Daphnis und Daphne

Eine Idylle.

Daphnis.

Was fehlt dir, liebe, traute Schäferin?
Schon sitzen wir seit einer Stunde hier,
Und immer bist du still, sonst hast du wohl
Manch artiges Geschichtchen mir erzählt,
Jetzt aber schweigest du; dein Aug' ist trüb,
Und alles süße Lächeln draus entflohn.
Still ruht in meiner Hand die deinige,
Drückt sie zuweilen plötzlich heftiger,
Und zitternd hebt ein Seufzer deine Brust.
[304]
O Daphne, hab' ich dich beleidigt? Sag!
Die Götter wissen es, ich wollt' es nicht!
Daphne.

Sei ruhig, Bester! nein, es fehlt mir nichts.
Daphnis.

Du täuschest mich, Geliebte, täusche doch
Des liebevollen Jünglings Seele nicht!
Du weißt nicht, was sie leidet; wahrlich nicht!
Daphne.

Du littest, mein Geliebter? Gut, ich sag's!
Doch solltest du's erraten. – Sieh, dein Hain,
Wie blätterlos er ist. Wie liederleer!
Kein Laut im ganzen Hain; zuweilen nur
Erhebt sich ein Geräusch, wenn eingeschrumpft
Ein dürres Blatt herab zur Erde fällt.
Am Felsen hängt der Bock und sucht umsonst
Am Brombeerstrauch sich junges frisches Laub.
Die Schafe streichen auf der Flur umher,
Und kommen hungriger von ihr zurück.
Sieh, wie mein Lämmchen trauret! Daphnis ach,
Der Tod ereilt die welkende Natur,
Der Winter kömmt, dann seh' ich dich nicht mehr,
Und einen Sommer nur besaß ich dich!
Daphnis.

O Daphne, weine nicht! Laß mich geschwind
Die Thräne dir vom Auge küssen! Nein,
Du sollst mich nicht verlieren! Schüttelt gleich
Der Winter tiefen Schnee auf unsre Flur;
Du sollst mich nicht verlieren! Jeden Tag
Eil' ich zu dir hinunter vom Gebirg;
Dann setz' ich mich vertraut zu dir an Herd,
Und bleibe bis zur Abenddämmerung;
Und scheint der Mond, dann bleib' ich, bis er tief
Am Wald hinunter sinkt; er leuchtet dann
Mir freundlich wieder aufs Gebirg zurück;
Du weist, er ist getreuer Liebe Freund.
[305] Daphne.

Das hieße schon so was! Doch immer schwebt
Vor meiner Seel' ein trauervolles Bild.
Du kanntest meine Freundin Sylvia.
Sie kam vergangnen Winter jeden Tag,
Und suchte mich in meiner Hütte heim.
Wir saßen oft den lieben Abend durch
Und schwatzten viel von dir, ich that's so gern,
Denn immer hab' ich heimlich dich geliebt.
Dann kam ihr Schäfer auch und führte sie
Im Mondenschein auf ihre Trift zurück –
Einst sah ich einen ganzen Abend lang
Umsonst nach ihr hinaus, den andern auch;
Am dritten ging ich ahndungsvoll und bang
Nach ihrer Hütte – Götter, ach da stand
Ihr Schäfer vor der Hütte, sein Gesicht
War blässer als der Schnee. – Er sah mich, floh –
Ich ging hinein und – laß mich schweigen, Freund! –
Ach, meine traute Freundin war nicht mehr! –
Daphnis.

O Daphne! welche Bilder schaffst du dir!
Die Götter lassen mich nicht sterben, die
Vor kurzem uns durch Zärtlichkeit vereint.
Doch ließen's auch die Götter zu,
Und überschlich' ein tödlich Fieber mich,
Dann eilte meine Schwester windeschnell
Zu dir ins kleine Weidenthal hinab;
Du kämest, von der Liebe hergeführt;
Ich hörte deine Stimme; deine Hand
Erwärmte meine Wangen; auf dein Flehn
Käm' eine Gottheit vom Olymp herab,
Und lispelte durch dich mir Lindrung zu,
Mein mattes Aug' eröffnete sich schnell,
Erblickte dich, und meine Krankheit flöh'.
Daphne.

O Daphnis, wär' der Winter schon vorbei!

Notes
Erstdruck in: Deutsche Chronik, Zweiter Jahrgang, 73 Stück, 11. September 1775.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Miller, Johann Martin. Daphnis und Daphne. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-3840-F