[42] Friedrich Matthisson
Gedichte aus den Studienjahren
(1778–1781)

[43] [45]Der Hügel

1778.


Segen Gottes dem Mann, Segen des Enkels ihm,
Und die Thräne des Danks ferner Jahrhunderte,
Welcher schattende Wipfel
Dir, o fröhlicher Hügel, gab!
Und das duftende Grün deiner Gesträuche, die,
Zweig geschlungen in Zweig, labende Kühlung streun,
Und das Schnekkengewinde
Deines blühenden Hekkengangs.
Ueberirrenden Bliks, schauet mein Aug' umher,
Ob kein Taxusgebild oder ein Buchsbaumrand
Deine Schönheiten fälsche,
Und, o Freude! ich späh' umsonst!
[45]
Ungeschminkte Natur, eben so wunderschön
Als in deinem Gefild, glükliches Schweizerland,
Deinen blumichten Thalen,
Und bewipfelten Felsenreihn,
Weilt im Maiengewand, mütterlichliebevoll,
Nachtigallen im Schoos, Blumen um ihrer Stirn,
Hier im traulichen Schatten
Melancholischen Fichtengrüns,
Winkt und lächelt mir zu, winket und lächelt sanft,
Schüttelt Blüthen herab, säuselt um mich herum,
O ich folge, ich folge,
Allbelebende Göttin, dir!
Sieh! den Hügel hinan leitet die Göttin mich,
Auf dem einsamen Pfad dämmernder Schattennacht,
Zeigt des fröhlichen Hügels
Ganze Fülle der Schönheit mir!
Laubgewölbe voll Duft, welche dem Rastenden
Kühlung bieten und Ruh', Rasen dem Schlummerer,
Ueberhüllet von Geisblatt
Oder rankendem Wintergrün;
Und vom Gipfel herab, blühend wie Edens Flur,
Das gesegnete Land, welches im Goldpallast
Und in dörflicher Hütte
Himmelselige Wohner nährt!
[46]
Sag, o Hügel, mir an, warest vom Anbeginn
Du von Düften bewölkt? sproßten dir Blumen auf?
Und entwehte die Kühle
Deinem zitternden Laube stets?
Baumlos ragtest du einst, naket und dürftig auf,
Sparsam keimte dein Gras unter dem Sand' hervor,
Disteln zischten im Winde,
Und dein Gipfel war schattenleer!
Aber Blumen entblühn, Lauben bekleiden sich,
Bäume treiben empor, lachender Mai beginnt,
Wenn im Herzen des Edlen
Nachweltliebe zu Thaten keimt.
Solche Seelen belohnt, wenn in der Rasengruft
Ihre Hülle von Staub lange der Ernte reift,
Manches fühlenden Mädchens
Einsamdankende Zähre noch.
Segen Gottes dem Mann, Segen des Enkels ihm
Und die Thräne des Danks ferner Jahrhunderte,
Welcher schattende Wipfel
Dir, o fröhlicher Hügel, gab.

Wonne der Liebe

Wer an der Geliebten Augen hangen,
Wer mit Feuerinbrunst sie umfangen,
Sich in ihrem Kuß berauschen kann,
Welch ein hochbeglükter Mann!
Er verlacht das leere Weltgetümmel,
Seinen Blik umschweben tausend Himmel,
[47]
Gold und Ehr' ist ihm ein Kinderspiel,
Groß und hehr ist sein Gefühl!
Könnten Engel Sterbliche beneiden,
O! sie neideten ihm seine Freuden!
O! sie tränken aus der Liebe Meer
Ruh' und Seligkeit, wie er!
Lächelnd tanzt ihm Jahr auf Jahr vorüber,
Und ein Kuß in jene Welt hinüber
Ist dem Glüklichen, im Abendroth
Seines Lebens, einst der Tod.

Sehnsucht

Gottes Dämrung ist schön! Wonne der Himlischen
Tönt dein Abendgesang, flötende Nachtigall!
Und es hüllet mein Auge
In den Schleier der Wehmuth sich?
Die du liebest ist fern! flüstert mein Genius,
Unter Erlen des Bachs wandelt die Traurende,
Weilt im dämmernden Schatten,
Wo die Zähre der Trennung rann!
Die ich liebe ist fern! Eil', o mein Genius,
Lispl' ihr: Einsam, wie du, denkt der Entfernte dein,
Und es hüllet sein Auge
In den Schleier der Wehmuth sich!

[48] An die Stille

Wann aus leichter Silberhülle
Luna niederschaut,
Sehn' ich mich nach dir, o Stille,
Wie der Jüngling nach der Braut!
Ach! mit wehmuthsvoller Rührung,
Freundin! denk ich dein,
Hier wo Leichtsinn und Verführung
Giftbethaute Rosen streun!
Wo des Lasters Stirn zu kränzen
Tausend Blumen blühn,
Wo vor wilden Taumeltänzen
Grazien und Unschuld fliehn;
Wo der Name des Verbrechers
Zu den Sternen dringt,
Und das Haupt des Tugendrächers
In des Kerkers Nächte sinkt!
O beglückt, wen in des Haines
Dämmerung versteckt,
An der Quelle Rand, ein kleines,
Buschumwölbtes Strohdach deckt!
[49]
Du nur, heilge Stille, flügelst
Hoch den Geist empor!
Führst der Hofnung Schifflein, spiegelst
Uns des Himmels Freuden vor!

Hymne

Herr! es verkündigt dich der Wandelsterne Gang,
Durch alle Himmel tönt seraphischer Gesang,
Die ganze Schöpfung schwebt in ewgen Harmonieen,
So weit sich Welten drehn und Sonnenheere glühen!
Dein Tempel, die Natur, ist deiner Herrlichkeit
Und deiner Güte voll! des Frühlings Blumenkleid,
Des Sommers Aehrenmeer, des Herbstes Traubenhügel,
Des Winters Silberhöh'n sind deiner Allmacht Spiegel!
Was bin ich, Herr, vor dir? Seit gestern leb' ich kaum,
Und doch trennt von der Gruft mich nur ein kleiner Raum;
Nur Traum und Dämmrung bleibt im Erdenthal mein Wissen,
Mein Leben fleucht dahin umringt von Finsternissen!
[50]
O du, den oft zu Gott der Andacht Flügel trug,
Empor, empor, mein Geist, mit kühnem Adlerflug!
Die Ewigkeit ist dein, zum lichten Engelleben,
O sing ihm ewig Dank! wird dich der Herr erheben!
Drum weih' ich dir allein, o Gott, der Harfe Klang!
Dich preise früh und spät mein betender Gesang,
Bis dies Gewand von Staub des Todes Hand zertrümmert,
Und dir, o Quell des Lichts, mein Geist entgegenschimmert!

Elisas Geburtstag

To each his suff'rings: all are men,

Condemn'd alike to groan,

The tender for another's pain;

Th'unfeeling for his own.

Gray.


1779.


Dein gedenk' ich, o Freundin, mit Thränen des Danks und der Freude,
Dein mit Gefühlen der Ruh',
Hier auf dem schwellenden Rasen, beschattet vom blühenden Kirschbaum,
Wo, bei der Nachtigall Lied,
Jüngst dein weinendes Auge sich hellte, wo uns des Abends
Freundlicher Schimmer umfloß,
Ach! und begrüsse mit Himmelsempfindung den Morgen des Tages
Welcher der Erde dich gab.
Ruhig fliesse mein Lied und sanft, wie dein Leben, du Edle,
Wenn, am errungenen Ziel,
Einst die lohnende Mirthe dich kränzt und die Liebe zum Eden
Dir deine Pfade verschönt.
Als die erste Freudenthräne der redlichen Mutter
Ueber die Wange dir rann,
Als zum erstenmal ihr Arm, mit süsser Entzückung,
Um die Erflehte sich schlang:
[51]
Siehe! da tönte das Lied der Engel aus leuchtenden Wolken,
Dich zu begrüssen, herab!
Schwester nannten sie dich und Bürgerin seliger Welten,
Weihten der Unschuld dein Herz,
Stimmten zum lautersten Einklang mit Gottes Natur deine Seele,
Gossen für Alles, was groß
Gut und erhaben und schön ist, dir Flammengefühl in den Busen,
Bildeten sorgsam den Keim
Zum beglückenden Wonnegedanken: daß Freundschaft und Liebe
Jenseits der Grüfte noch blühn.
Also begannen die Söhne des Lichtes, vereint mit der Harfe
Bebendem Silbergetön:
»Schwesterseele, willkommen auf Erden, holdseliges Mädchen,
Sei uns mit Wonne gegrüßt!
Sanft umwölkt sich dein Auge voll Unschuld am Busen der Mutter;
Ahndet, Geliebte, dein Herz
Schon in der Morgenröthe des Lebens die Stürme des Mittags?
Zittert ein dämmernd Gefühl
Jener nächtlichen Tage des hofnungslosen Ermattens,
Unter der beugenden Last
Unverschuldeter Schmerzen der Zukunft, dir bang durch die Seele?
Dornicht und rauh ist der Pfad,
Den die ewige Liebe dich leiten wird, aber am Ausgang
Schimmert die Krone des Lohns.
Unschuld, Einfalt und Liebe, und jede gefällige Tugend
Schmücke, Geliebte, dich einst!
Dann wird voll Hofnung und Ruh' und siegender Kraft, deine Seele
Mitten im Thale der Nacht,
Wo kein leitendes Sternchen dir funkelt, die Vaterhand segnen
Welche durch Wüsten dich führt.
Darum wandle voll göttlichen Friedens der Zukunft entgegen!
Eh' noch dein Mittag sich neigt,
Wird der Stürme Getümmel in Hauche des Frühlings sich wandeln,
Wird deines irdischen Laufs
[52]
Blumenumduftete Bahn in rosige Schimmer sich kleiden,
Und, in Gefilden der Ruh',
Dir dein Leben, durch jedes Entzücken der Tugend verherrlicht,
Heiter und lächelnd entflieh'n.
Eile, wir flehen voll Sehnsucht, o eil' im Wechsel der Jahre,
Selige, selige Zeit!
Schwesterseele, willkommen auf Erden, holdseliges Mädchen,
Sei uns mit Wonne gegrüßt!«

Theon an Lyda

Ahi crudo amor! ch'egualmente n'ancide

L'assenzio e'l mel, che tu fra noi dispensi;

E d'ogni tempo egualmente, mortali

Vengon da te le medicine, e i mali.

Tasso.


1779.


Nimmer, nimmer darf ich dir gestehen
Was, beim ersten Drucke deiner Hand,
Süsse Zauberin, mein Herz empfand!
Meiner Einsamkeit verborgnes Flehen,
Meine Seufzer wird der Sturm verwehen,
Meine Thränen werden ungesehen
Dir, o Holde, rinnen, bis die Gruft
Mich in ihr verschwiegnes Dunkel ruft!
Ach! du schautest mir so unbefangen,
So voll Engelunschuld ins Gesicht,
Wähntest den Triumph der Schönheit nicht!
Lyda! Lyda! sahst du nicht den bangen
Blick der Lieb' an deinen Blicken hangen?
Schimmerte die Röthe meiner Wangen
Dir nicht Ahndung der verlornen Ruh'
Meines hofnungslosen Herzens zu?
[53]
Daß uns Meere doch geschieden hätten
Nach dem ersten, leisen Druck der Hand!
Schaudernd wank' ich nun am jähen Rand
Eines Abgrunds, wo, auf Dornenbetten,
Thränenlos, mit diamantnen Ketten,
Die Verzweiflung lauscht. Ach! mich zu retten,
Holde Feindin meiner Ruh', verbeut
Dir des strengen Schicksals Grausamkeit!

Der Vollendete

1780.


Heil! dies ist die lezte Zähre
Die des Müden Aug' entfällt!
Schimmern seh' ich schon die Sphäre
Jener bessern Himmelswelt!
Leicht, wie Morgennebel schwinden,
Ist des Lebens Traum entflohn,
Paradiesespalmen winden
Engel für den Dulder schon!
Schweben auf die Stäte nieder
Wo er mit dem Tode ringt,
Singen Hallelujalieder
Bis die Erdenhülle sinkt;
[54]
Ha! mit deinem Staubgewimmel
Rollst, o Erde! du zurük!
Näher glänzt der offne Himmel
Schon des Ueberwinders Blik!
Harfen rauschen ihm Willkommen!
In der Lebensbäume Wehn,
Engel singen: Heil! dem Frommen,
Heil! dem Frühvollendeten!
Der empor, mit Adlerschnelle,
Zu des Lichtes Urquell stieg;
Tod! wo ist dein Stachel? Hölle!
Stolze Hölle! wo dein Sieg?

Die Sterbende

Heil! dies ist die letzte Zähre,
Die der Müden Aug' entfällt!
Schon entschattet sich die Sphäre
Ihrer heimathlichen Welt.
Leicht, wie Frühlingsnebel schwinden,
Ist des Lebens Traum entflohn,
Paradiesesblumen winden
Seraphim zum Kranze schon!
Ha! mit deinem Staubgewimmel
Fleugst, o Erde, du dahin!
Näher glänzt der offne Himmel
Der befreiten Dulderin.
Neuer Tag ist aufgegangen!
[55]
Herrlich stralt sein Morgenlicht!
O des Landes, wo der bangen
Trennung Weh kein Herz mehr bricht!
Horch! im heilgen Hain der Palmen,
Wo der Strom des Lebens fließt,
Tönt es in der Engel Psalmen:
Schwesterseele, sei gegrüßt!
Die empor mit Adlerschnelle
Zu des Lichtes Urquell stieg;
Tod! wo ist dein Stachel? Hölle!
Stolze Hölle! wo dein Sieg?

An ein Dorf

How happy he who crowns in shades like these,

A youth of labour with an age of ease!

Goldsmith.


Edens Blumen blühn in deinen Thalen,
Edens Silberquellen
Schlingen sich durch deine Schattenhaine,
Buschumkränztes Dörfchen!
Gottes Friede schwebt um deine Hütten,
Wenn der Morgenröthe
Rosenfarbner, goldbesäumter Schleier
Lieblich dich umwallet.
Gottes Friede schwebt um deine Hütten,
Wenn die Nachtigallen,
Im Getön der dumpfen Abendglokke,
Schlummerlieder flöten.
In der Dämmrung deiner Bäume wandeln,
Arm in Arm geschlungen,
Schwesterlich wie einst im Garten Adams,
Seelenruh und Unschuld.
[56]
An der Himmelstöchter Busen trinken
Mädchen, Greis, und Jüngling,
Nach des schwülen Erntetages Mühen
Kraft und süsse Labung.
Unter deinen Halmendächern wohnen
Zucht und deutsche Treue,
Sie, die stolzer Marmorsäle wildes
Lustgetümmel fliehen.
Sittsamkeit ist deiner Töchter Erbe,
Gleich des Maienmorgens
Purpur, glüht in keuscher Jugendröthe
Ihre holde Wange.
Edel sind und kraftvoll deine Söhne!
Ihrer starken Rechte,
Ungeschwächt vom Feuerhauch der Wollust,
Blüht die öde Wüste.
O daß mir, o Dorf, in deinen Schatten
Meines Lebens Bächlein
Ungesehn verränne, rein wie jener
Wiesenquelle Silber.
O daß endlich hier am treuen Busen
Eines edlen Weibes,
Die beweinte, längstverlorne Ruhe
Wieder mich umarmte!
Dort am Abhang jenes Blumenhügels,
Wo durch Erlenreihen
Silberblinkend sich das Bächlein windet,
Wo die Linde flüstert,
Wo die Eiche Dämmrung streut und Kühle,
Wo des Thals Gesträuche
Ihre grünen Lokken in des Seees
Blauen Fluthen spiegeln,
Stünde meine weinumrankte Hütte,
Grünte meine Laube,
[57]
Blühten meines Blumengartens Beete,
Reiften meine Saaten.
Jenes Buchenhaines Frühgesänge
Wekten mich am Morgen,
Jenes Apfelbaumes Nachtigallen
Tönten mich in Schlummer!
Aber ach! der Hofnung Aug' ist trübe!
Tief der Zukunft Dunkel!
Schwebt nicht auf des Weltgewimmels Wogen
Unstät noch mein Nachen?
Starb der Freude leztes, süsses Lächeln
Nicht an Laura's Grabe?
Welkte nicht ihr Kranz, der lebenduftend
Meine Schläf' umblühte?
Viel hab' ich geweint, und viel gerungen,
Viel der Stürm' erduldet!
Mancher Lenztag meiner Jugendzeiten
Schwand mir gramumdüstert!
O! wann wird die Nacht der Schwermuth tagen?
Wann die Stund' erscheinen,
Die mich dir entgegen bringt, o Dörfchen,
Oder meinem Grabe?

An ein Dorf

How happy he who crowns in shades like these

A youth of labour with an age of ease!

Goldsmith.


Flora krönt mit heitrer Blumenfülle
Deine Rasenhügel,
Ceres überströmt mit goldnem Segen
Dein Gefild, o Dörfchen!
[58]
Schwesterlich, in deiner Bäume Zwielicht,
Wandeln, traut umschlungen,
Wie durch Geßners Hirtenparadiese,
Seelenruh' und Unschuld.
Sittsamkeit blieb deiner Töchter Erbe;
Ihrer Wangen Blüthe
Prangt in keuschem Jugendroth, wie Guidos
Himmlische Madonnen.
Wacker sind und kraftvoll deine Söhne;
Mit wie mancher Wildniß,
Wo die Distel herrschte, rang um Aehren
Schon ihr Arm von Eisen!
O daß einst, o Dorf, in deinen Schatten,
Bis zur letzten Woge,
Mir der Strom des Lebens, rein wie jener
Wiesenborn, entwallte!
Dort, wo Pappeln Dämmrung streun und Kühle,
Wo des Thals Gebüsche
In des Mühlenteichs kristallner Klarheit
Ihre Locken spiegeln:
Winkte meine weinumrankte Hütte,
Grünte meine Laube,
Blühten meines Blumengartens Beete,
Reiften meine Saaten!
Jenes Buchenhaines Frühgesänge
Weckten mich am Morgen;
Dieses Apfelbaumes Nachtigallen
Tönten mich in Schlummer!
Stern der Hoffnung! Doch du bist umschleiert;
Ach! das Wonnelächeln
Meiner Grazie, der holden Freude,
Starb an Lauras Grabe!

[59] Der Frühlingsabend

Ueber des Frühlings Blüthen funkelt Hesper,
Leiser wandelt des Abends linder Odem
Durch des Hügels Blumen und durch der Haine
Dämmernde Wipfel.
Golden vom Schimmer lichter Westgewölke,
Ruht im Thale des See's kristallner Spiegel,
Lieblich kränzen flüsternde Pappeln seine
Grünenden Ufer.
Schmachtendes Sehnen nach des Tags Erwachen,
Dem kein sterbender Abendglanz wird folgen,
Trübt den Blick mir unter des jungen Frühlings
Duftenden Blüthen!

Lied der Schwermuth

Ogni Oggetto ch'altrui piace

Per me lieto più non è

O perduto la mia Pace,

Son'io stesso in odio a me.

Rolli.


Des schönsten Tages Abend sinkt bekrönt,
Mit glanzbesäumten Purpurwolken nieder,
Des Haines Bild, vom goldnen Stral verschönt,
Blinkt aus des See's krystallnem Spiegel wieder,
Durch Feld und Wald und Saatgefilde tönt
Die Sängerin der Nächte Zauberlieder,
Jezt schwebst du, Herzerfreuerin, o Ruh'!
Der müden Schöpfung schlummerträufelnd zu!
[60]
O Göttin, mit dem Engelangesicht,
Von Gott zum Trost dem Sterblichen beschieden,
Wenn jeder Stab in seinen Händen bricht,
Du thaust jezt Labung auf das Haupt des Müden,
Nur mir ins Herz strömst du wie vormals nicht,
Allgütige! des Himmels süssen Frieden!
Hast du, die einst mir stets zur Seite stand,
Den Blik auf ewig von mir weggewandt?
Dich sucht, in banger, sternenloser Nacht
Mein Geist, auf naßgeweinter Schlummerstäte,
Wo nur der Schwermuth trübes Auge wacht,
Dich, die mich einst zum Erdengott erhöhte,
Als noch, voll Herrlichkeit und Himmelspracht,
Des Jugendlenzes erste Morgenröthe,
O wie so rein, so mild, so wolkenlos
Ihr schönes Licht auf meine Pfade goß!
Als mein stillheitres, unbefangnes Herz
Das grosse Lebensschauspiel noch nicht kannte,
Bei fremder Freude, wie bei fremdem Schmerz
Von engelreiner Mitempfindung brannte,
Und ach! wie oft, geflügelt himmelwärts,
In Andacht schmolz! – o Ruh! o Gottgesandte!
Da kränztest du mit Scherz und Freude mich,
Da nannt' ich Schwester, Busenfreundin dich!
Im Nachtigallenhain, am Wasserfall,
Am blumenvollen Hang bebüschter Hügel,
Im Erlenwald, im bunten Frühlingsthal,
An mondbeglänzter Bäche klarem Spiegel,
Im Morgenlicht, im Abenddämmrungsstral,
Umschwebte wonnesäuselnd mich dein Flügel,
Auf Rosen hingegossen, wehtest du
Mir Schlaf und Paradiesesträume zu!
[61]
Oft wenn in schlummerloser Nacht, eu'r Bild
Mit allen seinen tausend Seligkeiten
Und goldnen Szenen mir die Seele füllt,
O holde, ruhgeweihte Knabenzeiten!
Dann wird die Dunkelheit, die mich umhüllt,
Noch nächtlicher, und heisse Thränen gleiten;
Vergebens fleh' ich weinend vom Geschik
Nur einen Tropfen eurer Lust zurük.
Vom Strome bittrer Leiden fortgerissen,
Kennt dich mein zährentrüber Blik nicht mehr,
O Ruh'! von meinen seligsten Genüssen
Einst Schöpferin! Wie öd' und freudenleer
Ist jezt, umnachtet von den Finsternissen
Des tiefsten Kummers alles um mich her!
Kein Freund erscheint, kein Stern der Hofnung lacht
Trostblinkend durch der Zukunft Mitternacht!
Am Grabe tagt des Lebens Dämmerung!
Dort sinkt entnervt des Kummers Rechte nieder,
Hoch zu den Sphären hebt, mit Adlerschwung,
Der freie Geist sein sonnigtes Gefieder!
Wann reichst du mir, o Tod! den Labetrunk?
Wann sammlest du den Staub zum Staube wieder?
Entschimmre bald dem Ozean der Zeit
O Morgenglanz der ernsten Ewigkeit!

Elegie

1780.


Mein Geist, des Erdewallens müde,
Sehnt sich, o Gruft! nach deiner Ruh,
[62]
Denn meines Herzens goldner Friede
Flog seinem Eden wieder zu.
Wie Regenbogenschimmer schwanden
Der Jugend holde Phantasien;
Den Kranz, so Lieb' und Freundschaft wanden,
Hies, Trennung, deine Hand verblühn!
O! selige Erinnerungen!
Da ich, am lenzumblümten Bach,
Von Nachtigallen eingesungen,
Als sorgenfreier Knabe lag;
Da unbedornten Blumenwegen
Entzükken Strom auf Strom entquoll,
Mir Sphärenmelodie entgegen
In jedem Frühlingsliede scholl;
Da mir noch keine Thränen flossen,
Als die die Freude weinen hies,
Da ich, vom Mutterarm umschlossen,
Mich überschwenglich selig pries;
Da Ruhe Stund in Stunde webte,
Mir wundersüße Lieder sang,
Um jeden meiner Tritte schwebte,
Bis ich den Kelch des Schlummers trank.
O! steh mir immerdar zur Seite,
Geliebtes Bild der Knabenzeit!
Bis zur Vollendung, dann geleite
Mich im Triumph zur Ewigkeit.
Ach! meines Herzens goldner Friede
Flog seinem Eden wieder zu,
Mein Geist, des Erdenwallens müde,
Sehnt sich, o Gruft! nach deiner Ruh!
[63]
Hinauf! Hinauf! zu jenem Lande
Von wo du stammest, o mein Geist!
Wo du, im schimmernden Gewande,
Dich ewig deines Gottes freust!
Dort trinkst, in vollen Taumelzügen,
Du süße, niebereute Lust!
Dort wird der Zähren Quell' versiegen,
Dort schwellt kein Seufzer mehr die Brust!
Dort strömt dir Paradieseswonne
Aus tausend Lebensbächen zu,
Dort lächelt eine mildre Sonne
Dir unaussprechlich sanfte Ruh!
Bald reich, o Tod! dem Lebensmüden,
Erschöpften Pilger deine Hand!
Denn alles Menschenglük hienieden
Ist Nebeldunst und leerer Tand!
Hinab denn, o mein Leib! zum Staube!
Bald wird dein lezter Morgen graun!
Dann werd ich dich, an den ich glaube,
Durch alle Ewigkeiten schaun!

Der Abend

1780.


Purpur malt die Tannenhügel,
Nach der Sonne Scheideblik,
Lieblich stralt des Baches Spiegel
Hespers Fakkelglanz zurük;
[64]
Wie in Todtenhallen düster
Wirds im Pappelweidenhain,
Unter leisem Blattgeflüster
Schlummern alle Vögel ein!
Nur dein Abendlied, o Grille,
Tönt noch, aus bethautem Grün,
Durch der Dämrung Rosenhülle,
Süße Trauermelodien;
Singt das bange Herz in Schlummer,
Hemmt der Zähren wilden Lauf,
Lös't der Liebe tiefsten Kummer
Selbst in stille Wehmuth auf!
Tönst du einst, im Abendhauche,
Grillchen, auf mein frühes Grab,
Aus der Freundschaft Rosenstrauche,
Deinen Klaggesang herab:
Wird noch stets mein Geist dir lauschen,
Horchend, wie er jezt dir lauscht,
Durch des Hügels Blumen rauschen,
Wie dies Sommerlüftchen rauscht!

An Leukon

1780.


Trink des Stromes der Freude! sieh! noch fluthet
Seiner schäumenden Wogen ganze Fülle
Durch die rosenbekränzten Thale deiner
Blühenden Jugend!
[65]
Stürme werden sein lichtes Silber wandeln,
Dornen auf dem beblümten Ufer wildern:
Daß des Schöpfenden Blut die aufgewühlten
Wellen bepurpurt!

An den Lebensnachen

1780.


Wenn schleierlos am Himmel die Sonne lacht,
Kein Sturmgewölk die Bläue des Aethers hüllt,
Wenn kühle Sommerwinde wehen
Und mit den Lokken der Haine spielen:
Dann, Lebensnachen, schwebe, gehaltnern Flugs,
Auf deines Stromes spiegelnder Woge fort;
Daß ich der Uferblumen viele
Um meine Schläfe zu duften, breche!
Wenn aber Nacht aus Donnergewölken träuft,
Den Riesenfittig dräuend die Windsbraut hebt
Des Erdballs Säulen tief erzittern,
Schauernd sich Sterne mit Wogen gatten:
Dann eil', o Nachen, schneller als sonnenan
Der Adlerjüngling, kühneren Aufschwungs, fleugt,
Daß ich an blühenden Gestaden
Früher der stürmenden Nacht vergesse!

An den Lebensnachen

Wenn schleierlos Aurora der Fluth entsteigt,
Im Blüthenschmuck des Lenzes die Schöpfung lacht,
Wenn kühle Morgenlüfte säuseln,
Und mit den Locken der Haine spielen:
[66]
Dann, Lebensnachen, gleite gehaltnern Laufs,
Wie Schwäne sanft auf spiegelnder Woge fort,
Daß ich der Uferblumen viele,
Mir um die Schläfe zu duften, breche!
Wenn aber Zeus im Donnergewölke zürnt,
Poseidon stolze Flotten wie dürres Laub
Verstreut, der Erde Säulen zittern,
Finsterniß über den Wassern brütet:
Dann eil', o Nachen, schnell wie der goldne Pfeil
Von Smintheus Bogen! Daß bei der Nachtigall
Und Hirtin Melodein ich früher
Donner und Nacht und Orkan vergesse!

An Rosenfeld

Trauter! dessen Bruderhand
Durch der Jugend Feenland,
Manches leichtbeschwingte Jahr,
Trost und Schuz und Stab mir war;
Dessen Auge sich ergoß,
Wenn mir Nacht die Seel' umfloß,
Dessen Brust, wenn Freude quoll,
Sympathetisch überschwoll;
Schau! der Trennung Stunde blikt
Fürchterlich hernieder, zükt
[67]
Schon den Seelendolch nach mir,
Fernt, du Lieber, mich von dir!
Allgewaltig gräbt der Schmerz
Wund' auf Wunde mir ins Herz,
Sie zu heilen, ach! vermag
Nur des Wiedersehens Tag!
Wenn in öder Ferne nun,
In des Freundes Arm zu ruhn,
Den kein Erdenlied besingt,
Meine ganze Seele ringt:
Webe dann sein Angesicht,
Phantasie! aus Mondenlicht,
Seinen Blik aus Aetherblau,
Mir zur süßen Wonneschau!
Daß in düstrer Trennungsnacht,
Wo kein Stern der Freude lacht,
Noch sein Lächeln himmelan
Meine Seele flügeln kann!
Horch! Geliebter, da umscholl
Dich mein leztes Lebewohl!
Dank für jede Wonne, Dank –
Hier versieg', o mein Gesang!

Notes
Entstanden 1778-1781.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Matthisson, Friedrich von. Gedichte aus den Studienjahren. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2CD0-A