Gabriel Marcel
Die Meuterer von der »Bounty« 1

1. Capitel

[191] Erstes Capitel.
Die Aussetzung.

Kein Lufthauch weht, kein Fältchen kräuselt das weite, weite Meer, kein Wölkchen irrt über den klaren Himmel. Die glänzenden Sternbilder der südlichen Halbkugel leuchten in unvergleichlicher Reinheit. Schlaff hängen die Segel der »Bounty« an den Masten des unbewegten Schiffes, und das Licht des Mondes, das vor der allmälich herausdrängenden Morgenröthe erblaßt, schimmert geisterhaft im grenzenlosen Raume.

Die »Bounty«, ein Schiff von 250 Tonnen mit einer Besatzung von 46 Mann, hatte Spithead am 23. December 1787 verlassen unter dem Befehle des Kapitäns Bligh, eines erfahrenen, aber etwas rohen Seemannes, der den berühmten Cook bei dessen letzter Entdeckungsreise begleitet hatte.

Die »Bounty« war bestimmt, den auf Tahiti in großen Mengen vorkommenden Brotfruchtbaum nach den Antillen überzuführen. Sechs volle Monate lag William Bligh damals in der Bai von Matavaï, um etwa tausend Stück jener Bäume zu laden, und schlug nun, nach kurzem Aufenthalt bei den Inseln der Freunde, den Weg nach Westindien ein.

Schon wiederholt hatte der mißtrauische und jähzornige Charakter des Kapitäns zwischen diesem und einigen seiner Officiere sehr unangenehme Auftritte hervorgerufen. Die Ruhe, welche am 27. April 1788 bei Sonnenaufgang an Bord der »Bounty« herrschte, ließ jedoch die sehr ernsten Vorkommnisse, welche so bald eintreten sollten, nicht im mindesten voraussehen.

Alles erschien so friedlich, als sich plötzlich auf dem ganzen Schiffe eine unerwartete Bewegung bemerkbar machte. Einzelne Matrosen traten zusammen, wechselten einige flüchtige Worte und verschwanden wieder geräuschlosen Schrittes.

Gilt es nur der Ablösung der Morgenwache? Ist auf dem Schiffe sonst etwas geschehen?

[191] »Vor Allem keinen Lärm, meine Freunde, sagt Fletscher Christian, der zweite Officier der »Bounty«, halblaut. Ihr, Bob, ladet Eure Pistole, doch schießt nicht ohne meinen Befehl. Ihr, Churchill, nehmt die Axt und sprengt nöthigenfalls damit die Thür zur Kapitäns-Cabine. Doch, ich wiederhole es, ich muß ihn lebend haben!«

Gefolgt von zehn mit Säbeln, Seitengewehren und Pistolen bewaffneten Matrosen, glitt Christian nach dem Zwischendeck hinab; hier blieb er, nach Ausstellung zweier Wachen vor der Cabine des Stewards und Peter Heywoods, des Hochbootsmannes und Midshipmans der »Bounty«, vor der Thüre des Kapitäns stehen.

»Nun frisch, Jungens, rief er, stemmt die Schultern an!«

Die Thür gab unter dem gemeinsamen Druck nach und die Matrosen drangen in die Cabine ein.

Vielleicht erschreckt durch die darin herrschende Dunkelheit oder dadurch, daß ihnen unwillkürlich das Gesetzwidrige ihrer Handlungsweise in den Sinn kam, zögerten sie einen Augenblick.

»Hollah! Was giebt es? Wer erfrecht sich....? rief der Kapitän, von seinem Lager aufspringend.

– Ruhe, Bligh! fiel ihm Churchill in's Wort. Ruhe, oder ich lasse Dich knebeln!

– Brauchst Dich nicht erst anzuziehen, fügte Bob hinzu. Du wirst schon gut genug aussehen, wenn Du an der Besan-Gaffel baumelst.

– Bindet ihm nur die Hände auf den Rücken, Churchill, mahnte Christian, und laßt ihn nach dem Deck aufholen.

– Der schlimmste Kapitän ist doch nicht im geringsten zu fürchten, wenn man nur richtig mit ihm umzuspringen weiß!« bemerkte John Smith, der Philosoph der Bande.

Darauf stieg die ganze Rotte, ohne sich darum zu kümmern, ob die noch schlafenden Matrosen der letzten Wache darüber munter würden, die Treppe hinauf und erschien wieder auf dem Deck.

Es war eine ganz regelrechte Meuterei. Nur einer der Bordofficiere, ein Midshipman Young, hatte mit den Rebellen gemeinschaftliche Sache gemacht.


»Officiere und Matrosen!« begann er mit fester Stimme. (S. 195.)

»Officiere und Matrosen!« begann er mit fester Stimme. (S. 195.)


Die unschlüssigen Leute von der Besatzung mußten für den Augenblick nachgeben, während die übrigen aus Mangel an Waffen und an einem Anführer nur die Zuschauer des Dramas blieben, das sich vor ihren Augen abspielen sollte.

[192] Schweigsam standen jetzt Alle auf dem Deck; sie beobachteten die zuversichtliche Haltung ihres Kapitäns, der halbbekleidet mit erhobenem Haupte durch die Männer ging, die sonst vor ihm erzitterten.

»Bligh, begann da Christian mit rauher Stimme, Ihr seid hiermit von Eurem Commando abgesetzt.

– Dazu habt Ihr kein Recht...., erwiderte der Kapitän.

– Jetzt ist keine Zeit zu unnützen Erörterungen, rief Christian, Bligh unterbrechend. Ich bin augenblicklich der Vertreter für die gesammte Mannschaft [193] der »Bounty«. Wir hatten England noch nicht verlassen, als wir schon Ursache hatten, uns über Eure beleidigenden Verdächtigungen, Euer rohes Auftreten zu beklagen. Wenn ich sage »wir«, so gilt das von den Officieren ebensogut wie von den Matrosen. Weder haben wir jemals die uns zukommende Genugthuung erlangen können, Ihr habt auch alle unsere Klagen verächtlich abgewiesen. Sind wir denn Hunde, um uns jeden Augenblick auf die gemeinste Weise beschimpfen und mißhandeln zu lassen? Canaillen, Räuber, Lügner, Diebe.... Euch war kein Ausdruck stark genug, keine Beleidigung schwer genug für uns! Wahrlich, man müßte eben kein Mensch sein, um ein solches Leben zu ertragen! Und habt Ihr vielleicht mich, Euren Landsmann, mich, der Eure Familie kennt und schon zwei große Reisen unter Eurem Befehle mitmachte, etwa damit verschont? Habt Ihr mich nicht erst gestern noch beschuldigt, ein paar erbärmliche Früchte gestohlen zu haben? Und nun gar die Leute! Für ein Nichts in Eisen gelegt! Wegen einer Kleinigkeit vierundzwanzig mit dem Tauende! O, es bezahlt sich Alles in der Welt! Ihr seid uns gegenüber gar zu freigebig gewesen; jetzt, Bligh, kommt die Reihe an uns! Eure Beschimpfungen, Ungerechtigkeiten, alle die sinnlosen Beschuldigungen, die moralischen und physischen Qualen, die Ihr seit anderthalb Jahren auf Eure Mannschaft häuftet, jetzt sollt Ihr sie büßen, und zwar hart. Kapitän, Ihr seid von Denen gerichtet, die Ihr maßlos beleidigtet, und Ihr seid verurtheilt worden. – Ist es nicht so, Kameraden?

– Ja, ja, zum Tode verurtheilt! riefen die meisten Matrosen mit drohenden Geberden gegen den früheren Kapitän.

– Einige waren der Ansicht, Kapitän Bligh, fuhr Christian fort, Euch zwischen Himmel und Wasser an einem Strick aufzuhissen. Andere schlugen vor, Euch mit der neunschwänzigen Katze zu Tode zu peitschen. Doch nein, denen fehlt es an Phantasie. Da bin ich auf etwas Besseres gekommen. Uebrigens seid Ihr hier nicht der einzige Schuldige. Diejenigen, welche Eure Befehle, und wenn sie noch so grausamer Art waren, stets getreulich ausführten, würden doch nur mit größtem Widerwillen unter mir weiter dienen. Auch diese haben verdient, Euch zu folgen, wohin der Wind Euch treiben mag. – Die Schaluppe klar!«

Die letzten Worte Christian's riefen zunächst ein unwilliges Gemurmel hervor, der darauf jedoch wenig zu achten schien. Kapitän Bligh, welchen auch jene Drohungen nicht aus der Fassung zu bringen vermochten, benutzte die augenblickliche Pause, um selbst das Wort zu ergreifen.

[194] »Officiere und Matrosen, begann er mit fester Stimme, in meiner Eigenschaft als Officier der königlichen Marine und Befehlshaber der »Bounty« protestire ich feierlich gegen die Behandlung, die Ihr mir angedeihen laßt. Habt Ihr begründete Ursache, Euch über die Art und Weise meiner Führung zu beklagen, so laßt mich durch ein regelrechtes Kriegsgericht aburtheilen. Ihr habt offenbar nicht überlegt, welch' verbrecherische Wege Ihr wandelt. Wenn Ihr die Hand erhebt gegen Euren Kapitän, empört Ihr Euch gegen geheiligte Gesetze, macht Ihr Euch jede Rückkehr in die Heimat unmöglich und setzt Euch der Gefahr aus, als Seeräuber betrachtet zu werden! Früher oder später bedroht Euch ein schimpflicher Tod, der Tod der Verräther und Rebellen! Im Namen Eurer Ehre und des Gehorsams, den Ihr mir geschworen, ermahne ich Euch, zur Pflicht zurückzukehren!

– Welche Gefahren uns drohen, wissen wir schon allein! antwortete Churchill.

– Genug der Worte! rief die Mannschaft, bereit nun, zu Thaten überzugehen.

– Nun denn sagte Bligh, wenn Ihr ein Opfer haben wollt, so laßt es mich sein, mich allein! Die Anderen, welche Ihr in sinnloser Verblendung mit verdammt, haben ja nur meine Befehle ausgeführt, also selbst nichts verbrochen!«

Ein wüstes Geschrei übertönte die Stimme des Kapitäns, der darauf verzichten mußte, diese unerbittlichen Herzen zu rühren.

Inzwischen war Alles bereit gemacht worden, die Befehle Christian's auszuführen.

Da entstand noch eine lebhafte Unterhandlung zwischen dem zweiten Officier und einigen der meuterischen Matrosen, welche Kapitän Bligh und seine Helfershelfer gänzlich unbewaffnet und ohne die geringste Nahrung ausgesetzt wissen wollten.

Einzelne – und darunter vorzüglich Churchill – meinten, es sollten noch mehr, als bestimmt war, von dem Schiffe entfernt werden. Man müsse sich aller Leute entledigen, sagte er, die sich dem Complot nicht angeschlossen hätten also nicht als verläßlich zu betrachten seien. Es sei nur allein auf Die zu rechnen, welche sich mit den vollendeten Thatsachen allseitig einverstanden erklären. Er selbst fühle noch die Knutenhiebe auf dem Rücken, die er erhalten, als er auf Tahiti habe entweichen wollen. Das beste und sicherste Mittel, ihn bald zu heilen, sei das, ihm den Commandanten auszuantworten!.... Er werde sich schon auf eigene Hand zu rächen wissen!

[195] »Hayward! Hallett! rief Christian, sich an die genannten beiden Officiere wendend, ohne der Reden Churchills zu achten, steigt in die Schaluppe hinab!

– Was that ich Euch zuleide, Christian, um eine solche Behandlung zu verdienen? fragte Hayward. Ihr schickt mich in den Tod!

– Jeder Widerspruch ist unnütz! Wollt Ihr gehorchen oder nicht?.... Fryer, Ihr macht Euch ebenfalls fertig!«

Statt sich in die Schaluppe zu begeben, näherten sich diese Officiere dagegen dem Kapitän Bligh, und Fryer, scheinbar der entschlossenste derselben, neigte sich zu ihm mit den Worten:

»Commandant, wollen Sie versuchen, sich des Schiffes wieder zu bemächtigen? Freilich sind wir ohne Waffen, doch werden die Meuterer uns kaum zu widerstehen wagen. Was thut es, ob der oder jener von uns dabei fällt? Der Versuch ist zu wagen. Was meinen Sie dazu?«

Schon wollten sich die Officiere auf die Empörer stürzen, die damit beschäftigt waren, die Schaluppe vollends in's Meer zu setzen, als Churchill, dem jene flüchtigen Worte nicht entgangen waren, sie mit einigen wohlbewaffneten Leuten umringte und mit Gewalt in die Schaluppe beförderte.

»Millward, Muspratt, Birket und Ihr Uebrigen, sagte Christian, zu einigen an der Meuterei unbetheiligt gebliebenen Matrosen, geht nach dem Zwischendeck und nehmt mit, was Ihr da an Werthgegenständen habt! Ihr werdet Kapitän Bligh begleiten. Du, Morrison, überwachst mir die Kerle! Und Ihr, Purcel, holt Euer Zimmermanns-Handwerkzeug! Ich gestatte Euch, es mitzunehmen.«

Zwei Masten mit den nöthigen Segeln, einige Nägel, eine Säge, ein halbes Stück Segelzeug, vier kleine Fässer mit zusammen 125 Liter Wasser, 150 Pfund Schiffszwieback, 32 Pfund Salzfleisch, 6 Flaschen Wein, ebensoviel Rum und die Liqueurvorräthe des Kapitäns, das war Alles, was man den Ausgesetzten mit auf den Weg gab. Zuletzt warf man ihnen noch einige alte Säbel zu, verweigerte ihnen aber jede Feuerwaffe.

»Wo sind denn Heywood und Stewart? fragte der Kapitän noch aus der Schaluppe heraus. Haben sie mich verrathen?«

Die Genannten waren dessen nicht schuldig, doch Christian beabsichtigte, Beide an Bord zu behalten.

Jetzt überfiel den Kapitän doch eine gewiß verzeihliche Anwandlung von Muthlosigkeit und Schwäche, die indeß nicht lange andauerte.

[196] »Christian, redete er diesen noch einmal an, ich verpfände Euch mein Ehrenwort, alles Vorgefallene zu vergessen, wenn Ihr von diesem unmenschlichen Beschlusse absteht! Ich flehe Euch an, denkt an mein Weib, an meine Familie; was soll aus ihnen werden, wenn ich nicht mehr bin?

– Hättet Ihr Ehre im Leibe, erwiderte Christian, so wäre es nicht dahin gekommen, wie es jetzt steht. Hättet Ihr nur selbst mehr an Eure Frau, Eure Familie und an die Angehörigen der Anderen gedacht, so konntet Ihr gar nicht so hart, so ungerecht gegen uns handeln!«

Auch der Bootsmann versuchte noch, als er in die Schaluppe trat, Christian zu erweichen. Vergebens.

»Ich habe zu viel, zu lange gelitten, antwortete Letzterer mit Bitterkeit. Ihr wißt nicht, was ich erduldete! Nein, das konnte keinen Tag mehr so fortgehen! Und übrigens wißt Ihr wohl nicht, daß ich, als zweiter Officier, während der ganzen Reise wie ein Hund behandelt wurde! – Wenn ich mich jetzt von dem Kapitän Bligh befreie, den ich wahrscheinlich von Angesicht zu Angesicht nie wieder sehe, so will ich ihm, aus Mitleid, doch nicht jede Aussicht auf Rettung rauben. – Smith, geht nach der Cabine des Kapitäns und bringt ihm seine Kleidung, sein Patent, das Journal und sein Portefeuille. Dazu mag er meine Seekarten und meinen eigenen Sextanten erhalten. So wird es ihm vielleicht möglich werden, sich und seinen Gefährten auch in dieser bedenklichen Lage zu helfen!«

Christian's Anordnungen wurden, nicht ohne einigen Widerspruch, zur Ausführung gebracht.

»Und nun, Morrison, laß die Leine schießen, rief der zweite Officier, jetzt der Erste des Fahrzeuges, und möge Gott Euch gnädig sein!«

Während die Meuterer dem Kapitän Bligh und dessen unglücklichen Gefährten ein spöttisches Lebewohl zuriefen, konnte Christian, der an der Schanzkleidung lehnte, die Augen von der sich entfernenden Schaluppe nicht abwenden. Der brave Officier, dessen bisher so loyales und freimüthiges Verhalten ihm das Lob aller Befehlshaber, unter denen er gedient, erworben hatte, war heute doch weiter nichts als der Anführer einer Bande von Seeräubern! Ihm war es nicht mehr vergönnt, seine bejahrte Mutter, die trauernde Braut oder die Ufer der Insel Man, seiner Heimat, je wiederzusehen. Er fühlte sich gesunken in der eigenen Achtung, entehrt in den Augen aller Anderen! Die Reue folgte schon auf den Fehltritt.

[197]

2. Capitel

Zweites Capitel.
Die Ausgesetzten.

Mit ihren achtzehn Insassen, Officieren und Matrosen, und dem nur geringen Vorrath an Proviant, ging die Schaluppe, welche Bligh jetzt trug, doch so tief, daß sie die Meeresoberfläche kaum um fünfzehn Zoll überragte. Bei einer Länge von einundzwanzig und einer Breite von sechs Fuß erschien sie zwar ganz geeignet zum Dienste der »Bounty«; aber eine so zahlreiche Besatzung zu tragen und eine so weite Fahrt zurückzulegen, konnte man wohl kaum ein ungeeigneteres Fahrzeug finden.

Im Vertrauen auf die Energie und Geschicklichkeit des Kapitän Bligh sowohl, als der mit ihnen das gleiche Los theilenden Officiere, ruderten die Matrosen kräftig, und schnell durchschnitt die Schaluppe die Wellen.

Bligh war sich von Anfang an klar, was er zu thun habe. Zunächst galt es, so schnell als möglich die Insel Tofoa, die erste des benachbarten Archipels der Freunde, wieder zu erreichen, die sie erst wenige Tage vorher verlassen hatten; dort gedachte er Brotbaumfrüchte einzunehmen, den Wasservorrath zu erneuern und von da aus nach Tonga-Tabu zu steuern. Auf letzterer vermochte man sich zweifelsohne eine genügende Menge an Lebensmitteln zu verschaffen, um die Ueberfahrt nach den holländischen Besitzungen von Timor wagen zu können, wenn man aus Furcht vor den Eingebornen auch die auf diesem Wege verstreuten zahllosen Inselgruppen meiden mußte.

Der erste Tag verlief ohne Zwischenfall und mit einbrechender Nacht schon kamen die Küsten Tosoas in Sicht. Leider waren diese zu felsig und der Strand zu steil, um während der Nacht daselbst landen zu können. Man mußte also den Tag abwarten.

Bligh hielt streng darauf, die Provisionen der Schaluppe nicht ohne die dringendste Nothwendigkeit in Anspruch zu nehmen. Die Insel sollte seinen Leuten und ihm die nöthige Nahrung liefern. Das schien nicht so leicht zu sein, denn als sie an's Land stiegen, fanden sie zuerst keine Spur von menschlichen Wohnungen. Dennoch erschienen bald einige Eingeborne, welche in Folge des [198] gefundenen wohlwollenden Empfanges auch noch andere herbeiholten, durch deren Vermittelung etwas Trinkwasser und einige Cocosnüsse zu erlangen waren.

Bligh kam indessen in nicht geringe Verlegenheit. Was sollte er den Eingebornen sagen, die schon bei der letzten Rast mit der »Bounty« verkehrt hatten? Jedenfalls mußte ihnen die Wahrheit verborgen bleiben, um nicht das Ansehen auf's Spiel zu setzen, das die Fremdlinge auf dieser Insel bisher genossen hatten.

Sollte er vorgeben, sie kämen nur, um für die auf hoher See zurückgebliebene »Bounty« Proviant zu holen? Das erschien unmöglich, da das Schiff, selbst vom Gipfel der benachbarten Hügel, nicht sichtbar war. Oder das Fahrzeug habe Schiffbruch gelitten und die Eingebornen sähen in ihnen die einzigen Ueberlebenden des Unfalles? Das schien noch am glaublichsten. Vielleicht rührte es jene und veranlaßte sie, die Provisionen der Schaluppe noch weiter zu vervollständigen. Bligh ergriff also die Ausflucht, so gefährlich sie auch schien, und verabredete sich mit seinen Leuten, damit Alle bei einerlei Rede blieben.

Beim Anhören dieser Erzählung gaben die Eingebornen jedoch weder ein Zeichen der Freude noch des Bedauerns zu erkennen. In ihren Gesichtern prägte sich nur ein unverholenes Erstaunen aus, das ihre Gedanken in keiner Weise errathen ließ.

Am 2. Mai vergrößerte sich die Anzahl der auch von anderen Inseln herbeigekommenen Eingebornen ganz ungewöhnlich, und Bligh bemerkte bald, daß sie nichts Gutes im Schilde führten. Einige derselben versuchten sogar, das Boot auf das Ufer zu ziehen, und ließen davon nur bei dem ernsthaften Dazwischentreten des Kapitäns wieder ab, der sie mit einem Seitengewehre bedrohte. Inzwischen brachten einige seiner Leute, welche Bligh auf Kundschaft ausgeschickt hatte, drei Gallonen Wasser herbei.


Während die Meuterer den Ausgesetzten ein spöttisches Lebewohl zuriefen... (S. 197.)

Nun schien es Zeit, die ungastliche Insel zu verlassen. Mit Untergang der Sonne war Alles bereit, doch konnte man zu der Schaluppe nur schwierig gelangen. Das Ufer bedeckte eine Menge Eingeborner, welche Steine aneinander schlugen, offenbar bereit, mit denselben zu werfen. Die Schaluppe mußte sich demnach einige Toisen vom Ufer entfernt halten und durfte nur anlaufen, wenn Alle sofort hineinspringen konnten.

Die durch diese kriegerischen Vorbereitungen nicht wenig beunruhigten Engländer drängten sich nun an's Ufer mitten durch einige Hundert Insulaner, welche nur ein Signal zu erwarten schienen, um sich auf sie zu werfen. Dennoch kamen Alle glücklich in das Boot, als ein Matrose mit Namen Bancroft die [199] unselige Idee hatte, noch einmal an's Ufer zurückzukehren, um etwas zu holen, was er da vergessen habe. Binnen einer Secunde war der Arme umringt und mit Steinen erschlagen, ohne daß seine Gefährten wegen Mangels an Feuerwaffen ihm hätten Hilfe leisten können. Uebrigens hagelte auch gleichzeitig auf sie selbst ein Regen von Steinen herab.

»Nun darauf, Jungens, rief Bligh, schnell an die Riemen und zieht scharf an!«

Da wateten auch die Eingebornen in's Meer und überschütteten das Boot auf's Neue mit einem Hagel von Strandsteinen. Mehrere Leute trugen dabei [200] Wunden davon. Hayward ergriff jedoch einen in das Fahrzeug hineingefallenen Stein, zielte nach einem der Angreifer und traf ihn glücklich zwischen die Augen. Der Wilde stürzte mit einem Schrei zusammen, den die Engländer mit lautem Hurrah beantworteten. Ihr unglücklicher Kamerad war gerächt.

Inzwischen stießen mehrere Piroguen vom Ufer ab und begannen sie zu verfolgen. Diese Jagd hätte natürlich mit einem bezüglich seines Ausganges nicht zweifelhaften Kampfe schließen müssen, als der Hochbootsmann einen glücklichen Einfall hatte.


Die Wellen wuchsen dabei so sehr an. (S. 203.)

Gewiß ohne Ahnung davon, daß er damit Hippomenes in [201] dessen Streite mit der Atlante nachahme, zog er seine Jacke aus und warf diese in's Meer. Die Eingebornen blieben, die Beute für deren Schatten freigebend, beim Aufsuchen derselben etwas länger zurück, wodurch die Schaluppe Zeit gewann, die Spitze der Bai zu umschiffen.

Dazu ward es auch allmälich dunkel, und entmuthigt gaben die Wilden bald ihre Jagd auf das Boot gänzlich auf.

Dieser erste Landungsversuch fiel also zu unglücklich aus, um zur Wiederholung eines solchen einzuladen; das war wenigstens die Ansicht des Kapitän Bligh.

»Jetzt gilt es, einen männlichen Entschluß zu fassen, sagte er. Der eben vorgekommene Auftritt wird sich ohne Zweifel in Tonga-Tabu und überall, wo wir etwa anzulegen versuchen, wieder erneuern. Unsere geringe Anzahl und der Mangel an Schußwaffen giebt uns stets der Gnade und Ungnade der Eingebornen preis. Ohne jede Tauschwaare vermögen wir Lebensmittel nicht einzuhandeln, und sind doch nicht im Stande, uns diese mit Gewalt zu verschaffen. Wir bleiben eben darauf angewiesen, uns mit eigenen Mitteln durchzuhelfen, so gut es geht. Ihr Alle wißt, so gut wie ich, wie mangelhaft diese bestellt sind! Thun wir aber nicht besser daran, uns mit denselben zu begnügen, als bei jeder versuchten Landung das Leben eines oder mehrerer von uns auf's Spiel zu setzen? Ich mag Euch indeß das furchtbar Bedrohliche unserer Lage nicht verhehlen. Um nach Timor zu gelangen, haben wir nahezu 1200 Meilen zurück zulegen und müssen dann täglich mit zwei Loth Schiffszwieback und einer Viertel Pinte Wasser auszukommen suchen. Nur um diesen Preis ist eine Rettung möglich und dann auch nur in dem Falle, daß Ihr mir unweigerlich Folge leistet. Antwortet mir ohne Rückhalt! Seid Ihr entschlossen zu diesem Wagniß? Schwört Ihr, meinen Anordnungen, sie mögen lauten, wie sie wollen, stets nachzukommen? Versprecht Ihr, jede Entbehrung ohne Murren zu ertragen?

– Ja, ja, das schwören wir! riefen einstimmig die Genossen des Kapitän Bligh.

– Meine Freunde, fuhr dieser fort, laßt unser gegenseitiges Unrecht, unsere Abneigungen, unseren Haß vergessen sein. Widmen wir uns, ohne persönlichen Groll dem Interesse Aller, das uns allein leiten mag!

– Wir versprechen es!

– Wenn Ihr ehrlich Wort haltet, so schloß Bligh, und nöthigenfalls würde ich das zu erzwingen wissen, so stehe ich für unsere Rettung!«

[202] Man schlug nun einen Kurs nach Westnordwesten ein. Der bisher ziemlich starke Wind gestaltete sich am Abend des 4. Mai zum Sturme. Die Wellen wuchsen dabei so sehr an, daß das Boot zwischen ihnen vollständig verschwand. Mit jedem Augenblicke steigerte sich die Gefahr. Durchnäßt und durchkältet, hatten die Unglücklichen an diesem Tage zur Stärkung nichts Anderes als eine Tasse Thee mit Rum und das Viertel einer halbverfaulten Brotfrucht.

Am nächsten Morgen, sowie während der folgenden Tage trat keinerlei Aenderung ein. Das Boot glitt zwischen zahllosen Inseln und Eilanden dahin, von welchen da und dort Piroguen nach demselben abstießen.

Wollten sie es verfolgen oder versuchten sie nur, Tauschhandel zu treiben? Im Zweifel darüber wäre es unklug gewesen, anzuhalten. Mit Hilfe ihrer von günstigem Winde geschwellten Segel ließ die Schaluppe jene auch bald weit hinter sich zurück.

Am 9. Mai brach ein furchtbares Gewitter los. Blitz und Donner folgten sich ohne Unterlaß. Der Regen stürzte in solchen Strömen herab, daß auch die heftigsten Gewitter unserer Klimate davon keine Vorstellung zu geben vermögen. An ein Trocknen der Kleidungsstücke war lange Zeit gar nicht zu denken. Da kam Bligh darauf, dieselben in's Meer zu tauchen und dadurch mit Salz zu tränken, um der Haut wieder etwas von der durch den Regen entzogenen Wärme wiederzugeben. Jedenfalls ersparten diese Platzregen, welche dem Kapitän und seinen Begleitern so vieles Ungemach verursachten, ihnen doch eine andere schrecklichere Qual, nämlich die des brennenden Durstes, den die unausstehliche Hitze gewiß schnell hervorgerufen hätte.

Am 17. Mai, dem Morgen nach einem furchtbaren Unwetter, singen aber doch Alle zu klagen an.

»Wir werden unmöglich genug bei Kräften bleiben, um Neu-Holland zu erreichen, jammerten Alle einstimmig. Durchnäßt vom Regen und von Anstrengungen erschöpft, finden wir ja keinen Augenblick Ruhe. Werden Sie jetzt, Kapitän, wo wir schon halb Hungers sterben, nicht die Rationen vergrößern? Was schadet es, wenn unsere Vorräthe zu Ende gehen? In Neu-Holland werden wir sie ja leicht ersetzen können!

– Nein, dem kann ich nicht zustimmen, erwiderte Bligh, das hieße als Thoren zu handeln. Wie, jetzt nach Zurücklegung kaum der Hälfte des Weges nach Australien, seid Ihr schon muthlos? Glaubt Ihr denn, auf der Küste Neu-Hollands so leicht Lebensmittel zu finden? Da kennt Ihr Land und Leute dort nur schlecht!«

[203] In kurzen Zügen schilderte Bligh darauf die Natur des Bodens, die Sitten der Eingebornen und die geringe Aussicht auf wohlwollenden Empfang seitens derselben, Alles nach eigenen Erfahrungen von seinen Erdumsegelungen mit Kapitän Cook her darstellend. Noch einmal gaben sich seine beklagenswerthen Leidensgefährten zufrieden und schwiegen still.

Während der folgenden vierzehn Tage blieb es klarer Sonnenschein, bei dem man wenigstens die Kleider trocknen konnte. Am 27. fuhr das Boot durch den Riffgürtel an der Ostseite Neu-Hollands. Hinter dieser madreporischen Kette lag das Meer ruhig und einige Inselgruppen ergötzten das Auge mit ihrer exotischen Pflanzenpracht.

Mit großer Vorsicht ging man an's Ufer. Hier zeigten sich keine anderen Spuren von einem Aufenthalte Eingeborner, als alte Feuerstellen. Endlich winkte also eine ruhige Nacht auf festem Lande.

Aber essen, essen wollte Jeder. Glücklicher Weise entdeckte einer der Matrosen eine Austernbank. Das war einmal ein Schmaus.

Am folgenden Tage fand Bligh in der Schaluppe noch ein Vergrößerungsglas, einen Feuerstahl und Schwefelfaden. Jetzt konnte man also auch Feuer entzünden, um Wild oder Fische zu kochen.

Der Befehlshaber trennte nun seine Leute in drei Abtheilungen; die eine sollte das Fahrzeug in gutem Stande erhalten, die beiden anderen aber zur Aufsuchung von Nahrungsmitteln ausziehen. Mehrere Leute beklagten sich darüber jedoch sehr bitter und wollten lieber das Essen entbehren, als sich in das Land hineinwagen.

Einer derselben, ein heftigerer und rücksichtsloserer Mensch als seine Kameraden, verging sich sogar noch weiter.

»Ein Mann gilt so viel wie der Andere, sagte er zu dem Kapitän, und ich sehe nicht ein, warum Sie immer hier bleiben sollen, um der Ruhe zu pflegen; wenn Sie Hunger haben, so suchen Sie sich selbst etwas zu essen. Für die Arbeit, die Sie hier verrichten, will ich gern Ihre Stelle vertreten!«

Bligh, der sich sagte, daß jede Anwandlung von neuer Meuterei im Keime erstickt werden müsse, ergriff sein Seitengewehr, warf dem Manne ein anderes zu und rief:

»Jetzt wehre Dich Deiner Haut, oder ich tödte Dich wie einen Hund!«

Dieses entschlossene Auftreten brachte den Unzufriedenen schnell wieder zu Verstand und bald herrschte allgemeine Ruhe.

Während des hiesigen Aufenthaltes fehlte es den Insassen der Schaluppe nie an Austern, Kammmuscheln und Trinkwasser.

[204] Etwas weiter hin in der Endeavour-Straße kehrte zwar die eine Abtheilung der Leute, welche Schildkröten und Meerschwalben hatte fangen wollen, mit leeren Händen zurück; die zweite brachte dagegen sechs Meerschwalben mit und hätte, ohne das zweckwidrige Benehmen eines der Jäger, der durch seine Entfernung von den Anderen die Vögel vorzeitig verscheuchte, leicht noch mehr einfangen können. Jener Mann gestand übrigens später ein, daß er selbst neun Stück gefangen und auf der Stelle in rohem Zustande verzehrt habe.

Ohne die Lebensmittel und das Trinkwasser, die ihnen die Küste Neu-Hollands lieferte, wären Bligh und seine Gefährten ohne Zweifel umgekommen. Alle waren übrigens in elendem, abgezehrtem, kraftlosem Zustande – wahrhaft lebende Skelete.

Die Fahrt über das Meer nach Timor gestaltete sich nur zu einer schmerzlichen Wiederholung der Qualen, welche die Unglücklichen schon einmal ausgestanden hatten, bevor sie nach Neu-Holland gelangten.

Nun war die Widerstandsfähigkeit Aller gegen früher merklich schwächer. Schon nach wenigen Tagen schwollen ihnen die Beine an. In diesem Zustande grenzenloser Schwäche überfiel sie überdies eine kaum zu widerstehende Schlafsucht, die Vorzeichen des Endes, das nicht lange auf sich warten lassen konnte. Da auch Bligh das durchschaute, vertheilte er an die Kraftlosesten eine doppelte Ration und suchte ihnen auf jede Weise neue Hoffnung einzuflößen.

Endlich am Morgen des 12. Juni kam Timor in Sicht, nach einer unter so grauenvollen Verhältnissen zurückgelegten Fahrt von 1200 Meilen.

In Cupang fanden die Engländer die herzlichste Aufnahme. Hier verweilten sie zu ihrer Kräftigung zwei Monate lang. Dann begab sich Bligh mit einem erkauften kleinen Schooner nach Batavia, von wo er sich zur Heimkehr nach England einschiffte.

Am 14. März 1790 landeten die Ausgesetzten in Portsmouth. Die Erzählung der entsetzlichen Qualen, die sie erduldet, erweckte ihnen ebenso die allgemeine Sympathie wie den Abscheu aller Menschen von Gefühl gegen die Urheber jener Frevelthat. Fast auf der Stelle befahl die Admiralität die Ausrüstung der Fregatte »Pandora« mit vierundzwanzig Geschützen und hundertsechzig Mann Besatzung, und sandte diese zur Verfolgung der Meuterer von der »Bounty« aus. Der Leser wird aus dem Nachfolgenden erfahren, was aus diesen geworden ist.

[205]

3. Capitel

Drittes Capitel.
Die Meuterer.

Nachdem Kapitän Bligh auf hohem Meere ausgesetzt war, segelte die »Bounty« zunächst nach Tahiti. Sie erreichte an demselben Tage Tubuaï. Das lachende Aussehen dieser kleinen, von einem madreporischen Felsengürtel umgebenen Insel, veranlaßte Christian, daselbst zu landen; die Eingebornen traten aber so drohend und feindselig auf, daß man davon absah.

Am 6. Juni 1789 ankerte man auf der Rhede von Matavaï. Die Tahitier verwunderten sich nicht wenig, als sie die »Bounty« wieder erkannten. Die Meuterer fanden hier dieselben Eingebornen wieder, mit denen sie bei ihrem letzten Aufenthalte verkehrt hatten, und erzählten diesen eine Fabel, in welche sie den Namen Cooks, der bei den Tahitiern noch in bestem Ansehen stand, geflissentlich einmischten.

Am 29. Juni segelten die Meuterer wieder nach Tubuaï zu ab und bemühten sich nun, eine außerhalb der gewöhnlichen Schiffsstraßen gelegene Insel zu finden, deren Boden fruchtbar genug erschien, sie zu ernähren, und welche ihnen für die Zukunft hinreichende Sicherheit gewährte. So irrten sie von Archipel zu Archipel, überall Erpressungen und Verbrechen verübend, denen Christian's Autorität nicht immer zu steuern vermochte.

Noch einmal kehrten sie, von der Fruchtbarkeit Tahitis und den sanften, zugänglichen Gewohnheiten der Bewohner desselben angelockt, nach der Insel Matavaï zurück. Dort gingen zwei Drittel der Mannschaft an's Land. Noch an demselben Abend aber lichtete die »Bounty« die Anker und verschwand, ehe den ausgeschifften Matrosen nur der Verdacht aufstieg, daß Christian die Absicht haben könne, ohne sie abzufahren.

Sich selbst überlassen, hatten sich die Leute ohne große Schwierigkeit bald auf verschiedenen Punkten der Insel angesiedelt. Der Schiffsmeister Stewart und der Midshipman Heywood, die beiden Officiere, welche Christian mit der gegen Bligh ausgesprochenen Verurtheilung verschont und gegen ihren Willen mitgenommen hatte, blieben in Mataval bei dem König Tippao, dessen Schwester Stewart bald darauf heiratete. Morrison und Millward begaben sich zu dem[206] Häuptling Peno, der sie wohlwollend aufnahm. Die übrigen Matrosen verstreuten sich im Innern der Insel und gingen ebenfalls bald eheliche Verbindungen mit Tahitierinnen ein.

Churchill und ein wüthender Narr Namens Thompson kamen, nachdem sie allerlei Verbrechen verübt, selbst miteinander in Streit. Churchill wurde dabei getödtet und Thompson von den Eingebornen gesteinigt. So endeten zwei der Meuterer, welche an der Rebellion den meisten Antheil genommen hatten. Die Anderen wußten sich dagegen durch ihre gute Aufführung bei den Tahitiern beliebt zu machen.

Morrison und Milward sahen freilich immer das Richtschwert über ihrem Haupte hängen und konnten auf dieser Insel nicht ruhig leben, wo sie zu leicht entdeckt zu werden fürchteten. Sie beschlossen also, einen Schooner zu bauen, auf dem sie hofften, Batavia zu erreichen, um sich dann mitten in der civilisirten Welt zu verlieren. Mit acht ihrer Kameraden gelang es ihnen ohne andere Werkzeuge als mit denen des Zimmermanns nicht ohne Mühe, ein kleines Schiff herzustellen, das sie die »Resolution« tauften und in einer Bai hinter einem Landvorsprünge Tahitis, der Venus-Spitze, einstweilen anlegten. Die absolute Unmöglichkeit aber, sich Segel zu verschaffen, verhinderte sie, in See zu stechen.

Während dieser Zeit cultivirte, im Gefühl ihrer Unschuld, Stewart einen Garten und sammelte Heywood Material zu einem Wörterbuch, das später den englischen Missionären sehr wesentliche Dienste leistete.

Inzwischen waren achtzehn Monate vergangen, als am 23. März 1791 ein Schiff die Venus-Spitze umsegelte und in der Bai von Matavaï vor Anker ging Es war die von der englischen Regierung zur Verfolgung der Meuterer ausgesandte »Pandora«.


Man ankerte auf der Rhede von Matavaï. (S. 207.)

Heywood und Stewart eilten an Bord, gaben ihre Namen und frühere Stellung an und hoben natürlich hervor, daß sie an der Meuterei keinen Antheil gehabt hätten; man glaubte ihren Worten aber nicht, sondern legte sie in Ketten, so wie alle Anderen, deren man habhaft wurde, ohne auch nur eine Untersuchung vorzunehmen. Mit abscheulichster Unmenschlichkeit behandelt, mit Ketten belastet und immer von einer Kugel bedroht, wenn sie sich der tahitischen Sprache untereinander bedienten, wurden sie in einem nur elf Fuß langen Kerker eingesperrt, der auf dem äußersten Hinterkastell seinen Platz fand und den ein Liebhaber der Mythologie die »Pandora-Büchse« nannte.

[207] Am 19. Mai liefen die »Resolution«, die nun mit Segeln versehen worden war, und die, »Pandora« auf das Meer aus. Drei Tage lang kreuzten die Fahrzeuge zwischen dem Archipel der Freunde, wo man Christian und die übrigen Rebellen verborgen glaubte. Die »Resolution« leistete, weil sie nur geringen Tiefgang hatte, während dieses Kreuzzuges sogar sehr wichtige Dienste; sie verlor sich aber von dem anderen Schiffe in der Gegend der Insel Chatam, und obwohl die »Pandora« mehrere Tage lang in Sicht derselben blieb, hörte man doch von ihr und von den fünf Seeleuten, die sie führten, niemals ein Wörtchen wieder.

[208] Die »Pandora« hatte mit ihren Gefangenen den Weg nach Europa eingeschlagen, stieß aber in der Torres-Enge auf eine Klippe und versank fast augenblicklich mit einunddreißig Matrosen und vier der Rebellen.

Die Mannschaft und diejenigen Gefangenen, welche sich aus dem Schiffbruche retteten, erreichten in der Nähe ein sandiges Eiland. Hier konnten Officiere und Matrosen sich nothdürftig unter einem Zelte bergen, während man die Meuterer, welche dem glühenden Sonnenbrande ausgesetzt waren, zur größeren Sicherheit und auch zur eigenen Erleichterung bis an den Hals in Sand eingrub.


John Adams war der einzige Ueberlebende. (S. 212.)

[209] Einige Tage blieben die Schiffbrüchigen auf diesem Eilande, dann kamen sie mittelst der Schaluppe der »Pandora« nach Timor, wobei trotz der mißlichsten Umstände die strenge Bewachung der Gefangenen nicht einen Augenblick vernachlässigt wurde.

Im Juni 1702 in England angekommen, wurden die Meuterer vor ein Kriegsgericht unter dem Vorsitze des Admirals Hood gestellt. Sechs Tage nahmen die Verhandlungen in Anspruch und endeten mit der Freisprechung von vier Angeklagten und der Verurtheilung anderer Sechs zum Tode wegen des Verbrechens der Desertion und Wegnahme des ihnen anvertrauten Schiffes. Vier der Verurtheilten wurden an Bord eines Kriegsschiffes durch den Strang gerichtet, Stewart und Peter Heywood aber, deren Unschuld endlich an den Tag kam, vollkommen begnadigt.

Was war aber aus der »Bounty« geworden? Hatte sie mit dem Reste der Rebellen Schiffbruch gelitten? Darüber wußte Niemand auch nur das geringste.

Im Jahre 1814, fünfundzwanzig Jahre nach den im Anfang dieser Erzählung geschilderten Auftritten, kreuzten unter Befehl des Kapitän Staines zwei englische Kriegsfahrzeuge in Oceanien. Sie befanden sich eben im Süden des Gefährlichen Archipels und in Sicht einer bergigen Insel vulcanischen Ursprungs, die schon Carteret bei seiner Erdumsegelung entdeckt und der er den Namen Pitcairn gegeben hatte. Sie bildete nur einen Kegel fast ohne Vorland, der sich steil aus dem Meere erhob und den bis zum Gipfel Palmenwälder und Dickichte von Brotfruchtbäumen bedeckten. Nie war diese Insel bisher besucht worden; sie lag 1200 Meilen von Tahiti unter 25°4' südlicher Breite und 180°8' westlicher Länge, maß nur vierundeinhalb Meilen im Umfange, anderthalb Meilen der Länge nach und war nicht weiter bekannt, als was der Bericht Carteret's über dieselbe enthielt.

Kapitän Staines beschloß, sie näher zu untersuchen und nach einem einigermaßen brauchbaren Landungsplatz an derselben auszuspähen.

Bei Annäherung an die Küste erstaunte er nicht wenig, Hütten und Anpflanzungen zu erblicken, während zwei Eingeborne vom Strande aus in ein Boot eilten, geschickt durch die Brandung ruderten und auf sein Schiff zukamen. Sein Erstaunen hatte aber keine Grenzen, als er sich plötzlich in reinstem Englisch anrufen hörte:

»He, Ihr da, werft uns doch ein Seil zu, damit wir an Bord kommen können!«

[210] Kaum auf das Deck gelangt, wurden die beiden handfesten Ruderer von den erstaunten Matrosen umringt und mit einem Schwall von Fragen bestürmt, die sie kaum zu beantworten vermochten. Der Commandant ließ sie vor sich führen und fragte sie nun erst ordentlich aus.

»Wer seid Ihr?

– Ich heiße Fletcher Christian und mein Kamerad heißt Young.«

Diese Namen hatten für Kapitän Staines, dem es gar nicht einfiel, an die Ueberlebenden der »Bounty« zu denken, keinerlei Bedeutung.

»Seit wann seid Ihr hier?

– Wir sind hier geboren.

– Wie alt seid Ihr?

– Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt, antwortete Christian, und Young achtzehn.

– Wurden Eure Eltern durch einen Schiffbruch auf diese Insel verschlagen?«

Christian machte dem Kapitän auf diese Frage ein erschütterndes Geständniß, das in der Hauptsache wie folgt lautete:

Als er von Tahiti unter Zurücklassung von einundzwanzig Kameraden wegsegelte, steuerte Christian, der einen Bericht der Reise Carteret's auf der »Bounty« fand, direct nach der Insel Pitcairn, deren Lage ihm für seine Zwecke besonders geeignet schien. Achtundzwanzig Personen befanden sich damals auf der »Bounty«. Es waren das Christian, der Aspirant Young nebst sieben Matrosen, sechs von Tahiti mitgenommene Eingeborne, davon drei mit ihren Frauen und einem zehnmonatlichen Kinde und endlich drei Männer und sechs Frauen aus Rubuaï.

Sobald sie die Insel Pitcairn betreten, war es Christian's und seiner Gefährten erste Sorge, die »Bounty« zu zerstören, um nicht durch das Schiff verrathen zu werden. Freilich beraubten sie sich damit jeder Möglichkeit, die Insel je wieder verlassen zu können, doch erheischte die Sorge für ihre Sicherheit diese Maßregel, zu der sie sich immerhin nur ungern entschlossen.

Die Ansiedelung der kleinen Kolonie verursachte jedoch manche Schwierigkeiten, da es sich um Leute handelte, welche meist nur die Gemeinsamkeit eines Verbrechens aneinander kettete. Zwischen Tahitiern und Engländern kam es bald zu blutiger Fehde. Im Jahre 1794 lebten nur noch vier von den Meuterern. Christian fiel unter dem Messer eines Eingebornen, den er halb gewaltsam mit hierhergebracht hatte. Dafür büßten wieder alle Tahitier mit dem Tode.

[211] Einer der Engländer, dem es geglückt war, aus der Wurzel einer einheimischen Pflanze ein spirituöses Getränk herzustellen, ergab sich einer maßlosen Trunksucht und stürzte sich zuletzt, während eines Anfalles von Delirium tremens, von einem Uferfelsen in's Meer.

Ein Anderer wurde wahnsinnig und packte einst Young und einen Matrosen, Namens John Adams, die jenen tödten mußten, um sich seiner zu erwehren. Im Jahre 1800 starb Young in Folge eines schweren Asthma-Anfalles.

Jetzt war John Adams allein noch von den Rebellen übrig.

In seiner Verlassenheit mit mehreren Frauen und zwanzig, aus der Ehe seiner Kameraden mit Tahitierinnen stammenden Kindern, hatte John Adams' Charakter eine tiefgehende Umänderung erfahren. Er zählte jetzt erst sechsunddreißig Jahre; seit langer Zeit aber hatte er so viele gewaltthätige und blutige Auftritte gesehen und die menschliche Natur in so verderbtem Zustande beobachtet, daß er in sich ging und ein ganz anderer Mensch wurde.

In der auf der Insel erhaltenen Bibliothek der »Bounty« befanden sich eine Bibel und verschiedene Andachtsbücher. John Adams las diese häufig, bekehrte sich, erzog die junge Generation der Insel, als deren Vater er sich betrachtete, nach den besten Grundsätzen, und wurde – eine natürliche Folge der Verhältnisse – der Gesetzgeber, Oberpriester und sozusagen der König von Pitcairn.

Bis zum heutigen Tage verließ ihn aber eine gewisse Unruhe nicht. Als sich ein Schiff im Jahre 1795 Pitcairn näherte, verbargen sich die vier Ueberlebenden der »Bounty« in unzugänglichen Wäldern und wagten sich erst nach dem Verschwinden jenes Fahrzeuges wieder an das Tageslicht. Ebenso geschah es 1808 bei der Landung eines amerikanischen Kapitäns an derselben Insel, der einen Chronometer und eine Boussole mit wegnahm, die er der englischen Admiralität zustellte, welche diesen Ueberresten der »Bounty« indeß keine sonderliche Beachtung schenkte. Freilich hatte diese jener Zeit in Europa wichtigere und höchst ernsthafte Aufgaben.

So lautete der Bericht der beiden Eingebornen, von Vaterseite zwei Engländer, denn der eine war Christian's, der andere Young's eigener Sohn, an den Kapitän Staines; als Letzterer aber auch John Adams zu sehen wünschte, weigerte sich dieser, an Bord zu kommen, bevor er nicht wüßte, was mit ihm geschehen werde.

Nachdem der Commandant den beiden jungen Leuten versichert, daß John Adams, da seit der Meuterei auf der »Bounty« fünfundzwanzig Jahre verflossen, schon durch Verjährung des Verbrechens geschützt sei, ging er selbst an's [212] Land und sah sein Boot daselbst von einer aus sechsundvierzig Erwachsenen und einer großen Menge Kinder bestehenden Bevölkerung empfangen. Alle erschienen groß und kräftig, von ausgesprochenem englischen Typus; die jungen Mädchen blendeten durch ihre außerordentliche Schönheit, und ihr bescheidenes Auftreten verlieh ihnen noch besonderen Reiz.

Die auf der Insel geltenden Gesetze waren sehr einfacher Art. Ein Register enthielt das Verzeichniß über die von jedem Einzelnen geleistete Arbeit. Geld kannte man nicht; alle Geschäfte wurden durch Tauschhandel erledigt, doch betrieb man, wegen Mangels der nothwendigen Rohproducte, keinerlei Industrie. Als Kleidung trugen die Einwohner große Hüte und weite Gewänder aus einer Art Bast. Fischfang und Ackerbau bildeten die Hauptbeschäftigungen. Ehen durften nur unter Adams' Einwilligung und auch nur dann geschlossen werden, wenn der Mann ein hinreichendes Stück Land cultivirt und bepflanzt hatte, das seiner zukünftigen Familie hinreichenden Lebensunterhalt zu gewähren versprach.

Der Commandant Staines stach, nachdem er alles Wissenswerthe über diese, in verlassener Wasserwüste des Stillen Oceans verlorene Insel gesammelt, wieder in See und ging nach Europa zurück. Seit jener Zeit hat der ehrwürdige John Adams seinen wechselvollen Lebenslauf nun auch beschlossen. Er starb im Jahre 1829 und erhielt einen Ersatzmann in Reverend George Nobbs, der auf der Insel das Amt des Pfarrers, Arztes und Schullehrers bekleidete.

Im Jahre 1853 beliefen sich die Nachkommen der »Bounty« auf einhundertsiebzig Individuen. Fortwährend nahm die Bevölkerung zu und wurde endlich so groß, daß drei Jahre später ein Theil derselben nach der Insel Norfolk übersiedelte. Viele der Auswanderer sehnten sich aber doch nach Pitcairn zurück, obwohl Norfolk viermal größer, an Bodenerzeugnissen weit reicher war und auch leichtere Existenzbedingungen darbot. Nach zweijährigem Aufenthalte kehrten wirklich mehrere Familien nach Pitcairn zurück, wo sie noch heute in bestem Gedeihen leben.

So gestaltete sich also der Ausgang eines Abenteuers, das einst so tragisch anfing. Zuerst der Zufluchtsort von Rebellen, Mördern und Verblendeten, wurde die Insel Pitcairn unter dem Einflusse der Grundwahrheiten der christlichen Moral und der Erziehung durch einen armen, bekehrten Matrosen die Heimat einer sanften, gastfreundlichen und glücklichen Bevölkerung, unter der sich die patriarchalischen Sitten der alten Zeit lebendig erhalten haben bis auf den heutigen Tag.

[213][215]

Fußnoten

1 Dem Leser diene zur Nachricht, daß die folgende kurze Erzählung keineswegs erdichtet ist. Alle Einzelheiten sind den Marine-Annalen Englands entnommen. Die Wirklichkeit bietet eben zuweilen so romantische Vorkommnisse, daß jede weitere Zuthat der Phantasie unnöthig wird.

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TextGrid Repository (2012). Marcel, Gabriel. Erzählung. Die Meuterer von der »Bounty«. Die Meuterer von der »Bounty«. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2A12-6