GELEHRTER.
Getroffen!
LUCIFER.
Das Nämliche hat zwar von der Mathesis
Ein Mathematiker schon längst gesagt.
GELEHRTER.
Es hält, aus Eitelkeit, in seiner Sphäre
Sich selbst ein jeder für den Mittelpunkt.
LUCIFER.
Hast die Chemie zum Lieblingsstudium
Ganz gut gewählt.
GELEHRTER.
O dessen bin ich sicher!
Sehn wir uns aber das Museum an,
Hat in der heut'gen Welt nicht seinesgleichen.
Der Vorzeit jetzt schon ausgestorbne Tierwelt
Findest du da in echten Exemplaren
Wohl ausgestopft vertreten. Ehmals hausten
Zu Tausenden auf Erden diese Tiere,
Als unsre Väter selbst noch wild gewesen,
Die Herrschaft auf der Welt mit ihnen teilend.
's geht über sie manch wunderliche Sage,
Zum Beispiel über dieses Tier, es habe
Dem Menschen als Lokomotiv gedient.
ADAM.
Das ist ein Roß, doch sehr entartet schon,
Von ganz verkommner Rasse, sag' ich dir.
Hei, Alborak war ganz ein andres Tier!
GELEHRTER.
Von diesem hier erzählt man, daß der Mensch sich's
Als Freund hielt, ohne irgend eine Leistung,
Und daß es seine Sprache wohl verstanden,
Ja selbst den ungesprochenen Gedanken
[160] Ihm treu erkenntlich aus den Augen las.
Ja, was noch mehr, man sagt, daß es sogar
Vom Menschen sich das Laster angeeignet,
Den garstigen Begriff des Eigentums,
Als dessen Hüter oft sein Leben lassend.
Erzähle dies nur wie's geschrieben steht,
Nicht als ob ich's so ohne weiters glaubte.
Viel tollen Wahnsinn, eitle Schwärmerei
Gab's in der bunten Vorzeit, unter andern
Verblieb auf uns auch dies einfält'ge Märchen.
ADAM.
Das ist der Hund. Was du von ihm erzählst,
Ist alles wahr.
LUCIFER.
Adam, nimm dich in acht,
Du wirst dich noch verraten!
GELEHRTER.
Dieses Hornvieh
War einst der Knecht des armen Bauernvolkes.
ADAM.
So wie der arme Mann des Reichen Zugstier.
GELEHRTER.
Das ist der Wüstenkönig.
ADAM.
Ja, der Löwe. –
Da ist der Tiger, hier das flinke Reh.
Was lebt denn für Getier dann noch auf Erden?
GELEHRTER.
Wie kannst du fragen! Ist's bei euch denn anders?
Es lebt, was nützlich ist, und was bisher
Die Wissenschaft nicht recht ersetzen konnte:
Das Schwein, das Schaf. Jedoch bei weitem nicht
So unvollkommen, wie es die Natur,
Die alte Stümperin hervorgebracht;
Denn jenes ist nichts als lebend'ges Fett,
[161] Und dieses eine Masse Fleisch und Wolle,
Die nur, wie eines Chemikers Retorte,
Dem klug vorausbestimmten Zwecke dient.
Doch, wie ich sehe, kennst du alles das;
Drum gehn wir weiter. Hier ist unsre Sammlung
Von Mineralien. Da sieh einmal,
Dies riesige Stück Kohle. Ganze Berge
Gab es von diesem Stoff, die Menschen konnten
Schon fertig aus der Erde Schoß sich holen,
Was jetzt die Wissenschaft erst aus der Luft
Mit unsäglicher Mühe läutern muß.
Dieses Metall da hieß bei ihnen Eisen.
Es war, so lang's nicht auf die Neige ging,
Unnötig nach dem Alumin zu schürfen.
Das hier ist Gold, ein ganz merkwürd'ges Erz,
Doch äußerst unnütz; denn als noch der Mensch
In seinem blinden Glauben über sich
Stehende höh're Wesen angebetet,
Ja solche, die das Schicksal selbst beherrschten,
Hielt er das Gold für ebenso allmächtig,
Und opferte auf dessen Glücksaltären
Wohlleben, Recht und alles was ihm heilig,
Um nur in den Besitz von einem Stückchen
Des gleißenden Metalles zu gelangen,
Wofür er alles leicht in Tausch erhielt;
Unglaublich, doch erwiesen, Brot sogar.
ADAM.
Zeig' etwas andres mir, das kenn' ich alles.
GELEHRTER.
Fremdling, bist wahrlich sehr gelehrt! Wohlan,
Gehn wir zur Pflanzenwelt der Urzeit über.
Hier was Besonderes: die letzte Rose,
Die auf der Welt geblüht. Ein nutzlos Blümlein,
Das mit noch hunderttausend andren Schwestern,
Der schwanken Ähre oft den besten Boden
Benahm; ein Lieblingsspielzeug großer Kinder.
Uns will es, in der That, ganz seltsam dünken,
Wie man sich einst um solche Spielereien
[162] Ereifern konnte. Selbst der Geist trieb Blüten:
Die schwärmerischen Phantasiegebilde
Des frommen Glaubens und der Poesie,
Und hat derart in trügerischen Träumen
Sich wiegend seine beste Kraft vergeudet,
So, daß sein Lebenszweck brach liegen blieb.
Als Rarität bewahren wir allda
Zwei solche Werke. Eins ist ein Gedicht.
Der kindische Verfasser dieser Dichtung
Hieß damals, als das Individuum noch
In frevelhaftem Dünkel Geltung heischte,
Homer. Er führt uns eine ganz phantast'sche
Welt vor darinnen, die er Hades nennt.
Längst widerlegten wir schon jede Zeile.
Das andre Werk ist der Agricola
Des Tacitus, ein lächerliches, aber
Auch recht bedauernswertes Sammelbild
Von den Begriffen der Barbarenwelt.
ADAM.
Also verblieben diese wen'gen Blätter
Als Testament aus jenen großen Tagen
Der Nachwelt doch! Und können sie die kläglich
Entnervten Enkel der gewalt'gen Ahnen
Zu keiner kühnen Heldenthat entflammen,
Die eure künstlich aufgebaute Welt
In Trümmer schlüge?
GELEHRTER.
Was du da bemerkst
Ist richtig, und wir sahen selbst es ein.
Das Gift, das sie enthalten, ist gefährlich;
Darum darf sie nur lesen, wer bereits
Die Sechzig überschritten und sich gänzlich
Der Wissenschaft geweiht.
ADAM.
Die Feenlieder
Der Ammen aber, pflanzen diese niemals
Ahnungen in das zarte Kinderherz?
[163]
GELEHRTER.
Gewiß, deshalb erzählen unsre Ammen
Den Kindern von Äquationen nur,
Und von Geometrie.
ADAM
beiseite.
Ach Mörder ihr,
Scheut ihr euch nicht, das Herz der einz'gen Fülle
Und schönsten Zeit des Lebens zu berauben!
GELEHRTER.
Nun, gehn wir weiter! Welche sonderbar
Geformten Instrumente und Geräte!
Das hier ist ein Kanonenrohr; darauf
Kaum leserlich die rätselhafte Inschrift:
Ultima ratio regum. Wie es
Gebraucht ward, wer kann's wissen? Siehe da
Ein Schwert, ausschließlich nur zu Menschenmord;
Und keine Sünde war's damit zu töten.
Dies Bild ist ganz mit freier Hand gemacht.
Es nahm vielleicht ein halbes Menschenleben
In Anspruch, und der Gegenstand desselben
Ist eine windige Allegorie.
Der Sonnenstrahl verrichtet heute solche
Arbeit für uns in einigen Sekunden,
Und während jener mit geflissentlich
Erdachtem Truge idealisierte,
Dient dieser unsren Zwecken ganz getreu.
ADAM
beiseite.
Die Kunst, der Geist kam aber wohl abhanden ....
GELEHRTER.
Die hunderterlei Gegenstände da,
Wie schnörkelig, wie kindisch alle sind!
Die Blümlein auf dem Kelche, und am Stuhl
Die abenteuerlichen Arabesken
Sind alles Arbeit fleiß'ger Menschenhände
Mit leichtem Sinn verschwendet. Ist ein Trunk
Erfrischender aus jenem Becher drum?
Sitzt man auf diesem Stuhle deshalb weicher?
[164] Jetzt thun die Arbeit unsere Maschinen
In zweckmäßigster und einfachster Form;
Darin liegt aber eben die Gewähr
Für des Erzeugnisses Vollkommenheit,
Daß ein Arbeiter, der heut' Schrauben macht,
Sein Lebtag unabänderlich dabeibleibt.
ADAM.
Drum fehlt auch alles Leben, giebt's in keinem
Der Werke Individualität,
Die den Lehrmeister irgend überträfe.
Wo sollen Geist und Kraft wohl Spielraum finden,
Um ihren göttlichen Ursprung zu zeigen,
Wenn Kampflust sie verzehrt, und sie sich umschaun
In dieser regelrechten Welt voll Ordnung?
Sie finden nicht einmal die wilde Lust
Aufregender Gefahr, kein einziges
Blutdürstiges, mordgier'ges Raubtier mehr.
So täuscht' ich mich auch in der Wissenschaft!
Ich finde eine fade Kinderschule
Anstatt des Heils, das ich von ihr erwartet.
GELEHRTER.
Ist nicht die Brüderlichkeit eingeführt?
Wo giebt's ein Menschenkind, das Mangel litte?
Derlei Ideengang verdiente wirklich
Bestraft zu werden.
ADAM.
Sag' mir also, welches
Ist denn wohl die Idee, die Einheit haucht
In solches Volk, die als gemeinsam' Ziel
Begeistern kann?
GELEHRTER.
Die herrschende Idee
Ist: wie das Leben fristen? Als auf Erden
Der Mensch erschien, da war die junge Erde
Noch eine wohlgefüllte Speisekammer;
Er hatte nur die Hände auszustrecken,
Um fertig zu erlangen, was er brauchte.
[165] So praßte er gleich einer Käsemade,
Ganz unbekümmert fort, und hatte Muße,
Von solcher Wollust Wonnerausch erfüllt,
In abenteuerlichen Hypothesen
Pikanten Reiz und Poesie zu suchen.
Doch wir, beim letzten Bissen angelangt,
Wir müssen geizen, denn wir sehen ein,
Daß unser Käse rasch zur Neige geht,
Und wenn er alle ist, wir insgesamt
Elend verhungern. In viertausend Jahren
Kühlt schon die Sonne aus, die Erde ist
Nicht mehr imstande Pflanzen zu erzeugen;
Viertausend Jahre also sind noch unser,
Um für die Sonnenglut Ersatz zu finden.
Bei unserm Wissen, mein' ich, langt die Zeit.
Zur Heizung könnte Wasser dienen, dieser
Stark oxydierte unter allen Stoffen
Feuerhältigste, flammenreichste Stoff.
Und vom Geheimnis unsres Organismus
Stehn der Enthüllung heute wir schon nah.
Grad' recht, daß wir darauf zu sprechen kommen,
Beinahe hätt ich die Retorte da
Total vergessen; denn in dieser Sache
Bemühe ich mich derzeit eben auch.
LUCIFER.
Der Mensch muß wohl sehr altern, wenn er schon,
Um zu organisieren zur Retorte
Und Abziehblase seine Zuflucht nimmt.
Wenn aber auch dein Werk gelingen sollte,
Welch' Unding wird das sein? Wie ein Gedanke,
Dem Worte fehlen, heißes Liebesweh,
Das ohne Gegenstand, ein scheußlich Wesen,
Verbindungslos, von der Natur verleugnet,
Mit nichts verwandt, mit nichts in Gegensatz,
Wenn keine Individualität
Ihm Schranken setzt. Und woher sollt' es auch
Den eigenartigen Charakter nehmen,
Von äußerlichem Einfluß abgeschlossen,
[166] Vor Leid bewahrt, in einem engen Glase
Zu trübem Sein erwacht?
GELEHRTER.
Sieh' her, wie's siedet,
Wie's flimmt und flammt! Schau, hie und da bewegen
Sich wirklich schon verschwommene Gestalten.
In diesem warmen wohlverkorkten Glase
Sind Wahlverwandtschaft so wie Gegenwirkung
Mit vielem Fleiß ganz richtig kombiniert.
Und endlich wird der Stoff gezwungen sein
Sich, wie's berechnet, mir nach Wunsch zu fügen.
LUCIFER.
Gelehrter, ich bewundre dich! Nur eins
Ist mir nicht klar, ob du imstande wärst
Zu machen, daß Verwandtes nicht einander
Anziehe, und nicht meide Gegensatz?
GELEHRTER.
Einfält'ge Rede! Diese Eigenschaft
Ist doch ein ewiges Gesetz der Stoffe.
LUCIFER.
Ja, ich verstehe, aber sage mir,
Worauf es wohl beruht?
GELEHRTER.
Worauf's beruht?
Es ist Gesetz, weil's so ist und nicht anders,
Erfahrung lehrt's und liefert den Beweis.
LUCIFER.
Bist also nur der Heizer der Natur,
Und's Übrige verrichtet sie allein?
GELEHRTER.
Doch ich setz' ihr mit meinem Glase Schranken,
Und zieh' sie aus dem rätselhaften Dunkel.
LUCIFER.
Ich sehe immer noch kein Lebenszeichen.
[167]
GELEHRTER.
Es bleibt gewiß nicht aus. Der ich so lange
Der Organismen unnahbar Geheimnis
Belauscht, das Leben hundertmal zergliedert ....
LUCIFER.
Hast stets nur einen Leichnam aufgefaßt.
Die Wissenschaft hinkt immer nur der jungen
Erfahrung nach, und ganz wie eines Königs
Besoldeter Poet, ist sie bereit
Wohl jede Großthat gleich zu kommentieren,
Doch ist sie nicht im mindesten berufen –
Werdendes als Prophet vorauszukünden.
GELEHRTER.
Was spöttelt ihr? Seht ihr nicht, eines einz'gen
Funkens bedarf's noch, und es kommt zu Leben.
ADAM.
Den Funken aber, woher nimmst du den?
GELEHRTER.
Ein Schritt ist's nur mehr, der noch übrig ist.
ADAM.
Wer aber diesen einen Schritt nicht that,
Hat nichts gethan, weiß gar nichts. Alles andre
War nur im Vorhof' draußen; dieser Schritt
Gerade führt ins Allerheiligste.
Wird's jemals einen geben, der ihn thut?

Unterdessen beginnt der über dem Destillierkolben schwebende Rauch sich zu verdichten und es donnert.
DIE STIMME DES ERDENGEISTES
aus dem Rauche.
Niemals! Denn dieses Kolbens Raum hier ist
Mir viel zu eng und viel zu weit. Nun, Adam,
Du kennst mich ja? Nicht wahr, man hat bisher
Nicht die geringste Ahnung noch von mir?
ADAM.
Hast du vernommen diese Geisterstimme?
[168] O schau nur, schau du eitler schwacher Mensch,
Wie wolltst du den bezwingen, der dort schwebt?!
GELEHRTER.
Anfall von Wahnsinn, ach, du machst mir bange!

Der Destillierkolben zerspringt, der Geist verschwindet.

Zerbrochen ist das Glas, nun kann ich wieder
Das ungeheure Werk von vorn beginnen.
So nah' am Ziele, bringt ein Sandkorn noch,
Der dumme blinde Zufall uns zu Falle.
LUCIFER.
Einst nannte man's ein unerbittlich Schicksal,
Und unter seiner Wucht zusammenbrechen
War sicherlich weit weniger beschämend,
Als sich nun vor dem dummen blinden Zufall
Zu beugen. Was bedeutet dies Geläute?

Man läutet.
GELEHRTER.
Man stellt die Arbeit ein, es ist bereits
Zeit zum Spaziergang. Alle kommen schon
Aus den Fabriken, von den Feldern heim.
Nun wird bestraft, wer was verschuldet hat,
Jetzt werden Fraun und Kinder eingeteilt.
Kommt, gehn wir hin, da hab' ich auch zu thun.

In langen Reihen kommen Männer, in anderer wieder Frauen, einige mit Kindern, unter ihnen auch Eva mit einem Kinde. Sie bilden einen Kreis im Hofe. Ein Greis tritt vor sie hin. Adam, Lucifer und der Gelehrte stehen im Vordergrunde beim Museum.
DER GREIS.
Numero dreißig!
LUTHER
aus der Reihe tretend.
Hier.
DER GREIS.
Du hast schon wieder
Den Kessel über's Maß geheizt. Es scheint
Wahrhaftig eine Leidenschaft von dir,
Unser Phalanster in Gefahr zu bringen.
[169]
LUTHER.
Wer könnte der Versuchung widerstehn,
Wenn einen das unbänd'ge Element
Wutschnaubend, zischend, prasselnd, funkensprühend
Mit tausend Flammenzungen rings umtobt,
Sich reckt und streckt, und wild sein Opfer fordert,
Furchtlos hinanzutreten, und zu schüren,
Wohl wissend, daß man es bemeistern kann.
Der kennt des Feuers mag'schen Zauber nicht,
Dem 's unter Topf und Tiegel nur bekannt.
DER GREIS.
Sinnlos' Gewäsch, heut' Mittag wirst du fasten.
LUTHER
zurücktretend.
Doch morgen schür' von neuem ich die Flamme.
ADAM.
Was sehe ich? Der Mann ist mir bekannt.
Das war ja Luther.
DER GREIS.
Siebenhundertneun!
CASSIUS
tritt hervor.
Hier.
DER GREIS.
Dich ermahn' ich schon zum drittenmal,
Weil ohne Grund du immer Händel suchst.
CASSIUS
zurücktretend.
Was? Ohne Grund? Weil ich mich nicht beklage?
Ein Feigling, wer nach fremder Hilfe heult,
Solang sein Arm gesund ist. Oder war
Mein Gegner etwa schwächer, warum hat er
Sich nicht verteidigt?
DER GREIS.
Keine Widerrede!
Nicht einmal die Gestaltung deines Schädels
Entschuldigt dich, denn die ist edel, die
[170] Ist tadellos. Dein Blut ist nur zu hitzig!
Man wird dich heilen bis du zahm geworden.
ADAM.
Ach Cassius, wüßtest du wer ich bin!
Einst focht ich bei Philippi dir zur Seite.
So weit kann also sich die schlechte Ordnung,
Die Theorie verirren, daß solch' edler
Hochsinn'ger Geist ihr nur im Wege steht,
Und nicht einmal erkannt wird?
DER GREIS.
Hunderteins!
PLATO
hervortretend.
Ich höre.
DER GREIS.
Warst in deine Träumereien
Schon wieder so versunken, daß, wie öfters,
Das deiner Obhut anvertraute Vieh
Ins Kornfeld ging. Um dich ein andermal
Wach zu erhalten, sollst auf Erbsen knien.
PLATO
zurücktretend.
Ach, selbst auf Erbsen knieend träum' ich schön!
ADAM.
Welch' Rolle, Plato, ist dir zugefallen
In der Gesellschaft, die du dir ersehnt!
DER GREIS.
Numero Zweiundsiebenzig!
MICHEL-ANGELO hervortretend.
Da bin ich.
DER GREIS.
Hast deine Werkstatt gegen alle Ordnung
Verlassen.
MICHEL-ANGELO.
Ja, weil man mich immer nur
Stuhlbeine machen hieß, selbst diese stets
[171] In ungeschlachtster, elendester Form.
Wie bat ich oft, man möge mir gestatten
Dran eine kleine Änd'rung vorzunehmen,
Drauf einige Verzierung anzubringen!
Die Bitte ward mir rundweg abgeschlagen.
Ich wünschte zur Veränderung die Lehne
Des Stuhles einmal. Alles, ach, umsonst!
War nah' dran, den Verstand schon zu verlieren,
Da ließ ich Qual und Werkstatt hinter mir.

Tritt zurück.
DER GREIS.
Für diese Störung gehst du auf dein Zimmer,
Und wirst den schönen Tag heut' nicht genießen.
ADAM.
Michel-Angelo, welche Hölle muß es
Dem Gott' in deiner Brust sein, daß er nichts
Erschaffen kann! Wie viel Bekannte rings,
Und wie viel Geist, wie viel urwüchs'ge Kraft!
Der hat an meiner Seite einst gekämpft,
Und jener den Märtyrertod erlitten;
Dem da war wohl das Erdenrund zu enge.
Und wie einförmig, ach, zu welchen Zwergen
Hat sie der Staat nun alle kondensiert!
Komm, Lucifer, o gehn wir! Meine Seele
Kann diesen Anblick länger nicht ertragen.
DER GREIS.
Zwei Kinder haben heut' die Zeit erfüllt,
Wo sie der Mutterpflege noch bedurften,
Das allgemeine Pädagogtum
Erwartet sie nun. Führt sie vor, geschwind!

Eva und noch ein Weib treten mit ihren Kindern hervor.
ADAM.
Welch' strahlende Erscheinung! also hat
Auch diese trockene Schablonenwelt
Noch ihre Poesie?
LUCIFER.
Nun, gehn wir nicht?
[172]
ADAM.
Ach nein, hier werden wir erst Ruhe finden!
DER GREIS.
Gelehrter! Untersuche mir vor allem
Die Schädelbildung dieser Kinder.

Der Gelehrte untersucht die Kinder.
EVA.
O!
Was steht mir da bevor?
ADAM.
Horch, diese Stimme!
LUCIFER.
Was strebst nach diesem Alltagsweibe du,
Der einer Semiramis Kuß gekostet?
ADAM.
Noch kannt' ich damals diese nicht.
LUCIFER.
Ach so!
Das ist die alte Leier der Verliebten.
Ein jeder glaubt, er hätte ganz allein
Die Leidenschaft erfunden, vor ihm konnte
Gar niemand lieben. Und das geht so fort
In diesem Ton schon viele Tausend Jahre.
GELEHRTER.
Das Kind da soll zum Arzt erzogen werden.
Der wird ein Hirte.
DER GREIS.
Also fort mit ihnen!

Man will die Kinder fortführen, Eva widersetzt sich.
EVA.
Daß du 's nicht anrührst! dieses Kind ist mein;
Wer will es von der Mutterbrust mir reißen?
[173]
DER GREIS.
Nehmt's weg, was zaudert ihr damit noch lange?
EVA.
Mein Kind, mein Kind! mit meinem Herzblut hab' ich
Dich ja genährt. Wo giebt es eine Macht,
Die dieses heil'ge Band zerreißen könnte?
Auf ewig soll ich also dir entsagen,
Damit du in der Menge dich verlierest,
Und dich mein forschend Auge unter hundert
Einander ähnlichen Phalanstertypen
In ruheloser Angst vergeblich suche?
ADAM.
Ach Leute, wenn euch irgend etwas heilig,
Laßt dieser armen Mutter doch ihr Kind!
EVA.
Nicht wahr, nicht wahr, du Einziger, du Bester?
DER GREIS.
Du spielst da, Fremdling, ein verwegnes Spiel!
Wenn wir der einstigen Familie
Besiegtes Vorurteil aufleben lassen,
So stürzen alle die Errungenschaften
Der heut'gen Wissenschaft sofort zusammen.
EVA.
Was gilt mir auch die frost'ge Wissenschaft!
Sie falle, wo die Stimme der Natur spricht.
DER GREIS.
Nun, wird es bald?
ADAM.
Ha, daß sie keiner anrührt!
Dort ist ein Schwert, ich will euch lehren, wie man's
Gebraucht.
LUCIFER.
Bewegtes Traumbild stehe still!

Er legt die Hand auf Adams Schulter, dieser erstarrt.

Fühl' meiner Hand verhängnisvolle Macht.
[174]
EVA.
Mein Kind, mein Kind!

Sinkt zusammen, ihr Kind wird fortgetragen.
DER GREIS.
Die beiden Frauen da
Sind paarlos, wer zum Paare sie begehrt,
Der melde sich.
ADAM.
Auf diese mach' ich Anspruch.
DER GREIS.
Gelehrter, deine Meinung?
GELEHRTER.
Schwärmerisch
Der Mann, die Frau nervös, giebt ungesunde
Nachkommenschaft. Das Paar taugt nicht zusammen.
ADAM.
Doch stehe ich nicht ab, wenn sie mich will.
EVA.
Bin dein, großmüt'ger Mann!
ADAM.
Ich liebe dich,
O Weib, mit meines Herzens ganzer Glut!
EVA.
Auch ich, das fühl ich, will dich ewig lieben!
GELEHRTER.
Das ist ja Wahnsinn! Seltsam, in der That,
Vergangner Zeiten Geist erscheinen sehen
In unsrer aufgeklärten Welt. Wie kommt das?
ADAM.
Ein später Lichtstrahl aus dem Paradiese.
DER GREIS.
Bedauerlich!
[175]
ADAM.
Bedauert uns nicht. Dieser
Wahnsinn ist unser; wir beneiden euch
Wahrhaftig nicht um eure Nüchternheit.
Was auf der Welt je groß und edel war,
Das ist ja alles solcher Wahnsinn, dem
Bedächt'ge Sorge keine Schranken setzt.
Ist eine Geistersprache, die zu uns
Aus edlern Kreisen süß herüberhallt,
Ein sicherer Beweis, daß unsre Seele
Denselben wahlverwandt; und wir verachten
Den niedrigen gemeinen Staub der Erde,
Uns kühn den Weg in höh're Sphären suchend.

Hält Eva umschlungen.
DER GREIS.
Was hören wir den Unsinn weiter an?
Ins Krankenhaus mit ihnen.
LUCIFER.
Da, Kam'rad,
Thut rasch Hilfe Not. Adam, wir reisen!

Versinken.

[176]

13. Scene

Dreizehnte Scene.

Der unendliche Raum. Von weitem ist ein Kreisschnitt des Erdballs sichtbar, der immer kleiner wird, bis er nur als Stern erscheint, unter die andern vermengt. Bei Beginn der Scene ist es halbdunkel, dann wird es allmählich stockfinster. Adam als alter Mann mit Lucifer im Fluge.

ADAM.
Wohin, ach, führt uns dieser tolle Flug?
LUCIFER.
War deine Sehnsucht nicht, von jeder Schlacke
Befreit, in höh're Sphären zu gelangen,
Woher, wenn ich dich recht verstanden, du
Ein süßes Flüstern von verwandten Geistern
Vernommen hast?
ADAM.
Wohl wahr, doch für so rauh
Hab' ich den Weg dahin mir nicht gedacht.
Der Raum hier ist so wüst, so fremd, als wenn
Ein Tempelschänder ihn betreten hätte.
Und meine Brust durchzauset zager Zwiespalt:
Ich fühle, daß die Erde zu gering ist,
Um meine stolze Seele einzuschließen,
Und sehne mich aus ihrem Bann hinaus;
Doch überfällt es mich wie banges Heimweh,
Da ich von ihr nun losgerissen bin.
Ach Lucifer, schau' nur einmal zurück
Auf unsre Erde dort! Zuerst entschwanden
Die Wiesenblümlein unsern Blicken, dann
Der Waldesriesen schwanke Blätterkronen;
Die wohlbekannte heimatliche Gegend
[177] Mit ihren hundert trauten Lieblingsorten,
Schneehäupt'gen Bergen, grünen Thälern, ist zur
Charakterlosen Ebene verflacht.
Was anziehend war, alles ist verwaschen.
Jetzt wird bereits der Fels zur schlechten Scholle,
Das blitzeschwangre Wolkenheer, worin
Der Landmann eine heil'ge Stimme ahnt,
Vor der er sich im tiefsten Keller birgt,
Zu welch' armsel'gem Flöckchen Dunst es einschrumpft!
Und der unabsehbare Ocean,
Wohin ist er geraten? Sitzt bescheiden
Dort unten wie ein grauer Fleck am Erdball,
Der ängstlich kreisend unter Millionen
Gleichartiger Gefährten sich verliert.
Und das war unsre ganze Welt! Und sie,
Und sie ... o Lucifer! sag', mußten wir
Auch sie verlassen?
LUCIFER.
Von so hohem Standpunkt,
Wie wir einnehmen, geht zuerst der Liebreiz
Verloren, dann die Größe und die Kraft,
Bis uns zuletzt nichts andres übrig bleibt
Als die abstrakte starre Mathematik.
ADAM.
Die Sterne bleiben hinter uns zurück,
Erseh' kein Ziel und fühl' kein Hindernis.
Was ist denn ohne Liebe, ohne Kampf
Das Dasein wert? Mich schauert, Lucifer!
LUCIFER.
Nun, wenn dein Heldenmut nicht weiter langt,
So kehren wir zurück, im Staub' zu spielen.
ADAM.
Wer sagt das? Vorwärts, immer vorwärts nur!
Es schmerzt nicht länger, als bis alle Bande,
Die an die Muttererde uns geknüpft,
Vollends zerrissen sind. Doch ach! was ist das?
[178] Mein Atem stockt, die Kräfte schwinden mir,
Es trübt sich mein Bewußtsein. Also wäre
Doch mehr als bloße Sage, was die Alten
Vom Ringkampf des Anthaeus sich erzählten,
Der nur so lang am Leben blieb, als er
Noch mit dem mütterlichen Staub der Erde
Berührung fand?
STIMME DES ERDENGEISTES.
Ja, mehr als bloße Sage.
Du kennst mich schon, sahst schon den Geist der Erde;
Ich bin 's, der in dir atmet, könntest's wissen.
Hier ist die Scheidegrenze, bis hieher
Reicht meine Macht. Kehrst du zurück, so lebst du,
Wagst du es aber sie zu überschreiten,
So hörst du auf zu sein. Gerade wie
Das Infusorium im Wassertropfen
Nur lebt. Der Tropfen ist die Erde dir.
ADAM.
Ich trotze dir, du schreckest mich umsonst.
Mein Leib kann dein sein, meine Seele aber
Gehört mir. Wahrheit und Gedanke sind
Unendlich, waren eher da, als deine
Materielle Welt.
STIMME DES ERDENGEISTES.
O eitler Mensch!
Versuch' es nur, und schrecklich wirst du's büßen.
Gab's etwa den Duft eher als die Rose,
War früher als der Körper dessen Form da,
Ist älter als die Sonne deren Strahl?
O! wenn du die verwaiste Seele dein
Im ungemessnen Raum so kreisen sähest,
Wie sie umsonst Verständnis, Ausdruck sucht
In einer fremden Welt, und nichts mehr fühlt,
Nichts mehr begreift, erfaßt, – du würdest schaudern.
Denn alles das Gefühl, all' die Erkenntnis,
So dich erfüllt, sind Ausstrahlungen nur
Der eigenart'gen Gruppe Stoffes, welche
[179] Du Erde nennst, die, wäre sie was andres,
Samt dir nicht weiter mehr bestehen könnte.
Hast Schön und Häßlich, Himmelreich und Hölle
Dir nur von meinem Geiste abgeleitet,
Der deines winz'gen Heim's System durchweht.
Es ist, was hier als ew'ge Wahrheit gilt,
In einer andern Welt vielleicht absurd,
Und hier Unmögliches dort ganz natürlich.
Es mag dort Körper ohne Schwere geben,
Das Leben nicht Bewegung sein; was Luft hier,
Ist dort vielleicht Gedanke, was hier Licht,
Kann Schall sein dort, und es krystallisiert sich
In jener Welt, was da organisch wächst.
ADAM.
Du bringst mich nicht zum Wanken, meine Seele
Strebt aufwärts.
DIE STIMME DES ERDENGEISTES.
Adam, Adam, nah ist schon
Der letzte Augenblick, o kehre um!
Auf Erden kannst du Größe noch erlangen,
Indes, so du aus dem geschlossnen Ringe
Des All's dein Sein herauszureißen wagst,
Gott nimmer dulden wird, daß du ihm nahest,
Und dich verdirbt, ganz klein, ganz jämmerlich.
ADAM.
Verdirbt mich denn der Tod nicht ohnehin?
STIMME DES ERDENGEISTES.
Dies eitle leere Wort der alten Lüge
Sprich's nimmer aus hier in der Geisterwelt!
Die ganze Schöpfung wär entsetzt darob.
Das ist ein heil'ges Siegel, das der Herr
Sich vorbehalten. Der Erkenntnis Apfel
Selbst konnt's nicht lösen.
ADAM.
Ich will's lösen.

[180] Fliegen weiter. Mit einem Aufschrei erstarrt Adam.

Ach,
Mit mir ist's aus!
LUCIFER
hohnlachend.
So hat die alte Lüge
Denn doch gesiegt.

Indem er Adam von sich stößt.

Die falsche Gottheit da
Mag nun im Weltenraume weiterkreisen,
Als neuester Planet, worauf für mich
Vielleicht sich neues Leben noch entwickelt.
STIMME DES ERDENGEISTES.
Frohlockst zu frühe, Lucifer! Er hat
Die fremde Welt nur erst berührt, es ist nicht
So leicht aus meinem Reiche auszubrechen.
Dich rufet eine heimatliche Stimme,
Mein Sohn, erhole dich!
ADAM
zu Bewußtsein kommend.
Ich lebe wieder!
Ich fühl' es, weil ich leide; aber selbst
Dies Leiden ist mir füß. Gar schauerlich
Ist's, der Vernichtung so anheim zu fallen ....
O Lucifer! führ' mich auf meine Erde
Zurück, daß ich, wenn ich auch noch so viel
Umsonst gekämpft hab', wieder kämpfen könne;
Und tausendmal will ich mich glücklich preisen.
LUCIFER.
Und nach so vielen leidigen Versuchen
Hältst du noch immer an dem Glauben fest,
Dein neuer Kampf sei diesmal nicht vergeblich,
Und du gelangst zum Ziele? Ja wahrhaftig,
Solch' eine kindliche elast'sche Seele
Kann nur allein dem Menschen innewohnen!
ADAM.
Mit Nichten leitet mich solch eitler Wahn.
Noch hundertmal, wohl weiß ich's, werde ich
[181] Das Ziel vergeblich zu erreichen suchen.
Thut nichts! Was ist denn eigentlich das Ziel?
Das Ziel ist's Ende des glorreichen Ringens,
Die Todesruh', ein steter Kampf das Leben,
Und nur der Kampf selbst unser Lebenszweck.
LUCIFER.
Fürwahr, ein schöner Trost! Wär' wenigstens
Des Kampfes geistiger Beweggrund groß,
Verspottest aber morgen selbst, wofür
Du heute kämpfst. Was dich begeisterte,
War Kinderei. Hast du für unterdrückte
Freiheit nicht bei Chäronea geblutet,
Und später nicht mit Belisar gefochten,
Um Konstantins Weltherrschaft zu begründen?
Starbst du als Glaubens-Märtyrer am Kreuz' nicht
Und strittest du nicht wieder mit den Waffen
Der Wissenschaft dann gegen diesen Glauben?
ADAM.
Wohl wahr, doch gleichviel, war auch die Idee
Noch so geringe, damals hat sie mich
Begeistert und gehoben, war somit
Stets eine große heilige Idee.
Ganz einerlei, ob sie nun in der Form
Von Glaubenseifer oder Wissenschaft,
Von Freiheit oder Ehrgeiz wirkte; immer
Hat sie die Menschheit, trotz verfehlter Kämpfe,
Vorwärts gebracht. Zurück zur Erde also
Zu neuem Kampfe für ein neues Ziel!
LUCIFER.
Und hast du des Gelehrten Wort vergessen,
Der ausgerechnet hat, daß deine Welt
In vier Jahrtausenden zu Eis erstarrt,
Und aller Kampf ein Ende nimmt?
ADAM.
Wenn diesem
Geschicke unsre Wissenschaft nicht trotzt.
[182] Sie wird ihm aber trotzen, ja ich fühl's,
Ich weiß es!
LUCIFER.
Und nachher? Wird's Kampf, wird's Größe
Und Kraft in solchem Kunstgefüge geben,
Das der Verstand aus kühlen Theorien
Zusammgestoppelt, und das du soeben
Aus eigener Anschauung kennen lerntest?
ADAM.
Die Wissenschaft soll nur die Erde retten,
Dann wird sie auch vergehn, wie alles aufhört,
Was seinen Zweck erfüllt hat; dann ersteht
Aufs neue die Idee, die wieder Leben
Einhaucht dem alten Erdball. Führe mich
Zurück nur, denn ich brenne vor Begierde,
Zu sehn, für welche neue nützliche
Idee sich auf der konservierten Erde
Mein hoffend Herz begeistern wird?
LUCIFER.
Zurück denn!
[183]

14. Scene

Vierzehnte Scene.

Mit Schnee und Eis bedeckte gebirgige baumlose Gegend. Die Sonne erscheint als rote strahlenlose Kugel von zerrissenen Nebelschwaden umgeben. Zwielicht. Im Vordergrunde zwischen einigen verkümmerten Birken-, Wachholder- und Krummholzsträuchern eine Eskimohütte. Adam als gänzlich gebrochener Greis, kommt am Stabe vom Gebirge herab mit Lucifer.

ADAM.
Was wandern wir in dieser endelosen
Schneewelt umher, wo uns der kalte Tod
Aus leeren Augenhöhlen frostig anstarrt?
Lautlose Stille rings, wenn hie und da
Nicht uns're schweren Tritte eine Robbe
Ins Wasser scheuchen; wo selbst schon die Pflanze
Des Ringens müde scheint, nur ganz verkrüppelt
Gesträuch noch zwischen Moos und Flechten schwankt,
Und aus dem Nebelgrau der Mond mit rotem
Gesicht hervorlugt, wie des Totengräbers
Laterne in die Nacht des Grabes leuchtet.
Dort führ' mich hin, wo schlanke Palmen grünen,
Ins schöne Land des Sonnenscheins, der Düfte,
Wo sich des Menschen Seele sicher schon
Zum Vollbewußtsein seiner Kraft emporschwang.
LUCIFER.
Dort sind wir eben. Diese blut'ge Scheibe
Ist deine Sonne. Unter unsren Sohlen
Läuft der Äquator hin. Die Wissenschaft
Hat übers Los der Erde nicht gesiegt.
ADAM.
Welch' Schreckenswelt! rein nur zum Sterben gut.
Wird mir nicht leid thun ihr Valet zu sagen.
[184] Ach, Lucifer! der ich einst an der Wiege
Des Menschen stand, der ich gesehen habe,
Welch' großer Zukunft Hoffnung drin geschlummert,
Der alle seine Kämpfe mitgekämpft,
Wenn ich nun da auf diesem Riesengrabe,
Worüber die barmherzige Natur
Ein Leichentuch gebreitet, sinnend stehe,
Der erste, letzte Mensch auf dieser Welt:
Wüßt' ich doch gern, wie meine Art geendet?
In edlem Kampfe, mutig, – oder schmachvoll,
Von einer Generation zur andern
Kraftloser, tiefer stets gesunken, elend,
Bar aller Größe, keiner Thräne wert?
LUCIFER.
Ach, ach! wenn du so große Stücke hältst
Auf deinen hohen Geist, wie du einmal
Die Kraft zu nennen liebst, die's warme Blut
Durch deine Adern jagt, und für Ideen
Die junge Brust empfänglich macht, so wünsche
Dir nicht als Zeuge deiner Todesnöten,
An deinem eignen Sterbebett zu stehn.
Denn diese Stunde ist wahrhaftig eine
Gar wunderliche Probe jener Rechnung,
Die du zeitlebens ohne Wirt gemacht.
Der Todesschauer wischt des Lebensfiebers
Schillernde Bilder von der Rechentafel,
Wer mag dann wissen, was da richtig war.
Des letzten Ringens kleinlich' Wehgeschrei
Ist nur ein schallend' Hohngelächter über
Des tollen Menschenlebens eitle Kämpfe.
ADAM.
Warum, ach, ging ich denn nicht lieber dort
In jenen hehren Höhen schon zu Grunde,
Im Vollbewußtsein meiner Kraft und Seele,
Als da so schmählich meine eigne Grabred'
Mit anzuhören, wie sie mir so trocken
Die Gleichgültigkeit eines Geistes hält,
[185] Der meinen schweren Kämpfen ferne steht
Und nicht mit mir des Todes Grauen teilt?!
LUCIFER.
Daß du ein Mensch, erkenn' ich an der Thräne,
Womit du dein Erwachen nun begleitest,
Aus Schwärmerei für Klarheit der Begriffe.
Doch sei beruhigt, deine Art, noch lebt sie.
Schau, dort steht gleich das Obdach eines Menschen,
Und eben tritt der Hauswirt aus der Thüre.

Ein Eskimo tritt aus der Hütte zur Seehundsjagd gerüstet.
ADAM.
Dies Jammerbild, dies fratzenhafte Wesen,
Das wär' der Erbe meiner einst'gen Größe?
Was ließst du, Lucifer, mich solches schaun?
Der Trost ist wahrlich schlimmer als mein Kummer.
ESKIMO.
So giebt's doch Götter über uns? Sieh' da,
Leibhaftig sind sie mir erschienen! Aber
Wer weiß denn, ob sie gut sind oder böse?
Ich rette mich, denn sicher ist doch sicher.

Will sich zurückziehen.
LUCIFER.
Halt, auf ein Wort!
DER ESKIMO
sich niederwerfend.
O Gnade, Gnade, Herr!
Ich opfre dir die allererste Robbe,
Die ich erjage, höre mich nur an
Und bringe mich nicht um mein armes Leben .....
LUCIFER.
Welch' Recht steht dir an jene Robbe zu,
Daß du mit ihrem Leben deines lösest?
DER ESKIMO.
Das Recht des Stärkeren. Ich sehe ja,
Wie der gewandte Fisch die Würmer frißt,
Den Fisch der Seehund und den Seehund ich.
[186]
LUCIFER.
Und dich verschlingt zuletzt der große Geist.
DER ESKIMO.
Ich weiß, ich weiß; jedoch die kurze Frist,
Die er zu atmen gnädigst mir gewährt,
Erkaufe ich mit einem blut'gen Opfer.
ADAM.
Welch' feige Ansicht!
LUCIFER.
Hast's ja auch gethan.
Der Unterschied ist zwischen euch nur der,
Daß er Seehunde opfert, während du
Einst Menschenopfer hattest dargebracht,
Der Gottheit, die ihr selbst euch schufet: er
Nach seinem Ebenbild', wie du nach deinem.
DER ESKIMO.
Ich seh' du zürnst, und fühle wohl warum.
Weil ich in meiner argen Not es wagte
Ein und das andremal tief aufzuseufzen
Zum gütigen, wohlthät'gen Sonnengott,
Der nichts begehrt, nur spendet, und nach einer
Uralten Sage einst auch hier geherrscht.
O Herr, verzeih' nur diesmal und ich will
Ihm ewig fluchen!
ADAM.
Großer Gott, o sieh'
Hernieder und erröte, wie erbärmlich
Der Mensch, den du als Meisterstück erschufst!
DER ESKIMO.
Dein Freund zürnt sehr, ist er vielleicht auch hungrig?
LUCIFER.
Gerade weil er's nicht ist, zürnt er so.
ADAM.
Wie unpassend du schlechte Witze machst!
[187]
LUCIFER.
Das ist kein Witz, ich sage nur die Wahrheit.
Du folgerst da, wie einer, der schon satt ist,
Hier dieses Biedermanns Philosophie
Hingegen rührt vom leeren Magen her.
Mit Gründen werdet ihr einander nie
Und nimmer überzeugen, doch sofort
Vollkommen einverstanden sein, sobald
Du ausgehungert bist, und er gesättigt.
Ja, ja, du magst für noch so viel dich halten,
Stets ist das Tier in euch im Vordergrund,
Und nur wenn dies zum Schweigen erst gebracht ist,
Wird seiner Menschlichkeit der Mensch bewußt,
Um mit hochmüt'gem Dünkel zu verachten,
Was doch sein eigentlichstes Wesen ausmacht.
ADAM.
Solch' Urteil, Lucifer, ist deiner würdig,
Der du mit Schadenfreude alles Hehre
Und Heil'ge in den Staub zerrst. Also sind
All' die erhabnen, herrlichen Ideen
Und edlen Thaten nur der Küchendunst
Von unsrem Lebensherde, nur das blinde
Ergebnis von Umständen, welche sämtlich
Von einigen Gesetzen des gemeinen
Geistlosen Stoffs bewegt, gebunden werden?
LUCIFER.
Und ist's nicht so? Glaubst du, daß Leonidas
Im Engpaß stirbt, wenn er anstatt zu Sparta,
Wo's gar kein Geld gab, sich von schwarzer Suppe
Frugal zu nähren, auf lucull'schem Landsitz
In allerlei berauschenden Genüssen
Des Morgenlandes schwelgte? Oder hätt' sich
Brutus durch seinen Sklaven töten lassen,
Wenn er zur schönen Porcia nach Hause
Geeilt wär', und die Aufregung des Kampfes
Nach einem guten Mahl verschlafen hätte?
[188] Und wie gedeiht die Sünde, wie die Tugend?
Hat jene nicht verdorbne Luft und Elend
Gezeugt, und diese nicht der Sonnenschein,
Das Hochgefühl der Freiheit, sich der späten
Nachkommenschaft in Form und Geist vererbend?
Wie viele haben überlaut verkündet,
Sie hätten mit dem Leben abgeschlossen,
Und knüpften sich am nächsten Baume auf.
Doch schnitten sie dann unberufne Hände
Vom Strick herab, so ließ sie schon die bloße
Berührung mit dem Leben ihre Rechnung
Vergessen. Wenn der große Hunyady
Nicht in dem Schoße eines würd'gen Volkes
Geboren worden wäre, seine Wiege
Ein heidnisch Mohrenzelt beschattet hätte,
Was wäre aus dem besten aller Helden
Des Kreuzes wohl geworden? Oder Luther,
Wenn ihn der Zufall auf Sankt-Peters Stuhl
Erkürt hätt', und Papst Leo zum Professor
An einer deutschen Universität?
Wer weiß, ob dann nicht dieser reformiert,
Und jener seinen Bann geschleudert hätte
Auf den verwegnen ungestümen Wühler?
Was wäre aus Napoleon geworden,
Wenn ihm den stolzen Weg nicht eines Volkes
Verspritztes Blut geebnet hätt'? Er wäre
Vielleicht in einer modrigen Kaserne
Als Fähnrich oder Leutenant verkommen.
ADAM
Lucifer den Mund zuhaltend.
Nicht weiter! Alles, was du da erörterst,
Erscheint so einfach, und so wahr, ist aber
Gerade deshalb um so schädlicher.
Der Aberglaube kann nur Blöde blenden,
Die ohnehin den hehren Geist nicht fühlen,
Der auf uns wirkt und uns bewegt; jedoch
Der Bessre würde alsofort den Bruder
In ihm erkennen, wenn mit kalten Zahlen
Ihn deine schroffe Lehre nicht erwürgte.
[189]
LUCIFER.
Sprich nur mit deinem Kameraden da,
Es wird dir eine kleine Lektion
In kluger Selbsterkenntnis gar nicht schaden.
ADAM.
Darbt ihr noch viele hier in dieser Gegend?
DER ESKIMO.
Ja, viele, mehr als ich auf meinen Fingern
Herzählen kann. Wohl hab' ich alle Nachbarn
Ringsum bereits erschlagen, doch vergebens,
Es kommen immer wieder neue her;
Und ach, die Robben sind so rar! Ja, bist du
Ein Gott, so flehe ich dich an, o mache
Daß wen'ger Menschen und mehr Robben seien!
ADAM.
Komm, Lucifer, es war genug!
LUCIFER.
So sehen
Wir uns doch seine Gattin an.
ADAM.
Ich will sie
Nicht sehn; denn ist der Mann gesunken, ist's
Für unser Aug' ein ekelhaftes Schauspiel,
Doch weckt's Verachtung nur in unsrer Brust;
Ist aber's Weib, dies Ideal, dies hehre
Verkörperte Gedicht, zu tief gefallen,
So wird's zur Fratze, die uns schaudern macht.
Geh, geh! Verschone mich mit ihrem Anblick!

Unterdessen hat Lucifer Adam zur Hütte gezogen, jetzt stößt er die Thüre auf, drinnen sieht man Eva als Gattin des Eskimo. Adam starrt sie staunend an, indem er auf der Schwelle stehen bleibt.
ADAM.
Erkennst in ihr nicht eine alte Liebe?
Umarme sie doch, dieser gute Mann
[190] Hier wird ja auf den Tod beleidigt sein,
Wenn seiner Frau du nicht die Ehre anthust.
ADAM.
Und ich soll dieses Weib umarmen, der ich
Aspasia einst in den Armen hielt?
Die da, in der ich ihre Züge wieder
Aufdämmern sehe, aber so, als würde
Sie sich beim Kuss' zum geilen Tier verwandeln!
DER ESKIMO
in seine Hütte tretend.
Weib! Werte Gäste haben wir bekommen,
Empfang sie herzlich.

Eva fällt Adam um den Hals, und zerrt ihn in die Hütte hinein.
EVA.
Fremdling, sei willkommen,
Da ruh' dich aus!
ADAM
sich loswindend.
O Hilfe, Lucifer!
Fort, fort von hier! Geleit aus meiner Zukunft
Zurück mich in die Gegenwart, daß ich
Mein fürchterliches Schicksal nimmer schaue:
Den ganz fruchtlosen Kampf! Laß mich bedenken,
Ob Gottes Ratschluß ich noch trotzen soll?
LUCIFER.
Erwache denn, dein Traum ist nun zu Ende!
[191]

15. Scene

Fünfzehnte Scene.

Der Schauplatz verwandelt sich in die Palmengegend der dritten Scene. Adam, wieder jung, tritt noch schlaftrunken aus der Hütte, und schaut sich verwundert um. Eva schlummert drinnen. Lucifer steht in der Mitte des Schauplatzes. Strahlender Tag.

ADAM.
Entsetzliche Gesichte! Nun, wo seid ihr
Geblieben? Wie da alles lebt um mich
Und mir zulächelt, grad' so frisch und froh,
Wie ich's verließ, indes mein Herz gebrochen!
LUCIFER.
O eitler Mensch! Am Ende willst du gar,
Die Welt soll aus den Fugen gehn, am Himmel
Als Schreckensbote ein Komet erscheinen,
Das Erdreich beben, wenn ein Wurm vergeht?
ADAM.
Hab' ich geträumt nur, oder träum' ich jetzt?
Ist's Dasein überhaupt mehr als ein Traum,
Der einen Augenblick die tote Masse
Belebt, um sich mit ihr ganz aufzulösen?
Wozu, wozu dies kurze Selbstbewußtsein?
Bloß um des Nichtseins Schrecken zu erschaun!
LUCIFER.
Du jammerst? Blöde Feigheit nur erwartet
Ganz ohne allen Widerstand den Streich,
Dem zu entgehen sich noch Wege bieten;
Doch liest der Starke ruhig, ohne Murren
Des Schicksals ew'ge Runen, und erwägt nur,
Wie er selbst unter deren Wucht bestehe?
[192] Des Schicksals Macht regiert die Weltgeschichte.
Bist bloß ein Werkzeug, blind vorwärts getrieben.
ADAM.
Nein, nein, du lügst, frei ist des Menschen Wille!
Das habe ich mir schwer genug verdient,
Entsagte doch dem Paradies dafür.
Hab' viel gelernt aus meinen Traumgesichten,
Bin manchem leeren Wahn entrückt, und jetzt
Hängt es von mir ab andern Weg zu wandeln.
LUCIFER.
Ja, wenn Vergessen, so wie ew'ges Hoffen
Nicht mit dem Schicksal eng verbündet wäre!
Vergessen heilt die Wunden dein, und Hoffnung
Verdeckt mit einem Schleier dicht den Abgrund.
Sie spricht ermunternd: hundert blind Verwegne
Sind schon hineingestürzt, du wirst es sein,
Der ihn der Erste glücklich überspringt.
Du hast ja, als Gelehrter, unter anderm
Auch solche sonderbare Parasiten
Kennen gelernt, die in den Eingeweiden
Von Katzen oder Sperbern nur gedeihn,
Und der Entwicklung erstes Stadium
Doch in der Maus allein durchmachen können?
Nicht eine, nicht die andre Maus ist grade
Erlesen Sperber- oder Katzenkrallen
Zu fühlen, und die stets mit schlauer Vorsicht
Zu Werke geht, kann ihnen auch entgehn,
Und hochbetagt im Neste ruhig enden.
Es wacht jedoch ein unerbittliches
Gesetz darüber, daß dem list'gen Feinde
So viele Mäuse immerhin verfallen,
Als nötig sind, um jenes winz'gen Weichtiers
Vorhandensein Jahrtausende zu sichern.
Der Mensch ist auch nicht individuell
Gebunden, aber seine ganze Art
Trägt jene Ketten; die Begeisterung
Reißt wie ein Strom dich hin, heut um die eine
Und morgen um die andre Sache wird
[193] Der Scheiterhaufen seine Opfer haben,
Und 's werden da sein, die den Spott besorgen.
Wer dann die Zahlen registriert, muß staunen,
Wie konsequent das laun'sche Schicksal ist,
Das Heirat, Tod, Verbrechen, Tugend, Glauben,
Wahnsinn und Selbstmord ebenmäßig leitet.
ADAM.
Halt! Ein Gedanke schießt mir durch den Kopf!
Ich kann, allmächt'ger Gott, selbst dir noch trotzen.
Wenns Schicksal hundertmal sagt: Bis hierher
Sollst leben! lache ich ihm ins Gesicht,
Und wenn es mir beliebt, so leb' ich nicht.
Bin ich denn nicht allein noch auf der Welt?
Vor mir der Fels, darunter tief der Abgrund,
Ein Sprung, als letzter Aufzug – und ich rufe:
Ade, nun ist das Possenspiel zu Ende!

Adam geht der Klippe zu, Eva tritt aus der Thüre.
LUCIFER.
Zu Ende? Welch' einfält'ge Redensart!
Ist jeder Augenblick nicht End' und Anfang
Zugleich? O weh! Bloß darum hast du also
Grad' einige Jahrtausende geschaut?
EVA.
Ei sage, Adam, warum stahlst du dich
Von meiner Seite, weshalb fliehst du mich?
Es war dein letzter Kuß so kalt, und jetzt noch
Sitzt Kummer oder Zorn auf deiner Stirne.
Ich fürchte mich vor dir .....
ADAM
weiterschreitend.
Was schleichst du mir
Auch nach, wozu belauschst du meine Tritte?
Der Mann, Herr dieser Schöpfung, hat noch andres
Zu thun, als Liebeständelei.
Ein Weib versteht das nicht, und ist zur Last nur.

Erweicht.

Warum hast nicht ein wenig noch geschlummert?
Weit schwerer wird mir nun das Opfer fallen,
Das ich der Zukunft bringen muß.
[194]
EVA.
Vielleicht
Erleichtert's dich, mein Freund, wenn du mich anhörst;
Denn, was bisher noch zweifelhaft gewesen,
Jetzt steht's gesichert da: die Zukunft.
ADAM.
Wie denn?
EVA.
Ich weiß, dein Antlitz wird sich froh erhellen,
Wenn ich es dir zulisple. Aber komm
Ein wenig näher. Ich bin Mutter, Adam!
ADAM
in die Knie sinkend.
Hast mich besiegt, o Herr! Lieg' da im Staube,
Kämpf' ohne dich, wie gegen dich vergeblich;
Magst mich erheben oder niederschmettern,
Mein Herz und meine Seele steht dir offen!
LUCIFER.
Wurm! hast du deine Größe ganz vergessen,
Die du nur mir allein verdankst?
ADAM.
O laß sie!
Es war nur eitler Trug; doch das ist Frieden!
LUCIFER.
Und du, was brüstest du dich, thöricht Weib?
Im Bann der Sünde ward dein Sohn empfangen,
In Eden schon. Durch ihn kommt alles Übel
Und jeglich Ungemach auf diese Erde.
EVA.
So Gott will, wird in Sorg' und Not ein andrer
Empfangen werden, der die Sünde tilgt,
Indem er brüderlichen Sinn zur Welt bringt.
LUCIFER.
Erhebst dich, Sklave, wider mich? Du Tier,
Auf aus dem Staub!

[195] Stößt mit dem Fuße nach Adam. Es öffnet sich der Himmel, der Herr, verklärt, von Engeln umgeben, erscheint.
DER HERR.
Geist, nieder in den Staub!
Vor mir giebt's keine Größe.
LUCIFER
sich krümmend.
O verflucht,
Verflucht!
DER HERR.
Und Adam, du erhebe dich,
Sei nicht verzagt; sieh' denn, ich nehme dich
Versöhnt in meine Gnade wieder auf!
LUCIFER
beiseite.
Da will ein häuslich Schauspiel sich entwickeln,
Scheint mir. So etwas mag für das Gefühl
Recht schön sein, meine kritische Vernunft
Langweilt's jedoch. Es wird am besten sein,
Ich mach' mich aus dem Staube.

Will gehen.
DER HERR.
Lucifer!
Hab' auch an dich ein Wörtlein, darum bleibe.
Und du, mein Sohn, erzähle, was bedrückt dich?
ADAM.
Herr! schreckliche Gesichte quälten mich,
Nun weiß ich nicht, was wahr, was Trug daran.
O sag, o sag, welch' Los erwartet mich?
Ist nur ein bloßes kurzes Erdwallen,
Dies engbegrenzte Dasein mir beschieden,
In dessen Kampf sich meine Seele klärt
Wie Wein, daß, wenn er ausgegohren, du ihn
Zu Boden schüttest, und er von der Erde
Staub aufgesogen werde? Oder hast du
Den edlen Geist zu Besserem bestimmt?
Geht vorwärts meine Art, um, immer mehr sich
Veredelnd, deinem Thron allmählich näher
[196] Zu kommen? Oder soll dein Ebenbild
Sich wie ein blindes Pferd am Mühlengöpel
Zu Tode rackern, ohne aus dem Kreise,
In dem 's herumgeht, je herauszukommen?
Ist Lohn beschieden jenem Seelenadel,
Den ums vergossne Blut die rohe Menge
Engherzig nur verspottet? Klär' mich auf,
Und dankbar will ich jedes Los ertragen;
Ich kann ja nur gewinnen bei dem Tausche,
Denn diese Ungewißheit ist die Hölle.
DER HERR.
Forsch' nicht nach dem Geheimnis, welches deinem
Sehnsücht'gen Blicke güt'ge Gotteshand
Mit weisem Sinn wohlwollend hat verhüllt.
Denn sähest du, daß deine Seele sich
Auf Erden nur vorübergehend birgt,
Und jenseits ew'ges Leben deiner harrt,
Wär's keine Tugend mehr allda zu leiden.
Und wenn du wieder sähest, deine Seele
Verrinnt im Staub', was sollte dir ein Sporn sein
Dem rohen Vollgenuß des Augenblicks
Für sittliche Ideen zu entsagen?
Während du jetzt, wo deine Zukunft dir
Durch graue Nebel nur entgegenschimmert,
Wenn deines Daseins Last dich niederdrückt,
Vom Hochgefühle der Unendlichkeit
Getragen wirst. Und sollte hie und da,
Dieses Gefühles Stolz zu weit dich führen,
So setzt die Spanne Lebensfrist dir Schranken,
Und Seelengröße, Tugend sind gewahrt.
LUCIFER
hohnlachend.
Fürwahr, die Bahn, die du betrittst, ist glorreich!
Dich sollen also Tugend, Größe leiten?
Zwei Worte, dir nur so zu Thaten werden,
Wenn Aberglaube, Vorurteil und eitle
Unwissenheit sie festigend beschirmt?
Was mußte ich auch mit dem Menschen Großes
Beginnen, der aus Staub und Sonnenstrahl
[197] Zusammgeknetet, nur ein Zwerg im Wissen
Und riesengroß im blinden Wahne ist!
ADAM.
O spotte nicht, Lucifer, spotte nicht!
Ich sah ja deines Wissens klaren Bau,
Dort war es meinem Herzen gar zu kalt.
O Herr! wer aber wird mich aufrecht halten,
Damit ich auf dem rechten Weg' verbleibe?
Die Hand, die mich geführt, entzogst du mir,
Als ich des eitlen Wissens Frucht gekostet.
DER HERR.
Dein Arm ist stark, dein Herz voll Hochgefühl,
Das Feld unendlich, wo du schaffen sollst;
Und merkst du gut auf, klingt dir eine Stimme
Ohn' Unterlaß entgegen, die dich warnend
Zurückhält oder anregt und erhebt.
Der folge nur. Und wenn der Himmelslaut
In deines regen, thatenreichen Lebens
Lärm und Getöse manchesmal verstummt,
Wird dieses zarten Weibes rein're Seele,
Vom Schmutz der Selbstsucht weniger verunglimpft,
Ihn sicherlich vernehmen, und er wird
Sich durch des weichen Weiberherzens Pulse
Zu Poesie und Sangesweisen läutern.
Mit diesen beiden Mitteln wird es dir
Getreu zur Seite stehn in Glück und Unglück,
Bald traulich tröstend und bald launig lächelnd,
Ein teilnahmvoller guter Genius.
Und Lucifer, du auch ein Kettenglied
In meinem weiten Weltall, wirke weiter!
Dein frostig Wissen und dein thöricht Leugnen
Sei eben nur die Hefe, die den Geist
In Gährung bringt. Und wenn sie auf Momente
Den Menschen auch vom rechten Wege ablenkt,
Das schadet nicht, – er kehrt doch bald zurück.
Endlos wird aber deine Sühne sein,
Indem du immer wieder sehen mußt,
[198] Daß, was du zu verderben trachtest, stets
Ein neuer Keim des Schönen, Edlen wird.
CHOR DER ENGEL.
Wählen zwischen Gut und Böse,
Welch' erhebender Gedanke!
Und doch wissen, daß dein Schirmwall,
Gottes Gnade, nimmer wanke.
Darum thue stets das Rechte,
Wenn es sich auch nicht verlohnet;
Lohn sei dir das Selbstbewußtsein,
So in großen Thaten wohnet.
Großes leistet nur der Edle,
Denn er schämt sich klein zu handeln;
Dieses Schamgefühl erhebt ihn,
Wo der Wicht im Staub muß wandeln.
Doch auf deinen hohen Pfaden
Ja den blinden Wahn nicht nähre,
Was du etwa Gutes thuest,
Thätest du zu Gottes Ehre,
Und er stünde erst auf dich an
Seinen Ratschluß auszuführen.
Dich ziert's, wenn er dir gestattet,
Herz und Hand für ihn zu rühren.
EVA.
Ach, ich versteh' das Lied, Gott sei gepriesen!
ADAM.
Ich ahn' es auch, und will darein mich finden,
Das Ende, ach, könnt' ich nur das verwinden!
DER HERR
zu Adam.
Lass' dir's gesagt sein: kämpfe und vertraue!
[199]

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TextGrid Repository (2012). Madách, Imre. Dramatische Dichtung. Die Tragödie des Menschen. Die Tragödie des Menschen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-29E8-E