Die zwei Reigen

Ein Cherub schritt das Tal empor
Und schlug das Volk mit Schwert und Pest,
Hinsank der halbe Jugendflor –
Die Schwalbe kehrt und baut das Nest.
Brautführer will der Frühling sein,
Und wer das Lieb verloren hat,
Dem gibt mit einem blühnden Mai'n
Er eines an des toten statt.
Er führt auf schwellend grünen Plan
Den Rest der Jugend, neu gepaart,
Und hebt ein mächtig Fiedeln an
Von Liebesglück und Minnefahrt.
Die Paare fliegen rasch daher,
Ein Lenzgesind, gejagt vom Wind,
Dabei wird manches Herze schwer,
Das an die alte Liebe sinnt...
Doch Leben hat das Leben gern,
Und leicht gewöhnt sich Brust an Brust,
Die Toten liegen tief und fern
Und wissen nichts von unsrer Lust...
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Die Sonne schwand. Hell scheint ins Land
Der Mond und streut den Silberglanz,
Der Reigen dreht sich Hand in Hand
Und Mund an Mund und Kranz an Kranz...
Da steigt es aus der Wiese leis
Und beut sich auch die Hände sacht:
Genüber schwebt ein stiller Kreis
Im blauen Duft der Lenzesnacht.
Es haucht ein sanfter Flötenlaut
Und toter Jüngling, tote Maid
Umschlingen sich im Reigen traut
Und ohne Neid und ohne Leid.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Meyer, Conrad Ferdinand. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1892). 3. In den Bergen. Die zwei Reigen. Die zwei Reigen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-34D5-E