[233] Lied der Liebe

Durch Fichten am Hügel, durch Erlen am Bach,
Folgt immer dein Bildniß, du Traute! mir nach.
Es lächelt bald Wehmuth, es lächelt bald Ruh',
Im freundlichen Schimmer des Mondes, mir zu.
Den Rosengesträuchen des Gartens entwallt
Im Glanze der Frühe die holde Gestalt;
Sie schwebt aus der Berge bepurpurtem Flor
Gleich einem elysischen Schatten hervor.
Oft hab' ich, im Traum, als die schönste der Feen,
Auf goldenem Throne dich stralen gesehn;
Oft hab' ich, zum hohen Olympus entzückt,
Als Hebe dich unter den Göttern erblickt.
Mir hallt aus den Tiefen, mir hallt von den Höhn,
Dein himmlischer Name wie Sphärengetön.
Ich wähne den Hauch der die Blüthen umwebt
Von deiner melodischen Stimme durchbebt.
In heiliger Mitternachtstunde durchkreist
Des Aethers Gefilde mein ahndender Geist.
Geliebte! dort winkt uns ein Land, wo der Freund
Auf ewig der Freundin sich wieder vereint.
Die Freude sie schwindet, es dauert kein Leid;
Die Jahre verrauschen im Strome der Zeit;
Die Sonne wird sterben, die Erde vergehn:
Doch Liebe muß ewig und ewig bestehn.

Notes
Entstanden 1792/93. Erstdruck: Zürich 1802.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Matthisson, Friedrich von. Lied der Liebe. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2CD1-8