Johann Martin Miller
Siegwart
Eine Klostergeschichte

Vorbericht

[3] Vorbericht.

Allen edeln Seelen widm' ich dieses Buch, die beym Lesen etwas mehr, als blos Befriedigung der Neugierde, und Beschäftigung der Einbildungskraft suchen. Fast jeder Schriftsteller, und der Dichter besonders – dessen Beruf ich für einen der erhabensten halte – sollte hauptsächlich auf das Herz seiner Leser Rücksicht nehmen. Dadurch bahnt er sich am leichtesten den Weg zum Unterricht und zur Belehrung. Wer Empfindungen erhöht und bessert, der erreicht gewiß einen eben so erhabnen Zweck, als der, welcher blos für den Verstand sorgt. Der letztere Schriftsteller kann auch nicht so ausgebreitet wirken. Er hat immer nur eine kleinere Anzahl von Lesern, weil er Menschen voraussetzt, die schon in den Wissenschaften geübt sind.

Jeder Roman – ein Wort, das, leider! vielleicht durch schlechte Muster verächtlich worden ist – sollte, meinem Ideal nach, zugleich [3] unterrichten. Der Romanschreiber hat sich Leser von verschiednen Ständen, von verschiednem Geschlecht, von verschiedner Denkungsart u.s.w. zu versprechen, daher sollte er, soviel als möglich, Allen alles werden. Daher muß sein Unterricht mannigfaltig, und an keine gewisse Form gebunden seyn.

Jeder Schriftsteller wünscht nach dem Zweck seiner Arbeit beurtheilt zu werden. Ich habe dieses, wegen gewisser Stellen meines Buches, besonders zu wünschen, bey denen man, wenn man billig urtheilen will, am ersten das bedenken muß: für welche Menschen, und für welche Gegenden von Deutschland ich zunächst geschrieben habe. Dann werden viele Einwürfe wegen schon bekannter, oft gesagter Sachen, oder wegen anscheinender Weitschweifigkeiten wegfallen.

Erster Theil

[4] Erster Theil.

Siegwart, ein edelgesinnter Jüngling, war auf einem Oettingischen Dorf in Schwaben, an der Donau gebohren. Sein Vater, ein Mann von ächt deutsch-schwäbischem Charakter, war seit vier und zwanzig Jahren Amtmann auf dem Dorfe. Von seiner, ihm zu früh verstorbnen Frau hatte er zwo Töchter, und drey Söhne, wovon unser Siegwart der jüngste war; ein geselliger Knabe, der sich nie mehr fühlte, als wenn er andre Kinder lustig sah, ihnen Freude machen, und tausend kleine Gefälligkeiten erweisen konnte. Wenn der Winter ihn ins Zimmer einschloß, so war ihm nirgends wohl, die Gesellschaft seiner ältern Brüder, und zwoer muntrer Schwestern war ihm nicht groß genung; er rief alle Baurenkinder, die sein Haus vorbeygiengen, zu sich, und tummelte sich mit ihnen auf dem Saal herum. Dann schlich er sich wieder [5] in den Stall, besah die Pferde, ritt sie an die Tränke, warf sich mit Schneeballen, oder fuhr auf seinem kleinen Schlitten den steilsten Berg herab, und thats an Kühnheit, oft auch an Verwegenheit, den kühnsten Baurenknaben zuvor.

Sobald die Frühlingssonne schien, konnt' ihn gar nichts mehr zu Hause halten. Er trieb den Kreisel, warf den Ball, stellte mit den Baurenjungen Jagden an, theilte immer die Rollen aus, machte den einen zum Jäger und den andern zum Hirsch, und umzingelte den ganzen Wald mit jungen Jägern, wie ers bey der fürstlichen Jagd gesehen hatte. Dann spielte er wieder den Soldaten, warb alle Jungen des Dorfs an, und bestellte sie am Sonntag auf das Feld hinaus. Da gab er ihnen hölzerne, selbst geschnitzte Flinten; hölzerne Säbel; drey Kindertrommeln, die ihm und seinen Brüdern gehörten; papierne Fahnen, und ein altes Jägerhorn. Jeder Knabe mußte zugleich eine Schlehenbüchse, und zwanzig Kugeln dazu haben. Damals wüthete der Krieg der Oesterreicher mit den Preußen. Obgleich sein Fürst auf der österreichischen Seite war, so hielt ers doch mit den Preußen, weil er in den Zeitungen gelesen hatte, daß diese immer mehr den Sieg davon [6] trügen. Er theilte sein Heer in zwey Theile, und wählte immer die stärksten Knaben für die Preußen aus, deren Anführer er beständig war, und an deren Spitze er die Oesterreicher mehrentheils zurückschlug. Er machte selbst ein Kriegslied, das seine Krieger, nach ihrer Weise, absangen. Beym Nachsetzen musten die Knaben mit den Schlehenbüchsen schiessen; wer getroffen war, muste fallen, und am Ende der Schlacht wurden die Todten gezält; da denn immer die Preußen die wenigsten hatten.

Wenns wärmer wurde, badete er sich in der Donau, und schwamm unter allen Jungen am besten. Ein paarmal war er in Lebensgefahr, und wurde von den Fischern gerettet; dieß hielt ihn aber nicht ab, gleich den andern Tag sich wieder zu baden. Halbe Tage brachte er im Walde zu, wo er Vogelnester aufsuchte. Er hielt ein ordentliches Verzeichnis davon, und fand alle Tage neue. Kein Baum, auf dem er ein Nest sah, war für ihn zu hoch; er klomm wie ein Eichhörnchen hinauf und wagte sich auf die dünnsten Aeste. Demohngeachtet war er nicht grausam gegen die Vögel. Er nahm nie ein Nest ganz aus, sondern nahm nur den schönsten Vogel, den er zu Hause ätzte, und groß zog; die [7] andern ließ er ihren Eltern. Besonders holte er die jungen Staaren und Wiedehopfen aus den hohlen Bäumen, weil er gehört hatte, daß man diese sprechen lehren könne, und gab sich mit deren Unterricht, wiewol vergeblich, viele Mühe.

Aus dieser Anlage des jungen Siegwart schloß sein Vater, der kein unvernünftiger Mann war, daß sein Sohn wol am besten zum Jäger oder Soldaten taugen möchte. Er hatte auch schon bey sich den Plan gemacht, ihn in seinem 15ten Jahr (Siegwart war jetzt dreyzehn) zu seinem Bruder, einem Forstmeister in der Gegend, zu thun, und ihn die Jägerey erlernen zu lassen; daher drang er auch nicht sehr in ihn, das Lateinische, und gelehrte Wissenschaften zu lernen. Er suchte nur seine Anlage zum rechtschaffnen deutschen Mann zu entwickeln, und durch gute moralische Grundsätze, die aus der Religion hergeleitet waren, mehr zu befestigen; denn, obgleich der alte Siegwart ein Katholik war, so hatte er sich doch die Erlaubnis erkauft, in der Bibel lesen zu dürfen, deren Geschichten und Lehrsätze er seinen Kindern frühzeitig einzuprägen suchte. Und dieß legte wirklich den Grund zu der frühen Rechtschaffenheit des jungen Siegwart, die sich nachher so oft [8] in seinem Leben äusserte, ihn bey allen seinen Widerwärtigkeiten unterstützte, und zulezt so ruhig ans Grab wandeln lehrte.

Siegwart wuste den Plan seines Vaters wohl, und freute sich darüber; Er war in seinem Sinne schon ein Jäger, und legte oft, wenn der Vater ausgeritten war, seinen Hirschfänger an, hieng die Flinte um, und spazierte so, mit schwerem Tritt, das Zimmer auf und ab; oder schlich sich wol, wenn der Vater nicht sobald zurückkommen konnte, in den Wald, und schoß einmal zu seinem innigen Vergnügen einen Hasen, den er aber, weil er ihn nicht mit nach Hause bringen durfte, einem armen Mann schenkte.

Allein ein Zufall vernichtete auf einmal seine Hofnungen, und änderte den ganzen Plan seines Vaters um.

Obwol Siegwart für das männliche und charakteristische des Deutschen geschaffen war, so liebte er doch auch das Sanfte, und die schöne stille Natur. Beydes! ist sehr oft beysammen, und bildet einen liebenswürdigen, für die Welt sehr brauchbaren Charakter; er ist mehrentheils ein Eigenthum des Dichters; und zu diesem hatte Siegwart alle Anlage, die, bey glücklicheren äusserlichen [9] Umständen noch mehr emporgeflammt seyn, und die Herzen seiner Mitbürger noch mehr erwärmt haben würde.

Oft schlich er sich im Frühling, mitten im Spiel, von seinen Kameraden weg, sammelte Blumen, und band sie in einen Strauß zusammen; beobachtete alle Auftritte und Veränderungen der Natur; gab auf jedes Würinchen acht; sah der Biene zu, wie sie in die Blumenkelche schlüpfte, und Honig oder Wachs an ihren Beinchen heraustrug; er horchte jedem Vogel, am meisten aber der Lerche, der Grasemücke und der Nachtigall: die letzte gefiel ihm am besten, ob er wol ihren Namen noch nicht gehört hatte. Oft lag er an der Quelle, die durch Tropfstein und Moos, und niederhängendes Gras am Berg herabmurmelte; da fühlte er ein ungewohntes Sehnen und eine nie empfundne Wehmuth in der Seele; mit glänzendem Auge gieng er weg, drückte jedem Baurenjungen, der ihm begegnete, die Hand stärker, und gab ihm von seinem Abendbrod. Oft gieng er an das Grab seiner Mutter, wo er Rosen und Jesmin und Todtennelken gepflanzt hatte, und weinte da. Kein Geräusch weckte ihn so leicht aus dem Schlaf; aber wenn vor Sonnen Aufgang an seinem Kammerfenster, [10] das in den Garten gieng, die Nachtigall auf einem Apfelbaume sang, da wachte er schnell auf, ward munter, sprang aus dem Bette, hörte ihr unbeweglich zu, und sah mit Entzücken die Sonne hinter den Bäumen aufgehn. Noch lieber hörte er die Nachtigall des Abends, wem die Blumen und die Apfelblüthen süsser dufteten, und alles stille war, und der Mond herabsah. Da hatte er Gefühle, die beym Jüngling, der ihm gleich ist, zu Liedern werden. Da dachte er oft an seinen Bruder, der vor 4 Jahren in seinem 6ten Jahr gestorben war, und machte einst ein Lied auf ihn; da vergaß er oft sich und die ganze Welt; da rief man ihn oft zum Abendessen, und er hörte nichts, bis ihn sein Bruder oder Vater fand, und zu Tische holte, wo er wehmüthig saß, und nichts sprach. Nach dem Abendessen lag er wieder unter seinem Kammerfenster, hörte bis 11 Uhr oder 12 Uhr der Nachtigall zu; wünschte nichts, als wie sie singen zu können, und träumte sich im Schlaf in paradiesische Gegenden zu seinem Bruder.

Einen Abend nahm ihn sein Vater zu einem Spaziergange nach einem Kapuzinerkloster mit, wo dieser einen alten guten Freund hatte. [11] Der Abend war einer der schönsten. Sie kamen aus einem kühlen Wald' heraus, wo die Grasemücken, Amseln, und Nachtigallen in Gesängen wetteiferten, und die Holztauben drein gurrten. Das Dunkel des Waldes, und der melancholische Gesang der Amsel hatten die Seele des jungen Siegwart zum Wehmütigen und Feyerlichen gestimmt, worein ihn das ernsthafte Gespräch seines Vaters über die Schönheit der Natur und die Liebe des Schöpfers noch mehr versenkte. Ihr Gespräch kam auf das Kloster. Du wirst, mein Sohn, viel ehrwürdige Leute drinnen antreffen; gute ehrliche Männer, die die Thorheiten und Betrügereyen der Welt kennen lernten, und sich bey Zeiten von ihr los machten, um im Frieden Gott zu dienen, ihr Herz zu bessern, und sich für die Ewigkeit vorzubereiten. So ist mein Freund, der alte Pater Anton, der deine ganze Hochachtung verdient; aber nicht alle Paters denken so; andre werden dir weniger gefallen. Ich sage dir dieses nur, damit du dich nicht daran stössest, und nicht lauter Engel drinnen suchst. – Es ist eine eigne Sache um das Mönchsleben. Eigentlich sollten nur Leute da seyn, die den Menschen sonst nicht mehr dienen können. Doch, das geht uns [12] nichts an! – Sieh, dort liegt das Kloster schon; bey den Tannenbäumen dort! –

Sie waren nun, ausserhalb dem Wald' auf eine Anhöhe gekommen, an deren Fuß das Kloster gebaut war. Rechterhand an einem Eichenwalde gieng die Sonne ganz golden unter. Sie spielte noch auf den umgebognen Spitzen der Saat, die vor ihnen, wie ein sanfter Strom dahin schwamm. Drüber hin waren Gespinnste von Spinneweben wie ein Teppich ausgebreitet, die im Stral der Sonne alle Regenbogenfarben trugen. Hoch in der Luft sangen noch die Lerchen, deren Flügel, wenn sie sich ein Bischen wendeten, wie Gold glänzten. Ein Arm der Donau, der ganz still zwischen Weiden hin floß, faßte das Bild des rothen Abendhimmels auf, und man konnte die ganze rotdämmernde Gegend drinnen sehen. Zur linken Seite ward der Himmel schon dunkler; unten am Tannenwalde war er grau, und oben gelbroth. Vor ihnen lag das Kloster in ruhiger Stille. Die, mit weissem Blech belegten Dachkuppeln glänzten noch ein wenig; hinter dem Gebäude erhuben sich zwanzig oder dreißig hohe schwarzgrüne Tannen; alles war jezt still, da die feyerliche harmonische Bethglocke erklang, und [13] die ganze Gegend um den jungen Siegwart her zu einem Tempel machte. Seine Seele war jezt weich wie Wachs; unwillkührliche Thränen, die das Mittel zwischen Wehmuth und Freude hielten, glänzten ihm im Auge. Er sprach nichts; mit halbfrohem und halbbangem Zittern kam er dem Kloster immer näher, und nun waren sie am Thor. Ein alter ehrwürdiger Kapuziner in schneeweissen Haaren empfieng sie mit der Freundlichkeit eines Engels, und führte sie, weil er den alten Siegwart kannte, in den Speisesaal. Hier saßen dreißig Väter, mehrentheils ehrwürdige Greise mit einer Glatze, und langen silberfarbnen Bärten. Sie standen alle auf, bewillkommten mit einem stillen heitern Lächeln den alten Siegwart, und umarmten ihn, einer nach dem andern, mit brüderlicher Liebe; Sie gaben auch dem jungen Siegwart die Hand, dem das Herz laut schlug. Die beyden Ankömmlinge musten sich mit zu Tische setzen, und das kleine mäßige Mahl mit geniessen. Stille heitre Zufriedenheit saß auf allen Stirnen; jeder begegnete dem andern mit Freundlichkeit und Liebe. Der junge Siegwart sah einen nach dem andern an, und verlohr sich in dem Gedanken von dem Glücke dieser Väter; er fieng jeden an zu [14] lieben, und freute sich, wenn er bald von diesem, bald von jenem angelächelt, oder angeredet wurde. Besonders nahm der ehrwürdige Vater Anton, neben dem er saß, seine ganze Seele ein, denn er sah wie ein Apostel aus, und begegnete seinem Vater mit der treuherzigsten Liebe.

Wie lange sind Sie nun, sagte dieser zu dem eisgrauen Pater Gregor, der die zwote Stelle an der Tafel einnahm, hier im Kloster? Vier u. fünfzig Jahre sinds, Gottlob! antwortete Gregor, daß ich von der Welt mich abgesondert habe, und hier im Kloster meinem Gott diene, und dem Tod entgegen sehe. In meinem zwanzigsten Jahre that ich Profeß, und seitdem weiß ich von der bösen Welt nichts mehr. Ich bin niemals krank gewesen, aber nun fühl ichs, daß mein ende nahe ist. Es sind mir so viele vorgegangen, von denen ich geglaubt habe, daß sie mich begraben würden: endlich muß die Reihe doch auch an mich kommen. Die nächste Leiche wird wol mir gelten, meine Brüder! und hier sah er alle, heiterlächelnd, an. Das wolle Gott nicht, sprachen die Paters einmüthig; nein, das wolle Gott nicht, daß wir dich so bald verlieren! Der alte Mann sah mit einem Blick gen Himmel, und wischte sich die Augen. Nun ward [15] ein lange Stille, welche keiner unterbrechen wollte, bis der Guardian vom Tische aufstand, dem die andern alle nachfolgten. Anton und noch ein andrer Pater baten den alten Siegwart, die Nacht im Kloster zu schlafen, weil der Mond, den er abwarten wollte, doch erst um halb 10 Uhr aufgienge. Wir haben zwar im Kloster keine weiche Betten, sagte er, aber unser Verwalter draussen soll Sie gut beherbergen. Wir müssen wieder einmal einen Abend mit einander gemessen, wer weiß, wie lange uns dieß auf der Welt vergönnt ist? Der alte Siegwart wars zufrieden.

Nach dem Abendgebeth gieng man in den Garten, wo die Levkoje und die Nachtviole mit der Apfelblüthe süsser düftete. Viele Gänge zwischen hohen Hecken durchkreuzten sich. In der Mitte des Gartens plätscherte das Wasser des Springbrunnens lieblich. Von hier konnte man alle Gänge übersehen, in die sich die Väter, je Paar und Paar, vertheilt hatten. Die sich gleich geschaffen waren, schlossen ihre Herzen vor einander auf, entdeckten sich ihre Gedanken, sahen zum gestirnten Himmel, sprachen vom Grabe, von der Trennung, vom Wiedersehen, und der Ewigkeit. Andere, die die Freundschaft in der Jugend schon vereinigt hatte, [16] sprachen von den Tagen ihrer Kindheit, von ihren Freuden oder Leiden, von den Freunden, welche sie verlassen hatten, ob sie wol noch lebten, oder sie im Himmel schon erwarteten?

Sie theilten sich ihre Besorgnisse wegen andrer mit, von denen sie wusten, daß sie ehedem der Welt und ihren Leidenschaften zu sehr nachgehangen, und nicht rechtschaffen gedacht und gehandelt hätten; und nun beteten sie gemeinschaftlich mit Worten, oder auch mit Blicken für ihr Wohl ihre Besserung.

In andern Gängen schlichen weniger edelgesinnte Männer, die der Neid gegen andre, oder das Misvergnügen über ihre Vorgesetzten vereinigt hatte, und die sich mit den Fehlern oder Schwachheiten ihrer Mitbrüder beschäftigten, und boshafte Kränkungen für sie aussannen – Weg von diesen Unedeln, deren es leider in dem Kloster, das ein Sitz. der Unschuld seyn sollte, nur zu viele gibt!

Aber last uns die bedauren, die einsam, ohne Gefährten in den dunkelsten und engsten Gängen wandelten, um ihre Seufzer dem Ohr ihrer Brüder zu entziehen; die zu lebhaften Seelen, die, aus Ueberdruß der Welt, in der nur Unglück sie verfolgte, sich in einer Stunde des Unwillens und [17] der aufgebrachten Leidenschaft entschlossen, ihr auf ewig zu entsagen, und ein Gelübde zu beschwören, welches sie nachher so oft bereut hatten. Sie glaubten, dem Elend zu entgehen, und fanden neues grössres Elend. Wie mancher beweinte jetzt noch die Stunde des Taumels und der Trunkenheit der Seele, worein ihn der Pomp eines Klosters, die feyerliche und himmlische Musik der Väter, die Ruhe und die Heiterkeit, die auf ihren Angesichtern zu wohnen schien, versetzt, und die den Entschluß, den fälsche, oder einfältige Freunde noch bestärkten, hervorgebracht hatte, nach der gemeinen Redensart, die Welt zu verlassen. Nun wüthete die Melancholie in ihrer Seele, die jene Väter in der Gegenwart von Fremden immer hinter der Mine der Heiterkeit und Ruhe zu verbergen wusten. Sie kannten nun kein ander Glück mehr als den Tod, um den sie mit stummen Thränen, und mit unterdrückten Seufzern zu Gott beteten.

In einem solchen Taumel, der sie ehedem ins Kloster getrieben hatte, schwamm jetzt unser junger Siegwart, der den langen Gang hinab mit seinem Vater und dem guten Pater Anton, dem kleinen dunkeln Tannenwäldchen zugieng, das den Klostergarten begränzte. Die beyden Freunde giengen [18] Hand in Hand, und vertieften sich in vertrauliche Gespräche, wozu sie die schweigende Frühlingsnacht einlud. Lauschend gieng der junge Siegwart neben her. Sie kamen nun ans Tannenwäldchen, dessen Wipfel in der Abendluft sanft säuselten; hinten, wo der Wald am dunkelsten war, setzten sie sich in die kühle Grotte, neben der ein kleiner Bach vorbeyrieselte.

Hier sitz ich nun, sagte Pater Anton, seit vierzig Jahren jeden schönen Frühlings- oder Sommerabend, und überdenke da mein Tagwerk und die Führungen des Himmels. Oft, mein guter Siegwart, denk ich auch an dich, und die Tage, die wir in der Welt zusammen lebten. Ach, wie ist mein Herz seitdem so ruhig geworden! Du weist, Lieber, was ich ausgestanden habe; wie das Unglück über mich her stürmte; wie die Menschen mich verfolgten; und wie viel ich mit mir selbst und meinen Leidenschaften zu kämpfen hatte! – Hier sprach er leiser, und mit mehr gebrochner Stimme. – Man hat lang zu streiten, bis man sich von allen Schlacken losreist, zumal wenn das Herz den Eindrücken der Sinnlichkeit offen, und heftig ist. Ich glaube, daß man fast nur in der Einsamkeit dazu gelangen, seine Seele reinigen, [19] vom Irrdischen abziehen, und in Gottes Liebe versenken kann; und da ist die Klosterregel gewiß das beste Mittel dazu. Ich sage nicht, daß alle Menschen das Gelübde ablegen sollen, aber wer es thun und halten kann, der thut wol, und sorgt für seine Ruhe.

Aber, fiel der alte Siegwart ein, auch für das Glück der Welt, für seine Brüder? denn das sind doch alle Menschen. Vergib mir diesen Einwurf, ich weiß wol, daß man ihn bey uns nicht laut machen darf, aber bey Dir darf ichs wol.

Du hast Recht, sagte Anton, ich hab oft drüber nachgedacht, und anfangs konnt ich mich nicht sogleich beruhigen; aber, ich denke, wenn man so lebt wie ich, und es so gut meynt, dann thut man seiner Pflicht genug. Sieh' ich will dir meinen jetzigen Lebenslauf erzählen. Ein Tag ist wie der andre. Des Morgens steh ich früh auf, im Sommer mit der Sonne, und im Winter um 6 Uhr; dann halt ich meine eigne Morgenandacht, lese mein Brevier, oder geh im Garten spatzieren; dann studir ich etwas, lese in der Vulgata, im heiligen Chrysostomus, oder sonst in einem guten und erbaulichen Buche, deren unsre Bibliothek genug hat. Dann sing ich meine Horas, oder lese [20] eine Messe. Wenn ich meditiren muß, so denk ich nach, wie ich erbaulich predigen will, wenn ich zu den Bauren komme. Beym Mittagsmal esse ich wenig; nach dem Essen geh ich in den Garten, und pflanze verschiedenes, oder lerne allerley Vortheile vom Gärtner, die ich dann den Bauren in den Dörfern herum wieder sage. Dann les' ich wieder etwas; nach der Vesper geh ich zu einem oder dem andern Bruder auf die Zelle, wo wir bis ans Abendessen von ernsthaften Dingen sprechen; und nach diesem geh ich immer, wenn das Wetter schön ist, im Garten spatzieren, oder auf den Gottesacker zu dem Grabe meines lieben Bruder Josephs, oder ich sitze hier in der Grotte, und denke so über mich selbst nach, und was ich den Tag über gethan habe.

Trift dich oft das Auswandern, sagte Siegwart, wenn ihr aufs Almosenholen oder Predigen und Meßlesen ausgeht? – Alle vierzehn Tage einmal, antwortete Anton, und da freu' ich mich immer recht darauf. Ob ich gleich den Bauren nicht vorschreibe, was sie geben sollen, oder ihnen viel abzuschwatzen suche, weil es mir weh thut, wenn die Leute, die oft weniger, als wir, haben, sich vom Nöthigen entblößen sollen, so bring ich doch [21] immer so viel oder mehr ins Kloster, als die andern Brüder; denn die Leute sagen, daß ich ihnen das alles wieder tausendfältig einbringe, weil ich sie, wie schon gesagt, Garten- und Ackerkünste lehre, ihre Kinder unterrichte, wenns im Gespräch auf was Geistliches kommt, und in der Kirche allemal nach der Messe erbaulich und verständlich predige. Da haben mich die Leute so lieb, und drücken mir die Hand, und wünschen mir soviel Gutes, daß ich vor Freuden schon im Himmel zu seyn glaube. – Hier rollten dem guten Alten die Thränen in den langen Bart, und er sprach viel lauter und geschwinder; auch dem alten und dem jungen Siegwart stunden Thränen in den Augen –

Ja, lieber Siegwart, fuhr der Greis fort, du möchtest es für Pralerey halten, wenn ich so von mir selber spreche, aber Gott weiß, das ist es nicht; ich freue mich nur so drüber, wenn ich etwas Gutes thue, und da muß ich zuweilen meine Freude ausbrechen lassen. Ach, ich habe noch Schwachheiten genug an mir, die mir diese Freude wieder ganze Wochen lang verbittern; und es giengen lange Jahre hin, eh ichs den Bauren so gut zu machen wuste.

[22] Ich weiß, Vater Anton, ich weiß, sagte Siegwart, daß es keine Pralerey ist; das war nie dein Fehler. Du hast den Ruhm in der ganzen Gegend, daß man dich am liebsten sieht; und die Bauren in meinem Dorfe lieben dich wie ihren Vater. Ja, wenn alle, so wie du, wären! – Xaver, (so hieß der junge Siegwart) wie sagte doch neulich unsre Nachbarinn vom Pater Anton? du hast mirs ja heute noch auf dem Herweg erzählt. – Der junge Siegwart wurde roth, und stotterte: der Pater Anton, fieng er an, und hielt wieder inne; der Pater Anton sey ein lebendiger Heiliger, sagte sie, den man jetzt schon anrufen sollte, und man müst ihn zum Pabst machen, wenns auf sie ankäme. Es sey alles noch so gut, was Er auf der Kanzel sage, weil mans so verstehen könne.

Hier drückte Anton dem Jünglinge die Hand; das ist zu viel Lob, sagte er, die Leute übertreibens. Ich thue nur, was ein jeder thun sollte. –

Inzwischen kamen ein paar Kapuziner bey der Grotte vorbey, und grüsten den Pater Anton, den sie an der Stimme kannten, freundlich.

Das sind ein paar heilige und rechtschaffne Leute, sagte er, indem sie weggiengen, die mir den Verlust meines lieben P. Joseph noch in etwas [23] ersetzen. Du wustest wol noch nichts von seinem Tode, lieber Siegwart? Du besuchst uns auch gar zu selten. Er sagte mir noch den Tag vor seinem Tode, daß ich dich vielmals grüssen sollte; in der Ewigkeit seh er dich einst wieder. Nun ists bald ein Vierteliahr; am Charfreytagabend starb er. Ach, du hättest ihn sehen sollen, wie er starb; mit welcher Ruhe, mit welcher Heiterkeit! Aber so ein Leben war auch eines solchen Todes werth. Ich habe viele Leute gekannt, seit ich hier im Kloster bin, aber einen Mann, der so rein und unschuldig lebte, und so viel Gutes stiftete, wie er, hab ich nie gesehen! Jedermann hielt ihn für seinen Vater, und ward in seiner Gegenwart frömmer. Du hast ihn selbst gekannt, Siegwart; und ich würd' auch gar zu wehmüthig, wenn ich viel von ihm erzählen wollte. Hier an meiner Seite saß er so oft, goß seine ganze Seele vor mir aus, und sprach mit einer Freudigkeit vom Himmel, als ob er schon einmal da gewesen wäre. Oft, wenn ich so allein in der Dämmerung hier sitze, dann kommt mirs vor, als ob ich ihn hörte, und dann fahr ich auf, und wag' es kaum, wieder wegzugehen. Grosser Gott, und er muste mir entrissen werden! Doch ich werd ihm bald nachfolgen.

[24] Wenn dirs recht ist, Siegwart, so gehen wir zu seinem Grabe; der Kirchhof liegt an der Seite dort.

Sie stunden auf, und giengen schweigend, beym Gesang der Nachtigall, aus Grab. – Hier ists, sagte Anton, ich hab ihm einen Rosenstrauch drauf gepflanzt; übers Jahr soll er Rosen tragen. Hier nebenan werd ich einst liegen.

Ja, lieber Freund, so müssen wir sterben, wenn wir glücklich sterben wollen; aber auch so leben! – Er kam erst auf den rechten Weg, als er ins Kloster gieng. Vorher hat er wenig an Gott gedacht. Er sagte hundertmal: dem Kloster hab ich alles zu verdanken. Ich denk immer, Siegwart, du schenktest Gott auch einen Sohn. Wie wärs, wenn dein Xaver zu uns gienge? Nicht wahr, lieber Xaver, Er gienge wol gern ins Kloster, und sagte der Welt ab, um hier in Fried und Ruhe Gott zu dienen?

Der junge Siegwart, dessen Seele voll von den Bildern dieses Abends, und der reizenden Beschreibung war, die Anton von dem Klosterleben gemacht hatte, wuste nicht, wie ihm zu Muthe war; sein Herz schlug, und er sagte willig. Ja, weil der Wunsch schon mehrmals diesen Abend in [25] ihm aufgestiegen war, in dieser ruhigen Einsamkeit, unter Leuten, die er alle für Engel hielt, zu leben.

Siehst du, Siegwart, er sagt ja; er will zu uns kommen. Kannst du ihm wol seinen Wunsch versagen?

Ich weiß nicht, sprach der alte Siegwart, ich dachte diesen Abend auch schon einigemal dran; aber mein Xaver taugt nicht für das Kloster; er ist zu munter und zu lebhaft, und hat selbst nie keine Lust dazu gehabt. Er sagt jetzt zwar Ja; aber das ist wol nur so ein Einfall. Wie ists Xaver, gefällt dirs wirklich hier? Hättest du wol Lust, einmal beym Pater Anton zu leben?

O ja, sagte der zu feurige, erhitzte Jüngling; Ich wüste vorher nicht, daß es so gut hier im Kloster wäre.

Nun, wir wollen drüber nachdenken, es ist noch Zeit, sprach der Vater; und sie giengen wieder vom Grab weg. Indessen gieng hinter ihnen der fast volle Mond auf, und beschien die hohen Tannenwipfel. Als sie in den langen Gang mit der hohen Hecke kamen, sah man oben nah am Kloster ein Paar Kapzuiner wandeln, deren schneeweisses Haar im Mondschein glänzte. Die [26] Nachtigallen schlugen laut, und flogen nicht davon, wenn man dicht bey ihnen stand. Das Mondlicht, das nun den ganzen Garten erhellte, und die Schatten, die das Laub der Büsche machte, hüpften vor ihnen in mannigfaltigem Gemisch dahin; in der Mitte, wo das Wasser des Springbrunnens plätscherte, und tausend goldne Sternchen bildete, kamen nach und nach die Mönche aus den verschiednen Gängen zusammen, und stellten sich in einem Kreis um den alten und jungen Siegwart, und den Pater Anton her. Sie sahen im Mondschein noch so heilig und ehrwürdig aus. – Nun, wie gefällts ihm hier im Kloster, junger Herr Amtmann? sagte einer von den Mönchen zu dem jungen Siegwart. O recht gut, fiel ihm Anton ein; er will bald bey uns Profeß thun. Schön, schön! riefen alle Mönche. Es gibt doch noch immer Leute, welche Gott von Herzen dienen.

Bleib er bey dem Entschluß, lieber junger Herr! sprach ein alter Mönch, der neben unserm Siegwart stand, und es soll ihn nicht gereuen; wir wollen ihm alle Liebs und Gutes thun.

Es ist noch nicht so gewiß, sagte drauf der alte Siegwart; Pater Anton scherzt nur. Ey [27] warum, lieber Herr Amtmann? sagte P. Gregor. Hätten Sies nicht gerne, wenn Ihr Sohn ein frommer Mann würde? Sie müssen ihm zureden. Glauben Sie; ein frommer Mönch bringt Segen über seine ganze Familie.

Nun giengen sie alle mit dem brüderlichen Kuß auseinander, und jeder wünschte noch besonders dem jungen Siegwart gute Nacht. Die beyden Gäste wurden zum Verwalter vors Kloster hinausgeführt, wo sie schon ein zubereitetes Schlafzimmer fanden. Der alte Siegwart vermied vorsetzlich, mit seinem Sohn von dem, was diesen Abend vorgefallen war, zu reden. Er kannte sein lebhaftes, leicht zu erhitzendes Temperament, und dachte, die Bilder, die sich ihm diesen Abend eingeprägt hatten, würden wieder mit der Nacht verfliegen.

Allein der junge Siegwart, der in einem besondern Zimmer lag, konnte nicht schlafen; der Gedanke an das Kloster, an die stille Ruhe und glänzende Heiligkeit der Mönche beschäftigte ihn bis um Mitternacht. Er baute tausend Luftschlösser auf; seine dichterische Phantasie malte ihm die Tage vor, die er hier so glücklich zubringen könnte; sie malte ihm das Kloster als einen Himmel [28] auf Erden ab, und er glühte von dem Wunsche, bald ein Einwohner dieses Himmels zu werden.

Endlich schlief er ein; er sah im Traum Engel herabsteigen, und ihn zum Altar führen, wo er das Gelübde ablegen sollte. Seine Mutter, die schon gestorben war, winkte ihm an der Seite der Maria, ihnen zu folgen; er hörte eine himmlische Musik, und wachte von der zu heftigen Bewegung seiner Seele auf. Der Tag war schon angebrochen; die Sonne gieng auf. Er konnte nicht länger im Bette bleiben, und gieng ans Fenster, von da aus er das Kloster und einen Theil des Gartens übersehen konnte. Rings ums Kloster herum lagen Fruchtfelder, die, vom Thau benetzt, in frischer Farbe prangten. Ueberall schwebten Lerchen in der Luft, und sangen ihr göttliches Lied auf die neuerwachte Welt herab. Im Klostergarten sangen Rothkehlchen, Aemmerlinge, Nachtigallen und Amseln. Einen Pater sah er schon mit gefalteten Händen, die ein kleines Kreuz hielten, in den Gängen auf und nieder gehen. Dies erweckte seine Andacht, die nie feuriger gewesen war. Lieber Gott! laß mich auch zu so einem frommen Mann werden, seufzet' er, und schwieg wieder.

[29] Rechterhand lag der Gottesacker; und er konnte deutlich das Grab sehen, auf dem sie gestern Abend gestanden hatten. Hier fiel ihm der Pater Joseph ein, und Thränen schossen ihm ins Auge.

Indem trat sein Vater ins Zimmer; er fuhr zusammen, drehte sich um, und suchte seine Thränen zu verbergen.

Wie, mein Sohn, du bist schon auf? und so traurig? ich glaube gar, du hast geweint. Fehlt dir was, Xaver?

Ach nein, Papa, ich sah da auf den Kirchhof, wo wir gestern gewesen sind. Der Pater Joseph muß ein treflicher Mann gewesen seyn.

Ja, mein Sohn, das ist er gewesen, und es ist mir lieb, daß dir sein Andenken werth ist. Wie hast du denn diese Nacht geschlafen? Doch recht ruhig?

Nicht so ganz, Papa; Ich hatte allerley Gedanken durcheinander, und dann ttäumt' ich auch so wunderlich.

Nun, wovon denn?

Je, vom Kloster, und dergleichen.

Ja, das hab ich mir eingebildet, und deswegen kam ich auch herüber. Du warst gestern auf eine [30] ausnehmende Art bewegt; ich gab immer auf dich Achtung, aber ich wollte nichts davon sagen. Es schienen mancherley sonderbare Veränderungen in dir vorzugehen. Heute muß ich nun aufrichtig mit dir reden. Der Pater Anton lag mir schon lange an, daß ich dich ins Kloster thun sollte. Ich hatte wenig Lust, weil ich deine Munterkeit kannte, die sich nicht fürs Kloster schickt; und deswegen hab ich dich auch nie mitnehmen wollen. Nun ists einmal geschehen, weil du mir keine Ruhe liessest. Du sagtest gestern dem Pater Anton, daß du Lust zum Klosterleben hättest. Er fieng das auf, und sagte es gleich vor den andern Mönchen. Diese freuen sich nun immer, wenn sie neue Ankömmlinge bekommen können. Sie werden heute gleich wieder davon anfangen, und darum wollt ich erst mit dir davon reden. Du sagst, es habe dir vom Kloster geträumt; was war es denn?

Ich war in der Kirche, sagte Xaver, wo die Kapuziner alle um mich herum stunden. Ich sollte zum Altar hin gehen; und da war mirs, als ob Engel herabkämen, und als ob die selige Mama mit der Mutter Gottes käme, und mir winkte, daß ich hingehen sollte. Ich wachte dann wieder auf, und konnte nicht mehr einschlafen.

[31] Das ist sonderbar, sagte der alte Siegwart, und gieng auf und nieder. Es hatte ihm was ähnliches von seiner Frau geträumt, weil er sich an Pater Josephs Grabe allein mit dem Gedanken an sie beschäftigt hatte. – Xaver, ist es dir denn Ernst mit dem Kloster?

O ja, Papa; wenn Sie es wollen –

Ich will es nicht, mein Sohn; Aber ich will dir auch in deiner Wahl nicht vorgreifen; ich weiß, daß du jetzt dafür bist; aber du must alles wohl überlegen; wenn man hier einmal gewählt hat, dann ist die Neue zu spät. Ich wünschte schon zuweilen, daß einer meiner Söhne ein Geistlicher werden möchte; mit Karl und Wilhelm geht es nicht mehr an; die haben ihre Versorgung; aber wegen deiner war ich immer zweifelhaft. Mit dem Klosterleben ists so eine Sache; bald gefällt es mir, bald wieder nicht, und die wenigsten schicken sich dazu. Gestern Abend hat mich nun Pater Anton wieder ganz dafür eingenommen. Er ist ein guter frommer Mann, und mein vieljähriger Freund. Wenn du ihm gleich werden könntest, so würd ich Freude an dir erleben. Aber, Xaver, ich glaubte immer, für dich wäre eine so ganz einförmige Lebensart nicht. Du bist zwar oft gern allein; [32] aber zuweilen bist du wieder immer in Gesellschaft. Und dann must du dir das Kloster nicht so vorstellen, wie es dir gestern das erstemal vorgekommen ist! So lange einem etwas neu ist, da gefällt es immer. Vor den Leuten thun die Paters immer friedlich, und scheinen, wie die Engel zu leben; aber es mögen wol, wie ich manchesmal aus des Pater Antons Reden merkte, manche böse Leute unter ihnen seyn, die einem das Leben recht sauer machen können. Kurz, ich weiß nicht, ob ich dir dazu rathen soll? – Freylich, wenn ich an den Traum denke; denn ich muß dir nur sagen, daß mir eben das geträumt hat.

Eben das geträumt? rief Xaver. O Papa, das ist gewiß nicht umsonst geschehen! Es gefällt mir so gut hier, als mirs noch an keinem Ort gefallen hat. Ich wollte Sie wol bitten, daß Sie mich hier liessen! – Hier im Kloster bleiben kannst du jetzt noch auf alle Fälle nicht, erwiederte der Vater, denn die Kapuziner unterrichten keine jungen Leute, und dann wüstest du auch noch vorher auf Akademien. Aber dazu wollt' ich dir wol rathen, daß du einige Tage lang hier zurücke bliebest, um die Einrichtung der Lebensart genauer kennen [33] zu lernen. Du must auf alles genau Acht geben, ob die Paters dir gefallen? ob du dich an die beständigen Andachtsübungen; an den Gehorsam; an die strenge Klosterzucht; an die, mehrentheils geringe und schlechte Kost; an das einförmige, stille, von der übrigen Welt abgeschnittne Leben gewöhnen kannst? Ob du dich für stark genug hältst, den Vergnügungen der Welt zu entsagen, und, von ihr ungekannt, nur dir und Gott zu leben? Pater Anton soll dich von allem noch genauer unterrichten, auf ihn kannst du dich verlassen. In vier oder fünf Tagen komm' ich wieder, um deine Meynung zu erfahren; denn nun ists gerade Zeit, daß du dich zu einer Lebensart entschliessest, welche künftig dein ganzes Leben ausfüllen soll. Ich werde alt, wer weiß wie lange ich noch lebe; und ich wünschte dich so gern vor meinem Ende noch versorgt. Ich dachte, dich zu meinem Bruder dem Forstmeister zu thun, aber der ist nun vor sechs Wochen auch gestorben. Doch ich lasse dir die freye Wahl, und rede dir zu nichts zu, um nachher keine Vorwürfe zu haben. Willst du so, mein Sohn?

O ja, Papa; Sie sind auch gar zu gütig. Lassen sie mich nur hier! Ich hoffe, daß es mir [34] recht wohl gefallen soll; denn so schön hätt' ich mir das Klosterleben gar nicht vorgestellt.

Nun kam der Thorwart des Klosters, und fragte, ob sie in das Conversatorium kommen wollten? die Paters waren alle schon da versammelt, und hatten ihre Vigilien schon gesungen. Sie besprachen sich über den jungen Siegwart, den sie gern bey sich im Kloster gehabt hätten, und redeten dem Pater Anton zu, weil er doch soviel über den Herrn Amtmann vermöge, daß er ihm ja recht anliegen sollte, seinen Sohn der Kirche und dem Kloster zu schenken!

Indem trat der Vater mit dem Sohn herein. Sie eilten dem ersten mit offnem Arm entgegen, und empfiengen ihn, einer nach dem andern. Dem jungen Siegwart drükten sie treuherzig die Hand, und nannten ihn ihren jungen Bruder. Das gefiel dem Jüngling. –

Morgen sollt er hier seyn! sagte der Guardian. Wir haben Festtag, da wirds ihm gefallen!

Ja, ich bleibe hier, rief der enzükte junge Siegwart, der Papa hats schon gesagt.

Gemach, mein Sohn, sprach der Vater; du must erst von den Ehrwürdigen Herren die Erlaubnis dazu haben.

[35] O recht gerne, sagte Pater Gregor, der dabey stand, und wandte sich zu den übrigen: der junge Herr möchte etwas bey uns bleiben. Sie erlaubens doch?

Warum nicht? riefen alle. Herr Amtmann, sagte einer, Sie müssen Ihren Sohn ja der Kirche schenken! Er hat recht einen göttlichen Beruf dazu. Wir sahens ihm schon gestern an, und sprachen noch heute viel davon. Er wird ihnen Freude, und dem Orden Ehre machen. Wir glaubten schon, Ihren Karl zu kriegen; aber Xaver taugt noch mehr dazu. Lassen Sie ihn so lange bey uns, als Sie wollen; Er soll gewiß gut aufgehoben seyn.

Das bin ich überzeugt, sprach der alte Siegwart; wenn Sie so erlauben wollen, so lasse ich ihn etliche Tage hier; er bat mich heut darum. Es scheint, daß er recht viele Lust zum Kloster hat, und wenn es Gottes Wille wäre, so bin ichs auch recht wohl zufrieden. Ich sollte auch einmal ins Kloster, und vielleicht wär' mirs besser gegangen, als so. Doch ich bin jetzt auch zufrieden. Wollen Sie erlauben, so schick ich heute statt des Kostgelds etwas Wein und Korn. In ein paar Tagen hol ich meinen Sohn dann wieder ab.

[36] Sie müssen aber heut doch erst bey uns zu Mittage essen, sagte Gregor, und das Kloster ein bischen besehen.

Er und Anton giengen nun mit den beyden Siegwarts auf die Bibliothek, wo sie Bücher mit den schönsten Kupfern sahen. Dann besahen sie die herrlichen mit Perlen und Gold gestickten Meßgewande, deren Anblick das Auge des jungen Siegwarts fast verblendete; die goldnen, mit Steinen besetzten Kelche; Silberne und vergoldete Bildnisse von Aposteln und Heiligen. In der Kirche schimmerten die goldbedeckten Altäre im Stral der Morgensonne. An den Wänden hiengen herrliche Gemälde von Heiligen, und Kapuzinern, die als Märtyrer gestorben sind. Besonders rührte ein Gemälde den jungen Siegwart bis zu Thränen. Viele Kapuziner hiengen todtblaß, aber doch mit einer innern Heiterkeit, und einem halbgebrochnen, mühsam zum Himmel empor gehobnen Auge, an Kreuzen. Ueber ihnen schwebten, in halberleuchteten Gewölken, Engel mit Siegerkronen, und Palmzweigen in der Rechten. Auf einer andern Seite wurden welche durch das Schwert hingerichtet. Verschiedne, mit Blut befleckte Rümpfe lagen schon vor ihnen. [37] Auf einem derselben kniete ein alter silberhaarichter Kapuziner, der eben hingerichtet werden sollte, mit dem Kruzifix in der Hand. Auf dem Vordergrunde wurden andre an einem Thurm vorbey geführt, aus dessen festvergitterten Oefnungen abgehärmte Gesichter heraussahen, die sich eben einen solchen Tod mit Sehnsucht zu wünschen schienen; besonders rührte unsern Siegwart das Gesicht eines Jünglings, der ihn mit Thränen anzusehen schien.

Das waren alle unsre Brüder, sagte Anton, die als Missionarien nach tausendfachen Leiden der Märtyrerkrone sind theilhaftig geworden. Wir werden sie einst alle wieder bey Gott antreffen, wenn wir, wie sie, willig Armuth, und, wenns seyn soll, auch Verfolgung tragen.

Mit diesen Worten sah er den jungen Siegwart an, der den ganzen Ausdruck dieses Blickes fühlte.

Nun kamen sie im Hof an ein kleines steinernes Häuschen, das ans Kloster angebaut war. Gregor machte das Thürchen auf, und ein Haufen Krücken und Stäbe lag da über einander gethürmt.

[38] Das sind Zeugen von den Kuren, sagte Gregor, welche mit Gottes Hülfe durch unser Gebeth, und die Kraft unsers wunderthätigen Marienbildes, das Sie in der Kirche gesehen haben, hier im Kloster verrichtet worden sind. Krüppel und Lahme kamen an ihren Krücken, und auf Wagen zu uns. Gesund und frisch konnten sie in ihre Häuser zurückgehen, und liessen zum Andenken ihrer Heilung ihre Krücken und Stäbe hier. So thun wir Gutes, was wir können, an Leib und Seele.

Der junge Siegwart betrachtete diese Stützen der Elenden, die sie nun nicht mehr bedurften, mit einer heiligen Ehrfurcht; und noch mehr die Väter, denen er in seiner frommen Einsalt solche Wunderkräfte zutraute. Er glaubte nun, er müsse ein Mönch werden, und brannte vor Begierde, es schon jetzt zu seyn. Seine ganze Seele war von einem Taumel ergriffen, der ihn nichts hören, und nichts sehen ließ, als nur das Kloster. Die ganze andre Welt war ihm nun verhast, und öde. Er betrachtete sie als den Wohnplatz abgeschiedner, bedaurenswürdiger Seelen; und hätte in diesem Augenblicke den gehast, der ihn wieder aus seinem erträumten Himmel hätte heraus [39] reissen wollen. So schnell werden lebhafte Seelen, die jedem Eindruck offen sind, oft durch Schattenbilder zu Entschlüssen hingerissen, die einen Einfluß auf ihr ganzes künftiges Glück oder Unglück haben. Möchten doch nicht Leute, die diese schwache Seite einer feurigen Seele kennen, sie so oft misbrauchen!

Noch verweilten sie sich eine Zeitlang in den Zellen der beyden Mönche. Alles gefiel hier unserm jungen Siegwart; das kleine Krucifix, das hölzerne Bette, und besonders der Todtenkopf, den Pater Anton auf seinem kleinen Tische stehen hatte.

Nun wars bald Essenszeit. Man speiste heute, um der beyden Fremden willen, in dem Gartensaal. Die Paters begegneten dem jungen Siegwart mit besondrer Achtung, um ihn immer noch mehr fürs Kloster einzunehmen. Gegeneinander zeigten sie eine ausserordentliche brüderliche Freundlichkeit; einer erzälte nach dem andern etwas Angenehmes aus dem Kloster; sprach verächtlich von der Welt und ihren Freuden; rühmte das Glück der Einsamkeit, und pries den Tag als den glücklichsten seines Lebens, an welchem er das Gelübde abgelegt hatte.

[40] Der alte Siegwart muste versprechen, wenn es, wie nicht zu zweifeln wäre, seinem Sohn serner im Kloster gefiele, ihn in kein anderes, als in das ihrige zu thun. In der Stadt könne Xaver bey den Piaristen, wohin sie ihn empfehlen wollten, in 3 oder 4 Jahren die Anfangswissenschaften lernen, und dann könne er gleich auf die Universität gehen.

Nach Tische gieng man noch ein paar Stunden im Garten spazieren, oder setzte sich ins Gebüsch, wo eine Menge Amseln, Nachtigallen und andre Vögel fast ganz zahm herumhüpften, und sangen, weil ihnen die Paters nie nichts zu Leide thaten.

Gegen Abend gieng der alte Siegwart nach Hause, nachdem er seinen Sohn den Mönchen noch einmal empfohlen hatte. P Anton, P. Gregor und sein Sohn begleiteten ihn bis ans Wäldchen; wo sie zärtlich von einander Abschied nahmen.

Traurige und freudige Gedanken wechselten nun in seiner Seele mit einander ab. Er wünschte sehr, daß sein Sohn ein Mönch werden möchte, denn er war noch vom Aberglauben nicht ganz frey, und glaubte, ein gutes Werk zu thun, [41] wenn er seinen Sohn Gott, das heist, nach den angenommnen irrigen Begriffen, dem Kloster schenkte; aber er konnte sich doch auch des, nur zu richtigen Gedankens nicht entschlagen, daß sein Sohn nicht fürs Kloster gebohren, und daß sein jetziger Entschluß nur eine Art von Betäubung sey, die eben so bald wieder vorüber gehen könne.

Doch wenn der Aberglaube mit der Vernunft ringt, so siegt dieser mehrentheils, weil er immer sehr furchtsam und ängstlich macht. Der gleiche Traum von seiner Frau, den Siegwart mit seinem Sohn gehabt hatte, und den er für ein göttliches Werk hielt; das schon lang anhaltende Zureden seines Freundes Anton; das Dringen der Mönche, dem er nicht ausweichen konnte, und die eigne Neigung seines Sohnes, dessen freyer Wahl er alles überließ, beruhigten ihn wieder von der andern Seite, und befestigten ihn in dem Entschlusse, seinen Sohn der Welt absagen zu lassen. Er wird einst unter Antons Anführung ein frommer Mann werden, und mehr kann ich ihm nicht wünschen.

Auch der Gedanke gab seinem Entschluß noch einiges Gewicht, daß er dann mehr für das Wohl seiner seiner beyden andern Söhne und für die Versorgung seiner beyden Töchter thun könne, weil er auf [42] diese Art nicht soviel an seinen Xaver zu verwenden brauche.

Als er nach Hause kam, und den beyden Söhnen, davon der älteste ihm an die Seite gesetzt war, sein Verfahren bekannt machte, billigten sie dasselbe auch aus eigennützigen Absichten sehr, ob sie gleich die Religion zum Deckmantel nahmen, und viel von Verdienstlichkeit und guten Werken sprachen. Nur Therese, die älteste Tochter, billigte den Entschluß nicht, und bedaurte insgeheim ihren armen Bruder, ohne daß sies merken lassen durfte.

Der junge Siegwart gieng indessen zwischen seinen beyden Mönchen langsam wieder nach dem Kloster zu. Diese wetteiferten, ihm angenehme Dinge vorzusagen, und seinen Entschluß zu loben.

Der Abend strich ihm in der Gesellschaft der Kapuziner, die sich beym Abendessen fast allein mit ihm beschäftigten, und ihm das Klosterleben von der reizendsten Seite abzuschildern suchten, sehr angenehm hin. Sein Herz ward immer mehr gefesselt; wo er hin sah, erblickte er Ruhe, Zufriedenheit, und brüderliche Liebe; Bilder, die bisher immer nur in seiner Einbildungskraft geschwebt hatten, und die nun wirklich und lebendig vor [43] ihm da standen. Nach dem Abendessen gieng man wieder in den Garten. Heute hatte sich eine Nachtigall ganz nahe zu der Grotte gemacht, und sang da ihr göttliches Lied. Siegwarts Seele war ganz voll. Er drückte einigemal dem P. Anton mit einer innigen Bewegung die Hand.

Er besuchte noch mit ihm und Pater Gregor einen kranken Pater, der mehr vor Alter als vor Krankheit langsam dahin zu sterben schien, und der Rose glich, die an einem stillen Abend, wenn kein Lüftchen sich bewegt, die Blätter nach und nach verliert. Der Kranke athmete still, und sprach wenig. Neben ihm lag sein Gebetbuch, und der Rosenkranz. Dazwischen stand ein Krucifix. Einige Blumen welkten in einem irdenen Gefäß. Ein paar Arzneygläser standen dabey. In der Ecke der Zelle hing eine düstre Lampe, die ihr Licht nur schwach umher verbreitete. Anton und der andre Pater, die dem Kranken wachen solten, sprachen leise. Jede lautere Bewegung ward vermieden, und tiefe feyerliche Stille herrschte rings umher, wie es bey dem Sterbebette der Mutter Siegwarts gewesen war. Ihr Andenken wachte auch hell in seiner Seele auf, und sie erschien ihm noch einmal im Traum; lebhafter als die Nacht zuvor.

[44] Anton, der seine tiefe Traurigkeit wahrnahm, führte ihn ganz langsam an die Thüre, öfnete sie leise, und lispelte ihm in die Ohren: der gute Pater wirds nicht lange mehr machen. Komm er morgen früh, wenn er Lust hat, wieder zu mir in die Zelle; vielleicht hat mein Freund bis dahin überwunden.

Siegwart gieng nun mit traurigen Gedanken schlafen; um fünf Uhr wachte er auf, und sein erster Gedanke war an den kranken Pater. Die Sonne gieng neblicht auf; der halbe Himmel war blutrot, und warf einen blassen Wiederschein an die weisse Wand des Schlafgemachs. Er zog sich schnell an, und gieng an die Zelle. Er klopfte zweymal an die Thüre, ohne daß ihm geantwortet wurde; doch hörte er laut reden.

Als er aufmachte, hielt P. Anton dem Sterbenden den Kopf in die Höhe und nickte ihm mit Thränen in den Augen zu. Der andre Pater las aus einem Buche vor. Der Kranke war mehr gelb, wie blaß; Seine Augen standen unbeweglich, und man sah nur das Weisse davon. Er sammelte seine letzten Kräfte, und betete laut nach. So flammt die sterbende Lampe noch einmal hell auf, und verlischt. Die letzten Worte, die er [45] mehr herausstieß, als sprach, waren: Hilf, Herr Jesu! Nun zuckte er ein paarmal, und lag todt da.

Gottlob! hat wieder einer überwunden, sagte Pater Anton, ließ den Kopf des Todten sinken, und drückte ihm die Augenlieder zu. Er ist bey seinem Heiland Jesu Christo, und bey allen Heiligen. Du guter Pater, Martin, warst ein frommer Mann; mein Ende sey wie deines! Der andre Pater gieng hin, es dem Guardian anzuzeigen; Anton legte eine Decke über den Leichnam, gieng aus Fenster, und schwieg eine Zeitlang still.

Siegwart gieng hierauf mit schwerem Herzen, und allein im Garten auf und nieder; stellte sich die Züge des Sterbenden wieder vor, drückte sie in seinem Herzen tief ein, und folgte seiner Seele in Gedanken in den Himmel nach, sah den Jubel der Gerechten, die die Siegerinn empfiengen, und ihr Palmenzweige streuten. Seine ganze Seele war emporgehoben, und er wuste lange nicht, daß ihm helle Zähren aus den Augen rollten. Alle seine Wünsche waren auch ein solcher Tod; und der einzige Weg dahin schien ihm das Kloster. Er warf sich auf eine Rasenbank, verhüllte sein Gesicht in beyde Hände, und lag in einer Art von [46] Betäubung da, als der Schall von allen Glocken den Anbruch des Fests verkündete.

Er gieng in den Versammlungssaal, wo die Väter traurig bey einander standen, und sich vom Verstorbnen unterhielten. Alle lobten ihn einmüthig, und schickten ihm ihren Segen nach. Sein Begräbnis ward auf übermorgen angesetzt, und nun giengen die Paters Paar und Paar in die Kirche, die mit Blumen bestreut, und mit Meyen ausgeschmückt war. Mehr, als hundert Wachslichter wurden angesteckt. Dicke Weihrauchswolken stiegen auf, und umgaben die Paters und den jungen Siegwart. Es ward ein feyerlicher voller Choral angestimmt, der wie ein Meer daherbrauste. Der langsame, andachtsvolle Gesang und der begeisternde Weihrauchsduft trugen unsers Siegwarts Seele zu den Wolken. Er hatte tausend, sich durchkreuzende Empfindungen, ohne Eine davon deutlich zu fühlen. Es war ihm, als ob er zwischen Himmel und Erde schwebte, und zuweilen einen Blick durch die Wolken an den Thron des Höchsten thäte. Das Gesicht der Geistlichen schien ihm zu glänzen, und verklärt zu seyn. Er warf einen Blick auf das Gemälde, wo die Kapuziner hingerichtet wurden. Sie schienen ihm [47] zu leben, und ihn anzublicken. Er hielt sich schon für ein Mitglied des Ordens, und blickte in die Welt, wie in ein Grab zurück, von dem sich sein Geist dem Himmel zugeschwungen hatte. Der Guardian hielt das Hochamt; die Gemeinde kniete nieder, und ein heiliges Te Deum trug die Seele des Jünglings in noch tieferes Erstaunen und Entzücken über. Nach vollendetem Gottesdienst gieng er mit dem P. Anton in die Zelle des Verstorbenen, der schon in einem schlechten Sarge lag, um welchen brennende Wachskerzen standen. Nach einer kurzen Unterredung von den Tugenden des Todten, die in Siegwarts Seele eine brennende Nacheiferung erweckte, ward zum Essen geläutet.

Während der ganzen Mahlzeit herrschte eine fast ununterbrochene feyerliche Stille. Die Augen waren niedergeschlagen; zuweilen sah ein Pater den andern an, und kehrte schnell, wenn er bemerkt wurde, den Blick, in welchem Thränen schwammen, wieder weg. Wider Willen stieß der eine und der andre einen lauten Seufzer aus, der die Losung zu einer neuen allgemeinen Bestürzung gab. Inzwischen redete doch jeder mit dem jungen Siegwart, den das allgemeine Bedauren [48] des Verstorbenen, und die Liebe gegen ihn, wovon dieses ein Zeuge war, im Innersten rührte. Er gewann die Väter, die so vieler Freundschaft fähig waren, nur um desto mehr lieb, und wünschte sich, nur auch recht bald dieser Freundschaft wehrt zu werden. Es ward ihm nun schon als einem, der zum Orden gehörte, begegnet, und diese Art von Vertraulichkeit nahm ihn völlig ein.

Den Nachmittag brachte er gröstentheils in P. Antons Zelle zu, wo noch ein andrer Mönch hin kam, der ihm lauter abentheuerliche Wundergeschichten von Leuten aus seinem Orden erzälte, und ihm besonders das Leben des heil. Franciscus von Aßißi empfahl, das er ihm selbst, zum Durchlesen zu leihen versprach. Gegen Abend giengen sie im Garten spatzieren, wo die Mönche zerstreut und niedergeschlagen umher giengen. Sie kamen durch verschiedne Gänge unvermerkt an den Gottesacker, wo schon ein Grab aufgeworfen wurde. Der Abend war zu traurigen Betrachtungen gemacht, trüb und neblicht. Die Sonne gieng verhüllt unter, und schickte erst, eh sie ganz am Horizont hinabsank, noch einige blutrote Stralen auf das schweigende Gefild des Todes. Nach dem Abendessen [49] gieng Siegwart auf sein Zimmer, hatte halbtraurige und halbfreudige Gedanken, legte sich zu Bette, und beschäftigte sich die halbe Nacht durch im Traum mit dem Verstorbenen, den er mit allen Zügen und Bewegungen auf dem Sterbebette liegen und verscheiden sah. Zuweilen wachte er auf, und da deucht' es ihm, als ob Engel ihm zulispelten: Folge dem Gerechten nach! Gleich am Morgen kam Pater Ignatz, mit dem Leben des H. Franciscus, und einigen andern Legenden, deren immer eine fabelhafter war, als die andre, zu dem jungen Siegwart, und empfahl sie ihm nochmals mit tausend übertriebnen Lobserhebungen zum Durchlesen. Dieser hatte kaum zu lesen angefangen, so war seine ganze, leicht zu erhitzende Einbildungskraft in einer andern Welt. Seine Seele wurde mit dem Wunderthäter vertraut, schwärmte mit ihm in der Welt herum, hatte mit ihm Erscheinungen, und wuste sich kaum in die neuen überirrdischen Empfindungen zu finden. Er wünschte sich, auch Vermögen zu haben, um es so, wie sein Heiliger, den Armen auszutheilen; er wünschte, schon den Orden zu haben, um, gleich seinem Vorbilde, nach Cairo gehen, und den Türken das Evangelium predigen zu können. Er hielt schon in Gedanken Predigten, [50] deren Feuer und Beredsamkeit, wie er glaubte, Menschen und Thiere, deren sich sein Patron auch angenommen hatte, zur Ueberzeugung hinreissen müste. Er hofte, auch einmal des Eindrucks der Stigmatum wehrt zu werden, weil er eben das thun zu können hofte, was Franz in seinem heiligen Eifer gethan hatte. Nichts beschäftiget das Herz mehr, als Chimären und Entwürfe, die man in die Zukunft baut. Man steigt von Einem aufgethürmten Schloß aufs andere, und sieht mit Verachtung auf die übrigen Menschenkinder herab, die im Staube kriechen, und den ordentlichen Weg gehen. Alle Hindernisse schwinden weg; man sieht nichts vor sich, was im Wege stehen könnte; oder schreitet mit Riesenschritten drüber weg, und sieht mit Wolgefallen auf die zurückgelegte steile Bahn herab. Einem Schwärmer ist in seinem Sinne alles möglich; und kein Herz ist mehr zur Schwärmerey geneigt, als ein solches, das, bey einer lebhaften Einbildungskraft ein zartes moralisches Gefühl hat, und es mit den Menschen, seinen Brüdern, gut meynt. So giengs unserm jungen Siegwart; er sah lauter Hülfsbedürftige vor sich, sah schon ihre Thränen rinnen, hörte schon den Dank [51] von Lippen erschallen, die er Gott und Jesum hatte anrufen lernen.

P. Anton überraschte ihn in dieser heiligen Begeisterung, und schlug ihm vor, ihn auf den Nachmittag in ein paar nahgelegne Dörfer zu begleiten, um Allmosen einzusammeln. Siegwart nahm den Vorschlag mit Freuden an, und gieng, nachdem er erst seine Bücher sorgfältig aufgehoben, und eins davon zu sich gesteckt hatte, mit dem P. Anton in den Speisesaal, erzählte da dem P. Ignatz seine Freude über die geliehnen Bücher, und unterhielt sich mit den andern Vätern während dem Essen von den Wundern des H. Franciscus. Alle lobten seine Liebe zu ihrem Stifter, und prophezeyten ihm ein glückliches und heiliges Leben. Man gab ihm einige Bilder vom H. Franz und andern Heiligen, die er den Bauerknaben und Mädchen austheilen könnte. Ein Bild vom H. Franciscus behielt er selbst, um es in seinem Zimmer anzukleben, und sich täglich an seinem Anschauen zu belustigen und zu erbauen.

Nun gieng er mit P. Anton auf ein, anderthalb Stunden weit vom Kloster entferntes Dorf. Sie konnten auf dem Wege wenig miteinander sprechen, weil die Leute, die im Feld und auf den Wiesen [52] arbeiteten, Hauffenweis herbeygesprungen kamen, und den Pater, den sie alle liebten, um den Seegen baten. Jeder blieb mit seiner Harke, oder was er sonst in der Hand hatte, stehen, oder sprang herbey, und grüßte den Ehrwürdigen Vater mit der grösten schwäbischen Treuherzigkeit. Andre baten ihn, in ihrem Hause einzukehren, und sprangen voraus, um mit allem Vorrath aufzuwarten, den sie hatten. Sie grüßten alle auch den jungen Siegwart, den sie kannten, weil er aus der Nachbarschaft war, und sahen sich vergnügt und einander zulächelnd an, daß ihm P. Anton so freundlich begegnete, wie ein Vater seinem Sohn. Dieser machte ihm die Freude, und ließ ihn die Gemälde von Heiligen unter die Bauerkinder austheilen, die ihn darum baten. Er fühlte das innerste Vergnügen drüber, wie die Kinder sich verneigten, das Geschenk ansahen, und dann mit froher Eile ihren Eltern zuflogen und sie sehen liessen, was der Ehrwürdige Pater, und der junge Herr ihnen schönes geschenkt habe.

Während daß die Dorfglocke zum Allmosengeben geläutet wurde, sprang eine Bäurinn mit zerrissnen Haaren und verweinten Augen aus der Hütte heraus, um dem Pater ihre Noch vorzutragen. [53] Ihr Mann hatte sie geschlagen, und nun sollte Anton der Friedensrichter werden. Er gieng mit ihr und dem jungen Siegwart in die Hütte, wo der Bauer noch ganz wild in der Stube stand, und sich das Blut aus dem Gesicht wischte, das ihm seine Frau, um sich zu vertheidigen, zerritzt hatte. Hinter dem Ofen stand ein kleiner Knabe weinend, und zitterte, weil er seinen Vater so in Wuth sah. Die Tochter, ein unschuldiges Mädchen von 16 Jahren, weinte auch in ihre Schürze, weil der Vater sie geschlagen hatte, als sie ihrer Mutter hatte zu Hülfe kommen wollen. Der Bauer ward vor Schrecken schneeweiß, als er den Pater mit der Mine des Friedens und der Ruhe hereintreten sah. Er nahm die Mütze ab, fieng an einen guten Abend zu stottern, um seine Verwirrung zu verbergen, und ward dadurch nur noch verwirrter.

Ey, Ey! was muß ich sehen? fieng Anton endlich an; Was ist das, Michel, daß ihr so zerstreut und blutrünstig ausseht? Es scheint, da hats Händel gegeben; das ist doch nicht schön, Michel, eure Frau so unchristlich zu schlagen, wie sie mir erzält hat. – Ja, sie hat mirs auch darnach gemacht, fiel der Bauer ein; wenn Sie wüsten, [54] Ihro Wohlehrwürd – So? Hast du nicht selbst angefangen, du? rief das Weib, und trat aus dem Winkel hervor.

Eins nach dem andern, lieben Kinder! sagte Anton, setzte sich auf eine Bank und winkte dem jungen Siegwart, es auch zu thun – Eins nach dem andern! Sonst kann ich nicht draus klug werden, wer Recht oder Unrecht hat? Ihr seyd noch zu hitzig, Michel! laßt euer Weib erzälen, wie der Handel angieng?

Die Frau. Ja, Ihr Wohlehrwürd, sehn Sie nur, da stund ich da draussen vor der Thür, und nahm meiner Kinder Wäsche vom Seil' herab; kommt da ein armer Söldner vom nächsten Lutherschen Dorf her, der schon drey Jahr mit der Schwindsucht zu thun hat, und keinen Menschen, der sich seiner annimmt, weil er arm ist, und ein Fremder, aus dem Salzburgerland, da von den Vertriebenen, wie Sie werden g'hört haben – Der kömmt, an zwey Stöcken, daß er kaum aus der Stelle kommen kann, sieht aus, wie der bittre Tod, der leibhafte Hunger gukt' ihm aus den Augen, und bittet mich um Gottes und um Jesus willen um ein Stücklein Brod, und einen halben Scherben saure Milch, weil er noch den [55] ganzen Tag nichts gessen hab, und so kraftlos sey. Es war ein Jammer anzusehen, wie er kläglich that, und zitterte. Ich, ohne lang mich zu bestimmen, lauf ins Haus, will ihm einen Scherben süsse Milch, und ein gut Stück Brod dazu holen; denn ich denk halt immer, was man den Armen gibt, das gibt man Gott, und unter den Lutheranern gibts doch auch Arme, und sind auch Menschen, wie unser eins. – Mein Mann kommt wie wüthig hergelaufen, sagt, was will der Ketzer draussen? Mach, daß er sich fort schiert! – Je, Mann, sagt ich, sey doch nicht so arg! Ich wollt ihm nur ein Stücklein Brod geben. Siehst nicht, wie er aussieht? – So! das wär schön, hub er an; willst noch gar den Ketzern geben, den verfluchten Hunden! Sapperment! Du bist mir ein rechtes Weib! Beym Teufel! Man sollt dich aus dem Haus schmeissen. Wirst wol gar noch Lutherisch werden wollen; hast doch immer so Geschmeiß gnug an dir. Komm mir nur, und gib ihm was! Theilst doch immer gnug unter die Halunken unsers Glaubens aus. Und da fieng er an zu fluchen, daß es schröcklich war.

[56] Ich ward denn auch hitzig, wie's so geht, Ihr Wohlehrwürd! und geb ihm brav heraus, und sag, daß ein Ketzer auch ein Mensch sey, und auch einen Gott hab, wie wir, und einen Seeligmacher, Jesus Christus; und lang nach dem Brodmesser, und will ein Stück Brod abschneiden; da kommt er auf mich zu, nimmt mich bey der Gurgel, schmeist mir's Messer aus der Hand, und schlägt mich ins Gesicht, und wo's hingeht. Er hätt mich schier erwürgt, wär mein Mädel nicht dazwischen kommen, und da fällt er über die her, schlägt sie braun und blau, daß ich nur gnug abzuwehren hatte. Und da sprang ich endlich aus dem Haus und traf zu allem Glück Ew. Wohlehrwürden an, sonst hätt er mich gewiß umgebracht. Es ist ein Elend, bey so einem Mann zu leben; und nun fieng sie an, bitterlich zu weinen.

P. Anton. Ist das wahr, Michel, ist der Handel so angegangen?

Michel. Ja, Ihr Wohlerwürd, nun will ich sehn wer recht hat! Hab ich nicht christlich gehandelt? Müssen Sie's nicht selber sagen?

P. Anton. Christlich, Michel? Ey, Ey! Das wär schlimm, wenn das christlich wäre! Wer [57] hat euch so was gelehet? Hört mir einmal ruhig zu, wenn ihr könnt! – Seht! daß die Ketzer Menschen sind, wie ihr, und unser eins, könnt ihr ja schon daraus sehen: wenn einer davon zum katholischen Glauben üvertrit, so wird er ja nicht verwandelt; er bleibt, was er vorher war; hat Augen, Ohren, Nasen, wie wir, ißt und trinkt, wie wir, und wird um kein Haar anders. Und daß man alle, die wie wir Menschen sind, und Fleisch und Blut, wie wir haben, lieben müsse, werdet ihr doch glauben; es steht hundertmal in der Bibel geschrieben. Warum sollten wirs auch nicht thun? Sind wir doch alle von Einem Vater, Adam. Und, nicht wahr? Leute, die Einerley Vater haben, heissen Brüder oder Schwestern, und die müssen doch einander lieben?

Michel. Das ist wahr, Herr! Aber –

P. Anton. Nun, ihr meynt wohl, die Ketzer könn unser Herr Gott nicht lieb haben; aber denkt nur einmal nach! Scheint die liebe Sonn etwa nur in katholische Dörfer, oder nicht auch in die lutherischen? Haben wir allein Wasser, und Brod? oder haben's eure lutherische Nachbarn nicht auch? Regnet's nur bey uns, wenns nöthig ist, oder auch bey den Lutheranern? Ihr dürft ja nur eure [58] Aecker und Wiesen ansehen, sie stossen oft an die luthrische. Bey ihnen gedeyht das Korn und das Gras so gut, wie bey uns, und wenn ein Wetterschaden kommt, so trift er eure Felder so gut, wie die ihrigen; das ist alles eins. Meynt ihr denn, Gott würde Menschen erhalten, wenn er sie nicht lieb hätte? Oder wollt ihr sie verhungern lassen, oder todtschlagen? Wollt ihrs besser machen, wie Er? In der Bibel steht kein Wort davon, daß man seinem Nebenmenschen, wenn er auch ein Ketzer ist, so hart und unmenschlich begegnen soll. Ich will euch gleich eine Geschichte erzälen; unser Seeligmacher hat sie selbst erzält, und ihr werdet draus sehen, daß ein Ketzer auch ein guter Mensch seyn kann, an dem Gott Wohlgefallen hat; und an wem er Wohlgefallen hat, den macht Er selig, wenn er auch ein Ketzer ist.

Die Geschichte lautet so: Ein Rechtgläubiger wollte eine Reise machen, und da fiel er unter Spitzbuben, die ihn halb todt schlugen, und so liegen liessen. Da reiste ein Priester vorbey, das war ein Rechtglaubiger, der sah ihn, und ließ ihn ohne alle Barmherzigkeit liegen. Drauf kam ein Levit, das war auch ein Rechtglaubiger, der ließ ihn auch in seinem Elend da liegen. Nun gebt [59] Acht! Was geschieht? Ein Ketzer, ein Samariter reist von ungefähr vorbey, sieht den halbtodten Menschen, der nicht seines Glaubens, und, seiner Meynung nach, ein Ketzer ist, liegen; sieht ihn mitleidig an, geht zu ihm hin, verbindet ihm seine Wunden, legt ein Pflaster drauf, und bringt ihn auf seinem Maulesel in ein Wirthshaus, wartet ihn da selber, und trägt dem Wirth auf, als er weiter reisen muß, er soll für den Kranken sorgen, und bezalt von seinem eignen Geld dem Wirth auf einige Tage voraus, daß ihm ja nichts abgehen soll. Ist das nicht schön? Und das hat ein Ketzer gethan, und den Ketzer lobt Christus, und sagt, daß mans ihm nachmachen soll.

Meynt ihr nicht, Michel, daß unter euren Nachbarn, die ihr so verketzert, auch solche gute Leute sind? Ich wenigstens wüste nicht, daß sie euch was zu leid thäten; vielmehr halten sie gute Nachbarschaft, und thun euch alles Guts; würden euch auch wol ein Krümchen Brod und etwas Milch geben, wenn ihr so, wie der arme Mann, weßwegen ihr eure Frau so geschlagen habt, vor ihre Thür kämet und betteltet. Pfuy, das ist nicht fein, so mit Menschen umzugehen!

[60] Hier fieng Michel an zu weinen. Und wißt ihr denn nicht, daß es heist: Christus der Herr ist für alle gestorben? für die christkatholische, wie für die Ketzer. Ihr dürft deswegen nicht lutherisch werden; da behüt mich Gott davor, euch so was zu rathen. Es ist immer besser, den geraden Weg gegangen, als den krummen. Aber friedlich und nachbarlich sollt ihr leben; und ich wollt, wir hätten all Einen Glauben!

Und was seyd ihr denn für ein Mann, Michel? Da ists euch nicht genug mit den Ketzern so unmenschlich umzugehn; da muß noch eure arme Frau dran, die besser und christlicher denkt, als ihr. Da entsteht Unfried im Haus drüber; Eure Kinder schlagt ihr auch, und gebt ein böses Exempel. Aber ich weiß wol, wo der Schaden liegt; ihr seyd geitzig, hängt am Zeitlichen, und meynt, ihr müßt alles allein zusammen scharren, damit's sein einen grossen Hausen gebe. Das sind mir die rechten Christen! Ich habs vorhin wol gemerkt, ihr werft ihr vor, sie geb den Armen viel. Sie thut recht dran, und Gott wird ihrs einst im Himmel noch vergelten, wo ihr nicht hin kommt, wenn ihrs so macht. Ihr seyd ein schlechter, [61] unchristlicher Mann, der kein menschlich Herz im Leibe hat!

Hat ...del Thuts euch leid? Wacht euch das Gewissen auf? Weint ihr? Seht, Michel! Gott weih! ich meyns herzlich gut mit euch. Es ist mir nur um eure Seeligkeit zu thun.

Michel (weinend) Ja das weiß ich wohl, Ihr Wohlehrwürden, und es thut mir herzlich leid. Ich habs nicht so überlegt; bin eben ein hitziger Mann; und der vorige Herr Pfarr ...

P. Anton. Ich weiß wol, was ihr sagen wollt. Euer voriger Pfarr, Gott geb ihms ewige Leben! Ich hab oft mit ihm drüber gesprochen. Der wollt auch so über die Ketzer her. Aber euer jetziger, der wirds euch ganz anders sagen, fragt ihn nur!

Michel. Ach, Ihr Wohlerwürd, wenn ichs nur nicht gethan hätt! nun geht mirs erst recht nah.

P. Anton. Nun, nun. Es ist mir lieb, daß auch noch ein guter Funken in euch ist! Reu und Leid über seine Sünden ist der Anfang zur Besserung. Und dann wird euch Gott um Christi willen auch gnädig seyn, wenn ihrs nur von Herzen meynt. Da, geht hin, gebt eurer[62] Frau die Hand, und bittet sie um Verzeihung! (Indem stand P. Anton und Siegwart auf; die Frau trat näher und weinte. Siegwart, und das Mädchen schluchzten, und der kleine Knabe weinte auch mit.) Nun, in Gottes Namen gebt einander die Hände! – Michel, es ist euch doch Ernst?

Michel. Ja warlich, recht von Herzen Ernst, Ihr Wohlehrwürd. – Verzeih mir nur, liebes Weib, was ich dir hab zu leid gethan! Es soll gewiß nicht wieder geschehen. Verzeih mir du auch, Cathrine! Der liebe Gott mag mirs auch verzeihen, daß ich bisher so ein Mensch war, und mit den Luthrischen so umgiengl – Nicht wahr, liebes Weib, du vergibst mir, wenn mirs leid ist? Sollst künftig einen ganz andern Mann an mir haben. Ich will dir so fromm seyn, als ein Lamm. Kannst den Armen meinetwegen geben, so viel du willst ...

Die Frau konnte vor Weinen nicht sprechen, und fiel ihrem Mann schluchzend um den Hals. Es war ein Anblick, da sich Heilige und Engel drüber freuten. P. Anton sah beym Fenster hinaus, und wischte sich die Augen. Siegwart suchte seine Thränen mit dem Schnupftuch [63] zu verbergen. Dieser Auftritt machte auf sein ganzes Leben einen tiefen Eindruck in sein Herz. Es hatte ihm immer in der Seele weh gethan, wenn er den Lutheranern und den Juden ärger als dem Vieh begegnen sah. Er dachte immer, ob denn Gott so abscheuliche Menschen auf der Welt dulden könne, die man so verachten müsse? Und nun hatte er den P. Anton noch gedoppelt lieb, weil er so seine Meynung hatte, die er nie an Tag zu legen wagen durfte. Der Bauer war nun so liebreich und freundlich, wollte alles auftragen, was er hatte, um dem Pater nur recht seine herzliche Dankbarkeit zu bezeugen. Seiner Frau, und den Lutheranern begegnete er von dem Augenblick an, und sein ganzes Leben durch, mit wahrer ehelicher Zärtlichkeit, und ungeheuchelter christlicher Liebe. Wenn er hitzig werden wollte, fiel ihm dieser Tag, und das ungelehrte aber treuherzige, und eben darum tief eindringende Zureden des P. Anton ein, und da war wieder Fried und Menschenliebe in seiner Seele. Er schafte sich heimlich eine Bibel an, und las am Sonntag, oder an den langen Winterabenden darinn, und da fand er, daß Gott keiner Religionsparthey befohlen habe, die Ketzer zu hassen, oder zu verfolgen; vielmehr daß das [64] erste und wichtigste Gebot: Liebe gegen Gott und gegen Alle Menschen sey. Seine Frau sah sich, wie in einem neuen Leben; sie glaubte, das Paradies sey wieder aufgeschlossen worden, und schloß täglich mit Thränen in ihr Gebeth den rechtschaffenen Pater Anton ein, der sie seit diesem Tage allemal besuchte, wenn er in ihr Dorf kam.

Voritzt wollten sie ihn mit Gewalt noch länger bey sich behalten, und ihm Kuchen und Wein vorsetzen; aber er verbats, denn sein Herz war belohnt genug. Laßt mich jetzt weiter, lieben Leute, sagte er; ich muß noch zum Klosterbauren; Er hat mir schon ein paarmal sagen lassen, ich möchte doch ja zu ihm kommen, wenn ich hier im Dorf wäre; Er hätte mir gar was wichtiges zu sagen; ich weiß nicht, was es seyn mag? Ich wollte doch noch ins nächste Dorf; aber das wird für heute wol zu spät seyn. Nun, ein andermal! Lebt wohl, Michel, und haltet, was ihr mir versprochen habt! Und ihr, Anna, bleibt bey euren guten Gesinnungen! so wirds euch wohl gehn.

Er gieng, von den ausgesöhnten Eheleuten noch eine Strecke weit begleitet, mit Siegwart zu dem Klosterbauren.

[65] Als er von hintenzu durch den Garten nach dem Hause gieng, sah er in der Ecke des Gartens den Sohn vom Hause traurig da stehn, und am Zaun was ausbessern. Der junge Mensch nahm den Hut freundlich ab, und sah dem Pater lange schwermüthig nach. Dies bemerkte der junge Siegwart, und hatte Mitleid mit ihm. Sie traten ins Haus, und trafen den Bauren an, der eben aufs Feld hinaus gehen wollte. Hastig lehnte er die Harke an die Wand, nahm den Hut ab, und rief: O Herr Pater, seyn Sie mir tausendmal willkommen! Ich hab schon so gar lang auf Sie gewartet, wollt was wichtiges mit Ihnen reden. Sieh, das ist ja des Herrn Amtmanns Sohn; willkomm, junger Herr! Wo bringen Sie denn den her, Ihr Wohlehrwürd? Vom Kloster, sagte Anton, er ist bey uns, und will auch ein Geistlicher werden. Ey, Ey, sprach der Bauer, das ist schön! Ja, ja, der Herr Amtmann hat halt Mehr Kinder, da muß er schon sehen, wie ers unterbringt. Treten Sie doch in die Stub, Ihr Wohlehrwürd! Hier aussen siehts aus, wie in Kaiser Karls Rüstkammer. Ich will gleich wieder bey der Hand seyn; Gehen Sie nur zu!

[66] Indem sprang er weg, ließ Wein und Bier und Wecken holen, und kam selbst mit einem Teller voll Fleisch ins Zimmer. Da, ihr Wohlehrwürd, es ist noch frisch; lassen Sie sichs brav belieben; und Er auch, junger Herr! Anton und Siegwart verbatens; Man setzte sich um den Tisch herum, und nun fieng Franz an:

Franz. Was ich Ihnen sagen wollt, Ihr Wohlehrwürd und worüber ich lang gern mit Ihnen gesprochen hätt, ist halt für mich eine traurige Sach, die mir schon viel Herzeleid gemacht hat. Da hab ich einen ungerathnen Sohn; es ist noch darzu mein einzig Kind; Sie werden ihn wol gesehen haben; Er steht da im Garten draussen; der will mir übern Kopf wachsen, will klüger seyn, als ich und seine Mutter, die ihm nur zu viel nachsieht, und hat sich schon seit Jahr und Tag, ohne daß wir das geringste davon wußten, an ein Mädel hier im Dorf gehängt, und das Mädel hat nichts, ist des Jörg Silbers Tochter, und ich hab ihm längst schon in Gedanken etwas besseres ausersehen. Wie ich nun vor 3 Wochen so von ungefähr dahinter komme, daß er das Mädel karessirt, und alle Nacht, wenn wir zu Bett sind, noch mit ihr im Mondschein herumspatziert, oder auf dem Kirchhof[67] mit ihr sitzt; da laß ich ihn am Morgen drauf in meine Kammer kommen, damit's die Dienstbothen nicht hören; die Mutter war auch dabey, und halt' ihm seinen Unfug recht ernstlich vor; sag ihm, was er für ein Kerl sey; er hab einst von mir den Hof zu gewarten, und schöne Feldgüter, so und so viel Jauchert Acker, Wiesen, Küh und Gäul, und ein schön Stück baares Geld und so fort an; und häng sich da, wider seiner Eltern Wissen und Willen an ein Mädel, das nichts hab, als sechs oder siebenhundert Gulden und ein glatt Gesicht; was es uns für Herzeleid mache, so was von ihm zu hören; wir hielten doch so viel auf ihn, scharrten alles für ihn zusammen, und was ich sonst so mehr sagte. Da sang ich denn an, wacker drauf zu schmälen, und das End vom Liede war, er soll sich ja nicht mehr gelüsten lassen, mit dem Mädel nur ein Wort zu sprechen, oder sie den Abend hinter's Haus zu bestellen; es werd nichts gutes draus; er werd mich und seine arme Mutter ins Grab bringen, wenn er so fort mach; aber vorher werden wir ihn von Haus und Hof jagen, ihn enterben, und ihm statt des Segens auf dem Todbett unsern Fluch geben. Sakerlot, Ehrwürdiger Herr! da fängt der Jung an zu greinen: sagt, er könn [68] das Mädel nicht lassen, woll mit ihr leben und sterben; es könn ihr kein Mensch im Dorf etwas böses nachsagen, sie hab immer brav gethan, und er hab ihr im Namen der heiligen Jungfrau, und aller Heiligen im Himmel am Osterabend zugeschworen, sie zum Weib zu nehmen, und den Tag drauf hab er auch das heilige Nachtmahl drauf genommen. Und nun sey sie sein, und müsse sein bleiben! – Ich wuste bey Gott nicht, was ich vor Zorn sagen sollte. Die Mutter wollte sich durch sein Greinen schon herum bringen lassen, ich stieß sie aber bey der Thür hinaus, und sagt ihm noch einmal, er wisse meine Meynung nun, und könne sich darnach richten. Wenn ich wieder was erfahre, woll ich ihn ins Loch stecken lassen, und da könn er sitzen bleiben, bis mein Schimmel schwarz werde. Er sagt', es sey schon recht, und gieng trotzig weg. Etlich Tage gieng er nun herum, wie vor den Kopf geschlagen, aß und trank und sprach nichts, gab kaum Antwort, wenn man ihn um etwas fragte, und Abends, sagten meine Leute, lieg er immer unterm Kammerfenster, kratz die Wand mit den Nägeln heraus, spreche was für sich oder pfeif, und dann wisch er sich wieder das Gesicht, als ob er weinte.

[69] Holla, dacht ich, das ist schon gut; die jungen Leutlein sind immer so, wenn ihnen etwas durch den Sinn fährt. Weh muß es ihm freylich thun, denn im Grunde hab ich nichts gegen das Mädchen, 's ist ein brav schön Ding, nur daß sie nicht reich ist. Kommt Zeit, kommt Rath! Nach und nach wirds schon besser, und das Greinen wird ihm schon entleiben. Wenn ich ihm nur erst von des Wirths Susanna sage, denn die hab ich – hier in der Stube g'redt – im Sinn. Ich war also ganz ruhig, that aber freundlich gegen ihn, denn ich sah, daß er mager wurde, weil er Nachts gar nicht schlief.

Ich denk, es ist alles gut; er ward wieder muntrer, that seine Arbeit, und guckte Abends nicht mehr aus der Kammer, bis vor acht Tagen der Teufel – verzeih mirs Gott! – wieder los geht. Ich lieg Abends schon im Bett – es war halb zehn Uhr – da fangen die Gäul an, im Stall zu schlagen; ich ruf meinem Sixt, weil der Knecht über Feld war; aber da war kein Sixt. Ich stund auf, gieng selber in den Stall, band den Schimmel an, der sich losgerissen hatte, und visitirte drauf in meines Sohns Bett; Sieh, da war der Vogel ausgeflogen. Ich frug mein Weib, [70] ob sie nichts von ihm wisse; sie sagte nein, bat mich aber ruhig zu seyn, er werd wol bald wieder kommen, und nur mit den andern Baurenkerls im Wirthshaus seyn. Das Ding war mir aber verdächtig, ich zieh also meine Jacke an, und geh nach dem Wirtshaus; da war schon kein Licht mehr. Halt, dacht ich, der wird dem Mädel wieder nachgeschlichen seyn; und, indem ich's so denke, seh ich von weitem bey des Schmieds Haus was weißes gehen; ich drauf zu; und da wars mein feiner Sohn mit der Dirn am Arm. Tausend Sapperment, wie mir da zu Muth wurde! Das Mädel lief davon, und Sixt kam auf mich zu, als ob nichts geschehen wäre. Hol dich dieser und jener! sagt ich; heist das auch dem Vater gehorchen, wie ichs haben will? Gelt, hast geglaubt, ich schlafe, und da stiehlst du dich hinterrüks vom Haus weg? du nichtsnutziger, ungerathner Sohn! Ich hab dirs so verboten, mit dem Mädel nichts mehr zu thun zu haben, und du thust mirs doch! Komm nur heim, da will ich dir was anders sagen! Er wollte sich noch verantworten, es sey ihm nicht möglich gewesen, seine Regina zu verlassen; er habs thun wollen, da sey ihm aber immer sein Eid wieder eingefallen; er hab Tag und Nacht keine Ruh gehabt; [71] das Mädel hätte sich zu Tod gegrämt, sey schon ganz abgezehrt, und hab ihm sagen lassen: Er soll ihr nur bald mit der Leiche gehn; sie habe schon die Todtenuhr schlagen, und die Sterbeglocken läuten hören. Und da sey er eben in Gottes Namen wieder hingegangen. – – Ins Teufels Namen, sagt ich, du verdammter Kerl! Komm nur! Morgen sollst's schon hören. Heut will ich meine Nachbarn nicht mehr aufwecken um so eines Bubens willen. Ich gieng, fluchte so vor mich hin, und der Kerl hinterdrein; er war mäuschenstill, nur zuweilen schluchzte er, als ob er die Seel' aus dem Leib heraus weinen wollte. Die ganze Nacht über konnt ich kein Auge zuthun. Mein Weib wollt ihm noch die Stange halten, und da sah ich wohl, daß sies mit ihm hielte; das brachte mir noch mehr Herzeleid. Gleich am Morgen ließ ich ihn herauskommen; stellt' ihm Himmel und Hölle vor; sagt' ihm, was da zuletzt herauskommen wolle? daß ichs schlechterdings nie zugeben werde. Wenn du sie nicht lassen willst, sagt' ich endlich, so kannst du dich packen, wo du hin willst. – Ja das will ich thun, gab er mir zur Antwort; denn, weiß Gott! ich kann das Mädel nicht sitzen lassen, Ihr mögt mit mir anfangen, was Ihr wollt; es ist im ganzen Dorf keine Dirne wie sie, so [72] arbeitsam und fromm und redlich, und das muß ihr auch ihr ärgster Feind nachsagen. Was habt Ihr denn gegen Sie? Daß sie nicht so viel hat, wie ich? Nun sie hat doch genug. Arm ist sie auch nicht; und dann hat sie ein redlich christlich Gemüth, und würde für mich leben und sterben. Das ist mehr, als Geld und Gut. Gesunde starke Händ haben wir auch, und sind das Arbeiten von Jugend auf gewohnt, und dann läst Gott keinen Vogel Hungers sterben, geschweige denn einen Menschen, der sich redlich durch die Welt bringt. Ich habs Euch gesagt, Vater, ich kann und darf sie nicht lassen, denn ich hab ihrs zugeschworen; und wenn ihrs nicht anders wollt, so werd ich Soldat, da kann ich sie heyrathen heut und morgen, und behalt ein gutes Gewissen, und krieg ein bravs Weib; nun bedenkt, was Ihr thun wollt?

Sehen Sie, Ihr Wohlehrwürd, so hat er gesagt, und dann gieng er weg. Ich stand da, wie vom Wetter getroffen; seine Reden vom Soldatenwerden giengen mir stark im Kopf herum. Es ist mein einziger Sohn, und er ist mir lieb, weil er sonst immer brav war, und mir nie nichts zu Leid gethan hat. Es soll jetzt wieder Krieg werden; wenn ihm eine Kugel vor den Kopf geschossen [73] würde! – Und Kourage hat er auch: Er hat seitdem schon ein paarmal mit den Werbern hier im Dorf gesprochen. Da bin ich nun voller Aengsten. Mein Weib liegt mir immer in den Ohren, sagt, ich sey ein harter Mann, und habs zu verantworten, wenn ich sie um ihren Sohn bring. Ich sagt' endlich, ich will mit dem Herrn Pater Anton sprechen, was Er davon hält? Ob er unsern Sixt nicht auf bessre Gedanken bringen kann? Ich hab zu Ihnen ein groß Zutrauen, Ihr Wohlehrwürd. Der neue Herr Pfarr ist erst angekommen, den kenn ich noch nicht so. Da wollt ich Sie denn bitten, was Sie darzu sagen? ob Sie meinem Sohn nicht zureden wollen?

P. Anton. Wenn ich die Wahrheit sagen soll, Franz, so seyd ihr mir ein wunderlicher eigensinniger Mann. Ihr habt einen einzigen Sohn, und ein groß Vermögen. Ihr sagt, daß ihr ihn lieb habt; wenn das ist, so muß euch auch sein Glück lieb seyn. Nun seht ihr wohl, daß der junge Mensch anders nicht vergnügt leben kann, als wenn er seine Regine zum Weib bekommt. Es muß ihm Ernst mit seiner Liebe seyn, weil ers so drauf ankommen läst, daß er lieber euer Haus meiden, und sein Vermögen verlieren will, als das Mädchen lassen. [74] Junge Leute kommen freylich oft so aneinander, sie wissen selbst nicht, wie? und wären dann froh, wenn sie sich bald wieder los werden könnten. So aber ists, wie mir deucht, bey eurem Sohn nicht, da ers schon über ein Jahr treibt, und noch immer am Mädchen hängt. Er ist ein braver Mensch, und sie auch, wie ihr selber sagt. Glaubt mir, Franz, in dergleichen Sachen läßt sich nicht viel spielen. Euer Sohn könnt sich das zu Gemüthe ziehen, und ich habe schon viel Schwermüthige gekannt, die's aus Liebe geworden sind; solchen Leuten ist dann schwerlich mehr zu helfen, auch wenn man ihnen hinterdrein das Mädchen geben wollte. Warum wollt ihrs denn nicht thun? Gesteht mirs nur, daß sich viel Eigensinn und Geiz mit einmischt! Beydes sind gar grobe Laster. Wer sein ganzes Glück auf Geld und Gut setzt, der vergißt zuletzt seine Seele drüber. Ihr habt ein schön Vermögen, mehr als ihr braucht, wenn ihr auch hundert Jahr alt werdet. Sie hat auch ihre 6 bis 700 Gulden. Wenn die Leutchen nun zusammen kommen und fleißig arbeiten, so kanns ihnen nicht wol fehlen. Sie werden zusammen leben wie die Engel, still und friedlich; werden euch ihr Lebelang ihr Glück verdanken, und euch Freude machen. [75] Was hilfts, wenn euer Sohn ein reicheres Weib nimmt, das er nicht lieb haben kann? Ich hab solche Ehen schon gesehen; da leben sie zusammen, wie die Hunde und die Katzen; wenn das eine dahinaus will, will das andre dort hinaus. Da gibts ewigen Unfried, Zank und Schläge und eines wird des andern Teufel. Wollt ihr euren Sohn glücklich sehen, und ihm eine solche Hölle zubereiten? Einigkeit ist das erste Glück der Ehe, und erhält ein Haus allein aufrecht. Ich will mit eurem Sohn reden, Franz, aber ich versprech euch nicht, daß ich viel ausrichten werde. Wenn ihr wollt, so laßt ihn hereinkommen! Aber, wenn mein Zureden nichts über ihn vermag, dann müßt ihr mir versprechen, daß ihr nachgeben wollt. Sonst mag ich mit der ganzen Sache nichts zu thun haben. Durch mein Zuthun soll kein Mensch auf Erden unglücklich werden, weder ihr, noch euer Sohn. Uberlegts wohl!

Franz. Ja ich will mich in Gottes Namen drein schicken, Herr! Ich sag immer, was der P. Anton will, das will ich auch. Er versteht die Sache besser, als unser eins. – Anne! (zu der Magd, die eben Bier und Wein brachte). Sag dem Sixt, er soll hereinkommen; der Herr Pater [76] woll was mit ihm sprechen! – Sie wissen einem das Herz im Leib so weich zu machen, Ihr Wohlehrwürd! Es ist mir schon ganz anders zu Muthe, und schier kommt mirs vor, als ob ich bisher Unrecht gehabt hätte. Ja, ja, wie Gott, und der Herr Pater will, pfleg ich so zu sagen. Da kommt er schon! – Sixt, der Wohlehrwürdige Herr will dich etwas fragen. Komm nur näher her! Darfst dich nicht fürchten.

P. Anton. Sixt, ich hab gehört, ihr habt ein Mädel hier im Dorfe?

Sixt. Ja, Herr!

P. Anton. Und wollt nicht von ihr ablassen?

Sixt. Ach ich kann nicht, Wohlehrwürdiger Herr! (und hier schossen ihm die Thränen in die Augen.)

P. Anton. Und warum denn nicht? Da's doch euer Vater nicht gut heißt?

Sixt. Ja, Herr Pater, das ist so eine eigne Sache; wenn man schon will, man kann nicht. Ich hab schon hundertmal drüber geweint, und allerley im Sinn gehabt; aber wenn ich wieder an sie denke, und an den Eid, den ich ihr gethan habe, und daß sie so brav und gottsfürchtig ist, und mich [77] so von Herzen lieb hat, daß sie drüber zu Grund gehen würde; dann ists, als ob ich mit hundert Haken wieder zu ihr hin gezogen würde, und sie in Zeit und Ewigkeit nicht lassen könnte. – Nein, bey Gott, ich kanns nicht! Bey allen Heiligen will ichs schwören, daß es kein Eigensinn ist! Ich thu sonst so willig, was mein Vater will; er muß es selber sagen. Aber wenn ich meine Regine nicht haben soll, das hieß mir Gift geben, da will ich mich lieber lebendig braten lassen. Jedermann muß mir's Zeugniß geben, daß nichts an ihr auszusetzen ist, und daß wir nie nichts Unrechtes miteinander vorgehabt haben. Sehen Sie nur, Herr Pater, es ist ein engelschönes Mädel, frisch und rasch, zu aller Arbeit aufgelegt; ihre Eltern sind auch brave Leut, die sie christlich und wohl erzogen haben. Sie versieht das ganze Hauswesen, seit die Mutter krank ist; den ganzen Tag sieht sie bey der Arbeit nicht auf, wenn auch ich zu ihr käme. Alle Menschen sind ihr gut; sie hätt schon zehen Bauren haben können, die noch reicher sind, als ich; aber sie will keinen, als mich; und da sollt ich ihr den Stuhl vor die Stube setzen? Nein, das will ich nicht, das kann ich nicht! Einem Kerl, der [78] ein Mädel angeführt hat, kann's nicht wohl gehen. (Hier wischte er sich die Augen.)

P. Anton. Nun, Franz, was sagt ihr dazu?

Franz. Nichts, als daß der Blitzkerl recht hat.

Sixt. Seht, Vater, es thut mir leid, daß ich euch die Zeit her so viel Kummer gemacht hab. Es war mir nirgends wohl. Der liebe Gott weiß, wie ich ganze Nächte durch geächzt habe. Ich hab mir tausendmal den Tod gewünscht. Aber es ist einmal nur umsonst; wider besser Wissen und Gewissen kann man nicht thun. Der Mutter hab ichs oft gesagt, die hatte auch keine ruhige Stunde; aber sie sah's doch ein, und hörte mir zu.

Franz. Nun, Sixt, gib mir die Hand, und verzeih mir! Es war nicht so bös gemeynt. Kannst das Mädel haben. Sey's in Gottes Namen! Stromauf kann man freylich in der Donau nicht schwimmen. Sapperment! ich wollt dir des Wirths Tochter geben; das wär auch was gewest. Aber, nicht wahr, Herr Pater, besser ist besser? Nun, nun, wenn ihr einander mit Gewalt haben wollt, so kriecht zusammen! Hätt [79] ichs doch nimmermehr gedacht, daß mich der Herr Pater so herum bringen würde. Heh, Weib! – Sie ist draussen in der Küche – komm herein! Sollst wan neues hören. – Frisch! eingeschenke, Herr Pater!.. Wie, Sixt? du stehst ja da, wie ein armer Sünder. Da! trink auch eins! Soll leben deine Regine! – Trink ers auch mit, junger Herr! – Das Aug steht ihm ja voll Wasser. Hab ich ihms nicht recht gemacht mit meinem Sohn da?

Siegwart. O ja, völlig recht, Nachbar Franz! Es freut mich, daß es so gegangen ist. Eure Gesundheit, Franz! und Eure auch, Sixt, und Eurer Regine ihre!

Sixt. O ich bedanke mich, junger Herr, tausendmal! Ach, ich weiß nicht, was ich sagen soll, Herr Pater! Das Herz ist mir so voll, ich möcht Ihnen nur zu Füssen fallen; weiß nicht, ob ich im Himmel oder auf Erden bin? Gott vergelts, was Sie an mir und meiner Regine gethan haben! Wir arme Leut könnens doch nicht. – Und Ihr, Vater! ach verzeiht mir, und seyd tausendmal bedankt! – – Ich kann nichts reden, muß nur weinen und mir Luft machen.

Franz. (Zu seinem Weib, das herein kommt) Heh Weib! Viktoria! laß dir eine neue Haube machen [80] auf die Hochzeit! Unser Sixt soll seine Regine haben; da, dem Herrn da hast du's zuverdanken; denn ich weiß doch, daß dirs lieb ist, alte Mutter; nicht wahr?

Die Bäurinn. Ja wohl. Gott sey ewig Lob und Dank, Franz, daß du dich besonnen hast! O Herr Pater, da haben Sie ein recht gutes Werk gethan. Mein armer Sohn wär zu Grund gegangen, und sein Mädel auch. Nun Sixt, wie ist dirs? Siehst ja so traurig aus, und greinst.

Sixt. Ach Mutter, last's nur seyn! Ich kann kein Wort sprechen; 's ist des Glücks gar zu viel auf einmal. Ich weiß wohl, der Herr da nimmts nicht übel; sieht mir wohl an, daß ich danken wollte, wenn ich könnte. Laßt mich nur hinaus! Es wird schon besser werden in der frischen Luft.

Sixt gieng hinaus, und Siegwart sah ihm noch durchs Fenster nach. Nun ward Franz bey seinem Gläschen Wein immer munterer, und tranks dem P. Anton, und dem jungen Siegwart fleißig zu. Es that ihm wohl, daß ihn Anton und sein Weib wegen seines geänderten Entschlusses lobten, und drüber vergaß er die Bedenklichkeiten wegen der Ungleichheit des Vermögens völlig. Ein Geistlicher [81] hat, vermittelst der Religion und des Ansehens, das ihm sein Stand in den Augen andrer Leute gibt, viel Gewalt über das Herz der Menschen und besonders des gemeinen Mannes; Möcht' es doch jeder zu so guten Absichten, wie P. Anton, und nicht, wie so viele thun, zu Befriedigung seiner Leidenschaften, seines Ehr- und Geldgeizes oder seiner Rachgier anwenden! Der edle Mann, mit dem schneeweißen Haar und der breiten Glatze saß jetzt da, gesegnet von den Eheleuten, die er wieder ausgesöhnt, gesegnet von einem jungen Paar, dessen Glück, das schon zu wanken anfieng, er aufs ganze Leben befestigt hatte, und von einer Mutter, der er ihren Sohn und die Ruhe ihres Mannes wieder gab. Siegwart sah ihn an wie einen unmittelbaren Abgesandten Gottes; helle Zähren stunden ihm im Auge, und er konnt es gar nicht von ihm wegwenden. Franz sprach schon davon, wann sein Sohn Hochzeit machen sollte, und setzte sie auf den künftigen Monat fest, da denn Anton versprechen mußte, auch dazu zu kommen. Er bekam reichliche Geschenke für sein Kloster, Vntrer, Flachs und Eyer, und nahm endlich mit dem jungen Siegwart Abschied, um das Allmosen bey dem Schulzen in Empfang zu nehmen, seine Abfahrt zu besorgen, [82] und dafür im Namen seiner Brüder zu danken. Sixt war nicht zu finden, als er von dem Hause weggieng.

Nach empfangnem Allmosen machte er sich mit Siegwart auf den Weg nach seinem Kloster. Sie waren schon eine Strecke weit vom Dorf weg, und giengen an einem einzelnen Dorngebüsch zwischen den Aeckern, als Sixt mit seinem Mädchen draus hervorsprang.

O Herr! riefen beyde zugleich, und waren wieder eine Zeitlang still. Da, das Ist mein Mädel, sagte Sixt, und will Ihnen danken. Tausend, tausend Gottes Lohn, rief sie weinend, und drückte dem Pater mit Heftigkeit die Hand.

Ja Ihr Wohlehrwürd, fuhr Sixt fort, das war eine Freude, als ich zu ihr kam, und sagte, daß wir nun einander haben sollten. Ich hätte, weiß nicht wie viel drum gegeben, daß Sies selbst mit angesehen hätten; Sie verdienten es. Sie hub ihre Hände auf, und dankte Gott laut für die Gnade, und als ich ihr sagte, daß wir alles dem P. Anton zu verdanken haben, wollte sie, wie sie gieng und stand, in mein Haus und Ihnen danken. Ich sagte aber, daß wir's vorm Dorf draussen besser könnten, wenn wir so allein wären. Nun haben wir da gewartet, bis Sie kamen, und wollen [83] nun, wenns Ihnen recht ist, Sie bis vor den Wald hinaus begleiten.

Es thut mir Leid, meine lieben Kinder, sagte Anton, daß ihr euch wollt Mühe machen. Mir habt ihr wenig zu verdanken; wag ich gethan hab', hab' ich gern gethan. Wenn ich meinem Nächsten helfen kann, das geht mir über alles, und so muß es jeder brave Mann machen und thut es auch. Ich hoff', ihr werdets redlich miteinander meynen, und ein gutes christliches Ehepaar werden. Ihr müßt nun eurem Vater gut begegnen, Sixt, und ihm alles zu Lieb thun, da er's euch auch gethan hat. Und ihr, Regina, müßt euren neuen Schwiegereltern auch recht freundlich begegnen, und euch nicht einmal darum zu rächen suchen, daß der Vater euch seinen Sohn nicht gleich hat geben wollen. Er hats mehr um des Gelds als um euretwillen gethan; denn wider euch hat er nie nichts gehabt. Jeder Mensch hat seine Schwachheiten, und ihr müßt ihm die vergeben.

Ach ja herzlich gerne, sprach das Mädchen. Lieber Gott, wer wird sich deswegen rächen wollen? Wenn ich nur meinen Sixt habe, dann will ich mit der ganzen Welt in Fried und Einigkeit leben. Ich müßte ja immer fürchten, den lieben [84] Gott zu erzürnen, wenn ich jemand kränkte, und da könnt' er mir zur Strafe meinen Sixt nehmen. Nein, um seinetwillen sind mir alle Menschen lieb, und am meisten seine Eltern. Ich konnt ihnen nie recht böse seyn, wenn sie's auch schon böse mit mir meynten. Ich bin nie so fromm gewesen, als seit ich meinen Sixt habe, und wenn er nun erst mein Mann ist, und ich immer um ihn bin, da werd ich ja noch frömmer werden. O Herr Pater, Sie können nicht glauben, was Sie uns für einen Dienst geleistet haben; und ich, als ein einfältiges Bauermädchen kanns eben nicht so an Tag legen; aber doch ist mir's Herz voll, und Sie müssen mit dem guten Willen vorlieb nehmen. Ich wills dafür dem lieben Gott sagen, was ich denk, und Ihnen Gutes anwünsch!

So giengen sie noch eine gute Strecke Wegs mit dem Pater und dem jungen Siegwart fort, und äusserten ihre Gesinnungen, die zwischen Dankbarkeit und Zärtlichkeit getheilt waren. Man wird selten in der Stadt, wo die Menschen sich gewöhnlich aufgeklärter und besser dünken, als die Landleute, ein Paar finden, das sich mit der reinen unverfälschten Zärtlichkeit, mit der Treue und Festigkeit liebt, wie unser Pärchen. Aber Unschuld [85] und Reinigkeit des Herzens war das Band, das sie verknüpfte; und dieses ist das festeste, das noch jenseits des Grabes in der Ewigkeit fortdauert. Wohl dem Jüngling, dessen Seele sich allein durch dieses Band fesseln läßt! Er und seine Freundin werden einst mit Semida und Cidli, mit Petrarch und Laura, mit Klopstock und mit seiner Meta unter den Lebensbäumen wandeln, und sich ihre Liebe auf der Unterwelt erzählen.

Endlich nahmen Sixt und Regine von P. Anton und dem jungen Siegwart Abschied. Sie konnten kaum vor Thränen sprechen, und blieben noch, so lang sie ihnen nachsehen konnten, auf dem Hügel stehen; dann kehrten sie in der Dämmerung zurück, küßten sich tausendmal mit dem keuschen Kuß der Liebe, sahn zum Abendstern auf, und ihr Blick war Dank und Gebeth für den guten Pater Anton. Dieser gieng voll innern Friedens mit dem jungen Siegwart nach dem Kloster, dessen Seele voll war von nie empfundenen Gedanken an die Größe eines Menschen, der ein Wohlthäter seiner Brüder ist, und gleich der Sonne zur Ruhe gehen kann, die den Tag über das Herz den Menschen und die Welt mit ihrem Strahl erquickt hat.

[86] Der andre Morgen war der Begräbnißtag des verstorbnen Paters. Alle Väter versammelten sich um acht Uhr im Konventsaal. Auf ihren Gesichtern war eine allgemeine Traurigkeit verbreitet; Schmerz und Thränen sprachen aus den Augen; Siegwart war bey ihnen. Man gieng an die Zelle des Verstorbenen; zwölf Paters nahmen den Sarg auf. Die andern und Siegwart giengen Paar und Paar; jeder eine brennende Wachskerze in der Hand. Man gieng durch den langen Kreuzgang nach der Kirche zu. Das Schweigen und das Rauschen der hölzernen Schuhe war fürchterlich. In der Kirche setzte man am Hochaltar den Sarg nieder; und stellte Wachskerzen drum herum. Nach einer dumpfen feyerlichen Trauermusik, die die Seele durch dunkle, Menschenleere Wüsten bis ans Grab hin führte, und sie vor der Verwesung des Körpers zurückschauern machte, ward eine Seelmesse gelesen. Man hub den Sarg, nachdem er mit dem Weihwasser besprengt worden war, wieder auf, und trug ihn durch den langen Gang im Garten nach dem Gottesacker. Ein dicker Nebel hüllte alles ein. Die Wachskerzen warfen einen fürchterlichen Schein in die Nacht des Nebels. Der Sarg [87] ward am Grabe niedergesetzt; die Paters stellten sich in einem Kreise um das Grab herum, und beteten. Pater Gregor stand dicht daran, und sah mit starren Blicken in die Gruft. Weinen konnt' er nicht mehr; seine Säfte waren ausgetroknet. Der Sarg ward hinabgelassen; der dumpfe Schall, den die Erdschollen auf dem holen Deckel machten, weckte ihn aus seinem Schlummer, und ein tiefer Seufzer hub seine Brust zitternd empor. Er hub seinen Blick zum Himmel, und lächelte halbfreudig, als ob Engel mir ihm sprächen. Das Grab war nun ausgefüllt, und der Hügel wurde aufgeworfen. Ein Pater hielt eine kleine, aber rührende Rede von den Tugenden des Verstorbenen; einer nickte ihm nach dem andern Beyfall zu, und dankbare Thränen, die schönsten Zeugen eines frommen wohlthätigen Lebens, flossen auf den Hügel. Man gieng nun vom Grabe wieder in das Chor zurück, wo noch einmal eine Trauermusik gemacht wurde, die sich erst durchs Graun der Gräber langsam und melancholisch fortschlich, dann sich schnell und triumphirend wie ein Adler zu den Wolken aufschwang, und die Hofnung der Auferstehung ausdrückte.

[88] Nun gieng man, nach noch einmal gehaltner Seelmesse, auseinander, P. Anton auf seine Zelle, und Siegwart auf sein Zimmer. Seine ganze Seele war umwölkt und traurig; aber als er am Fenster stand, und sah, wie die Sonne mit dem Nebel rang, und endlich siegte, daß die Berge und nachher die Felder wieder aufgehellt da lagen; da wards auch in seiner Seele wieder heiter, und sein Herz erhub sich wieder. Eine freudige Empfindung verdrang die andre, und seine Phantasie durchirrte tausend Scenen aus der Zukunft. Er dachte sich in alle mögliche Verhältnisse, in die er einst als Mönch kommen könnte; alle waren lachend und heiter, wie das Feld vor ihm im Sonnenstral.

Er las hierauf noch im Leben des heiligen Franciscus, und erhitzte seine Einbildungskraft noch mehr, bis zum Essen geläutet wurde. Hier wurde viel vom Verstorbenen gesprochen. Jeder wußte eine Geschichte zu erzählen, die zu seinem Vortheil gereichte. Am meisten gefiel unserm Siegwart folgende, die der Guardian erzählte:

Unser seliger Bruder war doch, wie wir alle wissen, ein großer Freund von der Physik, Mathematik, und besonders von der Astronomie, worinn [89] ers weiter gebracht hatte, als mancher Professor auf der Universität. Er besaß noch von seinem Vater her, der eben diese Wissenschaften getrieben hatte, eine schöne Anzahl von den herrlichsten Instrumenten, Zirkeln, Quadranten, Sehröhren und Büchern mit Kupfern, die viel Gelds werth waren. Diese machten seine einzige Freude auf der Welt aus. Ganze Tage durch saß er bey den Büchern und rechnete; und Abends, wenn der Himmel hell war, sah er bis um Mitternacht, und oft noch länger durch sein Sehrohr nach den Sternen und dem Mond. Ich weiß noch, was er Anno. 44. für eine Freude hatte, als der grosse Komet am Himmel stand; wie er uns alles erklärte, und vorrechnete, wann der Wunderstern wieder kommen werde. Vor ungefähr zwanzig Jahren kriegte er von seiner Mutter, die im Frankenlande wohnte, Nachricht, daß sie nicht nur ihr ganzes ansehnliches Vermögen verlohren habe, sondern auch noch in eine ziemliche Schuldenlast gesteckt worden sey, weil ihr zweyter Sohn, ein liederlicher Mensch, alles durchgebracht, Schulden gemacht, und zulezt sich von den Kaiserlichen habe anwerben lassen. Unser Pater Martin gieng einige Tage lang ganz schwermüthig herum, vermied allen Umgang, und [90] bat sich endlich vom Prälaten die Erlaubnis aus, auf einige Tage nach Augspurg reisen zu dürfen. Hier gieng er ins Jesuiterkollegium, wies ein Verzeichnis von seinen Büchern und Instrumenten vor, bot es feil, und ward endlich mit den Jesuiten eins, ihnen die ganze Sammlung um 400 Gulden zu überlassen. Das Geld, bat er, möchten sie gleich, wenn sie die Sachen in Empfang genommen hätten, seiner Mutter nach Franken schicken. Als er den Handel schon getroffen hatte, bat er die Jesuiten inständig, ihm zu seinem Gebrauch, so lang er lebte, einen Tubus und nur ein paar Bücher, die er sehr werth hielt, zu überlassen; erst sollte alles schriftlich protokollirt, und ihnen das Rückständige zugeschickt werden, so bald er todt wäre. Aber das war nun zu spät, die Jesuiten waren harte Leute, und sagten, der ganze Handel sollte rückgängig werden, wenn sie nicht sogleich alles bekämen.

Nun in Gottes Namen, sagte er, ich muß mir alles gefallen lassen! In 4 Tagen sollen Sie alles bekommen, was auf diesem Zettel steht; wenn nur meine arme Mutter das Geld gleich erhält.

Er kam wieder ins Kloster zurück, sah munterer aus und packte alles ein, was er hatte. Ich [91] war bey ihm auf der Zelle; ein paar Bücher sah er noch einmal mit Thränen an, küßte sie, und sagte: Lebt wohl! Ihr habt mir viel Vergnügen gemacht; und nun schrieb er einen Brief an seine Mutter. Ich hab ihn eben vorhin unter seinen schriftlichen Sachen gefunden, und will ihn vorlesen. Er ward ihm, nach seiner Mutter Tod vor 5 Jahren, nebst andern Briefschaften wieder eingehändigt. Der Brief lautet so:


Herzlich geliebte Mutter!


Die Nachricht von dem schlechten Lebenswandel meines Bruders, und daß er nun Soldat geworden ist, hat mich recht schmerzlich betrübt. Ich kann nichts für ihn thun, als für seine Seele beten, daß sie noch dem Rachen des Verderbens entrissen werde, und sein Ende selig sey! Der selige Vater hat ihn oft gewarnt; aber der Junge wollte nicht folgen, und spottete hinter seinem Rücken. Euer Elend, Innigstgeliebte Mutter, geht mir sehr zu Herzen, und hat mir schon viel Thränen ausgepreßt. Hier, nehmt alles hin, was ich habe, und seyd mit dem Bischen Armut zufrieden! Der liebe Gott woll es reichlich vermehren! Ich hab meine überflüßigen Bücher und Instrumente verkauft, um [92] Euch auszuhelfen; wollt gern, es wäre mehr! Ihr habt freylich weit mehr an mir gethan, als ich Euch vergelten kann. Laßt mich wissen, wie's Euch geht! Vertraut auf den Gott der Wittwen und der Waisen, so wirds Euch nie an Trost fehlen! Mir gehts wohl hier. Ich bin bis in den Tod Euer dankbarer und getreuer Sohn


Martin.


Hier hab ich auch die Antwort seiner Mutter. Der Brief ist halb zerrissen, weil ihn Martin immer bey sich führte, und mit seinen Thränen tausendmal benetzte.


Einzig geliebter Sohn!


O du Trost und Stütze meines Alters! Du mein Einziges und Alles auf der Welt! Was soll ich dir sagen, und wie soll ich dir für alles danken? Diese mütterlichen Thränen, die auf meinen Brief herabfliessen, sind dir gewiß mehr werth als tausend Worte. Möcht ich dich doch an mein Herz drücken können, goldner, auserwählter Sohn! Meine Haare sind vor der Zeit vor Kummer grau geworden, und die Augen schwach vom vielen Weinen um den ungerathnen Philipp; [93] aber du, mein Sohn, du Trost von Gott, hast mich wieder aufgerichtet und jung gemacht, wie einen Adler. Laß dich ewig segnen, auserwählter Sohn! Noch mein letzter Seufzer auf dem Sterbebette soll dich segnen! Wie wird sich einmal dein Vater freuen, wenn ich ihm im Himmel sage, was für einen Sohn wir auf der Welt haben? Ich mag an den andern nicht denken, wenn ich an dich denke. Du hast mir mehr geschickt, als ich brauche, denn ich werds wohl nicht lange mehr machen, und hast dich vom Nöthigsten und alle dem entblößt, was dir lieb ist. O! wenn ich daran denke, möcht ich gleich vorgehen, und das Herz im Leibe will mir brechen. Ich kann nicht weiter schreiben, denn ich seh vor Thränen kaum den Brief mehr. Nur noch Einmal möcht ich dich an mein Herz drücken, unter dem du gelegen hast, Einziger, englischgesinnter Sohn, und dann sterben! Leb wohl, leb ewig wohl! bis ans Ende segnet dich


Deine getreue Mutter


Concordia Dahlern.


Die ganze Tischgesellschaft weinte, als der Brief vorgelesen war. Siegwart konnte sich kaum [94] enthalten, den Guardian zu bitten, daß er die beyden Briefe abschreiben dürfte! Aber er war doch zu furchtsam. Der Guardian fuhr fort:

Unser seliger, theuergeliebter Bruder ließ sich nicht ein Wort verlauten, wie weh ihm der Verlust seiner Bücher und seiner Instrumente thue, und doch merkt' ich es ihm hundertmal an. Er suchte unsre ganze Bibliothek durch, vermuthlich, ob er keine mathematische Bücher finde? Aber er fand wenig, oder gar keine. Wenn er Abends mit den bloßen Augen an den gestirnten Himmel aufsah, so entflog ihm oft ein Seufzer, daß er die himmlischen Reviere nicht mehr genauer untersuchen konnte. Ein paarmal beklagte er sich gegen mich über sein abnehmendes und schwaches Gesicht; hielt aber gleich wieder inne, um das Gespräch nicht auf den Verkauf seiner Instrumente zu bringen. Ein einzigsmal, als ich ihn deswegen loben wollte, sagte er halb böse: Ich that ja nur meine Schuldigkeit. – O, es war ein treflicher Mann, den wir nie genug bedauren können!

Siegwart, sagte P. Anton, wird uns vielleicht einmal seinen Verlust ersetzen, wenn er so fortfährt, wie er anfängt. – Ja das hoffen wir, sagten alle; der bescheidne Jüngling ward im [95] ganzen Gesichte blutroth, und wagte kaum mehr, die Augen aufzuschlagen.

Die Paters stunden bald hernach vom Essen auf, und vertheilten sich. P. Anton fragte Siegwart, ob er ihn etwas in den Garten begleiten wolle? Dieser nahms mit Freuden an. Er gieng ein paarmal stillschweigend und nachdenklich mit dem Pater auf und ab. Lieber Xaver? sagte Anton endlich; er ist ja auf einmal so still geworden? Ganz gewiß denkt er noch den Erzählungen vom seligen Bruder Martin nach; sie haben einen tiefen Eindruck auf sein Herz gemacht, wie's in der Jugend so zu gehen pflegt, und das ist auch recht gut. Laß er's sich nur zur Nacheiferung dienen! Gewöhnlich empfindet der Jüngling das Schöne der Natur und jeder guten edeln Handlung tiefer, als der schon gesetzte, und kalt scheinende Mann. Aber bey den meisten Jünglingen bleibts auch beym Gefühl und geht selten zum Entschluß über. Der gesetzte Mann hingegen, der oft kalt scheint, weil sein Gefühl minder stark und gleichsam stumpf gemacht ist, handelt desto mehr für die Tugend. Er begnügt sich nicht am Anschauen der äußerlichen schönen Gestalt der Göttin, wie der Jüngling am Anschanen [96] seines Mädchens, sondern sucht sich mit ihr auf ewig zu vermählen, um ihre Seele zu besitzen. Doch weh dem Mann, der als Jüngling die äussere Schönheit der Tugend nicht auch tief gefühlt hat! Er wird selten, oder nie als Mann für sie handeln!

Ein Pater, der an ihnen vorbeygieng, grüßte sie mit Namen, und nannte unsern Siegwart, Bruder Xaver. Ja, mein lieber Siegwart, sagte Anton, nun ists bald Zeit, wegen des Klosters einen völligen Entschluß zu fassen, denn dein Vater – laß mich dich immer du nennen, ich liebe dich, wie meinen Sohn – dein Vater, denk ich, wird heut oder morgen kommen, und dich abholen wollen; da müssen wir ihm doch was gewisses sagen. Was meynst du? Hat dirs hier gefallen? Glaubtest du dein Leben als ein Kapuziner, das heißt als ein Mann, der gröstentheils von der menschlichen Gesellschaft abgesondert, dem Gelübd der Keuschheit, des Gehorsams, und der Armuth unterthan, von der Welt ungekannt, oder nur zu oft verkannt und verachtet lebt, glaubst du dein Leben als ein solcher hinbringen zu können, und doch innerlich vergnügt und glücklich zu seyn?

[97] O ja, ganz gewiß glaub ichs! antwortete Siegwart mit Heftigkeit. Ich müßte mir ein Gewissen draus machen, wenn ichs nicht würde; denn wo könnt ich sonst so viel Gutes thun, und mit so viel heiligen Leuten umgehen? Nein, ich will nichts anders werden, wenn mein Vater nichts dagegen hat! Wenn ichs nur schon recht bald wäre!

Nun, nun, so wünsch ich dir zu deinem Vorhaben recht von Herzen Glück: Dein innerlicher Trieb ist besser, als alles Zureden andrer Leute. Wenn du keine Lust dazu gehabt hättest, so würd ich dich nie gesucht haben zu überreden; aber da du selber eine so starke Neigung zum Klosterleben hast, so kann ich deinen Entschluß nicht anders, als loben. Du wirst ein rechtschaffener Mann werden, und dann ist man glücklich. Ich hab es schon gesehen, daß du gottesfürchtig bist, und deinen Nebenmenschen von Herzen liebst, bleib auf diesem Wege! Er ist der einzige zur Glückseligkeit, die so manche suchen und nicht finden.

Da hab ich dir diesen Morgen ein paar Anmerkungen aufgeschrieben, die ich dir, statt meines Segens, auf den Weg mitgeben will. Sie [98] enthalten Lebensregeln, die ich nun seit dreyßig Jahren schon befolgt, und bewährt befunden habe. Präge sie dir tief ein, und rufe sie täglich in dein Gedächtniß zurück! Wenn du sie gleich jetzt noch nicht ganz in ihrer Stärke fühlst, und vielleicht noch nicht völlig verstehst, so wirst du doch, wenn Zeit und Erfahrung kommt, sie fassen, und ihren Werth recht schätzen lernen. In der Ordnung konnt ich sie nicht niederschreiben, ich hatte zu wenig Zeit dazu, und mein Kopf wird nach und nach durchs Alter schwach. – Wer weiß, mein Sohn, ob wir uns in diesem Leben wiedersehen? Vielleicht triffst du, wenn du wieder hier ins Kloster kommst, mein Grab an. Denk dann an deinen alten redlichen Freund, wenn du hier allein im Garten gehst; ruf dir seine Lehren zurück, und befolg sie! Dadurch ehrt man das Andenken an seine Verstorbenen am besten. Werde nicht zu wehmüthig, mein Sohn! Im Himmel sehen wir uns wieder, und vielleicht noch einmal, wenn es Gottes Will ist, hier im Kloster. Der Gedanke an den Tod hat für mich viel süsses. Mach ihn dir zum Freund, und du hast nichts auf der Welt zu fürchten!

[99] Laß uns hier auf diesem Rasen sitzen! Er ist schatticht, und das Gehen wird mir zu beschwerlich. Wenn dirs recht ist, so les' ich dir meine Anmerkungen vor. Er zog sie aus dem Gürtel, und las:

I. Mach dir den Gedanken von der göttlichen Allgegenwart recht lebhaft und stets gegenwärtig! Er bewahrt vor jeder schlechten Handlung und vor schändlichen Gedanken, die die Mutter einer bösen Handlung sind. Wer sich schämt, vor Menschen schlecht zu handeln, wird sich noch mehr vor dem heiligsten und reinsten Wesen schämen, das zugleich unsre Thaten richtet. Der Gedanke von der göttlichen Allgegenwart erhebt das Herz, und treibt es zu grossen Thaten an. Der gegenwärtige Gott wird dich belohnen, wenn auch Menschen deine That nicht sehen. Er wird dich beschützen, wenn dir Menschen schaden wollen; und dich stärken, wenn du sinken willst. Schon unsre Vorfahren, die doch Heiden waren, hatten diesen grossen, herrlichen Gedanken. Sie glaubten, ihre Gottheit, die sie Wodan nannten, fülle den Hain, den sie bewohnten und jeden Ort aus, wo sie lebten. Daher man ihnen jeder Ort ein Heiligthum, jeder Wald ein Tempel; daher übten sie [100] mehr Tugend aus, als die meisten an dern Völker, und entheiligten sich weit weniger durch Brudermord, Diebstal, Ehebruch oder andre Schandthaten.

II. Mach dich am Ersten mit dir selbst bekannt, mein Sohn! Dies ist eine alte Regel, aber selten wird sie recht befolgt. Gib auf alle Bewegungen und Veränderungen deiner Seele acht! Forsch ihren Ursachen nach, ob sie edel sind, oder nicht? Ost macht man sich selber etwas weiß, daß man diese oder jene Handlung aus einer guten Absicht unternehme, und im Grunde hat man einen bösen Endzweck, der den Schaden unsers Nächsten, oder die Entunehrung unsrer selbst zur Folge hat. Oft gibt man einer Gesinnung oder Handlung, die nicht edel ist, den Namen einer edeln, und hintergeht sein eignes Herz durch diesen Kunstgriff. Gib auf dieses alles genau acht, und erlaub dir keine Nachsicht! Werd am ersten gegen dich selbst behutsam! denn der Mensch ist nur zu oft sein eigner ärgster Feind. Lern deine Kräfte kennen, und prüfe sie durch Anwendung! Du must wissen, was du dir selbst zuzutrauen hast; sonst versprichst du immer dir und andern, was du nicht erfüllen kannst. Lern deine Schwächen kennen! [101] Wer sie nicht kennt, kann sich, wenn der Feind kommt, nicht vertheidigen. – Mach dich bey Zeiten mit deinem Feind bekannt, mit alle dem, was dich umgibt, und dich am meisten zur Ausschweifung hinreißt, damit du Waffen zu der Zeit des Friedens anlegest! Sonst ist alle Gegenwehr zu spät. Im Tumult der Leidenschaften wirst du die Vertheidigung vergessen. –

Wer sich selber kennt, der kennt auch andre Menschen. Die Grundtriebe der Seele sind sich, ihrer Anlage nach, fast immer gleich. Du wirst finden, daß Eigenliebe, die im Grunde gut, und der, jedem lebenden Geschöpf vom Schöpfer eingepflanzte Trieb der Selbsterhaltung ist, stets die Haupttriebfeder bleibt, die die Seele in Bewegung bringt. Verschiedne Charaktere bilden sich nur durch die Verschiedenheit der Aeusserungen dieses Grundtriebs. So entstehen Geldgier, Ehrgeiz, Hang zur Wollust, Edelmuth und Menschenliebe, je nachdem wir glauben, durch das eine mehr, als durch das andre, unsre Eigenliebe zu befriedigen.

Kentnis deiner selbst und deines eignen Herzens wird dich in Beurtheilung andrer Menschen billiger machen. Die besondre Lage, Verfassung, und Verbindung eines Herzens, worinn es [102] mit den Dingen ausser sich, und mit andern Menschen steht, bestimmen das Moralische, oder Gute und Böse an einer Handlung mehr, als der äusserliche Schein. Manche Handlung ist so schlimm nicht, als sie scheint, wenn man alle die Umstände wüste, unter denen sie vollzogen wurde. Geh in die Geschichte deines Herzens zurück! Frag dich unpartheyisch, ob du, unter ähnlichen Um ständen, nicht auch zu einem Fehltritt geneigter wärest? Ob es dir nicht oft einen langen, und schweren innerlichen Kampf kostete, eine Neigung zu überwinden? und ob du ihr nicht oft unterlagest, ohne im Grunde bös zu seyn, oder deinen Grundsätzen ungetreu zu werden? Wenn du so dein Herz studierst, dann wirst du weniger hart und unbillig in Beurtheilung andrer seyn.

III. Willst du den Menschen recht viel Gutes thun, so gewöhne dich frühzeitig an eins strenge Ordnung, und eine weise Einrichtung deiner Geschäfte! Sie lehrt den gewissenhaftesten Gebrauch der Zeit. So kannst du jeden Morgen dein Tagwerk übersehen, und Abends strenge Rechnung halten, über das, was du gethan hast. (Unserm Siegwart fiel hier P. Anton, und der gestrige Tag ein; er sah ihm mit freudigerer Bewunderung ins [103] Gesicht) Die Zeit wird dir theurer werden, als Gold und Edelstein. Sie, gut angewendet, mein Geliebter, ist das Mittel, uns zum Engel, und Gott ähnlich zu machen.

IV. Wer von der Welt allein Belohnung oder Lob erwartet, wird wenig wirklich grosse Handlungen verrichten, wenigstens nicht in den Augen Gottes, der sie allein würdigen und schätzen kann. Die grösten Handlungen gehen in uns selbst vor, und treten nicht vors Angesicht der Menschen. Innere Bestreitung seiner Leidenschaften, seiner Lieblingsneigungen, des Hangs zur Bequemlichkeit, zum äusserlichen Ansehen, zum Geld, zur Wollust u.s.w. ist der herrlichste Sieg, der die glorreichsten und fortdaurendsten Palmen erringt, aber erst jenseits des Grabes. Doch fehlts diesem Sieg auch nicht in dieser Welt an seiner hohen himmlischen Belohnung. Das Gefühl, nach seiner Pflicht gehandelt, und die Menschen, seine Brüder, glücklich gemacht zu haben, ist nach einem Tage, der für uns mit Wohlthun untergieng, das süsseste und edelste. Ein Mann, der so viel Gutes thut, als er kann, darf kühn auf alle Könige und Sieger stolz herabsehn, die durch Ehrenpforten auf Triumphwagen einziehn!

[104] Hier, mein Sohn, sagte Anton, und gab unserm Siegwart das beschriebene Blatt, hast du meine Lehren. Möcht' ich sie dir mit diesem Kuß einhauchen können, daß sie immer dir im Herzen wohnten, und zu seiner Zeit herrliche Frucht brächten! Ich bin mit Freuden alt geworden, weil ich sie befolgte. Mach mir, und deinem alten Vater Freude! Lebe fromm und christlich.

Weiter konnte er nicht reden, denn er war zu sehr bewegt. Sein Auge sah ein paarmal zum Himmel auf, und erflehte Glück herab für Siegwart. Laß uns noch ein paarmal auf und abgehn! sagt er, nach einer langen Pause; der Tag ist so schön, und ich fühle heut das Leben der Natur weit lebendiger, als sonst. Sieh doch dieses herrliche Tulpenbeet, wie die Farben durch einander spielen! Die Natur hat tausend Freude, für den, der sie sucht, und mit reinem Herzen in ihren Tempel eintritt. Diese gelbe Tulpe hier, mit den feuerroten Streifen, und dem blauen Kelch! Es ist nur eine gemeine Blume, die der Kenner wenig schätzt, und ist doch so schön. Pflück mir doch diese Aurikel hier! Ich rieche nichts lieber. – Was für ein Balsam aus der Blume fließt! Er stärkt alle Nerven. Alles ist zur Lust des Menschen da, alles sucht ihm zu gefallen. [105] Und der Mensch erkennts so wenig, geht dran vorbey, als obs von ungefähr da wäre. Wenn ich allein spatzieren gehe, dann ist mir kein Gedanke heiliger und süsser, als die Bewunderung und Anbetung des Gottes der Liebe. Die Gedankenlosigkeit setzt den Menschen weit zurück; er könnte weit früher Gott ähnlicher werden, und ihm näher kommen. Daher hab ich immer die Dichter sehr geliebt, weil sie alles Schöne so sehr empfinden, und ihre Leser drauf aufmerksam machen. In der Bibel ists eben so; Christus nimmt fast alle seine Gleichnisse von den Dingen her, die auf dem Feld um ihn herum waren. – Hier wurden alle Saiten der Seele Siegwarts getroffen, denn niemand war auf die Natur aufmerksamer, als er.

Sie kamen nun dem Kloster nah, und der alte Siegwart gieng auf sie zu. Sein Sohn eilte ihm entgegen, und drückte ihm die Hand; Anton umarmte ihn. Du hast einen lieben Sohn, Siegwart! sagte er; seine Gesellschaft hat mir diese Zeit über viel Vergnügen gemacht. Ich seh, du hast ihn gut erzogen; Gott vergelt es dir! Und mit dem Kloster, denk ich, hats nun auch seine Richtigkeit; Nicht wahr, Xaver?

[106] Der junge Siegwart. O ja, Papa; ich bitte Sie, Lassen Sie mich nun recht bald darein! Es ist gar ein herrliches Leben; Ich kanns Ihnen nicht genug beschreiben.

Der alte Siegwart. So gefällt dirs so wohl, Xaver? Nun, Nun! ich will dir nichts in den Weg legen. – Deine Brüder und Schwestern lassen dich grüssen; Sie glaubten schon, ich würde dich gar nicht mehr mitbringen. Therese war recht traurig drüber.

Der junge Siegwart. Aber sie ists doch zufrieden, Papa, daß ich geistlich werde? Den andern, weiß ich, ists schon recht; sie sagtens oft.

Der alte Siegwart. Das kommt auf mich, und dich an, Xaver! Sie haben in dergleichen Dingen nichts drein zu reden. Doch werden sie sichs auch gern gefallen lassen. Therese fürchtet nur, du könnest's im Kloster nicht gewohnt werden.

Der junge Siegwart. Ey, was weiß die? Ich will ihrs schon sagen, wie's so gut ist.

Indem kamen ein paar Paters, und luden die Gäste, auf Befehl des Guardian, ins Gartenzimmer. Alle fünfe giengen hin. Der alte Siegwart ward bewillkommt und ihm, wegen seines Sohns, Glük gewünscht. Es ward nun für ausgemacht [107] angenommen, daß Xaver nichts anders werden sollte, als ein Mönch. Der Guardian versprach, gleich Morgen an die Piaristen im nächsten Landstädtchen einen Brief zu schreiben, und dem jungen Menschen eine Stelle auszumachen. Ein andrer Pater sagte, daß er seinem Bruder, Pater Philipp, der ein Lehrer an der Piaristenschule sey, schreiben, und den jungen Siegwart seiner besondern Aufsicht empfehlen wolle. Die ganze Gesellschaft war nun sehr vergnügt; der Guardian ließ guten alten Nekkarwein auftragen, den das Kloster erst von einer Wittwe geschenkt bekommen hatte, und man trank fleißig herum. Unserm Siegwart wurde eine Gesundheit nach der andern aufs künftige Klosterleben zugetrunken; sie nannten ihn im Scherz Bruder Augustin, weil man im Kloster den Namen ablegt, den man in der Welt gehabt hat. Diese Vertraulichkeit und der Wein, den er nicht gewohnt war, so gut, und so viel zu trinken, machten ihn ganz munter und beredt.

Der Vater, der oben bey dem Guardian saß, und nun, wegen seines Sohnes, alles mit ihm ausgemacht hatte, daß dieser nemlich in sechs oder sieben Jahren ganz gewiß ins Kloster sollte aufgenommen werden, stand endlich um sechs Uhr auf, [108] und nahm von den Paters Abschied. Als der Sohn diese Zurüstungen sah, ward ihm das Herz auf einmal schwer, und das Auge trüb. Es war ihm, als ob er in eine Einöde zurückkehren sollte, so sehr hatte er sich schon ans Kloster gewöhnt. Eine Zeitlang stand er stumm und zitternd da; dann sprang er aber eilends weg, und kam nach einigen Augenblicken wieder, mit den Büchern unterm Arm, die ihm P. Ignatz geborgt hatte. Er gieng zu ihm hin, und sagte: Leider hab ich die Geschichte vom heiligen Franz nur halb, und die andern Bücher gar nicht durchlesen können; aber ich dank Ihnen doch reckt sehr. Nein, mein lieber Xaver, sagte Ignatz, so ists nicht gemeynt; Er soll die Bücher zum Andenken von mir behalten, oder sie mir erst wieder zurückgeben, wenn er hier Profeß thut. Mach er keine Umstände! Sie sind sein. Xaver sah seinen Vater an, als ob er fragte, was er thun sollte? Ja, wenn der Herr Pater nicht anders will, Xaver, sagte dieser, so must du's eben annehmen. Aber das Geschenk ist gar zu groß, Herr Pater! Ich weiß nicht, was ich Ihnen dagegen anbieten soll? Schicken Sie uns Ihren Sohn bald, wieder, sagte Ignatz, das ist alles, was ich wünsche. Der alte [109] Siegwart machte eine Verbeugung. Laß doch sehen, Xaver, was du denn für schöne Bücher hast? Ey, das ist ja herrlich, das Leben des heil. Franciscus; das ist mein Patron. Nun, nun, da kannst du brav drinn studiren, und viel schönes draus lernen. Und da, das Leben des heiligen Nepomuk, das ist der Flußpatron, weil er zu Prag in die Moldau ist gestürzt worden. Ich dank Ihnen vielmals, Herr Pater, in meinem und in Xavers Namen. Wenn Sie mich einmal besuchen, will ich sehen, wie ichs auf andre Art wett mache? Nun, Xaver, empfiehl dich der Liebe dieser Herren! Du siehst, daß Sie dir alle gut sind, mach, daß du dieser Ehre werth bleibst!

Xaver konnte nicht vor Thränen sprechen; Er küßte dem Guardian und den übrigen die Hand, und benetzte sie mit seinen Thränen. Als er an den P. Anton kam, sagte dieser: Laß nur, mein Sohn! ich will dich und deinen Vater noch eine Strecke weit begleiten. Am Klosterthor blieben die übrigen stehen, nachdem sie von den beyden Siegwarts auf deine freundschaftliche Art Abschied genommen hatten. Anton gieng mit ihnen. Xaver [110] sah sich wohl noch zwanzigmal nach dem Kloster um, und schickte ihm seine Thränen nach.

Der alte Siegwart erkundigte sich bey P. Anton nach verschiednen Dingen, die den Aufenthalt seines Sohns auf der Schule und dann auf der Universität, betrafen. Dieser entschuldigte sich damit, daß er schon zu lange von der Welt sey, und daß sich in dieser Zeit so vieles in der Lebensart, und in den Kosten auf der Universität verändert habe. Er gab aber doch dem Vater und dem Sohn viel weise Lehren und Erinnerungen. Ich wollte dir Prag zur Universität vorschlagen, sagte er, denn sie hat viele Vorzüge vor andern; Aber, da sie so weit entfernt ist, und man dort weit mehr braucht, als anderswo, so wollt ich dir unmaßgeblich Ingolstadt in Baiern vorschlagen, weil da auch gute Professores seyn sollen, wenigstens hat Herzog Ludwig viel drauf gewendet. Ja, ich denke auch so, sagte Siegwart; Ingolstadt liegt in der Nähe, und ich habe da auch noch von meiner seligen Frau her ein paar weitläuftige Verwandte, daß mein Sohn doch etwas Aussicht hat, und auch Unterstützung, wenn es nöthig wäre. Der Hofrath Fischer, den du auch noch kennen wirst, steht dort in gutem [111] Ansehen, und ich habe von ihm, vermög unsrer alten Bekanntschaft, viele Freundschaft zu erwarten.

Nach einigen Erinnerungen, die Anton dem jungen Siegwart noch, in Absicht auf die Wahl seiner Freunde auf Universitäten, gegeben hatte, nahm er von den Beyden Abschied. Es flossen gegenseitig viele Thränen, zumal da Anton fast in einem Ton der Weissagung von seinem frühen Tode sprach. Der letzte Kuß des Paters schwebte noch lang auf den Lippen des Jünglings; seine Thränen flossen in die Thräne des Ehrwürdigen Alten, und vereinten sich mit ihr, wie seine Seele mit des Paters Seele sich vereinigt hatte.

Vater und Sohn giengen eine Zeitlang schweigend durchs Gefild hin. Was hast du dann alle Gutes erfahren und gesehen im Kloster? fragte endlich der alte Siegwart. Und nun fieng der Sohn an, in einer Art von Begeisterung, alles zu erzählen, was im Kloster, und besonders auf dem Dorfe mit dem P. Anton den tiefsten Eindruck in sein Herz gemacht hatte. Der Vater hörte mit Vergnügen, oft mir Rührung zu, und rief ein paarmal aus: Ja, da malst du mir meinen Pater Anton wie lebendig vor die Augen! Das sieht ihm ähnlich, u.s.w. Wenn du seine Fußstapfen [112] betrittst, Xaver, denn will ich den Tag ewig segnen, an dem ich das erstemal mit dir hieher gieng.

Sie waren aus dem Wäldchen herausgegangen, als sie von fern Theresen und Wilhelm, ihren zweyten Bruder, ihnen entgegen kommen sahen. Xaver sah sie kaum, so sprang er voraus, bewillkommte sie, und drückte seiner Schwester, die er herzlich lieb hatte, die Hand, denn er war noch nie so lang von ihr entfernt gewesen. Therese war ein rasches, naives Landmädchen mit einem runden vollen Gesicht, das von der Farbe der Gesundheit glühte; mit grossen dunkelblauen Augen, die beydes, wenn sie heftig, oder zärtlich war, von der Stärke und Festigkeit ihrer Seele zeugten. Wenn sie lachte, bildeten sich ein paar Grübchen in den Wangen, und man sah die Göttinn der Anmuth vor sich. Ihre Haare waren dunkelbraun und lang; ihr Wuchs mittelmäßig groß. In ihren Reden war sie schnell und hastig; ihr Witz war immer neu und lebhaft. Munterkeit erwachte, wo sie hinkam, und sie lachte gern aus vollem Herzen. Doch verbannte sie zu rechter Zeit den Ernst nicht, und in den Stunden der Dämmerung, oder am Klavier [113] zerfloß ihre Seele oft in Wehmuth. Nichts liebte sie mehr, als Geschäftigkeit, und besonders ländliche Beschäftigungen. Sie wuste jede Arbeit, die die verschiednen Jahrszeiten auf dem Lande mit sich bringen. Im Früling säte sie im kleinen Würzgärtchen am Hause; steckte Bohnen und Erbsen; pflanzte Salat und Kohl, und ordnete die Aussaat des Flachses an. Im Sommer war sie in ihrem strohernen Sonnenhütchen, bey der Heuerndte mit; kochte für die Arbeitsleute; half den Flachs einthun, und zurechte machen; gieng mit aufs Kornfeld hinaus; hatte die Aussicht über die Schnitter; sprach mit ihnen freundlich, und der Arbeit kundig; aß des Abends Milch mit ihnen; und war von jedermann geliebt, ohne ihrer Würde etwas zu vergeben. – Im Herbst sorgte sie für die Bearbeitung des Flachses und fürs Ausdreschen des Getraides; gieng mit in den Baumgarten, und half die Aepfel und die Birn' einsammeln. Im Winter besorgte sie die Kleidung ihrer Brüder, spann, oder machte Linnen; und versah noch dabey das ganze Jahr durch die Küche und die Haushaltung. Bey aller ihrer Arbeit war sie immer munter; trillerte ein Liedchen, oder scherzte mit ihren Brüdern. Der ältere, Karl, war stolz und geizig, [114] der zweyte: Wilhelm, war phlegmatisch und träg. Mit beyden machte sie sich also nicht viel zu schaffen, begegnete ihnen aber freundlich, uns gab ihren Schwachheiten, so viel als möglich, nach.

Aber unser Xaver war ein Mann für sie. Als Kind hüpfte sie immer mit ihm herum, und half ihm bey seinen kriegerischen Zurüstungen; sie spielte die Soldatenfrau, oder die Marquetenderinn; und hielts, wie er, mit dem König von Preussen. Oft giengen auch die beyden allein, die Hände freundschaftlich in einander geschlossen, nach dem Garten, oder in den anliegenden Hain. Da setzte sie sich ins hohe Gras, sah mit frohem Staunen alle Schönheiten der Natur, deren Betrachtung ihr immer das liebste war; hörte, mit lautem Aufjauchzen, dem Gesang der Nachtigallen und Grasmücken zu; indeß daß der Bruder Schmetterlinge haschte, oder Blumen pflückte, und sie ihr mit Lachen in den Schoos warf. Sie wüste die Blumen künstlich zu binden, oder machte einen Kranz draus; setzte ihn auf; und gieng so, vergnügt, nach Haus. Als sie älter wurde, und sich schon ums Hauswesen bekümmerte, spielte sie doch noch oft mit ihm des Abends; warnte ihn, wenn er zu muthwillig gewesen, und der Papa über ihn [115] erzürnt war; und er folgte ihrer Warnung. Da sie ein paar Jahr' als Kostgängerinn in einem Nonnenkloster lebte, vermißte er sie sehr und schrieb ihr, sobald er schreiben konnte, einen Brief zu. Nach ihrer Zurückkunft aus dem Kloster wollte sie ihn das Klavierspielen lehren; Anfangs hatte er grosse Lust, und war eifrig drauf; aber bald ließ er wieder nach, denn das Notenlernen war ihm viel zu langweilig. Er hingegen mußte ihr Phädri Fabeln und Terenz Komödien übersetzen, weil sie in den Zwischenstunden und an den langen Winterabenden gar zu gern ein gutes Buch las, und doch keines, oder wenige, hatte. Nachher kriegte sie von einem Preußischen Officier, der, im Burgauischen als Kriegsgefangner lag, mehrere gute, deutsche Bücher zu lesen. Je mehr sich die Seele ihres Bruders entwickelte, desto mehr gewann sie ihn lieb, und ward ganz seine Vertraute. Vielleicht kams auch daher, weil ihre Gesichtszüge sehr viel Aehnlichkeit miteinander, und mit den Gesichtszügen ihrer Mutter hatten.

Aber desto weniger Aehnlichkeit in der Gesinnung, im ganzen Karakter, und auch in der Bildung hatte ihre Schwester Salome mit ihr, die drey Jahre jünger war, als sie. Dieses Mädchen [116] sah nicht gut aus, denn sie hatte Sommersprossen, eine etwas aufgeworfne Nase, und ziemlich hellrothe Haare; und doch war sie auf ihre Bildung, und ihren vortheilhaften Wuchs übermäßig stolz. Eitelkeit war ihre Göttinn, und sie sann Tag und Nacht darauf, ihr neuen Putz und Flitterstaat zu opfern: und doch prangte sie im Dorf vor niemand, als Sonntags in der Kirche vor den Bauren, die ihren überfeinen Geschmack nicht einmal bewundern konnten. Für diesen Undank, dessen sich auch ihre Schwester schuldig machte, weil sie's selten bemerkte, wenn Salome mit einer neuen Erfindung, die oft in Veränderung einer Schleife bestand, auftrat, rächte sie sich aber, und brachte den grösten Theil des Jahrs bey einer alten Baase in München zu, wo sie sich von Hofkammerdienern, Läufern, und dergleichen Leuten bewundern, und von Damen, Kammerjungfern und Putzmacherinnen betadeln ließ. Die ganze Familie des Amtmanns, und Therese am meisten waren mit dieser Rache sehr zufrieden; denn Salome konnte nichts, als sich, und ihre Kleider im Spiegel begaffen; sich frisieren; zwo französische Arien singen, die sie nicht verstand; aufs Land und das Landleben schimpfen; spötteln, wenn man von der Stadt sprach, und nicht alles drinn bewunderte;[117] und endlich über jedermann, besonders über ihre Schwester die Nase rümpfen, weil sie das Unglück hatte, besser auszusehn als sie, und den einfachen Natürlichen Geschmack in Putz und Sitten, dem hökerichten parfumierten Stadtgeschmack vorzuziehen. Therese kannte die Stadt; sie war, nach dem Kloster, noch ein halbes Jahr da gewesen, und sehnte sich mit voller Seele in ihr stilles, ruhiges Dorf zurück; wo, statt des ewigen Getümmels der Karossen und der Menschen, Ruhe; Statt des cäremoniösen Wesens, das aus lügenhaften Komplimenten zusammengesetzt ist, alte deutsche schwäbische Offenherzigkeit; Statt der sogenannten feinen Lebensart, unverfälschte Unschuld und Wahrheitsliebe; und statt des Prunks in Häusern und Gemächern, einfältige, ungekünstelte Natur ihren Thron aufgeschlagen hat. Gesellschaft brauchte sie nicht viel, weil sie immer beschäftigt war, und ihren Xaver um sich hatte. Zuweilen gieng sie mit des Postverwalters Tochter, einem stillen sittsamen Mädchen, um. Statt für Ihr Vergnügen in einem angenehmen Umgang mit Freundinnen zu sorgen, hielt sie es für eine grössere und höhere Pflicht, ihrem rechtschaffenen Vater, der, seit dem Tode seiner Frau, immer einsam gelebt hatte, Vergnügen, [118] und das stille Landleben angenehm und abwechselnd zu machen. Sie war mehr seine Freundinn, als seine Tochter: denn er zog sie bey allen wichtigen Veränderungen in der Haushaltung zu Rath, weil er wuste, daß er sich auf ihre Einsichten verlassen konnte. Sie ehrte und liebte ihn über alles; In trüben Stunden suchte sie ihn zu erheitern, und spielte ihm auf dem Klavier vor. Kurz, sie war die Freude und Stütze seines Alters.

Auch jetzt gieng sie ihm, an der Hand ihres lieben Xavers entgegen, und die Freude, ihren Vater und Bruder wieder zu sehen, funkelte ihr aus den Augen. Sie erzälte erst, was während seiner Abwesenheit zu Hause vorgefallen sey; und fragte dann ihren Bruder, wie es ihm im Kloster gefallen habe? Dieser konnte nun des Redens kaum ein Ende finden, wie es ihm da so wohl gegangen sey: was für Ehre er genossen, was für Leute er da kennen lernen, und was er sonst alle schönes gesehen und gehört habe. Endlich sagte er, es sey nun ganz richtig, daß er auch ins Kloster gehen, und deswegen in etlichen Tagen nach der Stadt in die Piaristenschule kommen werde.

Die Schwester erschrack anfangs, und that, als ob sies nicht glauben könnte; aber Xaver berief [119] sich auf das Zeugnis seines Vaters, und dieser bejahte es. Sie wagte es jetzt nicht, etwas dagegen einzuwenden, ob ihr gleich die Sache sehr misfiel; aber sie dachte doch, noch etwas auszurichten, wenn sie mit dem Vater und dem Bruder allein darüber spräche.

Was hältst denn du davon? sagte Xaver zu Wilhelm? Du schweigst ja ganz still dazu. Freust du dich nicht drüber? – Je, was weiß ich? sagte dieser; Mich deucht, du thust ganz recht, Xaver! Es soll ein ruhiges Leben im Kloster seyn; und da ists gut, daß dus wühlst.

Wilhelm sieht alles von der Seite der Ruhe an; sagte der Vater. Ich wollte, du hättest soviel Leben, wie Xaver! Ruhe kann man schon suchen, wenn man erst brav gearbeitet hat; aber du willst eins ohne das andere. Hast du heut die Rechnung eingetragen?

Wilhelm. Nein, Papa; ich habs wahrhaftig vergessen. Nu, ich denk, ich wills morgen thun.

Der Vater. Ey, was morgen? Ich hab dir aber gesagt, daß du's heute thun sollst! Mit euch, Leuten, kommt man weit! Du wirst noch einmal [120] zu spät in Himmel kommen! – Therese, was werden wir heut zu Nacht essen?

Therese. Ich habe Tauben zurichten lassen; Papa, und Salat; weil's jetzt warm ist.

Der Vater: Gut, meine Tochter, du weist, was ich gern esse. – Deinem Bruder Xaver must du jetzt Wäsche zurecht machen, weil er unter fremde Leute kommt. Er kann bald abgehen müssen; ich warte nur auf Briefe aus der Stadt. Karl ist doch zu Hause, Wilhelm?

Wilhelm. Ja, ich glaube wol, Papa, er wird schreiben. –

Sie kamen nun aus Amthaus. Als sie durch den Garten giengen, sah der Vater, daß Therese die Blumen, vor dem Weggehn, schon begossen, und frischen Salat in die Lücken nachgepflanzt hatte, und lobte ihren Fleiß. Die Blumen dufteten ihr süsser, weil sie die Freude sah, die ihr Vater drüber hatte. Ich denke, wir essen heut in der Laube, sagte der alte Siegwart; der Abend ist lau und angenehm, und wir können hier die Nachtigall aus dem Gebüsch besser hören. Xaver gieng auf sein Zimmer, packte seine Bücher aus, und grüßte seinen ältern Bruder Karl, der noch am Schreibtische saß, und ihm einen kalten unfreundlichen [121] guten Abend wünschte, ohne weiter nachzufragen, wie es ihm die Zeit über gegangen sey?

Bald drauf setzte man sich in der Laube zu Tische; Therese trug mit angenehmer Geschäftigkeit das Essen auf. Sie war wie eine arkadische Schäferinn gekleidet, im weissen Gewand der Unschuld mit rosenroten Schleifen. Ihre schönen braunen Haare waren losgegangen, und flogen in der Luft, wenn sie durch den Garten hüpfte. Sie muste sich neben ihren Vater setzen, und ihm allerley erzälen. Mit ihrer gewöhnlichen Anmut that sie's zwar, aber nicht mit der, ihr sonst eigenthümlichen Munterkeit; denn das künftige Schicksal ihres Bruders schwebte ihr, wie eine Wetterwolke am sonst heitern Himmel, vor Augen, und erschreckte sie. Er saß ihr gegenüber; wenn er sie nicht ansah, blickte sie ihn halbverstohlen und mitleidig an; Ein paarmal hatte sie Mühe, Ihre Thränen vor ihm und ihrem Vater zu verbergen. Karl hingegen, der in Gedanken schon berechnet hatte, wie viel er durch den Entschluß seines Bruders, ins Kloster zu gehen, bey der Erbschaft einst gewinnen werde, sprach unaufhörlich von der vernünftigen Wahl Xavers, und von dem Glück das ihn erwartete, gleich als ob er fürchtete, sein Entschluß [122] möcht ihn wieder gereuen. Wilhelm nagte seine Taube langsam ab, und schwieg, oder sagte zuweilen noch: ja; damit man ihn nicht gar für eingeschlummert halten möchte!

Nach dem Essen gieng man noch ein bischen im Garten zwischen den Aurikeln und Levkojenstöcken auf und ab; es ward von Dorfgeschichten und Einrichtungen des Hauswesens gesprochen; der Vater gieng früh zu Bette, weil er vom Spatziergang etwas ermüdet war; Xaver auch. Therese konnte lange nicht schlafen, und sann ihres Bruders Schicksal nach. Tausend traurige und schreckliche Bilder, die die Phantasie, die Stille der Nacht, und der blasse Mond, der seine Stralen an die weisse Wand der Kammer warf, noch vergrösserte, stiegen vor ihr auf Sie schlief endlich unter Thränen ein. Gleich am Morgen gieng sie auf das Zimmer ihres Vaters, und brachte ihm seine Suppe; denn er trank niemals Kaffee; sie machte sich allerley zu schaffen, räumte die Papiere auf; stopfte seine Pfeife; hustete, weil sie reden wollte, und nicht konnte. Wenn ein Wort schon auf ihrer Zunge schwebte, unterdrückte sie es wieder. Als er gegessen hatte, gieng sie hinaus, um ihrem vollen Herzen Lust[123] zu machen, und ihres Vaters Pfeife anzustecken. Sie kam wieder, stellte sich an die Kommode, schlug die Augen nieder, krabbelte mit den Fingern, oder spielte mit einer Feder. Sie gieng ans Fenster, machte es auf und wieder zu, und fieng endlich, mit weggewandtem Gesicht an: Papa, ists denn wirklich Ernst mit Xaver? Soll ich ihm Weißzeug auf die Reise zurecht machen?

Der Vater. Allerdings, Therese! du wirst dich freylich wundern, daß ich so schnell einen Entschluß fasse, den ich selber nie vermuthet hätte. Aber ich hab dir schon gesagt, wie es dem Knaben im Kloster so wohl gefiel, und wie die Paters mir zusetzten, daß ich ihn der Kirche nicht entziehen sollte; und gestern fand ich ihn vollends ganz und gar verändert; er sah und hörte nichts, als das Kloster; seine ganze Seele haftet dran, und es wär sein Unglück, wenn man ihn jetzt davon losreissen wollte. Er ist so veränderlich nicht, als er scheint; ich habs oft erfahren. Was er Einmal recht fest gefaßt hat, das läßt er so leicht nicht wieder fahren.

Therese. Das ist schon gut, Papa; aber jetzt ist er noch, wie betäubt. Wenn er wieder zu sich selber kommt, und sieht, wie weit er [124] schon vorwärts gegangen ist, ohne daß er mehr zurück kann, wie wird's ihm dann gehen?

Der Vater. Du machst mir aufs neue bang, meine Tochter; ich war vorher schon nicht ruhig. Aber, sag, wie ichs anders hätte machen können? Der Knabe kommt ins Kloster; alles ist ihm neu, gefällt ihm, blendet ihn. Anton fragt, ob ich keinen Sohn ins Kloster geben wolle? Xaver bricht los, sagt ja; die andern Paters erfahren's; nehmen mich beym Wort, und stellen mir die Sache als eine Gewissenssache vor. Nun wußt' ich weder aus noch ein, und suchte mir nur dadurch Verzögerung und einen Ausweg zu verschaffen, daß ich Xavern versprach, er könnte einige Tage im Kloster bleiben. Vielleicht, dacht ich, wird ihn die Einsamkeit bald wieder auf andere Gedanken bringen, und ihm die Freyheit desto angenehmer machen. Aber es gieng umgekehrt. Er will von nichts anders mehr wissen, als vom Klosterleben. Ich kanns nicht ändern, und ich denke doch, daß es so auch gut gehen werde, da sein Trieb so stark und beynahe übernatürlich ist. Es würde mir überdieß auch schwer fallen, ihn auf andre Art in der Welt unterzubringen, da ich doch für euch genug [125] zu sorgen habe. Es ist dein Nutzen auch, Therese, wenn er so versorgt wird, und ich kann dir einmal dafür mehr zum Brautschatz geben.

Therese. Ach, Papa, daran mag ich gar nicht denken! Lieber wollt ich alles fahren lassen, als meinen Bruder, und gerade diesen, unglücklich sehen.

Der Vater. Ich weiß, wie du denkst, Therese, und ich sags auch nicht deswegen; es ist nur so nebenher. Aber jetzt kann ichs warlich nicht mehr ändern. Ich habe den Paters mein Wort gegeben, und sie haben meinetwegen schon an die Piaristen geschrieben. Doch auch das sollte nichts verschlagen, und ich wollt es schon so machen, daß ich mich auf eine gute Art herauszöge; aber Xaver würde nicht damit zufrieden seyn, und ich will meine Kinder zu keiner Sache zwingen, am wenigsten zur Wahl einer Lebensart, von der ihr künftiges Glück oder Unglück abhängt; du kennst meine Art schon. Wenn du glaubst, daß es schlechterdings sein Unglück ist, wenn er Mönch wird, so magst du meinetwegen dein Heil bey ihm versuchen, und sehen, was du ausrichtest! Ich wollte gern, daß es dem Knaben so wohl gienge, als er seiner Folgsamkeit und [126] seines guten Herzens wegen verdient! Sprich mit ihm davon!

Therese. Wenn Sie's erlauben, Papa, so will ich mit ihm sprechen, und ihm meine Meynung frey heraus sagen. Denn hier hilft das Schweigen nichts, man möcht es nachher zu spät bereuen, und sich Vorwürfe drüber machen.

Der Vater. Gut, meine Tochter, ich überlaß es deiner Klugheit; nur must du ihm das Klosterleben auch nicht gar zu traurig abmalen! Es möchte eine schlimme Wirkung bey ihm haben, da er einmal ganz dafür eingenommen ist.

Therese gieng nun mit etwas leichterm Herzen weg, als sie hergekommen war. Sie suchte ihren Bruder diesen Morgen noch zu sprechen; aber Wilhelm, der bey ihm auf dem Zimmer saß und durch keinen Worwand wegzubringen war, hinderte sie daran. Den Nachmittag kam ein alter Prediger vom nächsten Dorf, den Therese oft auf ihren Spaziergängen besuchte, und, seiner Ehrlichkeit wegen, sehr lieb hatte. Der alte Mann freute sich recht herzlich, wie er hörte, daß Xaver der Welt absagen wollte, und wünschte ihm aufrichtig Glück dazu. Therese muste versprechen, ihn mit ihrem Bruder, eh er weggienge, [127] noch einmal zu besuchen. Den folgenden Morgen traf sie Xavern allein auf seinem Zimmer, als er eben das Leben des heiligen Franciscus vor sich aufgeschlagen, und das Blatt von P. Anton daneben liegen hatte.

Ey, guten Morgen, Herr Pater! sprach sie lächelnd; Immer so fleißig? Und was studieren Sie dann, wenn ich fragen darf? ... Im Leben des heiligen Franciscus. War das auch ein Klosterherr? oder wol gar auch ein Kapuziner?

Xaver. Freylich, unser Ordensstifter, Therese! Ein gar herrlicher und heiliger Mann.

Therese. So? Ja, was weiß ich auf unserm Dorfe hier? Da erfährt man nichts dergleichen.

Xaver. Du solltest's aber wissen! Könntest viel von ihm lernen! So gibts wenig Leute!

Therese. Nu, Nu! ich werde doch ohn ihn selig werden können? Meynst du nicht?

Xaver. Geh! du sprichst auch gar zu leichtsinnig! Kannst dergleichen Dinge nicht begreifen.

Therese. Ja, das glaub ich gerne. Aber nur nicht gleich so böse, Bruder! Das hast du doch im Kloster nicht gelernt? Sey ein bischen freundlich, Xaver!

[128] Xaver. Herzlich gerne, liebe Therese! Nimm mirs nicht übel, wenn ich dich hart anfuhr! Ich war da so vertieft im Lesen, und habs warlich nicht so bös gemeynt.

Therese. Gut, gut! Wer wird auch gleich alles übel nehmen? und zumal dir? Ach, du weist nicht, wie ich dich so lieb habe, Bruder! – Und du wolltest uns verlassen? Gelt das war dein Ernst nicht? Bleib nur in der Welt! Sie ist so gut, und die Menschen drinn sinds auch.

Xaver. Das kann wol seyn, Schwester! Aber mir ists Ernst; ich muß ins Kloster.

Therese. Und warum denn, lieber Xaver? Kennst du auch die Welt und das Kloster, das du drum eintauschen willst? Ich seh, daß es dir Ernst ist, und muß einmal offenherzig mit dir reden, wenn du nichts dagegen hast.

Xaver. Was dagegen? Sprich nur frey heraus! Du thust ja ganz fremd gegen mich.

Therese. Nun, so hör denn an! Was ich sage, sag ich blos um deines Besten willen, und weil ich dich so lieb habe. Sieh, ich kenn das Klosterleben auch; habs zwey Jahre lang versucht und da kann ich aus Erfahrung reden. Ansangs gefiel [129] mirs auch wol; ich glaubte schon im Himmel zu seyn, und wollte nichts mehr von der Welt wissen. Da war lauter Eintracht und Liebe. Man hörte nichts, als: liebe Schwester! Engelsschwester! und dergleichen. Man küßte sich des Morgens, wenn man ausstand, gieng mit Küssen auseinander. Ich einfältiges Mädchen dachte, das ist immer so; der Friede muß wol aus der Welt ins Kloster gezogen seyn und bedaurte, daß ich nicht schon länger mich drein begeben hätte. Aber nach etlichen Wochen, da ich nicht mehr neu im Kloster war, giengs ganz anders. Erst entstunden bey Tische kleine Neckereyen; eine Nonne zog die andre auf, man verantwortete sich; ward böse; die Aebtissin winkte; das half eine Zeitlang; aber, wenn sie weg war, giengs gleich wieder an, und oft entstand ein solcher Zank, daß die Schwestern weinend auseinander giengen. Du solltest's nicht glauben; aber es ist mehr Eifersucht und heimliche Feindschaft da, als anderswo. Mir begegnete man zwar sehr freundlich, und den andern Kostgängerinnen auch, aber das hat seine Ursachen; so wie man dir auch freundlich begegnet hat. Man muß eine bittre Arzeney überzuckern, wenn sie hinunter soll; wo würden neue Schwestern und Brüder herkommen, [130] wenn man sie gleich anfangs alles Harte fühlen ließ? Soviel weiß ich, mich sollen sie gewiß nicht ins Kloster kriegen, wenn man mirs auch noch so golden abmalte! – – Glaubst du denn die Ruhe, und innere Zufriedenheit der Seelen wohne da? Ja, so dacht ich auch! Aber ich sah wol, wie so manche Nonne Morgens aus der Zelle schlich, mit verweinten Augen, die die ganze Nacht keinen Schlaf gesehen hatten. Glaub mir, Bruder, es ist traurig, zwanzig oder dreißig Frauenzimmer zu sehen, die zum Theil noch jung sind; wie sie, mit halbverloschnen Augen, mit abgebleichten, eingefallnen Wangen, da stehen; ihren Psalm absingen; und dann einen Blick zum Himmel aufheben, der, im tiefsten Ausdruck des Schmerzes, keine andre Wohlthat, als den Tod herabzuflehen scheint; Glaub mir, das ist traurig, Bruder!

Und wenn man erst in die Zellen kommt, wo sie ihren Thränen freyen Lauf lassen können; wenn sie da den Schleyer aufheben, der noch halb das traurige Gesicht bedeckt hatte! Bruder, das ist gar nicht zu beschreiben, was man da fühlt! Die heilige, keusche Brust, die nur ihren Seelenbräutigam eingeschlossen haben sollte, wird so oft von unwillkührlichen Seufzern emporgehoben, die einem ganz [131] andern Gegenstand geweiht sind. Der Mensch bleibt Mensch, in der Zelle, wie in der Welt! Da gibts innre Kämpfe! Die armen unschuldigen Opfer verdammen sich und ihr Gefühl, fasten und kasteyen sich, und ringen oft mit der Verzweiflung. Glaub! ich übertreibe nichts; blos Erfahrung hat mich das gelehrt. Eine junge Baronessinn, ohngefähr in meinen Jahren, oder höchstens zwey und zwanzig Jahr alt, hat mich zur Vertrauten ihres Jammers gemacht. Wenn ich an den Abend denke, wie sie mir im Mondschein ihre Geschichte erzählt hat, das Herz blutet mir. Ein Junker aus ihrer Nachbarschaft liebte sie; sie ihn auch; Er versprach ihr die Heirath, und die Eltern von ihrer Seite warens ganz zufrieden. Weil er Officier bey den Baiern war, so mußt er mit seinem Regiment zu der Reichsarmee. Er nahm zärtlich von ihr Abschied, versprach, ihr zu schreiben, und schickte ihr auch in den ersten zwey Monaten fünf Briefe. Auf einmal blieben sie aus. Sie wartete drey, vier Wochen; war in steter Angst, weil sie nicht wußte, ob er lebendig oder todt sey? fiel in eine Krankheit; phantasirte, nannte nichts als ihren Bräutigam, und lag so vierzehn Tage lang. Als sie wieder zu sich selber kam, war ihre erste Frage: ist ein Brief [132] da? Man konnte nicht mit Ja antworten, weil sie gleich den Brief gefodert hätte, und wollte doch nicht nein sagen; sie merkte es, phantasirte wieder, schlug sich wütend vor die Brust, und der Arzt besorgte eine gänzliche Zerrüttung ihres Verstandes. Sie erzählte mir Gesichte, die sie in diesem Zustande gehabt hatte, daß mir Grauen ankam. Man sann auf eine List, ihr zu helfen. In einem derer Augenblicke, da sie bey sich selber war, erzälte der Arzt: Man habe Nachricht von dem Lieutenant, daß er in einem Scharmützel in den rechten Arm sey geschossen worden, nun sey er aber ziemlich wieder hergestellt, und hoffe, bald wieder schreiben zu können. Die Nachricht davon sey an seine Eltern gekommen, und er habe sie zugleich zärtlich grüssen lassen! Diese Erdichtung half mehr, als alle Arzeney. Der Rückfälle in die Phantasie wurden weniger, ihr Auge war nicht mehr so wild, und blickte ruhiger umher. Ihre Kräfte kamen wieder, und nach vierzehn Tagen war sie in so weit wieder hergestellt, daß ihr der Arzt anrieth, auszufahren. Zweymal wurde sie von ihren Eltern begleitet; das drittemal fuhr sie allein mit ihrem Kammermädchen ... Fahrt zum Baron Steinburg nach Wettenheim! rief sie zum Kutscher, [133] als sie auf dem Feld war. Das Kammermädchen erschrack, und misrieth ihrs; Es sey zu weit; könn' ihr schaden u.s.w. Nichts! Sie wollte von den Eltern ihres Theodors selbst erfahren, was er mache, und ob er wieder hergestellt sey? – Was macht Er? Lebt Er? ist er wohl? rief sie zu der Baronessinn, als sie aufs Schloß kam. – Wer denn, gnädiges Fräulein? was wollen Sie? – – Mein Theodor, ihr Sohn; Ist er wohl? – – Ihr Theodor, Fräulein? Wissen Sie denn nicht, daß er sich vor einem Vierteljahre schon in Schlesien verheirathet hat? – Verheirathet! Ihr Sohn? Mein Theodor? Und so flog sie wieder in den Wagen, wo sie ohnmächtig in die Arme ihres Kammermädchens sank. Der Kutscher fuhr fort, ohne etwas davon zu wissen. Erst vor dem Dorfe draußen hielt er, auf das Schreyn der Kammerjungfer. Durch vieles Reiben der Schläfe und den Geruch des Englischen Salzes ward das Fräulein wieder so weit gebracht, daß sie die Augen aufschlug. Mit starrem Blick, und Verzuckungen des Mundes saß sie da, ohne sonst sich zu bewegen. Als man über eine Flußbrücke fuhr, machte sie eine Bewegung, als ob sie den Schlag an der Kutsche öfnen, [134] und ins Wasser springen wollte; aber, als ihr Kammermädchen sie hielt, blieb sie wieder unbeweglich sitzen. Sie kam nach Hause, lief die Treppen hastig hinauf, und rief ihrer Mama, die oben stand, zu: Er ist verheirathet! – Drey Wochen flossen unter den kläglichsten Umständen für meine Freundinn hin. Sie sagte nichts, als: Theodor! und: verheirathet! – Nach einem Vierteljahre ward sie wieder besser, und verlangte ins Kloster. Die Eltern wagten's nicht, ihr zu widersprechen. Nach dem Probjahr legte sie das ewige Gelübde ab. Man durfte nicht mit ihr von Theodor sprechen; sie verfluchte ihn, wenn sie seinen Namen hörte, und weinte dann wieder ganze Nächte durch! Vor drey Jahren kam Theodor zurück; wollte seine Braut sprechen, der er immer treu geblieben war; hörte, sie sey im Kloster; rannte zitternd hin, kam ans Gitter, sprach sie, und fiel zugleich mit ihr in Ohnmacht. Man brachte ihn ins Wirthshaus, da erzälte ein unvorsichtiger Bedienter alles, und besonders, daß seine Mutter ausgesprengt habe: Er sey verheirathet. Nach einer schrecklichen Nacht, die er unter tausend Kämpfen zugebracht hatte, ritt er mit verhängtem Zügel nach dem Schlosse seines [135] Vaters; foderte, die Mutter zu sprechen, und durchstach sie mit dem Officiersdegen. Seitdem weiß man nichts von ihm, wo er hingekommen ist? Ein einzigsmal glaubte man ihn bey Nacht im Klostergarten gespürt zu haben. Es stund jemand unten an der Zelle meiner Freundinn, und sprang davon, als eine Nonne aus dem Fenster sah. Sie schmachtete noch ein Jahr ihr Leben hin, sah einem Todtengerippe ähnlicher, als einem Menschen, sprach selten, und allein mit mir, wenn ich bey ihr in der Zelle war. Ein einzigesmal hatte sie Kraft genug, mit mir von ihm zu sprechen, und mir die ganze Geschichte zu erzälen. Sie beschloß damit: »Geh nicht ins Kloster, Herzensfreundinn, was dir auch begegnet! Mitten in meinem Elend war ich in der Welt noch glücklicher, wo ich doch Freunde hatte!« Drey Wochen nach diesem starb sie. Ihr letztes Wort war: Jesus, stärk Ihn! – – Du bist gerührt, Xaver! Glaub mir, Bruder, solche unglückliche Seelen gibts im Kloster noch genug. Es ist ein Sammelplatz von Elend. Die meisten hat das Unglück hineingetrieben; und nun kommt die Reue noch hinzu. Ich wüste nicht Eine Nonne, wo ich war, die ihren Entschluß nicht bereut hätte, wenn [136] sies gleich nicht sagte. Verdruß, Schwärmerey, Eigennutz der Eltern und Verwandten, und Uebereilung sinds allein, die das Kloster füllen; diese haben ihre Gränzen, hören wieder auf; aber das Gelübde, Einmal ausgesprochen, ist ewig unauflöslich.

Xaver. Das ist schon recht, Therese, du sprichst hier von Nonnenklöstern, und da weiß ich nichts davon, hab mich auch niemals drum bekümmert, aber bey uns – – –

Therese. Nun? ists bey euch wol anders? Seyd ihr denn nicht auch Menschen, wie wir? Habt ihr nicht anuch Fleisch und Blut? Bey Euch, denk ich, sollt's noch ärger seyn, da ihr die Freyheit mehr gewohnt seyd, stärkere Leidenschaften habt, und euch weniger schmiegen könnt, als wir. Wir müssen uns so vieles in der Welt gefallen lassen; sind an Unterwerfung und Gehorsam schon von Jugend auf gewöhnt; leben immer einsamer, als ihr, und sind oft ganze Wochen lang zwischen unsre vier Wände eingesperrt, da ihr indessen volle Freyheit habt, in der Welt anzufangen, was ihr wollt. Von uns sollte man weit eher denken, daß das Kloster für uns wäre, und doch ists nicht.

[137] Xaver. Gut, Schwester! Aber das must du doch auch sagen, daß zwischen Manns- und Nonnenklöstern ein gar himmelweiter Unterschied ist. Ihr seyd ewig eingesperrt, und wir können zu gesetzter Zeit ganze Tage lang herumgehen; können unter Menschen leben, wie vorher.

Therese. Ja, das ist schon etwas; aber viel hast du nicht damit gewonnen. Wenn Ein Unglück kleiner ist, als das andere, so bleibts deswegen immer noch ein Unglück, dem man ausweichen muß, wenn man kann. Die Hauptsache bleibt doch immer dieselbe; du must auch das Gelübde des Gehorsams, der Keuschheit und der Armut beschwören; must Dinge beschwören, gegen die sich deine ganze Natur empört. Für was gab denn Gott uns Freyheit, wenn wir sie nicht brauchen sollen? Warum schuf er zweyerley Geschlechter, wenn sie sich durch Mauren von einander absondern wollen? Und Geld und Gut sind doch auch Gaben Gottes; soll man sie verachten und wegschmeissen, und von andrer Menschen Arbeit leben? Ich glaube nicht, Xaver, daß das recht ist; und sich selber unglücklich machen, soll man auch nicht.

[138] Xaver. Du bist streng, Schwester, und von der Seite hab ichs noch nie angesehen. Ja, wenn man sich ins Kloster einsperrt, und keinem Menschen dienen will, als sich; dann, glaub ich, ist das Mönchsleben unverantwortlich; aber, sieh, so, wie ichs habe kennen lernen, ist es ganz was anders. Ich hab dir vorgestern vom P. Martin, und vom P. Gregor, und noch mehr vom P. Anton erzält, was das für Leute sind. Da must du doch gestehen, daß sie hundertmal mehr Gutes thun, als andre Weltmenschen.

Therese. So viel mehr Gutes eben nicht; und dann sind das ausserordentliche Leute, deren es wenig gibt, und die gewiß in der Welt eben so viel Gutes würden ausgerichtet haben. Sieh nur unsern Papa an, wie der um die Menschen sich verdient macht! Er hält das ganze Dorf in Ordnung, verschafft dem Fürsten seine Abgaben, ohne daß die Bauren drunter leiden. Jedermann im Dorf hat ihn lieb, und segnet ihn. Allen Armen, die es werth sind, thut er Gutes. Die selige Mama hat er, wie sich selbst geliebt, und ihr diese Welt zum Himmel gemacht. Uns hat er mit der grösten Sorgfalt fromm und christlich erzogen, daß wir gute Menschen werden, und der [139] Welt nützen können. Wir haben tausend Gutes von ihm gelernt, tausend Wohlthaten genossen, und geniessen sie noch täglich. Sag einmal, Bruder, ist das nicht ein Leben, das wohlthätig ist, und Gott wohlgefallen muß? (Xaver weinte) Und so sieh jeden rechtschaffnen Hausvater hier im Dorf an, ob der nicht auch thut, was er kann? Ob er nicht auch Segen in dieser und in jener Welt einerndten muß, ohne eben ins Kloster zu kriechen?

Xaver. Ich glaub aber, Schwester, daß ich mehr ins Kloster taug, als in die Welt. Daß ich da mehr Gutes ausrichten kann, als anderswo. Gott weiß, daß ich keine andre Absicht habe, als den Menschen so viel Guts zu thun, als in meinen Kräften ist. Darauf hab ich immer gesehen. Und da kenn' ich für mich, keinen Stand, in dem's besser angienge, als im Geistlichen. Was mein eignes Glück betrift, so find ichs gewiß nirgends eher, als im Kloster.

Therese. Und das ist eben, was ich fürchte, und weswegen ich mir deinethalb so vielen Kummer mache. Ich glaube, daß du für nichts weniger bist, als für's Kloster. So ein muntrer frischer Knabe, wie du bist; an dem alles lebt und Bewegung ist; der soll da in einer finstern [140] Zelle sitzen, wo der Mond und die Sonne nicht hinscheint; soll ewig Ave Maria, und Rosenkränze beten; Psalmen singen, und im Brevier lesen; soll mit alten mürrischen Leuten umgehen, die an der Welt, die für dich so viel schönes hat, keine Freude mehr finden; soll sich einem eigensinnigen Prälaten unterwerfen, und thun, was dem einfällt. Nein, Bruder, das kann unmöglich für dich seyn! Bedenk nur selber, wie dir zu Muthe ist, wenn du einmal bey schlimmem Wetter, oder wenn du krank bist, ein paar Tage lang zu Hause sitzen must! Gleich fehlt dir's überall, bist verdrüßlich und hast an nichts keine Freude mehr. Was will nun das sagen, gegen eine ewige Gefangenschaft, die erst mit dem Tod ein Ende nimmt? Ich bitte dich, Bruder, um der Mutter Gottes, und um aller Heiligen willen, überleg's wohl! Ich kann dir nichts einreden; aber rathen will ich dir, und muß ich dir. Du weist, was ich auf dich halte. Nach dem Papa hab ich keinen Menschen auf der Welt so lieb, wie dich. Und ich sollte dich unglücklich sehen, da ichs doch hätte verhindern können, – Sieh, wenn du geistlich werden willst, weil du glaubst so am meisten Gutes thun zu können, warum wirst du nicht ein Weltgeistlicher, wie der alte Pfarr, [141] der gestern bey uns war? Der thut gewiß so viel Gutes, als ein Mönch im Kloster. Wart, wir wollen heut gleich zu ihm gehen, und du sollst dich wundern, was das für ein Mann ist! Ein Weltgeistlicher kann doch immer noch des Lebens mehr geniessen, und glücklicher seyn. – Nicht wahr, Bruder, du thust mirs zu Gefallen, und besinnst dich?

Hier nahm sie ihn bey der Hand, sah ihn lächelnd, und mit Thränen in den Augen an. Xaver konnte sich nicht länger halten, fiel ihr um den Hals und schluchzte. Schwester, sprach er, ich weiß nicht, was ich sagen soll? Ja, besinnen will ich mich, das versprech ich dir; will nicht unbedachtsam handeln; Nein, bey Gott nicht! Ich will alles überlegen; will zurückgehen, wenn ich kann; kannst dich drauf verlassen. Laß mich nur allein, Schwester! daß ich weinen kann, und mich besinnen!

Sie gieng weg und warf noch einen Blick auf ihn, der mehr sprach, als hundert Worte. Xaver war in der äussersten Beklemmung. Nur noch ein paar Worte, und er hätte ganz gewankt. Die Reden seiner Schwester giengen ihm tief ins Herz, weil sie wahr waren, und er sie von Herzen liebte. Sie hatte Bedenklichkeiten in ihm rege gemacht, an die er vorher niemals gedacht hatte. Nunmehr [142] ließ er seinen Thränen freyen Lauf, lief im Zimmer auf und ab, und rang die Hände. Was soll ich thun? war sein einziger Gedanke. Noch unentschlossen warf er sich auf seinen Stuhl, und da fielen ihm die Anmerkungen des P. Anton in die Augen. Auf einmal war seine ganze Seele im Kloster; alles fiel ihm wieder ein, was ihn da so sehr gerührt hatte. Er sah den P. Anton vor sich. Was wird der alte Mann sagen, dachte er, wenn du so bald wieder wankelmütig würdest? Wie würd' er sich betrüben? Auf einmal wäre seine Freundschaft und Liebe hin! – Solche, und ähnliche Gedanken stiegen schnell und unvollendet in ihm auf. – – Nein, ich kann nicht anders! Muß ins Kloster! rief er laut, und sprang von seinem Stuhl auf. Seine Seele fühlte sich bey diesem Entschluß wieder ruhiger, die angenehmen Vorstellungen vom Klosterleben stellten sich ihm wieder dar, und machten ihn alles andre vergesssen. – – Das will ich thun, dachte er, und das kann ich auch; ich will meiner Schwester versprechen, alles wohl zu überlegen, und vor ein paar Jahren keinen gänzlichen Entschluß zu fassen. Find ich, daß sie in ihren Besorgnissen Recht hat, dann kann ich immer noch ein Weltgeistlicher werden. [143] Aber sonst ists aus, und nichts kann mich davon abbringen! –

Als er hierauf aus dem Fenster in den Garten, und seine Schwester drinnen sah, gieng er zu ihr hinunter, grüßte sie freundlich, und sagte ihr, daß er sich so weit entschlossen habe, nicht blos auf einen Mönch, sondern auch auf einen Weltgeistlichen zu studieren, und vorjetzt sich weiter für nichts zu bestimmen; mehr könne er nicht thun, so lieb er sie auch habe.

Sie war es zufrieden, dankte ihm für seine Liebe, und sagte, er müßte freylich am ersten seiner Einsicht und Ueberzeugung folgen; vorjetzt wollten sie von der Sache nicht mehr sprechen, weil es doch nichts helfe. Sie wolle nun sorgen, daß seine nötigsten Kleider in ein paar Tagen fertig würden, wenn er ungefähr bald abreisen müßte. Das übrige könne man ihm leicht nachschicken, da die Stadt ja nur sieben Stunden von ihnen entfernt liege.

Auf den Nachmittag, sagte sie, gehn wir doch zu meinem lieben Prediger? – – Recht gerne, Schwester, wir müssen doch die kurze Zeit, die wir noch beysammen sind, recht nutzen.

[144] Nun giengen sie zu Tische. Es wurde viel von Xavers künftigen Einrichtungen auf der Schule gesprochen, denn Therese hatte, noch vor dem Essen, ihrem Vater gesagt daß sie im Wesentlichen nichts bey ihrem Bruder ausgerichtet habe, und daß er sich den Entschluß, ein Geistlicher zu werden, nicht benehmen lasse. Nach dem Essen, sagte sie, wollen wir, wenn Sies erlauben, nach Windenheim zu dem Pfarrer gehen, dem wirs gestern versprochen haben, vielleicht kommt dem Bruder das Amt eines Weltgeistlichen eben so angenehm und reizend vor, als das Mönchsleben; es wäre für ihn doch immer besser, wenn er jenes dem andern vorzöge. – – Als man abgegessen hatte, besorgte Therese noch einige häusliche Geschäfte, und gieng um 3 Uhr mit ihrem Bruder nach Windenheim. Auf dem Wege dahin freuten sie sich der schönen Gegend, und der blühenden Jahrszeit; sie riefen tausend angenehme Auftritte aus den Jahren ihrer Kindheit zurück; versprachen sich, einander fleißig zuzuschreiben, und sich alle Heimlichkeiten ihres Herzens zu entdecken. Xaver mußte auch versprechen, übers Jahr in den Ferien, seinen Vater und sie zu besuchen.

[145] Sie kamen nun ans Pfarrhaus; der Prediger, der eben im Fenster lag, kam ihnen mit ungemeiner Freundlichkeit entgegen. Nun, meine Tochter, (so nannte er Theresen) das heiß ich recht Wort gehalten! Seyd mir tausendmal willkommen, lieben Kinder! Setzt Euch, wenn ihr müde seyd! Womit kann ich aufwarten? Sagt's nur frey heraus, ob ihr lieber Wein, oder Kaffee wollt? Alles steht Euch hier zu Diensten. Was beliebt euch?

Therese. Nichts als frische Milch, wenn wir bitten dürfen. Sie wissen, Herr Pfarrer, daß ich nicht um Essens und Trinkens willen zu Ihnen komme.

Pfarrer. Nun ja; Milch sollt ihr nachher auch bekommen, wenn wir ins Gärtchen gehen. Susanne! (zu der Haushälterinn) mach sie nur indessen eine Schaale Kaffee! – Und wie stehts denn zu Hause? der Papa ist doch gesund?

Xaver. Ja; Er läßt sich Ihnen empfehlen, Herr Pfarrer!

Pfarrer. Vielen Dank, junger Herr! Nun, in ein paar Tagen wirds wohl abgehen, in die Stadt? Ja, ja! Gott segne seinen Entschluß! Und laß den Papa Freud an ihm erleben!

[146] Therese. Aber, Herr Pfarrer, ich hab heute noch mit ihm drüber gesprochen. Glauben Sie nicht auch, daß er besser thäte, wenn er ein Weltgeistlicher würde, und so etwan einmal als Pfarrer in unsre Nachbarschaft käme? Das Kloster, fürcht ich, taugt nicht für ihn, oder er nicht für's Kloster.

Pfarrer. Meine Meynung wär's freylich auch, Jungfer Therese. Aber in dergleichen Dingen läßt sich nicht gut rathen. Die Klosterherren sind selten gute Freunde von uns, ob sie uns gleich das Geld für's Meßlesen hundertmal wegschnappen; und da könnt mirs nur übel ausgelegt werden, wenn ich ihm davon abriethe. Ich möchte gern das Bischen Jahre, das ich noch zu leben habe, im Frieden hinbringen, daß man nicht nach meinem Tode sagte, ich habe mich mit niemand vertragen können. Werd er nur ein frommer Mann, dann ists einerley, wie sein Kopf geschoren ist, halb oder ganz! Und er kann sich ja auf der Universität immer noch besinnen, welche Weihe er annehmen will? Es gibt im Kloster brave Leute, Jungfer, wie bey uns, und auch schlimme. Wenn er sich nur in die Regel schicken kann, das ist das Hauptwerk, und da muß er sich am meisten drüber prüfen! – – Da hab ich eben eine [147] traurige Nachricht gekriegt. Mein Bruder in Burgau ist gestorben, und hinterläßt sechs vater- und mutterlose Waisen. Ich habs zwar schon immer im Sinn gehabt, daß ich für sie sorgen will; und das Bischen Vermögen, was ich von meinem Einkommen zurückgelegt habe, fällt ihnen zu; aber was hilft Kindern Geld und Gut, wenns an der Erziehung fehlt? Man weis schon, wie's bey fremden Leuten geht. Nun, nun, Gott wird sich ihrer auch annehmen; er ist doch der rechte Vater. Nun ist niemand mehr von uns übrig; wir waren fünf Geschwister, und sind alle weggestorben, bis an mich, ob ich gleich immer der schwächlichste unter ihnen war. Aber hätt ich auch nicht so ordentlich und mäßig gelebt, ich wäre längst nicht mehr da. Kinder! ich sag immer: Ordnung, und Mäßigkeit ist die beste Arzeney! Laßt euch das zur Regel dienen, und ihr werdet mit Freuden alt. So hat man sich nichts vorzuwerfen, wenn der Tod kommt. Ich habs Gottlob! bey meinen Bauren auch so weit gebracht, daß man selten einen aus meinem Dorf betrunken sieht, und Sonn- und Feyertags beym Wirtshaus vorbeygehen kann, ohne das ärgerliche Gejuchz zu hören. – – Ist der Kaffee schon fertig, Susanne? [148] Nun, meine Kinder, laßts Euch belieben! Zu meiner Zeit war das freylich auch nicht; Aber, andern Leuten zu gefallen, muß man schon so etwas mit machen. Nur immer mäßig! sag ich, und zu seiner Zeit! Das hat mir immer am Klosterleben wohl gefallen, daß da alles so ordentlich hergeht. Wenn nur alle folgen wollten! – – Tabak rauchen thut er wol noch nicht, Xaver? Es ist auch nicht nötig; fang ers nur nicht an! Im Kloster muß ers doch wieder aufgeben. Ich wär nie dazugekommen, wenn man mirs nicht einmal des Zahnwehs wegen angerathen hätte; und da blieb ich eben so dabey, weil mir's taugte. Täglich eine Pfeife; mehr nicht! Heut rauch ich, um des Kaffees willen, zwey. – – Schenk sie ein, Susanne! Sie kanns besser machen, als ich. So? Sie trinkt viel Milch, Jungfer Therese? Das ist recht; ist auch viel gesünder. Was macht denn P. Anton im Kloster, junger Herr? Ist er wohl auf? Das ist ein braver Mann. Ich seh ihn gern in meinem Dorf, weil er die Bauren auch zur Mäßigkeit, und andern christlichen Tugenden anhält.

Xaver. Er befindet sich recht wohl, Herr Pfarrer, das ist gar ein heiliger Mann.

[149] Pfarrer. Weiß wohl. Bin mit ihm auf Schulen gewesen, und hab ihn immer gern gehabt. – – Nun, wenn ihr getrunken habt, so gehn wir, denk ich, in den Garten. Es ist gar zu schön, wenn alles so um einen her blüht! Man wird wieder mit den Bäumen jung. Sie muß doch meine Einrichtungen sehen, Jungfer Therese, die ich dieses Jahr in meinem Garten gemacht habe. Mich dünkt, es wird ihr gefallen; Sie versteht es.

Therese. Ja! Herr Pfarrer, wenns Ihnen gefällig ist, so gehen wir. In der frischen Luft ists jetzt am Besten, und in Ihrem Garten kann man immer etwas lernen.

Sie gab ihm mit der liebenswürdigsten Ungezwungenheit die Hand, und gieng über den Hof nach dem Garten hin; Xaver folgte nach. Hier, meine Tochter, sagte er, gleich beym Eingang ins Wurzgärtchen, seh sie, wie die Apricosen- und Pfirsichbäume geblüht haben! Die Frucht setzt schon an, und wenns der liebe Gott vor Frost oder Hagel bewahrt, so werden die Bäume tragen, daß sie brechen möchten. O sie hätt es sehen sollen, wie die Blüthe so gar herrlich war, daß man kaum das Auge davon wegwenden konnte! Mitten in [150] der Nacht konnt' ich noch an meinem Fenster die Apricosenblüthe durchschimmern sehen, und da überdacht ich, wie der liebe Gott so gut ist, daß ein Baum erst durch seine Schönheit das Auge, und dann noch durch seine Frucht den Gaumen weiden muß. Wenn dann der Abendwind durch die Blüthen säuselt, und den süssen Geruch mir zuweht; dann ist mirs oft, als fühlt ich Gottes Gegenwart leibhaftig, und müßt mich schnell vor ihm niederwerfen und anbeten! O es ist ein herrlich Ding um die Welt! Alles ist so schön, und jeder Monat hat seine eigne Schönheit, aber doch der May am meisten! – – Da seht mir nur Wundershalb den Kirschbaum an! Ists nicht, als obs Ein Strauß wäre, da man kaum das Laub dran sieht! Hier in den Einfassungen hab ich Blumen hingepflanzt, sieht sie; es ist ganz was neues. Vorher war alles Krautland; aber, dacht ich, man muß doch auch etwas Augenlust haben; und da hat mir des Barons Gärtner Tulpen- und Narcissenzwiebel, auch Aurikeln und gelben Lack geschenkt. Mit den Tausendschönchen hab ich da die Beeten eingefaßt, weil sie jeden Monat neu blühen. Da hab ich nun so meine Freude, nach dem Mittagsessen, oder Abends in der Kühle, daß [151] ich nach den Blumen sehe, sie wart' und sie begiesse. Jedes Stöckchen liegt dann meinem Herzen näher; jedes kenn ich, und seh täglich, wie's heran wächst, und zunimmt! Es ist sonderbar; aber nicht wahr? man hat alles so lieb was man selbst pflanzt, und heran zieht?

Therese. Ja wohl, Herr Pfarrer, mir gehts eben so; und wenn mir eine Blume welkt, oder vom Wurm verdorben wird, da bin ich so traurig, als ob ich, weis nicht was? verlohren hätte.

Pfarrer. Recht, Jungfer Therese! Da hab ich denn so meine Gedanken, was der liebe Gott für eine Freud und Glückseligkeit empfinden muß, unter dessen Augen und durch dessen Sorgfalt Menschen, Thier und Pflanzen so heranwachsen und gedeihen! Da ist mir denn so wohl, bey dem Gedanken, daß ich weinen muß. Lieben Kinder, man ist so selig, wenn man sich Gott in der Nähe denkt, und lernt sein Vaterherz immer mehr kennen. Warlich für den Gebrauch unsrer fünf Sinne können wir Ihm nie genug danken. Durch sie wird man am meisten mit ihm bekannt; mit dem Verstand geht's viel zu langsam. – – Seht ihr, wie der Salat schon so kopficht wird! Das ist Abends mein rechtes Labsal, wenn's so heiß ist, [152] und ich mich mit einem Gericht davon abkühlen kann.

Therese. Ey der Tausend! Ihre Erbsen sind ja schon so hoch; sie blühen bald.

Pfarrer. Ja, Jungferchen, das sind Zuckererbsen, aus des Barons Garten. Die hab ich auch selbst gepflanzt. Auf den Herbst kann ich ihr wol auch Körner davon geben, sie muß sie aber weit auseinander stecken, weil sie starkes Kraut geben. Und was sagt sie denn zu meinen Kartoffeln? Kommen die nicht schön heraus? Man dürfte wol mehr bey uns pflanzen, weil's ein kostbar Essen ist, und einem recht aushilft, wenn Gott einen Miswachs beym Getraide schickt. Ich hab auch meinen Leuten schon viel gegeben, und sie pflanzen's häufig. Die armen Leute könnten manches besser einrichten, wenn mans ihnen nur sagte, und sie mit Rath unterstützen wollte.

Xaver. Ja, so machts der Pater Anton, der lehrt die Bauren allerley Handgriffe beym Ackerbau.

Pfarrer. Brav! brav! Gott segn' ihn dafür! Ich sag immer, man muß für den Leib, wie für die Seele sorgen, wenn man ein rechtschaffner Pfarrer seyn will; denn was ist die Seel' ohne [153] den Leib? – Mit den Cichorien hier will ich eine Probe machen. Man rühmt so viel davon, daß sie einen herrlichen und gesunden Trank geben. Wenn das ist, so brauchen wir nicht so viel Geld ausser Lands zu schicken, zumal da der gewöhnliche Kaffee für uns gar nicht gesund ist. – Da seht einmal den herrlichen Apfelbaum! Sieht er nicht aus, wie das liebe Morgenroth? Mein Gott! Die Augen vergehen einem, wenn man ihn lange ansieht. Und wie süß er duftet! – – Da leben nun von Einem Baum tausend Würmchen, Käfer, und Bienen, die sich ihres Daseyns freuen, und im Duft herumtaumeln; und hintennach haben wir den vollen Segen davon einzuerndten. Hier im Baumgarten hab ich nun mein rechtes Leben; da gibts immer was zu thun; Raupen abzunehmen, nach der Wurzel und dem Stamm zu sehen, daß er nicht brandig wird; Zweige einzuimpfen, und im Herbste säg ich die verdorrten, oder überflüßigen Aeste ab, um den andern Luft zu machen. Da verschaff ich mir Bewegung, und erhalte mich gesund. So kann man sich das Landleben angenehm und unterhaltend machen, daß man sich nie nach der Stadt sehnt. Jungfer Therese weis das wohl.

[154] Therese. Ja, Herr Pfarrer, das ist wahr; in der Stadt möcht ich auch nicht leben. O Sie hätten gestern unsern Garten sehen sollen, wenn's noch Zeit gewesen wäre! Da blüht alles auch so voll. Der Apfelbaum an des Papa Zimmer ist besonders schön. Man glaubt, er sey überschneyt, so weiß ist er. Und der Zuckerbirnbaum; schöners kann man gar nicht sehen ... Ey, da kommt ja ein Baurenmädchen hergewackelt! Was das Kind für schöne blaue Augen hat; und so ein offenes Gesicht!

Pfarrer. Das ist meines Nachbars Mariekchen; da hab ich so meine Freude mit, und spiele manchesmal mit ihr. Ich kann mir nichts liebers denken, als so ein kleines unschuldiges Geschöpf, wenn's so eben zu sprechen anfängt. Alles ist so natürlich, und so unverdorben! – – Komm, Mariekchen! Küß das Händchen von der Jungfer, da! Darfst dir nicht fürchten; Sie hat die Kinder auch lieb. Komm! verneig dich schön! – So!

Und nun nahm der liebe Mann das Kind auf den Arm; küßte und herzte es, brach ihm Blumen aus dem Gras ab; nahm sein Händchen in den Mund; das andre war um seinen [155] Hals geschlungen. Hielts Theresen und Xavern hin, daß sie's küssen sollten; ließ es laufen, und aus Scherz halb fallen; dann schenkt' er ihm einen Kreuzer, als es gehen wollte, und führte es bis an die Thüre. Xaver und Therese lächelten einander zu, und freuten sich über die schöne Herablassung des ehrlichen Alten, und als er von der Gartenthüre wieder zurückkam, sagte

Therese. Es ist Jammerschade, Herr Pfarrer, daß sie nicht auch Kinder haben! Sie würden durch ihre Liebe lauter Engel aus ihnen machen.

Pfarrer. Das ist lang mein Kummer gewesen, Jungfer Thereschen! Aber, lieber Gott, wir dürfen ja keine Kinder haben. Uns armen Leuten hats die Kirche ja verboten. Es ist freylich hart; aber in die Ordnung muß man sich nun einmal schicken. Ich tröste mich mit meinen Untergebenen, daß ich die durch Lieb und Treue zu meinen Kindern mache. Wer weis, obs mein Glück gewesen wäre, wenn ich eigne Kinder hätte? Man ist oft auch sehr unglücklich mit. Ha, ha! da bringt meine Susanne Milch!

Wollen wir nun in die Laube gehen, und sie dort essen?

[156] Sie giengen mit einander hin. Therese rieb den Zucker und das Brod, und streute es über den Milchrahm her. Sie assen so vergnügt, wie eine Familie der Erzväter. Therese saß in ihrem Sonnenhütchen da, und würzte die Kost durch ihre Freundlichkeit und den heitern Scherz. Der alte Prediger war so munter, wie ein Jüngling. Xavers Seele war voll Ruhe und voll süsser Wehmuth. Niemand hatte die glückliche Gabe mehr, wie Therese, sich in einen jeden Charakter zu schmiegen, und seine Aufmerksamkeit zu erhalten, ohne eitel zu seyn, oder ihre Grundsätze zu verleugnen. Sie war frölich bey den Frölichen; heiter bey den Heitern; ernst und aufmerksam bey gesetztern oder ältern Leuten, und erhielt dadurch die Zuneigung aller. Es war ein angenehmes Schauspiel, mit welcher Kentnis und mit welchem ganzen herzlichen Antheil sie sich mit dem Prediger von lauter Dingen unterhielt, die Ihm wichtig waren, wie sie sich nach seinen Pfarrkindern, nach seinen Verwandten, nach seinem Zehenten, und besonders nach der Einrichtung seines Obst- und Wurzgartens erkundigte; mit welcher Lehrbegierde sie ihn hörte; wie angenehm sie ihm kleine Geschichten aus der Haushaltung [157] und der benachbarten Gegend erzälte! Der alte Mann unterhielt die beyden mit der treuherzigsten Laune; mischte allerley gute Lehren in seine Reden mit ein, und freute sich der Aufmerksamkeit, mit der ihm die beyden zuhörten.

Abends, als sie zurückgingen, begleitete er sie noch vors Dorf hinaus; drückte Theresen die Hand, und wünschte Xavern noch einmal von Herzen Glück zu seinem Vorhaben.

Die beyden Geschwister theilten sich ihre herzliche Freude, und ihr Wohlgefallen an dem Betragen des ehrlichen Landpredigers mit. Du siehst nun, Bruder, sagte Therese, wie man in allen Ständen, und besonders auch in diesem, Gutes thun kann! Was kann reizender seyn, als das Leben eines Mannes, dessen ganzes Dorf gleichsam eine einzige Familie ausmacht, weil er ihrer aller Vater wird. Der brave Pfarrer hat noch tausend gute Eigenschaften, die man nur nach und nach, und gleichsam beyläufig erfährt. Er gibt seinen Bauren guten Rath, wenn sie einen Proceß anfangen wollen. Er misräth es ihnen, und versöhnt sie miteinander. Wenn sie krank sind, kommen sie zu ihm, klagen ihm ihre Noth, und er schreibt ihnen Gesundheitsregeln [158] vor, oder theilt ihnen einfache und unschädliche Arzeneyen mit. Sieh, so ein Mann könntest du auch werden, wenn du wolltest.

Xaver. Das kann ich im Kloster auch, wie der Pater Anton. Aber ich versprech dir doch, Schwester, daß ich mich noch recht bedenken, und zu nichts entschliessen will, bis ich alles streng geprüft habe. Die Zeit ist noch lang bis dahin; wer weis, was noch alles dazwischen vorfällt?

Therese. Nun, wenn das ist, Xaver, so will ich mich beruhigen; und jetzt auch nicht weiter davon reden.

Sie war auch wirklich seit der Zeit seinethalben weit ruhiger, und hoffte gewiß, daß ihr Bruder sich noch anders bedenken, und vom Klosterleben abstehen werde. Jetzt kamen sie, beym schönsten Abendrot, das den halben Himmel färbte, bey ihrem Vater wieder an; assen in der Laube, und erzälten ihm, mit rührender Einfalt, was sie bey dem Prediger gesehen und gehört hätten; wie er so ruhig und vergnügt mit seinem Gott und der ganzen Welt lebe, und was er für schöne Einrichtungen in seinem Garten gemacht habe. Der Vater stimmte mit in das Lob des braven [159] Mannes ein, und sagte, daß seine liebe Therese auch viel Gutes von ihm gelernt habe. Sie lächelte, schlug die Augen nieder, und ward roth.

Den andern Morgen kam ein Bote aus der Stadt und brachte einen Brief vom obersten Professor an der Piaristenschule. Das Schreiben war, aus Achtung für die Kapuziner, die den jungen Siegwart empfohlen hatten, sehr gütig abgefaßt. Er könne gleich eintreten, und in ihre Schulen kommen; sie versprachen ihm treuen Unterricht, und väterliche Aufsicht. Der alte Siegwart würde finden, daß sie seine Stelle bey seinem Sohn so viel als möglich zu vertreten suchen würden, u.s.w. Sie liessen Xavern auch besonders grüssen, und ihn ihrer Liebe versichern. Besonders werde sich P. Philipp, der im Kloster einen Bruder habe, seiner treulich, und noch ganz besonders annehmen.

Der Vater antwortete, daß sein Sohn in zwey Tagen nach der Stadt kommen werde. Xaver freute sich auf die Veränderung, und brannte recht vor Lehrbegierde, um sich nur bald zu einem geistlichen Amt tüchtig zu machen. Therese war traurig, weinte in der Stille, und machte die nötigen Einrichtungen zur Abreise. Karl[160] freute sich heimlich in der Seele, daß er nun bald eines Bruders los werden sollte, auf den der Vater so viel hielt, den seine Schwester über alles liebte, und von dem er fürchtete, der Vater möchte, zu seinem Nachtheil, nur zu viel an ihn wenden. Wilhelm war alles gleichgültig, und er wuste nicht einmal, wann sein Bruder abgehen würde?

Der alte Siegwart sagte seinem Sohn, in drey oder viertehalb Jahren könn' er, wenn er's nicht am gehörigen Fleiß fehlen lasse, sich auf der Schule die nötigen Kentnisse erwerben, um auf die Universität zu gehen. Dort könn' er dann auch drey bis viertehalb Jahre bleiben; indessen sey er zwanzig Jahr alt, welches, wenn er noch Lust dazu bezeuge, gerade die Zeit sey, in der es einem Jüngling frey stehe in einen Orden zu treten. Er fügte noch viel gute Lehren, und dringende väterliche Ermahnungen hinzu, Gott getreu und rechtschaffen zu bleiben, sich vor Verführungen zu hüten, und seine Zeit und Geld wohl anzuwenden. Xaver versprachs mit Thränen, und mit einem tiefbewegten Herzen; er gieng auf sein Zimmer, brach in einen Strom von Thränen aus über seines Vaters Zärtlichkeit und gütige Gesinnungen; [161] gieng heftig auf und ab, und betete laut, daß ihn Gott in seinen guten Vorsätzen unterstützen, und den Lehren seines Vaters immer treu erhatten wolle!

Den andern Tag brachte er gröstentheils in der Gesellschaft seiner Schwester zu, die seine Sachen vollends in Ordnung brachte, weil der Koffer den Abend noch gepackt werden muste, um den andern Morgen mit Anbruch des Tages mit dem Wagen abzugehen. Ihre Unterhaltung war traurig, und oft schwiegen sie halbe Stunden lang, so viel sie sich auch noch zu sagen hatten. Sie schenkte ihm zum Andenken einen Geldbeutel, den sie selbst gestrickt hatte, damit er sich fein fleißig ihrer erinnern möchte. Das Versprechen, sich recht oft zuzuschreiben, wurde noch einmal feyerlich erneuert. Anfangs wollte er gar nicht zu Bette gehen, um nur seine Therese recht zu geniessen; aber der Vater widerrieth's, weil er Ruhe nötig habe. Der alte Siegwart hätte seinen Sohn gern begleitet, aber unaufschiebliche Geschäfte, und weil der andre Tag ein Gerichtstag war, hielten ihn zurück. Sie blieben bis um eilf Uhr auf. Xaver bat seine Schwester, morgen früh liegen zu bleiben. Aber sie that ganz böse, daß er ihr so etwas [162] zumuthen wollte. Wie könnt ich das verantworten, sagte sie, wenn ich nicht von meinem liebsten Bruder Abschied nähme? Wer weiß, setzte sie mit Thränen in den Augen hinzu, wann wir uns wiedersehen? Nein, Bruder das gienge mir mein Lebtag nach! Fodre so was nicht von mir!

Sie giengen zu Bette. Um vier Uhr, als der Himmel schon ganz roth war, und der Morgenstern noch allein da stand, wurde Xaver vom Bedienten geweckt. Er zog sich hurtig an, und war ungewöhnlich traurig. Therese kam in ihrem weissen Negligee, mit blassen Wangen und verweinten Augen zu ihm, sie fiel ihm um den Hals und küßte ihn; sprechen konnte sie nur wenig. Lieber Bruder, vergiß mich nicht! war alles, was sie sagte.

Der Vater ließ ihn noch allein aufs Zimmer kommen, sprach liebreich und beweglich mit ihm. Mache, daß ich Freud an dir erlebe! sagte er, und werd ein frommer Mann! Unsre Familie hat von jeher den Ruhm gehabt, daß wir's treu mit Gott und Menschen meynen. Verscherz du diesen Ruhm nicht! Er ist das beste Kleinod, das ich dir mitgeben kann; alles andre ist nur Tand und Puppenwerk. Hier hast du noch was zum Andenken. [163] Wends gut an! – Es war ein Beutel mit ungefähr zwölf Conventionsthalern, und ein paar Dukaten – Ich will für dich sorgen, so lange ich kann. Aber verlaß dich nicht zu sehr darauf! Wir Menschen sind sterblich, und wer weiß, wie lange ich noch lebe? – Hier brach Xavern ganz das Herz – Ja, mein Sohn, man muß sich auf alles gefaßt machen. Lerne du was rechts, damit du nicht zu sehr von Menschen und ihrer Gnad abhängen darfst! Gott segne dich, mein Sohn, und erhöre meine heissen Wünsche! – Hier konnt er sich nicht länger halten; er fiel seinem Sohn um den Hals, drückte ihn fest an sich, küßte ihn mit der größten Heftigkeit, und weinte. Seine heissen Thränen rollten über Xavers Wangen mit den seinigen. Dies war das zweytemal in seinem Leben, daß ihn Xaver weinen sah; das erstemal weinte er, als seine Frau starb. Xaver sah vor lauter Thränen nichts; er schluchzte laut, und sein Herz wollte fast zerspringen. Der Vater ermannte sich wieder, und machte dem traurigen Auftritt selbst ein Ende, indem er seinen Sohn ins Wohnzimmer führte, wo Therese und Karl waren. Wilhelm war nicht aus dem Schlaf zu bringen.

[164] Therese hatte Kaffee gemacht, und schenkte ihrem Bruder ein. Thränen, die ihr unaufhörlich aus den Augen stürzten, liessen sie nicht reden. Er war stumm, und wie betäubt. Karl wollte auch traurig seyn aber man sahs ihm wol an, daß es Zwang war. Der alte Siegwart stand bewegt am Fenster, und sah die Pferde an den Wagen spannen. Therese setzte sich zu ihrem Bruder, sah ihn schmachtend an, und neue Thränen schossen ihr ins Auge. Sie legte seine Hand in die ihrige, und drückte sie. Xaver sah sie an, dann den Vater, dann den Bruder; suchte seinen Schmerz zu unterdrücken, und auf einmal brach er wieder mit einem lauten Seufzer aus. Xaver, sagte endlich der Vater, wenn du fertig bist, die Pferde sind angespannt. Diese Worte waren ihm ein Donnerschlag; er stand auf, suchte seinen Hut und Stock, ohn ein Wort zu sprechen, hielt den Hut halb vors Gesicht, und stand so, mitten in der Stube. Therese, die's nicht länger aushalten konnte, gieng vors Zimmer hinaus, um da auf den Bruder zu warten. – Nun, mein Sohn, sagte der Vater, viel Umstände wollen wir nicht machen; das Herz ist dir doch so schwer. Du weist, was ich dir vorhin gesagt habe, behalt's [165] fein im Herzen! Leb wohl! Gott segne dich! Er umarmte ihn, und gieng dann weg, um seine Thränen zu verbergen. Von Karln war der Abschied ziemlich frostig und kurz. Als Xaver vor die Thüre trat, fiel ihm Therese um den Hals, und rief: Tausendmal tausendmal leb wohl, mein lieber, lieber Xaver! Unser Herr Gott erhalte dich gesund! Dieß war alles, was sie sagen konnte. Er gieng schweigend voran an den Kutschenschlag; sah noch einmal zu seinem Vater, der im Fenster lag, und ihm noch ein Lebwohl zurief. Theresen reichte er noch die Hand aus der Kutsche, und nun fuhr er weg.

Schon eine halbe Stunde war er auf dem freyen Felde, von der schönsten Dämmerung beglänzt, gefahren, ohne was davon zu fühlen. Endlich weckte ihn die Sonne, die ganz wolkenlos, und golden aufgieng, aus der Betäubung. Er stund auf, um noch einmal die Thurmspitze seines Dorfs zu sehen, und da fiel ihm Linkerhand das Kapuzinerkloster in die Augen, dessen blecherne Zinnen die Sonnenstralen zurückwarfen. Auch den dunkeln Tannenhain am Kloster sah er, und erinnerte sich nun aller Auftritte wieder, die er da gehabt hatte, besonders seines lieben P. Antons. Seine [166] Seele weidete sich nun aufs neu an dem Gedanken ans Klosterleben, das ihm wieder doppelt reizend vorkam; ein so thätiges und lebhaftes Gemüth, wie Xavers seines, schmückt jeden Gedanken mit den hellsten Farben; es verweilt am liebsten bey feyerlichen und Romanhaften Ideen, die die meiste Neuheit haben; und die Einsiedeley des Klosters führt gewiß viel romanhaftes mit sich. Er ward nun wieder heitrer, und bewunderte die schöne weite Ebne, die sich vor ihm ausbreitete. Aecker, Wiesen, Dörfer und Wälder wechselten auf die angenehmste Art mit einander ab. Die Sonne warf verschiedene Schattirungen darauf, und gab der Aussicht noch mehr Mannigfaltigkeit. Vor sich sah er in der tiefsten Ferne die ehrwürdigen Tyroler Schneegebirge liegen, die eine Art von Kette um die Gegend zogen. Ihre eine Seite war vom Sonnenstral beglänzt, und blendete, wenn das Auge lange dran verweilte; die andre lag im tiefen dunkelblauen Schatten. Seine Phantasie bildete sich aus den Bergen ganz verschiedene Gestalten von Riesen, Drachen, Schiffen und dergleichen, die sich, wenn er sie lange ansah, endlich zu bewegen schienen. So vergaß er nach und nach sein ganzes jetziges Verhältniß, Gegenwart und Zukunft. Er fuhr eine [167] Stunde lang so fort, bis ein Hirte, der die Kühe nach der Weide trieb, seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Der alte Mann, der nur halb mit Lumpen bedeckt war, sang mit frohem Herzen und klarer Stimme sein Morgenlied, daß Busch und Hain wiederklangen. Diese zufriedne An dacht rührte unsern Siegwart im Innersten; er winkte dem Hirten, gab ihm ein Sechskreutzerstück, und Thränen schossen ihm in die Augen, als der Alte ihm so herzlich dankte, und drauf sein Morgenlied wieder fort sang. Eine Viertelstunde drauf hörte er einen Gesang von ganz andrer Art, als er an zehen oder zwölf halb besoffenen Rekruten vorbeykam, die von vier kaiserlichen Werbern nach dem Werbplatz gebracht wurden, und die liederlichsten Zoten sangen. Die Kerls riefen ihm Schimpfwörter nach, und schrien dann wieder: Vivat Franciscus! Vivat Theresia! Nur Einer von den Rekruten rührte ihn, der traurig hintennach schlich. Er war gut gekleidet, hatte ein sittsames, feines Gesicht, das mit düstrer Schwermuth überzogen war. Allem Anschein nach war er von guten Eltern, und durchs Unglück genötigt worden, Dienste anzunehmen. Er zog vor Xavern freundlich den Hut ab, der ihm, so lange er konnte, nachsah.

[168] Nach einer Stunde hielt der Wagen in einem Dorfe, wo die Pferde gefüttert wurden. Xaver gieng in die Wirthsstube, wo der Wirth, ein dicker Mann, und Schulz im Dorfe, mit zween Bauren heftig stritt. Der Streit war über das Wildschiessen, und bey Gelegenheit einer Erzählung angegangen, daß den Tag vorher zween Wilddiebe von den fürstlichen Jägern wären aufgehoben worden. – Denen wird was schönes zubereitet werden, sagte der Wirth. Wenn's mir nachgienge, müßten all auf Hirsche geschmiedet werden; aber unser Fürst ist viel zu gnädig; der läßt ihnen höchstens noch den Daumen und den grossen Zehen lähmen.

Gerg. So, beym Teufel! Ihr seyd mir der rechte! Ja wohl, auf Hirsche schmieden! 's ist meiner Seel, schon zu viel, daß man den armen Leuten so was thut! Man sollt jeden schiessen lassen, was und wie er will! Unser Herr Gott hat das Wild erschaffen, und 's lauft für den Einen rum, wie für den andern. Nicht so, Vetter Michel? Was hältst du davon?

Michel. Ich weiß dir selbst nicht, was ich sagen soll? Wenn ich Fürst wäre, ließ ich freylich jeden schiessen; denn ich wüste nicht, warum ich [169] Gottes Gab allein haben sollte? Aber mit den Fürsten ists so eine Sach. Man darf's Maul nicht aufthun.

Gerg. Freylich, Michel! Aber Recht ist doch Recht! Vater Adam durfte schiessen, was er wollte, weils ihm Gott erlaubt hatte! Und da denk ich, wir sind seine Kinder, und wir dürfens auch. Denk dir einmal, wenn's dem Fürsten einfallen wollte, daß das Wasser auch für ihn allein geschaffen sey? Was dir da herauskommen würde? Gelt, d' Mäus dürfen wir wohl todtschlagen, weils der Fürst nicht brauchen kann! Man möcht ein Narr werden, wenn man sich so hudeln lassen muß!

Wirth. Gerg, brauch Respekt, sag ich! Oder 's geht nicht gut. Sapperment! weist du nicht, wen du vor dir hast? Bin ich nicht des Fürsten Schulz?

Gerg. Nu ja, Herr Wirth; man kann ja wol im Unwill ein Wort zu viel sagen; wer wirds auch gleich so genau nehmen? Seht, ihr habt da auch ein harts Wort geredt, daß man all auf Hirsche schmieden soll. Ich bin kein Wilddieb, hab nicht einmal eine Flint zu Haus; aber's thut einem eben weh, wenn man so sein schönes Korn aufm Acker stehen hat, und der liebe Gott hats vor Wetterschlag [170] behütet, und man denkt, man darfs nun schneiden und heimführen; wenn da so ein Rudel Hirsche kommt, und frißt alles weg, oder d'Schwein wühlen einem alles um. Meiner Seel'! 's Herz im Leib weint einem, wenn ein armer Mann auf den Acker kommt, und siehts, und schlägt d' Händ überm Kopf zusammen, und flucht auf die Leut, die 's Wild so hegen. Bey Gott! da möcht ich der Fürst nicht seyn, über den die Flüch, und die Zähren schreyen. Lieber wollt ich da kein Wildpret essen! Jagen könnt er doch, das würd ihm kein Mensch verwehren. Seht ihr, Schulz! So ists gemeynt!

Wirth. Ihr versteht das nicht, Gerg! Ihr könnt Nachts hinausgehn aufs Feld, könnt da wachen, und 's Wild abtreiben.

Gerg. Beym Blitz! Was das wieder g'sprochen heißt? Seyd ihr auch ein Baur, Herr? Man sieht wohl, daß ihr immer nur daheim sitzt, und am Bierkrug zapft! Da schafft mir einmal einen Tag über, in der Sonnenhitz, von Morgens vier an, bis Nachts achte; und dann geht mir aufs Feld hinaus, und wacht, um 's Wild abzutreiben! Weiß Gott, wir sind doch auch Menschen, und keine Hund! Wollt sehen, wo der Fürst blieb, wenn [171] wir nicht wären, und uns schier zu Schanden arbeiteten? Sackerlot, da sollen wir noch wachen! Das hieß recht, Schmerzenbrod gegessen; und doch will ich schwören, daß kein Baur es ein Vierteljahr treiben solle. Nein, da lob ich mir die Wilddieb, die 's Wild fein wegputzen, und dem armen Baur Ruh verschaffen! 's ist nicht recht, sag ich, daß man so mit ihnen umgeht, und wenn ich drum ins Loch müßt!

Michel. Gerg, nimm dich in Acht! du kommst z'viel in Eifer! – Da Herr Schulz, füllt's Gläsel noch einmal! Nehmt ihms nicht übel! Er meynt's nicht so bös.

Wirth. Ja, was nicht so bös? Er verstehts nicht, sag ich; weiß nichts von der Jagdgerechtigkeit. Das muß ich besser wissen, Schöps! Wer des Fürsten Wild schießt, ist ein Rebell, und den muß man strafen.

Gerg. Ist ein Rebell! Ist ein Narr! – Da seht einmal, Schulz, da kömmt ein kaiserlicher Werber, hat ein paar feiste Hasen aufm Buckel. Ist das auch ein Rebell? Sagt ihms doch!

Wirth. Pst, Pst! Still! Das ist ein anders. Mit den Herren ist nicht gut anbinden. [172] Laßt's nur seyn! – Blitz, was das für ein paar Hasen sind!

Indem traten die Werber mit den Rekruten, die Siegwart auf dem Weg angetroffen hatte, in die Stube. Der Wirth war ganz erschrocken, und fragte, was er einschenken sollte? Sie foderten Brandtewein und Bier. Der Rekrute, den Siegwart besonders bemerkte hatte, setzte sich allein in eine Ecke, und stützte den Kopf auf die Hand.

Was fehlt denn dem dort? sagte der Wirth leise zu einem von den Werbern. Ich weiß selbst nicht recht, antwortete dieser. Soviel weiß ich, es ist ein Student von Dillingen, und vermutlich hat er einen im Duell verwundet, oder gar umgebracht. Es ist ein braver, stiller Mensch, mit dem ich schon oft Mitleiden hatte. Er muß auch ein Mädel haben; denn er sieht oft seine Dose an, wo ein schönes rothbackichtes Ding drauf abgemalt ist, und da weint er, daß der Deckel ganz naß wird, oder drückt ihn, wenns niemand sieht, an den Mund, und küßt ihn. – Indem sah der junge Mensch auf, und blickte Siegwarten scharf an, der ihn mitleidig betrachtete. Er zog die Dose heraus, und bot Xavern eine Prise an. Das ist ja ein schönes Frauenzimmer, sagte dieser. [173] Ja wohl, antwortete der Rekrute; ein leibhafter Engel! Und nun sah er's wieder wehmütig an.

Heh! rief ein Werber, Herr Wirth! Was gibt er mir für die beyden Hasen? Habs eben geschossen. Sieht er, was sie Fett aufm Leib haben!

Wirth. Je nu, Herr Feldwaibel; ich dächte, funfzehn Kreuzer wären wol genug. 'S gibt jetzt der Hasen viel, und 's Geld ist rar –

Werber. Geh er! Ist der Herr ein Narr? Funfzehn Kreutzer, für zwey Haasen! Das ist, meiner Treu, der Balg werth. Da eß' ich sie lieber selber. Sieben Batzen soll er mir geben! Keinen Heller weniger! Ist das noch mehr, als zu billig.

Wirth. Nun, schau er, Herr Feldwaibel; Sechs Batzen will ich geben, und ein Schlückchen Kirschenwasser oben drein; Weils Er ist, und weil er so fleißig bey mir einspricht.

Werber. Meinetwegen! Hol er nur ein Gläschen! Aber vom Guten, hört ers?

Gerg. (Heimlich zu Michel, indem der Wirth abgeht.) Siehst den Teufelskerl? Da weiß er so schön zu predigen, und thut selber nicht darnach. Nun soll er mir noch ein Wort sagen, daß [174] ich raisonnirt hab! Ich verklag ihn, meiner Six, beym Amtmann. –

Siegwart betrachtete unterdeß den Rekruten, der einen Brief aus der Tasche zog, und ihn mit Bewegung las. Wenn ich ihm nur helfen könnte! Dachte er. Gern hätt er ihm von seinem Geld etwas mitgetheilt, und griff schon ein paarmal in die Taschen, aber er wagte es nicht, vor den übrigen, ihm was anzubieten, weil er fürchtete, ihn in Verlegenheit zu setzen.

Indeß kam Siegwarts Knecht, und sagte, die Pferde seyn gefüttert. Er nahm Abschied, und fuhr weiter. Eine halbe Stunde vor dem Dorfe gieng ein Weib mit drey Kindern an dem Wagen vorbey, und weinte. – Gelobt sey Jesus Christus! sagte sie. In Ewigkeit! antwortete Siegwart. – Ach, lieber junger Herr, theilen Sie doch einem armen Weib eine kleine Gabe mit, die Haus und Hof verlassen muß! Warum? sagte Siegwart. – O du lieber Gott, war ihre Antwort, weil mein Mann ein paar Hirsche todtgeschossen hat, die uns unser Korn wegfrassen. Nun werd ich ihn wol in meinem Leben nicht mehr sehen. Sie haben ihn schon in die Karre gebracht. Siegwart gab ihr einen ganzen Konventionsthaler. [175] Sie rief ihm nach; aber er befahl dem Kutscher zuzufahren.

Nun sah er schon von fern das Städtchen liegen, wo er hin sollte. Es lag auf dem erhöhten Donauufer anmutig da, und zu beyden Seiten standen Eichenwälder.

Seine Seele hub sich bey dem Anblick einer neuen Gegend um so mehr, weil sie eine Zeitlang seinen Wohnplatz ausmachen sollte. Eine unruhige Freude bemächtigte sich seiner; er zitterte, und sein Gesicht glühte. Anfangs wünschte er, nur recht bald da zu seyn, um seine neuen Lehrer zu sehen; aber, als er näher zu dem Städtchen kam, wünschte er sich wieder weiter weg. Nun lag's immer deutlicher vor ihm da; er sah die ganzen Thürme, mit den Kirchen dran, und konnte schon einzelne Häuser unterscheiden. Mit der Deutlichkeit wuchs seine Unruhe. Als er über die Donaubrücke fuhr, begegneten ihm ein paar Piaristen mit vier oder fünf Studenten; sein Herz schlug ungestümer; er nahm den Hut ab, und bückte sich sehr tief. Einer von den Lehrern dankte freundlich, als ob er ihn kennte. Möchte das doch P. Philipp seyn! Dachte Siegwart. Nun fuhr er durch die Vorstadt, und den Stadtberg hinauf ins Städtchen. Er stieg beym [176] Posthaus ab, und ließ sich gleich darauf in die Schule führen. Der Thorwart am Schloßhof meldete ihn an; er stand indessen zitternd in dem Hof. Man hieß ihn nach einem grossen Saal kommen, wo der oberste Professor und ein andrer ihn erwarteten.

Nun, ist er der junge Siegwart, der das Zutrauen zu uns hat, daß er Kostgänger bey uns werden will? sagte der erste. – Ja. – Sey er uns vielmals willkommen! Wir haben schon viel Gutes von ihm gehört, und hoffen, daß es ihm bey uns nicht mißfallen soll. – Siegwart neigte sich, und that sehr furchtsam. – Sey er nur gutes Muths, und ohne Furcht! Wir werden bald besser mit einander bekannt werden. Bruder Johann, wollen Sie ihn auf sein Zimmer bringen?

P. Johann nahm ihn bey der Hand, und führte ihn auf ein ziemlich geräumiges Zimmer, das eine freye Aussicht an die Donau, und das herum liegende Weidenufer, nebst der ganzen weiten Ebne hatte. Es war noch ein Kostgänger auf dem Zimmer, Namens Joseph Kreutzner, der ihn mit ausserordentlicher Höflichkeit bewillkommte. [177] So, hier können Sie beyeinander wohnen, sagte P. Johann. Ich hoffe, Sie werden sich gut vertragen, weil Sie von Einem Alter, und beyde von hübschen Eltern sind. Kreutzner, ich empfehl ihm den jungen Siegwart, daß er ihm gut begegnet! Denn es soll ein braver Mensch seyn, wie wir hören. – Kreutzner machte eine Verbeugung. – Er kann sich jetzt bequem machen, Monsieur Siegwart, und seine Sachen einrichten! In einer Stunde wird man ihn zum Essen rufen. Drauf gieng P. Johann weg.

Kreutzner sagte unserm Siegwart viel Schmeicheleyen vor, bot ihm seine Freundschaft an, und erzälte ihm, wie gut es hier auf der Schule sey, und was sie für Freuden miteinander haben wollten. Indem kam Siegwarts Bedienter, und brachte den Koffre; er schrieb noch in paar Zeilen an seinen Vater, voller Danksagungen, und ward sehr dabey bewegt, daß ihm Thränen auf den Brief flossen. Dann schrieb er noch an seine Schwester Therese, und theilte ihr die Freude mit, die er über die gute Aufnahme bey den Piaristen hatte.

Bald drauf kam ein Pater, und zwar eben derselbe, den Siegwart auf der Donaubrücke angetroffen [178] hatte. Wie groß war seine Freude, als er hörte, daß es P. Philipp, der Bruder des Kapuziners im Kloster sey, der ihn ihm noch besonders empfohlen hatte. Dieser P. Philipp war ein Mann zwischen vierzig und fünf und vierzig Jahren, mit einem heitern, offenen Gesicht, das, wenn er lächelte, ein Sinnbild der Liebe war. Er druckte Xavern, dessen freye Mine ihm beym ersten Anblick ganz gefiel, treuherzig die Hand, und versicherte ihn seiner Freundschaft und Gewogenheit, wenn er sich ihm anvertrauen wolle. Xaver mußte ihm verschiedenes vom Kloster, von seinem Bruder, und von seiner eigenen Familie erzählen, und ward, durch das liebreiche Wesen des Paters, bald offenherzig. Kreutzner sprach immer auch mit drein, und suchte Siegwarts Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. P. Philipp aber schien nicht viel auf ihn zu achten. Man klingelte hierauf zum Essen, wo acht Lehrer, und zwischen zwanzig und dreysig Schüler gegenwärtig waren. Xaver wurde noch als Gast behandelt, und saß zwischen dem Prior, und dem Pater Kellermeister.

Die Kost war mäßig, aber gut; die Unterhaltung ungezwungen, und munter. Die Lehrer [179] nahmen nicht den stolzen Ton an, wodurch man sich mehr von den Schülern entfernt, als ihre Liebe und ihr Zutrauen sich erwirbt; welches doch der einzige Weg zum Herzen ist. Jeder durfte frey sprechen, ohne daß dadurch die, den Lehrern schuldige Hochachtung beleidigt wurde. Nur einer von den Lehrern, P. Hyacinth, schien stolz und auffahrend zu seyn; er widersprach nicht nur den Schülern, sondern auch den Professoren, und that immer entscheidende Aussprüche.

Ein paarmal fragte er unsern Siegwart etwas in so rauhem Ton, daß dieser ganz erschrocken zurückfuhr, und verwirrt antwortete; aber P. Philipp übernahm die Antwort, und half ihm aus der Verlegenheit. Die meisten Schüler waren bescheiden und gesittet. Ein junger Edelmann von 18 Jahren, Namens Kronhelm, der am P. Philipp saß, zog Siegwarts Aufmerksamkeit besonders auf sich. Er hatte sanftte blaue Augen, hellblondes Haar, und etwas schwermüthiges in der Mine, das aber von der innern Seelenruhe, wie mit einem Schleyer, überdeckt war. Seine und Siegwarts Blicke begegneten sich ein paarmal, fuhren schnell zurück, wie der Blick eines Liebenden, und suchten sich unvermerkt [180] wieder auf. Beyde Jünglinge schienen sich in der Seele zu lesen; jeder glaubte, den andern lange schon zu kennen; und stillschweigend faßten sie, in der ersten Stunde, ein Zutrauen zu einander, das nachher so sehr befestigt wurde.

Nach dem Essen wurden in den verschiednen Klassen Stunden gehalten. Siegwart gieng mit Kreutznern in seine Klasse, wo, nach der Klostereinrichtung, der Syntax gelehrt wurde. Der Unterricht des Lehrers, der mit Ernst und Liebe vermischt war, nahm unsern Siegwart sehr ein. Die Piaristen haben überhaupt in der katholischen Kirche das gröste Verdienst um die Erziehung; weil sie sich fast mit nichts, als mit ihr, zu beschäftigen haben, und daher alle, dazu nötigen Kenntnisse sich erwerben können; da hingegen die Jesuiten tausend andre, oft sehr tadelnswehrte Zwecke zu erreichen suchen. Den Abend mußte Siegwart, wider seine Neigung, mit Kreutznern auf einem Spatziergang zubringen; denn er wäre lieber beym P. Philipp, oder bey dem jungen Kronhelm gewesen.

Kreutzner that über die Massen freundlich; lächelte beständig, wenn er sprach; drückte Siegwarten oft die Hand, und gewann dadurch den [181] unerfahrnen, noch zu leichtgläubigen Jüngling. Beym Essen erzälte Xaver, wo er gewesen sey? Was er gesehen, und wie die Gegend ihm gefallen habe? Die Piaristen schienen sehr mit ihm zufrieden zu seyn, und sprachen viel mit ihm. Als er nach Tisch mit Kreutznern auf sein Zimmer kam, zog dieser hinter dem Bücherschrank ein paar Pfeiffen hervor, und wollte Xavern überreden, auch mit zu rauchen. Er verbat es aber, theils, weil er das Rauchen nicht gewohnt war; theils, weil ers – mit Recht – auf der Schule für verboten hielt. Kreutzner wunderte sich drüber, und sagte, daß er mit seinem vorigen Stubenkammeraden alle Abende geraucht habe. Hierauf kriegte er ein Kartenspiel, das er unter eine losgegangne Diehle versteckt hatte; und Xaver mußte, ob er sich gleich anfangs weigerte, mitspielen. Er war zu gefällig, und widersprach nicht gerne. Man müsse doch was zu thun haben, sagte Kreutzner, und könne nicht stets studieren; die Professoren machten auch wol ein Spielchen; es sey blos zum Zeitvertreib; sie wollten daher nur eine Kleinigkeit einsetzen, u.s.w. Dem ungeachtet verlohr Xaver über einen halben Gulden; denn er spielte ehrlich, und Kreutzner betrog, [182] wo er konnte. Den andern Tag hatte Siegwart noch frey, und richtete seine Sachen ein. P. Philipp ließ ihn Abends auf sein Zimmer kommen, und sprach viel mit ihm. Sein freyes, muntres Wesen und seine Herablassung nahm ihn sehr ein. Er erzälte, mit der grösten Anmuth, allerley Anekdoten aus der Geschichte, die seine Lieblingswissenschaft war; mischte rührende Bemerkungen mit ein, die von seinem edeln Herzen zeugten, und wieß viele artige Landschaften vor, die er selbst mit Tusch gezeichnet hatte. Xaver gieng sehr vergnügt weg, nachdem er vorher, zu seiner größten Freude, hatte versprechen müssen, ihn öfters Abends zu besuchen, oder einen Spatziergang mit ihm zu machen. Er mußte wieder mit Kreutznern spielen, und verlohr diesmal einen Gulden.

Den folgenden Tag wurde er von den vier obersten Professoren, unter denen P. Philipp auch war, examinirt. Sie waren mit seiner Herzhaftigkeit, und seinen treffenden Antworten, die von seinem gesunden Verstande zeugten, sehr zufrieden, und beschlossen einmüthig, ihn in die dritte Klasse zu setzen, wo der Syntax, oder die gründliche Erlernung des Lateinischen hauptsächlich [183] getrieben wird. Siegwart, dem es weder an den gehörigen Grundsätzen, noch an Eifer und Verstand fehlte, schickte sich sehr bald in die Ordnung, und erhielt den Beyfall seiner Lehrer völlig; denn sie waren vernünftig und sahen, daß es ihm ernstlich angelegen sey, ihnen durch Folgsamkeit zu gefallen, und sich selbst durch gründliche Einsichten zu vervollkommen. Er faste das mechanische der Lateinischen Sprache bald; aber doch war ihm mehr am Kern, als an der blossen Schaale gelegen. Er sah bey den Stellen, die aus Römischen Geschichtschreibern, besonders aus dem Nepos genommen waren, und in der Schule erklärt, und übersetzt wurden, immer auf den Innhalt. Auf der Stube las er die erklärten Stücke wieder durch, und verweilte sich oft Stundenlang bey edeln Handlungen, die der Menschheit, und ihren Urhebern Ehre machen. Besonders waren Cimon, Epaminondas, Conon, Leonidas, Aristides, Phocion, Timoleon und andre Edle seine Leute. Er liebte, und bewunderte die grossen Seelen, die sich und ihren eignen Vortheil dem allgemeinen Besten aufopferten. Bey ihrer heissen Vaterlandsliebe glühte seine Seele, und stärkte sich zu ähnlichen Gesinnungen und [184] Thaten. Bey ihrer stillen Tugend, bey ihrer menschlichen Zärtlichkeit flossen seine Thränen; aber alle, die nur Helden, oder Menschenwürger, und Unterdrücker eines freygebohrnen Volkes waren, haßte und verabscheute er. So die Schriftsteller zu lesen, und sich durch die Geschichte menschlicher zu bilden, hatte ihn P. Philipp gelehrt, dem kein Zug im Charakter eines Menschen entgieng, der das Herz erhöhen und veredeln konnte. Die Religion ward ihm von P. Johann auch vernünftiger und einwürkender beygebracht, als gewöhnlich. Da der brave Mann, bey seinen vielen Unglücksfällen, und bey seinem schwachen Körper aus der Erfahrung gelernt hatte, wie wenig Streitigkeiten, und künstliche Bestimmungen und Einschränkungen von Dingen, die uns unerklärlich sind, und oft seyn sollen, zur Beruhigung des Herzens und zum Trost im Elend beytragen, so flößte er seinen Schülern nur den Geist und Saft der Religion ein, das heißt: die Lehren Jesu und seiner Apostel, die alle, sowol für unser eigen Herz, als auch für andre Menschen wohlthätig sind, und deren Kentnis und Ausübung uns allein in der letzten Stunde trösten kann. Er suchte seine Schüler durch die Religion [185] mehr zu weisen und tugendhaften Menschen, als zu grossen Gelehrten zu bilden. Auch in der Geographie und Meßkunst sah sich unser Siegwart um, und saß oft die halbe Nacht durch bey den Büchern, so, daß er sich in kurzer Zeit nicht gemeine Kenntnisse erwarb. Nur in P. Hyacinths Stunden gieng er ungern, weil dieser mürrische Mann, mit der polternden Stimme, nur aufs Phrasesmachen drang, und immer mit aufgehobnem Stock vor den Schülern stand.

Da es uns bey Siegwart mehr um die Geschichte seines Herzens, als seines Verstandes, und seiner gelehrten Kenntnisse zu thun ist, so werden wir von dem letztern wenig, und nur da reden, wo es würklichen Einfluß auf seine künftigen Schicksale, oder auf seinen Charakter hatte. Also kehren wir in den Anfang seines Aufenthaltes bey den Piaristen zurück.

Nach dem Examen wurden ihm die Gesetze, sowohl der Schule überhaupt, als auch besonders seiner Klasse vorgelesen, und er mußte dem P. Johann mit einem Handgelübd versprechen, sie getreulich zu beobachten. Unter andern war durch ein Gesetz verboten, auf dem Schulgebäude, und auch ausserhalb demselben Taback zu rauchen, [186] oder um Geld zu spielen. Er erschrack, als er dieses lesen hörte, weil ihm sogleich der gestrige Tag einfiel. Den Abend drauf wollte Kreutzner wieder spielen. Er schlugs ihm rund ab, und schützte das Verbot vor, das ihm erst heute, in seiner Gegenwart, vorgelesen worden sey. Kreutzner lachte, gab ihm Einfalt schuld, und sagte: Wer sich darnach richten wollte, müßte ein Mucker werden; es sey nie darauf gehalten worden; man verbiet es nur zum Schein, u.s.w. Dies alles half bey Siegwart nichts; er hielt ein Gelübbe, das eine Art von Eyd ist, für zu heilig, und fing an, von Kreutznern schlimmer zu denken. Als es dieser merkte, suchte er wieder einzulenken, und hintergieng Xavern durch eine angenommene Gewissenhaftigkeit und Scheinheiligkeit aufs neue. Er warf die Karten beym nächsten Spatziergang in die Donau, betete alle Abend und Morgen laut, sprach viel von Religion, und gewann dadurch Siegwarts ganze Seele wieder, so, daß man diesen fast allein in seiner Gesellschaft sah. Selbst den P. Philipp besuchte er weniger.

Eines Tages kam Kreutzner traurig heim, und stellte sich, als ob er oft verstohlen weinte; aber doch so, daß es Siegwart sehen mußte. [187] Dieser fragte endlich, was ihm fehle? Ach, antwortete er, da hab ich eine Familie gefunden die mit der kümmerlichsten Armuth ringt. Es sind sechs unerwachsne Kinder, und eine halbkranke Wittwe. Denen hätt' ich nun so gern geholfen, und leyder! hab ich jetzt nichts; denn mein Geld von Hause kommt erst über vierzehn Tage. Siegwart, dessen Seele leicht gerührt, und mitleidig war, gab ihm ein paar Gulden, und bat ihn, sie der leidenden Familie zu bringen. Kreutzner dankte ihm mit heuchlerischen Thränen, lobte sein menschliches Herz, und verschleuderte das Geld an Leckereyen. So ward der edelmüthige Jüngling durch die Mine der Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit hintergangen; eine Schlinge, welche guten Seelen so oft von Bösewichtern gelegt wird. Seine Seele bekam dadurch immer mehr Zuneigung zu Kreutznern, und machte ihn zu ihrem Vertrauten. Er erzälte ihm alles von seiner Familie, ließ ihn seine Briefe lesen, und Kreutzner schrieb an seine Schwester einen Brief voller Schmeicheleyen. Sie antwortete ihm kalt, und schrieb ihrem Bruder folgendes:


[188] Liebster Bruder!


Ließ diesen Brief allein, und laß ihn niemand sehen! Du wirst mir glauben, daß dein Wohlbefinden mich im innersten erfreut. Auch ist mirs lieb, daß du gute Freunde gefunden hast. Nach dem, was du mir vom Herrn Kreutzner schreibst, muß er freylich wohl ein guter Mensch seyn; aber verzeyh mir, Bruder, wann ich sage: sein Brief gefällt mir gar nicht. Er sagt mir so viel vor, daß ich schön und artig sey; und da möchte ich wol fragen, wo ers her weiß? Du hast ihm so was gewiß nicht gesagt. Also kanns ihm wol nicht Ernst seyn, was er schreibt, oder er spottet gar über mich. Das ist aber nicht artig, ein einfältiges Landmädchen, das man gar nicht kennt, zu vexiren, und ihr Grillen in den Kopf zu setzen. Mich soll er aber durch seine Schmeicheleyen nicht blenden. Ich weiß wohl, worauf ich mir was gut zu thun habe, und das kennt er nicht. Verzeyh mir, Bruder, daß ich härter schreibe, als du's wünschen möchtest; aber du weist, daß ich nie kein Blatt vor's Maul genommen habe. Was du mir vom P. Philipp und dem jungen Herrn von Kronhelm berichtest, hat mir weit besser gefallen. Der junge Mensch muß eine gute [189] liebe Seele seyn, aber es scheint, du habest nicht viel Umgang mit ihm. Wie kömmt das? Papa ist, Gottlob! recht wohl, und läßt dich grüssen. Die Brüder auch. Salome will bald wieder aus München kommen; da wird mein Elend wieder angehen. Ich sag aber: Ein froher Muth macht alles gut. Unsre Kornfelder sind dieß Jahr sehr gesegnet; auch unser Garten. Ich habe viel zu thun, und bin seitdem erst zweymal bey unserm Pfarrer in Windenheim gewesen. Er hat mich wieder in seinem Garten herum geführt, und läßt dich herzlich grüssen. Ich muß abbrechen, weil ich wieder an die Arbeit muß. Leb wohl, Herzensbruder, und schreib bald deiner getreuen Schwester


Th. Siegwart.


Xaver ward anfangs etwas stutzig, als er diesen Brief las, aber, dachte er: das Mädchen sieht die Sache von der unrechten Seite an; und vergaß ihre Erinnerungen bald wieder. Kreutzner schlich sich durch allerley Kunstgriffe immer mehr in sein Vertrauen ein; that immer demüthig und fromm; wich, als Xaver, wegen einer Unpäßlichkeit, ein paar Tage auf dem Zimmmer [190] bleiben mußte, nicht von seiner Seite, that herzlich betrübt; und befestigte sich dadurch noch mehr in der Liebe des Jünglings. Er entlehnte, unter allerley Vorwand, alle Augenblicke Geld von Siegwart; versprach immer, es ihm wieder heimzugeben, und gewanns ihm dann durch Wetten, oder durch Spiele, die er aber anders nannte, ab, oder verkaufte an ihn schlechte Bücher theuer, so daß Siegwart sich in kurzer Zeit fast seines ganzen Vorraths los sah.

P. Philipp hielt nicht viel von Kreutznern, und sah, daß er Xavern ganz von ihm abzöge. Er sagte also einmal auf einem Spatziergange, wo Kronhelm auch dabey war: Mein lieber Siegtwart, er läßt sich ja bey mir wenig mehr sehen, und bey Kronhelm auch nicht, den ich ihm doch so sehr empfohlen habe. – Ja, sagte Siegwart, Herr Professor! ich bin eben viel beym Kreutzner. Gut, antwortete P. Philipp, Kreutzner ist ein Mensch, dem ich zwar nichts offenbahr Böses nachsagen kann; aber er hat so was in der Mine, und in seinem ganzen Betragen, das mir nicht gefällt. Ich weiß nicht; der Mensch lächelt immer so freundlich, wenn man mit ihm spricht; und sieht man ihm ins Aug, so schlägt ers nieder, als ob er [191] kein gut Gewissen hätte. Dabey ist er so überhöflich, und die gar zu höflichen Leute kann ich für den Tod nicht ausstehn. Sie haben immer so ihre Ursachen und Nebenabsichten dabey, warum sie's sind. Da, wers gut meynt, geht gerad heraus, und sagt ohne Umschweife, was er denkt. Man braucht deswegen noch nicht grob zu seyn! Es gibt so eine Mittelart; man weiß selbst nicht, wie mans nennen soll; aver fühlen kanns ein jeder. Nicht wahr, Kronhelm, er denkt von Kreutznern eben so? – Ja, wenn ichs frey heraus sagen darf, Herr Professor, anrwortere Kronhelm, so gefällt er mir auch nicht. Er har so was heimtükisches und schleichendes und freut sich nie recht, wenn wir miteinander lustig sind; oder es sieht immer aus, als ob er sich auf Andrer Kosten freute. Neulich giengen wir einmal spatzieren, da kam ein Bettelbub und bettelte. Wir konnten ihm nichts geben, weil wir nichts bey uns hatten; Kreutzner aber äffte den armen Knaben immer; ließ ihn wol eine Viertelstunde hinter drein laufen, sagte immer: Wart, bey jenem Baum dort sollst du was kriegen, und zuletzt schlug er ihm die Mütze aus der Hand, daß sie in den Koth fiel, und der Bube weinte. Das gefiel mir gar nicht, und ich sagt ihms auch; aber er lachte drüber.

[192] Das sieht ihm so recht ähnlich, sagte P. Philipp. Ich warn' ihn aus guter Meynung, Siegwart, laß er sich mit dem Jungen nicht zu tief ein! Er möcht's zu spät bereuen. Ich weiß wohl, daß Ers nicht böse meynt, wann er mit ihm umgeht; aber man kann durch den Schein gar leicht betrogen werden.

Xaver dachte drüber nach, und ward in seinem Umgang mit Kreutznern behutsamer und kälter; dafür besuchte er desto mehr den Pater Philipp und den jungen Kronhelm, in dessen Umgang seine Seele mehr Nahrung fand. Er lernte bey dem Pater das Zeichnen, wozu er ziemlich Anlage und Lust hatte. Noch weiter aber brachte er es in der Musik. Kronhelm spielte die Violine sehr gut, und mußte Xavern jeden Abend in der Dämmerung zärtliche Arien oder klagende Adagios vorspielen. Dadurch bekam er selbst Lust zur Violine, und lernte in kurzer Zeit bey einem jungen Pater sehr viel; so daß er nun dem jungen Kronhelm schon akkompagniren konnte. Der junge Pater merkte auch bey ihm viel Anlage zum Singen; er hatte eine geläufige biegsam Stimme, und einen hellen Tenor; und in einem Vierteljahre ward er kein gemeiner [193] Sänger; wozu ihm sein zärtliches Gefühl und sein empfindungsvolles Herz, das jedem Ton den rechten und einzigwahren Ausdruck gab, viel half.

Kreutzner, der in Siegwarts Zuneigung zu ihm eine so plötzliche und starke Abnahme bemerkte, sann nun auf neue Kunstgriffe, ihn wieder an sich zu ziehen. Er war schlau, und sah wohl, daß ihn P. Philipp und Kronhelm ihm abgeneigt machten; er suchte ihm also zuförderst ein Mistrauen gegen diese einzuflössen. – Hast du heut bey Tisch auf Pater Philipp und Kronhelm Acht gegeben? fieng er einmal an. Nein, warum? antworte Siegwart.

Kreutzner. Du hast also nicht gesehen, wie sie zu einander lachten, und das Maul verzogen, als du vom Pfarrer in Windenheim erzältest?

Siegwart. Nicht das mindeste.

Kreutzner. Nun, so muß ich dirs eben sagen, wenn du's ihnen nicht wieder ausplaudern willst; denn ich hab dich viel zu lieb. Sie machen sich über dich lustig; ich habs schon hundertmal bemerkt; so bald du den Mund aufthust, stossen sie sich an, und lauren dir auf jedes Wort, ob du's recht sagest? Und sobald du dich versprichst, [194] schmunzeln sie sich zu, und winken mit den Augen.

Siegwart. Geh! Da hast du falsch gesehn! Wie könnten sie so was thun?

Kreutzner. Aber doch nicht falsch gehört hab ich, als ich vorgestern an des Paters Thüre vorbey gieng. Da war dir ein lautes Gelächter in der Stube. Ich dachte, du must doch hören, was da drinnen vorgeht, und lausch' an der Thüre. Da giengs über dich her, daß ich glaubt', ich müßt hineingehen, und sie drum zur Rede stellen. Der Kronhelm kratzte was jämmerliches auf der Violin her, und sagte, so machts Siegwart; und dann schlugen beyde ein lautes Gelächter auf. – Und wie singt er denn? sagte P. Philipp. Kronhelm krächzte was, daß die Ohren einem gällten, und da ward noch unbändiger gelacht. (Siegwart, der einen edeln Ehrgeiz hatte, wurde hier roth und aufgebracht. Kreutzner, der das merkte, fuhr fort:) Glaub mir, Xaver! Sie meynens gar nicht ehrlich mit dir; ich weiß, daß sie's schon mehrern eben so gemacht haben. Der Pater schmeichelt sich bey den Söhnen ein, um von den Aeltern brav Geschenke zu bekommen. Denn wo hätt er sonst die vielen Bücher her? Wer nichts giebt, [195] dem ist er aufsätzig; wie ers mir macht. Und der Kronhelm hat dich nur gern bey sich, damit du ihm bey seinem elenden Gefiedel helfen sollst. Es ist gar nichts an ihm; du darfst mir glauben. Frag nur nach, was sein Vater für ein Kerl ist? Jedermann im ganzen Land kennt ihn; wo soll dann das Gute herkommen? Von ihm hats der Sohn nicht gelernt, aber wol liederliche Streiche. Nicht wahr, um 8 Uhr must du immer von ihm? Da heißts, er will noch studiren. Ja wohl, recht studirt! Bey den Mädels! – Da schleicht er sich noch Abends aus dem Kloster, und der Pater Philipp hilft ihm. Sieh ihn nur an! wie er immer so blaßgelb aussieht! Das kommt vom liederlichen Leben; von nichts anders. Sie können keinen Menschen aus der Schule leiden, und von mir werden sie dir auch nichts Gutes gesagt haben, denn sie machens einem, wie dem andern. Ich wollte dich schon lang warnen, weil ichs so herzlich gut mit dir meyne; aber du bist mir immer ausgewichen. Nun muß ich mir einmal Luft machen; ich hab lang genug geschwiegen, und heimlich Mitleiden mit dir gehabt. Du kannst nun thun, was du willst. Ich möcht aber, daß es jeder so treu mit dir meynte, wie ich! Frag nur all im [196] Kloster, ob ich je einem was zu Leid gethan habe? Und dir bin ich immer vorzüglich gut gewesen.

Siegwart war sehr aufgebracht, und wollte gleich zu Kronhelm; aber Kreutzner misrieth ihms, und sagte, ob er ihn verrathen wollte? Das sey nun der Dank u.s.w. P. Philipp war in der That ein muntrer Mann, und lachte gern; er that oft mit Kronhelm ziemlich vertraut, und da kam Kreutzners Aussage unserm Xaver desto glaubwürdiger vor. Auch das hatte er schon gehört, daß Kronhelms Vater ein sehr schlechter Mann sey, und der Sohn sah immer etwas blaß aus; also war auch das, was Kreutzner von ihm sagte, nicht ganz unwahrscheinlich. Siegwarts beleidigter Ehrgeiz, und die schmeichlerischen Freundschaftsversicherungen des schlauen Kreutzners, die er gar mit Thränen begleitete, kamen noch dazu; also nahm sein Zutrauen zu P. Philipp und zu Kronhelm ziemlich ab. Den andern Tag, als er zum Pater wollte, bat ihn dieser, ihn dießmal allein zu lassen, weil Kronhelm bey ihm sey, mit dem er etwas Geheimes zu reden habe. Dieß brachte ihn noch mehr auf, und machte ihn noch mistrauischer. Kreutzner blies den kleinen Funken der Eifersucht noch mehr an, und als P. Philipp eine Küste [197] mit Büchern geschickt bekam, rief er ihm, und sagte: sieh, das sind wieder Geschenke eines armen Vaters, um Gnade für den Sohn zu erbetteln. Kreutzner hatte eben Geld von Haus bekommen und da zalte er Siegwarten einen Theil seiner Schuld wieder ab; also fiel auch der Verdacht von Eigennutz auf Kreutzners Seite weg.

Dieß alles, und noch zwanzig andre Nebenumstände zusammen genommen, machte Siegwarts Herz gegen P. Philipp und Kronhelm ziemlich lau; er besuchte sie seltener, und that immer sehr zurückhaltend. Die beyden, die das merkten, entzogen ihm auch in etwas ihr Vertrauen, und so waren sie in kurzer Zeit fast wie getrennt. Sie bedauerten den leichtgläubigen und unvorsichtigen Jüngling in der Stille, und wünschten nur, daß sein Irrthum nicht von langer Dauer seyn, und sich ihm nicht zu seinem Schaden aufklären möge! Aufdringen mochten sie sich ihm nicht.

Der Umgang mit Kreutznern machte nach und nach unsern Siegwart in manchen Stücken leichtsinniger, eh ers selber an sich wahrnahm. Sie machten sich oft mit einander über ihre Lehrer und Mitschüler lustig, und liessen das Studieren ziemlich liegen. Sie ersannen tausend Ausreden bey [198] ihrem Vorgesetzten, um nur recht oft ausgehen zu können. Dann giengen sie nach einem Gasthof vor der Stadt, wo noch andre junge Leute waren; spielten da Kegel, und betranken sich ein paarmal. Kreutzner wollte Xavern so gar einmal überreden, sich mit ihm bey Nacht aus dem Kloster zu schleichen; aber so weit war er doch noch nicht verdorben, daß er in einen solchen Vorschlag mit eingewilligt hätte. Als einmal beyde Geldmangel hatten, verkauften sie drey oder vier von ihren besten Büchern. Kronhelm, der dieß alles mitleidig mit ansah, schrieb einmal, ohne seinen Namen zu nennen, mit verstellten Zügen einen Brief an Siegwart, worinn er ihn sehr rührend vor Kreutznern warnte. Aber dieß half nichts. Siegwart ließ den Brief Kreutznern selber lesen; sie spotteten darüber, und verbrannten ihn. Kronhelm gewann auch weiter nichts damit, als daß ihn Kreutzner nur noch mehr haßte, weil er ihn sogleich für den Urheber des Briefs hielt.

Eines Abends kam Kreutzner nach Hause, und sagte: Xaver, diese Nacht muß ich hinaus! Ich habe einen Bekannten in der Stadt, der ist krank, und ich hab ihm versprochen, diese Nacht bey ihm zu wachen. Einen Liebesdienst, wie diesen, [199] kann ich keinem abschlagen. Du darfst unbesorgt seyn, daß es auskommen möchte; ich hab schon mit dem Thorwart gesprochen, daß er mich um ein paar Maas Bier morgen früh in aller Stille wieder hereinläßt. Xaver wagte nicht, etwas dawider einzuwenden, weil der Bösewicht einen Liebesdienst zum Vorwand nahm. Kreutzner schlich sich indessen hinaus, brachte die Nacht bey liederlichen Leuten zu, und kam Morgens wieder. Dieses trieb er noch bey acht Tagen so, weil er immer sagte, sein Freund liege noch krank; bis es endlich ein paar Paters merkten, und dem Prior anzeigten. Man suchte die Nacht darauf Kreutzners Kammer durch, und fand unsern Siegwart allein da, der sogleich alles gestand, und sich deswegen, daß ers nicht, seiner Schuldigkeit gemäß, angezeigt habe, damit entschuldigte, daß sein Stubenkamerad sich in einer guten Absicht aus dem Kloster weggestohlen habe. Er brachte die ganze Nacht schlaflos und voller Angst zu, was ihm den folgenden Tag begegnen werde?

Kreutznern paßte man indeß am Morgen auf, und brachte ihn, bey seiner Ankunft, gleich aufs Carcer. Anfangs legte er sich aufs Lügen, als er verhört wurde, und wollte die Schuld halb auf [200] Siegwart schieben; aber bey einer genauern Untersuchung, und als man ihm mit einer noch engern Gefangenschaft drohte, gestand er ein, wo er gewesen sey, und was er da gemacht habe? Seine Vergehen waren so, daß er, nach den Schulgesetzen, verstossen werden mußte. Die Strafe ward ihm auch angekündigt, und ein paar Famuli wurden so gleich hingeschickt, seine Sachen auf dem Zimmer einzupacken und wegzubringen. Indessen legte sich der Heuchler aufs Bitten, und suchte alle mögliche Kunstgriffe hervor, seine Lehrer zum Mitleiden zu bewegen. Er warf sich vor ihnen auf die Knie nieder, weinte bitterlich, und sagte, er könne nicht eher aufstehen, als bis er wieder angenommen werde. Auf ihren Ausspruch komme es an, oh er sein Leben durch glücklich, oder elend seyn solle? Er sehe nichts vor sich, wenn man ihn verstosse, als ein Leben voller Jammer, denn er müsse nothwendig Soldat werden. Seine Aeltern seyen arm, und können sich seiner auf keine Art annehmen. Dabey sey sein Vater so streng, daß er ihm nicht unter die Augen treten dürfe. Er würde die Thüre vor ihm zuschliessen, und ihn seinem Unglück überlassen. – Ob man einen armen reuigen Menschen ganz ins Elend stürzen wolle? Sein Vergehen [201] sey ihm in der Seele leid; er wisse es auf keine Art zu entschuldigen, aber ob denn Gott nicht einen Sünder, welcher Busse thue, wieder annehme? Ob sie nicht die Güte Gottes nachahmen wollen u.s.w.? Er verspreche künftig den genauesten Gehorsam, und man werde sehen, wie er seinen groben Fehler durch ein tugendhaftes Leben wieder gut zu machen suchen werde? Fangen Sie alles mit mir an! sagte er, ich will alles mit Geduld und Gelassenheit ertragen! Nur verflossen Sie mich nicht! und entreissen Sie mich der Verzweiflung und dem Untergang!

Die Paters sahen einander an; Thränen stunden ihnen in den Augen, und das Mitleid siegte. – Nun so steh er auf, in Gottes Namen! sagte der Prior. Dießmal wollen wir noch Nachsicht brauchen; aber wenn man nur noch Einmal das Geringste von ihm hört, dann hat alle Barmherzigkeit ein Ende. Wir wollen unsre Untergebene nicht durch ein schäbiges Schaaf anstecken lassen. Er soll wieder angenommen werden; in einer halben Stunde soll er hören, was wir ihm für eine Busse auflegen, denn ganz ungestraft kann ein solches Verbrechen nicht hingehn. Steh er auf, und bedank er sich hier bey den Herren!

[202] Kreutzner stund auf, gieng von Einem Pater zu dem andern, küßte jedem die Hand, und dankte aufs feurigste, als eben die beyden Famuli herein traten, und zehn bis zwölf Bücher in Franzband unter dem Arm trugen. Das haben wir in Kreutzners Bette gefunden, sagten sie; die Bücher lagen unter dem Kissen, ganz im Stroh versteckt, und diese Oberhemden auch; vermuthlich sind sie dem jungen Siegwart, denn es ist ein S drein genäht. – Kreutzner ward auf einmal todtblaß. Die Bücher sehen ja aus, wie meine, sagte P. Philipp und schlug die Titel auf; ja wahrhaftig: Die Auszüge aus der allgemeinen Weltgeschichte; der Thuanus, und P. Daniels Geschichte von Frankreich. Wie ist er zu diesen Büchern gekommen, Monsieur Kreutzner? Dieser stand, wie versteinert da, und sprach kein Wort.

Nun, nun, wir sehen, was das für ein Wolf in Schafskleidern ist, sagte der Prior. Nicht wahr, feiner Geselle, das hast du gestohlen? Hurtig, Famulus, bringt ihn ins Carcer, bis wir das Weitere mit dem Bösewicht verfügen! Das ist ein Glück, daß wir da noch darhinter gekommen sind! Hätten wir gar einen Hausdieb im Kloster! Ohne Umstände! Fort mit ihm!

[203] Der Bösewicht ward fortgebracht, und nun beratschlagte man sich über seine Strafe. Der einmüthige Entschluß war, ihn so lang gefangen zu halten, bis sein Vater Nachricht von ihm hätte, der ihn dann vermutlich ins Zuchthaus, oder unter die Soldaten stecken würde. Nun besprach man sich auch über Siegwart. Weil ihm alle gut waren, und besonders P. Philipp nachdrücklich für ihn sprach, so beschlossen sie, ihm, als einem Neueingetretenen aufs gelindeste zu begegnen, und ihn blos zu warnen, künftig vorsichtiger zu seyn. Man lud ihn nicht einmal vor den Schulkonvent, sondern P. Johann übernahm es, mit ihm auf seinem Zimmer zu sprechen; welches er auch sogleich, und mir der grösten Liebe that. Siegwart ward dadurch mehr gerührt, als wenn man ihn gestraft hätte, und er bat mit tausend Thränen um Vergebung. Ueber Kreutzners Bosheit konnte er sich nicht genug wundern; denn sein Herz war zu gut als daß er glauben konnte, ein Mensch sey im Stande, es so weit zu treiben. Man brachte ihm seine Oberhemden wieder, die er, da er in dergleichen Dingen etwas sorglos war, noch gar nicht vermißt hatte. Bey Tische wagte er es nicht, die Augen aufzuschlagen, und noch weniger den P. Philipp [204] oder Kronhelm anzublicken, die mit innigem Mitleid ihn betrachteten, und in seiner Reue seine ganze Seele lasen. Den Abend brachte er allein auf seinem Zimmer in der tiefsten Wehmuth zu; sein Herz machte ihm tausend Vorwürfe, daß er den edeln Pater und seinen lieben Kronhelm durch sein Betragen so beleidigt, und ihrer Freundschaft den Umgang mit einem Bösewicht vorgezogen hatte. Sein Vergehen vergrösserte sich in seinen Augen, und so großmütig er sich auch die beyden dachte, so konnte er doch nicht glauben, daß sie ihm verzeihen, und ihn wieder ihrer Freundschaft würdigen würden. Er gieng trostlos in seinem Zimmer auf und ab, blickte aus dem Fenster und übersah mit kalter Gleichgültigkeit die schöne Donaugegend, die jetzt keine Reize für ihn hatte; dann nahm er seine Violine, phantasirte wild und schwermütig; warf die Geige wieder weg; kurz, sein ganzes Daseyn wurde ihm zur Last. Indem klopfte jemand an die Thür, und Kronhelm trat herein. Siegwart erschrack, fuhr zusammen, stund auf, wollte reden, und konnte nicht.

Xaver, sagte Kronhelm, komm ich dir ungelegen? Sags nur! ich will nachher wieder kommen. Hast du was zu thun?

[205] Siegwart. Nein – – ich – – hab nichts zu thun. – – Setz dich nur! – Ich wußte nicht, daß du kommen würdest. – Es ist hier so unaufgeräumt. – Nimms nicht übel!

Kronhelm. Xaver, du machst ja so viel Umstände! Thu doch nicht so fremd! Wir sind ja gute Freunde, Nicht?

Siegwart. Ja – – wenn du willst –

Kronhelm. Wenn ich will? Lieber Stegwart! Sieh mich an! Guter Junge; ich weiß, wie dir ist. Laß uns vergessen, was vergangen ist! Komm, küß mich einmal! Gott weiß, ich bin dir herzlich gut. Komm, Xaver! (Sie umarmten sich.) Du lieber guter Xaver! – Wir haben uns schon so lang nicht gesprochen. Bist doch recht vergnügt? Nicht wahr, kannst mich doch noch leiden?

Siegwart. Weiß Gott, ich kanns nicht aushalten, Kronhelm – Geh! Ich bins nicht werth; laß mich weinen! – – Wie hätt ich das denken können, daß du zu mir kommen würdest? Und so freundlich? Weiß Gott, du bist ein Engel! Bist kein Mensch! Alle Heilige müssen dich geschickt haben! – Mich noch ansehen! Mich! – O, ich möchte dich zerdrücken, Junge! – Geh! Ich kann [206] dir nicht ins Aug sehen. Du bist gar zu freundlich. – Jesus, Maria! Was ich für ein Mensch gewesen bin!

Kronhelm. Ich bitte dich, Siegwart, sey doch ruhig! Was hab ich denn gethan? Mußt ich denn das nicht? Du weist gar nicht, was ich auf dich halte! Wenn ich dirs nur zeigen könnte! Sieh! du bist eine Zeitlang mit Kreutznern gegangen, das ist nun vorbey. Wir sind wieder Freunde. Ich, und P. Philipp warens immer, und du wirst sehen, daß wirs immer bleiben.

Siegwart. Pater Philipp auch? Großer Gott? Was das Leute sind! – Ists wahr, Kronhelm? bey Gott! Lüg mich nicht an! Ist er mir noch gut, P. Philipp? Kann er mich noch leiden? Hat er mich nicht längst vergessen? Mir sein Herz verschlossen? Sag!

Kronhelm. So wahr ich selig werden will! Er ist dir noch so gut, wie ehmals.

Siegwart. Nun, so will ich gern sterben! Mags nun gehen wie's will! Hör', Kronhelm, das hätt ich nimmermehr geglaubt. Aber ihr seyd Heilige; thut mehr, als alle Menschen. Nun, Gott wird sich meiner nun auch erbarmen, da ihrs [207] thut. Hab Dank, Lieber! Warlich ich kann dirs schwören! Mein Herz ist noch nicht ganz verdorben. Bös hab ichs nicht gemeynt. Aber ich war doch ein Scheusal. Wenn ihr mir nur verzeiht! Dann ist alles gut.

Kronhelm sank nun wieder an sein Herz, und weinte. Kein Schauspiel ist auf Erden schöner, als die Aussöhnung zweyer Freunde. Der ganze Himmel freut sich über einen Sünder, der Busse thut; so freut er sich, wenn zwo Seelen, die einander werth sind, und sich eine Zeitlang misverstanden haben, sich wieder mit einander aussöhnen. Sie lieben sich nun stärker, wie zwey Liebende nach einer kurzen Trennung. – Siegwart wurde nun wieder vertrauter, und offenherziger; er wagte es nun wieder, seinen Kronhelm frey anzusehen. Wenn er ihn lang ansah, ward sein Herz auf einmal weich, und ein unwiderstehlicher Trieb zog ihn in die Arme seines Freundes. Er schwur ihm ewige Treu, und versprach, ihm künftig die kleinsten Bewegungen seines Herzens zu entdecken. Sie sassen bey einander, bis die Dämmerung anbrach; dann spielten sie ein Duett, alle Töne schmolzen in einander, wie ihre Seelen, und wurden Eins.

[208] Siegwart warf sich, als sein Freund weggegangen war, auf sein Knie, und dankte Gott für dieses himmlische Geschenk. Den andern Tag kam auch P. Philipp zu ihm auf sein Zimmer; sein Herz ward aufs neue zerrissen, aber durch den Balsam der Freundschaft ward es wieder geheilt. Nun war er unaufhörlich bey den beyden Edeln, nährte seine Seele mit der Weisheit des Paters, und der himmlischen Gesinnung seines jüngern Freundes. Sie genossen alle Freuden der Natur und des Lebens miteinander, und fühlten alle Wonne doppelt. Siegwart bekam immer mehr einen festen und männlichen Karakter; bereicherte seine Kentniß durch die Hülfe des Paters, dessen Umgang so lehrreich war, weil er aus der Geschichte der Menschheit wahre Lebensregeln abgezogen hatte, die er stets am rechten Ort anzuwenden wuste. Dabey lieh er auch Xavern viele gute Bücher, die er ihn auf die rechte Art lesen lehrte. Kronhelm war im Umgang, besonders mit mehrern, mehr still, als gesprächig; aber was er sprach, war empfunden und gedacht. Sein Gefühl fürs Schöne und Gute war das tiefste und feinste. Er blieb sich, in allen Lagen immer gleich; und wen er einmal liebte, [209] von dem war sein Herz nicht mehr abzuziehen; sein Freund müßte denn lasterhaft geworden seyn. Dieß war ihm aber niemals noch begegnet, denn er war in der Wahl seiner Freunde vorsichtig und langsam. Er machte keine Freundschaftsversicherungen, und bot seine Dienste niemals an; aber, sobald sein Freund sie nötig hatte, half er ihm, ohne was davon zu sagen.

Vierzehn Tage nach seiner Gefangenschaft wurde Kreutzner seinem Vater überliefert, und, auf dessen Verfügung, unter ein Kayserliches Regiment in Ungarn gesteckt. Er hatte gewünscht, unsern Siegwart noch einmal zu sprechen; dieser verbat sichs aber, weil er ihn zu sehr verachtete; doch schickte er ihm noch aus Mitleiden etwas Geld zu, weil er vom Famulus gehört hatte, daß er halb krank, und von allem Nöthigen entblößt sey.

Bald drauf schrieb Siegwart seiner Schwester Therese, die er während seines genauern Umgangs mit Kreutzner fast vergessen hatte. Er bat sie, wegen seines längern Schweigens, sehr beweglich um Vergebung, meldete ihr offenherzig die Ursache davon, und berichtete ihr Kreutzners Schicksal. Von P. Philipp und Kronhelms Lob war er ganz voll; am Schluß meldete er ihr [210] noch eine Adresse ausserhalb dem Kloster, wo die Briefe an ihn abgegeben werden sollten. Kronhelm hatte ihm diese Gelegenheit gezeigt; denn alle Briefe, die vom Kloster aus geschrieben, oder dahin adressirt sind, müssen erst vom Prior gelesen werden, und dieß war unserm Siegwart und Kronhelm sehr verdrüßlich. Therese schickte ihm nach etlichen Tagen diesen Brief;


Theurester Bruder!


Tausendmal hab ich schon dem Himmel gedankt, daß du nun des Kreutzners gänzlich los bist. Ich weiß nicht, ich konnte den Menschen gar nie ausstehn, ob ich gleich nur wenig von ihm wußte. Aber dein Pater Philipp, und dein Kronhelm sind gar liebe Leute, denen ich recht herzlich gut bin. Sags ihnen nur! Sie dürfens wissen! War das nicht brav gehandelt, daß der Herr von Kronhelm, um den du's eben nicht verdient hattest, gleich von freyen Stücken zu dir kam, und dir seine Freundschaft wieder anboth? Ich mußte weinen, als ichs las, und ward ihm noch einmal so gut. Ach, es muß ein herrlicher Mensch seyn, und der Pater auch. Nimm dich nur in Acht, ich bitt dich lieber Bruder, daß du [211] ihre Freundschaft nicht aufs neue verscherzest, und dich mit einem andern zu weit einlässtest! denn die Beyden meynens gewiß recht ehrlich mit dir. Denk, wie unglücklich du durch Kreutznern hättest werden können! Papa wird dir auch drüber schreiben. Unsre Salome ist seit vier Wochen wieder hier. Ich mag nicht gerne klagen, sonst könnt ich dir gar viel anführen, wie sie mir immer so zuwider ist. Sie sagt, daß sie vom künftigen Herbst an ganz in München bleiben will. Ich habe nichts dawider, denn mit mir und dem Landleben scheint sie sich einmal nicht vertragen zu können; ob ich ihr gleich gewiß nichts wissentlich zu leide thu. Karl will des Amtmanns in Dollingen Tochter heyrathen; ich weiß nicht, ob du sie kennst? Sie hat uns einmal, schon vor drey Jahren, besucht. Ich kenne sie nicht genug, um dir meine Meynung über sie sagen zu können. Das weiß ich, daß sie reich und geitzig ist; mich sah sie nicht viel an, als sie neulich hier war; es scheint, ich bin ihr zu munter; denn sie sieht immer sehr verdrüßlich aus, und thut so altklug. Karl daurt mich, wenn er sie kriegt; freylich sieht er auch aufs Geld; aber ich dächte, nach meiner einfältigen Meynung, das wäre[212] zur häuslichen Glückseligkeit noch nicht genug. Wenn ich ein Mann wär, und eine Frau haben wollte, so müßte sie mir fein freundlich seyn, und nicht bey jedem Heller, den man ausgibt, so ein saures Gesicht machen; doch das geht mich ja nichts an. Papa würd ihms auch mißrathen, wenn er sich nur einreden liesse. – Weist du schon, daß in Burgau Preußische Officiers liegen, die von der Reichsarmee gefangen worden sind? Es haben uns schon mehrere verschiednemal besucht; aber einer, der mir ausnehmend gefällt, besucht uns besonders oft, und das ist der Hauptmann, Herr von Northern. Ich sag dir, Bruder, das ist ein herrlicher Mann, gar nicht so, wie man uns die Ketzer sonst beschrieben hat. Er soll reformirt seyn, ich glaub aus dem Hessischen; aber das thut nichts; er ist doch ein braver Mann! Er hat ein paar schwarze Augen, wie Perlen, und ein Gesicht, das von der Sonne ganz verbrannt ist, mit ein paar Narben, eine auf der Stirn, und die andre unten am Kinn; und doch sieht er freundlich aus, und hat gar nichts so rauhes an sich, wie man sonst von den Soldaten sagt. Er spricht ganz fremd, und das steht ihm recht gut. Ich hör ihm gar zu gern [213] zu, wenn er vom Krieg erzält, und von seinem König. Um den Krieg muß es eine schröckliche Sache seyn, weit fürchterlicher, als wirs uns vorstellten da wir als Kinder mit einander Krieg spielten. Er kann von Wunder nicht genug erzälen, was die armen Bauren ausstehn, wo der Krieg ist; und wie's aus dem Wahlplatz und in den Lazarethen aussieht! Die Thränen stehen ihm oft selbst dabey in den Augen. Wenn ich König oder Kayser wäre, so würd ich viel auf den Frieden halten. Vom König in Preussen erzält er uns viel Gutes; mehr, als man hier zu Land sagen darf. Am liebsten hör ich ihm zu, wenn er uns von seiner Braut erzält, die weit von hier weg seyn soll. Er muß sie recht lieb haben, denn er ist immer so bewegt, wenn er von ihr spricht. Sie soll ausehn, wie ich; aber ich glaub, er sagt nur so; denn er weiß, daß ichs gerne höre. Von Büchern ist er ein grosser Liebhaber. Als er neulich hörte, daß ich gern was schönes lese, brachte er mir gleich darauf drey Bücher mit. Eins heißt: Gellerts Fabeln, es ließt sich gut darinn, weil alles so leicht und faßlich ist, und weils der Mann, ders geschrieben hat, recht gut mit einem meynt. Das [214] andre Buch ist schon höher geschrieben, und heißt Rabeners Satyren; es sollen mehr Bände seyn; in dem, den ich habe, stehen lauter Briefe, die recht lustig zu lesen sind; oft steckt viel dahinter, und die meisten sind so recht natürlich. Das dritte Buch soll weit schwerer zu verstehen seyn, aber dafür soll auch desto mehr drinnen stehn; der Herr Hauptmann rühmts gar ungemein, und nennts ein Buch aller Bücher, das ihn besonders im Krieg recht erbaut habe. Es heißt der Messias, und ist in ganz besondern Versen geschrieben. Ich hab den Mann wieder vergessen, ders geschrieben hat, und noch fortsetzt; er hat einen sonderbaren Namen. Weil das Buch schwer ist, und so schön seyn soll, will ich lieber bis gegen den Winter warten, da ich mehr Zeit zum Lesen und zum Nachdenken habe, denn ich lese gern was ernsthaftes, aber da muß mich dann auch nichts zerstreuen. Der Herr Hauptmann ist gar gut, und sagt, ich könne die Bücher behalten, so lang ich wolle. Er ließt mir oft etwas vor, und ließt recht angenehm, daß mirs immer besser gefällt, als wenn ichs für mich in der Stille lese. Salome kann ihn nicht gut ausstehn; ich glaub, weil er mehr mit mir macht, [215] als mit ihr. Aber da kann ich ja nichts dafür. Sie sagt, ich hänge mich an den Ketzer, und sey in ihn verliebt. Das ist ja lächerlich, da er eine Braut hat. Oder soll ich nicht mit ihm sprechen, weil er ein Ketzer ist? Er ist doch so artig, und hat ein recht gutes Gemüth, so gut als ein Katholik. – Ich hab dir dießmal recht viel geschrieben Bruder; das macht, weil ich dich so lieb habe, und dir gern alle Kleinigkeiten erzähle, die mich angehn. Der Herr Hauptmalm weiß es auch, daß ich dich so lieb habe, und läßt dich vielmals grüssen. Er sagt, du solltest nur kein Mönch werden. Leb recht wohl, herzliebster Bruder, und gib mir bald Nachricht, wie's dir geht? Empfiehl mich dem Herrn P. Philipp, und dem Herrn von Kronhelm aufs beste! Ich verbleibe lebenslang


Deine getreuste Schwester


Therese.


Siegwart gieng gleich mit diesem Brief auf Kronhelms Zimmer, und las ihn ihm vor. Kronhelm war über die schöne Einfalt des Mädchens ganz entzückt, und nun mußte ihm Siegwart den ganzen Abend durch von ihr erzählen. [216] Er thats mit so vieler Wärme, und herzlicher, ungekünstelter, brüderlicher Liebe, daß Kronhelms ganze Seele von ihr eingenommen wurde, und an allen Kleinigkeiten Antheil nahm, die sie betrafen. Er trug ihm seine vielfache Empfehlung an sie, und die Versicherung der aufrichtigsten Hochachtung auf. Xaver, sagte er, ich bedaure dich, daß du einst durch keine Frau glücklich werden sollst; ich halte die häusliche Glückseligkeit für die gröste, ob ich gleich in meines Vaters Hause, leyder! nie keine Spur davon angetroffen habe. Du sprachst vorhin von deiner lieben Schwester mit so vieler Wärme; du bemerkst alle Vorzüge des weiblichen Geschlechts so genau, weist sie so zu schätzen, und fühlst sie so tief, daß ich bange für dich bin, wenn du einmal ein Mädchen antreffen solltest, welches deiner Schwester ähnlich ist. Glaub mir, Siegwart, mir einem fühlenden Herzen in der Welt zu leben, und nicht fühlen zu dürfen, muß der gröste Schmerz seyn, der unsichtbar am Leben nagt. Dein Herz ist jedem Eindruck so offen, hängt sich gleich so fest an alles Gute an: und die Liebe, Siegwart, muß was Gutes seyn. Warum fühlte sie denn jeder Mensch, auch die Besten auf der Welt? Nimm [217] dich in Acht, mein Lieber! oder wähl lieber einen Stand gar nicht, der dem Herzen so vielen Zwang anlegt! Denk einmal, wenn du liebtest, und nicht lieben dürftest! Wenn du sahest, daß ein Mädchen dich allein glücklich machen könnte, und du müßtest, aus ihrer Gegenwart weg, in deine ewige Gefangenschaft und Einsamkeit zurückkehren!

Siegwart. Geh, Kronhelm, du siehst jetzt die Sache von der traurigen Seite an, und vergissest drüber ihre angenehme. Ich hab im Kloster höhere Pflichten zu erfüllen, die mich von der Welt schon abziehen werden. Vor der Liebe ist mir gar nicht bang; ich bekümmere mich zwar wol um meine Schwester, aber nicht um andre Mädchen. Ich halte auch das häußliche Leben für eine große Glückseligkeit, und habe sie in meinem Hause recht gesehn, so lang meine selige Mutter lebte; aber deswegen gibts der Glückseligkeiten noch mehr, und jeder Mensch sucht sie auf seinem eignen Weg. – Du sahst vorhin so wehmütig aus, als du von deinem Vater sprachest, hat er denn deine Mutter nicht geliebt?

Kronhelm. Ach, Siegwart, da bringst du mich auf eine traurige Sache, von der ich ungern rede; aber dir kann ich nichts verhehlen; [218] ich weiß, daß du's bey dir behältst. Sieh, mein Valer ist ein Mann – es thut mir weh, daß ichs sagen muß – wie ich nicht seyn möchte. Er hat sich in München und im Krieg eine Lebensart angewöhnt, bey der die häusliche Glückseligklit nicht gut bestehen kann. Meine selige Mutter mußte ihn in ihrem siebzehenten Jahr heyrathen. Sie war ein Fräulein aus der Pfalz, wo sie mein Vater, als er mit den Reichstruppen am Rhein stand, kennen lernte. Er hatte sie nur Einmal bey ihrem Vater auf dem Land gesehen, und sich gleich in sie verliebt. Bruder, sagte er zu meinem Großvater, der auch gern bey der Weinflasche saß, ich muß deine Tochter haben! – Gut, du sollst sie haben; willst sie Heut, oder Morgen? antwortete dieser. Und nun war alles richtig. Meine Mutter hatte wenig Vermögen; sie wars überdrüssig, unter dem beständigen Gelärm in ihres Vaters Haus zu leben; denn alle Tage gabs Gesellschaft; sie hofte, meinen Vater, der sehr verliebt in sie war, bald auf den rechten Weg bringen zu können, und gieng mit ihm auf seine Güter nach Baiern. Anfangs gieng alles recht gut. Mein Vater lebte still und eingezogen, war gern um seine Frau, [219] und legte, ihr zu Lieb, fast alle seine vorige Gewohnheiten ab; besonders das Fluchen und das Trinken. Nach ein paar Jahren, als der Krieg vorbey war, kamen zwey oder drey Edelleute, die im Krieg seine Kammeraden gewesen waren, in unsre Nachbarschaft; besuchten meinen Vater fleissig; und er fieng seinen vorigen Lebenswandel wieder an. Man spielte, trank, fluchte, gieng auf die Jagd, kam um Mitternacht mit 3 oder 4 Junkern nach Haus, und unser Schloß sah einer Dorfschenke ähnlicher als einem Edelhof. Meine Mutter, die eine trefliche und fromme Frau war, trug ihr Leiden lang in der Stille. Ich weiß es noch aus meiner Kindheit, wie sie oft auf unsrer Kammer weinte, da indeß die Edelleute beym Weinkrug lärmten. Endlich nahm mein Vater auch eine Person ins Haus, die er noch bey sich hat, die vorher etliche Jahr im Feld mit herum gezogen war, und sich mit den gemeinsten Kerls abgegeben hatte. Dieser übergab er die ganze Herrschaft, und sie wuste sich derselben nur zu viel zu bedienen. Sie war mit bey Tische, und brachte mit meinem Vater und der übrigen Gesellschaft solche Zoten und Zweydeutigkeiten vor, daß meine Mutter alle Augenblicke [220] weggehen mußte, wenn sie nicht roth werden wollte. Kunigunde, so heist die Person, that meiner Mutter alles mögliche Herzeleid an; stichelte auf sie; gab ihr grobe Reden; und sagte oft, daß sie nur aus Gnaden auf dem Schloß sey. Mir und meinem Bruder, und meinen zwey Schwestern begegnete sie aufs grausamste, schimpfte auf uns, schlug uns nach Gefallen, und lehrte meine Schwestern die leichtsinnigsten Zoten und Lieder. Meine Mutter, die sonst Stärke der Seele genug hatte, konnte das nicht länger ansehen; sie für sich hätte gern gelitten; aber wir dauerten sie zu sehr, sie hielt also bey meinem Vater an, ob sie mit uns auf ein entferntes Gut ziehen dürfte, das ihm zugehört? Er willigte mit Freuden ein, denn das war längst seine und Kunigundens Absicht gewesen, die ihm derwegen immer in den Ohren gelegen hatte. – Wir reißten also mit unsrer Mutter nach Wißdorf, wo wir unter ihrer Aufsicht die treflichste Erziehung genossen, die ich ihr noch tausendmal im Grab verdanken muß. Sie hatte das zarteste Gefühl des Herzens, das bey jedem fremden Elend mit litt, und an jeder Freude ihrer Nebenmenschen Antheil nahm. Sie war eine Wohlthäterinn der ganzen Gegend; verarmte [221] Bauren, bedrängte Witwen, unglückliche Eltern kamen zu ihr, und giengen mit Trost und Rath wieder von ihr weg. Ihr Verstand war scharf und fein, daß sie gleich bey jeder Sache auf den Grund kam; gleich die besten Mittel wählte, oder angab, und sich in jedermann zu schicken wuste. Ihre Lebhaftigkeit war ausserordentlich; an allem, was sie sah und hörte, nahm sie Antheil; unsre Spiele machte sie Stundenlang mit, und wuste sie uns immer neu und unterhaltend zu machen, denn niemand war erfinderischer, als sie. Ihr Herz beschäftigte sich unablässig mit der Religion, und doch bezogen sich alle ihre Handlungen, auch ihre Andachtsübungen, beständig auf das Wohl der Menschen, und besonders ihrer Kinder. Sie wuste uns die wichtigsten Wahrheiten und die heiligsten Gesinnungen spielend, und gleichsam nur von ungefähr beyzubringen. Keine feyerliche Gelegenheit, wenn das Herz zu den Eindrücken der Religion am geschicktesten ist, ließ sie ungenützt vorbey gehen. Wenn wir von der Schönheit der Natur recht entzückt waren, zeigte sie uns unvermerkt den Urheber derselben, und flößte uns Ehrfurcht und Liebe gegen Ihn ein. Oft kniete [222] sie mit uns in ihrer Kammer, betete mit Thränen um das Wohl, und die Erleuchtung unsers Vaters; um unser zeitliches Glück, um die Erhaltung unserer Unschuld, und daß sie uns einmal alle wieder bey sich im Himmel versammelt sehen möchte! Dieses Krucifix hier auf dem Tisch ist mir ewig heilig. Sie hatte es in ihrer Kammer, kniete oft davor mit heisser Innbrunst, und benetzte es mit ihren Thränen. Nie hab ich von unsrer heiligen Religion mit solcher Einfalt, mir solcher Würde, und mit solcher innigen Empfindung sprechen hören. So äusserst zart von Gefühl, und so ängstlich sie auch von Natur war, so streng auch ihre Grundsätze von Religion und Tugend waren, so verleitete sie dieses doch nie zur Lieblosigkeit in Beurtheilung anderer. Sie war streng, aber gegen sich am strengsten. Wenn sie sich zuweilen auch wegen andrer, und besonders wegen ihrer Kinder, zu vielen, auch wol ungegründeten Kummer machte, so war doch die Quelle davon so rein, so edel, daß ihr gewiß jedes dieser Leiden ewig wird vergolten werden. Die Religion gab ihrem Herzen die gröste Festigkeit; sie würde, wenn ich jemals von ihr wanken könnte, mit der Muter der sieben Brüder gesagt haben: Sohn, [223] erbarm dich mein, und stirb! Ihr Geschmack war so sicher, daß ihr nicht das geringste Gute oder Böse an einer Handlung entwischte. Sie folgte immer der Natur; Ihre Kleidung zeugte von der grösten Einfalt; sie gieng nie prächtig; aber immer reinlich und zierlich. Von uns war sie die vertrauteste Freundinn, vor der wir keine Heimlichkeiten hatten. Sie sorgte vor die Bildung unsers Herzens, und gab uns einen treuen Leiter unsers kindischen Verstandes, den rechtschaffnen Friedmann, der uns alles wurde; dem wir, nächst ihr, alles zu verdanken haben. Er kam als ein Mensch von zwanzig Jahren zu uns, und blieb bey uns bis in sein dreissigstes. Die Treue, die er an uns bewieß, kann man von keinem Vater grösser erwarten. Alle seine Zeit, und alle seine Kräfte waren uns gewidmet. Er hatte viele und ausgebreitete Kenntnisse, die er uns mit unermüdeter Geduld und lauter Liebe einzuflössen suchte. Sein Herz war das sanfteste und beste. Sein Gesicht drückte die ganze stille Ruhe seiner Seele aus. Er war immer ernst, und doch beständig heiter. Alle seine Reden lehrten Weisheit, ohne daß man eine Absicht an ihm merkte, sie zu lehren. Die Religion, für die er, auch im äusserlichen die gröste Ehrerbietung hatte,[224] lenkte alle seine Handlungen; und Geschmack und Weltkentnis machten alles, was er that, und sprach, angenehm. Meine Mutter hatte ihn zu ihrem vertrautesten Freund gemacht, und zog ihn bey allem, was sie mit uns vornahm, erst zu Rath. In ihrer letzten Krankheit vor drey Jahren mußte er beständig um sie seyn, sie unterhalten, und ihr aus geistlichen Büchern vorlesen. Ihre letzte Mine lächelte ihm Dank zu, und erinnerte ihn ans Wiedersehn im Himmel. Von ihrem Tode kann ich dir nur wenig sagen, Siegwart, denn das Andenken daran ist mir viel zu traurig. Sie lag lange krank, und litt viel, aber immer mit Geduld und himmlischer Gelassenheit. Den Tag vor ihrem Tode ließ sie uns noch alle zu sich kommen. Wir knieten um ihr Bett herum, und glaubten zu vergehen. Sie faßte sich, wie ein Mann; betete mit nie empfundner Innbrunst; und gab uns ihren Segen. Ich kann dir nicht sagen, Freund, was das für ein Auftritt war, und welchen tiefen Eindruck er, auf mein ganzes Leben, in mein Herz gemacht hat. Bey ihrem Tode waren wir nicht gegenwärtig; sie starb früh; Friedmann war allein bey ihr, und wollte uns nicht rufen, um uns den[225] ersten unerträglichsten Schmerz zu ersparen. Ich kam drauf zu meinem Onkel, dem geheimen Rath von Kronhelm in München, wo ichs auch recht gut hatte, bis ich vor zwey Jahren hieher kam. Mein Bruder kam an Hof wo er noch ist; meine ältre Schwester kam auch zu meinem Onkel nach München, wo sie sich nun recht glücklich an einen braven Mann verheyrathet hat; und meine jüngste Schwester mußte zu meinem Vater, wo sie noch ist. Das gute Mädchen daurt mich; denn sie ist zwar gut erzogen, aber jetzt soll sie, durch die freye Lebensart bey meinem Vater, schon ziemlich verwildert seyn. Friedmann bekam bald darauf, durch Vorschub meines Onkels, eine gute und einträgliche Bedienung.

Sieh, Xaver, das ist die Geschichte meiner, nun beglückten Mutter, deren Andenken mir ewig unvergeßlich und theuer seyn wird. Was ich dir von meinem Vater gesagt habe, must du ja verschweigen! Ich hab's noch keinem Menschen, ausser dir, anvertraut.

Siegwart. Sey unbekümmert drüber, lieber Kronhelm! Ich danke dir recht sehr für die Erzälung. Sie hat mich unaussprechlich gerührt. Ich habe tausendmal dabey an meine selige Mutter gedacht, die soviel ähnliches mit deiner Mutter [226] hatte; nur ihr vieles Leiden ausgenommen; denn – Gott sey dank! – Ich hab den herrlichsten und rechtschaffensten Vater, der meine Mutter wie sich selber liebte. – Was ist denn nun deine Bestimmung, Kronhelm? Must du nun wieder zu deinem Vater zurück, wenn du ausstudirt hast?

Kronhelm. Ich kann noch nichts gewisses sagen, Xaver. Mein Onkel will mich auch an den Hof haben. Ich leb aber lieber auf dem Lande, und muß auch einmal, als der älteste Sohn, die Landgüter, die zwar freylich etwas verschuldet sind, antreten. In anderthalb Jahren geh ich nach Ingolstadt auf die Universität.

Indem kam P. Philipp auf das Zimmer, um bey dem angenehmen Wetter die beyden Freunde zu einem Spatziergang an die Donau mitzunehmen. Sie brachten den Abend unter heitern freundschaftlichen Gesprächen zu, und freuten sich der schönen Witterung, die jedes Gras und jeden Vogel neu belebte. An einem etwas erhöhten Theil des Ufers, das mit Tannen und Eichen bepflanzt war, fanden sie die Gegend so schön, daß sich P. Philipp mit den beyden Jünglingen niedersetzte, sein Reißzeug herauskriegte, und die Landschaft zu [227] zeichnen anfing. Vor ihnen floß die grüne Donau ruhig; nur hie und da, wo grosse Kiesel lagen, warf sie Wellen. Am jenseitigen Ufer, welches sandig, und nur hin und wieder mit Weiden bewachsen war, standen Kühe halb im Wasser, und tranken. Diesseits des Ufers, welches eine grüne Wiese bedeckte, sassen einige Knaben, die sich eben zum Baden auszogen. Siegwart und Kronhelm setzten sich eine Strecke weit vom P. Philipp unter einen Tannenbaum, um ihn im Zeichnen nicht zu stören. Erst bewunderten sie die mannigfallige Gegend, und lasen dann zusammen eine Ekloge im Virgil, den Kronhelm zu sich gesteckt hatte. Plötzlich entstand unten an der Donau ein Geschrey; denn einer von den Knaben, welche badeten, wollte eben untersinken. Unsre beyden Jünglinge liessen den Virgil, den sie gemeinschaftlich hielten, fallen, daß er vor ihnen den Berg hinunter holperte, und sprangen in vollem Trab den Berg hinab. Weil das Ufer steil und sandig war, daß der Sand unter den Füssen wegwich, so stürzte Kronhelm über und über, bis er unten lag. Siegwart aber sah und hörte nichts, als den Knaben in der Donau, und sprang, so wie er war, hinein, um ihn zu retten. Kronhelm raffte [228] sich indessen wieder auf, und wollt ihm eben nachspringen, als der Pater auch den Berg herab kam, und ihn zurückhielt, weil er sich das Gesicht ganz blutrünstig gefallen hatte. Siegwart brachte nun den Knaben wieder aus dem Wasser, der vor Schrecken und Todesangst zitterte. Ein andrer Knabe, der beym Schreyen seines Kammeraden ganz nackt weggesprungen war, kam mit dessen seiner Mutter, welche todtenblaß aussah, herbeygelaufen. Wo ist er? wo ist er? rief sie, ohne jemand am Ufer zu bemerken, und rannte wild ans Wasser hin. Philipp eilte, sie zurückzuhalten, und sagte, daß ihr Sohn gerettet sey. – So? So? rief sie, sah stier um sich, und flog endlich, als sie ihren Knaben sitzen sah, auf ihn zu, umschlang ihn, als ob sie ihn zerdrücken wollte; rief: Gott sey ewig Lob und Dank, daß ich dich wieder habe! und brach in einen Strom von Thränen aus. – Und welcher Heilige hat dich denn errettet, Joseph? – Ich weiß nicht, Mutter, war des Knaben Antwort. – Hier, dem jungen Herren da, hat sies zu verdanken, sagte Pater Philipp, und wieß auf unsern Siegwart. – Ihm? Ihm? Nun, so dank Ihm Gott! Belohn Ihn, segn Ihn tausendfältig! Du lieber Gott! hat Ers gethan? Sieht er? 's ist mir [229] so Ernst zum Danken; aber ich kann nicht. – Du lieber Herzensknab! wenn ich dich verlohren hätte! – Aber das verfluchte Baden, daß du mir das künftig lässest! – Sieh, da seh ich erst, daß du ganz nackt bist. – Die Herrn müssen dirs nicht übel nehmen; ich habs nicht gewußt. – Lieber Gott, wenn du da ertrunken wärest! O junger Herr, er hat mirs Leben erhalten; weiß Gott, er hats! Der Jung geht mir über alles. – Nicht wahr, Herzens Joseph? Aber daß du mir nur nicht wieder badest. – Sieht er, junger Herr, wenn ich künftig einmal Freud an ihm erlebe, so verdank ichs Ihm; und täglich will ich vier Rosenkränze für ihn beten; aber sonst hab ich nichts; ich bin ein armes Weib. – Nun fieng sie an zu weinen. –

Als Philipp mit seinen jungen Freunden endlich weggieng, küßte sie Siegwarten noch die Hand; dieser drückte ihr, zum Andenken, wie er sagte, einen Gulden in die Hand; Philipp und Kronhelm thatens auch. Nun war sie gar ausser sich, und wollte vor ihnen auf die Knie niederfallen; noch hundertmal rief sie ihnen nach: Tausend Gotteslohn! und ihr Knabe mußte ihnen noch einmal [230] nachspringen, da sie schon weit weg waren, und jedem noch die Hand küssen.

Das ist eine traurige Bemerkung, sagte Philipp, die ich schon recht oft gemacht habe, daß der Anblick des Geldes über das Baurenvolk alles vermag! Sie wissen nicht mehr, wo sie sind? wenn sie ein paar Gulden sehen, und halten keine andre Wohlthat für so groß. Entweder setzen sie all ihr Vertrauen drauf, oder die Landsherren lassen ihnen so wenig, daß sie's für die gröste Seltenheit, und eben darum für das gröste Gut halten.

Siegwart. Ich fürchte fast das letztere. – Aber, Kronhelm, da seh ich erst, daß du im Gesicht ganz blutig bist. Es ist dir doch kein Unglück begegnet?

Kronhelm. Nein, ich fiel nur den Berg herab, als ich dem Knaben zu Hülf kommen wollte. Es hat gar nichts zu bedeuten.

Siegwart. So? wolltest du auch in die Donau springen? Ich glaub, du kannst nicht einmal schwimmen.

Kronhelm. Doch! Ich habs im Lech gelernt; der fließt ja an unserm Schloß vorbey. – Du bist noch ganz naß, Siegwart. Wenn dirs nur nicht schadet, daß du dich verkältet hast?

[231] Siegwart. Ey, was! das hat nichts zu sagen! Ueber der Freud hab ich alles wieder vergessen. Ich kanns wohl sagen: Es ist mir herzlich lieb, daß ich den Knaben noch errettet habe. Er klammerte sich so fest an mich an, und machte sich so schwer, daß ich fast mit ihm hinunter sank. Nun bin ich aber auch recht müd.

P. Philipp. Das glaub ich, lieber Siegwart; ich bins schon vom Schrecken. Dafür soll ihm aber auch die Ruhe heut recht süß schmecken. So ein Tag geht über alles! Zuvor wollen wir noch ein gutes Glas Rheinwein mit einander trinken; ich hab gestern welchen geschenkt gekriegt. Und morgen, lieber Siegwart, mach ich meine Landschaft vollends fertig, und zeichne seine, und des braven Kronhelms That drauf. Ihm kopier ich das Stück auch, lieber Herr von Kronhelm. Ihr müßts dann beyde, zum ewigen Andenken, in eurem Zimmer aufhängen.

Nun kamen sie ins Kloster zurück, und brachten den Abend recht vergnügt bey einem Glas Wein zu. Siegwart fühlte so ein inniges Vergnügen über seine That, ohne dran zu denken, wie ein Schutzgeist, der einen Entschluß, den er seinem Freund im Schlaf eingeflüstert hat, zur That [232] werden sieht. Siegwart und Kronhelm beredeten sich, bey ihrem Prior anzuhalten, ob sie nicht auf Ein Zimmer zusammen ziehen dürften? Der Prior gab es ohne Anstand zu; und Kronhelm zog auf Siegwarts Zimmer, das, wegen seiner herrlichen Aussicht, so vorzüglich war. Die beyden Freunde fühlten so viele Uebereinstimmung ihrer Seelen; ihre kleinsten Empfindungen schmolzen so ineinander, daß sie beynahe unzertrennlich wurden; und in jedem Augenblick eine Leere fühlten, den sie nicht miteinander zubringen konnten. Kronhelm, der in den eigentlichen Wissenschaften schon weiter war, theilte unvermerkt im Umgang alle seine Kentnisse seinem Freunde mit, und P. Philipp erweiterte sie durch seinen Umgang immer mehr. Er liebte sie, wie seine Kinder. Beyde malte er ab, und hieng sie über seinem Schreibpult auf. Die beyden Bildnisse sahn einander an, und lächelten sich mit dem unbeschreiblichsten Gefühl der Freundschaft zu. Wers nicht wuste, sah es, daß die Beyden Freunde waren. – Zweymal in der Woche gab der junge Pater, der Musikdirektor war, ein Koncert, und unsre beyden Jünglinge nahmen so sehr im Violinspielen zu, daß sie Meister wurden. Sie spielten [233] sich in ihren Privatübungen so zusammen, daß, wenn sie spielten, die Töne ihrer Violinen zwey Bäche schienen, die erst nebeneinander herrieseln, und dann in eins zusammenfließen. Auch im Singen nahm Siegwart täglich zu.

Gegen den Herbst bekam Kronhelm folgenden Brief von seinem Vater:


Mein Sohn.


Ich sag dir, Jung, du must zu mir kommen, und mich auch besuchen thun. Sapperment, hab dich ja sint vielen Jahren nit gsehn. D'Jagt ist braf, und Hirsch und Reh gibts ihr gnug, auch Haasen die schwere Meng. Komm nur und sollt deine Lust hahn. Muß doch auch mal sehn, wie d' aussehen thust, bist wol ein Kopf grösser worden? Narr, 's sind dir Junker im Land, die's mit'm fürstlichen Jäger aufnimmen thäten. Wirst doch schiessen können, sonst bist 'n Hundsfutt, und 'n alte Hur, sag ich. Kanst auch 'n Kammraden mitnemmen, oder 'n Paar, wenn d' willt. Z'fressen gibts gnug. Auch z' sauffen. Hol mich der Teufel! ich bin dein getreuer Vater, und must kommen, sag ich, auf d' Fakkants. Schreib mirs erst, wie viel Gäul du brauchen thust, daß [234] ichs schick durch den Jackerl, und wenn du kommen willt? Hasts ghört? Bin, wie schon gesagt dein ehrlicher Vater


Veit Kronehelm.


Kronhelm gieng nicht gern, aber er muste doch. Er trugs unserm Siegwart an, ob er ihn begleiten wolle? Ich weiß wol, sagte er, daß du da wenig Freude haben wirst, und mehr Verdruß; aber, Bruder, du erzeigtest mir einen ausserordentlichen Gefallen. Die Zeit würde mir draussen so lang werden, wenn ich mit keinem Menschen umgehn könnte; und ohne dich kann ich fast gar nicht mehr seyn. Willst dus thun, Xaverchen? Ich thu dir auch wieder einen Gefallen. Nicht wahr? Du gehst mit? Siegwart antwortete: Freylich, Kronhelm! wo du hin willst, und wenns in die Hölle wäre! Daß du auch noch so was fragen kannst? Meynst denn, ich möcht ohne dich hier seyn?

Kronhelm schrieb also seinem Vater, er würde zu Anfang des Augusts, wenn das Schuljahr geendigt wäre, mit noch einem Freunde zu ihm kommen, und die Ferien da zubringen. – Jetzt war er sehr beschäftigt, die Rolle auswendig [235] zu lernen, die er bey der bevorstehenden Schulkomödie zu spielen hatte. Xavern wurde noch keine Rolle aufgetragen, weil er noch nicht lang auf der Schule war; aber im Orchester spielte er mit, und akkompagniete bey dem Singspiel eine obligate Arie, auf der Violine, mit solch allgemeinem Beyfall daß das ganze Parterre zusammen klatschte, und den Sänger, der nicht schlecht war, drüber vergaß.

Zwey Tage drauf, nach der Schulkomödie, schickte Junker Veit seinen Reitknecht mit drey Pferden nach der Stadt, um seinen Sohn und Siegwart abzuholen. Sie nahmen ihre Violinen mit, um sich allenfalls die Zeit zu vertreiben, und steckten den Virgil, nebst noch ein paar Büchern zu sich. Der Reitknecht Jakob, oder Jakerl, war ein lustiger Kerl, den Junker Veit im Nothfall statt eines Kammeraden brauchte, denn er verstund die Jägerey aus dem Grunde, und hatte auch jetzt einen Windhund, einen Hühnerhund, einen Dax und eine Flinte bey sich. Das Schloß des Junkers lag sechs Stunden weit vom Städtchen, und hieß Steinfeld. Der Weg dahin gieng mehrentheils durch Ebenen und Tannenwälder. Jakob sah die ganze Gegend als ein [236] Jäger an, und wenn ein dicker Wald kam, bedaurte er immer, daß der gnädge Herr diesen Forst nicht habe. Der Donner! rief er einmal aus, als ein Volk Rebhüner aufflog, was ich für ein Esel bin! Man sollt mich gleich erschiessen, daß ich mein Hühnergarn nicht mit genommen habe! Hätte da mein Tyras sie so schön stellen können! Was würde sich mein Herr g'freut haben, wenn ich ihm was fremdes mitbracht hätt! Aber so gehts; man vergist immer 's best! – Sie ritten nun durch einen Eichenwald, und plötzlich geschah hinter ihnen ein Schuß; als sich Siegwart und Kronhelm umsahn, hatte Jakerl losgedruckt, und rannte nun mit seinem Pferd und dem Windspiel ins Gebüsch hinein. Die beyden sahn einander an, und wusten nicht, was sie sagen sollten? Nachdem sie eine Weile auf den Reitknecht gewartet hatten, so hörten sie im Gebüsch drinnen ein grosses Geschrey, und ritten drauf zu. Jakob war vom Pferd abgestiegen, hatte sein Weidmesser ausgezogen, und wollte den Hirsch, den er geschossen hatte, aufbrechen. Der Jäger eines andern Edelmanns, dem der Forst gehörte, war auf den Schuß hinzugekommen, und wollte nun dem Reitknecht das Gewehr abnehmen. [237] Darüber entstand ein grosser Zank, denn Jakob wollte sich durchaus nicht ergeben. Was gibts, Jakob? sagte Kronhelm. – Ey was wirds geben, Junker? Der Hundskerl da will mir den Hirsch wegnehmen, der mir von Gotts und Rechtswegen ghört, weil ich ihn gschossen hab, und 's Gwehr dazu! Ja komm mir nur, Zigeuner! Meynst, ich sey ein Wilderer (Wilddieb) weil du mir so kommst? Da frag nur meinen Junker, ob ich nicht eines ehrlichen Edelmanns Kutscher sey, und ein Jäger dazu, so gut, als du?

Jäger. Zum Teufel! was schiert mich das? Das ist meines Herrn Forst. Kehr du vor deiner Thür, und ich vor der meinen! 's Gwehr her, sag ich, und den Hirsch auch! oder 's geht nicht gut! Nicht wahr, Junker, er ist ein Spitzbub, und verdient den Galgen?

Kronhelm. Ein bischen langsam, guter Freund! Der Bediente ist mein, und ich bin des Junker Kronhelms Sohn. (Hier nahm der Jäger schnell den Hut ab.) Sieht er, es ist nicht recht, daß mein Jakob das gethan hat, und ich hab ihm's auch nicht geheissen. Aber Er muß es nun auch gut seyn lassen'. Der Hirsch ist sein, [238] und da hat er noch ein Trinkgeld für den Aerger. – Jakerl daß ihr mir den Augenblick das Weidmesser einsteckt, und aufs Pferd steigt! Was sind das für Possen! (Jakob stieg aufs Pferd, und sah den Jäger von der Seite drohend an.) Wer ist denn sein Herr, guter Freund? Ist er hier zu Lande?

Jäger. Ja, gnädger Herr! Es ist der Junker Felsberg, ein Herr, wie die gute Stund, der nie in eines andern Herrn Gau gejagt hat.

Kronhelm. Nun, schon gut! Den Junker Felsberg kennt mein Vater wohl; Sie sind die besten Freunde. Mach er seinem Herrn mein Kompliment, und sag er, ich lasse wegen der Narrheit meines Kerls um Vergebung bitten; Mir seys leid! Bey Gelegenheit wirds mein Vater schon noch selber thun. Adjeu!

Siegwart, Kronhelm und sein Jakerl ritten nun wieder aus dem Gebüsch in den Fahrweg. Jakerl sprach erst kein Wort, und schien böse zu seyn. Endlich fieng er an: Aber, junger Herr; nehmen Sie mir nun nicht übel! Das war doch nicht recht, daß ich da den schönen Hirsch mußte fahren lassen! Hatte, meiner Seel! Vierzehn Enden. Ich möchte mir d' Zung durchbeissen, wenn [239] ich dran denk! 's ist schon recht, daß man d' Wilderer wegschießt, und ich hab schon manchem auch eins versetzt, daß er 's Aufstehen drüber vergaß; aber daß man mir 's Jagen verbieten will, da ich doch einem Edelmann dien', der seines gleichen im Land sucht, das ist nicht recht, sag ich; und das thut mir weh. – Ihr seyd nicht klug, Jakerl, sagte Kronhelm. Seyd ihr denn hier in meines Vaters Waldungen, daß ihr schalten und walten könnt, wie ihr wollt? Denkt einmal, wenn der Jäger in unsern Forst gekommen wär, ob ihr ihn da hättet schiessen lassen, wie er wollte? – Jakob schiens nun zu begreifen; brummte aber immer noch etwas in den Bart hinein.

Sie kamen drauf durch ein Dorf, wo eine Baurenhochzeit war. Unsre Jünglinge stiegen beym Wirtshaus ab, um den Tanz mit anzusehen. Anfangs thaten die Bauren ganz furchtsam, und wollten nicht mehr forttanzen; aber Kronhelm winkte seinem Reitknecht, daß er ihnen zu verstehen geben sollte, sie möchten sich in ihrer Lust nicht stören lassen; die Herren sehens gerne, wenn sie recht munter wären. Nun überliessen sich die jungen Leute ganz der Freude wieder. Siegwart und Kronhelm fanden ein [240] gar inniges Vergnügen an den ächt schwäbischen Tänzen; wie die Bauren in den Wendungen eine so natürliche Anmuth hatten, und die ungezwungensten Abänderungen machten, die kein, noch so geübter, Tanzmeister lehren kann. Sie ergötzten sich an den mannigfachen Künsten; der Eine tanzte auf den Knien, der andre auf Einem Bein, der dritte hob sein Mädchen in die Höhe; ein Paar hielt sich mit den Händen fest, und ein Bauer schlupfte unten durch, oder wiegte sich darauf. Während dem Tanzen sprachen die Tänzer und die Tänzerinnen miteinander, oder die Bauren sangen nach dem Ton der Geigen und Schalmeyen. Wenn der Tanz vorbey war, so gab jeder Bauer seiner Dirne einen lauten herzlichen Handschlag. Dann liebäugelten sie miteinander, tranken sich das Bier und den Brandwein zu, und liessen die Musikanten Tusch machen. Siegwart bemerkte, daß die Bauren eben so wohl, wie die Städter, ihre witzigen Köpfe, ihre Stutzer, und Koquetten hätten, und daß der Unterschied blos in der Art liege, diese Eigenschaften zu äussern. Kronhelm trank mit Siegwart die Gesundheit des jungen Brautpaars, welches sich ausserordentlich [241] drüber freute, und diese Höflichkeit mit vielem Gepräng erwiederte. Unsre beyden Jünglinge hätten sich noch länger an Beobachtung dieser ländlichen Lustbarkeit ergötzt, wenn nicht der Schulmeister gekommen wäre, sie zu unterhalten. Dieser war kaum auf die Muthmassung gefallen, daß dieß wol Studenten seyn möchten, so kam er, weil er sich auch für einen, nicht geringen Gelehrten hielt, mit vielen steifen Büklingen, um seine Herren Kollegen zu bewillkommen; und fieng von der Philosophey, von der Grammatika und Rhetorika ein so abgeschmaktes, weitläuftiges und ungereimtes Geschwätz an, daß Siegwart dem Kronhelm heimlich winkte, aufzubrechen. Der Schulmeister begleitete sie noch die Treppe hinab bis an die Thür, und nahm mit vielen Scharrfüssen und ungemeiner Freundlichkeit von ihnen Abschied. Drauf sah er seine Bauren, die hinter ihm drein geschlichen waren, mit lächelnder Selbstzufriedenheit an, winkte mit den Augen, und drückte sie halb zu; das sind Herren, sagte er, die haben was rechts studirt! Man kann sie auf die Probe stellen, wie man will, sie sind überall zu Haus! In omnibus aliquis, in totum nihil! Ja, Leute! das ist eine Lust, mit Gelehrten umzugehen! [242] Aber bey euch vergißt man alles wieder! Doch wer kann wider die duram necessitam? Seht ihr, das ist lateinisch. – Nun gieng er langsam wieder die Treppe hinauf; die Bauren wichen alle aus, und sahen ihn ehrerbietig an. Droben auf der Stube wollte jeder wissen, was die jungen Herren mit ihm gesprochen haben? – Ihr verstehts nicht, sagte er; das ist nur umsonst! Es betraf die Gelehrsamkeit, eruditium, wie mans nennt. Jeder Bauer trank nun seine Gesundheit; Er bedankte sich mit vielem gelehrtem Anstand, und nicht geringer Gravität.

Kronhelm und Siegwart ritten unterdessen weiter, und lachten herzlich über die gelehrte Einfalt des Schulmeisters. Jakob ritt ganz langsam hinter ihnen her, und schlief; denn er hatte sich den Brandwein im Wirtshaus ziemlich schmecken lassen. Nach zwey Stunden kamen sie in Steinfeld an; Sie waren etlich funfzig Schritte weit vom Schloß entfernt, als ihnen eine Menge Jagdhunde von verschiedner Art mit so schrecklichem Gebell entgegen sprang, daß Jakob drüber aufwachte, und ein lautes Joh ho! anstimmte. – Das ist ja eine ungeheure Menge Hunde, sagte Siegwart. – Kleinigkeit! antwortete Kronhelm, [243] wenn du erst in den Hof, und in die Ställe kommst, dann must du sehen.

Im Hof war alles still und ruhig, als sie hinein ritten, und kein Mensch ließ sich sehen. Kronhelm und Siegwart stiegen ab; endlich kam Sibylla, Kronhelms jüngste Schwester aus dem Schloß heraus geflogen, drückte ihren Bruder fest an sich, und sagte: Bist du's Bruder? Hab dich in der That kaum mehr gekannt! Xavern sah sie frey an, und verneigte sich vor ihm, gab ihrem Bruder die Hand, und führte die beyden in das Schloß hinauf. – Aber du must gleich wieder fort, Bruder, sagte sie, und der Herr da auch. Ihr könnt nur eine Suppe essen. – Wohin denn? fragte Kronhelm ganz betroffen. – In den Steiner Forst zum Papa. Der Jäger hat gestern ein Schwein da gespürt, und diesen Morgen ritt er gleich hinaus. Er hats aber hinterlassen, daß Ihr ja gleich nachkommen und die Lust mit ansehen sollt. Da sind zwey Flinten und zwey Jägertaschen. Siehst du, die mit Silber ist für dich, und die andre für den Herrn da – ich weiß nicht, wie er heißt? – Siegwart, sagte Kronhelm – Nun ja für den Herrn Siegwart. Jezt nur schnell die Suppe [244] gegessen, und dann gleich wieder weiter! Wein und kaltes Essen ist schon draussen; wenn ihr nur was Warms im Leib habt! – Sie hüpfte und sprang in der Stube herum, trillerte und drückte dann ihrem Bruder wieder mit aller Kraft die Hand. Siegwart gefiel ihr wohl; nur sagte sie, er sey so still, und müsse muntrer weren. Als die Suppe gegessen war, ließ sie ihrem Bruder und Xavern keine Ruh; sie musten die Waldtaschen und die Flinten umhängen, und gleich wieder fort. Sie sprang selbst die Treppe voran hinab, und führte die Pferd' aus dem Stall heraus. Als ihr Bruder aufgestiegen war, gab sie seinem Pferd einen Hieb mit der Gerte, daß es hinten ausschlug, und brach darüber in ein lautes Gelächter aus.

Kronhelm und Siegwart ritten mit dem Reitknecht nach dem Forst zu. Das ist ein wildes Mädel, weine Schwester, sagte Kronhelm; du must ihrs nur nicht übel nehmen, Siegwart; sie war sonst nicht so, als sie noch bey meiner Mutter war; sie hat im Grund ein recht gutes Gemüth; aber ich dachte wol, daß sie bey meinem Vater so werden würde, denn sie war immer unter uns das wildeste.

[245] Nach einer halben Stunde kamen sie an den Forst, wo das Jagen war. Der Junker Veit (so nannte ihn die ganze Gegend) stand an einer Eiche mit gespanntem Hahnen. Sobald er seinen Sohn und Siegwart in der Ferne sah, winkte er ihnen zu, von den Pferden abzusteigen. Sie thatens, und kamen näher. Er wieß ihnen, ohn ein Wort zu sagen, nur mit Winken, ihre Posten an, wo sie anstehen sollten. Sein Sohn stand am nächsten bey ihm, aber er sprach nicht ein Wort mit ihm, sah ihn auch nicht an, sondern laurte nur auf das Schwein, das herausgetrieben werden sollte. Endlich kams auf Siegwarts Seite heraus; dieser schoß es, daß es auf der Stelle fiel. Junker Veit flog wie ein Pfeil herbey, gab ihm den Fang, und nun sprang er auf Siegwarten zu, umarmte ihn, daß er hätte schreyen mögen, und rief: Herrlicher Junge! 's ist, meiner Seel! ein Hauptschwein – Du wirst ein grosser Kerl werden! Sieh nur, wie du's auf den Pelz geschossen hast! Grad am rechten Fleck! – Du kannst Oberjägermeister werden, wenn du willst – Bist ein Teufelsjunge; laß dich recht aufs Maul küssen! – Nun, Waidmanns Heil, Friedrich! (so hieß der junge Kronhelm) hast[246] mir einen herrlichen Knaben da mit gebracht. Gott geb! daß du auch so bist! Wie gehts, wie stehts? Bist recht groß worden. Nun, nun, ein Jäger darf wol stark seyn, wenn er will 'n guten Fang geben. – Komm, wir wollen erst d' Sau wegbringen lassen, und dann zur Mamsell Kunigunde, sie ist auf der Wiese dort beym Essen; kannst ihr deinen Diener machen – Sapperment, was das 'ne Sau ist, und der Blitzkerl hat sie gschossen! 's ärgert mich halb, daß er mir sie weggenommen hat! Nu, nu, wem's Glück eben will. – Friedrich, du siehst mir so kalmäuserisch aus. – Frisch! Auf der Jagd muß man munter seyn! Mir ist nie so wohl, als im Forst. Komm, sollst ein Glas Wein trinken, daß du lustig wirst; und du auch, junger Eisenfresser!

Hier nahm er Siegwarten beym Arm, und schlenderte mit ihm und seinem Sohn nach der Wiese, wo Kunigunde war. Halt, sagte er, unterwegs, riß sich von Siegwart los, und schoß einen Fuchs, der eben von der Seite durchs Gebüsch schlich. – Sieh, den hab ich schön troffen; beym Einen Aug 'nein, und beym andern wieder 'raus; aber 's ist doch nichts gegen dein Hauptschwein. – Nun kam er zu seiner Maitresse,[247] (wir Deutsche nennen's Hure) – Da, Jungfer Kunigund, da sieht sie einen Kerl vor sich, der hundert Baiersche Junker übersieht; Der hat die Sau g'schossen, auf die wir ausgangen sind; und das da ist mein Jung – Bück dich brav, Friedrich! Sie ist mein Alles und Alles. – So, nun geb sie brav Wein her, denn ich bin so durstig, wie 'n Brunsthirsch! – Nu, angstossen, junger Herr! Es leb d' Jagd und der Krieg! Ich bin auch Soldat gwest, muß er wissen, hab drey Jahr am Rhein gstanden; aber da war blutwenig z' machen, die Teufelsfranzosen hatten alles schon wegg'schossen. – Heh! wo ist denn der Michel und der Steffen? Die Kerls sollen mir 's Jägerlied blasen: (Er sang)


Das Jagen ist mein' gröste Lust

Ziehs allem andern für!

Man ist so frisch

Rennt durchs Gebüsch,

Und springt, als wie ein Thier!


Ey, wie wärs, Jungfer Gundel, wenn sie mit dem Xaver da tanzte! Mach sie keine Umständ! der Jung ists wehrt! – Nun muste Siegwart [248] den wildesten deutschen Tanz auf der Wiese mit ihr machen. Nach ihm tanzte Junker Veit. Fritz kann noch warten, sagte er. Der Jung muß erst zeigen, ob er mein Sohn ist, und auch schiessen kann? Sie ritten nun, weil es Abend wurde, mit einander nach Haus; Kunigunde muste auch mit reiten. Unterwegs fiels dem Junker ein, sie wollten beym Junker Seilberg vorbey reiten. 'S ist nur drey viertel Stund Umweg, sagte Veit; der ehrliche Kerl muß doch auch von meiner Freud wissen, daß ich die Sau kriegt hab. Nun gab er seinem Roß die Sporn, und die andern mußten nach, sie mochten wollen, oder nicht. Man hörte gleich, eh man noch an Seilbergs Schloß kam, ein schröckliches Geschrey; denn es war Gesellschaft da. Veit gieng mit seiner Gesellschaft unangemeldet in den Saal, erzälte mit grossem Geschrey, daß Siegwart ein Schwein geschossen habe und stellte ihn mit vielem Triumph unter diesem Karakter den vier da versammelten Junkern vor. Man setzte sich gleich um den Tisch herum, und muste tapfer trinken. Die anwesenden Edelleute waren: Seilberg, ein Mann von 65 Jahren, der, wegen des Podagra nicht von der Stelle kommen konnte, [249] und die Füsse mit Kissen eingebunden hatte; sein Tochtermann, Baron von Striebel ein ehemaliger Husarenlieutenant, der auch jezt noch die Uniform und einen schwarzgewixten Schnurrbart trug, ein Mann von vier und dreissig Jahren, war der zweyte. Der dritte, Junker Jobst, war ein Junggesell von 59 Jahren; ein armer Schlucker, der nicht einmal eine eigne Wohnung hatte, und sich wechselsweise bald beym Einem, bald beym andern Junker, oder auch im Nothfall bey einem Bauren aufhielt, der sein Lehnsvasall war, und ihm jährlich 40 oder 50 Gulden an Frucht auszalen mußte. Er ließ sich von den Edelleuten zu allem brauchen. Er ritt von einem Schloß zum andern, wenn ein Schmauß angesagt werden sollte; er brachte den Edelleuten ihre Pferde nach der Stadt, wo ein Roßmarkt war, und verkaufte sie da, oder handelte neue ein; er nahm die Koppelhunde mit auf die Jagd, oder trug das Hühnergarn; und ließ sich einen ganzen Abend für den Narren halten, wenn er nur mit essen und mit trinken durfte. Aber Adeliche musten's seyn, die ihn für den Narren hielten; von Bürgerlichen hätt er keinen Heller angenommen. Die vierte Person war ein junger Edelmann [250] von drey und zwanzig Jahren, aus dem Baierschen, der sich aber am Münchnerhof als Kammerjunker aufhielt, Namens Silberling. Er war zart gebaut, und sehr galant; hatte ein schönes grünes Kleid mit einer goldbordirten Weste an, und drüber eine golddurchwürkte Hirschfängerkuppel. Sein Haar war mit einem Perlenfarbnen Bande zierlich aufgebunden, und seine Locken nachläßig schön zurückgebogen. Er würde sich nicht in die Gesellschaft dieser rohen Landjunker gemischt haben, wenn er nicht eine geheime Absicht auf das Fräulein von Stellmann gehabe hätte, die eine Enkelinn vom alten Seilberg war, und sich seit dem Tod ihrer Mutter bey ihm aufhielt. Sie gieng aus und ein, um die Gäste zu bedienen.

Nun sag mir einmal, Fritz, fieng Junker Veit an, was ist denn dein Xaver? Wie heißt sein Vater, und was ist er? Es muß ein treflicher Kerl seyn, da sein Bub schon so ein guter Jäger ist!

Siegwart. Ich heisse Siegwart; mein Vater ist Amtmann zu Dahlenburg im Oettingischen.

Jobst. Nicht von Adel?

[251] Siegwart. Nein.

Veit. Nicht von Adel? Nun, so hol mich dieser und jener! Du bist also nichts, gar nichts? Ein Amtmanns Sohn! Element! Wer hätt das glauben sollen? – Aber, ich weiß schon, wie's gangen ist; deine Mutter hat mit'm Edelmann zugehalten. Nicht wahr, Jung, ich weiß's? – Darfst nicht roth werden! Narr, hast dich nicht drob zu schämen. Lieber ein Bankert von 'm Edelmann, als ein lausichter Amtmannssohn. Komm! ich bin dir doch gut, weil du so schiessen kannst.

Junker Jobst stund auf, und fragte Striebeln heimlich, aber doch so, daß mans halb verstehen konnte, ob man wol den Siegwart in der Gesellschaft mit lassen könne, da er nicht von Adel sey? Striebel sagte; weil ihn Junker Veit mitgebracht habe, so könn mans nicht gut ändern. Ueberhaupt dachte Striebel noch vernünftiger, denn er hatte in Heidelberg, wo er ein halbes Jahr lang an einer Wunde krank gelegen hatte, etlich vernünftige protestantische und katholische Professoren kennen gelernt, die seinen Verstand durch ihren Umgang, und die Bücher, die sie ihm geliehen, ziemlich aufgeklärt hatten.

[252] Herr von Silberling schlich sich weg, um bey seinem Fräulein seine Aufwartung zu machen, und das Gespräch kam wieder auf die Jagd und auf andre gleichgültigere Dinge. Nachher kam das Fräulein selbst in die Gesellschaft, weil sie mit dem süssen Silberling nicht gern allein war. Sie hatte viel Anmuth in der Mine, und eine ziemlich gute Erziehung. Ihre braunen Augen waren lebhaft, und doch sittsam. Auf den schlüpfrigen Scherz der Junker gab sie wenig Acht, und unterhielt sich mehr mit Kronhelm und mit Siegwart. Auf den erstern war sie besonders aufmerksam, und fand viel Wohlgefallen an ihm. Sie sah ihn oft lang an, und konnte zuletzt ihre Augen fast nicht mehr von ihm wegwenden. Silberling, der dieses merkte, wurde ganz unruhig und eifersüchtig drüber. Regina, (so hieß die Fräulein Stellmann) gefiel auch unserm Kronhelm, aber doch nicht so, daß sein Herz dabey beschäftigt wurde. Junker Veit und Seilberg sahens gerne, daß ihre Kinder mit einander sprachen, denn beyde hatten halb und halb die Absicht, einst ein Pärchen aus ihnen zu machen; wenigstens von Silberling hielt Seilberg wenig, weil er mit ihm von nichts, als vom Hof sprechen [253] konnte. Als Regina Siegwarts Namen hörte, ward sie aufmerksam drauf, und sagte: sie habe vor fünf Jahren in einem Kloster in München eine Freundinn gehabt, die Therese Siegwart heisse, ob sie wol vielleicht mit ihm verwandt sey? O Ja, sie ist meine Schwester, sagte Siegwart. Regina hatte eine grosse Freude drüber, und bemerkte, daß ihr Siegwarts Gesicht gleich so bekannt vorgekommen sey; nun sehe sie daß er viel Aehnlichkeit mit seiner Schwester habe. Das ist gar ein liebes Mädchen, Herr von Kronhelm, fuhr sie fort; Sie sollten sie nur sehen! Ich weiß, das sie Ihnen wohl gefallen würde. Wir waren Ein Herz und Eine Seele. Sie hat ein himmlisches Gemüth; ist immer froh und munter, und doch dabey so gesetzt. Wenn Sie sie wieder sehen, Herr Siegwart, oder an Sie schreiben, so machen Sie ihr ja meine herzliche Empfehlung! Sie wird sich meiner noch wohl erinnern. Siegwart versprach, es gewiß zu thun.

Die Edelleute wurden indeß immer lauter, denn sie tranken immer mehr Wein. Seilberg und Junker Veit stiessen ihre Gläser alle Augenblicke an. Jobst unterhielt Kunigunden; denn [254] ob sie wol nicht von Adel war, so bekam sie doch in seinen Augen dadurch einen Wehrt, daß sie die Beyschläferinn eines Edelmanns war. Baron Striebel und Silberling hatten einen Streit, ob der Pfälzische oder Baierische Hof vorzüglicher sey? Silberling behauptete, daß, nach dem Kaiserlichen, kein Hof in der Welt dem Baierischen gleich komme. – Silberling hat Recht, schrie Junker Veit drein, denn am Münchner Hof sind zu meiner Zeit allein 500 Jagdhund ernährt worden; jetzt werdens ihrer hoffentlich noch mehr seyn. Silberling machte zur Danksagung einen tiefen Bükling gegen Veit. Als das Gespräch wieder auf die Jagd kam, und allgemeiner wurde, zeigte Siegwart so viele Kenntniß und Einsicht, daß die Hasenjäger alle drob erstaunten. Junker Veit sprang auf, und sagte: Meiner Seel, dir fehlt aus der ganzen Welt nichts, als der Adel; du bist ein goldner Junge! Aus'm meinen wird nichts, das seh ich schon! Sitzt er nicht da, wie ein Stück Holz? und spricht kein Wort, wenn's auf d' Hauptsach kommt. Du hättest sollen mein Junge werden; wir hätten z'sammen taugt. 'S ist ein Trost im Alter, wenn man so ein Kind hat. – Wenn mein Fritz einmal [255] mein Gut kriegt, so werden ihm d' Säu 's Haus umwühlen, und d' Hirsch in d' Kammer lauffen. Wie ein Kind doch so schnell aus der Art schlagen kann! 's ist ein rechtes Elend!

Als Junker Jobst sah, wieviel Veit auf Siegwart hielt, so ward er ganz gnädig gegen ihn, denn er trank bey Veit so manches herrliches Glas Wein, daß er ohne seine Gunst nicht leben konnte. Regina ward ganz traurig, als sie sah, wie sehr der junge Kronhelm von seinem Vater mishandelt wurde; denn sie nahm an ihm schon vielen Antheil, und ward nur noch mehr für ihn eingenommen, als sie seine Geduld und Gelassenheit sah. Silberling war scharfsichtig genug, dieses wahrzunehmen, und machte eine gar traurige Figur. Er bot allen seinen Witz, und seine ganze Artigkeit auf, Reginens Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen; aber vergeblich! Ihr Aug, und ihre ganze Seele hieng an Kronhelm.

Endlich sagte Kunigunde zum Junker Veit: es werde nun wol Zeit seyn, endlich aufzubrechen; und es war auch würklich schon um Eilf Uhr. Die Gesellschaft taumelte auf, und Veit mit seinen Leuten nahm Abschied, die andern blieben alle bey [256] Seilberg. Regine leuchtete die Treppen hinunter, nahm von Kronhelm besonders freundlich Abschied, und hielt noch das Licht vor die Thür hinaus, um ihn länger reiten zu sehen.

Es war ein Glück für den Junker Veit, daß sein Pferd müde war, und der Mond helle schien, sonst wär er zwanzigmal gestürzt; er war brav betrunken, wackelte auf seinem Pferd hin und her, und schlief endlich ein.

Um halb zwölf Uhr kamen sie in Steinfeld an, und giengen, weil alle recht müde waren, bald zu Bette. Siegwart und der junge Kronhelm schliefen bey einander auf einem Zimmer. Sie besprachen sich noch eine Zeitlang miteinander, und Kronhelm suchte besonders die Tollheiten seines Vaters zu entschuldigen; Siegwart aber sagte, daß er das nicht nöthig habe; er kenne mehr solche Edelleute, und wisse sich recht gut in ihren Ton zu schicken. Bald darauf schliefen beyde vor Müdigkeit ein. – Den andern Morgen um sechs Uhr ward an ihrer Kammerthür ein gräßliches Gepolter gemacht. Junker Veit war draussen, und rief: Holla hoh! Auf, ihr faulen Jungens! Wollt ihr denn den schönen Tag [257] verschlafen? D' Hirsch sind doch schon wieder all im Bette. Wir müssen heut nur auf d' Hühnerjagd. Hurtig, aus der Ruh, daß wir aufbrechen können! – Die beyden Jünglinge zogen sich schnell an, und kamen zu Junker Veit, der schon angezogen und gestiefelt war. Jedem ward ein Glas Brandwein gegeben, denn Veit sagte, dieß sey des Waidmanns wahres Leben. Drauf stopfte er seine Pfeife. Nun, wie? 'raus mit der Pfeife! sagte er zu Siegwart und zu Kronhelm. Als er hörte, daß sie gar nicht rauchten, ward er ganz böse. Seyd ihr auch Kerls? Wollt auf d' Jagd gehn, und nicht rauchen? Ich hab, meiner Seel! noch keinen rechtschaffenen Waidmann kannt, der nicht den ganzen gschlagnen Tag seine Pfeife im Mund g'habt hätt; das sind Narrheiten, die man in der Stadt lernt! Was brauchts da viel Umständ? Sibylle, hol du von meiner Kammer die zwey Pfeifen, die gleich bey der Thür hangen; es sind Meerschaumköpfe. – Ihr müßt rauchen, und wenn alles grün und gelb um euch her wird! 'S ist nur um ein paarmal zu thun, so seyd ihrs gleich gewohnt. – Sibylle brachte die Pfeifen, – Seht ihr, das sind Meerschäum, die ich von Wien kriegt hab; die[258] kann man kecklich auf den Boden fallen lassen; 's bricht keiner. – Da, stopft! der Tabak ist gut. 'S ist drey König und Varinas unter 'nander g'mischt. So, nun wollen wir weiter. Adies Mädel! Koch fein was Guts! Wir wollen dir schon frisch Wildpret mit bringen. – Sie zogen nun mit ein paar Jägern und drey Hühnerhunden übers Stoppelfeld hin, und fiengen viele Wachteln und Rebhühner; wenn ein Volk aufstand, so schossen sie drunter, und Siegwart und Kronhelm trafen viele. Darüber ward Veit auf Einmal mit seinem Sohn wieder ausgesöhnt, nannte ihn seinen Augapfel, seinen Herzenstrost, und sagte, nun seh er erst, daß die Kronhelms doch nicht aussterben; alle seine Vorfahren, schon sein Ur- Ur- Ur- Großvater sey ein treflicher Schütz gewesen; er hab noch ein altes Konterfait von ihm, das er gleich zu Hause zeigen wolle; da steh ein schöner Windhund bey ihm, und die Kron in seinem Wappen stehe nicht umsonst zwischen einem achtzehnendigen Hirschgeweihe. Das Tabakrauchen gieng in der freyen Luft auch gut von Statten, so daß Junker Veit ausserordentlich vergnügt war, und versprach, wenn auf den Nachmittag, wie es den [259] Anschein habe, Regenwetter einfalle, so woll er sich einen derben Rausch trinken. Kronhelm schoß auch einem fetten Rammler, und nun war Junker Veit ganz ausser sich, warf die Flinte von sich, sprang dreymal in die Höhe, und umarmte und drückte seinen Sohn. – Um Essenszeit giengen sie nach Hause. Auf dem Wege zeigte Veit sein verwildertes Gemüth ganz, und begieng eine grausame That. Eine arme Bauerfrau aus seinem Dorfe gieng mit ihren zwey Kindern, einem Knaben von vier, und einem Mädchen von sechs Jahren aufs Feld hinaus, um zu kräutern. Einer von den Hunden sprang an die Kinder hin, die erbärmlich zu schreyen anfiengen. Die arme Frau schlug zurück, um die Hunde abzuhalten. Veit, der das sah, hetzte nun die andern Hunde auch an sie und ihre Kinder, und es entstand ein gräßliches Geschrey. Siegwart, dem das einen Stich durchs Herz gab, und Kronhelm, sprangen hinzu, den Hunden abzuwehren. Die Frau sah sich kaum in Sicherheit, so verwandelte sich ihre gekränkte, mütterliche Zärtlichkeit in Wuth; sie fieng an zu schimpfen, und schrie: Ist das auch eine Art, mit den Leuten so umzugehen? Pfuy! Ich wollt mich schämen, Kinder [260] anpacken zu lassen! Habs mein Lebtag g'hört. Wenn man d' Kinder schlagen will, so hat man gleich eine Ruth. Das sind mir die rechten Juneker! Ihr gönnt einem doch kaum's Schwarz vor'm Nagel, und nun wollt ihr noch die unschuldigen Kinder martern; aber wart, in der Höll da wird man dich auch kriegen! Da werden d' Teufel auch brav an dich hetzen! – Indem legte Veit seine Flinte an, um auf die arme Frau zu schiessen; aber sein Jäger fiel ihm noch von hinten zu in den Arm, und der Schuß gieng in die Luft. Er ward ganz rasend, und fieng an zu schäumen: Blitz und Donner! Laßt mich los, daß ich sie zertrete, den Hund! Kronhelm und Siegwart sprangen auch herbey, und hielten ihn fest. Das ist schlecht gehandelt, Papa! sagte Kronhelm – Was? du Racker? rief er; willst du mir aus'm Gesicht gehn? Siegwart biß sich auf die Lippen, und dachte bey sich: der Kerl sollte Fürst seyn! das wär eine Lust für den Teufel! Als Veit endlich sah, daß er nicht los kommen konnte, stellte er sich geruhiger, und bat, daß man ihn gehen lassen möchte! Kaum wars geschehen, und kaum sah er, daß die Frau mit ihren Kindern sich geflüchtet hatte, so rief er: Tyras, Melack! Faß [261] an, faß an! Frisch! – Die Hunde hielten die Frau wieder fest, und die Kinder hiengen sich an ihre Knie. – Sie soll mir 3 Wochen in Thurm, sagte er, oder ich will kein ehrlicher Karl mehr seyn! Beym T** sie hat mich ja ausgemacht, wie einen Hundsführer! – Alles Bitten Kronhelms und Siegwarts war vergeblich. Die Frau ward von den beyden Jägern weg, in den Thurm geschleppt. Ihre Kinder, die mit hinein wollten, wurden heraus gestossen, und sassen vor der Thür und heulten. Siegwart und Kronhelm brachten durch vieles Bitten, und die rührendsten Vorstellungen nicht mehr zuwege, als daß Veit endlich eine Woche nachließ, und die Frau zu vierzehntägiger Thurmstrafe bey Wasser und Brod verdammete. Endlich entschloß sich Siegwart, nach langem Kampf bey sich selbst, sich an die Hure des Junkers zu wenden, und bey ihr für die arme Frau zu bitten. Diese that erst lange spröde, denn es schmeichelte ihr, daß ein hübscher junger Mensch sie bat. Unserm Siegwart that es in der Seele weh, sich so tief erniedrigen zu müssen; Aber der Gedanke, der unterdrückten Unschuld beyzustehen, überwand bey ihm alle andre Vorstellungen. Endlich gab Kunigunde nach, und brachte es bey dem [262] Junker so weit, daß die Gefängnißstrafe der Bäurinn in eine Geldstrafe von drey Gulden verwandelt wurde, mit dem Anhang, sie soll so lang sitzen, bis sie das Geld baar auszahle.

Junker Veit war beym Mittagsessen ganz mismüthig, und sprach wenig. Es gieng ihm nah, daß sich Siegwart und sein Sohn ihm widersetzt hatten; besonders daß der letztere ihm vorgeworfen hatte, er handle schlecht. Er konnte es auch nicht vergessen, und fieng alle Augenblicke wieder an, davon zu reden. Kunigunde, die nun auf Siegwarts und Kronhelms Seite war, und alles über ihn vermochte, besänftigte ihn endlich wieder; und, als ihm nach und nach der Wein zu Kopf stieg, ward er wieder ganz munter und aufgeräumt.

Was willt du denn einmal werden? sagte er zu Siegwart; doch ein Förster bey einem braven Edelmann? nicht? – Nein, antwortete Siegwart; ich will ein Geistlicher werden, ein Kapuziner.

Veit: Ein Kapuziner? Ein Pfaff? Du wirst doch klug seyn, Xaver? Gelt, es ist dir nicht Ernst?

[263] Siegwart. Ja, wahrhaftig, gnädiger Herr; Es ist mein ganzer Ernst. Ihr Herr Sohn kanns bezeugen.

Veit. Nun, so bist du ein Narr, und mein Sohn auch! Sapperment! Ich kann die Pfaffen für den Tod nicht ausstehen, und nun willst du auch einer werden. Den Einfall hat dir meiner Seel! der bös' Feind eingegeben, anders kann ichs nicht begreifen. Sag, was willt du denn in so einer lausigen Kult machen?

Siegwart. Ein ehrlicher Mann werden, und Gott und der Kirch, und meinem Nebenmenschen dienen.

Veit. Geh mir zum Henker! Das sind mir die rechten, die Braunkütiler, die Mucker! Ich schwör dir, Junge, 's ist kein Pfaff nichts nutz. Einer ist immer ein ärgrer Schelm, als der andre. Sie haben mich auch 'nmal gehabt; da in Augspurg drüben, die Jesuiten, die verfluchten Schleicher! Da sollt ich ein Gelehrter werden, so 'n Stubenhocker! Aber, ghorsamer Diener! Ich nahm bald den Reißaus, und ließ ihnen's Nachsehen. Beym Element, wenn man d' Pfaffen machen ließ, sie zögen uns noch d' Haut über d' Ohren runter! Aber ich habs brav kriegt im letzten Krieg! [264] Da, wenn wir in ein Kloster kamen; wie der Blitz, war alles rein weg! – Und, in den Nonnenklöstern? – O, da denk ich, wird man noch eine Zeitlang an uns denken. Uh, wenn ich so eine Nonne kriegt,! 's Maul wässert mir noch. – Aber, Jung, ich bitt dich um alles in der Welt willen, wie bist du auf den rasenden Einfall kommen? Hast so herrliche Gaben, und willt sie all in ein' abgeschabte Kutt 'nein stecken – Sapperment! Ein Jäger ist doch ein andres Ding! Nicht wahr, Fritz? Du hältsts auch mit mir? Red ihm's doch aus!

Kronhelm. Ich glaube wohl, Papa, daß er was bessers werden könnte; aber ein Geistlicher kann doch auch ein ehrlicher Mann bleiben, wenn ers vorher ist.

Veit. 'S ist erlogen, sag ich! habs schon vorhin g'sagt, keiner ist nichts nutz! Da schimpfen sie dir auf den alten Nimrod, blos weil er ein stattlicher Jäger war. Und auf uns poltern sie auch von der Kanzel runter. Ich denk oft, ich könns nicht aushalten, und müß 'naus schiessen. Die Teufelskerl thun mir jährlich um mehr, als hundert Gulden Schaden. Da, wenn ein Wilderer 's Hochwild aus'm Forst wegschießt, [265] da kaufen sie's ihm ab; – daß du die Kränk! – Ja, Siegwart, du bist sonst ein ehrlicher Kerl; aber zwey Hauptmängel hab ich an dir auszusetzen; daß du nicht adelich bist, und ein Pfaff werden willt. Weiß warlich nicht, welches schlimmer ist?

Indem ließ sich Herr von Silberling anmelden, der, aus ausserordentlicher Entschlossenheit dießmal bey regnichtem Wetter einen Ausritt gewagt hatte. Eigentlich wollte er erforschen, wie Kronhelm vom Fräulein von Stellmann denke? Denn er war sehr furchtsam, und wäre nicht gern mit ihm in Verhältnisse gekommen, von denen seine Furchtsamkeit Verdrüßlichkeiten für ihn voraus sah. – Laß ihn 'rauf kommen, sagte Veit zum Bedienten, der ihn anmeldete, was macht er denn viel Umstände? Kronhelm und Sibylle giengen ihm entgegen. – Ihr Diener, Ihr Diener! rief Veit, als er kam. Woher beym schlimmen Wetter? Setzen Sie sich nieder! Sibylle, hol noch mehr Wein herauf!

Silberling. Ich danke gehorsamst! – Wenn ich mir nur ein Glas Limonad ausbitten dürfte! – Ich bin so echauffirt vom Reiten. Das verdammte Pferd gieng da vor dem Dorf [266] draussen mit mir durch. Ich rief ihm immer zu, und gab ihm die Sporn, aber die Bestie wollte doch nicht halten.

Veit. (mit grossem Lachen) Das glaub ich, Herr! Wenn man d' Sporn gibt, lauft ein Pferd, so weit es sieht. Ich seh wol, 's Reiten ist eben Ihre Sache nicht. Auf Parforcejagden müssen Sie auch nicht viel mit gewesen seyn. Da hilft 's Spornen etwas, aber nicht, wenn ein Gaul halten soll. Ha ha ha! Aber da sagten Sie vorhin was von Limonad; was ist das? Das kennt man hier zu Land nicht. Da, wenn man warm ist, nimmt man einen Schluck Kirschenwasser. Wollen Sie davon? Ich hab ächtes Lindauer. Sibylle, hol doch die Bouteille!

Silberling. Ich bleib gehorsamst verbunden; das möchte mir zu stark seyn.

Veit. Ey, was? Possen! 's kommt mir auf ein Glas nicht an. Da, trinken Sie nur brav! Prosit! – Der Teufel! Sie machen ja ein Maul, als ob Sie Gift tränken! 's ist gut? Nicht wahr?

Silberling. – O ja ... Nur ein Bischen zu stark ... prr ...

[267] Veit. Wollen Sie noch eins? Oder wollen Sie ein Bissel warten? Nun, nun; hernach wieder, trinken Sie indeß ein Glas Wein! Es ist ächter alter Seewein. – Wie haben Sie denn auf den gestrigen Abend geschlafen? Ich kam heim, ich weiß nicht wie? Und was macht der alte Seilberg? Hat er noch immer sein verdammtes Zipperlein? Der gute Kerl steht viel aus; aber er hats in der Jugend auch darnach gemacht. D' Jugendsünden kommen. S' geht mir auch nicht besser. Da heißts: Geduld ist das beste Kraut, und ein Gläsel Tockayer. – Sagen Sie mir doch, weil Sie erst von München herkommen, wie siehts jetzt da am Hof aus? Stehts um 's Jagdwesen noch recht gut? Zu meiner Zeit wars gar herrlich.

Silberling. Verzeihen Sie! um das Jagdwesen hab ich mich so genau nicht bekümmert. Aber doch weiß ich, daß es gut ist, und wir haben einen sehr verständigen Oberjägermeister. Sonst ist aber unser Hof einer der brillantesten. Wir haben göttliche Sänger, und ein Orchester, das in allen vier Welttheilen seines gleichen sucht. Unser gnädigster Churfürst ist selbstMaitre auf der Gambe und spielt bezaubernd.

[268] Veit. Ey, was Musik? Da schier' ich mich einen Teufel drum! Ich kann keine Musik leiden; das Gefiedel und Gewinsel und Gekratz möcht einen rappelköpfisch machen! Ja, wenns noch 's Histhorn ist, und mein Liedel drauf: Das Jagen ist mein größte Lust, das läßt sich noch hören! Aber sonst sag ich Ihnen, als ein guter Freund, alle andre Musik ist pur lautres Nichts.

Silberling. Sie mögen Recht haben! Aber der Gout ist eben sehr verschieden. Mir macht ein Koncert, und besonders eine Oper ein gar göttliches Plaisir. Doch, vergeben Sie! Ich wollte nicht die Impertinence begehen, Ihnen zu widersprechen. – Sie beliebten gestern schon, und auch heute wieder von München zu sprechen. Darf ich mir die Freyheit nehmen Sie zu fragen, wenn Sie da gewesen sind? Und was für Virtuosen sich damals am Hof aufgehalten haben?

Veit. Da gewesen bin ich; Anno acht und dreyssig; aber von den Virtuosen weiß ich keinen Pfifferling; da hatt ich mehr zu thun, als mich darum zu bekümmern. Sehn Sie, ich war beym Oberjägermeister im Hause; das war auch [269] ein Kronhelm, und mein naher Vetter. Ich war auch Officier, und zwar kein so gepuderter Hundsfott, wie die jetzigen sind. Da konnt ich nun alle meine Zeit, die ich vom Dienst frey hatte, im Gehäge zubringen. Das war ein Leben! Da hab ich was rechts gelernt. Jetzt ists alles nichts mehr; 's Wild nimmt ab, und d' Forst werden immer mehr ausgehauen. Z'lezt weiß ich nicht mehr, wo man jagen will? Aber damals waren d' Wälder voll gespickt. Hund und Jäger gabs gnug, und das lauter g'lernte Jäger, und Parforcepferd auch! Nein, solche Tage krieg ich nicht mehr. Der Churfürst war selber ein ausgemachter Waidmann, bey dem man sich durch 'n Schuß, oder durch 'n Fang kommendiren konnte. Wär ich da blieben, jetzt wär ich Obersjägermeister, und da wär alles noch im alten Stand. Aber die lumpichten Franzosen waren Schuld dran, da mußt ich mit meiner Compagnie an den Rhein hinunter. Wir waren Tag und Nacht geschoren, und d' Jagd gieng drüber in die Rappuse. D' Pfalz wär überhaupt nicht mein Land; in den Weinbergen hats nichts, als Füchse, und am Hof in Mannheim, wo wir einmal im Winterquartier lagen, gilt auch die leidige [270] Musik, so wie jetzt in München. Dafür schoß ich brav Soldaten todt, wenn's Feuer angieng. Im Grund ists einerley, und man könnts auch eine Jagd nennen, wenn's Wildpret, das man jagt, nur nicht wieder schösse. Sie haben mich auch brav kriegt, und ich mußte tüchtig schweissen. Sehn Sie, da hab ich 'ne Kugel durch den Arm kriegt, und 'n Streifschuß in d' Waden. Es that, meiner Seel! verteufelt weh, und ich konnt zwey Monat lang nicht auf dem Fuß stehn. Aber ich drehte mich hübsch um, und schoß den Kerl auf d' Herzgrub, daß er umsank, wie ein Bock. Zwey Monat lang hatt ichs gut, bey meinem Schwährvater seliger, das war ein guter Kamerad, aber als ich seine Tochter auftrieb, und zum Weib nahm, da wars aus; ich gieng mit ihr heim, und seitdem hab ich hier schon was ehrliches geschossen.

Silberling. So haben ja Ew. Gnaden recht sonderbare Avanturen gehabt; in der That!

Veit. Das glaub ich, man könnt ein ganz Buch von mir schreiben, wenn mans so recht wüßte. Viel hab ich aber auch wieder vergessen. – Potz Element! wir vergessen ja das Trinken ganz drüber. Frisch eingeschenkt, und ang'stossen! Es [271] leb die Jagd und der Krieg! Das ist so meine G'sundheit Der Seilberg, der kann Ihnen auch noch viel von mir erzählen, wenn Sies wissen wollen.

Silberling. Ja, er hat mir auch schon viel Rühmliches von Ew. Gnaden gesagt. Das ist gar ein unterhaltender und amüsanter Mann, mit dem sichs gut conversirt. Und seine Enkelinn ist une jolie femme. Sie trug mir an Ew. Gnaden und Dero Herrn Sohn Ihr gehorsames Kompliment auf. (Zum jungen Kronhelm)Mon cher, Sie werden doch auch wol an den Hof gehen? Ich bin versichert, daß Sie da Ihr fortune gewiß machen werden.

Kronhelm. Verzeihen Sie! Ich studire, um mir ein mal den Aufenthalt auf dem Land angenehm und unterhaltend zu machen.

Silberling. Eh bien! Die Gelehrsamkeit hat auch viele douceurs bey sich.

Veit. Sie mag haben, was sie will! Ich geb doch keinen Heller drum. Das ewige Stubenhocken! Da kommt mein Lebtag nichts bey heraus. Ich bin auch ein rechter Kerl, und habs doch übers Lesen nicht 'naus bracht. Aber der Jung will klüger seyn, und sein Onkel, der geheime Rath in München auch.

[272] Silberling. Was ist das für ein Mann, wenns erlaubt ist, Sie zu unterbrechen?

Veit. 'S ist der geheime Rath von Kronhelm, mein leiblicher Bruder.

Silberling. O, dem hab ich die Ehre, sehr speciell bekannt zu seyn.

Veit. Nun ja! 'S kann wohl seyn! Er ist sonst ein guter Kerl; aber, wenn er mit den Büchern kommt, da mag ich ihn nicht anhören. Ich sag immer: Ein Edelmann muß nicht studieren, sonst wird er 'ne alte Hure. – Aber, was ists? 'S läßt sich nun nicht ändern. Mein Fritz soll ihn einmal erben, und da muß ich seine Grillen schon so gelten lassen. – Sibylla, du bist ja so still! G'fällt dir denn der Herr? Sieh, so gehen sie in München.

Silberling. O verzeihen Sie, gnädges Fräulein! Das ist nur so mein Reithabit. Ich muß mich sehr entschuldigen, daß ich so im Negligee vor Ihnen erscheine!

Sibylla. O, es steht Ihnen recht gut. – Ich möcht wol auch einmal München sehen; es muß da recht lustig seyn. Aufs Flühjahr besuch ich meine Schwester. Kennen Sie sie auch? [273] Sie heist Baronessin von Eller; ihr Mann ist, glaub ich, am Hof.

Silberling. O ja, ich habe die Gnade, Sie sehr wohl zu kennen. Es ist eine magnifique Dame. Sie gibt wöchentlich Einmal Concert, und zweymal Assemblee. Sie werden Ihr recht willkommen seyn, gnädiges Fräulein, und in München sehr brilliren.

Sibylle sprach noch viel mit ihm, und setzte ihn durch ihre Lebhaftigkeit, und ihr offenes Wesen oft in die gröste Verlegenheit. Er glaubte aber doch, eine Eroberung bey ihr gemacht zu haben, weil sie sich so viel mit ihm abgab; und ritt ganz vergnügt weg. –

Kronhelm gieng noch denselben Abend heimlich nach dem Haus der armen Bauersfrau, die im Thurm lag; und gab ihrem Mann die drey Gulden, damit er seine Frau lösen könnte; aber er verboth ihm scharf, niemand ein Wort davon zu sagen, auch nicht einmal ihr, damit nur sein Vater nichts davon erfahren möchte. So gab er vor; aber im Grunde war die Ursache seines Verbots edler; er wollte unbekannt und im Stillen Gutes thun, weil er überzeugt war, wie wenig fremdes Lob nötig ist, wenn man durch Wohlthun[274] glücklich werden will. Anfangs erschrack der Mann, als er den Junker herein treten sah, denn er fürchtete neue Mißhandlungen. Seine Kinder waren auch voll Angst, und erhuben ein Geschrey, weil ihnen gleich die Hunde wieder einfielen, bey denen sie den Junker diesen Morgen gesehen hatten. Aber als der Mann die Freundlichkeit des jungen Kronhelms sah, ward er ganz zuthätig, und wollt ihn eben um die Freylassung seiner Frau bitten, als ihm Kronhelm das Lösegeld in die Hand drückte. Er wuste nicht, was er sagen sollte, stotterte einige Worte ohne Zusammenhang her, drückte Kronhelms Hand, und küste sie. Ach Herr, das ist gar zu viel! Ich weiß nicht, ob ichs annehmen darf? wenn ichs nur vergelten könnte! Aber Gott vergelts, und die heilige Jungfrau! Sie haben mir auf einmal aus der Noth g'holfen. Ich saß eben da, und dachte, wo ich so viel Geld aufbringen sollte? Und meine Frau ist doch in der Haushaltung nötig. Gott vergelts tausendmal! – Du lieber Gott, was das ein Herr ist! Ja, ja, das leibhafte Ebenbild seiner Mutter. Sie ist oft auch bey mir gewesen, Junker, und hat mir in der Stille ausgeholfen; denn d' Nahrung ist jetzt eben gar knapp, [275] und d' Abgaben schwer. – Komm, Mariandel, küß dem Herrn d' Hand! Das ist gar ein braver Herr; Komm Peter! Darfst dir nicht angst seyn lassen! Der Herr thut dir nichts. – Mariane kam ganz schüchtern auf den Zehen hergeschlichen, gab Kronhelm die Hand, und wischte, mit der Schürze in der andern, sich die Augen. Kronhelm gab ihr einen Dreybätzner, und dem Jungen auch. Dieß wollte der Mann gar nicht annehmen. Ich hab schon gnug, sagte er, wenn nur mein Weib los ist. Von der Hand ins Maul können wir uns schon verdienen. Nehmen's Sie's nur wieder, Junker. 'S ist, weiß Gott! zu viel. – Kronhelm gieng hinaus, und wischte sich die Augen.

Als er nach Hause kam, war sein Vater schon zu Bette, weil er einige Anfälle vom Podagra hatte. Siegwart saß in Sibyllens und Kunigundens Gesellschaft, und erzälte ihnen allerley vom Kloster und von Theresen. Sibylle, die viele, aber aufbrausende Empfindung hatte, fiel ihm alle Augenblicke in die Rede, klatschte in die Hände, sprang auf, und rief: Das ist vortreflich, das ist herrlich! So ein drey Wochen möcht ich auch im Kloster seyn! u.s.w.

[276] Ich keine acht Tage, sagte Kunigund, die von noch aufgeräumterem Gemüth war.

Abends auf dem Schlafzimmer fieng Siegwart an: Hör, Kronhelm, die Geschichte mit der Bauerfrau gieng mir den ganzen Tag nach. Du wirsts wol an mir gemerkt haben, denn ich sprach deßwegen in der Gesellschaft fast kein Wort. Wir müssen der armen Frau warhaftig helfen. Sieh, da hab ich schon drey Gulden in ein Papierchen eingewickelt; wenn wirs ihr nur auf eine gute Art könnten zukommen lassen! Weist du nicht, wie wirs machen?

Kronhelm. Du bist ein herrlicher Knabe, Siegwart; hast ein trefliches Gemüth! Sey nur unbesorgt! Ich habs diesen Abend schon gehört; der Mann, dessen Frau im Thurm liegt, ist ein reicher Söldner, der die 3 Gulden leicht geben kann; und Morgen wird er sie meinem Vater gleich zuschicken; diesen Abend wars nur zu spät. – Nicht wahr, mein Vater ist ein harter Mann? So hab ich ihn aber auch noch nie gesehen. Es wird immer ärger, und die leichtsinnige Gesellschaft macht sein Gefühl immer stumpfer.

Siegwart. Sag: die Jagd auch! Wer Tag und Nacht aufs arme Wild laurt und beständig [277] nichts als Blut und Morden sieht, wie kann der ein fühlendes Herz, und mit Menschen Mitleiden haben? der Gerechte erbarmet sich auch seines Viehes, heists in der Bibel, und das ist buchstäblich wahr. Die Jagd sollte nichts seyn, als daß man das überflüssige Wild, das dem Bauren Schaden thut, wegschießt; oder, was man zur Nahrung braucht! Aber, wenn man die armen Thiere vollends martert, und zu Tode jagt, wie's am Hof bey Parforcejagden geschieht, da möcht einem das Herz im Leibe bluten. Da können sich dann die Unterthanen viel versprechen, wenn der Landsherr sich im Blute badet. Da kommen die abscheulichen Plackereyen und die Kriege her, die dein Vater selber eine Art von Jagd nennt. – Nimm mir nicht übel, Kronhelm! Ich dachte diesen Morgen, ich müste deinem Vater den Hirschfänger durch den Leib stossen, so aufgebracht war ich!

Kronhelm. Du hast recht. Siegwart; Und – Gott verzeyh mirs! – mir war auch nicht viel anders zu Muth. Aber laß uns von dergleichen Vorstellungen abstehen! Sie machen mich gar zu traurig. Wie wärs, wenn wir uns durch unsre Violinen in eine andre Empfindung hinüberspielten? [278] Weist du? Das herrliche Adagio von Schwindl.

Und nun spielten sie so schmelzend, so bebend und so wimmernd, daß ihre Seelen weich, wie Wachs wurden. Sie legten ihre Violinen nieder, sahn einander an mit Thränen in den Augen, sagten nichts, als: Vortreflich! Gute Nacht, Bruder! und legten sich zu Bette. Aber beyde konnten noch lange nicht schlafen, und fühlten, daß die Seele des Gesangs sie noch umschwebe!

Um sechs Uhr standen sie auf, und weil sie noch niemand im Hause hörten, so lasen sie im Virgil. Nach einer guten Stunde kam Junker Veit an den Krücken herein gehinkt, weil er das Podagra hatte. Siegwart legte das Buch, aufgeschlagen, neben sich auf den Tisch. Was Teufels! rief Veit, da habt ihr ja gar ein Buch! Sapperment! Was soll das heissen? – Fort zum Henker und seiner Großmutter! und indem schmiß er den Virgil auf den Misthaufen vor dem Fenster. – Verzeyhen Sie, sagte Siegwart, das Buch handelt von Forsten und vom Waidwerk. – Das ist was anders, antwortete Veit. Ja, wenn das ist, so hab ich allen Respekt davor. Steffen mags wieder herauf holen! – Da, Steffen, hebt das [279] Buch dort auf; auf dem Miste! und bringt mirs! Ich hab ehmals auch so ein Buch gehabt, 's heist der Döbel. 'S steht manches gutes drinn; aber 's meiste hab ich schon gewust. Man muß im Forst lernen, wenn man will ein rechter Waldmann werden. – Das verfluchte Zipperlein hat mich so zu Schanden geritten! Ich kann heut nicht naus, und 's ist doch so ein herrlicher Tag. Aber dafür wollen wir doch, die Zeit nicht ganz ungenutzt vorbey streichen lassen. Kommt nur! Ich will euch viel rares zeigen! – Erst führte er sie in seine Gewehrkammer. – Seht mir einmal! was das für ein Vorrath ist! Nicht wahr? Der darf sich sehen lassen? Ich nehms mit jedem Churfürsten auf, ob ers besser hat? – Da seht! Das ist das Kontersait, von dem ich gestern g'sagt hab. Ist das nicht ein ehrliches Gesicht? Mit dem Schnurrbart, und dem krausen Backenbart! – Und da, das Windspiel! 's ist meiner Seel! zum Küssen! Ich wollt viel drum geben, wenn ichs so im Leben hätte! – Ja, seht euch nur recht um! So was extraschönes kriegt ihr nicht so bald wieder zu sehen. Aber das Zeug, wie's so da ist, ist mich auch über tausend Thaler gekommen. – Wundert euch nur nicht! 'S ist warlich [280] wahr; ich will drauf sterben! – Nun habt ihrs gnug beschaut? So wollen wir halt allmählich weiter.

Drauf schleppte er sich, mit vieler Müh, an seinen Krücken, die Stiege hinunter, und zeigte ihnen in der Hausthüre die vielen Hirschgeweihe, die oben, in der Reihe herum, wie er die Hirsche geschossen hatte, fest gemacht waren. Mit vieler Umständlichkeit und tausend Betheurungsflüchen erzälte er ihnen die Geschichte jedes Hirsches, wo und wann er ihn geschossen habe? u.s.w.

Von da giengs zu den Hunden, deren eine ungeheure Menge war. – Sa, sa sa! Hurah! Dax, Dax! rief er, und alle Hunde liefen mit grossem Gebell herbey; sprangen an ihm hinauf; hiengen sich an ihn an; und umzingelten ihn so, daß er aussah, wie der Engländer Wildmann, dem sich, auf seinen Wink, ein Schwarm von Bienen ins Gesicht setzt. Nun ließ er sich von seinem Jäger zwo grosse Multen voll derbe Stücken Brod bringen; gab einem Hund nach dem andern ein Stück, und erzälte dabey sein Alter, seine Race, seinen Namen, seine Tugenden und Thaten. Dies währte über eine Stunde, und im Pferdestall giengs eben so. – Indem kam der Junker [281] Jobst auf einem alten Klepper hergesprengt; stieg, ohn ein Wort zu reden ab, führte seine Mähre in den Stall, und sagte nun: Auf den Nachmittag werde Junker Seilberg, Fräulein Regine, Baron Striebel, und der kleine Herr von Silberling mit seinem Haarbeutel zum Besuch kommen. Brav, brav! rief Junker Veit; die kommen mir eben recht bey meinem Zipperlein! Den Einen hats verlassen, und den andern nimmts beym Schopf. – Kommen Sie zu Wagen? Freylich, sagte Jobst, Silberling kommt ja im Haarbeutel. Aber, Herr Bruder, nun schaff mir was zu trinken! Denn ich bin verteufelt durstig. Veit bestellte gleich im Stall eine Bouteille, die Jobst ohne viele Umstände austrank. – Bis zum Essen wurde von Geschichten aus der Gegend, und Jagdangelegenheiten gesprochen, die zum Anführen zu unwichtig sind. Bey Tisch wurden die Rebhühner aufgetragen, die Kronhelm und Siegwart geschossen hatten, denn das Schwein muste erst in der Stadt gebrannt werden. Die Rebhühner gaben Junkern Veit zu manchem Spaß und zu vielen Gesundheiten Anlaß, so daß er heute vor der Zeit stark berauscht wurde, wozu der Verdruß über sein Podagra auch viel beytrug. [282] Junker Jobst blieb ihm nichts schuldig. Er fieng an, zu singen, und mit Sibyllen schön zu thun; die ihn aber garstig ablaufen ließ, und ihm derbe Grobheiten sagte; doch die schüttelte er ab, weil sie von einem adelichen Frauenzimmer herkamen. Endlich kam die übrige Gesellschaft auch; Kronhelm sprang hinab, sie zu bewillkommen, und hob die Personen aus dem Wagen; der alte Seilberg mußte von zwey Bedienten die Treppen hinauf geführt werden. Silberling stand auf der Seite, um Reginen seinen Arm zu bieten. Er trat mit einer Verbeugung näher, als ihr eben Kronhelm, der es nicht wahrgenommen hatte, die Hand gab. Ganz betroffen sprang Silberling zurück, und ward feuerroth; Kronhelm ward es auch, und sagte: Verzeihen Sie. Es ist recht gut so, lispelte Regine, und sah unserm Kronhelm freundlichlächelnd ins Gesicht. Die beyden Alten erzälten sich nun von ihrem Podagra, schimpften drauf; und kamen auf ihre Jugendstücke zu sprechen, die so erbaulich waren, daß Kronhelm und Siegwart auf einen Wink Reginens sich mit ihr entfernten, und in den verwilderten Schloßgarten giengen. Ihre Abwesenheit ward von niemand bemerkt, [283] als von Sibyllen und von Silberling, dem der Angstschweiß ausbrach. Er rückte auf seinem Stuhl hin und her, und wäre so gern weggegangen, wenn er nur nicht die Anmerkungen und Spöttereyen der Edelleute gefürchtet hätte. Sibylle durfte nicht weggehen, weil sie aufwarten muste; denn Kunigunde nahm immer in Gesellschaft die Mine der gnädigen Frau an, und bewegte sich nicht von ihrer Stelle. Dabey war ihr der saftige Scherz der Edelleute viel zu angenehm; sie konnte hier alle ihre Gaben auskramen, und das ihrige treulich hinzuthun. Regine gab im Garten Kronhelm selbst ihre Hand, und sagte: Lassen Sie uns hier, statt des ewigen Gelerms, der stillen und ruhigen Natur geniessen! Ich bin des Aufenthalts bey meinem Großpapa so satt, daß ichs Ihnen nicht genug sagen kann. Und nun ist noch der abgeschmackte Silberling da. Ich kann ihn nicht anders nennen, so gern ich auch von andern sonst gelind urtheile. Den ganzen Tag hüpft er um mich her, und ich bin keinen Augenblick vor ihm sicher.

Siegwart. Erlauben Sie, ist er schon lang bey Ihnen, gnädiges Fräulein?

Regina. Bald vierzehn Tage; und wie lang's noch währen wird? weiß der Himmel.

[284] Kronhelm. Darf ich mich erkühnen, Sie zu fragen, wenns nicht zu verwegen ist, hat er Absichten auf Sie?

Regina. Ich weiß nicht, Herr von Kronhelm! Aber soviel kann ich sagen, daß ich keine auf ihn habe. Wenn er mir auch weniger mißfiele, so würd ich doch Bedenken tragen, in die Stadt zu gehen. Ich bin sie so überdrüssig geworden, und das Land, mit aller seiner Ruhe, zieht mein Herz so sehr an sich, daß ich nur da recht lebe. Tausendmal, Herr Siegwart, hab ich mit Ihrer lieben Schwester drüber gesprochen, und mich ganz in Träumereyen vertieft.

Siegwart. Ja, sie ist auch ganz Ihrer Meynung, gnädges Fräulein, und zieht das Land allem andern vor.

Regina. Denken Sie sich einmal, Herr von Kronhelm – denn ich weiß, Sie lieben auch das Land – was das schön ist? Zwey Seelen, die einander über alles lieben, und nun hier, der Welt unbekannt, in stiller Ruhe leben! Die ganze Gegend, mit allen ihren Reizen blüht für sie. Ungestört betrachten sie alle Schönheiten und Veränderungen der Natur. Kein Stadtgerücht, keine Verläumdung naht sich ihnen. Was müssen [285] sie auf einsamen Spatziergängen fühlen, wenn alle Vögel sich beeifern, Entzücken in ihr reines Herz zu singen; wenn ihr ländliches Mahl aus lauter Früchten besteht, die sie selbst gepflanzt haben; wenn die Abendsonn' in ihre Sommerlaube glänzt, und die Blumen um sie her düften? Wenn dann das himmelvolleste Gefühl der Zärtlichkeit aus ihnen weint; was denken Sie von einem solchen Paar, Herr von Kronhelm?

Kronhelm. Daß es recht glücklich seyn muß, gnädiges Fräulein!

Regina. Recht glücklich? Weiter nichts? Warum so kalt, Herr von Kronhelm? Sind Sie immer so?

Kronhelm. Immer so, gnädiges Fräulein! Kalt zwar nicht. – Doch, wenn Sies so zu nennen belieben –?

Regina. Nun, was ist es denn? – Sagen Sie mir einmal: möchten Sie nicht der Eine Theil des glücklichen Paars seyn?

Kronhelm. O ja, gnädges Fräulein.

Regina. O ja, O ja! Und immer kälter! Ihr Gesicht muß ziemlich trügen. Es verspricht so viel Empfindung; so viel schwärmerisches! Und ich liebe das Schwärmerische so.

[286] Kronhelm. So thut mirs Leid, daß mein Gesicht trügt! Denn ich möchte Ihnen nicht mißfallen.

Regina. Mißfallen! Wer spricht auch gleich davon? Aber, Kronhelm! Sie sollten mehr wünschen, als mir nur nicht zu mißfallen! – Verzeihen Sie, ich hab schon zuviel geredt; Ich bin eben ein Landmädchen; und die verstehen freylich so das Feine nicht.

Kronhelm. Ich verstehe Sie nicht, gnädiges Fräulein!

Regina. Nicht? nun so kann ich nicht dafür. – So bedauren Sie mich!

Und nun gieng sie weg, und weinte. Siegwart stand ganz betroffen da, und sah Kronhelm an. Er wuste sich in sein Betragen schlechterdings nicht zu finden. Das Fräulein bückte sich; brach ein paar Tausendschönchen ab; hielt sie fest zusammen, sah sie staar an, und zerriß sie dann plötzlich. Kronhelm gieng allein einen Gang hinauf, Siegwart stand da, und wuste nicht, ob er gehen, oder bleiben sollte? Endlich kam Regine wieder zu ihm, sprach mit ihm von seiner Schwester; und vom Kloster, daß es da so traurig sey; überhaupt, sagte sie, sind wir Mädchen die elendesten Geschöpf [287] auf Gottes Erdboden! Alles neckt an uns; alles nimmt man uns übel, was den Männern hundertmal erlaubt ist! Siegwart wuste nichts zu antworten. Kronhelm kam wieder. Sind sie böse, Herr von Kronhelm? sagte Regine. Verzeihen Sie! Ich war vorhin viel zu heftig; das ist so mein Temperamentsfehler. Meine Mutter war auch so.

Kronhelm. Sie sind ungerecht gegen sich, Fräulein! Warum sollt ich Ihnen böse seyn?

Regina. Je nun! Lassen Sies gut seyn! Wir haben uns mißverstanden. – Sagen Sie mir doch, werden Sie noch lang hier bleiben? Werden Sie mich noch einmal besuchen?

Kronhelm. Ueber ein paar Tage bleiben wir nicht mehr hier, die Ferien gehn bald zu Ende. Ich weiß also nicht, ob ich das Vergnügen haben werde, Sie noch einmal zu sehen?

Regina. Also auch das nicht? Nun, es ist gut! Es gehört noch zum Vorigen. – Wenns Ihnen gefällig ist, so gehn wir wieder zur Gesellschaft. Mein Großpapa wird ohnedies heut nicht gar lange bleiben können, da ihn das Podagra erst seit gestern früh verlassen hat.

[288] Sie kamen wieder in die Gesellschaft, wo Jobst und Kunigunde sich über Silberling sehr lustig machten. Baron Striebel nahm oft seine Parthie, aber immer konnt er es doch nicht, weil Silberling oft gar zu einfältige Antworten gab. Junker Veit war ganz unaufgeräumt, und beklagte sich sehr über sein Zipperlein. Die Gesellschaft gieng bald auseinander, und Junker Veit legte sich frühzeitig zu Bette. Siegwart und der junge Kronhelm giengen auf ihr Zimmer. Kronhelm sah es seinem Freund an, daß er etwas auf dem Herzen habe. Endlich fieng dieser an: Hör, Kronhelm, dein heutiges Betragen gegen das Fräulein Stellmann kommt mir ganz sonderbar vor; ich kann die Kälte, die du annahmst, nicht begreifen; zumal da das Fräulein gegen dich nichts weniger, als gleichgültig zu seyn scheint.

Kronhelm. Wie? Wenn ich aber gerade deswegen mein Betragen so eingerichtet hätte?

Siegwart. Das ist mir noch unbegreiflicher und räthselhafter. Das Fräulein, deucht mir, ist ein vortrefliches Frauenzimmer, das deine Hochachtung und Liebe wol verdiente.

[289] Kronhelm. Vielleicht. Aber muß Hochachtung und Liebe gleich beysammen stehen?

Siegwart. Das nun eben nicht; aber ich denke, die Liebe kommt bald nach, wenn man von einem Frauenzimmer, für das man schon Hochachtung fühlt, auch noch geliebt wird?

Kronhelm. Nicht immer, Siegwart; und hier trifts gerade nicht ein. Sieh, ich glaub auch, daß mich das Fräulein liebt; und eben deswegen nahm ich den kalten Ton an, der mir sonst gar nicht natürlich ist, um ihre Leidenschaft mehr zu dämpfen, als anzufachen. Man kann im Umgang mit Mädchen nicht vorsichtig genug seyn; jedes Wort muß man abwägen; sie legen gar zu gerne aus, und wir müssen keine Veranlassung dazu geben! Ich ärgere mich doch genug, wenn ich jetzt viele Jünglinge in dem leichtsinnigen und schmeichlerischen Ton mit Mädchen sprechen höre, der jetzt immer allgemeiner wird. Dadurch werden die Leichtgläubigen und eiteln Seelen ganz verdorben; ihre Eitelkeit wird genährt, und sie träumen täglich von Eroberungen und von Siegen. Ich halte jeden für einen Feind des weiblichen Geschlechts, der den Mädchen nichts als Süssigkeiten vorsagt; alles an ihnen bewundert [290] und erhebt; und ihnen unaufhörlich die Hände leckt. Die armen Geschöpfe wissen ja nicht, worauf es angesehen ist? und ob mans aufrichtig mit ihnen meynt? Sie werden entweder Koquetten, oder mißtrauisch und spröde. Ich könnt es nicht über s Herz bringen, einem Mädchen Schmeicheleyen zu sagen, oder den Schein zu haben, als ob mir an ihrer Gunst und Liebe was gelegen wäre, wenn ich nicht ihre Liebe suchte, und sie für mein gröstes Glück hielte. Da das nun zwischen mir und Reginen der Fall nicht ist, so must ich mich zurück ziehen, und kalt thun; zumal da meine Frage, ob Silberling Absichten auf sie habe? ziemlich vorwitzig und unüberlegt war.

Siegwart. Deine Grundsätze sind herrlich, Kronhelm, und ich wünschte nichts, als daß sie jeder Jüngling sich zu eigen machte. Aber, sag mir, warum du gegen das Fräulein keine Zuneigung fühlst, da sie doch so viele Vorzüge vor andern hat?

Kronhelm. Aus verschiedenen Gründen, Siegwart, und zum Theil auch aus einer dunkeln, unentwickelten Empfindung. In meinem Herzen ist ein gewisses Leere, das durch Sie nicht ausgefüllt wird; Sie gefällt mir, aber weiter nicht. So lang ich bey ihr bin, find' ich zwar an ihrem Umgang Wohlgefallen; [291] aber nachher vergeß ich sie wieder, und fühle keine weitre Sehnsucht nach ihr. Kurz, eine dunkle Empfindung sagt mir, daß sie das Mädchen noch nicht sey, das für mich allein geschaffen ist, und dereinst mein ganzes Daseyn ausfüllen und beleben soll. – Und dann, muß ich dir gestehen, soviel mir an dem Fräulein gefällt, so viel mißfällt mir auch an ihr. Was sie heut vom Landleben sagte, scheint mir mehr Deklamation zu seyn, als inniges, empfundenes Gefühl. Man spricht von dem nur wenig, was man hat und fühlt! – Und besonders hat mir ihr Betragen gegen mich sehr mißfallen. Sie kann überhaupt noch keine wahre Liebe zu mir fühlen, da sie mich noch viel zu wenig kennt. Wahre Liebe gründet sich auf Hochachtung, und muß der höchste Grad von Freundschaft seyn. Beydes ist nicht möglich, wenn man nicht die Vorzüge des andern genau kennt; und diese lernt man erst durch einen längern und vertrautern Umgang kennen. Ich weiß wol, daß die Liebe sich mehrentheils beym Aeusserlichen, bey der Gesichtsbildung, und dergleichen anfängt; aber von dieser Liebe halt ich auch so viel nicht. Und nun bedenk, wie hat das Fräulein ihre Liebe gegen mich geäussert? Gab sie sich nicht völlig blos? Wars nicht eben soviel, [292] als ob sie sagte: Kommen Sie! wir wollen einander heyrathen! Wahre Liebe spricht nicht! Man kann sich Jahrelang lieben, ohn' es sich zu sagen! Man könnte zwar ihr Betragen schwäbische Offenherzigkeit, ländliche Einfalt und naives Wesen nennen; aber mich deucht, das ist ganz was anders. Das weibliche Geschlecht kann bey seiner Feinheit der Empfindung so nicht reden. Es muß immer, besonders bey der Liebe, einen gewissen Stolz, eine edle Würde beybehalten, und sich nie, wenn ich so sagen darf, selbst feil bieten! Niemand schätzt einen offenen Charakter, und ein ungezwungnes, ungeziertes Wesen mehr, als ich. Ein Mädchen, das mit einer gewissen Anmuth und Einfalt seine Meynung frey und offenherzig sagt, ist das angenehmste Geschöpf; und diese Gabe scheint deine Schwester, deiner Erzählung und den Briefen nach, die ich von ihr sah, in einem ganz vorzüglichen Maaße zu besitzen. Aber frag dich selbst, ob du das bey Reginen auch findest? Ob durch ihr gerades Wesen nicht die weibliche Delikatesse beleidigt werden muß?

Siegwart. Das ist schon gut, Kronhelm; aber bey dem Fräulein kanns ein Fehler der Erziehung seyn; und dann müssen wir doch das bedenken, [293] was sie selber zu mir sagte, daß das weibliche Geschlecht auf diese Art sehr schlimm daran ist, wenn man ihm alles das übel nehmen will, was uns hundertmal erlaubt ist.

Kronhelm. Recht, Siegwart, das sag ich auch! Ein Geschlecht sollte soviel Freyheit haben, als das andere! Man hätte diesen Ton nicht einführen sollen! Wir sind Tyrannen des weiblichen Geschlechts. Aber da es nun einmal ein angenommner Grundsatz ist, so müssen sich die Mädchen auch darnach bequemen, weil ihnen die Ueberschreitung desselben so nachtheilig ist. – Und ganz scheint die Regel doch nicht von unserm Eigensinn abzuhängen. Es ist allgemein, daß ein Mädchen sich verächtlich macht, wenn sie sich selbst anbeut. Jeder fühlts bey sich; sein Gefühl wird beleidigt, und es scheint so in der Natur zu liegen. – Ich hab übrigens mit dem Fräulein Mitleid. Dem Anfang der Liebe kann man schwer widerstehen. Glaub mir, daß mein Herz viel litt, als ich den trockenen und kalten Ton annehmen muste.

Siegwart. Ich sahs wol, als du den Gang allein hinaufgiengest, daß in deiner Seele mancher Kampf vorgehen müsse. – Ich bewundre deine Klugheit, und begreife nicht, wo du die [294] Kentnis des weiblichen Herzens und der Liebe her hast?

Kronhelm. Mir hab ich wenig, und das meiste meinem Onkel in München zu verdanken, der oft über diese Sache sprach; und dann fand ich seine Grundsätze durch die Erfahrungen bestätigt, die ich an den Frauenzimmern machte, die in sein Haus kamen. – Weist du aber, was wir nun zu thun haben? Wir müssen sobald als möglich wieder auf die Schule zurück. Ich muß dem Fräulein soviel, als sich thun läst, ausweichen, und dann bin ichs auch überdrüssig, länger hier zu bleiben. Ich kann von meinem Vater besser denken, wenn ich von ihm entfernt, als wenn ich um ihn bin, und seine Art zu denken und zu handeln mit ansehe. Wir wollen sagen, daß die Schule künftige Woche wieder anfange, und dann müssen wir übermorgen, oder höchstens in drey Tagen wieder in die Stadt.

Siegwart war es sehr zufrieden; denn seit der Mißhandlung der Baurenfrau gefiel es ihm auch bey dem Junker Veit gar nicht mehr. Sie beschlossen, es ihm morgen zu sagen, und legten sich, nachdem sie noch etwas auf der Violine gespielt hatten, zu Bette.

[295] Junker Veit befand sich den andern Morgen, wegen seines Zipperleins, sehr übel; er muste sich zu Bette halten, und ließ seinen Sohn und Siegwart zu sich kommen. Seht ihr, was ich für ein Hundsfotr bin? sagte er. Da lieg ich, wie eine alte Hirschkuh, und kann mich vor Schmerzen nicht rühren, und nicht wenden! Ja, wenn man in der Jugend alles so bedächte, da hätt ich freylich manches unterlassen können. Aber, Sakerkot! wer wird da immer an d' Gicht und ans Zipperlein denken? Fritz, ich sag dir, laß doch nicht zu viel mit den Mädels ein! 's nichts g'scheides bey heraus! Sieh! daher kommt mein meistes Elend. Ja, wenn ich deiner Mutter immer g'folgt wär! Aber die nahm halt vieles auch gar zu genau! Stopf mir einmal meine Pfeif! Vielleicht hilfts Rauchen für die Schmerzen; wenigstens vergißt mans drüber. – Siegwart, du siehst ja ganz trübselig aus! Hast Mitleid mit mir? Guter Jung! Aber glaub mir, ich verdiens auch; denn das Zipperlein brennt gar infam! – Ich wollt gern ein paar Messen lesen lassen, wenns nur hülfe! Aber schaden kanns doch auch nicht. Laß dem Pfarrer sagen, Fritz, er möcht für mich beten; aber eifrig! Hasts ghört? Zuweilen, Siegwart, kann man die Pfaffen schon [296] brauchen, wenn Noth an Mann geht. – Nun, Fritz, ists bestellt? – Ich sag euch, Jungens, keine Stunde reut mich, die ich auf der Jagd zubracht hab, denn da wird man frisch und munter, wie ein Rehbock; aber das andere Zeugs hätt ich freylich können bleiben lassen. Nun, nun, was geschehen ist, läst sich nicht mehr ändern! Wenns nur nicht gar zu lang anhält; denn dießmal hat michs recht niederg'worfen Heut müst ihr schon zu Haus Geduld haben! Morgen können wir vielleicht wieder 'naus, wenns besser wird! – Verzeihen Sie, Papa, sagte Kronhelm, auf den Montag gehn unsre Schulstunden wieder an, und da werden wir wol übermorgen reisen müssen. Was? schrie Junker Veit, schon wieder fort? Und seyd kaum herausgekommen? Sapperment! Erst zweymal sind wir auf der Jagd gewesen, und ich wollt euch noch in allen meinen Forsten rumführen! Nein, das geht nicht an! Seht, jetzt wollt ihr mich verlassen, da ich wie ein Krüppel da liege, und mir nicht zu helfen weiß. Nein, bey meiner Seel! ihr müst noch bleiben! Siegwart sagte, daß es schlechterdings nicht angehe; Sie würden bey ihren Professoren in Ungelegenheit darüber kommen, und [297] beständig Vorwürfe deswegen hören müssen. Ja so gehts bey den Blitzpfaffen; sagte Veit; da ist das ewige Kommandiren und Einsperren! Da werden die besten Leute durch verdorben, und zu Dummköpfen gemacht, die nicht wissen, ob die Welt grün oder gelb aussieht? Mit der einfältigen Gelehrsamkeit! Ich hab in meinem Leben nie gehört, daß ein Gelehrter 'n guten Soldaten, oder Jäger abgeben hab. Da müst ihr nun wieder in euer Klaus 'nein, und bey den dummen Büchern schwitzen! Ja, da wär ich ein Narr! Da ist mir Gott's freye Luft lieber! Könnt ich nur jetzt drinn seyn! – Er klagte noch so eine ziemliche Zeit fort, und erzälte dann wieder von seinem Soldatenstand, und von seinen Jägerthaten. Endlich nahmen seine Schmerzen etwas ab, und er ließ sich aus dem Bette heben. Bey Tisch wurd er wieder ganz munter, und mit den Schmerzen verliessen ihn auch seine ernsthaften Gedanken wieder. Ueber Tisch ließ sich der Pfarrer aus dem Dorfe melden. Hah, hah! sagte Veit, der riecht den Braten; Nun, last ihn nur kommen! Er wird wieder durstig seyn, und da weiß er, daß er am ersten etwas kriegt, wenn ich krank [298] bin. S ist sonst ein guter Narr, mit dem man wol 'n Spas haben kann. –

Der Pfarrer kam, und schlich sich demüthig in die Stube herein. – Willkomm, Herr Pfarr! schrie Veit; Nur frisch hereingegangen! 'S ist schon wieder besser.

Pfarrer. Ich bedaure, gnädiger Herr! Ich hab gehört, daß Sie wieder nicht recht –

Veit. Ja, ja! 'S ist schon gut, sag ich. Leg er nur den Hut ab, und setz er sich hieher! Wie stehts denn, Alter? Was macht seine Köchinn? Braucht er bald wieder eine neue?

Pfarrer. Ich bitt um Vergebung, Ihr Gnaden! Warum sollt ich eine neue brauchen?

Veit. Je nun, das hat so seine Ursachen. Man kennt euch Leute schon! Thu er nur nicht so sittsam, als ob er alle Heiligkeit allein gepachtet hätte! Vor den Leuten da darf er sich nicht scheuen, die kennen seine Umstände schon. Das ist mein Sohn, und der andre ist ein guter Freund von ihm. Was giebts denn Neues? Ists wahr, daß des Pfarrers von Aderlingen Köchinn schwanger ist?

Pfarrer. Ich weiß nicht, Ihr Gnaden; aber die arge Welt sagt so.

[299] Veit. Die arge Welt? Da muß es die arge Welt seyn, wenn von Euresgleichen was gesagt wird. Aber gelt, wenn ein armer Teufel, der kein Pfaff ist, was gethan hat, da könnt ihrs nicht genug ausposaunen; da fangt ihr 'n Lerm auf der Kanzel an, als ob d' Welt einfallen wollte! Nun, es leben d' Pfaffen und ihre Köchinnen! Gelt, da schmunzelt er, der alte Knasterhart? Ja, ihr seyd mir rechte Füchse! Hat er denn den Morgen brav gebetet, daß mein Zipperlein zum Teufel geh? Nun, 's hat brav geholfen, und jetzt wollen wir uns dafür tüchtig betrinken!

Der Pfarrer that auch von seiner Seite alles Mögliche, und brachte es in Kurzem so weit, daß er die ärgsten Zoten vorbrachte, und von sich die niedrigsten Schandthaten erzälte. Er blieb bis Abends um zehn Uhr da, und muste von zween Bedienten nach Haus gebracht werden. Kronhelm that es in der Seele weh, daß ein Mensch, der sich für einen Lehrer Gottes an die Menschen ausgibt, sich bis zum Thier herab erniedriget. Siegwart dachte tausendmal dabey an seinen Pater Anton, und den ehrlichen Pfarrer in Windenheim.

[300] Wenns viel solche Prediger gibt, sagte Siegwart Abends noch zu Kronhelm; dann wundre ich mich nicht mehr über die Geringschätzung der Religion. Wer sie nicht selbst aus der Quelle kennt, und sie dann von solchen Leuten lernen, und hochschätzen und lieben soll, der muß beynah ein Freygeist und Religionsspötter werden; aber eben deswegen sollte man unsern Laien die Bibel nicht entziehen, damit sie daraus Trost und Lehre schöpfen könnten, wenn sie von ihren Lehrern keinen zu erwarten haben. So ein Mann, wie dein Pfarrer ist, macht tausend Seelen unglücklich, und ich möcht' einst seine Verantwortung nicht übernehmen!

Den andern Tag befand sich Junker Veit etwas leidlicher, doch must er sich zu Hause aufhalten. Er schlug unsern beyden Jünglingen vor, ob sie nicht auf die Jagd gehen wollten? So könnten sie doch noch einen andern von seinen Forsten kennen lernen; Er woll ihnen einen Jäger mitgeben, der ein Ausbund von einem Waidmann sey. Kronhelm und Siegwart nahmen den Antrag gerne an, denn in seiner Gesellschaft ward ihnen die Zeit ziemlich lang. Sie schossen verschiedne Stücke Kleinwildpret, und einen Bock.[301] Um Essenszeit kamen sie wieder nach Haus; Der Junker hatte ein inniges Vergnügen über ihre Geschicklichkeit, und bedaurte nur, daß sie schon so bald fort musten. Den Nachmittag sprach er wieder bey der Bouteille brav ein, und versprach, sie den andern Morgen eine Meile weit zu begleiten, wenn es nur sein Zipperlein zulasse. Er konnte aber sein Versprechen nicht halten, weil seine Schmerzen wieder zunahmen. Früh um sieben Uhr, als die Pferde schon gesattelt waren, ließ er sie vor sein Bette kommen; und nahm von ihnen, da ihn die Schmerzen etwas mürbe gemacht hatten, mit ziemlicher Bewegung Abschied. Nun leb wol, Fritz, sagte er, und wischte sich die Augen; wenns denn seyn muß! Und führ dich als ein Junker auf! Es war mir lieb, daß ich dich als 'n ehrlichen Kerl hab kennen lernen, der sein Waidwerk versteht. Wenn du nur das nicht vergist; am andern ist blutwenig g'legen! Wenn du wieder einmal zu mir kommst, dann solls, denk ich besser gehen! Diesmal hat mir das verhenkerte Zipperlein einen Strich durch die Rechnung gemacht. Geld will ich dir auch schicken, wenn du's nötig hast; und da schenk ich dir noch zum Andenken eine Flinte. Sie ist probat, und versagt [302] dir gewiß nie. Mit den Mädels laß dich nicht ein! Denk an deinen Vater und ans Zipperlein! Nun kannst du gehen! Weiler weiß ich nichts. –– Und dir, Siegwart, dank ich, daß du bey mir eing'sprochen hast. Du hast mir viel Freud gemacht, weil du mehr verstehst, als mancher Junker. Wenn du von Adel wärest, Junge, solltest meine Tochter haben; aber so ists nichts! Adies! – Sie musten noch ein Glas Quetschenwasser trinken, und setzten sich zu Pferde. Kunigunde ließ sich nicht sehen; aber Sibylle war zugegen; küste und herzte ihren Bruder, und nahm mit Thränen Abschied. – Der Reitknecht Jakob ritt wieder mit ihnen. Als sie durch den Wald kamen, wo er den Hirsch geschossen hatte, fieng er wieder an: Sapperment, Junker, den Streich kann ich noch nicht vergessen, den sie mir auf diesem nehmlichen Platz g'spielt haben. Der Hirsch war gar zu schön! Ich mocht meinem gnädigen Herrn nur nichts sagen, um Ihnen keinen Verdruß an den Hals zu werfen; denn ich will drauf schwören, daß er g'wettert haben würd! Kronhelm hieß ihn schweigen, und gab ihm die Erlaubnis, seinem Vater die ganze Geschichte zu erzälen.

[303] Als sie wieder auf der Schule ankamen, und sich beym Prior gemeldet hatten, so war ihr erster Gang zum braven P. Philipp. Wie erschracken sie, als das Zimmer, wegen der herabgelassenen Vorhänge ganz dunkel war, und ihr lieber Pater im Bette lag! P. Johann saß neben ihm, und hatte einen lateinischen Psalter in der Hand. Willkommen, lieben Freunde, sagte P. Philipp mit heiserer und leiser Stimme. Es ist mir lieb, daß ich euch noch sehe! Gott hat eine Veränderung mit mir beschlossen. Ich werd euch bald verlassen müssen. Mir gehts wohl!.. Die beyden Jünglinge konnten sich nicht länger halten; die hellen Thränen stürzten ihnen aus den Augen, und sie schluchzten laut. – Gebt euch zufrieden, lieben Freunde! Mir gehts wohl; und Bruder Johann wird euch meine Stelle wieder ersetzen; er liebt euch auch .... Ich habe gnug auf der Welt gesehen.. Hab auch viel gelitten.. Mir wirds wohl werden. Mein Andenken ist alles, was ich euch hinterlassen kann, und etliche Bücher, die ich aufgeschrieben habe.. Ihr bekommt nun einen Freund im Himmel mehr.. Um Christi willen hoff ichs ... Kronhelm, gib mir deine Hand!.. Du auch, Siegwart! [304] Seht, ich leg sie ineinander.. Bleibt Freunde!.. und wandelt auf dem Weg der Rechtschaffenheit dem Himmel zu!.. Vergest euren treuen Lehrer, Freund, und Bruder nicht! ... Nun möcht ich wol ein Bischen allein seyn!.. Ich bin so matt – –

Die beyden Freunde wankten aus dem Zimmer auf das ihrige; Jeder warf sich auf einen Stuhl, sah den andern an, und sprach kein Wort. – Gott! sagte Siegwart, was ist der Mensch? Ist denn nichts, als Elend auf der Welt? Wenn ich nur mit ihm stürbe! Und du auch, Kronhelm! – Dieser, der von Natur gelassener war, und sich mehr gleich blieb, ob sich gleich seine Seele tief verwundet fühlte, suchte seinen Freund zu trösten, und von seiner Ungeduld abzubringen. Endlich fiengen aber doch beyde wieder mit einander an zu weinen. Nach einer halben Stunde schlichen sie sich an das Krankenzimmer, und sahen, weil die Thüre halb offen war, hinein. P. Johann winkte ihnen; sie traten leise an das Bette; und der Fromme, mit dem blassen, eingefallenen Gesicht, lag in ruhigem Schlummer da, und lächelte zuweilen; ein paarmal streckte er die [305] Hände aus und faltete sie. Endlich wachte er mit heftiger Bewegung auf, blickte wild umher, und sagte hastig: Bald ists vorbey! Nur noch Einmal!.. Ich hab ihn schon gesehen!. Er ist schröcklich!.. und schön!.. und fürchterlich! ... Dann sah er wieder um sich, erblickte die beyden Jünglinge; lächelte; gab Siegwarten die Hand, und sagte: Seyd ihr auch noch da? Ich dachte, ihr wäret längst gestorben! – Dann schwieg er wieder, und bewegte nur die Lippen, vermuthlich, um zu beten, denn sein mattes Aug sah mühsam in die Höhe. – Kronhelm und Siegwart baten den P. Johann, daß sie die Nacht bey ihrem Lehrer wachen dürften. Er gab es gerne zu, weil er durch ein paar Nachtwachen schon sehr abgemattet war, und die meisten Lehrer die Ferien über verreist waren. Er setzte sich in einen Lehnstuhl, um zu schlafen, und bat, ihn nur dann zu wecken, wenns mit dem Pater merklich schlimmer würde. Dieser phantasirte fast die ganze Nacht durch; nur zuweilen hatte er lichte Augenblicke, und dann sprach er aufs zärtlichste mit seinen Freunden, ermunterte sie zur christlichen Rechtschaffenheit, und sagte: ohne sie würd er dem Tod nicht so getrost entgegen sehen können. [306] – Nachdem er sich die Nacht durch ganz müde phantasirt hatte, so fiel er gegen Morgen in einen tiefen Schlummer, der dem Tode fast ähnlich sah. Kronhelm und Siegwart warfen sich auf ihr Bette, und blieben bis gegen Mittag liegen.

Als sie wieder auf das Krankenzimmer kamen, so war der Pater aufgewacht, und sah weit heiterer und frischer aus. Der Schlaf hatte den Abgang seiner Kräfte wieder ersetzt und der Arzt, der eben dazu kam, faßte nicht geringe Hofnung zu seiner Besserung. Er konnte wieder etwas Nahrung zu sich nehmen, und das Irrereden blieb aus. Kronhelm und Siegwart wurden, durch diese Hofnung, wie neubelebt, und konnten nun erst um die Gesundheit ihres Freundes beten; vorher hatten sie's nicht gekonnt. Er ward merklich besser, und konnte nach ein paar Tagen schon wieder eine halbe Stunde auf sitzen. Die beyden Jünglinge waren unaufhörlich um ihn, und lernten aus seinem Munde tausend weise Lehren; denn nichts ist lehrreicher, als das Krankenbette eines weisen Christen; Nirgends dringen die Lehren tiefer ein. Nun lernten Kronhelm und Siegwart erst das Glück recht schätzen, einen solchen [307] Lehrer zum Freund zu haben. Nun sahen sie die Grösse des Verlustes erst recht ein, den sie mit seinem Tod erlitten haben würden. Nun sahen sie, daß es weise Liebe Gottes sey, wenn er uns zuweilen ein Gut zu entziehen droht, dessen Wichtigkeit und Grösse wir vorher nur halb eingesehen, und das wir deswegen nur halb benutzt haben. Noch eh die Schulstunden wieder angiengen, konnten sie an einem schönen Nachmittag eine Stunde mit ihm spatzieren gehen. Lieber Gott, sagte er, wie mir nun die Welt wieder so neu vorkommt, als ob ich sie noch nie gesehen hätte! Alles deucht mir jetzt schöner und herrlicher zu seyn. Der dunkle Tannenwald dort, und die Sonne drüber her! Der Mischling mit dem gelb und roth und blaßgrünen Laub! Die Natur sinkt nun ins Grab, und ich stehe wieder draus auf; war doch wenigstens schon halb drinn. Ach, die Natur ist ein herrlicher Anblick! Zumal, wenn man seiner eine Zeitlang beraubt war! Ich dank dir, lieber Gott! – Ich sehs euch an, daß ihr meine Freude mitfühlt. Es ist mir so wohl, daß ich in den Lüften schweben möchte! Lieben Freunde, es ist doch gut, daß ich noch eine Zeitlang bey euch bleiben kann; die Welt ist gar zu [308] schön! – Indem kam ein Krüppel zu ihnen, und bettelte. Sie gaben ihm. – So ein Anblick, sagte Philipp, kann einen freylich wieder traurig machen. Man leidet soviel, wenn man andre leiden sieht. Aber, lieber Gott, wer wollte dich drüber zur Rede stellen? Und dort, dort (indem er zum Himmel wies) gibts keine Krüppel und Lahme mehr! Dieß ist alles, was man sagen kann; und allenfalls, daß dergleichen Leute nach dem Glück nicht so sehr schmachten, was sie nicht kennen, und mit kleinerm Labsal vorlieb nehmen, als wir. Vielleicht sind auch ihre Empfindungen schwächer. Das beste ist, das Gute, das man hat, mit Dank annehmen und geniessen, und dem Unglücklichen sein Elend so viel erleichtern, als man kann! – Sie giengen vergnügt wieder nach Haus.

Zween Tage drauf fiengen die Schulstunden wieder an. Siegwart wurde, mit Einstimmung aller Lehrer, seiner besondern Zunahme in den Wissenschaften wegen, in eine höhere Ordnung befördert. Im Lateinischen las man hier vorzüglich den Cäsar vom gallischen Krieg. P. Philipp schenkte ihm eine schöne Ausgabe von diesem Schriftsteller, und zeigte ihm, mit welchem Geiste, [309] und mit welchem Nutzen man ihn lesen könne. Siegwart saß Tag und Nacht dabey, und übersprang durch seinen Fleiß gar bald die Lektionen in der Schule. Er bewunderte an Cäsar den grossen Feldherrn, der, mit der beständigsten Gegenwart des Geistes, sich aller Umstände und Abwechselungen des Krieges, stets zu seinem Vortheile zu bedienen wuste; aber er konnte in ihm den Geist nicht lieben, der, von rasender Eroberungssucht dahin gerissen, keinen höhern Zweck kennt, als den: ein freygebornes Volk, das ihn nie beleidigt hatte, das ihm nicht einmal im Wege stund, seiner Freyheit, des höchsten Gutes, das es kannte, zu berauben. Er verabscheute den Mann, der Ströme Bluts seiner Landsleute und der Gallier vergoß, um diesen ungeheuren Durst zu stillen. Er entdeckte mit Verwunderung in dem Gemählde der alten Gallier die Grundzüge, die noch jetzt den Charakter der neuern Franzosen ausmachen: den Wankelmut in ihren schnell, oft übereilt, gefaßten Anschlägen; die Begierde, immer etwas Neues auszuhecken und zu erfahren; (B. IV. K. 5.) Die Grausamkeit, die sich noch jetzt in ihren Todesstrafen äussert. (VI. 19.) Den sklavischen Gehorsam des Volks gegen seine Obrigkeit [310] (K. 13) u.s.w. Dagegen schlug sein Herz laut bey der Schilderung der männlichern und freyergesinnten Deutschen, und besonders der nervichten Sueven; ihrer patriarchalischen Lebensart, die sich blos von der Viehzucht und der Jagd nährte, (B. IV. 1. fgg.) u.s.w. Kein Umstand, der der Menschheit Ehre macht, entgieng ihm. Die edle That der beyden Römer, des Pulfio und Varenus (B. V. K. 44.) zog besonders seine ganze Bewunderung auf sich. Er besprach sich nachher mit Kronhelm und dem P. Philipp wieder drüber, und lernte, mit ihrer Hülfe, noch mehrere und wichtige Bemerkungen machen. Er gerieth oft sehr in Eifer, wenn er gegen die Erobrungssucht gegen die Tyranney, und für die Rechte eines freyen Volkes und der Menschheit überhaupt sprach. Sein Herz ward immer freyer, männlicher und fester, sein moralisches Gefühl immer richtiger, und feiner. Die Religion, die er durch vernünftigen und zweckmässigen Vortrag immer mehr in ihrer Einfalt und Würde kennen lernte, ward ihm täglich heiliger und verehrungswürdiger; denn P. Johann verschwieg fast alle Menschensatzungen, die sie verunstalten. Er sah an P. Johannes und P. Philipps [311] Beyspiel, welchen Einfluß sie auf die Güte eines Menschen haben kann, und spürte ihre heilsame Wirkung eben so lebendig an sich selbst.

Zuweilen gieng er noch mit Kronhelm, ohne den er überhaupt fast keinen Schritt aus dem Kloster that, zu einem Jüngling, Namens Grünbach, der auch auf die Schule gieng, aber bey seinen Eltern in der Stadt wohnte. Es war dieß ein Mensch von einem ernsthaften, aber heftigen Charakter. Er hatte viel Kopf und eben so viel Ehrbegierde. Wenn er sich vornahm, etwas zu lernen, so ließ er nicht nach, bis ers ganz inne hatte. Er eiferte unserm Kronhelm und Siegwart nach, weil sie die besten auf der Schule waren. In kurzer Zeit brachte er es auf der Violine so weit, daß er mit ihnen spielen konnte, und nun machten sie sehr schöne Trios zusammen. Unsre beyden Jünglinge wären noch öfter zu Grünbach gegangen, wenn er nicht so gerne, besonders über Religionssätze, gestritten hätte; und diesen Streit liebten sie durchaus nicht. Sein Vater war ein reicher Krämer, der sich auf seinen Sohn sehr viel zu gute that. Er schaffte ihm alles an, was er haben wollte, Bücher, Kleider, Musikalien und dergleichen. Sobald jemand zu seinem [312] Sohn kam, war er auch auf dem Zimmer, machte den gläsernen Bücherschrank auf, wies die schönen Bände, sagte, was sie gekostet hätten, und neigte sich lächelnd, wenn man etwas zu seinem, oder seines Sohnes Lob sagte. Er erzälte fleissig, wenn einer von den vornehmern Schülern, oder gar von den Professoren seinen Sohn besucht hatte, und rekommandirte ihn der Gewogenheit dessen, dem er es erzälte. Er fragte allemal, wie sich sein Sohn auf der Schule halte? weil er was schmeichelhaftes zu hören hoffte. Wenn die drey Jünglinge auf der Violin spielten, so war er gleich dabey, sah und hörte blos auf seinen Sohn, trat immer mit dem Fuß, als ob er den Takt gäbe, und nickte mit dem Kopf, ob er gleich nichts von der Musik verstand. Seine Frau und seine Tochter ließ er nie aufs Studierzimmer kommen, auch nicht, wenn Musik war, weil er sagte: Die Gelehrten würden durchs Frauenzimmer gleich gestört. Er las auch Historienbücher und Romane, welches er vorher nie gethan hatte; weil er glaubte, der Vater eines gelehrten Sohns müsse, ihm zu Ehren, auch ein Gelehrter werden. Kronhelm bat er besonders inständig um die Freundschaft für seinen Sohn, weil er von Adel war; [313] doch begegnete er auch Siegwarten, um seinetwillen, sehr höflich. –

Siegwart hatte seiner Schwester Therese von seiner Reise, vom Junker Veit, und von Reginen, geschrieben. Nach drey oder vier Wochen bekam er diesen Brief von ihr:


Liebster Bruder!


Vielen, herzlichen Dank für deinen lieben Brief, und die Nachrichten von deiner Reise! Wie ist es doch möglich, daß dein Kronhelm einen solchen Vater hat, der gerad das Gegentheil von ihm ist? Aber destomehr muß ich ihn bewundern und hochschätzen. Nun, lieber Bruder, dächte ich, du machtest, wenn wieder Ferien einfallen, eine Reise zu uns, und brächtest deinen lieben Kronhelm mit. Der Papa würd es sehr gern sehen, ich sagte ihm gestern davon. Sags dem Herrn von Kronhelm ja, und vergiß mein aufrichtigstes, freundlichstes Kompliment nicht! Nicht wahr, Brüderchen, du kommst? Du weist ja, ich hab dich gar zu lieb. Nun bist du schon ein halbes Jahr weg; denk einmal die lange Zeit! Also hast du Fräulein Regine kennen gelernt? Das ist mir ja recht lieb. Sie hat viel Gutes. Ihr [314] zu offenes Wesen, und ihre Ungeduld muß man übersehen; beydes ist nicht bös gemeynt. Hier schickt dir der Papa Geld, und ein Brieflein. Er ist, Gottlob! frisch und munter. In drey Wochen heyrathet Karl die Jungfer aus Dollingen; da sie jetzt unsre Schwägerinn wird, so schickt sichs nicht mehr, daß ich etwas gegen sie rede. Karl zieht ins Nebenhaus, und fängt eine eigne Haushaltung an. Gut! so kann ich auf den Winter des Abends eher lesen, denn ich bin jetzt recht erpicht drauf. Salome will nach der Hochzeit wieder nach München; sie ist jetzt bey unsrer neuen Schwägerinn, und eine warme Freundinn von ihr; wenns nur lange daurt! Der Hauptmann von Northern besucht uns fleissig. Er hat jetzt das Portrait von seiner Braut bekommen; sie sieht Himmlisch aus; ich habe das Bild schon sehr oft geküßt. Wenn ich bey ihr wäre, so würden wir gewiß gute Freundinnen; ich sehs ihren Augen an. Der Mann, der den Messias geschrieben hat, heist Klopstock. Er soll ein sehr frommer Mann, und doch der angenehmste Gesellschafter seyn. Hauptmann Northern hat mir ein paarmal aus dem Messias vorgelesen. Ich sag dir, Bruder, es ist alles vortreflich. [315] Man fühlt was dabey, was man sonst in seinem Leben nicht gefühlt hat; man ist ganz über der Welt, und sieht auf sie herunter. Nun fang ich das Buch bald selber an zu lesen. Es soll etwas Mühe kosten, eh mans erst ganz versteht, sagt Hauptmann Northern; aber wer wird sich, um etwas Herrlichen willen, eine kleine Müh verdriessen lassen? Leb wohl, liebster Bruder, und empfiehl mich dem P. Philipp! Gottlob, daß er wieder gesund ist! Dem Herrn von Kronhelm hätt ich fast selbst geschrieben; aber das wär auch gar zu dreist! Sags ihm ja nicht! Adjeu!


Deine getreue Schwester


Th. Siegwart.


Siegwart ließ auch diesen Brief seinen Kronhelm lesen. Dieser fand an Theresens Denkart immer mehr Wohlgefallen, und sagte zu Xaver, wenn er seiner Schwester wieder schreibe, so woll er auch ein Briefchen beylegen. Er freute sich, daß Therese mit ihm über Reginens Charakter gleichgesinnt sey, ob sie gleich gelinder von ihr urtheilte, als er, in einem andern Verhältnisse, gethan hatte.

[316] Siegwart hatte schon lang in das Kapuzinerkloster gehen wollen, das dicht am Städtchen lag, und war immer dran verhindert worden. Endlich gieng er an einem Heiligentage mit Kronhelm hinaus, in die Predigt. Er hörte eine höchstfabelhafte und abgeschmackte Lobrede auf den heiligen Bischof Martin, bey der das Lachen weit natürlicher war, als Andacht und Erbauung. Nach diesem gieng er im Klostergarten spatzieren, in der Absicht, mit einem, oder dem andern Pater bekannt zu werden. Endlich redete er einen an, der ihm aber sehr kurz antwortete. Ein andrer, den er drauf antraf, war weit freundlicher, und freute sich sehr über die Nachricht, daß er auch ein Kapuziner werden wolle. Er versprach, dieß seinen übrigen Brüdern zu sagen, und setzte hinzu: Wir werden ihn bald einmal zum Essen bitten lassen. Besuch er mich indessen mit seinem Freunde, wenn er will! Es soll mich immer freuen. Nach acht Tagen wurde Siegwart zum Essen eingeladen. Die Patres alle empfiengen ihn sehr freundschaftlich. Ueber Tische fieng der Prior an: Aber, Monsieur Siegwart, es ist löblich und uns allen sehr erfreulich, daß er in unsern heiligen Orden eintreten will; [317] nur befremdet es uns sehr, wie er an ein solches Kloster gerathen ist, wie das zu Füllendorf; (so hieß P. Antons Kloster,) da wäre ja das unsrige weit besser! In jenem ist gar nichts zu machen. Der Prior ist ein harter Mann, und die Patres sind einfältige Leute. Tret er dafür zu uns! Es soll ihn gewiß nicht gereuen. Es sind hier in der Stadt viel vermögliche Leute, die uns oft zu essen schicken. Anstatt, daß wir herumsammeln müssen, wird es uns zugetragen. Wir haben täglich wenigstens acht Messen zu lesen, und an Festtagen wol zwanzig. Sieht er, das trägt ein, da kann man bequem leben. Z.E. Diesen Wein hier har uns erst heut der Postverwalter zugeschickt. So gibts fast alle Tage etwas. Sey er klug, und versprech er uns, zu uns zu kommen! Siegwart gab voll Befremdung zur Antwort: Es sey ihm, bey seinem Entschluß, nicht um gut Essen und Trinken zu thun, und er habe den andern Paters schon sei Wort gegeben. Die Kapuziner lachten über seine Bedenklichkeiten, und sagten: Man müß' es nicht so genau nehmen! Als all ihr Zureden bey ihm nichts vermochte, so liessen ihn die Paters mit ziemlicher Verachtung und Gleichgültigkeit von sich. Er gieng mismuthig weg, und ärgerte [318] sich über die Geistlichen, die aus Neid ihre Mitbrüder verachteten, und den Hauptvorzug ihres Klosters in besser Essen und Trinken setzten. Er fieng jetzt an, seine Ideen von der Heiligkeit der Mönche überhaupt, etwas herabzustimmen; doch nahm er in Gedanken seine Kazpuiner in Füllendorf gleich wieder davon aus, obwohl der Schluß sehr natürlich gewesen wäre: Jedes Kloster sieht auf seinen eignen Vortheil, und ist deswegen auf jedes andre eifersüchtig. Die Artigkeit der Paters in Füllendorf hätt er sich auch leicht daraus erklären können, daß sie sich um ihn Mühe gaben, und ihm deswegen so höflich begegneten. So erklärte es wenigstens Kronhelm, dem er seinen Unwillen mitgetheilt hatte, und der die Gelegenheit wahrnahm, ihm eine Abneigung gegen die Klöster überhaupt einzuflössen. Aber das Ideal steckte noch zu tief in Siegwarts Seele, als daß es sobald hätte können herausgerissen werden.

An einem Sonntage nachher gieng Siegwart in die L. Frauenkirche, die den Nonnen in der Stadt gehörte. Sie waren, ohne daß man sie sehen konnte, oben auf der Orgel, die zu oberst an der Decke gebaut war, und machten eine [319] himmlische Musik von allen Instrumenten, die sie zum Theil sehr gut spielten. Dazwischen hörte er ihre silberreine und melodische Stimmen. Dieß that auf ihn eine ganz erstaunliche Wirkung. Er hörte eine zaubrische Musik, wie vom Himmel herab, und sah nichts. Er glaubte die Chöre der Engel anzuhören und träumte sich über unsre Welt hinaus. Die Nonnen schienen ihm die heiligsten und beneidenswürdigsten Geschöpfe zu seyn. Er gieng nun fast alle acht Tage in ihre Kirche, und nährte sich mit Ideen von Heiligkeit und Vollkommenheit. Kronhelm sah diesen Schwung seiner Einbildungskraft nicht gerne, der ihn aufs neue in die Mystik hinein, und von der Welt abbrachte.

Nach einiger Zeit ward eine Nonne installirt, wobey Siegwart auch gegenwärtig war. Das Opfer war eine junge, engelschöne Baronessinn von 19 oder 20 Jahren. Sie stund in ihrem Brautschmuck vor dem Altar, und legte, durch den heiligen Pomp erhitzt, das Gelübde mit vieler Freundlichkeit ab. Unserm Kronhelm gieng es durch die Seele, als sie der Welt, allen Freuden, ihren Eltern und Verwandten, die mit gegenwärtig waren, auf ewig absagte; sich auf die Erde, als[320] in ein Grab legte, und dann, als eine Braut Christi, wieder aufstand; den Trauring anlegte; und ihren Bräutigam, ein wächsernes Christkind, mit Flittergold behangen, auf den Arm nahm; als sie drauf in einem Zimmer ausgezogen; ihres Myrthenkranzes, und ihres schönen blonden Haares beraubt, und in eine grobe braune Kutte gehüllt wurde. Todtenblaß kam nun das Mädchen, das eben noch wie eine Blume geblüht hatte, heraus, und ward auf ewig in das Kloster eingeschlossen. Kronhelm ergrimmte bey sich selbst; verwünschte das Gesetz und den Aberglauben, der solche Verwüstungen im menschlichen Geschlecht anrichtet, und konnte etliche Tage lang sich dieser Vorstellung, die ihm seine Seele verwundete, nicht entschlagen. Siegwart hingegen war vor himmlischem Entzücken ganz ausser sich; erblickte nichts als Engel und Heilige um sich herum; und pries die Baronessinn, und jedes Mädchen selig, das ihr folgte. Er hörte nachher noch oft von der Orgel herab ihre Stimme, die sich über den Gesang der andern Nonnen erhob, und glaubte; sie weit freudiger singen zu hören, als die übrigen.

[321] P. Philipp, mit dem Kronhelm über die Schwärmereyen seines Freundes gesprochen hatte, gab sich auch alle Mühe, ihn zu zerstreuen, und seine Aufmerksamkeit auf andre Gegenstände zu lenken; er gab ihm daher allerley Bücher, und besonders historische, zu lesen. Etwas half es, aber doch nicht viel. Die Einsamkeit, die der Winter mit sich bringt; und die wenige Zerstreuung, da man immer eingeschlossen ist, zwang unsern Xaver, sich am meisten mit sich selbst zu beschäftigen, und da war seine Einbildungskraft geschäftig genug, ihm lauter Ideale von Heiligen und Mönchen in den Kopf zu setzen. Er ward oft fast böse, wenn ihn Kronhelm durch einen kleinen Scherz aus seinen Schwärmereyen herauszureissen suchte.

Kronhelm hatte nun Theresen auch ein kleines natürliches Briefchen geschrieben, sie seiner aufrichtigen Hochachtung versichert, und um ihre Freundschaft gebeten. Sie antwortete ihm, acht Tage drauf, gleich wieder, und freute sich ungemein über seinen Brief und seine Freundschaft; Wenn Sie Geduld haben wollen, schrieb sie unter andern, mich zuweilen anzuhören, so schreib ich Ihnen wol öfters, und frage Sie um verschiedenes, [322] das Sie mir dann gelegentlich beantworten. Aber ich weis freylich nicht, ob Sie es der Mühe wehrt halten, ein neugieriges Landmädchen zu belehren? Am Ende machte sie ihm eine Empfehlung von ihrem Vater, und lud ihn in seinem und in ihrem Namen sehr höflich ein, sie auf die künftigen Ferien mit ihrem Bruder zu besuchen. Kronhelm war über diesen Brief ganz entzückt; Sein Herz schlug ihm, als er ihn las, und es stiegen Gefühle in ihm auf, die er sich selber nicht erklären konnte. Unserm Siegwart hatte sie folgendes geschrieben:


Bester Bruder!


Gottlob, daß ich den Messias zu lesen angefangen habe; und ärgern muß ich mich, daß es nicht schon weit eher geschehen ist! Das ist ein heiliges göttliches Buch, und Klopstock, der's gemacht hat, muß noch göttlicher und heiliger seyn. Nun will ich gern alle Bücher weggeben, die Bibel ausgenommen, wenn ich nur den Messias habe. Du kannsts nicht glauben, Bruder, was für einen Schatz der Andacht, der Empfindung, des Grossen und Göttlichen dieses Buch in sich enthält; und es ist noch lang nicht zur [323] Hälfte fertig 1, und ich habe das, was da ist, noch nicht halb gelesen. Man kommt in ganz neue Welten von Engeln; und von Engeln, wie sie sich wol noch nie eine menschliche Seele vorgestellt hat, so groß und vollkommen sind sie. Meynst du nicht, daß ein Mensch, der sich das so lebendig vorstellen kann, eben so groß und vollkommen seyn müsse? Die Stellen, die ich bis jetzt am meisten bewundre und liebe, sind: die von Samma und Joel und Benoni. Die Haut schaudert einem, wenn mans liest und alles so mit ansieht. Dem Seraph Abbadona bin ich recht gut; wenn er doch nicht so unglücklich wäre! Philo ist ein abscheulicher Kerl! und der menschenfreundliche Nikodemus neben ihm! Wie sticht das ab! Am meisten hat mich die Geschichte von Semida und Cidli gerührt. So etwas schmelzendes und süsses und wehmüthiges hat wol noch kein Mensch gedacht; und doch ist alles so wahr und treffend! O, ich möchte mich mit Cidli zu Tode weinen! Letzthin träumte mir von ihr. Ich glaub, ich hab sie gesehen, wie sie aussah. [324] Bruder, du must dir das Buch kaufen! Gib lieber alle andre Bücher weg, und schreib an einen Buchhändler nach Augspurg oder Ulm, daß er dir den Messias schicke! Der Herr Hauptmann von Northern hat mir zwar den Messias selbst geschenkt; aber so lieb ich dich auch sonst habe, so kann ich ihn dir doch nicht schicken; ich muß ihn immer bey der Hand haben. Er ist so schwer nicht zu verstehen; Man muß nur seine Gedanken brav beysammen behalten. Kauf das Buch ja gleich, du wirst mirs danken! Ich bin


deine getreueste Schwester


Th. Siegwart.


Unser Siegwart schrieb sogleich an einen Buchhändler in Augspurg, um drey Exemplare vom Messias; denn Kronhelm und Grünbach wollten ihn auch haben. Der Bediente des Buchhändlers in Augspurg hatte zum Glück selber viel Geschmack und eine gute Bekanntschaft mit der neuern deutschen Litteratur. Es kam ihm sonderbar vor, daß ein Jüngling, und noch dazu ein Katholik in diesen Gegenden etwas von Klopstock wuste. Er schickte also zugleich mit [325] den Exemplaren einen Brief an unsern Siegwart, worinn er ihm sehr freundlich anbot, ihm auch künftig Bücher zuzuschicken, wenn er welche nöthig habe; und zugleich erbot er sich, ihm immer Nachrichten von neuen Büchern, besonders aus dem Fach der schönen Wissenschaften mitzutheilen. Siegwart, der ohnedieß sehr wißbegierig war, nahm diesen Vorschlag mit tausend Freuden an, und schrieb dem Buchhändler sogleich wieder: Er möchte ihm die besten Bücher, auch die ältern, in der Dichtkunst, und denen dahin einschlagenden Wissenschaften melden. Der Buchhändler that es mit viel Gefälligkeit, Geschmack und Einsicht, so daß Siegwart und seine beyden Freunde, auch von dieser Seite, gut gebildet wurden. Sie schafften sich die besten Bücher an, und konnten die, so ihnen nicht gefielen, wieder nach Augspurg zurück schicken. – Siegwart blieb gleich denselben Abend, da er den Messias bekommen hatte, mit seinem Kronhelm bis nach Mitternacht aufsitzen, und las ununterbrochen fort. Anfangs war ihm der Kopf, durch das Anstrengen, ganz wüste geworden, denn er konnte sich in die Sprache, und die neuen Wendungen nicht sogleich finden; aber kaum war er über diese [326] Schwierigkeiten weg, so fand er soviel ausserordentliches, himmlisches und überirdisches in dem Gedicht; seine ganze Seele ward davon so erfüllt, und erhitzt, daß er nicht mehr auf der Welt zu seyn glaubte, und in lauter Himmelswonne schwamm. Oft sprang er auf; wiederholte laut, was er gelesen hatte, und konnte nicht begreifen, wie ein Mensch im Stand gewesen sey, dergleichen hervorzubringen? Die ganze Nacht schlummerte er nur, und las beständig noch im Traume fort. Klopstocken, dessen Herz an so vielen hundert Stellen des Messias durchschimmert, liebte er von dem Augenblick an mit der kindlichsten Dankbarkeit, und den andern Tag machte er folgendes Gedicht an ihn, das erste, was er, nach dem auf seines Bruders Tod, gemacht hatte:


An Klopstock.


Heisser Dank ström aus in Thränen!

Ström dem Mann, von Gott gesandt, zu!

Hör, o Mann, des Jünglings Stammeln!

Seine Seele stammelts.


Fern, in fremdem Lande hast Du

Feuer in mein Herz gegossen!

[327]

Hohe, himmelvolle Andacht

Wallt zum Thron des Mittlers.


Daß ich nun Ihn heisser liebe,

Den, für uns, dahin Gegebnen;

Daß ich ganz sein Heil, nun kenne,

Dank' ich dir, Du Edler;


Nie wird dieses Aug' auf Erden

Sehnsuchtsvoll an Deinem hangen;

Nie wirst Du die Röthe sehen,

Die mein Antlitz färbet;


Aber, wenn des Mittlers Stimme

Mich auch aus dem Grabe rufet,

Dann, o Mann, von Gott gesendet,

Hörst Du meinen Dank auch!


Auch Kronhelm und Grünbach lasen Tag und Nacht im Messias, und waren von seiner Vortreflichkeit ganz dahin gerissen. Pater Philipp verschrieb sich auch ein Exemplar und P. Johann machte das Buch zu seinem Erbauungsbuche. Der rechtschaffene Buchhändler schickte ihnen von freyen Sücken den Gellert, Rabener, Haller, Lichtwer und Hagedorn zu, und bildete durch eine väterländische und freundschaftliche Bemühungen [328] ihren Geschmack. Sie hatten nun den Winter über die angenehmste Beschäftigung, indem ihre Zeit zwischen Lesen und Musik unvermerkt dahin floß. Dabey versäumten sie ihre eigentliche Wissenschaften nicht, indem P. Philipp sie durch seinen Rath in den Schranken hielt, und sie das Angenehme dem Nützlichen unterordnen lehrte.

Am Charfreytage wurde in dem Städtchen, wie in andern österreichischen Städten, die Kreuzigung Christi von den Bürgern mit grossem Pomp vorgestellt. Mehr als dreyhundert Bauren kamen vom Land herein, um ein Kreuz zu schleppen, oder sich zu geisseln. Siegwart, der mit seinen Freunden dieß mit ansah, konnte nicht begreifen, wie Menschen, an dem Tage, da Christus an ihrer Statt gelitten hatte, sich noch einfallen lassen könnten, durch eigne blutige Büssungen Gott genug zu thun? Er ärgerte sich, wie er den Misbrauch sah, der mit der ernsthaftesten und wichtigsten Begebenheit für die Menschheit, getrieben ward; da der verkappte Christus, ein Baurenkerl, zu den Baurenmädchen, oder seinen Kammeraden lachte; und da sogar einer von den Schächern vom Kreuz herab einem andern Bauren zurief: Heh, Hans! [329] Hast du nichts zu trinken? 2 u.s.w. Als Christus einen Fußfall that, fiel das ganze Volk nieder, und schlug sich auf die Brust, daß es wiederhallte. Ein Lutheraner, der, wie viele andre, aus dem nächsten Orte gekommen war, das Schauspiel mit anzusehen, stund neben Siegwart, und fiel nicht mit auf die Knie. Sogleich entstand ein Gemurmel unter dem Volk, und einige schrien, schlagt den Ketzer nieder! Ein starker Kerl gab ihm auch wirklich einen Schlag auf den Kopf; aber Siegwart sprang auf, nahm den Ketzer bey der Hand, riß ihn aus dem Gedräng heraus, und brachte ihn in ein Wirtshaus in Sicherheit. Diese Handlung, die so edel und menschlich war, zog ihm den Haß seiner meisten Mitschüler zu, worinn sie P. Hyacinth, der ihm ohnedies nicht gut war, noch bestärkte; aber Siegwart machte sich nicht viel daraus, denn P. Philipp lobte seine That, und rieth ihm nur an, künftig die gehörige Klugheit zu beobachten.

[330] Unsre Jünglinge brachten theils mit P. Philipp, theils unter einander den Frühling sehr vergnügt zu. Sie giengen täglich spatzieren, besonders in einen schönen Garten, der dem Kloster gehörte, sie badeten in der Donau, und lasen Kleists Gedichte und besonders seinen Früling. Therese hatte ihrem Bruder geschrieben, er solle sich vor allen andern Dichtern den Kleist kaufen, weil er das Landleben so ausserordentlich lachend und angenehm schildere. Ich liebe, schreibt sie, diesen Mann nach Klopstock am meisten. Er ist ein vertrauter Freund von meinem braven Hauptmann Northern. Er hat drey Jahre zugleich mit ihm im Feld gestanden, und soll der beste, menschenfreundlichste Held seyn, der keinem Menschen wissentlich Böses, wol aber Tausenden Gutes thut. Ein Soldat, der menschlich denkt und handelt, wie mein Hauptmann, ist gewiß was seltnes und verehrungswürdiges. Vor zwey Jahren ist der theure Kleist, nicht weit von Hauptmann Northern verwundet worden, nachdem er erst wie ein Löw gestritten hatte. Nach erschröcklichen Schmerzen starb er in Frankfurt an der Oder. Hauptmann Northern, der auch von den Russen gefangen worden, und bis an [331] sein Ende beständig um ihn war, kann mir nicht genug erzählen, wie standhaft er gelitten, und wie rührend und christlich er gestorben ist. Ich und der Hauptmann Northern weinten den ganzen Abend, als ers mir erzählte. Er hat auch sein Portrait in der Dose, der Mann sieht so edel und menschenfreundlich aus, wie seine Gedichte. Wie muste ich weinen, als ich seinen Wunsch las, der ihm leider nur zu früh erfüllt worden ist:


– – Wie gern sterb ich ihn auch

Den edeln Tod, wenn mein Verhängnis ruft!


Und:


Auch ich, ich werde noch – – Vergönn es mir, o Himmel! – –

Einher vor wenig Helden ziehn.

Ich seh dich, stolzer Feind! Den kleinen Haufen fliehn,

Und find Ehr oder Tod im rasenden Getümmel.


Lies ihn, Bruder, du wirst fast sonst in keinem Dichter so viel schöne Gemälde, so viel menschliche Empfindung, die aus dem besten Herzen strömt, antreffen! Ein andrer Officier hat mir [332] auch andre Bücher geliehen, die mir weniger gefallen. Besonders ein gewisser Versuch in Schäfergedichten; ich hab ihm aber das Buch gleich wieder zurückgegeben, weil es so sehr anstössig ist, und viel muthwillige Stellen und Zweydeutigkeiten enthält. Ich kann nicht begreifen, was ein Mensch für Absichten haben kann, der solche Dinge schreibt? Will er uns die Unschuld als etwas gleichgültiges abschildern, und uns Ausschweifungen als etwas schönes anpreisen? Pfuy, er wird doch nicht glauben, daß wirs seinen Schäferinnen, nachmachen sollen, oder daß uns solche Zweydeutigkeiten angenehm seyn werden? Wenn er nichts bessers schreiben kann, so such er nicht, noch unverdorbene und reine Gemüther anzustecken! So ein Mensch ist ein Feind von unserm Geschlecht, und von aller Rechtschaffenheit. Klopstock und Kleist haben mich gelehrt, daß man das Gemüth auf das angenehmste beschäftigen kann, ohne es zu verderben. Ein Dichter muß ein guter Mann seyn, sonst ist er ein schädlicher Mensch. u.s.w.

Siegwart hörte nun auch die ersten Regeln der Dichtkunst und der Redekunst, aber zu allem Unglück beym P. Hyacinth. Die Regeln dieser beyden Wissenschaften sind überhaupt für den, [333] der eigne Kraft hat, drinn zu arbeiten, das, was einem erwachsnen Mann ein Gängelband ist; Aber Hyacinth trug sie noch dabey so erbärmlich und abschröckend vor, daß, wenn Siegwart die Dichtkunst, und auch in etwas die Redekunst nicht schon vorher gekannt hätte, er sich nun gewiß nie drum bekümmert haben würde. Regeln werden einen nie, weder zum Redner noch zum Dichter machen. Alles also, was man in den Schulen thun kann, wäre, daß man junge Leute frühzeitig mit den besten Mustern der Redner und Dichter bekannt, ihnen sie verständlich, und sie auf versteckte, oder Hauptschönheiten aufmerksam machte. Aber dafür trägt man lieber Recepte zu elenden und unnatürlichen Chrien vor; und lehrt, wie ein Deutscher elende lateinische Verse machen soll? Abgeschmaktere und widersinnischere Erziehungsregeln kann wol kaum ein Phantasirender in der hitzigsten Krankheit träumen!

Im Junius wurden die Rollen zu dem Schuldrama ausgetheilt, das im August, am Ende des Schuljahrs sollte aufgeführt werden. Das Stück war biblisch, und enthielt die Geschichte der Athalia. Siegwart bekam die Rolle des [334] Joas; Kronhelm sollte den Hohenpriester Jojada und Grünbach die Athalia machen. Sie kamen nun täglich zusammen, und spielten ihre Rollen. Siegwart machte die seinige besonders sehr natürlich. Als das Schauspiel aufgeführt wurde, erhielt er auch den grösten Beyfall, zumal da er in dem Zwischenspiel, das ein Singspiel war, auch eine Hauptrolle hatte, und sehr vorzüglich sang. Den Abend nach der Komödie wurden P. Philipp, Kronhelm, und Siegwart vom alten Grünbach zum Essen gebeten, und sehr kostbar bewirthet. Der Krämer machte tausend Komplimente, und nöthigte sie unaufhörlich zum Essen und zum Trinken. Er hatte eine herzliche Freude über seinen Sohn, daß seine theatralische Probe heut so gut von statten gegangen sey. Er fieng alle Augenblicke davon an, um nur vom P. Philipp und den andern das Lob seines Sohns zu hören. Er glaubte, einen recht witzigen Einfall zu haben, und lachte lange drüber, als er die Gesundheit der Königinn Athalia ausbrachte. Dießmal durften seine Frau und seine Tochter auch mit gegenwärtig seyn. Die Frau war ein recht gutes wolmeynendes Bürgerweib, die zu allem ihre einfältige Meynung mit sagte, [335] und deswegen alle Augenblicke durch die Winke ihres Mannes einen Verweis bekam. Er schämte sich und ward roth, so oft sie den Mund öfnete, obgleich ihre Reden nicht selten weiser und verständiger waren, als die seinigen. Er belehrte sie sehr oft und gab sich dabey ein recht stattliches, vielbedeutendes Ansehen. Die Tochter, Sophie, war ein artiges Mädchen, dem der Varer eine vornehme und gute Erziehung hatte geben lassen. Sie hatte dunkelblaue, tiefliegende Augen, in denen sich viel Schwärmerisches ausdrückte. Ihr ganzes Gesicht verrieth überhaupt viel Anlage zum Nachdenken und zur Melancholie. Ihr Auge ruhte oft lang auf Siegwarts Gesicht, der ihr schon eine ziemliche Zeit, und besonders heut in der Komödie vorzüglich gefallen hatte. Sie sprach wenig, aber sehr bestimmt, und mit vieler Wahrheit und Empfindung. Ihre Aufmerksamkeit auf Siegwart wurde von niemand besonders bemerkt, obgleich der Vater unzufrieden war, daß sie so wenig spräche. Nach Tische muste sie sich auf dem Klavier hören lassen, welches sie mit vieler Fertigkeit und wahrem Ausdruck spielte. Alle waren sehr damit zufrieden, und besonders lobte sie unser Siegwart, welcher, vermöge seines [336] heftigern Charakters alles Vortrefliche und Schöne laut bewunderte. Sie sah auch nur ihn an, wenn sie ein Stück ausgespielt hatte, weil sie auf sein Lob am meisten achtete. Sie bat ihn um ein paar Arien, die er heut im Singspiel gesungen hatte. Er hatte sie noch bey sich, und legte sie ihr vor. Sie spielte sie vom Blatt weg, und er sang dazu. Der Vater freute sich darüber ungemein, und sah bald den P. Philipp, bald unsern Kronhelm lächelnd an. Endlich gieng die Gesellschaft, ziemlich spat, nach Haus.

Zween Tage drauf giengen unsre beyden Jünglinge zum alten Siegwart, der sie, nebst Theresen, mehrmals dringend eingeladen hatte. Es ward ihnen eine Kutsche geschikt, um sie abzuholen. Sie kehrten unterwegs in dem Wirtshause ein, wo Siegwart ehemals den Streit über die Wildschützen mit angehört hatte. Diesmal war niemand da, als eine alle Zigeunerinn, die unsers Jünglingen mit Gewalt wahrsagen wollte. Sie weigerten sich eine Zeitlang; aber, als sie nicht nachließ, hielt endlich Kronhelm seine Hand hin. Ey, Ey, Junker, lauter Glück, lauter grosses Glück! rief die Frau. Viel Geld [337] daß mans in Scheffeln messen muß! Langes Leben und Gesundheit! Hohe Ehr, und vor allem andern eine hübsche runde Frau! O, ein allerliebstes Mädel! und ein Dutzend Kinder hinter drein! – Ach, wie allerliebst! Siehst du, Junker, was du für ein Glückskind bist! Kannst mich auch dafür bezahlen! – Nun muste ihr auch Siegwart die Hand hinreichen. Ich wollt dir gern auch Gutes prophezeihen, Junker, aber die Lineamenten wollens nicht erlauben. Ey, Ey, Ey! Schmerz und Jammer! Angst und Leiden! Eine Braut und keine Hochzeit! Gesundheit und ein frühes Grab! Faß Muth, Junker, denn du brauchst viel! Armer Junker daurst mich, denn du bist ein gutes Kind. Aber sieh, daß ich unpartheyisch bin, und red, was wahr ist. Darfst mir nichts geben, denn ich hab dir Unglück prophezeiht. Faß Muth, du brauchst viel! Unsre Jünglinge achteten der Reden des alten Weibes wenig, und fuhren wieder weiter. Eine Stunde noch vom Dorfe kam ihnen Therese in einem schneeweissen Gewand mit himmelblauen Schleifen, und einem schwarzen Sommerhut entgegen. Siegwart sah sie kaum, so sprang er aus dem Wagen auf sie zu, und sank ihr, ohne ein Wort [338] zu sprechen, in den Arm. Das gute Mädchen weinte vor Freuden, und drückte ihrem Bruder einen heissen Kuß voll schwesterlicher Liebe auf den Mund. Ach, mein lieber Xaver, hab ich dich denn wieder? O du Herzensbruder, diese Freude hab ich mir so lange schon gewünscht! – Nun kam der Wagen näher, Kronhelm sprang heraus. Sie empfieng ihn mir einer Freudigkeit, und mit einem Lächeln, das seine ganze Seele durchdrang. Ihr Betragen war natürlich, ungezwungen, munter, und doch nichts weniger, als frey. Sie unterhielt durch ihre Lebhaftigkeit ihn und ihren Bruder, und wüste ihre Aufmerksamkeit auf beyde aufs geschickteste zu theilen. Beynahe hab ich mir Ihr Aussehen so vorgestellt, Herr von Kronhelm! sagte sie; aber doch nicht völlig. Nun wünsch ich nur, daß Sie bey uns Geduld haben, und sich die Zeit nicht lang werden lassen mögen! Am guten Willen solls nicht fehlen, Sie zu unterhalten, aber ob wir auch die Kräfte haben? Doch ich weis, Sie nehmen auch mit dem guten Willen vorlieb, haben Sies doch bey meinen Briefen gethan. Dann frug sie nach dem P. Philipp, und nach andern Dingen. Ihren Bruder betrachtete sie [339] unaufhörlich, oft zitterte ihr eine Thrän ins Auge, und dann lachte sie, wann er sie ansah. Kronhelm that erst etwas ängstlich, und schwieg; denn er war überhaupt bey Frauenzimmern etwas furchtsam. Aber ihr offenes und ungezwungenes Betragen machte ihn sehr bald gesprächiger.

Sie kamen nun ans Haus des alten Siegwart. Er gieng ihnen mit Freuden entgegen; drückte seinem Sohn die Hand, und bewillkommte Kronhelm aufs freundschaftlichste. Weil der Tag sehr schön war, so aß man im Garten in der Sommerlaube, zwischen Blumen, die alle Theresens Hand gepflanzt hatte. Karl aß mit seiner neuen Frau dießmal auch mit, und betrug sich gegen Kronhelm und seinen Bruder ziemlich artig. Aber seine Frau war verdrießlich, und stolz, und sprach wenig. Wilhelm war noch der alte Träumer, der sich immer gleich blieb. Der alte Siegwart war recht herzlich froh; erzälte Geschichten aus seiner Jugend, und ließ sich von den jungen Leuten wieder welche erzälen. Wenn Therese vom Tisch weg, ins Haus gieng, so sagte er viel zu ihrem Vortheil, und lobte sie, daß sie sich seiner, und des Hauswesens so treulich annehme. Nach Tische waren unsre drey jungen [340] Leute allein im Garten, schüttelten Birn und frühe Aepfel. Siegwart stieg auf die Bäume; und Therese und Kronhelm sammelten das Obst auf. Das Mädchen war sehr munter; machte viel Spas; und Kronhelm, der sonst stiller und ernsthafter war, machte unvermerkt auch mit. Sie sprachen beyde viel in dem vertraulichen und angenehmen Ton der Ironie, der den Deutschen so gewöhnlich ist. Des Abends half er ihr die Blumen begiessen, holte das Wasser aus dem Schöpfbrunnen, und war der Gärtner, und sie seine Gärtnerinn. Dann nahm man wieder ein kleines, ländliches Maal ein, setzte sich in die Laube oder vor das Haus, und brachte so den Abend bis eilf Uhr, oder zwölf Uhr unter freundschaftlichen Gesprächen hin. Den zweyten Morgen hörte Kronhelm ihre Stimme früh im Haus, und wachte dran auf, ob ihn gleich sonst kein Geräusch so leicht weckte. Sie spielte in dem, an die Kammer stossenden Zimmer das Klavier, und sang dazu. Er rief ihr sogleich einen guten Morgen; sie erschrack, und er trat ins Zimmer. Er bat sie, noch ein paar Arien zu spielen und zu singen; sie that es sogleich, ohne das viele vorhergehende, dem weiblichen Geschlecht sonst so eigene [341] Gezier. Ihre Stimme war rein und natürlich, ob sie gleich eben nicht sehr nach der Kunst sang. Aber sie sang mit dem ganzen herzlichen Antheil, der den Gesang allein angenehm und unterhaltend macht. Drauf trank man, in Gesellschaft des alten Siegwarts den Kaffee. Sie schenkte ihn ein, stopfte die Pfeifen, und zündete sie selbst an. Man sprach von ernsthaften, oder lustigen Sachen. Nach einer Stunde gieng der alte Siegwart wieder an seine Geschäfte. Drauf kam das Gespräch auf Klopstock. Sie sprachen alle mit einer Art von Begeisterung von ihm, und brachen in sein Lob aus. Therese hatte grosse Stellen aus dem Messias und aus Kleist, die ihr vorzüglich gefielen, und die auch in der That die besten waren, abgeschrieben. Kronhelm las sie vor; ihre Empfindungen waren fast immer dieselben, und oft riefen sie zu gleicher Zeit vor Bewunderung aus, wenn eine Stelle sie vorzüglich rührte. Sie verrichtete dazwischen ihre häuslichen Geschäfte, und gieng in dem Zimmer aus und ein. Nach dem Essen giengen Kronhelm, Thersse, und Siegwart miteinander spatzieren, um die schöne Gegend zu besehen. Kronhelm führte Theresen. Sie giengen durch ein[342] schönes Thal, wo ein kleiner Bach sich durchschlängelte. Kronhelm erzälte viel von seiner Mutter, von seinem Bruder, und von seinen Schwestern; besonders von der ältern in München. Therese nahm an allem vielen Antheil; vornemlich gefiel ihr die Schilderung von Kromhelms älterer Schwester, und sie fühlte eine ausserordentliche Zuneigung gegen sie. Therese liebte die Vergißmeinnichtchen sehr. Unten am Bach, dessen Ufer ziemlich hoch war, sah sie welche stehen. Ey die herrliche Vergißmeinnichtchen! sagte sie; wenn man die nur kriegen könnte! Kronhelm stieg, ohne weiteres, hinab; aber das lokre Ufer schurrte unter ihm weg; er wollte sich im Fallen noch an einer Brombeerhecke halten; sie riß aus, und er fiel mit der rechten Hand auf einen spitzen abgebrochnen Stab, daß die Hand fast durch und durch gestochen wurde. Therese erhub ein ängstliches Geschrey, und war ausserordentlich besorgt. Kronhelm pflückte die Vergißmeinnicht ab; stieg herauf; gab sie ihr mit den Worten: Vergiß mein nicht! und machte sich aus seiner Wunde gar nichts. Aber Therese war recht ängstlich drob besorgt, und sagte: sie sey Ursach an dem Unglück; sie müsse sich [343] Vorwürfe drüber machen, und er werde ihr nun böse werden. Kronhelm versicherte das Gegentheil, und sagte: Es sey ihm recht angenehm, daß er so ein schönes Andenken an sie, und an diesen Tag habe, denn hoffentlich werde die Wunde eine kleine Narbe zurücklassen. Sie gab ihm ihr Schnupftuch, er wickelte es um die Hand, und war über den zärtlichen Antheil recht sehr erfreut, den sie bey dieser Gelegenheit an seinem Schicksal zeigte. Der ganze Nachmittag gieng ihnen unter Scherz, und angenehmen Gesprächen hin. Als sie nach Haus kamen, ließ Therese gleich den Bader kommen, um Kronhelms Hand zu verbinden; nachher verband sie sie ihm immer selber. Sie assen den Abend in der Laube, und sassen bis spät in die Nacht hinein zusammen. Den dritten Morgen lasen sie immer im Klopstock, besonders die Geschichte von Semida und Cidli. Kronhelm las sie mit solcher Rührung, daß Theresen die Thränen dabey in den Augen standen. Die Gleichheit ihrer Gesinnungen entdeckte sich immer mehr, und erstreckte sich auf die kleinsten Umstände. Den Nachmittag sollte ein junger Bauerkerl begraben werden. Therese, ihr Bruder und Kronhelm wollten das Begräbnis [344] mit ansehen. Sie giengen ans Trauerhaus. Der Sarg ward herausgetragen. Der Vater und die Mutter des Verstorbenen, sahen oben mit starrem auf den Sarg gehefteten, troknen Blick aus dem Fenster. Das ist was fürchterliches, sagte Siegwart, wenn man so all seinen Trost, all seine Hofnung, sein Alles, in einem engen Sarge wegtragen sehen muß! Wenn die Freude des Hauses weggetragen wird, um ewig nicht mehr zurückzukehren! Als man mit dem Sarg um die Ecke hinumgieng, erhub die Mutter ein lautes Geschrey; schlug die Hände überm Kopf zusammen. Der Vater stand stumm, und unbeweglich da. Auf dem Kirchhofe, als der Sarg eben ins Grab hinabgelassen wurde, sprang ein Baurenmädchen, schwarz gekleidet, und mit bleichen Wangen herzu; drang sich durch die Leute bis ans Grab, und rief: Wilhelm! Um Gottes willen, Wilhelm! bist du ewig für mich hin? Soll ich dich verlassen, Herzensbräutigam? Hörst du deine Anne nicht mehr? Wilhelm? Hörst sie nicht mehr? Ach du guter Gott! Warst so ein frommer, rechtschaffener Kerl! Mein Einziges! Mein Alles! Wilhelm! Nur noch Einmal möcht ich dich sehen! Nur noch einmal sprechen[345] hören! Ach, da graben sie dich ein! Wenn sie mich nur auch begrüben! Warst ein frommer Junge! Still und gottesfürchtig! Warst der schönst im Dorf, und bist nun todt! Warst so arbeitsam! Und so freundlich, wenn du mich am Arm hattest! Gelt, nun hab ich keinen Bräutigam! Bin allein auf der Welt! Ein' arme verlassne Dirne! Wilhelm, Wilhelm! Wenn du mich doch auch mitgenommen hättest! – Jesus! Maria! und Joseph! – und nun sank sie ohnmächtig neben 's Grab hin. – Man brachte sie nach langer Mühe wieder zu sich selbst. Indeß hatte man ein schwarzes hölzernes Kreutz auf dem Grab aufgerichtet, und einen Kranz von Buchs dran gehängt, mit Flittern. Sie hieng ein rosenrothes Band dran; da, Wilhelm! 's ist von dir! Ruh wohl! – Und nun gieng sie, von einer ihrer Freundinnen, und ihrer alten Mutter geführt, langsam weg; sah sich oft um, und schlug die Hände in einander. – Es muß schröcklich seyn, sagte Therese, und sah unsern Kronhelm weinend an, einen Bräutigam zu verlieren! Ja, und eine Braut! sagte Kronhelm; nahm sie am Arm, und sie giengen schweigend vom Grab weg. Den ganzen Abend war ihr Herz wehmüthig, und dachte der Geschichte nach. Sie giengen noch[346] etwas spatzieren; scherzten aber weniger als sonst. Beym Essen sah Therese oft unsern Kronhelm lang und tiefsinnig an. Sein Auge begegnete oft dem Ihrigen, und zog sich erschrocken zurück. Nach Tisch spielte Therese ein paar schwermüthige Arien; besonders das feyerliche Lied von Graun und Klopstock: Auferstehn, ja auferstehn wirst du! etc. das ihr Herr von Northern gegeben hatte. Siegwart und Kronhelm, und der alte Amtmann sangens mit. Das sollst du mir einmal auf dem Grab singen lassen, Therese, sagte der alte Siegwart. Es ist ein herrliches Lied, das die ganze Seele faßt, und zum Himmel aufhebt. Laß mirs singen, Tochter, wenns schon ein Lutheraner gemacht hat! Er muß doch ein braver Mann seyn, den ich einmal im Himmel anzutreffen hoffe. Gott bewahre, sagte Therese, daß ich das je erleben sollte! Sie, und ihr Bruder, und Kronhelm weinten. Drauf spielten Kronhelm und Siegwart noch ein paar Adagio auf ihren Violinen, die sie mitgebracht hatten. Therese war tiefbewegt; ihr Busen bebte, und ihr Herz schmolz. Sie sah Kronhelm einigemal lang, und mit Bewegung an. Er merkte es, ward nachdenklich, und wünschte zum Erstemal; [347] aber nur ganz dunkel, und im Innersten des Herzens: Möchte mich der Engel lieben!

Auf den folgenden Tag ward ein Besuch beym Prediger in Windenheim festgesetzt. Den Morgen vorher waren sie viel im Garten, wo Therese, weil es wolkigt war, und den Anschein zu einem Regen hatte, Salat pflanzte, den ihr Kronhelm reichte. Er sah hundertmal nach dem Himmel, ob er sich nicht aufheitre? Jedes neuaufsteigende Wölkchen erschröckte ihn. Er fragte Siegwart und Theresen mehr, als zwanzigmal, ob das Wetter wol gut werden werde? Er that oft zweifelhaft, und sagte: nun würds gleich zu regnen anfangen. Aber er sagte es nur in der Absicht, daß man ihm wiedersprechen möchte. Therese, die das merkte, gab sich das Ansehen einer grossen Wetterkennerinn; nahm eine zweydeutige Mine an, und erschröckte ihn alle Augenblicke mit der Nachricht, daß der Regen vor der Thür sey. Kronhelm jammerte, daß sie nun nicht zum Prediger gehen könnten, und er habe sich doch schon so lange drauf gefreut. Endlich trieb ein schneller Ostwind die Wolken weg, und der Himmel wurde heiter. Mit ihm heiterte sich Kronhelms Gesicht merklich auf. Ja, wenn der [348] Himmel nicht begiessen will, sagte Therese, so müssen Sie mir eben helfen. Und nun schöpften Kronhelm und Siegwart aus dem Brunnen, und begossen den Salat. Kronhelm hatte sich an Theresen so gewöhnt, und fand an ihrem Umgang so viel Wohlgefallen, daß er immer um sie war. Es war ihm nirgends wohl, wo er sie nicht sah. Er lief überall herum, und suchte sie im ganzen Haus auf. Sie war eben so gern um ihn. Wenn sie bey Tisch aus der Stube gieng, so sah er ihr nach und wandte kein Auge von der Stubenthür ab. Wenn sie sich öfnete, und Therese hereintrat, so wars ihm, als ob das Paradies sich öfnete, und ein Engel Gottes hereinträte. Ihre Blicke waren immer zuerst auf ihn gerichtet, und da ward ihm so wohl und so wunderlich zu Muthe, daß ers Essen drüber vergaß, und die Gabel mit der Speise wieder auf den Teller sinken ließ. Dann glaubte er, daß ihms jemand angesehen habe, und ward roth drüber; Therese, die es merkte, wards mit ihm. Beyde glaubten nun, so ganz dunkel, daß sie einander nicht gleichgültig seyen; aber sie zweifelten doch noch oft daran, denn beyden war die Liebe noch ganz neu.

[349] Den Nachmittag giengen sie nach Windensheim. Auf dem Weg dahin kamen sie durch ein schönes Tannenwäldchen, das mit jungen Eichen von hellgrünem Laub durchmischt war. Zuweilen war es ganz dunkel und schauderlich. Ey, dies Wäldchen will ich mir zueignen, und ein Einsiedler drinn werden, sagte Kronhelm. Da will ich mich ganz von der Welt absondern, und recht still und ruhig leben. Unter den Menschen ist doch nichts anzufangen; Da ist soviel Kultur, Cärimonie und Bosheit; hier soll mich nichts in meiner Einsamkeit stören! – Als ich allenfalls, sagte Therese. Denn glauben Sie, ich soll Ihnen das Wäldchen, und den guten Einfall so allein lassen? Nein, ich lieb auch die Einsamkeit, und will mir auch eine Zelle bauen! Um die Einsiedeley her leg ich ein Gärtchen an; pflanze Kohl, Salat, und Fruchtbäume drum her; halt mir etlich Schäfchen, mach die Reh im Wäldchen zahm, und die Nachtigallen, und die andern Vögel. Ich will ihnen schon brav Futter streuen, daß sie zahm werden müssen. Auch Kaninchen halt ich mir, weisse und rothgesprengte; keinen Menschen aus der Stadt, oder aus dem Dorfe laß ich zu mir. O, das soll ein herrliches Leben seyn!

[350] Kronhelm. Aber doch Ihre Freunde und Verwandte lassen Sie zuweilen zu sich; so alle halbe Jahr einmal? Ich laß auch zuweilen den P. Philipp und P. Johann zu mir kommen; und auch meine Schwester.

Therese. Das versteht sich, Ihre Schwester, und mein Bruder müssen ganz zu uns kommen. Nicht wahr, Xaver?

Xaver. Ja freylich; wenn ich darf, so bin ich immer bey euch, und wohne gar in deiner Zelle. Ihr müßt euch aber doch auch als treue Nachbarsleute fleissig besuchen.

Therese. Zuweilen, so des Abends; aber nicht gar oft. Denn ich weis, Herr von Kronhelm und ich kommen nicht gut miteinander aus. Er hat so seine eignen Grillen, und ich die meinen. Nicht wahr, Herr von Kronhelm?

Kronhelm. Richtig, Jungfer Therese; des Zankens würde da kein Ende werden. Aber nah zusammen, denk ich, wollen wir doch bauen. Wenn wir schon uneins miteinander werden und uns saure Minen zumachen, so können doch wieder Zeiten kommen, da wir gern einen Abend miteinander durchplauderten, zumal an den langen Winterabenden. Freylich wird da keins dem [351] andern nachgeben wollen; aber ich dächte, Xaver und meine Schwester könnten da so eine Art von Friedensstiftern abgeben. Sie erkundigten sich beyeinander, was wir machten? Ob einem von uns etwas fehle, weil wir so lang nicht zusammen gekommen seyen? Man liesse dann einander entfernt grüssen. Ich gieng einmal von ungefähr bey ihrer Einsiedeley vorbey; brächte Ihnen ein Kaninchen, das sich verlaufen hätte; thät aber übrigens ganz kalt; sähe Sie nur seitwärts an, bis endlich ein Wort das andre gäbe.

Therese. Gut! So würd ichs auch machen. Ich stellte mich, als ob ich Ihre Schwester besuchen wollte. Mit Ihnen spräch ich anfangs gar nichts, das versteht sich. Oder ich gieng bey Ihrer Hütte vorbey; säh sorgfältig auf die Erde, als ob ich etwas verloren hätte. Sie fragten mich vielleicht, oder hülfen mir aus Höflichkeit wol gar suchen. Das würde mich dann rühren, und so würden wir wieder gute Freunde, bis ein neuer Zank angienge.

Xaver. Herrlich! Herrlich! Und ich bau eine Laube auf die Höhe dort, wo wir Abends gemeinschaftlich sitzen, und pflanze Buchen und [352] Linden drum herum; und dann lesen wir im Klopstock und im Kleist. Die andern Bücher werfen wir, bis auf etliche, ins Feuer. Auch einen kleinen Altar von Rasen richt' ich auf und da halten wir Morgens und des Sonntags Gottesdienst dabey! Ich will Priester seyn! Pater Anton soll auch zu uns kommen, wenn er noch lebt! Auch etlich andre redliche Leute! Wir selber gehen nie in die Welt; da haben wir einen Boten, der uns das Nöthigste herausholt. O, es soll herrlich werden!

So träumten sie fort, und bildeten den Traum immer mehr aus, bis sie an des alten Pfarrers Wohnung kamen. Siegwarten brachte seine lebhafte Einbildungskraft so weit, das er alles für Ernst, und nicht mehr für einen Traum hielt. Die ganze Sache schien ihm zum Ausführen sehr leicht zu seyn, und er dachte immer hin und her, das Ideal noch vollkommener zu machen. Er ward beynahe böse, wenn er sah, daß Kronhelm und seine Schwester zuweilen noch Scherz mit einmischten.

Der Prediger, der sie schon im Hof unten hatte sprechen hören, kam ihnen an der Thür entgegen, [353] und bewillkommte sie. Er machte Theresen Vorwürfe, daß sie ihn so lange nicht besucht habe. Sie entschuldigte sich mit der Hochzeit ihres Bruders und mit andern Geschäften. Von Siegwart sagte er: Er sey so gewachsen, und habe sich so verändert, daß er ihn beynahe nicht mehr kenne. Kronhelms Mutter erinnerte er sich, recht wohl gekannt zu haben, weil er damals in der Nachbarschaft von ihrem Landgut Pfarrer war. Ich bin oft bey ihr gewesen, sagte er; Es war eine gar trefliche Frau. Damals, Junker, waren Sie noch klein; ich kann mirs wol noch vorstellen, wie Sie in einem grünen Husarenwamms auf dem Steckenpferd herumritten. Nicht wahr, Fritz heissen Sie? – Ja, ja, Sie kamen einmal ins Zimmer, und wollten ein Stück Brod von der Mama haben; es sey ein Bettelbub draussen, der sey hungrig. Das hat mir wohlgefallen an so einem jungen Herrn. Aber von der seligen Frau konnten Sies auch nicht anders lernen; sie war eine grosse Wohlthäterinn der Armuth. Wenn ich in meinem Dorf Kranke hatte, so gieng ich nur zu ihr; da gab sie mir guten Rath, und Hausmittelchen. Ich hab auch manch schönes Buch aus der Medicin von ihr [354] gelesen; und das bischen, was ich von der Arzneykunst weiß, hab ich ihr zu verdanken. Gott weiß, ich hab sie schon oft noch im Grab gesegnet. Es freut mich herzlich, daß ich da so einen frommen wolgerathnen Sohn von ihr sehe. Wie würd' jetzt die gute Frau sich drüber freuen! Sie hatte wenig Freud' auf der Welt; doch jetzt ist sie längst getröstet! – Der Pfarrer ließ Kaffee machen. Indeß kam ein kleines artiges Mädchen von sieben Jahren herein. Das ist meines Bruders Tochter von Burgau, sagte er. Die Knaben konnt' ich nicht zu mir nehmen, die sind mir zu wild, und machen mir zu viel Unordnung im Haus. Aber das ist ein stilles artiges Kind, und lernt auch brav. Es versteht schon viel vom Gartenwesen, und weiß mir recht an die Hand zu gehen. Philippinchen, du kannst nachher der Jungfer drunten im Garten zeigen, was du schon gepflanzt hast, den Kohl, und die Blumen! Sie versteht dir das Gartenwesen recht, und wenn du artig bist, so kann sie dich allerley lehren. Therese nahm Philippinchen auf den Schoos, und ließ sich viel von ihr erzählen. Ihre artige Herablassung gefiel unserm Kronhelm ungemein; und überhaupt ihr natürliches und ehrerbietiges [355] Betragen gegen den Prediger! Nach dem Kaffee giengen sie in den Garten, und bewunderten die schöne Ordnung, die der Prediger drinn erhielt. Da sind noch Nelken und Levkojen, sagte er; da hat sie ein Scherchen, Jungfer Therese, schneid sie welche davon ab! Sie schnitt eine Nelke, und ein paar Levkojenstengel ab, band sie zusammen, und gab sie Kronhelm, dem die Blumen ganz heilig waren, weil er sie von Theresen empfangen hatte; denn seine Seele war schon unsichtbar mit der ihrigen verbunden. Er steckte den Straus an seinen Busen, sah ihn alle Augenblicke an, und roch daran. Im Baumgarten besahen sie die schönen goldnen Früchte, sammelten welche davon auf, und assen sie. Sie blieben bis an den Abend da, und giengen sehr vergnügt nach Haus. Auf dem Wege schmückten sie ihren Traum von der Einsiedeley noch mehr aus, und beschlossen, auch den alten Prediger zuweilen zu sich kommen zu lassen. Sie kamen erst in der Dämmerung nach Hause. Kronhelm führte Theresen. Ein paarmal legte er seine Hand in die ihrige; und unwillkührlich, wie es schien, gaben sie sich einen sanften Händedruck; beyde fühlten dieß im Innersten, sahn sich eine Zeitlang [356] unbeweglich an, und wandten dann das Auge nachdenklich, und halb traurig weg. Therese schien etwas von ihrer natürlichen Munterkeit zu verlieren, und sah oft ernsthaft aus. Die kühle Dämmerung, das Schweigen im Gefild, der blaßgelbe Himmel, und die einschlummernde Natur erfüllte sie mit einer Wehmuth, die sie fast zu Thränen bewegte. Sie schwiegen oft lange still; dann stieg ein Seufzer bebend ihre Brust herauf, sie suchten ihn zu verbergen, husteten, und ihre Hände drückten einander. Sie fühlten, daß sie geliebt würden, oft mit einer überwiegenden Gewißheit; aber sie liessens sich nicht merken, und sprachen nie ein Wort davon. Als sie wieder beym alten Siegwart an gekommen waren, ließ Therese ihre braunen Haare fliegen. Sie gefiel in diesem Aufzug unserm Kronhelm noch so gut; er sagte es ihr; und nun löste sie ihre Haare alle Abend auf. Sie spielte noch denselben Abend lang auf dem Klavier, und sang dazu mit ihrem Bruder. Sie blieben bis um Mitternacht auf, und Kronhelm träumte die ganze Nacht von ihr. Es kam ihm vor, als ob sie ihn traurig ansäh, dann lächelte, und ihm endlich in die Arme sänke. Er weinte vor Zärtlichkeit, und hatte, als er aufwachte, noch nasse Augen. Sie war [357] schon im Zimmer, spielte das Klavier, und sang, um ihn nicht zu wecken, leise eine Arie voll tiefer Rührung. Er lauschte lang, und gieng endlich in das Zimmer. Sie ward roth, und wünschte ihm ganz verwirrt einen guten Morgen. Ihr Auge sah aus, als ob sie geweint hätte, und ihre Miene schmachtete. Xaver gieng herein, und wieder weg, als er beyde so bewegt sah. Denn er hatte die Veränderung, die in ihnen vorgieng, schon gestern gemerkt. Sie setzten sich, und lasen im Messias. Er legte seine Hand in die ihrige. Lesen Sie doch wieder die Stelle von Semida und Cidli! sagte sie; sie ist gar zu rührend, und ich liebe das Wehmüthige so sehr. Er las sie. Therese lehnte ihren Kopf an den Stuhl zurück, und sah zum Himmel. Als er ausgelesen hatte, nahm er eben diese Stellung an, und betrachtete sie seitwärts. Sie weinte, und kehrte zuweilen ihr Gesicht langsam zu ihm hinüber. Das muß ein göttlicher Mann seyn, sagte sie, der die Liebe so wahr und so heilig schildert! Ja wohl, sagte Kronhelm. Indem trat Xaver ins Zimmer. Sie blieben noch eine Zeitlang so sitzen; er gieng ans Klavier, und klimperte. Endlich standen sie auf. Sie gieng hinaus, um den Kaffee zu machen. Du hast eine himmlische Schwester, Siegwart! [358] sagte Kronhelm. Ja, es ist ein liebes Mädchen, antwortete Xaver, und sah seinen Kronhelm lächelnd an. Indem kam der alte Siegwart auch aufs Zimmer, und schlug unsern beyden Freunden vor, ob sie den Nachmittag mit seiner Tochter zu einem benachbarten Amtmann fahren wollten, der sein guter Freund sey? Er wollte gern auch mit fahren, aber seine Geschäfte liessens nicht zu. Sie nahmen den Vorschlag mit Freuden an, und erzählten ihn Theresen, als sie mit dem Kaffee wieder hereinkam. Sie war auch froh darüber, weil des Amtmanns beyde Töchter ihre gute Freundinnen waren, die sie schon seit dem Frühjahr nicht gesehen hatte. Sie machte Anstalt, daß das Essen beyzeiten fertig wurde weil sie etwas früh wegfahren wollten. Aber eine Stunde drauf kam der Hauptmann von Northern mit einem jungen Lieutenant zu Pferdum den Amtmann zu besuchen. Dies war Siegwart und Kronhelm auch lieb, weil sie ihn schon lang gern hätten kennen lernen. Er hatte, wegen seines ungezwungenen Betragens, das Vertrauen der beyden Jünglinge gar bald; Sie gewannen auch das seinige durch ihre Artigkeit und Bescheidenheit. Siegwart bat ihn sogleich, er [359] möchte ihnen das Bildnis von Kleist zeigen! Er und Kronhelm betrachteten es lang mit einer heiligen Ehrfurcht, und glaubten alles drinn zu finden, was sie in seinen Gedichten fanden. Therese setzte sich auch in ihre Gesellschaft, und man sah ihrs an, wie hoch sie den Hauptmann schätze. Der junge Lieutenant that ein bischen süß, und suchte sich sehr bey ihr einzuschmeicheln; sie wich ihm aber aus, und gab wenig auf ihn acht. Kronhelm war nichts weniger, als ruhig dabey, und sah Theresen oft ängstlich an. Hauptmann Northern erzählte, auf Siegwarts Bitte, viel von seinem König und vom Krieg. Siegwart meynte, das Leben eines Officiers im Felde sey das herrlichste. Nur selten, sagte Northern. Denn, stellen Sie sich vor, was ein Mann, der Empfindung hat, überhaupt leiden muß, wenn er das allgemeine Elend so mit ansieht? Wo er hinkommt, ist alles schon verwüstet; oder was noch blüht, wird hinter ihm zur Einöde. Das arme Landvolk hat oft nicht ein Grümchen Brod zu essen, und muß nicht selten, seiner Sicherheit und seines Lebens wegen, Haus und Hof verlassen, und in Wälder sich verkriechen. Wo man hin blickt, sieht man abgehärmte, [360] abgebleichte Gesichter, die der Hunger und der Gram entstellt hat. Ueberall wird man als Feind angesehen und verflucht. Und eigne Noth hat man auch oft genug. Stellen Sie sich einmal vor: Bey Liegnitz hatten wir bey acht Tagen keinen Bissen Brod zu essen; nichts als harten, zwanzigjährigen Zwieback, und Fleisch, das uns, so ganz ohne Zugemüß, bald zum Ekel wurde. Nun mußten wir schlagen. Nach der Schlacht hab ich wol zwanzig todten Kaiserlichen ihre Tornister durchgesucht, ob ich nicht ein Stückchen Brod drinn finde? Aber umsonst; sie hatten selbst keines gehabt. Endlich einen Tag drauf kriegten wir von Breslau Brod. Da hätten sie die Begier sehen sollen, mit der man drüber her fiel! Mancher aß sich fast den Tod drinn. Was ein menschliches Herz auf einem Schlachtfeld fühlen muß, das können Sie sich vorstellen. Hier ein Arm und dort ein Rumpf! Hier ein Sterbender und dort ein schwer Verwundeter! Und dann das Gewinsel und Geheul; und das Flehn um Hülfe, oder gar um Tod! Und wenn man ungefähr auf seinen Freund stöst, der im Blute liegt! O! das Herz möcht einem bersten! Da war bey meinem Regiment ein Hauptmann; mein Vertrautester, [361] dessen Freundschaft alles bey mir überwog. Vor der Schlacht bey Torgau sassen wir zusammen, und giengen die Geschichte unsrer Freundschaft miteinander durch; wo und wie lang wir schon einander haben kennen lernen? Welche Freuden wir gemeinschaftlich genossen, welche Leiden wir gemeinschaftlich getragen haben? Alle Augenblicke stiessen wir auf Handlungen, die von seinem edeln Herzen zeugten, und mir dankbare Thränen aus den Augen lockten. Endlich, als wir beyde recht bewegt waren, gaben wir uns die Hände, umarmten uns, schwuren uns aufs neue Freundschaft, und wünschten, daß wir nur noch lang jedes Schicksal unsers Lebens miteinander theilen möchten! Den Tag drauf war die Schlacht. Nach derselben ritt ich auf der Wahlstatt herum, und fand meines Freundes Kopf, der durch eine Kanonenkugel vom Rumpf weggerissen war. Ich glaubte, das Herz wäre mir durchbohrt, als ichs sah. Als ich drauf ins nächste Städtchen ritt, kam mir seine Frau mit vier Kindern entgegen, fragte nach ihrem Mann, und ich muste der Todesbote seyn. Sie wuste sich nicht mehr zu fassen; verfluchte den Krieg, und mich, und die ganze Welt! So hab ich schon manchen Freund [362] verlohren, und besonders meinen theuren, unvergeßlichen Kleist. Ein Soldat sollte beynahe keinen Freund haben; denn alle Augenblicke steht er in Gefahr, ihn zu verlieren; und ein Leben ohne Freundschaft ist doch traurig. Ich wollte, daß ich einmal in Ruh den Wissenschaften obliegen könnte! Und, wenn ich Ihnen als ein Freund rathen darf, so nehmen Sie keine Kriegsdienste! – Der junge Lieutenant sagte, es sey doch ein lustiges Leben; man könne brav Muth zeigen; ein Officier sey überall, und besonders beym Frauenzimmer wol gelitten, u.s.w. Man gab aber auf sein Reden wenig acht.

Nach dem Essen gieng man im Garten spatzieren. Der junge Officier führte Theresen. Kronhelm, der ziemlich viel Anlage zur Eifersucht hatte, gieng hinter drein; brach jede Blum' ab, an der er vorbey gieng, und zerriß sie. Therese sah sich ein parmal um, und blickte ihn mit einer viel bedeutenden Miene an. Er achtete es aber gar nicht, oder blickte weg. Drauf machte er allerley Spaß, und that lustig, ob es ihm gleich gar nicht Ernst war. Zuweilen ließ er etwas in seine Reden mit einfliessen von seiner Unfähigkeit, sich beym Frauenzimmer beliebt zu machen. Sie[363] merkte es, und machte ihm ein Kompliment, daß er unbillig gegen sich selbst sey. Er lachte aber, und verdrehte ihre Reden. Endlich gieng er mit Siegwart und den Hauptmann Northern gar weg, auf die, an dem Garten stossende Wiese. Er kam wieder; der Lieutenant saß in der Laube, und hatte Theresens Hand in der seinigen. Sie ward roth; dieß brachte ihn noch mehr auf, und er brachte allerley närrisches Zeug vor, ohne daß er auf sie zu achten schien. Sie machte sich endlich vom Officier los; gieng allein einen Gang im Garten hinauf, und sah sich nach Kronhelm um, als ob sie wünschte, daß er ihr folgen möchte. Er blieb aber immer sitzen, und sprach fort. Als sie wieder kam, sagte er: Er wolle auch Soldat werden, und sich todt schiessen lassen! Das thun Sie gewiß nicht, sagte Therese. Warum nicht? Fragte er. Glauben Sie, es fehle mir an Muth? Da kennen Sie mich noch wenig. Zuletzt sprach er gar nichts mehr.

Endlich nahm der Hauptmann Northern mit dem Lieutenant Abschied. Dieser warf Theresen, als er schon auf dem Pferde saß, noch einen Kuß zu. Kronhelm lachte höhnisch drüber, und biß sich in die Lippen. Therese warf ihm [364] einen schmachtenden Blick zu, und gieng weg, um das Abendessen zurecht zu machen. Kronhelm gieng auf sein Zimmer, nahm seine Geige, und phantasirte wild und rasend drauf. Ein paarmal stampfte er auf den Boden, und dann weinte er. Man rief zum Essen; er saß Theresen gegenüber, blickte unter sich, und sprach nichts; bis das Gespräch auf den Lieutenant kam. Es ist ein windiger Mensch, sagte Therese. Kronhelm nahm seine Parthie, und vertheidigte ihn, aber in einem bittern Tone. Der alte Siegwart, der auf ihn bisher nicht acht gegeben hatte, konnte sich in sein Betragen nicht recht finden; aber Xaver sah die Ursache davon bald ein. Therese schwieg endlich ganz still, und war sehr traurig. Nach dem Essen gieng sie zwischen den Blumenbeeten mit ihrem Bruder auf und ab. Kronhelm gieng mit dem alten Siegwart, und sprach vom Hauptmann Northern. Als der Amtmann, wegen der feuchten Abendluft auf sein Zimmer gieng, spatzierte Kronhelm allein. Er kam an Theresen und Xavern vorbey. Sie redete ihn an: Sie scheinen heute unaufgeräumt zu seyn, Herr von Kronhelm!

[365] Kronhelm. Ein Bischen, Jungfer Therese. (Siegwart gieng indessen weg.)

Therese. Haben Sie Ursache dazu? Ich werd Ihnen doch keine Veranlassung gegeben haben?

Kronhelm. Nein!

Therese. Nein? Und doch sehen Sie mich so stürmisch, oder gar nicht an.

Kronhelm. Stürmisch? Sie thun mir Unrecht, Jungfer Siegwart. Sie bilden sichs nur ein.

Therese. Ich glaube nicht, Herr von Kronhelm. Mir dünkt, Sie sind über den Lieutenant unzufrieden.

Kronhelm. Vielleicht! Ich weiß selber nicht!

Therese. Sie Wissens selber nicht? Ach, mein lieber Kronhelm; es schmerzt mich sehr, daß Ich das entgelten soll! Sie werden doch nicht glauben, daß mir die Süssigkeiten des Lieutenants angenehm waren? Da würden Sie mich sehr verkennen! Ich versichere Sie, daß mir der Mensch sehr zuwider ist; daß ich ihn, wer weiß, wie weit? weg gewünscht habe!

[366] Kronhelm. Ist das Ihr Ernst, Jungfer Therese?

Therese. Mein völliger Ernst! Wie könnt ich Ihnen etwas weiß machen, Herr von Kronhelm? Ach Sie wissen nicht – – Ich schätze Sie unter allen Jünglingen, die ich noch gesehen habe, am meisten hoch (Mit diesen Worten sah sie ihn zärtlich, und mit nassen Augen an. Kronhelm ergrif ihre Hand; küßte sie mit Innbrunst; und sagte: Lieber Engel! Es folgte ein langes Schweigen.) Endlich sagte

Kronhelm. Verzeihen Sie! Ich hab Ihnen Unrecht gethan! Ich verdiene Ihre gute Meynung nicht! Nein, bey Gott nicht! (Therese drückte ihm die Hand, und nun drückte er ihrem Mund den ersten, heiligen, keuschen Kuß der Liebe auf.) Nach langem Schweigen sagte

Therese. Sind Sie mir noch böse, Herr von Kronhelm?

Kronhelm. Um Gottes, und der heiligen Jungfrau willen, schweigen Sie! Wie könnt ich das seyn? Ich will nichts, als Verzeihung! Ach, liebe Freundinn, ist das nicht zu viel? Ich bin ein Thor, ein Unmensch gewesen! Ich verdien Ihren Abscheu, Ihre Verachtung!

[367] Therese. Thun Sie sich nicht Unrecht, Herr von Kronhelm? Es ist gut, daß Sie heftig sind. Vergessen Sie nur den fatalen Lieutenant! Er soll mich so leicht nicht wieder führen! Aber, Gott weiß! ich war unschuldig; wenn Sie nur davon überzeugt sind!

Kronhelm. Ganz, ganz! Mein Engel! (Und hier küßte er sie wieder) Ich schäme mich wegen meiner Heftigkeit. Sie waren ja ganz unschuldig. Der Lieutenant bot Ihnen seine Hand an; Sie sahen sich nach mir um! Ich sah alles, und war doch verblendet. Verzeihen Sie mir nur! –

Therese weinte, und Er auch. Sie setzten sich auf eine Rasenbank. Der Mond schien ihnen ins Gesicht. Sie sahen sich oft lang an; schlugen die Augen nieder; seufzten; und lächelten dann einander halb wehmüthig zu. Dann blickten sie zum Mond auf, betrachteten jedes Wölkchen, jeden hellen Stern. Künftig will ich immer an Sie denken, wenn ich den Mond sehe, sagte Kronhelm. – Es ist so traurig, daß man sich verlassen muß, wenn man sich erst recht kennen lernt! Aber, wir sehen uns doch wieder. Hier sah ihn Therese traurig an. Eine Thräne rollte, [368] hell vom Mondschein, über ihre blaßrothe Wange; sie sah wieder nach dem Mond; und indem kam Xaver zwischen den Johannisbeerhecken langsam hergewandelt. Nun, wollt ihr hier über Nacht bleiben? sagte er. – Wo bist denn du umhergeschlichen? Fragte sie. – Ich saß da drunten, antwortete Xaver, auf der Bank am Gartenhäuschen, sah dem Mond zu, wie er mit den Wolken sein Spiel hat, und da dacht ich über unsre Einsiedeley nach; wie es einmal schön seyn wird, wenn wir des Abends da beysammen sitzen, uns über neue Einrichtungen besprechen, und uns glücklich schätzen, daß wir uns von der Welt losgewunden haben. Man mag sagen, was man will, das Klosterleben und die Einsamkeit hat doch immer den meisten Reiz für ein edles, empfindungsvolles Herz! Wenn wir nur erst in unserm Wäldchen wären!

Therese lächelte zu Kronhelm, und wollte jetzt die angenehmen Träume ihres Bruders nicht zernichten. Sie reichte Kronhelm die Hand, und stand auf. Indem fuhr eine Sternschnuppe vor ihnen am Horizont hinab, so hell, als sie noch nie keine gesehen hatten. Sie sahen sich erst erschrocken [369] an, und freuten sich denn drüber. Daran wollen wir unser Lebelang denken, sagte Therese. Das war herrlich! Man hörte sie ordentlich zischen, und sah noch die Funken hinter drein! – Sie gieng in ihrem weissen Gewand, und mit aufgelösten Haaren – Kronhelm hatte sie auf der Rasenbank unvermerkt aufgelöst – durch den langen Gang hinunter. Ihr weisses Kleid schimmerte, und tausend Schatten von dem Laub der Hecke hüpften drauf herum. Kronhelm war zufrieden, wie ein Gott; denn er fühlte nun das Glück zum erstenmal ganz: Geliebt zu seyn. Siegwart nahm seine Schwester auch bey der Hand, und fühlte in seinem Herzen eine nie empfundne Sehnsucht, die er sich nicht erklären konnte. Ein paarmal hub ein unwillkührlicher Seufzer seine Brust; es war ihm wohl, und weh. Sie giengen endlich, weil es schon um zwölf Uhr war, auf ihre Kammer. Therese saß noch allein, und ohne Licht auf dem Zimmer, und spielte ein paar zärtliche Arien auf dem Klavier. Kronhelm, der schon im Bette lag, glaubte die Musik der Engel zu hören, und schlief erst spät ein.

Den andern Morgen waren Kronhelm, Therese, und ihr Bruder von Karl und seiner [370] Frau zum Kaffee gebeten. Sie hatten da wenig Vergnügen, weil sie sehr gezwungen waren. Karls Frau schien Kronhelms Zuneigung zu Theresen zu merken, und sehr neidisch drüber zu seyn. Das arme Mädchen mußte viel Spöttereyen und beissende Anmerkungen hören. Sie wuste nicht, wie sie sich dabey betragen sollte? und ward oft roth. Ihre Schwägerinn erzälte recht mit Vorsatz die Geschichte einer unglücklichen Heyrath zwischen einem Edelmann, und einem bürgerlichen Mädchen; und schloß damit, indem sie Theresen ins Gesicht sah: So sollts all denen Mädchen gehen, die sich über ihren Stand und andre ihres gleichen erheben wollen! Da heists recht: Hochmuth kommt vor dem Fall. Man muß nicht fliegen wollen, wenn man keine Federn dazu hat, u.s.w. Kronhelm wurde böse drüber, und stand um zehn Uhr wieder auf. Sie werden wohl Geschäfte haben, Jungfer Siegwart, sagte er; wenn wir um zwölf Uhr zu dem Amtmann in Belldorf fahren wollen, so müssen wir uns jetzt empfehlen, denn ich hab auch noch was zu arbeiten. Darüber ward Karls Frau noch mehr aufgebracht, und schäumte fast vor Wuth. Als die jungen Leute Abschied genommen hatten, ließ [371] sie's ihren Mann entgelten, und fieng einen grossen Lerm im Haus an. Aus deiner Schwester wird was schönes werden! sagte sie. Das Mädel thut so stolz, als ob sie schon eine gnädige Frau wäre, und ihren kahlen Junker schon hätte. Ja! sie mag sichs nur einbilden! Der Junker wird sie prellen, wie's die Leute immer machen. Es ist eine Schande, daß ihn dein Vater so einsetzt! Aber heut will ich ihms sagen, und ihn gutmeynend warnen, daß er auf sein Mädel acht gibt, und ihr die Träumereyen aus dem Kopf bringt! Karl schien weniger böse gegen seine Schwester zu seyn; denn er dachte: wenn sie einen reichen Junker kriegt, so wird sie von ihrem väterlichen Vermögen nichts haben wollen. Er hielt also ihre Partie, und ließ sich von seiner Frau brav ausschelten. Nach Tisch fuhren die jungen Leute zum Amtmann in Belldorf. Karls Frau war der Gegenstand ihres Gesprächs; sie bedaurten ihren Mann, und sie selbst, indem sie ihres Lebens und Vermögens gar nicht froh ward; denn der Geiz machte ihr jeden Bissen, den sie, oder andere genossen, bitter. In Belldorf, sagte Therese zu Kronhelm, werden Sie auch eine sonderbare Frau von einer andern Gattung antreffen. [372] – Jesus! Maria! rief sie, indem der Wagen eine Anhöhe hinabrasselte, und umsank. Kronhelm, der zu oberst lag, arbeitete sich den Augenblick heraus; machte den Schlag auf, und zog Theresen heraus, die so blaß aussah, wie der Tod. Um Gottes willen! helfen sie doch meinem Bruder! rief sie. Er lag halb unter dem Wagen, denn er war, im Sinken, aus dem Schlag gefallen. Kronhelm hob, mit Hülfe des Kutschers, den Wagen auf, und Siegwart kroch hervor. Da keines durch den Fall Schaden gelitten hatte, so fiengen sie endlich an, über den Zufall, und über die lächerlichen Stellungen, und Grimassen, die sie gemacht hatten, zu lachen. Doch ward Therese ängstlich, so oft der Wagen auf die Seite hieng, und hielt sich fest an Kronhelm.


Während daß sie auf dem Weg sich lustig machten, und scherzten, gieng Karls Frau zum alten Siegwart, um das Glück der Liebenden zu untergraben. Der alte Mann, der seine Tochter herzlich liebte, und auch dem jungen Kronhelm sehr gut war, erschrack über die Entdeckung, und über die Gefahr, die ihm, sehr vergrössert, vorgemalt [373] wurde. Er hatte die veste Meynung von seiner Tochter, und sagte, sie werde gewiß keinen Schritt wagen, der ihrer Unschuld nachtheilig sey. – Aber ihrer Ruhe, sagte seine schlaue Schwiegertochter. Ich wollte selbst auf ihre Tugend alles bauen; aber das ist bey uns Frauenzimmern noch nicht genug. Wir müssen auch behutsam und vorsichtig mit den Mannspersonen umgehen; und unser Herz, auch in der besten Absicht, nicht so aufs Gerathewohl verschenken! Sie wissen wie's mit Edelleuten ist; und den Junker Veit kenn ich von aussen und von innen. Er hält auf seinen Adel, wie auf seine Jagdhunde; und, sobald er das geringste von erfährt, ist kein Mensch, weder sein Sohn, noch ihre Tochter, noch Sie selbst ihres Lebens sicher. Ich weiß, er hat seinem Sohn schon ein Fräulein ausersehen, und die muß er nehmen, es mag kosten, was es will. Denken Sie, was dann aus Ihrer Tochter werden wird? Soll sie seine Maitresse werden? Oder was sonst? Wenn ich Ihnen wohlmeynend rathen darf, so warnen Sie Ihre Tochter! brauchen Sie Ihr väterliches Ansehen, und untersagen Sie ihr ihren Umgang mit dem Junker! Es kann dem armen Mädchen [374] einst bey einer andern Heyrath hinderlich seyn. Denn was wird die Welt sagen, wenn man sie so vertraut miteinander umgehen sieht? – Dem alten ehrlichen Siegwart gieng das in der Seele nah. Es klärte sich ihm vieles in dem Betragen seiner Tochter gegen Kronhelm auf. Er hatte keine Ruhe. Er dachte hin und her, wie er seine Tochter retten möchte, ohne doch dem jungen Kronhelm, gegen den er in der That nichts hatte, zu viel zu thun. Er beschloß endlich, bey der ersten schicklichen Gelegenheit, mit seinem Sohn und seiner Tochter ernstlich drüber zu reden.


Kronhelm, Xaver, und Therese kamen indessen bey dem Amtmann in Belldorf an. Der Amtmann, seine Frau, und seine zwey Töchter kamen augenblicklich an die Kutsche, und hoben sie aus dem Schlag heraus. Sie wurden mit vielen Cärimonien bewillkommt, und die Treppen hinauf geführt. Die Amtmänninn machte tausend Entschuldigungen, daß sie so schlecht gekleidet sey, und daß im Zimmer alles so unordentlich aussehe. Sie war aber in der That mehr prächtig, als nachlässig gekleidet; und im Zimmer war [375] alles ordentlich. Ich sag dirs tausendmal, Mann! sagte sie, daß du alles so herumfahren lässest, und dich nie an keine Ordnung gewöhnst! Wenn man dann einmal so vornehme Gäste bekommt, wie wir heut die Ehre haben, (hier verneigte sie sich sehr tief) da muß man ja mit Schimpf und Schande bestehen! Nehmen Sies doch nicht übel! Was werden Sie zu Hause sagen, daß ich so ein unordentliches Weib sey? Man glaubt ja, man komm in eine Baurenstube! – Indeß räumte der Amtmann stillschweigend auf. Sie redete ihm immer ein, und sagte: Das gehört dahin, und das dorthin u.s.w. Sie beurlaubte sich auf einige Augenblicke. Therese besprach sich indeß mit ihren Töchtern. Der Amtmann sprach, wiewohl ängstlich, indem er immer dazwischen seine Schriften aufräumte, mit Kronhelm und mit Siegwart. Endlich, als er fertig zu seyn glaubte, setzte er sich zu ihnen, und fieng ein sehr vernünftiges Gespräch an. Allein seine Frau kam im grösten Staat, mit einem hohen Kopfputz und einem Reifrock herein, und machte eine tiefe Verbeugung. Um Gottes Willen, Mann, sagte sie, was ist das? Du setzst dich in deinem abgeschabten Rock zu den Herren hin? Sollte man nicht [376] glauben, du habest sonst kein anders Kleid? Den Augenblick! – Der Mann lief stillschweigend weg, um sich umzukleiden. Nach vielen Komplimenten setzte sie sich nieder, spielte mit dem Fächer, und gab ihren Töchtern einen Wink, sich zu entfernen, und sich umzukleiden. Als sie Kronhelms Namen hörte, und daß er von Adel sey, stand sie wieder auf; fieng von neuem ihre Komplimente an; und schätzte sich doppelt glücklich, einen Kavalier in ihrem Haus zu haben. Nur bedaurte sie aufs neu, daß er alles so in Unordnung angetroffen habe. Es ist ein trauriges Leben auf dem Lande! sagte sie. Man mag auch noch so sehr auf Nettigkeit und Ordnung sehen, man kanns doch nie ganz erhalten; es kommt einem hundertley dazwischen; wenns auch nur die Fliegen wären, die sich haufenweis auf alles hinsetzen, und es beschmutzen. Da ists in meinem lieben Augspurg ganz anders; da ist alles so reinlich, und so nett; da glänzt alles; kein Stäubchen darf man im Zimmer sehn; und Fliegen sieht man auch beynahe gar nicht. Ich kanns meinem Papa und meiner Mama noch nicht vergeben, daß sie mich aufs Land verheyrathet haben! Man ist von allem abgesondert und [377] abgeschnitten; Man vergißt den guten Ton ganz, und erfährt die neuen Moden immer vierzehn Tage später. Zwar ich erfahr sie immer gleich, weil ich alle Wochen mit meiner Mama korrespondire. Z.E. Sehn Sie, Mademoiselle, dieser Zitz ist jetzt die neueste Facon in Augspurg; Schüle hat diese Art zu drucken erst erfunden. Sehn Sie nur, wie er glänzt! Und wie die Farben hell sind! Theuer ist er, das ist wahr, und kostet mich ein schön Stück Geld! Aber ich will lieber was rechtes und was gründliches haben; dadurch kann man sich noch allein vom gemeinen Volk unterscheiden. Der Pöbel treibts jetzt ohnedieß so weit, daß man nichts mehr kostbar genug machen kann. Alles äfft er nach! – Der Amtmann kam wieder in einem grünen Kleid in schwarzwollenen Strümpfen, und einer gelblichten runden Perücke. – Ums Himmels willen, Mann, was treibst du nun wieder? Das nenn ich mir einen Streich! Das braune Kleid ziehst du aus, und das grüne, das um keinen Heller besser ist, ziehst du an? Hast du denn nicht dein blaues Ehrenkleid, mit den goldnen Trotteln, und der rothen Weste und Beinkleidern, das du an unsrer Hochzeit trugest? Und nicht einmal seidne Strümpfe? Ja, ihr seyd Leute! Da[378] hängt draussen deine Allongeperuque, frisch akkommodirt, und du setzst die Buchsbäumene auf! Mit dir kann man Ehr einlegen! – Nun ists schon zu spät; nun bleib nur da! Man hat jetzt deine Unbehülflichkeit schon gesehen. Verzeihen Sies ihm nur, Herr von Kronhelm! Er hat sein ganzes Leben fast auf dem Land zugebracht; und da gehts nicht anders. Ja, in Augspurg, da wollt ich dich anders ziehen! In einem solchen Aufzug dürftest du dich ja in keiner honetten Gesellschaft sehen lassen. Komm doch her! Was hast du da wieder allerley an dir hangen? Heu und Stroh! Man sieht doch gleich, womit einer umgeht. – Nun muste sich der Amtmann vor ihr hinstellen, wie ein Kind; sie suchte sein ganzes Kleid durch, klaubte alle Fäserchen ab; legte die Falten zurecht und sagte endlich: so, nun kannst du gehen. Er küßte ihr zum Dank die Hand; denn er war noch in sie verliebt, wie an seinem Hochzeitstage. – Die Töchter kamen endlich auch wieder, hübschgekleidet, und machten ihr Kompliment. So, nun seht ihr doch erträglich aus, sagte die Mutter; aber ich möcht doch wissen, was du gedacht hast, Henriette, daß du eine Dormeuse aufsetzst? Hast du nicht erst neulich eine so schöne Carcasse von [379] Augspurg bekommen, und setzst jetzt das altmodige Ding auf! Das übrige gieng auf dem Lande schon noch so mit. In Augspurg müsts freylich auch anders seyn. – Kommt denn der Kaffee noch nicht, Jeannette? Sieh doch nach! – Der Kaffee ward in einer silbernen Kanne aufgetragen. – Wieder ein dummer Streich! fieng sie an. Warum denn die kleine Kanne, da wir doch die grosse haben, die mit der getriebnen Arbeit, und dem vergoldeten Bild oben? Wenn ich nicht nach der Haushaltung sehe, so schiest ihr lauter Böcke! Das ist ja, wie eine Milchkanne! – Sie gieng selbst hinaus, um die größere Kanne zu holen. Indeß fragte der Amtmann unsern Kronhelm und Siegwart, ob sie nicht Taback rauchen? Und als sie ja sagten, stopfte er ihnen ein paar lange Pfeifen. Seine Frau kam wieder. Bist du gar toll, Mann? rief sie. Willst du ganz zum Bauren werden? Um des Himmels willen! Das hab ich doch mein Lebtag nicht gehört, in einer solchen Gesellschaft Taback rauchen! Es ist ja, als ob du deine fünf Sinnen verloren höttest! Schäm dich doch in deine Seel' hinein, solche Sottisen zu machen! Den Augenblick pack dich mit deinem Kram zum Henker! [380] Der Amtmann ließ sie austoben, nahm seine Pfeifen zusammen, und sagte ganz kaltblütig: Die Herren haben ja rauchen wollen. – Was? Die Herren? Und hier ward sie ganz roth; Ja das ist was anders! Ja, wenns die Herren haben wollen! ... Ich bitte tausendmal um Vergebung! Mein Mann ist schuld daran, daß er mir das nicht eher gesagt hat! Ich muß mich recht schämen! Da steht er da, wie ein Peruckenstock, und spricht kein Wort! Henriette bring den Augenblick den silbernen Leuchter mit dem Wachslicht herein! – Aber, da wirst du wieder so elenden Taback haben; ich hab dirs schon hundertmal gesagt, daß du Knaster ins Haus schaffen sollst! – Nun ward Kaffee getrunken. Therese unterhielt sich ganz allein mit den beyden Mädchen, und schien auf Kronhelm nicht im geringsten zu achten. Sie lachten sehr viel, und flüsterten sich ins Ohr. Kronhelm ward traurig, und halb böse, und unterhielt sich mit dem Amtmann, mit seiner Frau, und Siegwart. Ein Knabe von sieben oder acht Jahren, der ziemlich zoticht aussah, kam ins Zimmer, rief Mama! und wollte auf die Amtmänninn zu laufen. Sie sprang hastig auf, und rief: Den Augenblick pack [381] dich, Andrees! Wer wird sich so vor den Herrschaften sehen lassen? Hurtig! Hurtig! Und nun gieng sie mit ihm aus dem Zimmer. Therese scherzte und kicherte noch immer mit den Mädchen fort, ohne sich um Kronhelm, oder die übrige Gesellschaft zu bekümmern. Dieß that ihm ziemlich weh. Der Amtmann zeigte in seinen Gesprächen viel Verstand, und Kronhelm bedaurte ihn mit Siegwart, daß er so unter dem Pantoffel einer thörichten Frau stand.

Nach einer halben Stunde kam die Dame wieder mit dem Knaben an der Hand, der nun frisirt war, einen Haarbeutel, und ein hübsches Kleid trug. Er muste erst Kronhelm, denn Theresen, und ihrem Bruder die Hand küssen, und sich auf Befehl der Amtmänninn fast zur Erde bücken. Nach dem Kaffee ward Wein aufgetragen. Sie machte wieder tausend Entschuldigungen, daß sie mit keinem bessern, als mit Nekkarwein aufwarten könne. Auf dem Land sey es gar zu schlimm; Sie habe kürzlich noch Burgunder gehabt, und jetzt sey er, zum Unglück, eben ausgegangen, u.s.w. Nun trank sie mit vielen Cärimonien Gesundheiten, und machte immer noch einmal ein Kompliment, wenn sie das Glas absetzte. [382] Sie besann sich recht drauf, viele Gesundheiten auszubringen, und die jungen Leute mit zu quälen. Da ward aufs hohe Wohl des gnädigen Herrn Papa; aufs hohe Wohl der gnädigen Fräulein Schwester; aufs hohe Wohl der ganzen hochadelichen Familie; dann aufs erwünschte Wohl des Herrn Amtmanns Siegwart, seiner beeden Herren Sohne, und seiner hochgeehrten Frau Schwiegertochter getrunken; dann wieder auf das beständige Wohlergehen der hochansehnlichen Gesellschaft; Kurz es wurde des Gesundheittrinkens und des Bückens kein Ende; Selbst der siebenjährige Knabe muste rings herum Gesundheit trinken, und ward dabey so angst, daß er fast das Glas fallen ließ. Das Nöthigen zum Trinken wollte auch kein Ende nehmen, so daß Kronhelm endlich einen Spatziergang im Garten vorschlug. Die Amtmänninn wollte Anfangs nicht recht dran, weil es jetzt im Garten gar zu unordentlich aussehe; sie suchte es so lange zu verzögern, als möglich, weil sie heimlich Befehl gegeben hatte, daß man die Taxusbäume erst beschneiden sollte. Endlich, als sie die jungen Leute nicht mehr aufhalten konnte, gieng man hinunter. Kronhelm muste sie aus Höflichkeit am [383] Arm führen. Sie zierte sich erst lange, weil sie glaubte, es sey wider die Lebensart, einen Edelmann zu bemühen. Siegwart führte ihre beyden Töchter, und der Amtmann Theresen. Bey der Gartenthüre sperrte sie sich lang, voranzugehen, und doch konnte sie wegen ihres Reifrocks, nicht zugleich mit Kronhelm hineingehn. Sie sah ängstlich nach den Taxusbäumen, die noch nicht gänzlich beschnitten waren. Hinter ein paar standen Kerls, und hielten sich versteckt; und sobald die Gesellschaft den Gang hinunter war, so fiengen sie wieder an, mit der Scheere zu beschneiden, bis sie fertig waren. Drauf kamen zween Baurenkerls in Livree; brachten Sessel; setzten sie, auf Befehl der Amtmänninn in der Terasse nieder, und brachten dann auch einen Tisch und Wein. Kronhelm konnte sich des Lachens kaum enthalten; er muste sie immer führen, und doch war es ihm kaum möglich, sie, mit ihrem weiten Reifrock, durch die engen Heckengänge durchzubringen. Sie erzälte ihm sehr viel von Augspurg, von ihrer Jugend, und von ihren Eroberungen. Zuweilen sah sie sich sehr ängstlich nach ihrem Mann um, der Theresen führte. Anfangs wuste Kronhelm nicht, was dieß zu bedeuten [384] hätte? Endlich merkte er, daß sie eifersüchtig sey, und sie gab es auch nicht undeutlich zu verstehen. Zulezt ward sie so besorgt, daß sie ihren Mann herbeyrief, unter dem Vorwand, er möchte doch die Herrschaft mit Wein bedienen! Therese gieng nun wieder mit den Mädchen, und machte sich mit ihnen sehr lustig, indem sie Birn' aufsammelten. Kronhelm ward über ihr leichtsinnig scheinendes Betragen gegen ihn sehr empfindlich, und immer stiller und nachdenklicher.

Nun wurde Obst und kalte Schaale vorgesetzt, und das Gesundheittrinken gieng von neuem an. Hinter den Hecken stunden vier Bauren mit zwo Posaunen und zwo Zinken, die eine Art von Tafelmusik machten; und wenn eine hohe Gesundheit ausgebracht wurde, so musten sie, auf den Wink der Amtmänninn Dusch machen. Sie bedaurte nur, daß die Musik nicht besser sey. Vor drey Wochen, sagte sie, haben sich vier Prager Studenten im Dorf aufgehalten, die ganze Leute gewesen seyen. Sie wollte viel geben, wenn sie jetzt noch da wären! Der Amtmann ward endlich vom Wein etwas lustig, und sprach mit Kronhelm und Siegwart ziemlich vertraut. [385] Sie winkte ihm wol hundertmal zu, und zupfte ihn beym Rock, daß er doch ja nicht die schuldige Hochachtung aus den Augen setzen möchte! Endlich nahmen unsre jungen Leute Abschied; sie empfahl sich ihrem gnädigen und gütigen Andenken tausendmal, und bat aufs inständigste, sie möchten ihr doch noch einmal die hohe Ehre ihres Besuches gönnen, und es ihr vorher zu wissen thun, damit sie solche vornehme Gäste nach Standesgebühr empfangen könnte! Auf ihren Wink giengen die vier Bauren mit ihren Blasinstrumenten hinter drein, und machten, indem die Gäste in den Wagen stiegen, und abfuhren, eine so schmetternde Musik, daß das halbe Dorf zusammenlief. Therese, die die Gewohnheit der Amtmänninn wuste, legte sich in den Schlag, und machte wenigstens noch sechsmal eine Verbeugung, denn die Amtmänninn gieng nicht eher von der Hausthüre weg, als bis sie die Kutsche, die durchs ganze lange Dorf hinfuhr, nicht mehr sehen konnte. Als sie schon vor dem Dorfe draussen fuhren, hörten sie noch das liebliche Getön der Zinken und Posaunen. Kronhelm sah ganz ernsthaft aus, und sprach nichts. Therese sagte: und Sie sind so still, und kommen eben erst aus einer so [386] lustigen Gesellschaft? Mein aufgeräumtes Wesen muß Ihnen heut recht sonderbar vorgekommen seyn? Aber ich nahms mit Fleiß an. Die Amtmänninn ist eine Erzplaudertasche, und gibt auf alles Acht. Hätt ich viel mit Ihnen gesprochen, so würde sie, weiß nicht was? daraus gefolgert, und die lächerlichsten Dinge ausgesprengt haben. Daher gab ich mich fast blos mit ihren Töchtern ab. Die Mädchen lachen in Einem fort, wenn man bey ihnen ist, und da muß man eben mit machen! Mein Sprüchlein ist: Frölich bey den Frölichen, und traurig bey den Traurigen! Ich kanns den armen Mädchen auch nicht übel nehmen, wenn sie einmal ausgelassen lustig sind; denn heut haben sie wieder für einen ganzen Monat gelacht; Wenn sie bey ihrer abgeschmackten Mutter allein sind, da geht alles so ernsthaft und gravitätisch zu, und keine Mine darf verzogen werden! – Kronhelm war mit dieser zuvorkommenden Entschuldigung sehr zufrieden, und ward auf einmal wieder munter. Sie machten sich nun über die lächerliche Amtmänninn lustig, und parodierten sie. – Und wer meynen Sie wol, sagte Therese, daß sie von Stand und Herkommen sey? Nichts mehr und nichts weniger, als eine arme Goldarbeiterstochter aus Augspurg, in die sich [387] der Amtmann, als er sie bey ihrer Verwandtinn auf dem Lande sah, verliebt hat. Der arme Mann ist sonst so gut und so vernünftig; aber daß er diese Frau geheyrathet hat, das kann ich ihm nicht vergeben. Sie hält ihn nur wie einen Bedienten im Haus, und doch betet er die Närrinn an. – Aber, wie wärs, sagte Kronhelm, wenn wir sie in unsre Einsiedeley mit aufnähmen, und zur Cärimonienmeisterinn machten? – Ja, die Thörinn brauchten wir! sagte Siegwart ganz hitzig, die würd uns alles Angenehme der Einsamkeit verbittern! – Nun, Nun, antwortete Kronhelm, du nimmst auch alles gleich im Ernst! Aber, weist du, was wir thun wollen, Xaver? Dem alten Grünbach wollen wir sie geben! Der ist auch so ehrenvest und stattlich; so wird doch der arme Amtmann von seinem Hausübel erlöst, und die Grünbachinn auch. Das magst du meinetwegen thun! sagte Xaver; nur unsre Einsiedeley soll sie nicht entheiligen! Nun muste Kronhelm Theresen vom alten Grünbach erzählen; er kam auch auf seine Tochter Sophie zu sprechen, und sagte halb im Scherz, sie sey in Xavern verliebt; die ser ward aber drüber böse, denn er wollte schlechterdings von keinem Mädchen nichts hören. Sie kamen endlich wieder [388] sehr vergnügt beym alten Siegwart an. Beym Essen erzählten sie mit vielem Lachen die Bedienung und den feyerlichen Empfang bey der Amtmänninn, und glaubten, dem alten Siegwart ein Vergnügen dadurch zu machen. Er sah aber immer sehr ernsthaft, oft sehr traurig aus; und blickte seine Therese oft sehr mitleidig an. Sie merkte es, und ward auch sehr tiefsinnig drüber. Sie dachte ängstlich hin und her, und konnte doch nichts ausfindig machen, womit sie ihrem Vater könnte Anlaß gegeben haben, unzufrieden über sie zu werden. Nach Tische gieng sie einigemal mit Kronhelm traurig im Garten auf und nieder; entdeckte ihm ihre Besorgnis wegen des Tiefsinns ihres Vaters, und sagte endlich, sie könne nicht ruhen, bis sie die Ursache davon erfahre.

Sie trennte sich auch diesmal bald von Kronhelm, und gieng unter dem Vorwand, ein Buch zu holen, auf das Zimmer ihres Vaters. Es war ihm lieb, daß sie selber kam. Wo ist Xaver? sagte er. Sie antwortete: Er werde wol beym Herrn von Kronhelm seyn. Willst du ihn nicht rufen, meine Tochter? Ich hätte was mit ihm und dir zu reden. Sie kam gleich wieder mit ihrem Bruder, und der Vater fieng, [389] nach einigen gleichgültigen Reden, mit schwerem Herzen und gerührter Stimme also an: Es ist mir heute was entdeckt worden, meine liebe Tochter, was mir deinetwegen viele Sorge macht. Ich hoffe, du werdest offenherzig mit mir, als mit deinem Vater, der zugleich dein Freund ist, reden. Nicht wahr, mein Kind?

Therese sagte zitternd, und schon halbweinend: Ja.

Siegwart. Sieh, man hat mir gesagt, du findest an dem jungen Herrn von Kronhelm ein besonderes Wohlgefallen. Ists so?

Therese. Ich kanns nicht leugnen, er gefällt mir recht wohl; und ich denke, daß es Ihnen nicht zuwider ist, Papa.

Siegwart. Das nicht, mein Kind! Aber ich fürchte nur, daß die Sache weiter kommen möchte. Du weist schon, beym Wohlgefallen bleibts bey jungen Leuten nicht stehen. Liebst du ihn, mein Kind?

Therese. Verzeihen Sie, Papa?.. Ich weiß nicht!.. Ob ich ihn liebe, meynen Sie? Ja, das läßt sich so nicht sagen – – Ich habe selbst noch nicht dran gedacht – – Es kann seyn; Ich weiß warlich selbst nicht.

[390] Siegwart. Gut, gut, mein Kind! Sey nur ruhig! Ich will kein Geständnis herauszwingen. Mich deucht, ich weiß schon genug, und die Vermuthung scheint mir ziemlich richtig.

Therese. Aber, um Gottes willen, Papa, Sie werden ja nichts unerlaubtes muthmassen? Bey der Mutter Gottes und bey allen Heiligen, auf meinen Knien kann ichs Ihnen schwören, daß mein Herz rein, ganz rein ist! daß kein unheiliger, kein unerlaubter Gedanke je in diese Brust kam! Die Engel könnens zeugen, die zugegen waren, wenn ich mit ihm allein war! Lieber wollt ich sterben. –

Xaver. Ja, ich kanns auch bezeugen, Papa!

Siegwart. Still, still, meine Kinder! Wozu die Betheurungen? Wie könnte mir so ein Gedank einfallen, meine Tochter? Ich kenne deine Unschuld. Aber die Frage ist von ganz was anders, und betrift deine Ruhe, die mir so unaussprechlich nah am Herzen liegt. (Hier nahm er Theresen bey der Hand) Bedenk, mein Kind, wenn du den Herrn von Kronhelm liebst, in welche unabsehliche Schwierigkeiten du dich verwirkelst? Ich habe nichts gegen ihn, Gott weiß es![391] Er ist mir ein lieber junger Mensch; und wenn er deines Standes wäre, so wollt ich heut noch eure Hände ineinander legen, und euch segnen! Aber, denk einmal! Er ist ein Edelmann, von einer guten, alten Familie. Du weist, wie die Edelleute sind. Wenn auch Er gleich anders denkt, das hilft wenig! Sein Vater, oder seine Anverwandten können wunderlich seyn. Sie würdens nie zugeben, wenn er dich auch noch so sehr liebte. Und wie leicht kann man ihn durch Zureden wieder auf andre Gedanken bringen! Der Mensch ist veränderlich –

Xaver. Nein, Papa! Das ist Kronhelm gewiß nicht! Da kann ich für ihn stehen! Was er einmal beschlossen hat –

Siegwart. Das ist schon gut! Aber du kennst die Menschen noch nicht genug. Und, wie gesagt, auf ihn kömmts ja nicht an; er ist nicht sein eigner Herr; und würde sich dadurch selbst ins tiefste Elend stürzen.

Therese. Nein, das will ich nicht! Bey Gott, nicht! Keinen Menschen! Ihn am wenigsten! Lieber selbst ins Elend! Lieber tausendmal ins Elend!

[392] Siegwart. Du bist viel zu heftig, meine Tochter! Zu dem, was ich dir noch sagen will, gehört Ueberlegung. Jetzt kann alles noch geschehen, jetzt ists eben noch Zeit. Prüf dich, ob du ohne ihn leben, dich von ihm auf einmal losreissen kannst? – Du weinst, Therese? – Gutes Kind! Du daurst mich! Es muß weit mit euch gekommen seyn. Habt ihr einander schon von Liebe vorgesagt?

Therese. Noch kein Wort, Papa! Ich sagt' ihm nur, daß ich ihn hochschätze, und er sagt' es auch –

Siegwart. Ist eben so viel! – Kinder, Kinder! Ich fürcht, Eure Herzen hangen schon sehr fest aneinander, und werden bluten müssen! Glaub mir, Therese! ich liebe dich von Herzen! Wünschte dich im Herzen glücklich, wie mich selber! Und wenn du's mit Kronhelm werden könntest, das wär mir das liebste auf der Welt! Aber, Aber! Ich sehe viel Kampf voraus!

Xaver. Erlauben Sie, Papa! Wenn Kronhelm meine Schwester würklich lieb hat, so kanns nicht fehlen! Er macht sie gewiß glücklich! O, ich kenn ihn, und weiß, was er zu thun im Stand ist! So gibts wenig Menschen!

[393] Siegwart. Du kommst immer wieder aufs Alte, Xaver! Wenns auf Ihn ankommt – Ich sag dir aber, da kommts nicht auf ihn an. Er ist noch ein junger Mensch! Sein Vater lebt noch!

Xaver. Aber er gibt nicht nach. Er ist standhaft, und hat Grundsätze!

Siegwart. Grundsätze hin, Grundsätze her! Der Adel hat auch seine Grundsätze! – Ich kann weiter nichts thun, Therese, als dich väterlich und herzlich warnen, um deiner Ruhe willen recht auf deiner Hut zu seyn; und dein Herz so unabhängig zu machen, als möglich! Ich will dir den Umgang mit Kronhelm nicht verbieten, das wär hart, und grausam, und würd eure Liebe nur mehr anflammen; aber, wenn Gründe, und mein Bitten, und die Liebe zu deiner eignen Glückseligkeit etwas über dich vermögen, so such dein Herz wieder zu heilen, und deine Liebe in Freundschaft zu verwandeln. Ich weiß, daß dichs viel kosten wird! Aber lieber jetzt, als dann erst, wenn alles schon zu spät ist. Ueberlegs selber, welchen Gefahren du entgegen giengest, und ob meine Warnung nicht väterlich und gut gemeynt ist?

[394] Therese. Ja Papa! Ich seh es ein, und dank Ihnen (sie küßte ihm die Hand) und will thun, was ich kann!

Siegwart. Nur behutsam! Du must ihn nicht beleidigen! Das hat er um uns nicht verdient! Xaver kann bey Gelegenheit mit ihm davon reden; aber jetzt noch nicht! – Sieh nur, daß du nicht viel mit ihm allein bist! Denk nicht ans Gegenwärtige! Das ist angenehm; Sondern an die Zukunft! Die ist traurig für dich und ihn, wenn ihr nicht gleich jetzt lieber leidet. – Es ist traurig genug, daß es solche Verhältnisse in der Welt gibt! Sonst könntet ihr sehr glücklich seyn! – Ich werde dir nie in dieser Sache etwas vorschreiben, oder dir einen Mann aufdringen; da bewahre mich Gott vor! Ein rechtschaffener Vater kann nichte, als die Neigung seiner Kinder lenken, aber ohne Zwang. Nur, wenn er sie einem Abgrund entgegen eilen sieht, dann wird ihms kein Mensch übel nehmen, daß er seine Kinder zurückhält! – Ich verlasse mich auf deine Klugheit, meine Tochter! Gott stärcke dich, und heile dein verwundetes Herz! – Mit diesen Worten fieng er selber an, zu weinen. Therese schluchzte laut, und küßte ihm die Hand. Xaver [395] zog auch sein Schnupftuch heraus, und wischte sich die Augen.

Therese gieng auf ihre Kammer, schüttete ihr Leid in Thränen aus, und konnte die halbe Nacht nicht schlafen. Nun fühlte sie erst, wie nah Kronhelm ihr am Herzen liege, und was sie mit ihm verlieren würde? Sie beschloß hundertmal, sein Bild aus ihrem Herzen zu verbannen; nicht mehr mit Zärtlichkeit an ihn zu denken; ihm kalt zu begegnen; und so viel, als möglich zu vermeiden, allein mit ihm umzugehen. Aber dann stellte sie sich den lieben Jüngling wieder vor, wie er mit der sanften Mine, und dem schmachtenden Auge vor ihr da stand; sie mit Unschuld und Wehmuth ansah, als ob er fragte: Therese, womit hab ich dieß verschuldet? Dann brach ihr Herz; ihre Thränen flossen häufiger, und sie sahs für Grausamkeit und Meineyd an, ihm so unbarmherzig zu begegnen. Dann beschloß sie wieder, ihm getreu zu bleiben, wenns auch ihre Ruhe und ihr Leben kosten sollte! – Aber ihr Vater; seine Bitten; seine Vermahnungen; und herzrührende Vorstellungen auf der andern Seite! – Sie stand auf einer Klippe, von zwey Abgründen umgeben! Auf beyden Seiten [396] Tod! Welchen sollte sie nun wählen? – Sie rang, bis gegen Morgen, mit sich selbst; hatte nicht beschlossen, was sie wählen wollte? Und schlummerte endlich, von Thränen, und von Seufzern abgemattet, ein.

Der junge Siegwart unterhielt sich unterdessen mit Kronhelm. Er war zu gewissenhaft, und ängstlich in der Freundschaft, und hätt' es sich als einen Verrath angerechnet, wenn er das, was vorgefallen war, seinem Freund nur eine Stunde hätte vorenthalten sollen. Er erzählte ihm also offenherzig die ganze Geschichte. Kronhelm, sagte er, mein Vater glaubt, du liebest meine Schwester, und sie liebe dich, und da ist er sehr besorgt und ängstlich drüber.

Kronhelm. Wer? Dein Vater? Hat er was dagegen? – Ja, ich liebe deine Schwester, Siegwart! Lieb sie herzlich! Hat er was dagegen? Sag!

Siegwart. An sich hat er nichts dagegen. Aber du bist ein Edelmann.. Du weist schon –

Kronhelm. Nun ja! Thut das was? Meyn ichs drum nicht ehrlich?

Siegwart. Sey nicht wunderlich! Warum sollt er das von dir glauben? Aber er meynt, es [397] geh nicht an, daß ein Edelmann ein Bürgermädchen so liebe, daß ers heyrathen kann.

Kronhelm. Warum nicht? Das wär mir schön! Meynt er das? So will ich ihms gleich anders sagen. Was hat der Adel mit der Liebe zu thun? Da wollt ich lieber meinen Federhut in die Donau schmeissen! – Nein, Siegwart, wenn mich deine Schwester liebt, so soll sie, bey Gott! mein seyn.

Siegwart. Das sagt' ich auch; aber er hat Besorgnis wegen deines Vaters.

Kronhelm. Der kann dagegen seyn, das leugn' ich nicht. Aber in der Liebe hat man weder Vater noch Mutter! Da bin ich mein eigner Herr!

Siegwart. Du bist ja so heftig, Kronhelm!

Kronhelm. In der Liebe muß mans seyn!

Siegwart. Du liebst also meine Schwester würklich?

Kronhelm. Brauchts noch eine Frage? – Kannst du sagen, daß sie mich wieder liebt?

Siegwart. Ja, das kann ich, Kronhelm! Ich wollt' einen Eid drauf schwören!

[398] Kronhelm. Nun, Gott sey Dank! Dann soll uns auf der Welt nichts im Wege stehn! – Was macht deine Schwester? Was sagte Sie?

Siegwart. Sie weinte, schwieg, und sah gen Himmel, als ich sie verließ.

Kronhelm. Nun, Gott wird sie trösten, hoff ich! – Das arme Mädchen! Daß sie meinetwegen leidet! – O, das geht mir durch die Seele, Xaver! Hast du sie nicht trösten können? Hast ihr nicht gesagt, daß ichs ehrlich meyne? Daß sie mein seyn soll, auf ewig?

Siegwart. Wußt ich das?

Kronhelm. Freylich hättest's wissen sollen! – Komm, laß uns noch zu ihr!

Siegwart. Jetzt ists schon zu spät, Kronhelm! Sie wird schon im Bette seyn. Du kannst ihrs ja morgen sagen.

Kronhelm. Morgen! Man sieht wohl, daß du nie geliebt hast! Ein Augenblick, den sie um mich leidet, wird mir zum Jahrtausend! Warum hast mirs doch nicht eher gesagt!

Siegwart. Ich sagt' es dir ja gleich, als ich von ihr herkam.

Kronhelm. Nun, so ists schon gut! – Aber morgen mit dem frühesten muß ich mit ihr [399] reden, und sie trösten, und ihr schwören, daß ichs ehrlich mit ihr meyne! Mein soll sie seyn, wenns auch die ganze Welt nicht wollte!

Siegwart. Nur behutsam must du drein gehn, Kronhelm! Es ist besser, wenn dein Vater jetzt noch nichts davon weiß. Und vor meiner Schwägerinn must du dich auch in Acht nehmen! Du hast letzthin gehört, was sie für Anmerkungen machte.

Kronhelm. Ey, was geht mich die an? – Aber du hast Recht. Behutsam will ich drein gehn. Wenn nur Therese mein wird, dann ist mir alles gleichviel, wie sies wird?

Siegwart besänftigte doch nach und nach den aufgebrachten, liebevollen Jüngling ziemlich. Kronhelm, den der unerwartete Sturm stutzig gemacht, und dann mit ergriffen hatte, daß er nichts mehr um sich her sah, als seine Liebe und Theresen; ward nun, als er sich zu Bette gelegt, und das Licht ausgelöscht hatte, nachdenklich und am Ende traurig. Je mehr er die Sache kalt überschaute, desto mehr Hindernisse stellten sich ihm dar. Die Schwierigkeiten schienen ihm nicht mehr so leicht zu übersteigen zu seyn, als sie ihm anfangs geschienen hatten; Er fand zwar seine[400] Liebe stark; aber auch den Eigensinn und die Vorurtheile seines Vaters. Er sah den Lerm voraus, den dieser anfangen würde; und endlich, als er sich von allen Seiten her mit Hindernissen umringt sah, und sich selbst nicht mehr heraus zu helfen wuste, fieng er an, sein Schicksal und den Adel zu verwünschen. – Er dachte sich sein liebes Mädchen; ihr sanftes holdseliges Gesicht; ihr liebevolles Herz voll hoher, edler Tugenden; ihren ganzen Umkreis von Vollkommenheiten; bebte vor dem Gedanken zurück, dieß alles zu verlieren; weinte; rang die Hände; und erhub sein Herz von neuem durch den stärkenden Gedanken: Sie soll doch, trotz allem! dein seyn! – Endlich ward er wie fühllos; dachte nichts; und sah die ganze Zukunft wie ein ödes dunkles Todtenfeld gleichgültig vor sich da liegen; bis ihn ein Schlummer überfiel, aus dem er alle Augenblicke unruhig auffuhr.

Mit der Morgenröthe wachte er schon wieder auf, und fieng von neuem an zu phantasieren. Es kam ihm nun alles noch weit schwerer und verwickelter vor; und doch beherrschte seine Seele nur der einzige Gedanke: sie soll mein seyn! [401] Er sah jetzt selbst die Behutsamkeit als das einzige Mittel an, seine Liebe zu erhalten und fortzusetzen. Er beschloß, dieses Theresen und ihrem Vater zu sagen. Um halb sieben Uhr gieng er schon ins Zimmer, um sein Mädchen zu erwarten. Sie war unter Thränen aufgewacht, und betete. Mit heisser Innbrunst kniete sie vor einem Crucifix, und bat Gott um Muth und Stärke, wenn sie Kronhelm sehe. Sie war selber bang, daß sie ihm nicht kalt und behutsam genug werde begegnen können. Und doch wollte sie dieß, ihrem Vater zu Gefallen, thun. Zehnmal ergriff sie die Thüre, um hinaus, und nach dem Zimmer zu gehen, und zehnmal bebte sie wieder zurück. Ein ängstlicher Gedank erhub sich nach dem andern in ihrer Seele. Sie gieng in der Kammer auf und ab, und erblickte sich von ungefähr im Spiegel. Gott, wie bin ich so blaß! dachte sie; wird er nicht sogleich alles entdecken? – Endlich gieng sie mit zögernden und leisen Schritten nach dem Zimmer.


Als sie die Thür aufmachte, sah sie ihren Kronhelm, und wollte wieder zurückgehn; sie zitterte und bebte. Er kam auf sie zu, und nahm [402] sie bey der Hand. Wollten Sie wieder umkehren? sagte er.

Therese. Nein.

Kronhelm. Sie sehn so blaß und traurig aus. Haben Sie nicht gut geschlafen?

Therese. O ja.

Kronhelm. Und doch sagt Ihre Mine anders. (Er sah sie scharf an; Sie wandte das Gesicht weg.) Sie scheinen mir so mißtrauisch und so kalt zu seyn.

Therese. Das bin ich nicht. – Soll ich etwas auf dem Klavier spielen?

Kronhelm. Wenn Sie wollen. Aber ich spräche dießmal lieber.

Therese. Auch gut! Wovon wollen wir denn sprechen?

Kronhelm. Wovon, meine Liebe? Das fragten Sie doch sonst nicht.

Therese. Ach, ich weiß nicht. Mir ist heut so wunderlich zu Muth! Ich habe Kopfweh.

Kronhelm. Ich bedaure Sie. Aber ... Doch, ich mag nicht reden! Sie sind mir doch nicht gut. Ich sehs wohl.

[403] Therese. (Nun weinte sie) Herr von Kronhelm!.. Thun Sie mir nicht Unrecht!.. wenn Sie wüsten –

Kronhelm. Ich weiß alles, Engel! Leider! Weiß ich alles! Nicht wahr, man will uns trennen? – Liebe Seele!.. Sind Sie mir denn noch etwas gut?

Therese. Ach, Herr von Kronhelm!..

Kronhelm. O, es ist traurig, Therese! Aber, bey Gott! Kein Mensch auf Erden soll uns trennen! Wenn es auch ein Engel wäre? Keine Seele soll sichs unterstehen!

Therese. Aber, Kronhelm ... Wenn es doch geschähe? Menschen sind gar mächtig!

Kronhelm. Ich bins auch! Und Lieb' ist mächtiger, als alles! – Fassen Sie nur Muth! Ich weiß, daß ein Ungewitter über unserm Haupt hängt. Aber noch ists Zeit, ihm auszuweichen. Wir müssen nur behutsam seyn, und unsre Liebe zu verbergen suchen. Ich will mit Ihrem Vater reden.

Therese. Wollen Sie das?

Kronhelm. Sobald er kommt.

Indem trat Xaver herein. Sie beredeten sich mit einander, was sie thun wollten? Kronhelm [404] beschloß, ihrem Vater alles zu entdecken, und ihn anzuflehen, sie nur nicht zu trennen, und ihnen zu erlauben, Briefe mit einander zu wechseln. Mein Vater, sagte er, darf jetzt freylich nichts davon erfahren. Aber er kanns auch nicht, wenn nur wir selber alles recht geheim halten! Das übrige wollen wir der Zeit und der Vorsehung überlassen! Sie kanns bey unsern redlichen und reinen Absichten nicht bös mit uns meynen. Therese ward nun wieder ruhiger und vertraulicher. Als der alte Siegwart kam, trug ihm Kronhelm alles mit der grösten Rührung vor. Der Amtmann, der ein weichherziger Mann war, konnte dem vereinigten Bitten der jungen Leute nicht lang widerstehen. Die Thränen seiner Kinder, die er so herzlich liebte, und die dringenden Bitten Kronhelms, dem er auch so ganz zugethan war, überwältigten seine Vorsichtigkeit, und verschlossen ihm die Aussicht in die Zukunft. Er gab nach, und erlaubte ihnen einen Briefwechsel; nur bat er sich aus, daß er alle Briefe lesen dürfte. Die Liebenden willigten mit Freuden ein. Ich habe das meinige gethan, sagte er; ich bin nicht ohne ängstliche Besorgnis wegen eures Schicksals. Aber das meiste muß [405] ich der Vorsehung überlassen. Sie hats immer väterlich mit mir gemeynt, und wirds auch jetzt wohl ma chen. Ich kann weiter nichts, als zur äussersten Behutsamkeit rathen, und daß ihr euch auf alles Widrige gefast macht, was dem Menschen, und besonders einem Liebenden begegnen kann.

Auch hielt ich es für rathsam, Herr von Kronhelm, wenn Sie bald mit meinem Sohn von hier abreisten; etwa übermorgen! So gern ich Sie auch länger hier hätte, so kann ich doch nichts anders rathen. Ich habe meine Ursachen dazu. Kronhelm ließ sich auch dieses gefallen.

Unsre Liebenden waren nun wieder ruhiger, obgleich sehr oft ein Seufzer sich in ihre Freuden mit einmischte. Therese gieng ans Klavier, und sang:


Was ist Lieb? Ein Tag des Mayen,

Der in goldnem Glanz erwacht;

Hell auf froher Schäfer Reihen

Vom entwölkten Himmel lacht.


Flöten locken zu den Tänzen

Der vergnügten Mädchen Schaar;

[406]

Blumen sammeln sie zu Kränzen,

Schmücken ihrer Schäfer Haar.


Schnell verdüstert über ihnen

Sich der schwülen Sonne Blick;

Schlecken blickt aus ihren Minen,

Schüchtern eilen sie zurück.


Regengüsse strömen nieder;

Blum' und Wiese sind verheert;

Und der frommen Freude Lieder

Sind in Trauerton verkehrt. –


Schau! der Friedensboge stralet

Ins erschrockne Thal herab;

Schau! der Hofnung Freude malet

Sich auf allen Wangen ab. –


Gib, o Gott der frommen Liebe,

Uns ein ruhiges Gemüth,

Das durch Wolken, schwarz und trübe,

Ins Gefild der Hofnung sieht!


Wer hat das liebe Lied gemacht? sagte Kronhelm. Es schickt sich so auf unsern Zustand. – Ich habs vom Hauptmann Northern, antwortete Therese;–noch–nie hab ichs so gefühlt, wie diesmal! Drum sollte man, sagte [407] Siegwart, jedes Gedicht in der Lage lesen, worinn's der Dichter sang, und ihn nicht mit kaltem Blut beurtheilen! – Alles traurige entfernte sich nun wieder aus Theresens und Kronhelms Brust; nur der nahe Trennungstag schwebte, wie ein aussteigendes Gewitter, vor ihnen. Sie giengen in den Garten, wo Therese Geschäste hatte. Sie brachen Birn an den Franzbäumen miteinander ab, und legten sie ins Körbchen, das Therese am Arm trug. Dann kamen sie an einen Aprikosenbaum. Therese fand zwo aneinander festgewachsne Aprikosen; gab die eine Hälste ihrem Kronhelm und die andre aß sie. Die beyden Kerne, sagte Kronhelm, wollen wir hier in die Erde stecken, daß sie beyeinander aufwachsen; wenn die Bäume groß werden, wollen wir uns unter ihren Schatten setzen, und an diesen Tag denken! Therese lächelte, und steckte ihren Kern neben Kronhelms seinem, in die Erde. – Ach, die armen Balsaminen müssen wir begiessen! sagte sie; sie stehn so traurig da, und senken ihre Blätter! Kronhelm sprang zum Brunnen, und holte Wasser, und begoß sie. Sehen Sie! sagte er, wie sie sich schon allmählich wieder ausrichten! Denken Sie nicht, daß es uns [408] auch wieder wohl gehen wird? Ich hoff es, antwortete das Mädchen, und suchte eine Thräne zu verbergen, die ihr ins Auge trat.

Den Nachmittag giengen sie miteinander spatzieren, und bestiegen einen ziemlich hohen Berg, von da sie die ganze Gegend übersehen konnten. Sie setzten sich in ein ausgehauenes Buchengebüsch, das eine Art von Laube bildete, wo ein Nasensitz angebracht war. Unten am Berge sahen sie das Dorf liegen; der Bach schlängelte sich an seiner Seite hin, wo Kronhelm seine Hand verwundet hatte. In der Ferne sahen sie die Donau durch ein weisses Weidengebüsch hinströmen. Weiter weg sah man einen Berg, der wegen seiner Ferne ganz in Blau gehüllt war. Nicht wahr? Dort ist ihr Kloster? sagte Therese. Hier will ich oft am Abend sitzen, nach Ihrer Gegend hinsehen und an Sie und diesen Abend denken. – Wir haben auch einen Berg, sagte Kronhelm, der bald wie dieser aussieht; da will ich auch oft hingehen, und mich der vergangnen Zeiten erinnern. Wir wollen uns zuschreiben, und einen Tag ausmachen, an dem wir zugleich auf den beyden Bergen sind, und lebhaft an einander denken. – Aber, morgen, sagte Xaver, [409] müssen wir zu meinem lieben Pater Anton, nach Füllendorf! Ich verschob es immer, aber jetzt müssen wir hin; da wir übermorgen abreisen! Ich könnt es nicht übers Herz bringen, den alten ehrwürdigen Mann, und überhaupt mein liebes Kloster nicht zu sehen; da ich ihm so nahe bin. Du kannst auch mit Therese! Ja, sagte sie; aber ich dachte, man liese keine Mädchen in die Mannsklöster? Das ist schon wahr, antwortete ihr Bruder; aber wir geben dich für jünger aus, und sagen, du seyest 15 oder 16 Jahr alt. Die Paters thun mirs schon zu Gefallen, und lassen dich mit hinein. Man nimmts so genau nicht. – Sie giengen aus der Laube nach einer andern Seite des Berges. Nun, leb wohl! sagte Kronhelm; sobald seh ich dich nicht wieder! Aber ich will oft an dich, und den schönen Abend denken. Therese! Thun Sies auch, und denken Sie an mich, wenn Sie hier sind! Tausendmal! antwortete sie, und drückte ihm die Hand. – Sie lagerten sich auf einem schönen Platz ins Gras, wie Schäfer; pflückten Gänseblümchen; warfen sie sich zu; und betrachteten jedes Gräschen und jedes Blümchen genauer. Kronhelm spielte mit ihrem weissen Gewand, und der rosenrothen [410] Schleife an Ihrem Arm. Geben Sie mir ein Andenken! sagte er. – Was wollen Sie für eins? fragte sie. – Diese Schleife hier, war seine Antwort. – Gut, die können Sie haben, wenn sie ihnen lieb ist! Und nun nahm sie sie ab, und gab sie ihm. Sie war ihm so heilig, wie eine Reliquie, und er sah sie nachher oft halbe Stunden lang an, und drückte sie an seinen Mund. Ich kann Ihnen nichts dafür geben, sagte er, und küßte sie. – Endlich giengen sie wieder langsam den Berg hinab, dem Dorfe zu, und sahen sich noch oft nach dem Berg und der Laube um. Als sie zu Haus wieder ankamen, fanden sie folgenden Brief von der Amtmäminn in Belldorf mit der Ueberschrift an Kronhelm, den sie durch einen eignen Boten hatte überbringen lassen.


Hochwolgeborener Herre!


Hochge Ehrtester Herre!


Hoffe und wünsche, Sie werden gestern mit Ihrer wolansehnlichen Gesellschaft glücklich und gesundt wieder zu Haus angelanget seyn, welches mich herzlich erfreuen thun wirt. Betaure nur, daß wir Sie so schlechte haben bewirten können, [411] welches mir noch immer schakriniert. Ich weiß woll, was für eine Betienung solchen hohen Gästen geziemmen thut, aber leyter kunnt ichs nicht änteren. Wollte nur wünschen, daß Sie uns noch einmall die Ehre geben, und bei uns einsprechen thätent! Villeicht wären wir dann besser im Stant, und könneten mehr Ere einlegen. Habe noch gestern Augspurgerwürst erhalten, das Stück kostet mir vierzehen Kreutzer, damit hätt Ich herzlich gern aufgewartet, wenns nur früher gekomen wärent. Doch werd ich nicht underlassen, einige davon aus Höchst Dero gnädigsten Besuch auszuheben, welchen in Undertänichkeit erwartende, und der ganzen hochgeehrten Siegwartischen Famillie mit meinem Mann und meinen Töchtern, und meinem Söhnlein mich ergebendst empfelende Ich mich zu nennen underfange Ew. Hochwolgeboren, Meines hochzuverehrenden Herren


underdänichste Dienerinn


Julliane Haselbergin.


Siegwart, Kronhelm und Therese lachten über diesen wohlgesetzten Brief nicht wenig. Kronhelm muste ihn beantworten, weil der Bothe nicht eher weggehen wollte. Seine Frau Amtmännin [412] habs gesagt, er müsse wieder ein Papier mitbringen! – Sie brachten den Abend unter keuschen unschuldigen Küssen sehr vergnügt zu. Theresens Munterkeit und Kronhelms Ruhe kehrte wieder zurück. Die Gefahr, die ihrer Liebe drohte, schwand vor ihren Blicken, und in ihrer Seele wards so still, wie in der Natur, wo nur leise Abendlüstchen wehten. Sie sprachen von der Trennung, aber der Gedanke ans fleissige Briefwechseln, und der noch süssere ans Wiedersehn der Liebenden tröstete sie wieder. Den folgenden Morgen brachten sie in der schönsten reinsten Lust gröstentheils im Garten über dem Lesen des Messias und ihres lieben Kleist zu. Therese versuchte wieder, ihrem Bruder seinen Hang zum Klosterleben auszureden; aber als sie sah, daß ihn der Widerstand nur hitziger darauf mache, so schwieg sie wieder. – Gleich nach dem Essen giengen sie mit einander nach Füllendorf, weil ihnen Siegwart keine Ruhe ließ. Er sprach unterwegs mit Begeisterung von alle dem Schönen und Ausserordentlichen, was sie im Kloster sehen würden, und von dem heiligen Gefühl, das sie da durchdringen werde!

[413] Sie trafen den P. Anton auf seiner Zelle an. Er drückte mit froher Treuherzigkeit seinem Xaver die Hand, und bewillkommte Kronhelm und Theresen mit einem liebreichen Lächeln. Seine Freundlichkeit und sein ehrwürdiges Aussehen, nahmen die beyden Liebenden sogleich ganz für ihn ein, und gewannen ihre Seelen völlig. Er that hundert Fragen an Siegwart, wie es ihm bisher gegangen, ob er froh und zufrieden sey? Wie es ihm bey den Piaristen gefalle, und was er schon gelernet habe? Es kamen bald auch andre Paters auf die Zelle, um unsern Xaver zu bewillkommen. Pater Johanns Bruder kam auch, und sagte, daß er von seinem Bruder Nachricht habe, wie wohl er und alle Piaristen mit ihm zufrieden seyen. Der Prior ließ die Gäste in den Gartensaal kommen; empfieng sie mit grossen Freuden, und bewirthete sie aufs beste. Man kam auf P. Gregor zu sprechen, weil Siegwart, der ihn vermiste, nach ihm fragte. – Der ist bey Gott, sagte P. Anton; vor einem Vierteljahr ist er gestorben. Sein Ende war uns allen recht erbaulich; er behielt bis an den letzten Augenblick seinen Verstand. Er hat mir auch an dich, mein lieber Siegwart, noch seinen Gruß[414] und seinen Segen aufgetragen. Er schläft neben meinem P. Joseph. Siegwart weinte ihm eine zärtliche und dankbare Zähre nach. Ich muß dir noch sein Crucifix geben, Xaver! sagte Anton; er hat dir's vermacht. Du sollest sein zuweilen dabey gedenken, und es dich erinnern lassen, daß er dich im Himmel erwarte! Eh sie weggiengen, gabs ihm P. Anton; und es ward ihm heilig. Er hatte es nachher immer auf seinem Tische vor sich stehen, und sah es oft mit Wehmuth und bebendem Verlangen an, bald bey seinem ehemaligen Besitzer zu seyn. Die jungen Leute blieben lang, und giengen erst eine Stunde vor Sonnenuntergang nach ihrem Dorf zurück. Therese und Kronhelm konnten nun begreifen, warum Siegwart mit so festem Herzen an dem Vorsatz hange, ein Mönch zu werden; denn sie waren selbst von dem einsamen und stillen Klosterleben ganz bezaubert. – Der Gedanke der nahen Trennung lag nun immer trauriger und schwerer auf ihnen! Sie wagtens nicht, einander etwas davon zu sagen, und doch verriethen ihre Blicke ihre Bangigkeit und ängstliche Besorgnis nur zu oft.

[415] Als sie in der späten Dämmerung zu Hause wieder ankamen, setzten sie sich vor dem Abendessen noch im Zimmer neben einander. Kronhelm hatte seine Hand in Theresens Hand gelegt, und sprach nichts. Es ward immer dunkler um ihn her, sein Blick ward trüber, und sein Herz schwerer. Er dachte viel, und dachte nichts. Weinen konnt er nicht; sein Herz war gespannt, und wollte bersten. Zuweilen kam ein Seufzer aus dem Innersten, hub die Brust hoch auf, zitterte herauf, und brach mit Gewalt hervor. Dann drückte Therese ihm mit Heftigkeit die Hand. Ihr war die Wohlthat der Thränen nicht versagt, und sie rieselten häufig über ihre blassen Wangen. Zuletzt konnte sich Kronhelm nicht mehr halten; er stand auf, gieng im Zimmer heftig hin und her; warf sich in der Ecke des Zimmers auf einen Stuhl; stand wieder auf, und setzte sich wieder zu Theresen. Sie saß mit dem Kopf rückwärts an die Lehne des Stuhls gelehnt; ihre schönen Augen waren in die Höhe gerichtet, und die helle Thräne glänzte drinn. – Ach! daß wir uns verlassen müssen! sagte er. Sie schwieg. Sie legte ihre Hand wieder in die seinige; sah ihn an, und wieder auf die Seite. Ihr [416] Herz litt unendlich viel. Indem kam der alte Siegwart herein. Eben schickt man da zu mir, sagte er, um meine Kutsche. Eine Bauersfrau von hier ist auf einem andern Dorf schnell krank geworden, und da will ihr Mann sie Morgen abholen. Ich konnt ihm die Kutsche nicht abschlagen, es sind gar zu brave Leute. Morgen müssen Sie also noch hier bleiben, Herr von Kronhelm, oder reiten. Nein, Nein! Ich bleibe gern, rief Kronhelm und sprang auf. Bravo! Bravo! das ist herrlich, daß wir länger bleiben! Therese stand auch voller Freuden auf. Es war, als ob auf einmal eine grosse Last von ihrem Herzen wäre weggewälzt worden. Xaver kam aus dem Garten herauf, und freute sich, als ers hörte, mit ihnen. Nun waren die Liebenden wie verwandelt, und ausgelassen lustig. Therese muste das munterste Stückchen, das sie hatte, auf dem Klavier spielen. Sie assen im Garten, und scherzten mit einander über den glücklichen Zufall mit der Bäurin. Die arme Frau daurt mich, sagte Kronhelm; aber wenn sie krank werden muste, so wars doch der klügste Einfall, daß sie's jetzt, und auf einem andern Dorf wurde! Morgen [417] wünsch ich ihr von ganzem Herzen ihre Gesundheit wieder, und ein langes Leben. So gehts in der Welt! Einer macht sich immer auf des andern Kosten lustig! Es leb die Bäurinn, und ihr kluger Einfall! Und nun stiessen Er, Therese und ihr Bruder die Gläser an; auch der alte Siegwart trank mit, und nahm an der Freude seiner Kinder Antheil. Der ganze Abend war ein rechter Festtag für sie, und sie blieben lang zusammen aufsitzen. Sie hätten noch diesen Abend bey Karl und seiner Frau Abschied genommen; aber weil die Reise aufgeschoben wurde, so giengen Kronhelm und Siegwart erst den andern Morgen hin. Kronhelm muste von Karls Frau manche spöttische Anmerkungen über Theresen anhören, daß der Abschied so traurig seyn und daß sie vermutlich werde melancholisch werden, wenn sie wieder allein leben, und einer so angenehmen Gesellschaft entbehren müsse, u.s.w. Er hatte oft Mühe, eine bittre Antwort zurück zu halten; aber die Klugheit siegte doch bey ihm. Sobald er zurückkam, erzählte er es Theresen, und bat sie, in Absicht auf ihre Schwägerinn recht behutsam zu seyn. Den Nachmittag giengen sie noch einmal auf einem andern Wege [418] nach dem Berg, wo sie gestern gewesen waren. Als sie über einen Steg giengen, blieben sie drauf stehen. Therese warf ein Nelkenblatt in den Bach hinab; Kronhelm auch eins. Die Blätter schwammen einander nach; die Liebenden verfolgten sie mit ihren Blicken, und freuten sich, daß die Blätter miteinander schwammen. Sie trieben dieses Spiel wol eine halbe Stunde, und giengen endlich nach dem Berge. Als sie oben waren, sagte Kronhelm: Nun sind wir doch wieder da; gestern hätten wir geschworen, daß es nicht geschehen würde. So kann alles auf der Welt in einem Augenblick möglich werden! – Sie machten aus, daß sie auf die Nacht nicht zu Bette gehen wollten, weil sie ohnedieß früh wieder aufstehen müßten. Ich kann doch nicht schlafen, sagte Therese; wir müssen die kurze Zeit, die wir übrig haben, noch ganz geniessen. – Sehen Sie! dort hinten zieht sich ein Gewitter auf. – Kronhelm wollte es nicht glauben, und sagte, daß es nur Abendwolken seyen; Sie aber blieb auf ihrer Behauptung – Wenns morgen gut Wetter ist, fuhr sie fort, so fahr ich eine Stunde weit mit Ihnen. – O, das thun Sie ja! sagte Kronhelm. Zwar, Sie müssen dann allein, und zu Fuß, zurück – Ey was, Possen! fiel sie ihm ein. Glauben Sie denn, wir seyen so empfindlich, und so furchtsam, wie Ihre Stadtmädchen, daß wir keine Stunde weit allein gehen könnten? Auf dem Land fragt man viel darnach! da gibts nicht so viel schlimme Leute, wie in der Stadt, daß man sich zu fürchten hätte! – Ja, das weiß ich wol, sagte Kronhelm, und Ich werde gewiß nicht die Stadt gegen Sie vertheidigen! Nun, Sie fahren also mit! [419] Das ist ja herrlich! O, Sie sind das liebste und gefälligste Mädchen von der Welt! – Aber, sagte Siegwart, wir müssen nur nicht viel Umstände mit dem Abschiednehmen machen! Das muß ein schaaler Kopf gewesen seyn, ders erfunden hat! Wenn ich mich von einem Freund trenne, da wünsch ich ihm gewiß von Herzen alles Gutes, und da brauchts der vielen Worte nicht' – Gut, gut! Wir wollens kurz machen! sagte Therese. Aber unter Abschiednehmen und Abschiednehmen ist doch auch ein grosser Unterschied! Nicht wahr, Herr von Kronhelm? Hier sah sie ihn mit einem unbeschreiblichen, mit Wehmuth und Liebe untermischten Lächeln an. – Da haben Sie auch ein Vergißmeinnicht! sagte sie zu Kronhelm, als sie an einer Quelle, die den Berg hinab rieselte, vorbeykamen, und gab es ihm. Er küste ihr die Hand, und steckte es auf seinen Hut. Da soll es immer bleiben, sagte er, und mich tausendmal des Tags an Sie erinnern! Aber nun leb wol, Berg! Nun werd ich dich wol so bald nicht wieder sehen! – Vielleicht in diesem Leben nicht mehr, sagte Therese. – Nein, das wolle Gott nicht! rief er heftig aus. Wo bringen Sie die trübseligen Gedanken her? In drey, vier, Jahren kann sich viel ändern! – Ja wohl, viel ändern! setzte sie hinzu. – Drauf giengen sie allmählich wieder dem Dorfe zu. Vor demselben trafen sie die Kutsche mit der kranken Bäurinn an. Gott! sagte Therese; wie der Mensch sich so schnell ändern kann! Vor etlich Tagen sah dieß Weib noch wie eine Nose aus; nun ist sie so bleich, und und eingefallen, wie der Tod, daß man sie kaum mehr kennt! Es wäre doch recht lächerlich, wenn man sich auf sein [420] gutes Aussehen viel zu gut thun wollte! – Freylich ist es besser, sagte Kronhelm, wenn man noch etwas mehr hat, worauf man stolz seyn kann! Wer so ein Herz hat wie Sie, meine Liebe, der kann sich über den Verlust seiner Schönheit leicht trösten. Aber wie wenig Mädchen können das? – Sie ward roth, und sagte: auf dieß Kompliment hab ich nicht gerechnet; sonst hätt ich sein geschwiegen! – Es ist kein Kompliment, antwortete Kronhelm; Sie wissen, daß ich Komplimente hasse. – Nun kamen sie beym alten Siegwart wieder an. Er wollte erst nicht zugeben, daß sie nicht ins Bette gehen sollten; aber, als sie ihn so dringend um Erlaubniß drum baten, gab er ihnen nach. Um vier Uhr, sagt' er, will ich wieder aufstehen, denn ich hab die Ruhe nöthiger, als ihr. Sie giengen nun zum letztenmal in Garten, und bald drauf aufs Zimmer, denn der Himmel ward immer wolkichter und trüber, und es blitzte schon von ferne. Das Herz war ihnen jetzt auch schwer, aber doch weniger, als gestern; denn der Gedanke an, die nahe Trennung war ihnen schon minder neu. Sie setzten das Licht aus dem Zimmer in die Kammer, weil ihnen die Dämmerung lieber war, und weil sie so die Blitze, die immer häufiger wurden, besser sehen konnten. Siegwart setzte sich in einen Lehnstuhl am Ofen, und schlummerte ein wenig; doch sprach er auch zuweilen mit. Kronhelm schlang um Theresen seinen Arm; vor ihnen lag der Messias, und zwar die Stelle von Semida und Cidli aufgeschlagen, die sie vorher noch einmal gelesen hatten.–Das Gewitter zog immer näher, und man hörte schon von fernher donnern. Sie traten [421] ans Fenster, und sahn dem Blitzen zu. Einmal wurden sie durch einen Blitz so geblendet, daß sie beyde zurückfuhren, einige Augenblicke nichts, als blaues Licht um sich her sahen, sich anblickten und schwiegen. – Gott! dachte Kronhelm, wenn der uns getödtet hätte! Und doch, dachte er zugleich, es wäre gut! Ich wär mit ihr gestorben! Er sah sie an; ein Blitz erleuchtete ihr Gesicht; es sah blaß aus, und das Aug war naß, und glänzte. Er streichelte ihre Wangen; Sie waren von den Thränen ganz benetzt und kalt – Sollten wir uns wiedersehen? sagte sie. – Ja gewiß! antwortete er mit Heftigkeit; drückte ihr die Händ, und gab ihr einen Kuß. Es fieng nun auch an zu regnen, und sie wurden sehr besorgt, daß sie nicht würde mitfahren können. Wenns nur aufhört, sagte sie so hats nichts zu bedeuten! An den schlimmen Weg denk ich gar nicht. – Sie setzten sich wieder an den Tisch; Therese stützte ihr Gesicht auf ihre Hand, und neigte sich über den Messias her. Ihre Seele ward nun auf Einmal heftiger bestürmt; der Gedanke an die immer näher rückende Trennung faste sie ganz; ihr Busen schlug heftiger; ein Seufzer folgte dem andern, und Kronhelm hörte die Thränentropfen auf das Buch fallen. Er ergrif ihre Hand; sie führte die seinige auf das Buch, und er fühlte, daß es naß war. Da that er in seinem Herzen einen Schwur, ihr ewig treu zu seyn! Und der Schwur war ihm so heilig als ob er ihn über dem Evangelio geschworen hätte. Der Donner ward immer stärker, und der Regen heftiger. – Das ist eine heilige und feyerliche Nacht; sagte er. – Um Eins kam der abnehmende Mond zuweilen zwischen [422] zerrißnen Gewitterwolken hervor, und goß sein blasses, melancholisches Licht auf die Liebenden herunter. Sie betrachteten ihn lang am Fenster; küßten sich zuweilen; sprachen abgebrochne Wolte, und fühlten, was die Sprache nicht beschreiben kann. – Um drey Uhr gieng Therese weg, um den Kaffee zu machen. Kronhelm sprach von gleichgültigern Dingen mit Siegwart. Nach einer halben Stunde kam sie wieder, und brachte den Kaffee. Der alte Siegwart kam auch. Er sagte, man könne mit dem Abfahren bis halb 5 Uhr warten, ob der Regen nicht aufhöre? Aber länger nicht! – Als der Kaffee getrunken war, stellte sich Kronhelm mit Theresen wieder aus Fenster. Der Regen hielt noch an, und die Hofnung verschwand immer mehr, daß Therese sie begleiten könne. Sie hörten alle Viertelstunden auf dem nahen Kirchthurm schlagen, und jeder Glockenschlag war ihnen ein Donnerton; Mit jedem sank ihr Muth mehr. – Der alte Siegwart suchte sie durch sein Gespräch etwas aufzuheitern; sie lächelten zuweilen, aber wie der Mond, der durch Regenwolken schien. Der Tag brach an, und röthete in etwas die Gewitterwolken; endlich ward der Himmel blutroth. Es schlug vier Uhr. Kronhelm bebte, als ers hörte. Er stand unbeweglich vor Theresen. Endlich gieng er in die Kammer, um sich vollends anzuziehen, und seine Sachen in Ordnung zu bringen. Er kam wieder auf das Zimmer. Es schlug ein Viertel. Herr Gott! wie die Zeit eilt! sagte Therese. Kronhelm holte seinen Stock. Er stand, wie ein Verurtheilter da, der nun alle Augenblicke zum Tod geführt werden soll. Endlich schlugs halb. – Nun, wir müssen [423] fort! sagte er. Er nahm vom alten Siegwart mit vieler Zärtlichkeit und Rührung Abschied. Therese konnte sich nicht länger halten, und gieng vor die Thüre hinaus. Xaver nahm nun auch von seinem Vater Abschied. Als Kronhelm vor die Thüre kam, stand Therese da, und schluchzte. Er drückte ihr die Hand, und gieng schweigend die Treppe hinunter. Xaver nahm von seiner Schwester Abschied; Kronhelm vom alten Siegwart. – Nun, Therese! – sagte dieser. Sie gieng zu Kronhelm; umarmte ihn, gab ihm drey Küsse, sprach kein Wort, und gieng weinend ins Haus zurück. Die beyden stiegen in den Wagen und fuhren fort.


Ende des ersten Theils.

Fußnoten

1 Jetzt ist der ganze Messias vollendet, und enthält zwanzig Gesänge. Anmerkung des Herausgebers.

2 Die Gewohnheit zu kreuzigen, die so vielem Mißbrauch unterworfen war, ist jetzt auf Befehl der Kaiserinn in den österreichischen Landen abgeschafft. Anmerkung des Herausgebers.

Zweyter Theil

[424] Zweyter Theil.

[425][427]

Kronhelm war lange, wie betäubt; Er sah aus dem Kutschenschlag hinaus, und doch sah er nichts, und fühlte nichts von dem Reiz der Gegend, über der sich nach und nach der Himmel aufklärte, und die, vom Regen erquickt, nun in hellerm Grün prangte, und den süssen Duft der Pflanzen und der Blumen rings umher verbreitete; Siegwart war auch traurig, und wollte seinen Freund nicht stören. Endlich fieng dieser selbst zu sprechen an, und gieng die schönen Tage wieder durch, die sie mit einander durchlebt hatten. Deine Schwester, sagte er, übertrifft doch alle Mädchen, die ich noch gesehen habe! Wenn sie mir nur fleissig schreibt! Sonst wird mir der Aufenthalt in der Stadt unerträglich werden. – Sie stiegen wieder in dem Dorf, und vor dem Wirthshaus ab, wo sie neulich gewesen waren. Ein Werber saß drinn, der eben einen Bauerkerl angeworben hatte. Dieser machte grossen Lerm, und war betrunken; schimpfte auf seine Mutter, die ihm sein Mädchen nicht habe lassen wollen; dann trank er auf die Gesundheit [427] des Kaysers, der Kayserin und seiner Kathrine, und schmiß das Glas beym Fenster hinaus. Endlich kam seine Mutter mit grossem Geschrey: Hanns, ists wahr, daß du Soldat worden bist? Du Teufelskind, was hast du jetzt getrieben? Wer hat dir den verfluchten Einfall eingegeben?

Hanns. Du selbst, Mutter! hättest mir nur meine Dirne lassen dürfen! Ich hab dirs immer gesagt. Nun ists zu spät. Vivat der Kayser und die Kayserin! Da trink auch mit! Mutter. Geh mir weg mit dem Glas! Mir thuts Noth, zu trinken! Du gottloser Bub! Läßt mich nun allein sitzen und scharren. Wer soll nun 's Feld bauen, und mich ernähren helfen? Gelt! nun soll ich verderben und Hunger leiden? O, ich elendes, g'schlagnes Weib!

Hanns. 's Jammern hilft nun nichts mehr, Mutter! Ich hab dir's vorher gesagt; Aber wolltest immer nichts hören, wenn ich von Kathrinen anfieng! Da hattest du den Kopf drauf gesetzt, und lachtest mich nur aus, wenn ich vom Soldatenleben sprach! Gelt, nun bin ichs?

Mutter. Nun, so komm nur, Hanns! Sollst sie ja haben, wenns nicht anders seyn kann? Komm nur mit mir heim!

[428] Hanns. Ja, wenns der Herr haben wollte, bin ichs schon zufrieden.

Werber. Ey, das bitt ich mir aus! Du must da bleiben, Hanns, hättest du das ein paar Stunden eher bedacht! Jetzt gehts nicht mehr an.

Mutter. Was? Ihr wollt mir meinen Sohn nicht lassen? Ist das auch erlaubt? Er muß mirs Feld bauen! Ich bin ein armes Weib!

Werber. Ja, das geht mich nichts an. Er ist selbst zu mir gekommen, und muß mit mir fort.

Mutter. Ich will ihm ja seine Kathrine lassen! Er soll sie noch heut haben! Komm nur!

Werber. Fort! oder ich will euch was anders sagen! Er soll mit in Krieg!

Mutter. In den Krieg, wo man d' Leute todt schlägt? Nein, das thu ich nicht! Es ist mein einziger Sohn. Hab sonst keinen Menschen auf der Welt!

Hanns. Laß seyn, Mutter! 's hilft nichts. Ich muß halt schon mit fort!

Mutter. Nein, du sollst nicht! sag ich. Ich will dich loskaufen. Was muß ich für ihn geben?

[429] Werber. Hundert Thaler, und 'n andern Kerl dazu, von seiner Grösse!

Mutter. Hundert Thaler? Lieber Gott! hab keine hundert Kreuzer! wenn ich auch mein Aeckerlein verkaufen wollte, würd ich doch keine 70 Gulden draus lösen. Ach lieber Herr Feldwaibel! Hab er doch Mitleiden mit einer armen Frau! Ich will ja gerne hundert Rosenkränze für ihn beten.

Werber. Was hilft mir das? Und, wenn ihr zweyhundert für mich betet! Wir müssen Leut haben, und da ist uns euer Sohn eben recht. Er gibt 'n guten Flügelmann.

Mutter. Ach du lieber himmlischer Vater! Ist denn gar keine Barmherzigkeit mehr auf der Welt? – Hanns, Hanns! das wird mich noch vor der Zeit ins Grab bringen.

Hanns. Nun, Mutter, mach mir 's Herz nicht weich! Ein Soldat muß Kourage haben! 's thut mir leid; aber du hasts nicht anders haben wollen. Grüß mir Kathrinen! Ich werd sie doch nicht mehr sehen. Das arme Ding wird sich wol zu todt heulen. Aber ohne sie hätt ich doch nicht im Dorf leben können. Jetzt ists besser, 'n Kugel vor den Kopf! – So gehts, [430] wenn ihr Leut alles besser wissen wollt! – Da hast zwölf Gulden von meinem Handgeld. Verbrauchs g'sund!

Indem kam Kathrine mit Heulen und Schreyen in die Stube, und fiel ihrem Hanns um den Hals. Hanns! Gelt, 's ist nicht wahr? Wirst nicht Soldat? Kannst mich nicht verlassen? – Was? hast 'n Federbusch schon aufm Hut? Geh! wirf ihn zum Teufel! Du bist mein, und sollst mein bleiben! – Lieber Hanns! sieh mich doch an! Gelt du bleibst hier?

Hanns. Ja, Kathrine ich wollts gern! Aber 's geht nun nicht mehr an.

Kathrine. Was sagst? 's geh nun nicht mehr an? Nun, so geh ich mit dir, wo du hin gehst! Ohne dich kann ich nicht seyn! Wir wollen uns mit einander todt schiessen lassen.

Werber. Das geht auch nicht an. Ihr müßt hier bleiben! Macht nur bald ein End! Wir müssen weiter; müssen diesen Morgen noch nach Güntzburg!

Kathrine. So? Ihr wollt mich nicht mitnehmen? Wollt mir meinen Hanns nicht lassen? – Ich kann auch Soldat werden! kann auch 'n Flint tragen, und mich todt schlagen lassen! Ich [431] muß mit! Oder ich kratz dir die Augen aus, du alter, schwarzer Kerl!

Kronhelm (gieng zum Werber, und sagte) O, ich bitte Sie, Herr Sergeant! Seyn Sie doch auch menschlich! Lassen Sie das arme Mädchen mit!

Werber. Ja, Herr! ich wollt schon; aber was hilfts? Wenn wir zum Hauptmann kommen, so läßt er sie wieder fortjagen. Wir können im Feld nicht so viel Bagage brauchen. Unser Hauptmann ist gar streng.

Kathrine. Sey ers auch! Er wird doch ein Mensch seyn! Und wenn er auch ein Tyger wär, ich wollt ihm 's Herz weich machen.

Werber. Nun, meintwegen wohl! Bis nach Güntzburg könnt ihr schon mitlaufen. Mögt dann sehn, wies weiter geht!

Kathrine. Ja, ja! Das will ich schon sehn! – O, Hanns! Nun ist mir wieder wohl. Hör! nun will ich g'schwind zu meinem Bauren, und mir meinen Lohn geben lassen, und mein Bissel Sach' einpacken! (Sie gieng weg.)

Werber. (ihr nachrufend) Macht nur kurz! In einer Viertelstunde müßt ihr wieder da seyn! [432] Wir müssen fort! – Der Hauptmann wird ihrs schon sagen! –

Kronhelm. Ich kenn' Ihren Hauptmann auch, und komm noch heut nach Güntzburg; da will ich gleich mit ihm reden.

Werber. Ja, wenn Sie ein Vorwort einlegen, dann kanns gehen, aber sonst nicht!

Hanns (zu Kronhelm) O Herr, vergessen Sies ja nicht, und gehn Sie heut zum Hauptmann! Sie sind auch gar zu brav! – Heh, Mutter! 's Weinen hilft nun nichts. Bet fleissig für mich! Vielleicht komm ich doch einmal wieder! Ich hab nur auf 5 Jahr akkordirt.

Mutter. Ja, da werd ich wol im Grab seyn! Das Herzeleid hättest mir nicht anthun sollen, Hanns! Gott verzeih dirs! Wenn das dein Vater dacht hätt! – Ich war auch verblendet, daß ich dir das Mädel mit Gewalt nicht lassen wollt; aber ich dacht eben nicht, daß du gleich so oben 'naus seyn würdest. – Ich hab schon viel Kreutz g'habt, aber das ist 's größt, das ich wol nicht überleben werd. – Hättest so ruhig in unserm Hüttlein leben können! Nun muß ich allein drinn schmachten! – O Hanns, Hanns! Wenn ihr Leute dächtet, was ihr euren Eltern [433] für Kummer macht! 's ist ein Elend, eine Mutter zu seyn! –

Sie jammerte noch immer so fort; Endlich kam Kathrine mit einem Bündel Kleider. Der Werber führte Hanns bald darauf fort, weil er fürchtete, die Bauren möchten zusammen laufen; die Mutter hieng sich ihrem Sohn an den Hals, und wollte ihn nicht loslassen. Endlich mußte sie; heulte jämmerlich, und schlug die Händ über dem Kopf zusammen. Sie wollte noch mit vors Dorf hinaus, aber der Werber, der den Lärm fürchtete, gab es nicht zu. Kronhelm versprach es Hanns noch einmal, beym Hauptmann für ihn und seine Kathrine zu sprechen. –

Nach einer halben Stunde fuhren Kronhelm und Siegwart auch wieder weiter. Sie sprachen viel über den Rekruten, und seine Mutter. Das muß ein schreckliches Leben für die beyden seyn, sagte Kronhelm, wenn sie getrennt wären, und das Mädchen keinen Augenblick wüßte, ob nicht ihrem Hanns der Kopf gespaltet, oder eine Kugel ins Herz geschossen würde? So ist sie doch um ihn, und kann ihn warten, wenn er verwundet wird. Der Hauptmann läßt sie gewiß beysammen, ich kenne ihn von meinem Vater her; [434] und der Kerl ist groß; denen sieht man schon nach, wenn sie Weiber haben; sie gehen dann auch weniger durch. –

Nach anderthalb Stunden trafen sie den Hauptmann auf einem Spatzierritt an. Kronhelm trug ihm sogleich seine Bitte wegen Hanns vor. Ich habe den Kerl dort angetroffen, und sein Mensch auch, sagte der Hauptmann. Sie fiel mir gleich zu Füssen, und bat, daß sie mit in Krieg dürfte. Ich versprach ihr nichts Gewisses, denn man sieht die Weibsleute im Feld nicht gern; sie hindern nur auf dem Marsch. Aber zuweilen macht man wol eine Ausnahme; und weil Sie auch für den Kerl bitten, und er schön und groß ist, so will ichs so mit hingehen lassen. Wenn ich einmal auf Ihr Schloß komme, so beding' ich mir eine Bouteille Burgunder dafür aus. Herzlich gerne, sagte Kronhelm, und nahm von dem Hauptmann Abschied. – Er war nun recht froh, daß er etwas zur Vereinigung dieser beyden Leute mit beygetragen hatte, und dachte nun mit desto grösserm Vergnügen, aber auch mit größrer Wehmuth an seine Therese. Siegwart mußte ihm tausenderley kleine Geschichten von Theresens Kindheit erzählen;[435] manche gefielen ihm so wohl, daß er sie sich zwey-und dreymal erzählen ließ.

Endlich kamen sie auf ihrer Schule wieder an. Kronhelm gab dem Kutscher ein paar Zeilen mit, die an den Amtmann und an Theresen zugleich gerichtet waren, und blos die Nachricht von ihrer glücklichen Ankunft, und Danksagungen für die viele genossene Freundschaft enthielten. Sie giengen dann sogleich zu ihrem lieben P. Philipp, der sich herzlich über ihre Ankunft freute. Sie mußten ihm sehr viel von ihrer Landlust erzählen. Kronhelm vermied es sorgfältig, Theresens Namen zu nennen, oder nur entfernt von ihr besonders zu reden, weil er sich zu verrathen fürchtete; denn die erste Liebe ist mehrentheils sehr furchtsam und zurückhaltend. Nach etlichen Tagen fiel aber P. Philipp selbst auf die Vermuthung, daß er verliebt sey; denn er war so still, und verfiel oft auf Einmal in ein tiefes Nachdenken, und sah aus, als ob er weinen wollte. Unserm Kronhelm muß was wichtiges begegnet seyn, sagte er, und wandte sich zu Siegwart; Er ist seit der Reise ganz verändert. Ich weis nicht, antwortete Xaver; und Kronhelm ward feuerroth. – Nein, –es fehlt mir nichts, sagte er; ich weis nicht, wie [436] Sie darauf kommen? Aber gewiß, es fehlt mir nichts! – Nun, nun, ich hab auch kein Recht zu Ihren Geheimnissen, sagte P. Philipp; wenns nur nichts schlimmes ist, was die Veränderung hervorbrachte. Kronhelm ward so verwirrt, und entschuldigte sich so viel, daß er sich zuletzt selbst verrieth, und mit vielen Umständen und weit hergeholten Wendungen dem Pater das ganze Geheimnis entdeckte. Das ist ja was gutes, und unschuldiges, sagte Philipp, und braucht der Beschönigungen gar nicht. – Ja, ich weis wohl, sagte Kronhelm; aber es wird mir so sonderbar zu Muth, wenn man davon spricht. Es ist gewiß um die Liebe die unschuldigste Sache, der man sich mehr zu rühmen, als zu schämen Ursache hat; aber es hält einen immer so was zurück. – Das kommt von der Erziehung her, sagte Philipp. Nun, ich wünsch ihm von Herzen Glück; denn ich hoffe, daß er nicht so auf Gerathewohl gewählt hat; und was ich bisher von Theresen gehört habe, bringt mir die beste Meynung von ihr bey. Sie muß ein frommes, unschuldiges und liebenswürdiges Geschöpf seyn, das vor Tausenden den Vorrang hat. Nur Eine wohlgemeynte Warnung kann ich nicht zurückhalten, und Er [437] wird mir sie nicht übel nehmen! Mach Er die Liebe nicht zur Haupttriebfeder seiner Handlungen, und vergeß Er seine übrige Bestimmung nicht drüber! Dieß ist der gewöhnliche Fehler bey jungen Leuten. Sie glauben nur für ihr Mädchen allein geschaffen zu seyn, und gegen die übrige Welt weiter keine Pflicht zu haben. Bey Ihm fürcht ich das nun weniger. Die Liebe sollte uns am meisten zur Vervollkommung unsrer selbst antreiben. Denn je mehr Vorzüge und innre Vollkommenheiten wir haben, desto glücklicher können wir einst den geliebten Gegenstand machen. Durch Kenntnisse und Wissenschaften bahnen wir uns den Weg zu Ehrenstellen, ansehnlichen Aemtern und Besoldungen; und dann können wir erst mit gutem Gewissen einem Frauenzimmer unsre Hand anbieten. Er kann zwar auch ohne Aemter leben; aber es ist doch besser, wenn man zu allem geschickt ist. Kronhelm dankte für den Rath, und versprach, ihn zu befolgen. Er fühle sich jetzt, sagte er, zu allem stärker; alles sey ihm leichter. Er liebe die Menschen mehr. Sein Herz sey weicher und mitleidiger geworden, und das Schicksal eines jeden Menschen, besonders eines leidenden lieg ihm weit näher am Herzen, als sonst.

[438] Gleich den Tag nach seiner Ankunst hatte Kronhelm einen ziemlich weitläuftigen Brief an Theresen, und auch einen an ihren Vater geschrieben, und ihn dem Bothen mitgegeben. Er wartete nun mit Verlangen auf den Sonnabend, da der Bothe wieder kommen sollte. Er zählte alle Stunden bis dahin, und lief am Sonnabend sogleich nach dem Hause, wo die Briefe gewöhnlich abgegeben wurden. Der Bothe war da gewesen, und hatte keinen Brief mitgebracht. Der sonst gelaßne Kronhelm ward durch diese Nachricht wie rasend, knirschte mit den Zähnen, und stampfte auf den Boden. Nun so wollt' ich, daß ich die Welt zertrümmern könnte! rief er, und alles, was drinn und drauf ist! – Keinen Brief? Und sie hat mirs so theuer versprechen? – Nun so trau mir einer mehr den Menschen, und zumal den Mädchen! – Alles, alles ist nichts! Ist Tand! Ist abscheulicher Betrug! – O ich Thor, daß ich so drauf baute! Den Kopf möcht ich mir einrennen! – Das verfluchte Geschlecht!

So tobte er, und lief, ohne zu wissen, warum? vors Thor hinaus. Alles, was ihm begegnete, war ihm zuwider. Die ganze Welt [439] kam ihm vor, wie ein Narrenhaus, und Zuchthaus. Jeder war ihm ein Narr, oder Bösewicht! Er kam an die Donau; setzte sich ans Ufer nieder; scharrte den Sand mit seinem Stock auf, und stäubte ihn ins Wasser. Gott! dachte er, auch Therese untreu! Auch die, auf die ich alles gebaut hätte! O, wir Männer sind doch rechte Narren! – Er dachte hin und her, was sie so schnell auf andre Gedanken könnte gebracht haben? Es war ihm unbegreiflich; und doch hielt ers für ausgemacht gewiß. Er fand tausend Ursachen, und verwarf sie wieder. Endlich hub er sich wieder auf, und gieng nach Haus. Siegwart war ausgegangen, um ihn auszusuchen. Nach einer Stunde kam er wieder; Da ist ein Brief von meiner Schwester, sagte er. – Was? rief Kronhelm; Willst du mich auch für einen Narren halten? Ich hab schon nach dem Bothen gefragt! Er hat nichts! – Da lis nur selber; sagte Siegwart. Der Bothe hat mir den Brief selbst eingehändigt, weils meine Schwester haben wollte. Kronhelm brach den Brief mit Zittern auf, und riß ihn vor Ungeduld fast entzwey. Therese schrieb so:


[440] Bester, theurester Freund!


Der vergnügteste Abend nach Ihrer Abreise war mir der, da ich Ihren lieben Brief erhielt; vielen, vielen herzlichen Dank dafür, mein bester Freund! Gottlob, daß Sie glücklich wieder angekommen sind! Meine besten Wünsche begleiteten Sie auf Ihrer ganzen Reise; aber besonders machte mir der fatale Weg, und der starke Regen viele Sorge. Ich freute mich recht für Sie, als der Regen wieder nachließ.

Also sind Ihre Lehrer nicht böse, wegen Ihres etwas längern Ausbleibens? Nun, das ist mir sehr lieb; mir war schon recht bange dafür, und ich dachte, Sie könntens gar darüber bereuen, daß Sie länger hier blieben; das wollt ich doch nicht gerne!

Ach, mein theurester Freund! oft denk ich noch an den traurigen Scheidetag und an die letzte traurige Nacht. Dann seh ich noch immer den, mit schwarzen Wolken umgebenen Mond, der uns gegenüber stand; dann hör ich noch immer den rollenden Donner,und seh die schnellen Blitze. Alles war so feyerlich! Erst sinds acht Tage, und mir dünkts schon so lange! [441] Jetzt sind wir ganz einsam, und alles ist so stille, nun Sie nicht mehr hier sind!

Am Tage nach Ihrer Abreise schrieb ich ein paar Lieder aus Kleist ab; hernach hab ich im Hagedorn gelesen, den Sie mir geschenkt haben. Ich fand vieles drinn, was mir gefiel; aber für mein Herz, das jetzt so viel verlangt, hats zu wenig Nahrung. Sonst hab ich nichts gelesen. Theils hatt' ich nicht Zeit dazu, theils nicht Lust; und dann haben Sie mich so ganz verwöhnt, daß ich fast nichts mehr allein lesen mag.

Einmal hab ich Besuch gegeben bey meiner Freundin, der Postverwalterstochter; und den Abend gieng ich am kleinen Bach spatzieren, mit meinem Vater, der so ganz für Sie ist. Wir sprachen recht viel von Ihnen. Vorgestern war Hauptmann Northern, aber nur allein, hier. Wir kamen oft auf Sie zu sprechen; er hält sehr viel auf Sie, und ich bin ihm deswegen noch einmal so gut. Wenn er nur oft käme, und von Ihnen spräche! Mir ist so wohl dabey, und so bang. Ich wünschte immer, daß man davon anfienge; und fängt man an, so wünscht ich wieder, daß ich weit davon wäre! Aber nachher freu ich mich doch immer recht drüber.

[442] Von unangenehmen Dingen spricht man nicht gern; sonst könnt ich Ihnen viel sagen, von den Spöttereyen und Sticheleyen, die ich von meiner Schwägerin anhören muß; doch so etwas ist zu gering, sich darüber zu ärgern. Ich kann Ihnen nicht mehr schreiben, weil ich recht viel wegen der Habererndte zu thun habe; aber wenn das vorbey ist, so werd ichs gewiß nachholen. Ich habe Ihnen noch so viel zu sagen, so viel! Aber ein Brief ist immer nur eine halbe Unterredung. Leben Sie so glücklich, mein Theurester, als es mein stündlicher Wunsch ist! Meine Seele ist oft bey Ihnen.


Th. Siegwart.


Als Kronhelm diesen Brief gelesen hatte, gieng er ans Fenster, und die hellen Zähren stürzten ihm aus den Augen. Sein Herz machte ihm tausend Vorwürfe. Gott! Was ist das für ein himmlisches Mädchen! dachte er; und was bin ich für ein Kerl! Lauter Zärtlichkeit und Liebe! Und ich that dem Engel Unrecht! That ihm teuflisches Unrecht! – O vergib, vergib, Engel, wenn ichs werth bin! – Ich habe vorhin recht gerast, sagte er zu Siegwart. Das ist was Entsetzliches um die Liebe, wie sie [443] mir dem Menschen umgeht, und so alles aus einem macht, was sie will! Da wollt ich dir den Brief holen; es hieß, der Bothe hab keinen mitgebracht, und da wars, als ob ich auf Einmal ein ganz andrer Mensch wurde. Ich raste, und hätt einen umbringen können, der mir in Weg gekommen wäre! Ich sah und hörte nichts; oder, was ich sah, das war mir ärgerlich. Ich lief, wie ein Unsinniger beym Thor hinaus; fluchte bey mir selbst, und hätte darauf geschworen, deine Schwester hab mich schon vergessen! – Und nun schreibt sie mir da einen so herrlichen und lieben Brief. O ich möchte mich vor den Kopf schlagen, daß ich so ein Tollkopf bin, und ihr so Unrecht that! – Da siehst du, sagte Siegwart, daß der P. Philipp Recht hat: Man soll sich von der Liebe nicht so ganz beherrschen lassen! Du bist seit der Zeit viel ungeduldiger und auffahrender. Alles ärgert dich, wenns nicht immer gleich nach Wunsch geht. – Freylich; sagte Kronhelm; aber hab nur Geduld mit mir, Bruder! Ich will mich warlich bessern! Deine Schwester ist so ein sanftes, nachgiebiges Mädchen; sie weis sich in alles so zu schicken; und ich bin so ein aufbrausender Kerl der gleich mit dem Kopf durch die Wand will. O [444] sie soll mich noch Gelassenheit und Sanftmuth lehren, oder ich wär ihrer Liebe nicht werth! Schreib ihr nur nichts davon! Ich müßt mich schämen! – Da kannst du ihren Brief lesen. Es ist der Wiederschein ihrer Seele. Die Zärtlichkeit hat ihr ihn selbst eingegeben. Siegwart ließ ihn auch den Brief lesen, den sie ihm geschrieben hatte. – Es ist herrlich, wie das Mädchen schreibt! sagte Kronhelm; so natürlich und so wahr! Man sieht doch gleich, was Natur ist! –

Kronhelm und Siegwart schrieben nun wieder an Theresen und an ihren Vater. Kronhelm ward oft sehr bewegt, und mußte inne halten, so gegenwärtig stellte er sich das Mädchen vor. Er konnte es nicht ganz lassen, und schrieb ihr doch einiges von seiner Ungeduld, in die er über ihr vermeyntes Schreiben gerathen war. Auf den Nachmittag schickten sie die Briefe fort.

Den Sonntag darauf besuchten sie den jungen Grünbach, und erzählten ihm von ihrer Reise. Seine Schwester Sophie kam, unter dem Vorwand, Musikalien zu holen, auch aufs Zimmer, und blieb über eine Stunde da. Das arme Mädchen hieng mit ihren Augen immer an Siegwart, und litt recht viel dabey, daß er so wenig auf sie [445] zu achten schien. Die Jünglinge sprachen viel von Klopstock, und als sie Siegwarten mit solcher Wärme von ihm sprechen hörte, bat sie sich den Messias von ihrem Bruder zum Lesen aus. Ihr Vater kam, und sie mußte in den Laden hinab. Der alte Grünbach erkundigte sich mit vielen Umständen bey Siegwart nach dem Befinden seines Vaters und seiner Familie.

Die Schulstunden wurden nun wieder angefangen, und die beyden Jünglinge beschäftigten sich mehrentheils mit den Büchern; zumal, da man bey den unbeständigen und rauhen Herbsttagen wenig mehr aufs freye Feld hinaus konnte. Kronhelm liebte zwar die Wissenschaften sehr, und brannte vor Begierde, seine Kenntnisse zu vermehren; aber der Gedanke an Theresen überraschte ihn alle Augenblicke über den Büchern, und dann wars ihm unmöglich, weiter zu lesen. Er fieng an zu phantasiren, stellte sich ihr Bild ganze Stunden ganz lebendig vor, und hielt, wenn er allein war, laute Gespräche mit ihr. Sie schrieb ihm, wo nicht alle 8 Tage, doch wenigstens alle 14 Tage gewiß. Sie wurden, auch in der Entfernung, immer noch genauer mit einander verbunden. Sie liessen ihre Seele in den Briefen reden; sagten sich ihre innersten[446] Gedanken, und so entdeckte eines immer mehr Vorzüge und Vollkommenheiten an dem andern. Kurz, sie waren das glücklichste Paar, weil Tugend und Weisheit ihre Seelen an einander kettete, und immer fester mit einander verband. Der alte Siegwart wurde, ohngeachtet der Verschiedenheit der Jahre, Kronhelms warmer und vertrauter Freund. Er hielt alles auf ihn, und wünschte nur, daß kein Unglück ihn von seiner Tochter trennen möchte! Unsre Liebende vergassen der Gefahr, so bald sie ihnen aus den Augen verschwand; freuten sich nur ihrer Liebe, und sahen nichts, als einen heitern, unbewölkten Himmel vor sich.

Siegwart, der auf der Schule, wegen seines Fleisses, immer weiter fortrückte, ließ sich diese Aufmunterung nur desto mehr anspornen, und vermehrte seine Kenntnisse mit jedem Tage. Tibull und Properz, die man in der Schute las, verfeinerten sein ohnedies zartes und richtiges Gefühl; er las sie sehr fleissig, und schätzte besonders den Properz; aber nicht, wie gemeiniglich geschieht, auf Kosten der Neuern. Er sah wohl, daß die Deutschen eben so gut, und in den meisten Fächern weit bessere Dichter aufzustellen haben, wie die Römer; besonders in Dingen, die mehr die Empfindung, [447] als die Kunst betreffen. P. Philipp lehrte ihn auf seinem Zimmer aus Freundschaft das Griechische, das auf der Schule nicht getrieben wurde, und las mit ihm das neue Testament, die Fabeln des Aesop und den Anakreon. Auf den Winter, versprach er, mit ihm den Herodot, vielleicht auch den Homer zu lesen. Auch lieh er ihm einen Livius, und erklärte ihm die schweren Stellen, über die er ihn befragte. Kurz, Siegwart war auf dem rechten Wege, ein vernünftiger Gelehrter zu werden.

Den Abend brachten sie entweder allein zu, und da muste Xaver mit Kronhelm fleissig von Theresen sprechen; oder sie giengen zu P. Philipp, dessen Umgang ihnen immer der liebste und lehrreichste war; Sie lasen, oder zeichneten mit ihm, oder sprachen abwechselnd über ernsthafte und muntre Gegenstände. Oder sie machten mit Grünbach Musik, und kamen durch die Uebung merklich weiter. Siegwart besuchte auch noch oft die L. Frauenkirche, und hörte da die Nonnen singen. Oft traf er auch Sophien da an. Die schöne Andächtige gefiel ihm wohl. Er schätzte sie wegen ihrer Andacht nur noch höher; aber [448] doch fühlte er nicht das gegen sie, was sie gegen ihn fühlte.

In der Mitte des Winters, als Kronhelm einst an einem heitern Tage mit Siegwart spazieren gegangen, und nach dem langen Stubenhüten ausserordentlich vergnügt gewesen war, fand er, bey seiner Nachhausekunft auf des P. Philipps Zimmer einen Brief, den sein Vater durch einen eignen Bothen hereingeschickt hatte, folgenden Inhalts:


Verfluchter Son!


Hol Dich der Teufel mit Deinem ganzen Hurenpack! Da hast Du 'n rechten Hundestreich gemacht. Bist denn gar ein Narr? Was treibst mit des Amtmanns Mädel, der unadelichen nichtsnutzigen Kanale? Hör Kerl, Du bist keinen Schuß Pulver wehrt – hol mich dieser und jener, Mann sollt Dich todtschlagen, wie einen Dags. Ich hab mir g'ärgert, daß ichs Zibberlein trügen thät, sonst wär ich selbst komen, und hätt Dich todtg'schlagen. Invamer Kerl, daß Du Dich so wegwerfen thust, als ob Du von einer Bürgershur herkommen thätest! Ich muß mich ja ob Dir schamen wo ich hinkomm. Aber ich schwör Dir [449] bei Godd, daß, wenn Du mir noch Augenblikk an das Burgersmädel denken thust, so reit ich weck, und wenn ich keinen Fuß hätt, und schieß Dir nieder, und schlag Dich dann mitn Flintenkolben follendts tod. Laß Dirs nur nit einfallen, daß Du noch 'n Buchstaben an sie schreibst, oder Du bist, meiner Seel! des Teufels. Ich habs 'm Amtman dem Kerl schon g'sagt, und seiner Dirn auch, 's kostet Dir und ihm und ihr 's Leben. Solang ich auf Godds Erdboden bin, sollst Du nicht mit ihr z'samen kommen, und wenns die ganz Welt hahn wollt. Ich reiss euch von einander, und sollts mit den Zähnen sein. Da hast Du mein Wort. So wahr ich 'n alter Edelmann, und sie 'n kahle Amtmansdirn ist. Verteufelter Son, das heisst 'm alten Vater Herzleid anthun. So hats noch keiner g'macht seit vil dausend Jahren, seit 's Kronehelm geben hat, und Du muest grab anfangen, und willt doch mein Son sein? Ja 'n Teufelskerl bist, und kein Gaballiers Son. Ich sag Dirs, wenn Du noch a Zeil schreiben thust, so must Du sterben, und wenn Du auch am Himel hangen thätest, Du must mir runter; und 's Mädel zerreiss ich mit den Nägeln, das merk Dir! Laß mir ja kein Wort hören, und wenn Du nur [450] Mukker gegen mir thust, so schick ich drey Kerl zu Dir, die sollen Dich lebendig oder tot zu mich bringen. Da sollt Du Deine liebe Not haben. Braten will ich Dich, wie 'n Hasen, Lauskerl Du! Ich hab meine Spijon, Einen Buochstaben, und Du bist hin, und Deine Hur auch. Ich hab mir g'ärgert, daß ich nicht mer schreiben kan. Du weist noch nit, wie ich bin, wenn ich wild werd. Schwör mir heilig, daß Du nit mer an sie dencken, und noch minder schreiben willt, sonst sind auf d' Woch die drey Kerl bey Dir, und holen Dich, und ich laß Dich schliessen, und beym Mädel forbey führen, und sie mit der Kugel vor den Kopf brennen, daß sie verrecken muß, wie 'n ang'schoßnes Thier. Schreib mirs nur gleich, oder du lebst keine 6 Täg mehr, das schwör ich dir bey allen Teufeln.


Veit Kronehelm.


Kronhelm stand, wie vom Blitz getroffen da, als er diesen Brief gelesen hatte. Er ward blaß, und zitterte an allen Gliedern. – Da, lies! sagte er zu Siegwart, gieng einigemal auf und ab; blieb oft plötzlich stehen, als ob er nach, dächte, und konnte doch keinen Gedanken halb ausdenken. – Hasts gelesen? Nicht wahres [451] ist schön? Ich bin ein rechtes Glückskind! – O ich wollte! – der verdammte, höllische Adel! – Aber, ich wollte nicht nachgeben! – Sprich! Was denkst du denn? Stehst ja da, wie ein Klotz!

Siegwart. Ich weiß nicht, was ich sagen soll? Es ist schrecklich! Ich bedaure dich von ganzem Herzen.

Kronhelm. So? Weiter nichts?

Siegwart. Was kann ich sonst thun?

Kronhelm. Was weiß ich? Mir rathen! Oder mich todtschlagen, wenn du willst.

Siegwart. Ich bitt dich um Gotteswillen, Kronhelm! Du must dich mässigen!

Kronhelm. Du bist ein Narr! – Aber, halt, Siegwart! Nicht wahr? ich thu dir Unrecht?

Siegwart. Ja, das dächt ich auch.

Kronhelm. Nu, so verzeih mir! Du weist schon, wie's ist; ich kann nicht dafür. – Sag, Brüderchen, was muß ich anfangen? Sags doch! Ich weiß ja nicht –

Siegwart. Du must deinem Vater schreiben, denk ich.

[452] Kronhelm. Nun ja, schreiben! Und was denn?

Siegwart. Daß du mit meiner Schwester nichts mehr –

Kronhelm. Was?

Siegwart. Daß du nichts mehr mit ihr zu thun haben wollest.

Kronhelm. Bist du vom Teufel, Kerl?

Siegwart. Bessers weiß ich nichts.

Kronhelm. Nun, so pack dich zu allen Henkern! – Den Rath kann mir nur mein Todfeind geben! Aufsetzen will ich mich, und zu meinem Vater hinausreiten! Das will ich thun, Kerl!

Siegwart. Ich kann dirs nicht rathen.

Kronhelm. Und warum nicht, Memme? Glaubst, er werd mich gleich niederschießen? Laß ihn nur! Das wär mit eben recht! So käm ich auf einmal von der verdammten Welt weg!

Siegwart (schwieg, und sah seinen Freund mitleidig an.)

Kronhelm. Gefällt dir das nicht? – Was soll ich denn thun?

Siegwart. Ich habs schon gesagt.

[453] Kronhelm. Schreiben? – Aber denk: Mein eignes Todesurtheil!

Siegwart. Traurig ists genug! Du kennst aber deinen Vater, und hast seinen Brief noch nicht genug gelesen.

Kronhelm. Ja, ich habs! Sonst wär ich nicht so rasend! – Jesus, Maria! Was soll ich anfangen? – Gibts denn gar kein andres Mittel? – Sag doch! Bist mir ja sonst immer gut gewesen.

Siegwart. Bins auch noch; mehr als du glaubst. – Aber ich weiß nichts bessers. Bedenks nur selber!

Kronhelm. Ja, was bedenken? Ich kann nicht, sag ich dir! – Und so sollt ich meinem Vater schreiben? – Sollt Theresen ausgeben? – Gott, wie kann ich das?

Siegwart. Es kann sich ändern.

Kronhelm. Was, ändern! Es kann nicht, sag ich! – Therese! Therese! Dich aufgeben? – Und wie kann sichs ändern? Sprich doch!

Siegwart. Dein Vater könnte sterben; oder sonst so etwas – [454] Kronhelm. Ja, der stirbt nicht! – Grosser Gott! was ich da für Gedanken habe! – Ja, wenn er stürbe! – Wenn er aber auch nicht stürbe ...?

Siegwart. Du hast doch indessen eine Ausflucht. Sonst hast du gar keine.

Kronhelm. Gar keine! – Das ist schrecklich! – Bey Gott! schrecklich! – Kann ich ihm denn sonst gar nichts schreiben?

Siegwart. Ich weiß nichts, wenn du seinem Zorn entgehen willst, und wenns nicht meine Schwester und mein Vater mit entgelten sollen.

Kronhelm. Wie das?

Siegwart. Er droht ja, daß er sie umbringen will. Hasts nicht gelesen?

Kronhelm. Ja, das ist wahr! Ja, ich muß schreiben; Siegwart, ich muß!

Siegwart. Aber nur behutsam, Bruder! ich bitte dich. Wenn du trotzen willst, so gehts nicht. Jetzt must du nachgeben, so viel du kannst.

Kronhelm. Ja, wenn man nur so könnte. Denk einmal, in so was nachgeben! – Hätt er nur nicht Theresen gedroht! Mir mocht er drohen wie er wollte! Ich achte nichts. – Aber ich weiß, wie er ist; sie wär nicht sicher vor ihm. [455] – O ich weiß nicht, was ich noch anfange? – Wärs nur nicht mein Vater! – Gott! was wird deine Schwester sagen! – Ich halts nicht aus, Bruder. Sterben, oder mein seyn! – Ja, ich will ihm schreiben, daß ich nicht mehr an sie schreiben will. Das kann ich wohl. Sie ist ja doch mein; ich ja doch ihr. Ja, ich will ihm schreiben. Gib nur Dinte her! Wo ist der Schandbrief? Gott verzeih mirs! Aber 's ist so! Gib nur her Papier und Dinte.

Siegwart. Bruder, du kommst mir ganz sonderbar vor. Jetzt auf einmal so nachgiebig, und eben vorher noch so heftig! Ich kann mich in dich nicht finden.

Kronhelm. Ich mich auch nicht, gib nur her!

Siegwart. Aber du must mich den Brief erst sehen lassen. Nicht?

Kronhelm. Ja freylich! Gib nur her! (Er schreibt) »Lieber Papa!« Ja, es ist nicht wahr. – »Ihr nicht mehr schreiben will.« Das ist fürchterlich! – Da! Ich kann nichts bessers schreiben. Lis nur! – Nun, gefällt dirs? Kann ichs anders machen?

Siegwart. Nein; es ist gut. Ich hoffe, das soll ihn beruhigen! –

[456] Kronhelm. Ja, ihn! Aber auch mich! Solls auch mich beruhigen? – Gib her! Ich wills wieder zerreissen, den verdammten Wisch!

Siegwart. Laß doch, Bruder! Du kannst Einmal nichts anders schreiben. Denk, daß du Theresen dabey schonst!

Kronhelm. Nun so seys! Siegl' es zu! Ich mag mit dem Quark nicht länger umgehn!

Siegwart siegelte den Brief zu, und erbot sich, ihn des Junker Veits Bedienten zu bringen; denn er fürchtete, Kronhelm möchte den Brief wieder zerreissen. Dieser blieb indessen allein auf dem Zimmer, und verwünschte sein Schicksal. Bald war er wild und heftig, bald wieder wehmüthig, und zum tiefsten Schmerz herabgebeugt, wenn er an Theresen dachte. Siegwart kam bald wieder, und nun besprachen sie sich über die traurige Geschichte; Kronhelm war nun äusserst besorgt, was Therese zu seinem Betragen denken, und ob sie ihn nicht verachten werde, wenn sie höre, daß er seinem Vater versprochen habe, ihr nicht mehr zu schreiben? Siegwart beruhigte ihn aber wieder, indem er versprach, ihr die Sache im Zusammenhang zu schreiben, und sie zu überzeugen, daß er, nach Erforderniß [457] der Umstände so habe schreiben müssen. Sie wird es selber einsehen, sagte er, da sie nun deinen Vater selbst kennt. Und deswegen, daß du versprochen hast, ihr nicht mehr zu schreiben, kannst du auch ziemlich unbesorgt seyn, da ich ihr alle Wochen schreibe; da kannst du mir ja alles in die Feder sagen, was du an sie geschrieben haben willst; und so kann sie's wieder in den Briefen an mich machen, dieß beruhigte zwar Kronhelm etwas, aber doch nicht viel; und er zitterte vor Theresens nächstem Briefe. P. Philipp, dem sie die Geschichte auch erzählten, arbeitete sehr daran, unserm Kronhelm einen gesetzten Muth beyzubringen, denn er befürchtete nicht ohne Grund noch traurigere Auftritte. Er hielt ihm, mit der größten Rührung, die Pflichten vor, die er seinem Vater, der Welt, Theresen und sich selber schuldig sey. Ich will, sagte er, das Verfahren seines Vaters nicht entschuldigen; aber ganz Unrecht hat er doch auch nicht, daß er sich einer Verbindung widersetzt, die ohne sein Vorwissen, und (wie Er vorauswissen konnte) ohne seine Bewilligung mit einer Person eingegangen worden ist, die sein Vater nicht kennt, und die von einem andern Stand ist, als er. Zwar an sich betrachtet, ist der Stand nichts, aber in unsre jetzige [458] bürgerliche Verfassung hat er Einfluß, und man kann ihn nicht ganz aus den Augen setzen. Mach er sich auf alles gefaßt, und bedenk er dieß zuerst, daß man durch Heftigkeit und Unbesonnenheit immer am wenigsten ausrichtet. Wenn er das gethan hat, was ihm möglich war, und was er, ohne seine Pflichten zu verletzen, thun konnte, dann überlaß er das Uebrige der Vorsehung, die nie ohne weise Güte handelt, wenn man sich ihr nicht selbst widersetzt. Es kann, so unglaublich es ihm jetzt auch vorkommt, sein Glück seyn, wenn er Theresen nicht kriegt. Wenn ihr Besitz sein wahres Glück ist, so bekommt er sie gewiß. Stell er sich im Voraus alles, auch das ärgste, was ihm begegnen kann, vor! So kommt ihm nichts unerwartet, und sein Herz wird weniger erschüttert. Ich sage nicht, daß er die Hofnung ganz sinken lassen soll. Hofnung nähre das Herz des Menschen, und ist nur dann schädlich, wenn wir sie zu tief wurzeln lassen, und Gewißheit aus ihr machen wollen. – Kronhelm hörte zu; er fühlte, daß der Pater Recht hatte, aber die Wahrheiten waren ihm zu traurig; doch hielten sie ihn von der allzugrossen Heftigkeit zurück.

[459] Zween Tage darauf kamen Briefe von Theresen und ihrem Vater. Kronhelm erbrach sie mit Zittern und dem bängsten Herzklopfen. Sie schrieb ihm folgendes:


Theurester Freund!


Ich schreib Ihnen mit dem kummervollsten Herzen, und mit nassen Augen den letzten Brief in meinem Leben. Der vergangene Montag ist für mich der traurigste und fürchterlichste Tag gewesen. Ihr Vater, den ich noch nicht kannte, kam mit einem Edelmann und zween Jägern in unsern Hof angesprengt. Ich hörte ihn mit Ungestüm nach meinem Vater fragen, und sah aus dem Fenster. Bist du die Hur? rief er zu mir herauf. Ich wußte nicht, was ich aus dem Mann machen sollte? und lief zitternd zu meinem Vater. Als wir hinunter wollten, kam Ihr Vater uns schon auf der Treppe mit dem Edelmann entgegen. – Ist Er der Amtmann Siegwart? fragte er. Ja, mein Herr! antwortete mein Vater, was befehlen Sie? – Nichts befehlen! rief Ihr Vater, und kam die Treppe vollends herauf. – Er ist ein Schurke, daß Ers weis! Er will meinen Sohn verführen! – Das ist wohl das saubre Mensch da, (indem er sich [460] zu mir wandte) an der er den Narren gefressen hat? Ein saubres Thierchen! Mein Seel! – Und so fuhr er fort, und gab mir und meinem Vater Reden, die ich mich schämen würde, niederzuschreiben. Kurz, er begegnete uns auf die gröbste, beleidigendste Weise; sprach immer vom Einsetzen, Verführungen, Lumpen- und Hurenpack, und drohte mit Mord und Todschlag, wenn ich mir einfallen lassen wollte, seinen Sohn ferner zu infamiren, wie ers nannte. Ich stand da, und dachte, ich müßte in die Erde sinken. Einigemal könnt ich mich nicht enthalten, ihm grobe Reden zu geben, als er meine Unschuld – das einzige, worauf ich stolz bin – angrif. Der Junker, der mit Ihrem Vater kam, ist der niederträchtigste Mensch, der mir auf die schimpflichste Art begegnete, und mich immer nur Kanaille, und bürgerliche Gassenhure nannte. – Mein Vater, der auch hitzig seyn kann, wenn man ihn erst aufbringt, sagte Ihrem Vater, er möchte sich in Acht nehmen, und mit solchen Beschimpfungen einhalten. Er sey ein ehrlicher Mann, und ich ein ehrlich Mädchen; ich korresponoire zwar mit seinem Sohn, aber auf die erlaubteste Art; er könn die Briefe selber sehen u.s.w. Ihr Vater wollte von dem allen nichts hören, schimpfte unaufhörlich [461] fort, und drohte, Sie und mich, und meinen Vater zu erschiessen, wenn wir nur noch eine Zeile an einander schrieben, oder einen Gedanken auf ein ander haben wollten. Mein Vater sagte, das woll er wol versprechen, daß ich nicht mehr an Sie schreiben, und weiter keine Gemeinschaft mit Ihnen haben soll; aber die übrigen Beleidigungen woll er sich auch inskünftige verbitten. Der andre Junker schlug ein lautes Gelächter auf. Ihr Vater aber sagte: Nu Jobst, laß uns weiter! Vorjetzt hab ich gnug; aber noch ein Brief, und – hier zog er eine Pistole hervor – die erste Kugel gehört dir, Mädel! und die zweyte ihm, Monsieur Amtmann! Merk er sichs! Mit diesen Worten gieng er wieder die Treppe hinunter, setzte sich aufs Pferd, und ritt mit seinen Jägern davon.

Sie können sich vorstellen, Theurer Freund! wie mir seit der Zeit zu Muthe seyn muß. Das ganze Leben ist mir verhaßt, die ganze Welt eine Einöde. Ich schreib Ihnen diesen Brief auf Befehl meines Vaters, ders bey Ihrem Vater verantworten will, wenn ers erfahren sollte. Ich soll von Ihnen Abschied nehmen auf ewig! Gott, von Ihnen! und doch muß es seyn! – Ich habe Sie geliebt, Theurer, aber verkennen Sie mich nicht! Nicht aus [462] Stolz, weil Sie von Adel sind. Um des Adels Ihres Herzens willen, liebt ich Sie; lieb ich Sie noch! Das darf ich sagen, denn ich sags ohne Absicht auf Ihre Hand. Ich hab auf ewig alle Hofnung von mir weggebannt. Es muß seyn! – Leben Sie glücklich! Sie verdienen es. Bleiben Sie mein Freund in Ihrem Herzen! Denken Sie zuweilen an das Mädchen, das bald sterben wird! ... Ich habe mein Herz in Thränen ausgeschüttet, und komme nochmals, Ihnen das letzte Lebewohl zu sagen. Künftig kann ich keine Zeile mehr von Ihnen annehmen. Ich werd Ihnen jeden Brief unerbrochen zurück schicken. Das hab ich zugesagt. Leben Sie denn wohl, auf ewig wohl, mein Theurester! Gott stärke Sie, und belohne Ihre Tugend! ... Betrüben Sie sich nicht zu sehr! Sie müssen andre Menschen, und ein besseres Mädchen glücklich machen, als ich bin ... Sagen Sie ihr einst, daß ich edel dachte, und Sie darum liebte ... Meine Freundin kann sie auf dieser Welt nicht mehr werden, denn bis dahin bin ich todt ... Ich murre nicht gegen die Vorsicht; aber ich kann diese Last nicht tragen. Mein Herz muß drunter brechen. – Leb wohl, Edelster und Beßter! Im Himmel sehen wir uns wieder, und freuen[463] uns, daß wir geduldet haben ... Leb wohl! Siehst Du einst mein Grab, so wein drauf! Ich verdiens! Der Engel der Liebe sey Dein Schutzgeist! oder ich werds ... Mein Herz schlägt gewaltiger. Hier fällt eine Thräne hin, küß die Stelle!.. Schreib mir keine Zeile! Du würdest mich betrüben ... Nun das letzte Wort, das ich an Dich schreibe. Leb ewig wohl, Geliebtester! und denk an Deine unglückliche

Therese.


Was Kronhelm bey Lesung dieses Briefs empfunden hat, läßt sich nicht beschreiben. Jedes zärtliche und liebevolle Herz, das auch einmal gelitten hat, denke sich noch Einmal in sein Unglück zurück! Fühle noch Einmal die Leiden seiner Liebe, und wein unsern Edeln, mit mir, eine mitleidige Zähre!.. Er lehnte sich ans Fenster, hüllte sein Gesicht ein, und war sprach- und thränenlos. Siegwart weinte, und hatte den Brief, den seine Schwester ihm geschrieben hatte, in der Hand. Kronhelm drehte sich schnell um, sah ihn mit unbeschreiblicher Wehmuth an; drauf warf er sich aufs Bette, hüllte sein Gesicht ins Kissen ein, und blieb so eine Viertelstunde unbeweglich liegen. Laß [464] uns vors Thor hinaus, sagte er, ich muß Luft kriegen! Siegwart gieng mit ihm, ob es gleich stark schneyte. Kronhelm wälzte sich im Schnee, und wollte da bleiben. Aber Siegwart riß ihn mit Gewalt auf. Endlich fieng er an bitterlich zu weinen. Siegwart sprach kein Wort, und weinte mit. Nun ist mir wohl, sagte Kronhelm, herzlich wohl. Ich dachte, ich könne nicht mehr weinen ... Bruder, Bruder! In mir tobt mehr, als Höllenqual. Therese ist hin für mich. Weist dus schon! – Ja, sie hat mirs geschrieben, sagte Siegwart.

– Hat sie das? Mir hat sies auch geschrieben. O, der Engel ist verloren! Aber meynst du, daß das lange währen soll? Ich kann auch sterben, Bruder! Bey Gott! ich kanns auch! – Ihr seyd rechte Tröster, du und Philipp! Aber, ich brauch ja keinen Trost! Der Tod hat so viel Trost; wird mir auch wohl welchen geben! O, der Engel ist verloren! – So sprach er immerfort, ohne daß Siegwart ihm ein Wort antworten konnte, als daß er ihn zuweilen mit Thränen und einsylbichten Wörtern bedauerte. Sie giengen wieder nach Haus. Siegwart bat in der Stille den P. Philipp auf sein Zimmer, weil er sich zu schwach fühlte, jetzt bey seinem Freund allein zu seyn. Philipp wußte ihm[465] selbst wenig zu seinem Trost zu sagen. Sein eignes Herz litt zu viel bey den Qualen seines jungen Freundes. Er hatte selbst einmal unglücklich geliebt; und die Erinnerung aller seiner vorigen Leiden kehrte wieder in sein Herz zurück. Kronhelm sprach wenig; er sah immer mit seinen Blicken starr auf Einen Ort, und schien gar nichts mehr zu fühlen. Zuweilen nur ward sein Körper durch einen hervorbrechenden Seufzer ungewöhnlich stark erschüttert. Die ganze Nacht ächzte er, und Siegwart, der nicht schlafen konnte, aber doch sich stellte, als ob er schliefe, hörte ihn oft mit sich selbst, aber immer abgebrochen, sprechen. Er litt bey den Leiden seines Freundes, und bey den Qualen seiner Schwester, deren tieffühlendes Herz er kannte, unendlich viel. Den andern Morgen saß Kronhelm immer auf der Stube, und schrieb; denn es war ein Sonntag. Siegwart störte ihn nicht, und schrieb indessen an seine Schwester. Endlich gab ihm Kronhelm ein Blatt, und sagte: Ich will deiner Schwester keinen Brief mehr schreiben, sie hat mirs verboten. Aber nur um Eine Wohlthat fleh ich dich; die must du mir gewähren. Schreib dieses Blatt ab, es ist kein Brief, was ich geschrieben habe. Es ist mein letztes Vermächtnis [466] an Theresen. Schreib es ab, und legs in deinen Brief, ohn' ein Wort davon zu schreiben! Versag mir diese letzte traurige Wohlthat nicht! Siegwart wagte es nicht, seinem Freund zu widersprechen, und schrieb folgendes ab:

Stirb nur, Engel! Ich flehe Gott darum, und folg dir bald nach. Diese Welt ist viel zu klein für Liebende. Wenn ich die Stern' am Himmel funkeln seh, so denk ich: Einer von den Sternen allen wird doch einen Wohnplatz für die Liebe haben. Du Gott, kannst dein Kind, dein herrliches Geschöpf, nicht ganz aus deinem Weltgebäu verbannen. Ja, sie lachen mir lieblicher die Sterne. Dieser Stern dort mit dem bläulichen und reinen Lichte winkt mir .... Stirb nur Engel! sieh, er lacht uns .... Fall in Staub dahin, du schwache Hütte! denn du hast genug geduldet. Hat dich nicht der Sturm des Lebens gnug erschüttert? ... Auf mein Geist! und schüttle deine Thränen ab. Auf zum Stern mit dem bläulichen und reinen Lichte! ... Die Natur ist todt; sie ist gestorben. Willst du länger hier im Thal des Todes weilen? – Ach, Therese, laß uns eilen an den Ort, wo keine Menschen sind! Denn der Mensch ist hart und grausam .... Weine nicht, du Theure! [467] Diese Nacht im Traume hab ich ihn gesehn, den Tod. Er ist ein hellleuchtender Engel, und hat Palmen in der Hand zum Trost der Liebenden ... Und du weinst noch? Sieh, ich lächle ja; der Engel mit den Palmen hat uns zugewinket, dir und mir .... Wohlauf, ihr Menschen, raubt mir meine Liebe! Unter Engeln wohn ich. Raubt mir meine Liebe!.. Warum wein' ich denn, du Theure? Kann doch die Natur nicht weinen. Schau hinaus! Sie ist versteinert. Auch der Bach, der immer weinte; auch die Donau steht versteinert da. Weine doch, o Donau, daß ich einen Gespielen habe meiner Thränen!.. Wenig Tage noch, so sind wir hingewandelt, ins Gefild der Liebe ... Duld, o meine Liebe! Sey getreu bis an das Ende! Sieh! ich will getreu seyn, bis ans Ende! Und du willst mir eine Freundin geben? Duld, o meine Liebe! sey getreu bis an das Ende! Amen!

Kronhelms Seele versank in die tiefste, düsterste Melancholie; sein ganzer Karakter bekam eine andere Wendung. Er ward heftig, und auffahrend, und über alles ärgerlich. Sein natürlich sanftes und gefälliges Wesen verwandelte sich in eine mürrische, verdrüßliche Laune. Alles, was er sah und hörte, und die ganze Welt ward ihm zuwider. Er [468] verachtete das ganze Menschengeschlecht; nur den P. Philipp und seinen Siegwart nicht. Aber der letztere stand doch sehr viel bey ihm aus. Er konnte ihm nichts recht machen; jede Bewegung, die er auf dem Zimmer vornahm, konnte seinen Freund verdrüßlich machen, und er verzog die Minen darüber. Wenn er lachte, war ihms nicht recht; wenn er traurte, auch nicht. Siegwart trug alles mit der größten Geduld, und gab seinem Freund in allem nach. Zuweilen überfiel seinen Kronhelm schnell die Wehmuth, daß er weinen konnte; dann sprach er von Theresen. Siegwart konnte ihm wenig von ihr sagen, denn sie schrieb nichts mehr von Kronhelm, aber immer traurig und wehmüthig. Einmal schrieb sie ihm: Die Ursache meiner Leiden ist unsre Schwägerin. Sie war einmal bey uns, als ein Brief von dir kam. Ich übereilte mich, und brach ihn auf. Ein versiegelter Brief von Kronhelm lag darinn. Ich steckte ihn schnell ein, und ward roth. Das hat sie vermuthlich gemerkt, und an Kronhelms Vater geschrieben; denn sie sagte gleich: Sie korrespondiren ja auch mit dem jungen Herrn von Kronhelm? Ich konnte meine Verwirrung nicht verbergen, noch es ganz verhehlen. – Kronhelm fieng von neuem an zu toben; [469] daß eine solche Kleinigkeit an seinem Unglück Schuld haben sollte. P. Philipp suchte ihn auf alle mögliche Weise zu zerstreuen; aber es half wenig. Er nahm ihn oft, mitten im Winter, mit spatzieren. Das traurige Stillschweigen der Natur nährte nur seine Traurigkeit. Er las in seinen Büchern nichts, als düstre, wehmüthige Stellen. Die Musik ergötzte ihn auch nicht mehr. Nur zuweilen phantasirte er in lauter Dissonanzen und wimmernden Tönen. Die Einsamkeit war ihm das liebste, und sie lobte er allein. Oft pries er unsern Siegwart wegen des Entschlusses selig, die Welt zu verlassen, und sich in ein Kloster zu verschliessen. Das war gewiß ein weiser und unglücklicher Mann, sagte er, der wie ich geliebt hat, der zuerst den Einfall hatte, in eine Einsiedeley zu ziehen, oder sich durch Mauren vom unseligen Menschengeschlecht abzusondern. Man muß aufhören, ein Mensch zu seyn, wenn man glücklich werden will! Ich wollte, daß ich alle meine Leiden mit dir in einer Zelle vergraben könnte!

Diese Reden, und das ganze Schicksal seines Freundes machte bey unserm Siegwart den Gedanken ans Klosterleben aufs neue wieder zum alleinherrschenden und angenehmsten. Er sah die Liebe [470] als die größte Feindin des Menschengeschlechts an, und glaubte, sich nicht stark und früh genug vor ihr verwahren zu können. Er dachte sich nur seinen P. Anton und die andern Paters, wie ruhig und zufrieden die in ihren Zellen lebten. Er glaubte, die Liebe könne sich der Klostereinsamkeit nicht nahen, und schmachtete recht darnach, bald in diesem sichern Hafen einzuschiffen.

Ostern rückte nun heran, an dem Kronhelm die Schule verlassen, und nach Ingolstadt ziehen sollte. Er wäre gern noch länger in der Nachbarschaft Theresens geblieben, ob ihn dieses gleich nichts half, und hatte deswegen auch an seinen Onkel in München geschrieben; aber dieser fand nicht für gut, es ihm zu erlauben; denn er hatte durch seinen Bruder Veit die Liebe seines Neffen erfahren. Ob er gleich von Vorurtheilen ziemlich frey war, so konnte er doch Kronhelms Wahl nicht begünstigen, denn er hielt seine Liebe für eine vorübergehende, aufbrausende Leidenschaft, und kannte auch das Mädchen gar nicht, das er gewählt hatte. Die Entfernung, hoffte er, würde die beste Arzeney für sein krankes Herz seyn, und ihm bald seine vorige Heiterkeit und Ruhe wieder geben.

[471] Kronhelm reiste also an Ostern ab. Sein Vater hatte zwar gewollt, er sollte ihn vorher noch in Steinfeld besuchen, aber dieß war ihm unmöglich. Er sah alle die Vorwürfe voraus, die ihm sein Vater wegen Theresen machen würde, und wußte, daß er dazu unmöglich still schweigen könnte. Er verachtete auch seinen Vater wegen seiner rohen, unmenschlichen Seele, und wegen seines Betragens gegen ihn zu sehr, als daß er nicht seine Gesellschaft soviel, als möglich, hätte vermeiden sollen. – Bey dem herannahenden Abschied von seinem innigsten und ersten Freunde, von dem Bruder seiner ewiggeliebten Therese, erwachte sein ganzer Schmerz von neuem. Die ganze Zeit über, da er die Vorbereitungen zur Abreise machte, war er wie betäubt; alles war tobt um ihn herum; dann überfiel ihn plötzlich wieder eine Aengstlichkeit; er lief in einen Winkel, um allein zu seyn, und seine Thränen auszuschütten. Er erschrack, wenn er allein war, und Siegwart ungefähr aufs Zimmer kommen sah, und Zähren schossen ihm in die Augen. Den Tag vor seiner Abreise gieng er zu Grünbach, um von ihm Abschied zu nehmen. So viel er auch auf ihn hielt; so fühlte er doch nichts dabey und ward nicht im mindesten bewegt. Unten in [472] der Thüre stand Sophie, um ihm auch ihr Lebewohl zu sagen; sie weinte, und nun weinte er auf einmal mit, weil ihm seine Therese mit aller Lebhaftigkeit einfiel. Er lief, so schnell er konnte, über die Strasse. Dann nahm er von seinen Lehrern Abschied. Beym P. Johann ward er sehr bewegt. Der kränkliche Mann wünschte ihm mit der herzlichsten Rührung allen Segen des Himmels. Kronhelm dankte ihm für seinen Unterricht. Ich wünsche, sagte Johann, daß meine Lehren auch bey Ihm Frucht bringen, und Ihn, wie mich, in Freud und Leid erquicken mögen. Sie flossen aus reinem Herzen, und nie ohne vorhergehendes Gebeth, daß Gott sie segnen möge! Ich wünschte so gern alle Menschen, und besonders meine Schüler, am meisten aber Ihn, mein lieber Herr von Kronhelm glücklich, weil er so sittsam und recht schaffen ist, und das wird man am ersten durch Religion. Vergeß Er also Gottes Wort und meine Lehren nicht! Ich werd oft an Ihn denken, und für Ihn beten. Denk Er auch zuweilen an mich, und bet Er, daß mich Gott ferner treu und geduldig in der Leidenszeit erhalte, die wol nicht mehr lange währen wird. Leb Er[473] wohl! Gott segn Ihn! Hier gab er unsern, Kronhelm die Hand; dieser küste sie mit heisser Innbrunst, und ließ seine Thränen drauf fallen. – Der Abend ward auf P. Philipps Zimmer sehr traurig zugebracht. Kronhelm sprach fast gar nichts, und Siegwart auch nur wenig, denn auf beyden lag die Last der nahen Trennung schwer. Philipp, der nun drey Jahre schon unsern Kronhelm gekannt, und seine Seele täglich unter seiner Anführung sich hatte vervollkommen sehen; der ihn, ob er wol sein Schüler war, wie seinen Freund liebte, der jetzt alle seine Leiden kannte, und voraus sah, daß sie sich nach der Trennung von seinen Freunden noch verdoppeln würden, war selbst von allen diesen Vorstellungen danieder gedrückt, und hatte Mühe, seinen tiefen Kummer zu verbergen, um nicht seine jungen Freunde noch wehmüthiger zu machen. Er nöthigte sie, etwas mehr Wein zu trinken, um ihre Traurigkeit in etwas zu zerstreuen, und sie wurden wirklich um ein gutes munterer. Aber mit den Lebensgeistern wachte bey Kronhelm das Andenken an Theresen auch wieder lebhafter auf; er nahm ein Glas; stand auf; brachte Theresens Gesundheit aus; und trank; und Thränentropfen fielen ihm in den Wein. Alle [474] Hindernisse, sie jemals zu erhalten, schwanden vor ihm weg. Er fühlte sich zu allem stark, und sagte, kein Mensch solle sie ihm rauben. P. Philipp hatte sich dieser Wendung nicht versehen; er war gesinnt gewesen, ihm noch etwas Lehren auf den Weg zu geben, sich in sein Schicksal zu finden, und nach und nach ihr Bild aus seinem Herzen zu entfernen; aber er sah wohl, daß dieses jetzt übel angebracht seyn, und seine Leidenschaft mehr erhizzen würde; er beschloß also, ihm lieber davon zu schreiben, da ohnedieß Briefe mehr Eindruck machen, als Reden, weil man sie öfter lesen, und die darin enthaltenen Ermahnungen mehr überdenken kann. Er bat Kronhelm, ihm zuweilen zu schreiben, und versprach, es auch zu thun. Kronhelm nahm diesen Antrag mit Freuden und Dankbarkeit an. – Um zehn Uhr nahmen sie von einander Abschied. Beyde sprachen wenig, weil Thränen ihre Reden erstickten. Gott sey mit dir, mein Sohn! sagte Philipp, und umarmte Kronhelm. Dieser sah seinen Freund und Lehrer noch einmal an, drückte ihm mit unaussprechlicher Empfindung die Hand, und gieng mit Siegwart schweigend weg. – Als er auf sein Zimmer kam, stand er ans Fenster, sah stillschweigend den Mond, und [475] die Donau, die in seinem Glanz dahin tanzte; und überdachte alle das Gute, was er hier im Kloster, besonders von seinem lieben P. Philipp genossen hatte. Siegwart stand am andern Fenster, und weinte. Endlich fieng Kronhelm schweigend an, das noch nöthige zu packen. Siegwart half ihm. Es lag noch ein Buch auf dem Tisch. Willst du das nicht auch einpacken? sagte Siegwart. Nein, es gehört dir, sagte Kronhelm, nimms zum Andenken! – Siegwart schlug es auf. Es waren Geßners Idyllen. Vorne stand drinn:


Denk, o Lieber! Deines armen Freundes!

Stark, und heiß, und treu, wie Geßners

Schäfer, hat sein Herz geliebt;

Aber weine, Freund!

Ich werde sterben!

Denn ich liebte stark, und heiß, und treu!

Ach die Zeiten sind dahin,

Da ich glücklich war, wie Geßners Schäfer!

Weine, Freund! und denke meiner!


K.W. Kronhelm.


Als dieß Siegwart gelesen hatte, drückte er seinen Freund mit heftiger Bewegung an sein Herz, und weinte. O es muß dir wohl gehen; sagte [476] er. Bleib nur standhaft, und verzag nicht'. – Dank dir. Lieber! für das Andenken! Aber sters bcn must du nicht! Schon dich, Lieber! Glaub, es kann dir nicht unglücklich gehen. – Ich will dulden, sagte Kronhelm, schreibs auch Theresen, daß sie dulde! Hör! ich kann dirs nicht veri schweigen, was ich vorhab! Ich fahre durch dein Dorf. Es ist nur zwo Stunden Umweg. Vielleicht seh ich meinen Engel, und werd auf Jahre lang gestärkt! Um Gottes und Maria willen, nicht! sagte Siegwart. Willst du sie und dich ganz unglücklich machen? Ihr würdet wieder doppelt leiden, wenn ihr aufs neu einander sähet. Und wenns meine Schwägerin erfährt, und schreibts deinem Vater? Auch meinem Vater würd es sehr mißfallen. Thu's um Gottes willen nicht! – Nein, ick wills nicht thun, sagte Kronhelm weinend. Es war nur so ein Einfall, der mir erst gestern Abend kam. Du hast Recht; ich kanns nicht thun. Grüß den Engel! Segn' ihn tausendmal in meinem Namen! Schreib ihm: Sey getreu bis an das Ende! Hier brach ihm wieder das Herz, daß er nicht weiter sprechen konnte. – Siegwart überredete hierauf seinen Freund, sich drey oder vier Stunden niederzulegen; [477] denn um fünf Uhr war der Miethkutscher bestellt, der ihn nach Ingolstadt führen sollte. Anfangs wollt es Kronhelm nicht thun, weil er doch nicht schlafen könne; aber endlich gab er seines Freundes Bitten nach. Siegwart sah indessen die vom Monde blaßerhellte Gegend, war voll tiefer Wehmuth, und schrieb in ihr diese Verse nieder:

An meinen Kronhelm, als Er mich verließ.


Die bange Scheidestunde naht

Mit allen ihren Qualen;

Der Mond beleuchtet ihren Pfad

Mit blassen Todesstralen.


Wo nehm' ich Muth, zu scheiden, her,

Daß nicht das Herz mir breche?

Schau du, o Gott, vom Himmel her,

Und blick auf meine Schwäche!


Leb wohl, du Theurer! Ach, ich kann

Dir keinen Segen geben.

Geh! Leb als Christ, und duld' als Mann.

Und blick ins beßre Leben!


Vielleicht, daß dir nach langer Nacht

Noch hier ein Morgen glänzet;

[478]

Vielleicht daß Liebe noch dir lacht,

Und dich mit Freuden kränzet.


Jetzt scheiden unter Seufzern wir,

Und treuen Herzenszähren;

Jetzt muß ich ohne Trost von dir,

Allein, zurücke kehren.


Doch kurze Zeit, so werd ich dich,

Geliebter, neu umfangen;

O möchtest du getröstet mich

Und froher dann empfangen!


Siegwart schrieb das Gedicht unter Thränen ab, und legte es auf den Tisch, hierauf las er etwas im Geßner. Um vier Uhr wachte Kronhelm wieder auf. Einigemal gieng er schweigend im Zimmer auf und ab. Das Gedicht fiel ihm in die Augen, er las es, und sank an die Brust seines Freundes. Wie kann ich dir dafür danken, Xaver? sagte er. Nimms zum Andenken! antwortete Siegwart; ich hab nichts bessers. Sey standhaft, Lieber! In einem Jahr bin ich wieder bey dir. Dann solls besser mit dir stehen, hoff ich. – Ach, wie kann das? sagte Kronhelm. Wenn du nur gleich mit mir reistest! Wie werd ich das allein aushalten können? Grüß mir Theresen! Segne sie [479] tausendmal! Sag ihr, daß ich ewig ihr gehöre, wenn ich sie auch niemals wiedersehe! Sprich ihr Muth ein und Geduld! – Wie viel ist die Glocke? Ich werd wohl bald fort müssen? Siegwart sagte, daß es noch eine halbe oder dreyviertel Stunden anstehen könne. – Sie giengen mit einander auf und ab; und sprachen wenig. Endlich kam der Thorwart, und sagte, der Fuhrmann sey da. Nun leb wohl, Liebster, Bester! sagte Kronhelm, und umarmte Xavern. Vergiß mich nicht! Schreib mir oft! Sie hiengen lang an einander, und sprachen nichts. Als sie an P. Philipps Zimmer vorbeygiengen, sagte Kronhelm: Grüß mir den lieben Mann tausendmal! Segn' ihn tausendmal für alle seine Liebe! – An der Kutsche umarmten sie sich noch einmal und schieden.

Siegwart eilte auf sein Zimmer zurück, um seinem Schmerz freyen Lauf zu lassen. Er konnte sich kaum mässigen, rang die Hände, sprach und weinte laut. Endlich warf er sich auf seine Knie nieder: Gott, du Vater aller! Segn' ihn! Tröst ihn! Stärk ihn! Er ist der edelste, der beste Mensch. Segn' ihn! Stark ihn! Tröst ihn! Ihn und meine Schwester! Mach die beyden glücklich! Ach, belohn ihm alle Freundschaft, die er mir erwiesen hat! [480] Vergib mir alle Kränkungen, die ich ihm vielleicht, wider Willen, anthat! Gott, vergib mir sie, und segn' ihn! – O mein Freund, du Theurer! Warum must du mich verlassen? Gib mir ihn bald wieder, Gott! Laß mich ihn bald wieder sehen! – Endlich warf sich Siegwart, vom Wachen und vom Schmerz ermüdet, in den Kleidern aufs Bette, um noch ein paar Stunden zu schlafen.

Den andern Tag war die ganze Welt ihm öde, und ein unausfüllbares Leere war in seinem Herzen. Er vermißte seinen Kronhelm immer, und wollte alle Augenblick mit ihm reden. Des Abends vergaß er sich oft selbst, und dachte, so oft er jemand auf dem Gang vor seinem Zimmer gehen hörte, sein Freund komme nun. Dann sah er seinen Irrthum; es fiel ihm ein, daß er ferne sey, und seine Wehmuth erwachte stärker. Er gieng auf P. Philipps Zimmer, um ihm das letzte Lebewohl seines Freundes zu sagen; die beyden brachen in sein Lob aus, erzählten alles, was an ihm vortreflich war, mit Lebhaftigkeit nach einander her, und bedaurten dann gemeinschaftlich ihren Verlust. Siegwart zeigte dem Pater den Geßner, den ihm sein Freund geschenkt, und was er vorne hinein geschrieben hatte. – Ich bedaure den armen Kronhelm, [481] sagte Philipp! Er hat von der Liebe ganz unendlich viel gelitten. Er ist ganz verändert, und so ungestüm und heftig geworden. Man sieht, daß er doch vieles von seines Vaters Temperament haben muß. Seine Einbildungskraft, die sonst zu schlummern schien, ist schrecklich aufgewacht. Das traurigste ist, daß er alles so tief fühlt, und so fest in seinem Herzen verschlieft. Die Liebe hat ihm eine tiefe Wunde geschlagen, und ich fürchte, daß sie eher nicht, als durch den Besitz Theresens geheilt werden wird; aber dieses ist so weitaussehend und unwahrscheinlich, daß er vorher drüber zu Grund gehen kann. – Ja, und meine Schwester kanns auch, sagte Siegwart. Das arme Mädchen leidet so viel. Alles, was sie schreibt, ist so düster und schwermüthig. Und dann schrieb sie mir auch neulich, daß sie kränkle und den Tod hoffe. Ich dürfte das Kronhelm nicht sagen; er würde mit ihr sterben. Ach, die Liebe ist was fürchterliches, sagte Philipp. Sie verzehrt die edelsten und besten Seelen. Unter hundert Jünglingen und Mädchen, welche sterben, würde man immer, wenn man ihre Krankengeschichten wüßte, zehen finden, die die Liebe getödtet, oder doch um etliche Jahre dem Grabe näher gebracht hat. Hüt er sich, mein lieber Xaver! [482] so viel als möglich, vor dem Umgang mit Frauenzimmern! Man muß vorher Vorsicht gebrauchen. Wenn man schon zu lieben anfängt, dann ist alle Flucht zu spät. Hüt er sich, da er, nach seiner Bestimmung, nie glücklich lieben kann und darf!

Siegwart gieng auch wirklich deswegen weniger zu Grünbach, weil Sophie allemal aufs Zimmer kam, wenn er da war. Doch glaubte er, hier, von seiner Seite sicher genug zu seyn, denn er fühlte keine Neigung zu dem Mädchen, ob er sie gleich ihrer sittsamen Bescheidenheit, und ihrer tiefen, richtigen Empfindung wegen, sehr hochschätzte. Die Einsamkeit, so sehr er sie auch liebte, war ihm doch zuweilen unerträglich, weil sie ihn oft gar zu lebhaft und zu traurig an seinen Kronhelm erinnerte; und die Liebe zur Musik, die er jetzt allein wenig treiben konnte, rief ihn manchen Abend zu Grünbach. Sophie saß oft ganze Stunden lang in einem Winkel da, hörte ihnen zu, und ward im Innersten bewegt. Siegwart schrieb das der Musik zu, was die Liebe bey ihr that. Doch war sie dabey so ängstlich und zurückhaltend, daß sie ihm nie einen deutlichen und redenden Beweis ihrer Liebe gab. Sie litt in der Stille, verzehrte sich in sich selbst, [483] und vertraute ihre Seufzer und Thränen nur der Einsamkeit. Sie erlaubte sich nur selten einen Blick auf Siegwart, und zog ihn gleich wieder erschrocken zurück, wenn er sie ansah. Er selbst war in der Liebe noch zu unerfahren, als daß ers hätte merken sollen. Wenn sie am Klavier spielte und sang, so bebte ihre Stimme, weil sie sich durch zu vielen Ausdruck zu verrathen fürchtete. Zuweilen war ihr Ton so wehmüthig und schmelzend, daß Siegwart innigst dadurch gerührt wurde, und da glaubte sie, er sey gegen sie nicht ganz gleichgültig; und dieß nährte ihre Liebe.

Acht oder zehen Tage nach Kronhelms Abreise bekam Siegwart folgenden Brief von ihm:


Einziger und liebster Freund!


Frag mich nicht, wie ich lebe? Dein eignes Herz muß Dir antworten: bang und elend. O Lieber! was ist doch des Menschen Leben? Schon so elend oft im Arm des Freundes! Was ists ohne Freund? Wenn ich nicht eine Religion hätte, die mich dulden lehrte, weil sie dem Dulder Kronen zeigt, so sucht' ich einen Ausweg. – Dank Dir für Deinen lieben Vers, den ich hundertmal auf dem Weg hieher wiederholte:


[484]

Geh! Leb als Christ! und duld als Mann!

Und blick ins beßre Leben!


Ich würde hier in Ingolstadt unzufrieden seyn, wenn ich auch ein gesunderes Herz mitgebracht hätte. Die Lage des Orts ist verdrüßlich und bergicht. In der Stadt sind lauter Misthaufen. Wir sind bisher immer in stinkende und ungesunde Nebel eingehüllt gewesen. Man soll leicht Krankheiten davon kriegen. Das wäre noch das beste, wenn mich eine suchen, und es enden mit mir wollte! Aber man sagt, der Tod sey der Unglücklichen Freund nicht. Die Gesellschaften unter den Studenten hier sind ekel, elend und mehr als einschläfernd. Die Leute können kaum deutsch. Erbärmliches Küchenlatein wird überall gesprochen. Laß dichs ja nicht merken, wenn Du hier bist, daß Du deutsche Verse, noch weniger von einem Protestanten lesest. Dieß wäre schon genug, Dich lächerlich zu machen, und zum Ketzer. Ich wäre bald um meine deutsche Bücher und um meinen Klopstock gekommen. Ein Student, der mich besuchte, sah, daß vorn' auf dem Titel: Halle stand. Das ist ja wohl bey den Ketzern, sagte er. Ja, antwortete ich, Halle ist ein protestantischer Ort im Preussischen. – So lassen Sie ja das Buch nicht [485] öffentlich sehen! sagte er ganz ängstlich; das würd Ihnen gleich weggenommen werden. Man ist hier gar scharf. So, sagte ich, denket man hier so? und schnitt das Titelblatt heraus; und so hab ichs auch mit meinen andern Büchern gemacht. Brauch diese Vorsicht auch, mein Lieber! – Du kannst aus diesem wenigen sehen, wies hier aussieht? Beym alten und beym jungen Herrn von Ickstatt hab ich Aufwartung gemacht; das sind noch Leute, die billig und vernünftig denken. Aber der junge Herr hat auch auf einer reformirten Universität, ich denk, in Marpurg studirt.

Wann nur Du hier wärest, Lieber! dann wär mir jeder Ort noch erträglich; aber so kann ichs kaum aushalten. Ich irre allein auf den Bergen herum, spreche mit mir selber laut, und wein' um Theresen und über mein Schicksal. Was macht der Engel? Das wollt ich Dich zuerst fragen. Ich hab ihren Namen in Buchen eingeschnitten und in Felsen geritzt an der Donau. Schreib ihr, daß ich dulde, und getreu sey! – Ich sah den Himmel, der ihr Dorf umzieht, und weinte. Damals konnt ich beten; noch selten konnt ichs. – Mein Vater hat mir geschrieben, und mir fürchterlich gedroht. Ich lache seiner Drohungen. Mir kann nichts[486] mehr schaden auf der Welt. – Vor zwey Tagen war ich etwas unpaß. Ich dachte, der Tod würde kommen, aber er wars nicht. Ich habe Theresen gesehen im Traum, sie hatte ein hellleuchtendes Gewand an, und lachte. So seh ich sie nun immer vor mir. – O Lieber! ich duld unaussprechlich viel; so allein, und so elend! komm doch bald! – Nicht wahr? Therese schreibt Dir nichts von mir? Warum thut sies nicht? Bin ichs nicht werth? – O Gott, du weist, daß ichs bin. – Hier leg ich einen Brief bey, an den rechtschaffnen P. Philipp. Grünbach must Du grüssen! Ich kann nicht schreiben. Ich bin nie so unthätig gewesen. Zu nichts kann ich mich entschliessen. – Theresens Namen kritzl' ich auf jedes Papier, in jeden Tisch, und lösch ihn wieder aus. Grüß den Engel tausendmal, und schreib mir von ihm! Komm bald und hilf mir meine Leiden tragen! Sie sind schwer.


Dein


Kronhelm.


Siegwart antwortete seinem Freund sogleich, und suchte ihn, so viel als möglich war, zu trösten. Wegen Theresen schrieb er ihm wenig, und weiter nichts, als: sie habe sich nach ihm erkundigt, und [487] scheine, nach Umständen, ziemlich ruhig. Dieß schrieb er nur, um seinen Freund zu schonen. Aber im Grunde war Therese sehr elend. Sie hatte ihm kürzlich, in Absicht auf Kronhelm, folgendes geschrieben:

– Ich kann Ihn nicht vergessen. Tag und Nacht schwebt er mir vor Augen: Das Andenken an die seligsten von allen Tagen quält mich ganze Nächte durch, und raubt wir den Schlaf, die einzige Wohlthat, die der Leidende hienieden hat. Ich fühls durch mein ganzes Wesen, daß nur Er, der Einzige, mich meiner Qual entreissen, und mich wieder glücklich machen könnte. Aber ich kann und will ihn nicht besitzen! Ich würde seine Hand ausschlagen, wenn er sie mir heut anböte, denn er soll durch mich nicht auf sein ganzes Leben unglücklich werden. Ich weis, sein Vater und seine Verwandten würden ihn durch Spott und Verachtung zu Tode quälen. Ich wär eine Schlange an seinem Busen, die er mit seinem eignen Leben nährte. Schreib ihm, aber nicht gerade zu, daß er alle Hofnung aufgiebt! Ich will nie die Seinige werden! Er soll mich vergessen! Gott! wie ist das Wort so hart! Aber schreib ihms doch! Vielleicht thut ers, und das wollt ich, denn es würd mich [488] tödten ... Unser redlicher Vater leidet mit mir, und zehrt sich ab. Das ist mein gröster Schmerz. – Ich verberg ihm meine Qual, so viel ich kann; Schliesse sie in meinen Busen ein, und ich fühls, daß sie schon mein Herz angefressen hat. Es wird bald brechen. Wünsch mir Glück dazu, Bruder! Es ist Wohlthat. – Ich leid' jetzt doppelt. Innerlich tobt verzehrende Glut, und aussen kalte, spöttische Verhöhnung. Salome ist hier, und bringt unsre Schwägerin, die wieder aus dem Wochenbett aufgestanden ist, täglich ins Haus. Da hör ich nichts als Spöttereyen und muß dazu schweigen. Das kränkt mehr als alles! Und doch unterstützt mich Gott! Ich hab oft heitre Stunden, kann sogar zuweilen hoffen, aber freylich nur wie Abadonna, auf Begnadigung. Klopstock ist auch ein Freund der Leidenden; er erquickt mich oft. Nun kann ich ihn erst ganz schätzen. Denn im Leiden sieht man, was ein Freund ist; und das ist er über alle Maaßen, Gott und Er! – Auch Hauptmann Northern bedauert mich, und der alte Pfarrer. Northern meynt, Kronhelm soll in seines Königs Dienste treten, und mich mitnehmen. Er will ihn empfehlen. [489] Aber ich wills nicht, obs gleich Trost wäre. Kronhelm soll ganz glücklich werden! Mit mir kann ers nicht. Ich beschwöre dich bey allen Heiligen, Bruder! sag ihm nicht ein Wort davon! Grüß ihn nicht von mir! Er würde hoffen, und betrogene Hoffnung tödtet. Leb wohl, theurer Bruder! Bitt für mich um Geduld und Erlösung!

Siegwart folgte dem Rath seiner Schwester, und schrieb seinem Freund nur einzelne Worte von Theresen. Kronhelm härmte sich darüber sehr ab, und sein innrer Gram nahm immer zu.

Der alte Grünbach hatte dieses Frühjahr einen Garten gekauft, in dem sein Sohn und Siegwart sich sehr viel aufhielten. Sie spielten nun auch die Flöte, und brachten damit manchen schönen Frühlingsabend hin. Sophie nahm ihre Arbeit mit hinaus, saß bey ihnen im Grünen, hörte ihrer Musik zu, und sang zuweilen eine Arie. Oft blieben sie des Abends noch da; spielten im Mondschein; die Nachtigall sang dazwischen; und Sophie weinte. Oft lud sie auch die stille Nacht zu vertraulichen und halb melancholischen Gesprächen ein. Sie unterhielten sich sehr oft von Kronhelm. Sophie hatte seine tiefe Traurigkeit vom ersten Augenblick [490] an bemerkt, und sogleich die Ursache davon errathen. Denn die Liebe macht scharfsichtig; und Liebende erkennen sich, so wie edle Seelen, mehrentheils beym ersten Anblick. Sie fühlte tiefes, inniges Mitleid mit ihm; dieses lehrt die Liebe.

Kronhelm muß recht unglücklich seyn, fieng der junge Grünbach einmal an; seine Briefe sind so düster. Ich möchte wohl wissen, was ihm fehlt? – Siegwart war ausserordentlich gewissenhaft in der Freundschaft. Er glaubte seinen Freund zu beleidigen, wenn er eine Sache, um die er gefragt würde, verschwiege, oder sie nicht zu wissen, vorgäbe. Dieß machte ihn, sobald er mit einem Freund allein war, sehr offenherzig; wozu noch seine edle Denkungsart kam, die ihn von den meisten gutdenken, und fast jeden nach sich beurtheilen lehrte. Er war also auch dießmal auf Grünbachs Frage ziemlich offenherzig, und sagte: Ich fürchte, daß der arme Kronhelm unglücklich liebt; er ließ mich einigemal etwas davon merken. – Dann bedaur ich ihn von Herzen, sagte Sophie, und suchte bey diesen Worten einen Seufzer zu unterdrücken. – Weichherziges Geschöpf! sagte Grünbach.

Siegwart. Wie, Bruder? – Das ist doch kein Tadel?

[491] Grünbach. Tadel nicht. Aber es steht doch auch nicht fein, gleich so weinerlich zu thun. – Freylich, Mädchen muß man das verzeihen. –

Siegwart. Ja, wenn Mitleid Fehler ist. Aber ich halts für einen Vorzug des weiblichen Geschlechts. Wir thun oft so hart und rauh; und doch würden wirs einem Freund übel auslegen, der nicht Antheil dran nähme, wenn uns ein Unglück, oder eine Krankheit zustößt.

Sophie. Ich will mich meines Mitleids eben nicht rühmen, denn man ist immer etwas eigennützig dabey, weil man selbst Vergnügen darüber fühlt, und sich beym Mitleid wohlgefällt; aber ich halte dieses Gefühl für eine Wohlthat Gottes; und einen unglücklich Liebenden zu bedauren, halt ich für die erste Pflicht, weil sein Leiden wirklich groß seyn muß.

Siegwart. Ja, gewiß groß, Jungfer Sophie! Ich habs bey meinem Freund erfahren. – Ach, wenn er so des Abends bey mir saß im Mondschein, oder in der Dämmerung; mir meine Hand drückte, und dann schwer aufseufzte, da fühlt ichs ganz, welche Qual in ihm toben mußte.

[492] Grünbach. Ja das sind so Empfindungen, die man zuweilen hat; aber Kronhelm sollte selbst mehr Mann seyn.

Siegwart. Mann seyn? Hältst du Liebe gar für eine Schwachheit? Ich liebe selbst nicht, Grünbach! Wünsch auch nie zu lieben; aber das weis ich, daß die edelsten und größten Menschen auch geliebt haben.

Grünbach. Geliebt; das will ich nicht leugnen. Nur nicht klagen soll man, wenns nicht gehen will!

Siegwart. Als ob man nicht scholl über körperliche Leiden klagte! Und Seelenleiden sind doch wohl noch grösser. Ein vollkommenes Geschöpf zu sehen, dessen man sich werth fühlt, und von ihm verkannt, oder misverstanden zu werden, das muß schmerzen. Und noch grösser muß der Schmerz seyn, wenn man gekannt, verstanden und geliebt wird; wenn man fühlt, daß man im Besitz dieses Geschöpfes das seligste Leben kosten könnte, und nun macht uns Vorurtheil, oder unnatürliches Verhältniß in der Welt, oder Eigensinn der Eltern und Verwandten den Besitz dieser Seligkeit unmöglich. Ist es da noch Schwachheit, wenn man leidet; seine Leiden nicht ganz verbergen kann, und zuweilen in ungeduldige Klagen ausbricht? Kronhelm hat sonst gewiß [493] männliches genug! Aber ich glaube, je zarter und richtiger und tiefer einer fühlt, und je mehr er seinen eignen Werth kennt, desto mehr muß ihn unglückliche, verschmähte, oder durch Lumpenumstände zernichtete Liebe kränken. – Nein! ich bedaure meinen Freund im Innersten der Seele, und schätz ihn nur noch höher, seit ich gesehen habe, wie er mit sich selbst ringt, und doch seinen Schmerz so bekämpft, daß er niemals ganz verzagt.

Sophie. Hat denn der Herr von Kronhelm gar keine Hofnung, daß er in seiner Liebe jemals glücklich werden wird?

Siegwart. Wenig, oder keine, Jungfer Sophie!

Sophie. Das ist traurig! Wenn ich an seiner Stelle wär, ich gieng ins Kloster. Ueberhaupt halt ich viel vom Klosterleben. Man kann da all sein Leid in der Stille so verseufzen, und wird von Menschen nicht gestört. Die Einsamkeit ist des Menschen beste Freundin, und die wohnt im Kloster.

Siegwart. O, da haben Sie vollkommen recht, Jungfer Sophie. Ja, das Klosterleben geht vor allem andern. Ich weis, wie es da so gut ist, und kanns kaum erwarten, bis ich da bin. –

Indem setzte sich eine Nachtigall nahe bey ihnen auf einen blühenden Apfelbaum, und fieng an, aus[494] voller Kraft zu schlagen. Auf Einmal schwiegen die jungen Leute, horchten zu, sahn einander oft mit Verwunderung an, und nickten sich lächelnd zu, wenn die Sängerin mit ihren Tönen auf den höchssten Gipfel stieg, dann wieder langsam und wehklagend ihren Ton herabsenkte. Oft drückte sie die ganze Sehnsucht und das Schmachten aus, mit dem Sophiens Seele an Siegwarts seiner hieng. Das arme Mädchen mußte weggehn, und weinen. Sie gicng einen Heckengang hinauf, und blieb alle Augenblicke stehen. Siegwart kam durch einen andern Weg, oben in den Gang her unter. Er stand auch still, und hörte den Gesang der Nachtigall, die nun nahe bey ihm auf den Zweigen saß. Dann gieng er allmählig auf Sophien zu, nahm sie in der Entzückung bey der Hand. Ach, Sophie, sagte er, das ist himmlisch! Sie sind auch bewegt. Es geht ihnen wohl wie mir; ich denk immer an einem solchen Abend, wenn die Nachtigall so singt, und die Sterne hell blinken, an Personen, die ich liebe, oder an Verstorbne. Ach das Bild meiner Mutter schwebt halbsichtbar um mich her, und ich preise sie selig, daß sie schon bey Gott ist. – Auch ich, sagte Sophie, denk an Seelen, die ich liebe. Verzeihn sie, daß ich so bewegt [495] bin! Ach, ich hatt einst eine Schwester, die ist nun bey Gott. Die war mein Alles, meine innigste, vertrauteste Freundin. Sie starb in meinem Arm; ach, wenn ich nur schon bey ihr wäre! Sie ist glücklich, über alles glücklich! Und auf Erden kann mans nicht seyn. – Hier sah sie unsern Siegwart mit einer Wehmuth an, die ihm durchs Herz drang. Wir werdens auch einst; sagte er; drückte ihr, ohne daß ers wußte, die Hand, und wischte sich die Augen. Sophie blickte auf die Seite, und Thränen fielen aufs junge Gras.

Seit diesem Abend ward Sophie immer düstrer und schwermüthiger. Die Worte Siegwarts: Ich liebe selbst nicht; wünsch auch nie zu lieben waren wie ein Dolch in ihre Seele gedrungen. Sie hatt' es bisher nur halb geglaubt, daß er in ein Kloster gehen wolle; nun hatte sie's aus seinem eignen Munde gehört. – Alle Hofnung war nunmehr für sie verschwunden; sie gab sie selbst auf, und nahm sich sehr in Acht, ihn zu sehen. Ganze Tage lang war sie auf ihrem Zimmer eingeschlossen, seufzte, betete, stickte traurige Geschichten auf die Leinwand, oder verlohr sich in wehmüthigen und schwärmerischen Phantasien am Klavier. Oft schrieb sie auf ein Papier, das sie sorgfältig verschloß. Alle Morgen [496] gieng sie ins Frauenkloster in die Frühmesse, und nährte da ihre Phantasie, bey der feyerlichen Musik, die die Nonnen machten, mit Bildern von überirrdischer Liebe und himmlischer Seelenfreundschaft. Seit sie gewiß wußte, daß Siegwart ins Kloster gehen würde, war es auch bey ihr festgesetzt, sich einkleiden zu lassen. Der Gedanke hatte tausend Reiz für sie, sich eben so wie der, den ihre Seele liebte, ganz dem Himmel zu weihen; eben so, wie er, in der Stille, und von der Welt abgesondert, sich mit dem Heiland zu vermählen; und einst als eine keusche Braut dem, den sie hier umsonst liebte, als ihrem Bräutigam entgegen zu gehen. Sie erhitzte ihre Einbildungskraft noch mehr durch das Lesen einiger mystischen und andächtigschwärmerischen Bücher. Ihr Herz ward mit einer anscheinenden Verachtung der Welt erfüllt, die an sich mehr Ueberdruß zu leben war, und allein von betrogner Hofnung herrührte. Wenn sie Siegwart Einmal wieder sah, so war ihre Seele wieder ganz aus ihrer Fassung gebracht; die Welt zog sie wieder an sich, und sie hatte Tage lang zu thun, bis die arbeitende Phantasie sie aufs neu in den täuschenden Schlummer wiegte. Oft glaubte sie, ganz ruhig und ganz glücklich zu seyn; aber der innre Gram verschmächter [497] Liebe nagte unsichtbar an ihrem Leben; ihre Kräfte verzehrten sich allmählig: ihre Wangen bleichten ab; ihre Augen verlohren das lebhafte Feuer, und die zarte Pflanze welkte hin. Ihr Vater und ihre Mutter merkten endlich die Veränderung, und wurden sehr bekümmert drüber. Sie drangen oft mit Bitten in sie, ihnen die Ursache ihres Kummers zu entdecken, aber Sophie antwortete nur mit Thränen, gab die Ursach ihrer Krankheit für eine natürliche Auszehrung aus, und entdeckte ihren Eltern den Wunsch, den Rest ihres Lebens im Kloster zubringen zu können. Die Eltern wollten lange nicht daran, weil dadurch alle die schönen Hofnungen vereitelt wurden, die sie sich einst von ihrer Tochter versprachen, aber endlich gaben sie nach, weil ihr Beichtvater, dem Sophie ihren Wunsch anvertraut hatte, auch sehr daran arbeitete, und es ihnen zur Gewissenssache machte, wenn sie ihre Tochter von einem so heilsamen Entschluß abhielten, und Gott und dem Himmel eine Seele zu stehlen suchten. Sophie erhielt endlich die Erlaubnis von ihren Eltern, auf Michaelis das Noviziat bey den Nonnen anzutreten.

Siegwart erzählte das alles seinem P. Philipp, der sogleich die Ursache von Sophiens traurigem [498] Zustand errieth. Er suchte daher Xavern so viel als möglich abzuhalten, daß er nicht viel in Grünbachs Haus oder Garten gieng, weil er vermuthete, Sophie würde mehr leiden, je öfter sie ihn sähe. Daher lud er den jungen Grünbach öfters zu sich, oder gieng mit den beyden Jünglingen spatzieren, und machte Anstalt, daß der junge Pater oft im Kloster ein Konzert anstellte, damit sie doch die Musik forttreiben könnten. – Um diese Zeit starb P. Johann plötzlich. Man traf ihn Morgens mit gefalteten Händen in seinem Bette todt an. Der gute Mann ward allgemein bedauert; am meisten aber von P. Philipp und von Siegwart. Beyde giengen mit seiner Leiche auf den Kirchhof, sahn den Redlichen in die Ruhestätte legen, und segneten sein Andenken mit tausend Thränen. P. Hyacinth ward nun an seine Stelle zum Lehrer der Theologie ernannt, und nun sah Siegwart den Unterschied erst recht zwischen einem redlichen Mann, der die Lehren der Religion aus Ueberzeugung und mit Wärme, weil er ihre Kraft selbst so oft an sich gefühlt hat, andern vorträgt; und zwischen einem Eiferer, der den Religionsunterricht als Handwerk ansieht, und sein Gedächtnis blos mit Worten ohne Saft und Kraft, und mit der Geschichte von [499] nichtswürdigen Streitigkeiten und Zänkereyen angefüllt hat. Dieser trockne und mürrische Mann entleidete unserm Siegwart, der nur Leben und Wärme, besonders in der Religion suchte, den Aufenthalt auf dem Kloster ziemlich. Er sehnte sich nach seinem lieben Kronhelm, der ihm viele, aber immer die kläglichsten und schwermüthigsten Briefe schrieb, und ihn aufs herzlichste bat, ja recht bald nach Ingolstadt zu kommen!

Therese schrieb ihm auch noch immer traurig, aber doch gelassen. Ihr Schmerz daurte zwar beständig fort, aber sie gewöhnte sich nach und nach daran, und klagte weniger. Ungefähr in der Mitte des Sommers ließ sie ihren Bruder einmal drey Wochen lang aus Briefe warten. Er ward verdrüßlich drüber, und konnte sich die Ursache ihres Schweigens nicht erklären. Als er an einem Sonnabend wieder einmal vergeblich gewartet hatte, so schlug ihm P. Philipp auf den Nachmittag einen Spatziergang vor. Sie giengen zwischen den Kornfeldern hin, und ein Bettelbube bat sie weinend um ein Allmosen. Ach, liebe geistliche Herren, sagt' er, mir ist so gar übel g'fehlt! Vor drey Tagen ist mein Vater g'storben, und nun hab ich keinen Menschen auf der Welt mehr. Siegwart griff [500] hurtig in die Taschen, gab ihm reichlich, und sagte dann zu P. Philipp: Lieber Gott! was ist das traurig, wenn man sich an gar keinen Menschen auf der Welt halten kann!

P. Philipp. Ja wohl hat man Gott zu danken, wenn man seine Eltern und Verwandte hat; man kann nie genug thun, um ihnen das Leben angenehm zu machen und sie nicht zu kränken.

Siegwart. Das hab ich auch immer bey meinem Vater gedacht. Ach, ich wüste nicht, was ich anfangen sollte, wenn er stürbe.

P. Philipp. Und doch müst Er Gott danken, daß er ihn Ihm so lang erhalten hat. Er hat doch seine Erziehung ganz genossen, und kann sich schon eher selbst auf der Welt fort bringen.

Siegwart. Das wohl, Gottlob! Aber es wär doch für mich das gröste Unglück!

P. Philipp. Und doch muß Ers mit Gelassenheit annehmen, die Nachricht möchte heut oder morgen kommen. Sein Herr Vater kann doch nicht so jung mehr seyn?

Siegwart. Neun und funfzig, glaub ich, wird er auf den Herbst alt werden.

P. Philipp. Sieht Er, das ist doch schon ein Alter, bey dem man ein bischen Sorge haben kann. [501] Mach Er sich auf alle Fälle gefaßt! Es könnte bald eine schlimme Nachricht einlaufen.

Siegwart. (Sah den Pater ängstlich an) Herr Professor ... ich fürchte ...

P. Philipp. Ach, mein lieber Siegwart! Es thut mir leid.. aber ich muß ihms sagen ...

Siegwart. Was! Ist er todt? Gott im Himmel! –

P. Philipp. Todt nicht, mein Lieber! Aber ...

Siegwart. Aber krank! ... Ja, sagen Sies nur! Ich sehs Ihnen an.

P. Philipp. Nur gelassen! Und bedenk Er, daß Er ein Christ ist! Ich hab würklich heute Nachricht bekommen, daß sein Vater gar nicht wohl ist.

Siegwart. Lieber, lieber Gott! – Ach das ist ja schröcklich! Wie wird mirs gehn?

P. Philipp. Ich hab ihn schon gebeten, etwas gelassener zu seyn. Vielleicht ist noch Hofnung da.

Siegwart. Ja damit wirds wohl vorbey seyn!

P. Philipp. Das weiß er ja noch nicht. Er weiß noch keine Umstände. Wenn er sich erst etwas gefaßt hat, so will ich ihm einen Brief geben.

Siegwart. O ich bin schon gefaßt! Lieber Herr Pater!–Geben Sie mir nur den Brief her!

[502] P. Philipp. Er ist schon gefaßt? – Hör er mich erst an! Seine Schwester hat mir geschrieben, und mich himmelhoch gebeten, ihm erst Muth einzusprechen. Ich glaub, er ist nun vorbereitet. Sieht er, sein Vater ist schnell krank geworden; es sieht mislich mit ihm aus; aber man kann noch nichts gewisses wissen; der Arzt ist erst aus der Stadt geholt worden. Halt Er sich an Gott; es mag gehen, wie es will! Bedenk er, daß es Gott noch nie bös mit ihm gemeynt hat! – Da kann er nun den Brief selber lesen.

Siegwart las ein kleines Briefchen von Theresen hurtig und zitternd durch; die Thränen stürzten ihm aus den Augen; er steckte es schweigend ein. – Das ist fürchterlich! sagte er nach einer langen Pause; Gott steh mir bey, und helf mirs tragen! Ich hab mir tausendmal gewünscht, eher zu sterben, als mein Vater, um den Schmerz nicht zu erleben; und nun kommts doch –

P. Philipp. Seiner Zärtlichkeit und kindlichen Liebe macht das sehr viel Ehre, mein lieber, braver Xaver! Aber denk er nur, wenn all unsre Wünsche erfüllt würden, zumal solche ...

Siegwart. Ist der Wunsch etwa ungerecht? –

[503] P. Philipp. Mir deuchts so. Wenn alle Söhne vor den Vätern stürben, wo käm eine Nachwelt her? Der Mensch muß sich in einer Welt, die der Veränderung so unterworfen ist, im Voraus und in frohen Tagen auf alles Widrige gefaßt machen. Ich fürchte, daß ihm bey seinem gefühlvollen Herzen noch grössere Prüfungen und Leiden bevorstehen.

Siegwart. Größre Leiden kanns nicht geben, wie dieses ist! ...

P. Philipp. So muß er jezt auch denken. Aber alles kommt auf die Lage an, in der uns ein Leiden trift; je, nachdem wir gestimmt sind; nachdem's eine Saite unsers Herzens trift. Ich tadl' ihn gar nicht, daß er jezt so niedergeschlagen ist. Der Tod seines Vaters bleibt für ihn immer ein Unglück.

Siegwart. Ja wohl! und das gröste, denk ich! – Grosser Gott! Einen solchen Vater zu verlieren! ... Und wenns auch möglich wär, mich dabey zu vergessen, wie wirds meiner Schwester, meiner armen Schwester gehen? (Hier weinte er heftiger.)

P. Philipp (weinte auch mit) Seiner Schwester ... Auch dieser wird Gott sich erbarmen; [504] Wird für sie auch Trost haben. Wir wollen für sie beten ... Ach, ich weis, wies mir gieng! Ich war in Freyburg, als mein Vater starb; wir waren sieben Waisen. – Aber Gott hat keins von uns verlassen; keins! und mich am wenigsten ... Faß er sich, mein lieber Siegwart! Vielleicht hilft Gott noch ... Hoff ers zu dem Vater aller Waisen! –

Sie kehrten nun wieder nach der Stadt zurück. Siegwart sprach wenig, und schluchzte nur zuweilen. Der Betteljunge stand wieder am Wege. Da hast du noch was, sagte Siegwart, und gab ihm einen Sechsbätzner. In der Stadt lief er sogleich zum Arzt, um sich nach seines Vaters Umständen zu erkundigen. Der Arzt zuckte die Achseln. Es ist so so, sagte er. Ich ward aus dem Haus ihres Vaters auf ein andres Dorf geholt zu einem Prediger, und konnte die Krisin nicht abwarten. Wir müssen sehen. Uebermorgen komm ich wieder hinaus. O lieber Herr Doktor, sagte Siegwart, Morgen! Ich bitte Sie bey allem, was heilig ist, reiten Sie doch Morgen hinaus! Thun Sie, was sie können! Retten Sie, retten Sie meinen Vater! Der Doktor machte Entschuldigungen, daß er Morgen viel zu thun habe; versprach aber doch, gegen Abend hinaus zu reiten. – [505] Siegwart verschloß sich nun auf sein Zimmer; gieng auf und ab; rang die Hände; fieng zuweilen ein Gebeth an; ward vom Schmerz wieder vom Gebeth ab, in Labyrinthe hineingerissen, wo er keinen Ausweg sah; nahm ein Buch; wollte lesen; warf es wieder weg; sank auf die Knie; sprang wieder auf, und fand nirgends keine Ruhe. Er gieng in den kleinen Garten am Kloster; da erblickte er eine hohe Sonnenrose, die von einem Wurm angefressen war, und zu welken anfieng. Gott! rief er, und Thränen schossen ihm in die Augen; denn er dachte sich seinen Vater. Alles erinnerte ihn jetzt an den Tod; jede Blume ward für ihn ein Bild der Verwesung. – Zuweilen dachte er sich alles Gute, was er seinem Vater zu verdanken hatte, und nun schauerte er zurück, und wollte vergehen. – Die ganze Nacht ward von ihm durchweint; seine kurzen Schlummer waren ängstlich; oft war ihms, als ob sein Vater ihm zulispelte und Abschied nähme, und dann fuhr er auf und ächzte. – Den andern Tag war er wie betäubt; er gieng noch einmal zum Doktor, und bat ihn, ja gewiß zu seinem Vater hinaus zu reiten. Er gab ihm ein kleines Briefchen mit an seinen Vater, und ein kleines an Theresen, das er mit der heftigsten Bewegung geschrieben [506] hatte; worinn er seinem Vater für alle seine Wohlthaten dankte, und halb Abschied von ihm nahm. Seine Schwester suchte er zu trösten, ob er gleich selbst trostlos war. P. Philipp gieng den Nachmittag mit ihm spatzieren, und flößte ihm durch seine sanfte liebreiche Lehren, die immer mit dem zärtlichsten Mitleid untermischt waren, eine ziemliche Gelassenheit und Ergebung in den göttlichen Willen ein. Vorher hatte es in Siegwarts Seele ungestüm gestürmt, jetzt folgte dem Sturm ein sanfter Regen, und sein Schmerz goß sich in Thränen aus. Der Doktor kam den andern Tag wieder zurück. Siegwart war wohl zehnmal in seinem Hause gewesen; und nun dachte er gewiß, sein Vater sey gestorben, oder in den letzten Zügen. Er beweinte ihn als todt. Sein Schmerz war unendlich groß, aber doch gemässigter und ruhiger, wie vorher. Die Angst, ein theures Gut zu verlieren, erschüttert mehr, und schlägt die Seele schrecklicher danieder, als der wirkliche Verlust des Gutes. – Der Doktor war den folgenden Morgen wieder in die Stadt gekommen; muste aber nach einer Stunde gleich wieder fort, eh ihn Siegwart sprechen konnte. Er hatte nur die Nachricht für ihn hinterlassen: Er möchte sich auf alles gefaßt machen! [507] Nun zweifelte Siegwart gar nicht mehr am Tode seines Vaters. P. Philipp zuckte auch die Achseln, und hielt es für wahrscheinlich, oder gar gewiß.

Siegwart setzte sich in seinem ganzen Schmerz nieder, um seinem Kronhelm zu schreiben. Unter anderm schrieb er: Sag mehr, du seyst allein unglücklich auf der Welt! Ich bins auch, mehr als du. Mein Vater – o wie kann ichs schreiben? – mein Vater ist gestorben. – Schreckliches, banges Wort! ich schreibe dir zum erstenmal und mit Zittern: Ich bin – ein Vater-und Mutterloser Waise. Gott! ein Waise! Aber du bist noch mein Vater! Wenn ich dich nicht hätte, o was wär ich! – Sieh, Kronhelm, so kanns Menschen gehen. Bist du nun allein elend? – Noch ist der Todesbote nicht gekommen; aber Thorheit wär es, noch zu hoffen. Alle Umstände predigen mir Tod. – Tod! – O du süsses Wort. Wenns von mir auch gälte! – u.s.w.

Den folgenden Morgen schrieb er wieder an eben diesem Briefe. Man klopfte an die Thür, und ein Bauer aus seinem Dorfe trat herein. Siegwart wagte es nicht, ihn zu fragen; er nahm den Brief an, gieng auf die Seite, brach ihn ziternd [508] auf, konnt ihn kaum halten, und las ihn durch. – Wie erschrack er! Es war die Handschrift seines todtgeglaubten Vaters:


Liebster Sohn!


Du wirst in tausend Aengsten meinethalben seyn, und du hattest es auch Ursach. Ich war dem Tode nah, aber Gott rief mich noch einmal zurück. Der Arzt versichert mich, ich sey jetzt ausser aller Gefahr. Wir können Gott nicht genug dafür loben; denn es wär mir schwer gewesen, unversorgte Kinder zu verlassen, besonders Dich und Theresen. Das arme Mädchen hat unendlich viel an mir gethan, und unendlich viel gelitten. Gott belohn es ihr! Sie grüßt Dich herzlich. Bin noch matt, und kann nicht allzuviel schreiben. Muß nun eine Brunnenkur brauchen. Laß Dir diesen Zufall zur Warnung dienen, Dich nicht zu sehr auf Menschen zu verlassen! So lang ich lebe, thu ich für Dich, was ich kann, wenn Du brav bist. Aber nach meinem Tode must Du Dir gröstentheils selbst helfen. Leb wohl, mein liebster Sohn! Ich bin


Dein getreuer Vater,


Johann Maria Siegwart.


[509] Nun Gott Lob und Dank! sagte Siegwart, und wandte sich zu dem Bauren. Ja, Herr, das war ein Schrecken, den wir hatten; sagte dieser. Das ganze Dorf war in Aengsten; habs mein Lebetag nicht so gesehen, und bin doch schon ein alter Mann. Alle Leut liefen in die Kirche. Wenns der Landsherr wäre, könnts nicht ärger seyn. Aber so 'n Herrn kriegen wir halt nicht wieder; das sagen alle Leut, alt und jung; wenn schon der junge Herr auch ein braver Herr ist. Euer Vater hat 'sprae vor allen, das ist nur gewiß. Wenn ich denk, was die arme Leut, und Wittwen, und Waisen an ihm verlohren hätten, d' Augen gehen mir über, 's ist halt 'ne schöne Sach um 'n braven Mann! – und hier wischte sich der ehrliche Bauer die Augen. –

Siegwart schrieb ein kleines Briefchen an seinen Vater, und gab dem Bauer sechs Batzen. Der gutherzige Schwabe wollt' es lang nicht nehmen. Nein, Herr! sagte er, mit so einer Nachricht wär ich Euch bis Wien umsonst gelaufen. 's hätt mir weh gethan, wenn man's einem andern auftragen hätt. Bin schon zwanzig Jahr 'n Tagwerker in 's Vaters Haus; darfs nicht nehmen, warlich [510] nicht! – Siegwart aber ließ nicht nach, bis er's nahm.

Er warf sich nun auf seine Knie, dankte Gott; schrieb etliche Worte an Kronhelm, daß sein Vater noch lebe; und lief dann in seiner Freude auf P. Philipps Zimmer, der an seiner Freude herzlichen Antheil nahm. Therese schrieb ihm acht Tage darauf wieder, daß ihr Vater sich täglich mehr beßre, und schon eine halbe Stunde in den Garten habe gehn können. Siegwart war nun wieder wie neugebohren, und nahm aufs neu an allem Antheil, was um ihn vorgieng. Einmal gieng er mit Grünbach in seinen Garten; Sophie war auch da, um sich bey der schönen Witterung etwas zu erholen, weil sie schon etliche Wochen sich zu Haus aufgehalten hatte. Sie erschrack, als sie unsern Siegwart erblickte. Er erschrack auch, denn das schöne blühende Mädchen sah blaß und eingefallen aus. In ihren Augen saß eine tiefe schweigende Schwermuth. – Ich werd Ihnen noch zuvor kommen, sagte sie; auf Michaelis geh ich schon ins Kloster. Werden Sie wohl auch zuweilen noch an mich denken? Ich werd es oft thun. – Ich warlich auch, sagte Siegwart. Der guten Seelen sind doch so wenig. Ja, ich werd oft an die Stunden denken, [511] die wir am Klavier, und hier in der Dämmerung zubrachten. Sie waren so heilig und so süß! – Ja wohl, süß und heilig! sagte Sophie seufzend. Werden Sie aber auch noch an mich denken, wenn ich todt bin?– Auch da noch oft! antwortete Xaver. Ich werde dann an die Zeit denken, da wir uns beglückter wieder sehen werden, an die Zeit im Himmel. O, das ist süß und tröstend! sagte das Mädchen. Ich werd bald im Himmel seyn; folgen Sie mir bald nach! – Ihr Auge glänzte, als sies sprach, und Siegwart war auch tief bewegt.

Nun wurden wieder die Rollen zu dem künftigen Schuldrama ausgetheilt. Der Pater, der es machte, wählte den Thomas Aquinas zum Helden seines Singspiels, und zwar den Theil seines Lebens, da Thomas, wider den Wunsch seiner Anverwandten, und besonders seiner Mutter, zu Neapel unter die Dominikaner geht. Der Kampf des Jünglings war nicht übel geschildert; da er auf der Einen Seite die zärtlichen Bitten seiner Anverwandten, die Thränen seiner Mutter, die Lockspeisen, die man ihm vorhält, in der Welt zu bleiben, besonders ein schönes junges Mädchen, gegen das sein Herz nicht ganz gleichgültig ist, sieht; und auf [512] der andern Seite den Ruf ins Kloster, den er für göttlich hält, den Traum von Verdiensilichkeit und Heiligkeit, und alles, was eine lebhaste Einbildungskraft, von einem guten Herzen unterstützt, reizendes am Klosterleben findet. Diese Rolle war nun ganz für unsern Siegwart gemacht, und er bekam sie auch, weil sie die stärkste und schwerste zum Singen war. Er war davon ganz bezaubert, und dachte sich, ohne viele Mühe, ganz in die Rolle, und die Lage des h. Thomas hinein. Er übte sich Tag und Nacht im Singen, und täuschte sich oft dabey so sehr, daß er nicht mehr Siegwart, sondern der h. Thomas selbst zu seyn glaubte. Unter Theresen, die ihm auch einmal vom Kloster abgerathen hatte, dachte er sich die Mutter seines Helden, und wendete alle Umstände genau auf sich an. Dieser Umstand fesselte sein Herz aufs neue wieder so fest ans Kloster, daß ihm die ganze Welt zuwider und ekelhaft wurde. Oft ward er dem jungen Grünbach, der die Rolle der Mutter hatte, ganz im Ernst böse, wenn sie ihre Arien zusammen probirten.

Als das Stück selbst wirklich aufgeführt wurde, rührte er durch sein empfindungsvolles Spiel, und seinen ausdrückenden, herzlichen Gesang fast alle Zuschauer, und besonders alle Mädchen, bis zu Thränen. [513] In allen jungen Herzen stieg der Wunsch auf, auch ins Kloster zu gehen. Sophie saß, im Innersten bewegt, da; jeder Ton drang ihr ans Herz; sie war auf dem Scheideweg zwischen Himmel und Erde; hier das Kloster, das ihr lieber Jüngling mit aller Stärke der Beredsamkeit, und dem Zauber des Gesangs abschilderte – dort die Welt und Er, der reizende und sanfte Jüngling selbst. Ihr Herz ward zerrissen; endlich hub die Stärke der Musik sie über alles weg; und als Thomas über alle Ueberredungen und Hindernisse siegte, riß auch sie sich von allem los, und flog in ihrem Geist dem Kloster und dem Himmel zu. Drey oder vier Wochen darauf gieng sie, ungeachtet aller Bitten ihrer Eltern als Novize ins Kloster. Den Tag vorher nahm sie noch von Siegwart Abschied. Sie hatte ein schneeweisses Kleid mit schwarzen Schleifen an. Ich bin eine Braut des Himmels und des Todes, sagte sie. Ich habe Freuden von der Welt gehofft, und sie gab mir Thränen. Leben Sie wohl, mein Theurer, ewig theurer Freund! Ach, Sie wissen nicht, wie theuer sie mir sind; aber, wenn ich todt bin, sollen Sies erfahren. Siegwart war sehr gerührt bey ihrem Abschied; er beweinte sie und ihr Geschick, ohne zu [514] wissen, daß er selbst die Ursache davon sey. Keine Seele wußte sie, als P. Philipp, der aber weiter nichts, als muthmaßte. Das unglückliche Mädchen schloß sich und ihren Gram in die Zelle. Ihre Tage waren zwischen Thränen und Gebeth getheilt. Der Tod war ihr einziger Freund, und die Gedanken an ihn waren ihr die süssesten. Sie wurde täglich mit ihm vertrauter, und fühlte seine nahe Ankunft täglich mehr. Ihre Klosterpflichten beobachtete sie genau; man sah sie vor Anbruch des Tages immer zuerst im Chor; oft kniete sie mit blassem, abgehärmtem Gesicht allein am Altar; ihre Thränen flossen hinter dem Schleyer an den Fuß des Altars nieder; sie betete laut und brünstig, und war oft durch glühende Andacht so ermüdet, daß sie kaum allein wieder aufstehen konnte. Beym Essen sprach sie gar nichts, und sah blos ihre Schwestern, eine nach der andern an, und bemerkte in ihren Gesichtern den verschiednen Ausdruck des mannigfachen Kummers, der in ihren Seelen wohnte. Sie hatte keine ganz vertraute Freundin; nur Cäcilia, ein zwanzigjähriges Mädchen, saß oft bey ihr auf der Zelle, denn sie hatte auch Gram im Herzen, und das Unglück sucht Gesellschaft. Es schien, daß die beyden Seelen einen gemeinschaftlichen [515] Kummer hatten, aber sie wagten's nicht, ihn einander zu entdecken. Oft sahn sie sich Stundenlang stillschweigend an; drückten sich die Hände, küßten sich, und blickten dann weg, um ihre Thränen zu verbergen. Wenn Sophie allein war, so kniete sie vor ihrem Krucifix, bat um ihren Tod, und setzte sich dann hin, um Stickereyen, oder Agnus Dei zu machen. Sie stickte Blumen, aber immer nur mit blassen Farben, oder halbverwelkte. Oft zeichnete sie einen Grabhügel aufs Papier, und Cypressen drum herum. Auf den Grabstein schrieb sie ihren Namen; dann weinte sie aufs Papier, und zerriß es wieder. Siegwarts Bildnis schwebte unter tausenderley verschiedenen Vorstellungen immer ihr vor Augen; der Gedanke an ihn mischte sich in ihre Andacht, und in alles, was sie vornahm. Oft betrübte sie sich darüber, und machte sich ein Gewissen draus, an ihn zu denken. Sie wollte ihn vergessen; aber alles, alles erinnerte sie wieder an den theuren Jüngling. In dem Augenblick, da sie Gott um Vergebung bat, daß sie noch so sehr an der Welt hänge, und so viel an Siegwart denke, in dem Augenblick stellte ihr die Liebe sein Bild wieder dar, und sie hieng sich ihm in Gedanken an seinen Arm. Unter diesen [516] fortwährenden Kämpfen, und der unaufhörlichen Arbeit ihrer Seele zehrte sich ihr Leben ab; ihre Säfte vertrockneten, wie ein Quell in der Sonnenhitze; sie ward täglich schwächer, und mußte oft auf ihrer Zelle bleiben. Oft schrieb sie ganze Stunden lang, muste dann, wegen ihrer häufig fliessenden Thränen aufhören, und schloß das Papier ein. Alle Wochen sprach sie zweymal mit ihrer Mutter und andern Verwandten am Sprachgitter. Ihre Mutter suchte sie mit Thränen zu bereden, wieder in die Welt zurückzukehren, aber alle Thränen und Bitten halfen nichts. Endlich ward sie ganz bettlägerig; Cäcilia war beständig um sie. Einst, in einer schlaflosen Nacht, erzählte ihr Sophie ihre ganze Geschichte, und die Liebe zu Siegwart. Aber, sagte sie, verschleuß mein Vertrauen in dich, und nimms ins Grab mit! Beleidige deine todte Freundin nicht durch Untreue! Sonst können wir uns im Himmel nicht mit Freuden entgegen gehn. Hier hab ich ein versiegeltes Packet an Siegwart. Gibs meiner Mutter, wenn ich todt bin, daß sies ihm einhändige! Dank ihr in meinem Namen tausendmal für ihre Liebe, und deinige küsse; eben so heiß und brünstig! Sag ihr, [517] daß ich glücklich werde! Sie soll sich nicht zu sehr betrüben! Noch wenig Schritte – denn was sind Jahre in diesem Leben anders? – so werden wir uns widersehn, und ohne Seufzer, ohne Thränen wiedersehn. – Auch du hast grosse Leiden, liebe Schwester! Trag sie mit Geduld! Ihre Frucht wird Freude seyn. Folg mir bald nach! – Cäcilia weinte; sie erzählte Sophien auch ihre Geschichte. Sie war traurig; unglückliche Liebe war ihr Inhalt. Sophie weinte viel, legte sich auf die Seite; hüllte ihr Gesicht ins Bett, schlummerte ein, und wachte den andern Morgen kraftlos auf. Ihre Stimme war gebrochen; man konnte sie kaum mehr verstehen. Ein Kapuziner gab ihr die letzte Oelung. Gegen Abend ward sie noch einmal munter; betete eine halbe Stunde laut, und mit der grösten Inbrunst; dann entgieng ihr die Sprache wieder; ein paarmal sah sie Cäcilien an, machte einen Zug mit ihrem Finger auf das Bette, der ein S, vermuthlich Siegwarts Namen, vorstellte; dann starb sie.

Cäcilia gab den andern Tag ihrer trostlosen Mutter das Packet, auf welchem Siegwarts Name stand. Er brach es mit Zittern auf. Es enthielt eine Art von Tagebuch, das an ihn gerichtet [518] war. Einige Stücke daraus wollen wir denen, die es fühlen können, mittheilen. Erst die Einleitung:


An den lieben frommen Siegwart.


Wenn das Grab mich deckt; wenn meine Seel' in Gottes Hand ist; wenn ich unter Engeln wandle, und der Leiden dieser Zeit vergesse: dann, mein Auserwählter, wirst Du diese Blätter lesen, und weinen. Laß sie Dir erzählen, was mein Herz gelitten hat, um deinetwillen, weils mein Mund nie durfte! Wein' in meine Leiden! Das Bild der Thränen, die Du mir vergiessen wirst, tröstet mich in trüben Stunden. – Betrüb Dich nicht zu sehr, Jüngling! und mach Dir keine Vorwürfe! Nicht Du bist die Ursache meines Jammers; mein zu fühlendes, zu weiches Herz ists. Ich will Deinem Auge keine Thränen erpressen, als Thränen des Mitleids, und auch die sollen süß seyn. Denk, daß meine Leiden, wenn Du sie erfährst, vorüber; daß alle Thränen, die die Liebe weinte, abgetrocknet sind; daß ich ausgerungen habe jeden Kampf, und gekleidet bin ins glänzende Gewand des Glaubens, und geschmückt mit Siegerpalmen. O Du Theurer! Weine nicht! Blick auf! Ich bin bey Gott, und bey der hochgelobten Jungfrau. Sieh, sie nennt [519] mich Schwester und Tochter, weil ich ausgeduldet habe meinen schweren Kampf; weil mein Mund nicht murrte, da die Last mir schwer ward. Tröste Dich, mein Auserwählter! Ich will um Dich seyn bey Deinen Thränen, will Dir Ruhe herablispeln aus den Lüften, wenn Dirs trübe wird im Herzen; will im Traume Dir erscheinen, und Dir sagen, daß ich nicht mehr leide.

Vergib mir, daß ich Dich geliebt habe! Gott vergibt mirs auch. Ich kämpfte lang, aber Du bist gar zu fromm und lieb. Wärst Du wild und leichtsinnig, wie die Jugend, ich hätte Dich nicht geliebt; aber Du bist gut, und fromm, und sanft. Mein Herz ist keusch, und rein, und kennt keine wilde Flamme. Vergib, daß ich Dich geliebt habe!

Vergib, daß ich an Dich schreibe! Ich habe lang gelitten, und meinen Mund nicht aufgethan. Laß mich nach dem Tode zu Dir reden! – Gott weis, daß ich Dich nicht kränken wollte; wie könnt ich Dich kränken. Du Geliebter? Lis und lerne Trost aus meinem Schreiben! Lerne dulden, wie einst ich that, wenn das Unglück einbricht! Lerne, Gott Dich widmen, wie ich Ihm mich widme! Blick auf zu den Sternen, und zu mir, wenn die Welt, [520] dir öd und ekel wird! Lern aus meinem Schicksal, und du wirst mich segnen.


*


Vom dritten May (als sie Abends im Garten zusammen gewesen waren).


Ich liebe selbst nicht; wünsch auch nie zu lieben! So hast du selbst gesagt, du Theurer, den ich über alles liebe. Fasse dich, meine Seele! Er liebt nicht, wünscht auch nie zu lieben. Also sind die Hofnungen gesunken, die die Liebe baute. Also wirst du nie geliebt werden, armes, liebekrankes Herz! O ihr Heiligen, erbarmet euch mein, und tröstet mich! Nicht geliebt werden, und lieben, ach so heiß und innig lieben – ist ein harter Kampf, den ein armes schwaches Mädchen ohne Gott nicht kämpfen kann; Gott, du wirst mich nicht verlassen! – Komm, Gedanke des Todes! Komm, und küsse mich statt seiner! Hauche mich kalt an, daß ich hinsink und sterbe! – Ach, du liebst mich nicht, Erwählter, und ich liebe dich doch über alles. – Singt mir ein Todtenlied, ihr Gespielinnen der Jugend! Ihr Vertraute meiner Kinderjahre, kommt und hängt den Flor um, und singt: Sie liebte, wurde nicht geliebt, und starb. – [521] Horch! das Käuzlein ruft herab vom Kirchthurm! Hu! ich zirtre. – Schön war der Abend, mein Erwählter! Deine Flöte klang süß, wie das Lied der Liebe. Hell schien der Mond, aber traurig. Ach, ich sah ihn wohl, wie er hinter eine Wolke trat und weinte. Aber du hasts nicht gesehen, wie ich mit ihm weinte. Lieblich sang die Nachtigall, aber traurig. Ich hört es wohl, und dachte, der arme Vogel liebt wie ich; aber, du Erwählter, dachtest's nicht. Wehmütig warst du, wie ein Liebender, und liebtest nicht. Thränen flossen dir vom Aug, und Liebe hieß sie nicht fliessen. – Sagen wollt ichs dir, daß ich dich liebe. Meine Stimme zitterte und ward ein Seufzer. O ein Engel Gottes hielt das Wort zurück, das dich betrübt, mich nichts geholfen hätte, denn du liebst nicht; wünschest nie zu lieben. –

Ins Kloster willst du gehn, mein Auserwählter, willst ein Heiliger werden, und bist schon so heilig. Aber ich bins nicht; Liebe stammt in meinem Herzen. Gott du weist es, fromme Liebe; aber dennoch Liebe, und er liebt nicht. Nun so will ich dann hingehn, wo mein Auserwählter hingeht! will vor Gott treten, und mich heiligen. Nimm mich an um seinetwillen, weil er heilig ist, [522] o Gott! Süsser Trost des Klosters und der Einsamkeit! träufle herab in mein Herz; erfüll es ganz! – O wie will ich sitzen in der Einsamkeit und weinen, bis der Tag kommt der Erlösung! – Du bist heilig; ich will heilig werden, daß ich deine Braut sey, wenn der Tag kommt der Erlösung.


*


Im August.


Lang hab ich dich schon nicht gesehen, mein Erwählter, und doch bist du schön, wie die Liebe, und mein Herz hängt fest an dir, und ewig. Aber ich will dulden in der Stille, und dich Gott nicht rauben, dem du dienen willst im Kloster. Im Himmel will ich deine Braut seyn, und mich heiligen auf Erden. – Schön bist du, mein Geliebter; blühst wie die Rose, die am Morgen aufwacht im Thau. Blaß bin ich, und welke, wie die Rose, die des Abends hin sinkt in der Sonnenhitze, und ihre Blätter flattern aus einander, wenn der Sturm kommt. Möcht' er bald aufstehn, und meinen Staub zerstreuen! Aber noch nicht ganz reif ist die Frucht; noch nicht gnug getroffen vom heissen Stral der Liebe. –

Schön bist du, mein Bräutigam! Deine Wangen sind rosenroth; blau dein Auge, wie der Mittagshimmel; [523] mild dein Lächeln, wie die Abendsonne; golden sind deine Locken, wie die goldbesäumten Wolken, wenn die Sonne sinkt. Der du jezt schon so lieblich bist, wie wirst du einst geschmückt seyn in den Tagen der Belohnung! Wie einhergehn unter Engeln und Gerechten!

Ich bin blaß geworden wie die Lilie des Gartens, und mein Haupt senkt sich zur Erde. Meine Mutter weint und traurt: Ach meine Tochter, warum bist du blaß geworden, wie die Lilie des Gartens? Warum senket sich dein Haupt zur Erden? – Ach meine Mutter, laß mich schweigen, und mein Leid nicht kund thun! Ach, ich kann nicht reden; laß mich schweigen, Mutter! Bringt die welke Blum' in Schatten, daß sie wieder aufleb in der kühlen Dämmerung des Klosters! Warum willst du trauren, meine Tochter, in der Einsamkeit des Klosters? Warum soll ich einsam seyn mit deinem Vater, und nicht blühen sehen deine Schönheit, daß sich unser Herz daran ergötze!

Ach, mein Vater, meine Mutter trauren, und ich darf nicht reden. Meine Schönheit kann nicht blühen vor euren Augen. Saht ihr nie die Rose, wie sie welkte, weil ein Wurm in ihrem Busen [524] nagte? Meine Schönheit kann nicht blühn vor euren Augen.

Ich will eine Braut des Himmels werden, und flehen meinen Bräutigam, daß er Ruhe sende meinem Vater, und dem Herzen meiner Mutter! Gerne will ich leiden, wenn nur sie getröstet werden. Aber, Mutter, ich kann nicht reden!


*


Im September.


Gesegnet seyst du, mein Erwählter, daß du heute freundlich gesprochen hast mit meiner Seele; daß du wahrgenommen meine bleichen Wangen, und geseufzt hast über meine Blässe! O, wie war mir so wohl, als ich an deiner Seite gieng im Garten, als ich dacht' ans Paradies, wo ich auch einst mit dir gehen, und dir sagen werde, daß ich dein war auf der Welt, und um deinetwillen duldete. Du lobtest mich, Geliebter, daß ich auch ins Kloster geh, wie du. Ach, dein Lob ist mir so lieb, du Auserwählter, und ich durft es dir nicht sagen. Alles, alles will ich dir im Paradiese sagen. Dann wird meine Stimme nicht mehr beben; meine Wange nicht mehr glühen. Meine Seele wird dir sagen, daß sie dein ist; daß sie Gott zur Freundin schuf, für dich.


[525] *


Am 26sten September.


Ich habe deinen Freund gesehn im Traume, den bescheidnen Kronhelm. Blaß war seine Wange, gleich der meinigen, und trüb sein Auge. Er klagte, daß ein Mädchen untreu sey, daß er so heiß und treu geliebt hat; daß sie sich durch Menschen lenken lasse, von ihm ab; daß sie wanke von der Liebe, die ihm stark schien, wie der Tod. – Ist das möglich, mein Erwählter, daß man welche von der Liebe? Könnt ich weichen von dir, du mein Bräutigam? – Alle Mädchen, sagt' er, wären schwach und unbeständig; wären allzubiegsam; liessen sich von jedem Winde lenken. Ist das wahr, mein Lieber? Sind die Mädchen so? Bin ich nur allein treu bis ans Ende? – O so will ich meine Schwestern hassen, wenn sie falsch sind; wenn sie den betriegen können, der ihr Herz liebt. – Als er klagte, stand ein Mädchen in der Ferne, hatte Züge fast wie du, aber traurig wars, wie ich. Und dieß Mädchen, das so gut schien, dir so ähnlich war, mein Theurer, könnte falsch seyn? – Sag ihr, daß ich treu sey, ohne Hofnung!


[526] *


Im Anfang des Oktobers.


Bald werd ich hingehn ins Kloster, eher noch als du. Die hochgelobte Jungfrau hat mir zugewinkt, und einen Perlenkranz geflochten für mein Haupt. Als ich durch die goldnen Pforten eingieng, kamst du, mein Erwählter, mir entgegen; warest angethan mit einem glänzenden Gewand. – Hier ist gut seyn, mein Erwählter, laß uns Lauben flechten von den Lebensbäumen, und in ihrem Schatten wohnen!

Meine Mutter weint; mein Vater klagt. Trocknet eure Thränen, ihr Geliebten! Denn ich werde wohnen bey dem Mann, den meine Seele liebt; werde mit ihm Hütten bauen, daß ihr wohnen möget an der Seite eurer Kinder!


*


Am 25sten Oktober. (als das Schuldrama aufgeführt worden)


Meine Seele dankt dir, o du Heiliger und Auserwählter, daß du mich verachten lehrtest diese Welt mit ihren Freuden! Eine Braut des Himmels will ich werden, wie du wirst ein Bräutigam des Himmels. Ach, wie hast du heut mein Herz erschüttert, als du da standst in aller deiner Lieblichkeit; [527] als die Welt dich fesseln wollte; als die Mutter weinte, und dir zeigte alle Reize dieses Lebens; als Hilaria dich binden wollte mit dem Band der Liebe – wie du da, du mehr als Thomas, niedersahst mit hohem Aug auf alle goldne Fesseln; wie du blicktest nach dem Palmenzweig im Himmel; ihn ergriffest mit entschlossener Hand! durch alle Reizungen hinweggiengst nach dem Sitz des Friedens und der Ruhe!

Oefne dich, o Zelle, daß ich eingeh, wie mein Auserwählter, an den Ort der Stille, wo gereinigt wird das Herz, und geheiliget zur Braut des Himmels! Folg mir nach, o Bild des Auserwählten, den ich bald zum letztenmal erblicke, bis wir uns begegnen in den Thälern Edens! – Heiliger Thomas, dessen Bild mein Auserwählter ist, bald erblick ich dich mit ihm, und singe Siegeslieder! – Wenig Tage noch, mein Bräutigam, so wirst du meinem Aug entrissen, denn die Zelle hat sich aufgethan; aber meine Seele soll dich sehen, bis ich lieg' und schlaf im Grabe.


*


Am 12ten November.

(als sie ins Kloster getreten war.)


Ich bin eingegangen in den Ort der Ruhe; aber [528] noch ist keine Ruh in meinem Herzen. Gestern hab ich dich zum letztenmal gesehn, mein Bräutigam! Ach, zum letztenmal! Schöner warst du mir, als jemals, weil du traurig warst und weintest. – Heilig ist der Ort, den ich bewohne. Heilig soll mein Herz seyn, und entfernt vom Irrbischen. Aber sollt ich dein nicht mehr gedenken, du Erwählter? Du bist heilig, wie ein Tempel Gottes; ich gedenke deiner. – Still und öd ists um mich her; meine Schwestern schlafen, aber meine Seele wacht noch, und bespricht sich mit der deinigen. Möchtest du zuweilen noch der Abgeschiedenen gedenken, die so heiß und heilig dich geliebt hat! Aber in dein Herz drang nie der Stral der Liebe; mich allein hat er entzündet, daß ich brenne sonder Nahrung.

Ich murre nicht, Geliebter! Wohl dir, daß du Ruhe hast im Herzen, und den Sturm der Leidenschaft nicht hörest! Doppelt würd ich leiden, wenn auch deine Seele litte. Geh im Frieden ein in deine Zelle! Schlummre sanft, wie ich einst schlummern konnte, eh ich dich erblickte! Wandle ruhig auf dem Pfad des Lebens, bis am Ziel du bist, wo das Mädchen wartet, das geduldet hat bis an ihr Ende!


[529] *


Am 30sten November.


Meine Kraft nimmt ab; mein Leben welkt dahin; aber meine Liebe grünt und wächst. Ewig ist sie, wie das ewige Licht, das in der Lampe brennt im Chor. Der Hauch des Todes wird sie nicht auslöschen, oder meine Seele stürbe mit. Wenn die Glocke mich erweckt zum Beten, so ists, als ob mir deine Stimme rufte, du Erwählter. Du befeuerst meine Andacht, und hebst hoch mein Herz. – Oft zittert meine Seele, daß sie dich erblickt am Altar, wenn sie betet; aber du bist ja heilig, und darfst wohl vor Gott erscheinen. – Meine Schwestern fragen mich, warum ich blaß sey? Sie bedauren mich, und weinen, daß ich nahe sey dem Grabe. O, sie wissen nicht, wie süß das Grab ist; und sehn doch so blaß aus; oder gibts noch andre Leiden, als den Schmerz trostloser Liebe?


*


Am ersten Jenner.


Ihr fangt in der Welt ein neues Jahr an. Das alte gab mir Thränen; wird das neue mir den Tod geben? Ja, ich hoff ihn, Lieber; denn mein Auge wird trüb und matt; meine Kräfte [530] schwinden, daß ich kaum mehr gehen kann ins Chor, für dich zu beten, und für mich. Meine Hand zittert, wenn ich an dich schreibe; meine Thränen sind vertrocknet. – Sey mir willkommen, Jahr des Friedens und des Todes! Sende Segen meinem Bräutigam, daß er Freuden erndte an jedem deiner Tage! O du Lieber, Auserwählter, warum bin ich heut so traurig, da ich doch den Tod erwarte, meinen Freund?


*


Im Februar.

(zween Tage vor ihrem Tode.)


Endlich, endlich! Lieber, Theurer, auserwählter Bräutigam, o du, den meine Seele liebet, wie ist mir so wohl! Der Tod, mein Freund, mein Retter, der einst dir mich wieder geben soll, ist vor der Thür, und hat schon angeklopft. Ich fühls, in wenig Tagen werd ich schlummern in der Gruft der Todten. – Leb wohl du Theurer! Ach, nun wird mirs schwer, die Welt zu lassen, welche du bewohnst! – Aber deine Hütte wird einst sinken, und du wirst hinübergehen in die Wohnung der Gerechten, wo ich dich erwarte im Gewand des Lichts. – Verschweig, ich beschwöre dich bey Gott, zu dem ich übergehe, verschweig meine Zärtlichkeit, und alles, was ich dir geschrieben habe! [531] Ich schäme mich nicht meiner Liebe; aber meine Mutter und mein Vater würden noch mehr trauren, wenn sies wüsten, und dir minder gut seyn. – Ach, du Theurer, nimm den letzten, letzten Segen, den mein Herz dir gibt! Lebe fromm, und folg mir bald nach! – Mein Herz hat dich rein geliebt, und keusch; ich kann ruhig sterben, denn ich seh dich bald, und weine nicht mehr. – Meine Hand wird matt ... ich kann nicht mehr schreiben .... Leb wohl, komm bald! ... ich erwarte dich ... Bin deine Braut


Sophie.


* *


Siegwart blieb einen halben Tag eingeschlossen, um das Tagebuch, von dem dieses nur einige abgerißne Stücke sind, zu lesen. Er las es mit ununterbrochner Rührung durch, und hörte fast niemals auf zu weinen. Nun klärte sich ihm auf Einmal so vieles auf, was ihm in Sophiens Betragen so sonderbar und unbegreiflich vorgekommen war, denn er dachte zu bescheiden von sich selbst, als daß er Liebe gegen ihn für die Ursache davon hätte halten sollen. Anfangs machte ihm sein zartes Herz Vorwürfe, daß sie seinetwillen so viel ausgestanden hatte; als er aber über sein Betragen [532] nachdachte, fand er nichts, daß er sich vorzuwerfen hätte, und beruhigte sich von dieser Seite. Doch beschäftigte sich seine Seele lange mit den traurigsten Gedanken. Das Bild der leidenden Sophie begleitete ihn aller Orten hin, und erschien ihm manche Nacht im Traum. Er bekam aufs neue die stärkste Abneigung vor der Liebe, die so vieles Unglück auf der Welt anrichtet. Er vermied sorgfältig, viel in Grünbachs Haus zu gehen, weil ihn da alles, besonders die schwarze Kleidung ihrer Eltern, zu lebhaft an Sophien erinnerte. Die Mutter wollte wissen, was das Packet ihrer Tochter an ihn enthalten habe? Er kam über die Frage in Verlegenheit, und sagte: Es seyen ein paar Bücher drinn gewesen, die er Sophien geliehen habe.

Seine meiste Zeit brachte er nun in der Einsamkeit auf seinem Zimmer, oder bey P. Philipp zu, mit dem er aber so wenig, als möglich, von Sophien sprach. Kronhelm schrieb ihm fleißig, aber traurig, und erwartete mit aller Sehnsucht seine Ankunft in Ingolstadt. Therese und sein Vater schrieben ihm auch, daß er auf Ostern dahin abreisen könne, welches ihm sehr lieb war, da ihm die [533] Einsamkeit immer trauriger und unerträglicher wurde.

Acht Tage vor Ostern bekam er von seinem Vater einen Wechsel, Reisegeld, und einen Brief an den Hofrath Fischer in Ingolstadt, dem er, als seinem alten Freunde, seinen Sohn empfahl. Siegwart brachte seine Sachen in Ordnung, um gleich nach Ostern abgehen zu können. Er schrieb auch seinem Kronhelm, daß er ihm, wo möglich, ein paar Stunden weit entgegen kommen möchte. Der Abschied wurd ihm blos um des P. Philipps, und einigermassen um der Grünbachischen Familie willen schwer. Ein paar Tage vor der Reise gieng er noch in das Nonnenkloster, wo Sophie gestorben war. Er besuchte ihr Grab, und weihte dem Andenken des unglücklichen Mädchens seine Zähren. Leb wohl, theurer Staub, sagte er bey sich, beym Weggehn! Leb wohl, Ueberrest Sophiens! Ihr Beyspiel soll mich dulden lehren, wenn ich leiden muß. Ich will dir treu seyn, und dein Bräutigam im Himmel werden. Hierauf gieng er nach Haus, und las ihr Tagebuch wieder mit zwiefacher Rührung durch. Den andern Tag nahm er von ihren Eltern, und von ihrem Bruder Abschied. Sein Herz ward sehr [534] bewegt, und er muste eilen, um die armen Eltern nicht zu weich zu machen. Der junge Grünbach versprach ihm, in einem Jahr nach Ingolstadt nachzukommen.

Den lezten Abend brachte er bey seinem lieben P. Philipp zu. Dieser theilte ihm noch viel gute Lehren mit, und zeigte ihm alle die Behutsamkeit, die ein Neuling auf einer hohen Schule zu beobachten hat, wo Verführung, Reizung und Betrügereyen so gewöhnlich sind. Wegen Kronhelms sagte er ihm auch verschiedenes, wie er glaubte, daß sein krankes Herz am besten geheilt werden könnte. Er rieth ihm, ihn so viel als möglich zu zerstreuen; Theresens Briefe vor ihm geheim zu halten, und wenig, oder nichts mit ihm von ihr zu sprechen! Er wird mir doch zuweilen Nachricht von sich geben, und mich nicht ganz vergessen? sagte er. Ach Gott! Wie könnt ich Sie vergessen? antwortete Siegwart, und weinte. Wenn ich Ihnen nur schreiben darf, ich werds gewiß oft thun. Ihnen hab ich ja alles zu verdanken. – Nichts zu verdanken, lieber Xaver! Was ich that, geschah aus willigem und gutem Herzen; weil ich wuste, daß es bey ihm wohl angewendet ist. Siegwart wollte ihm hier[535] die Hand küssen, aber P. Philipp gab ihm einen Kuß auf den Mund. – Da will ich ihm ein kleines Andenken auf den Weg geben, sagte er, und gab ihm die Berliner Ausgabe vom Virgil. Siegwart wuste nicht, was er vor Rührung und Dankbarkeit sagen sollte? Vorn hatte P. Philipp seinen Namen eingeschrieben. Der Famulus brachte unserm Siegwart ein sehr günstiges Testimonium, das alle seine Lehrer unterschrieben hatten. Als ers las, gingen ihm die Augen über. Das ist zu viel! sagte er. Nein, mein Lieber! antwortete P. Philipp; er verdients; er hat sich brav gehalten; bleib er ferner brav, so wird ihms wohl gehen. Als es zehn Uhr schlug, stund Siegwart auf, ohne ein Wort zu sagen; gieng ans Fenster, und weinte, und sagte endlich: ja, nun muß ich gehen. Weiter ließ ihn der Schmerz nicht reden. Philipp gab ihm seinen Segen, küßte ihn, und sie schieden.

Siegwart weinte auf seinem Zimmer noch eine Stunde lang. Den Virgil packte er nicht ins Koffre, sondern steckte ihn zu sich. Das Geschenk war ihm gar zu lieb. Endlich, als er sich ganz müde geweint hatte, warf er sich aufs Bette, um noch einige Stunden zu schlafen.

[536] Des Morgens um halb sechs Uhr kam der Thorwart, um ihn aufzuwecken. Der Mann war sehr geschäftig, ihm das noch übrige einpacken zu helfen. Als Siegwart eben gehen wollte, stand er in einer Ecke des Zimmers, sah zur Erde hin, und auf Einmal stürzten ihm die Thränen aus den Augen. Er drückte unserm Siegwart die Hand mit der grösten Treuherzigkeit, und küste sie. Ja, Sie sind so gar ein braver Herr, sagte er, und es geht mir recht nah, daß Sie fortreisen. Es muß Ihnen gewiß wohl gehen! Siegwart war darüber sehr gerührt, gab ihm noch ein Trinkgeld; der Mann wollte es nicht nehmen. Sie haben mir schon so viel Guts gethan, und Sie brauchens jezt auf Ihrer Reise, sagte er in seiner Einfalt. Siegwart legte das Geld aufs Gesimse, und gieng mit schwerem Herzen weg.

Mach sieben Uhr gieng der Postwagen ab. Die Reisenden waren ein junger baierscher Offizier, ein Jude, und der Kondukteur, ein dicker, starker Mann, dem seine grobe baierische Aussprache recht drollicht ließ. Siegwart war die erste Stunde ganz betäubt. Er dachte an den P. Philipp, und an alles, was er ihm, und dem ganzen Kloster [537] zu verdanken hatte. Der Offizier, und der Kondukteur fiengen an, den armen Juden auf alle Art zu necken. Keine halbe Stunde durste er auf seiner Stelle sitzen bleiben. Bald fiels dem Offizier ein, vorwärts, bald wieder rückwärts zu fahren. Der Jude ließ sich alles gefallen, und setzte sich stillschweigend hin, wohin mans wollte. Endlich fiel dem Kondukteur ein, daß er ein wildes Schwein auf dem Wagen habe. Er sagte dem Juden, er soll sich weiter hinten hin im Postwagen setzen. Der Jude thats. Hierauf fieng der Kondukteur mit dem Offizier ein lautes Gelächter an. Mauschel, Mauschel, hast du Gelust zu Schweinefleisch? Seht mir doch, da setzt er sich neben die Bache hin! Indem zog der Kondukteur die Decke weg, unter der das Schwein lag. Der Jude sprang mit grossem Geschrey aus dem Postwagen: O weh, o weh! Ich bin verunreinigt! Bin ein armer Mann! Unserm Siegwart that das in der Seele weh. Man sollt' ihn doch in Ruhe lassen! sagte er, und wurde feuerroth im Gesicht, weil er noch ziemlich erschreckt war. Ey was! junger Herr, sagte der Offizier. Er versteht das nicht! Das ist Postwagenrecht. Siegwart schwieg, weil er das grimmige Gesicht des Offiziers für Tapferkeit[538] hielt. Der Jude war nicht mehr zu bewegen, in die Kutsche zu sitzen. Er setzte sich von aussen hin, ungeachtet es heftig regnete. Auf der Station aß der Jude nichts als trockenes ungesäuertes Brod, das er bey sich hatte, weil der Jude nichts von Christen Zubereitetes geniessen darf. Siegwart bedaurte recht von Herzen das Schicksal dieser armen Leute, und sah den Juden oft mitleidig von der Seite an, der zuweilen bey sich selbst seufzte. Der Offizier, mit dem Siegwart aß, sprach ihm immer zu, brav zu trinken, vermuthlich in der Absicht, ihn betrunken zu machen; aber unser Xaver nahm sich sehr vor ihm in Acht. Eh der Postwagen abgieng, kam ein Amtmann mit seinem Sohn, und der ganzen Familie, die den jungen Herrn begleitete, der auch auf die Universität nach Ingolstadt gehen sollte. Die Mutter, und zwo Schwestern standen unaufhörlich um den jungen Menschen herum, und weinten, als ob sie auf ewig von einander Abschied nehmen sollten. Sie steckten ihm die Taschen voll mit Lekerbißchen, und Arzneygläsern. Der Amtmann, der gehört hatte, daß Siegwart auch nach Ingolstadt gehe, setzte sich zu ihm; ließ eine Bouteille Burgunder kommen; trank tapfer drauf los, setzte [539] unserm Siegwart auch brav zu, und empfahl ihm seinen Sohn mit tausend Flüchen und Betheurungen, daß er ein rechtschaffener Kerl werden müsse, weil er schon dreyhundert Gulden an ihn gewendet habe. Mitmachen darf mein Kaspar alles! sagte er. Es will mir gar nicht eingehn, daß meine Amtmännin so ein Ammensöhnchen aus ihm ziehen will. Sakrebleu! ich hab ihm einen Degen angeschafft, mit dem er sich herum hauen kann, daß es eine Lust ist. Er soll mir kein Hundsfott werden! Eine Schramme im Gesicht mehr oder weniger! Mit Mädels mag ers auch zu thun haben! Nur vor liederlichen Nickeln soll er sich in Acht nehmen! Da kömmt nichts Gutes hinterher. He! Kaspar! was greinst wieder, wie eine alte Hure? Komm her! trink! Vivat die Universität! Ich sag dirs; werd mir ein braver Kerl! Laß dir keinen zu nah kommen! Oder stich ihn nieder! Hör ich einen schlechten Streich von dir; so sollst du deine liebe Noth haben. Da, das ist ein rechter Herr, (auf Siegwart deutend) der sticht jeden übern Haufen, der ihm auf die Zähne fühlen will. Siehst, was er für einen Schläger an hat? Der hat gewiß schon Blut gesehen. Nicht wahr, Herr? Siegwart sagte, daß er ihn erst vor [540] zwey Tagen neu gekauft habe. – Ja, ja, so sagt man! antwortete der Amtmann; indem bließ der Postillion zum Abfahren. Die Amtmännin erschrack, ward todtblaß, und eilte mit ihren Töchtern herzu, ihrem Knaben Filzschuhe, ein dickes Halstuch, und einen Ueberrock anzulegen. Der Amtmann trank hurtig seine Bouteille aus, und sprang mit den übrigen an den Wagen. Die Amtmännin herzte und drückte ihren Sohn; hub ihn in den Wagen, fieng ein grosses Geheul an, und wollte den Schlag, der schon zu war, wieder aufreissen, um ihren Sohn noch einmal zu umarmen. – Fahr zu, Schwager! schrie der Amtmann, und schlug mit seinem Stock auf die Pferde zu. Der Wagen fuhr fort.

Siegwart saß bey dem Officier. Ihm gegenüber der junge Kaspar, neben dem Juden. Er weinte wie ein Kind, und wollte immer aus dem Schlag gucken, um seine Mutter noch einmal zu sehen; aber der Wagen gieng zu schnell, und schmiß ihn immer wieder zu rück, wenn er aufstehen wollte. Der Jude, der die Geschwätzigkeit mit seiner ganzen Nation im hohen Grad gemein hatte, plauderte beständig mit dem jungen Kaspar; erzählte ihm alle seine Familienumstände, daß er einen [541] Sohn habe, der so alt sey, wie er; daß ihm seine Rebekka vor zwey Jahren gestorben sey u.s.w. Seine Neugierde wollte aus Kaspar eine gleiche Vertraulichkeit herauslocken; aber dieser sagte immer nur: So! und Ja, und Nein. Der Offizier und der Kondukteur spotteten beständig über den Juden, fragten ihn verschiedenes; und wenn er zu erzählen anfieng, lachten sie über ihn. Der Offizier rief alle Mädchen an, die den Wagen vorbey giengen, und rief ihnen Zoten zu. Wenn ein Bettler an den Wagen kam, so stellte er sich, als ob er etwas Münze herauswürfe; die armen Leute suchten lang umsonst im Koth herum, und der Offizier lachte recht aus vollem Halse über seinen, wie er glaubte, glücklichen Einfall. Als sie auf die nächste Station kamen, und den Postillion bezahlen sollten, kannte Kaspar keine Münze, und wollte dem Schwager statt sechs Kreuzern einen Sechsbäzner geben. Siegwart nahm sich seiner an, und zahlte für ihn aus, sonst wär er in kurzer Zeit um all sein Geld gekommen. Nun setzte sich auch ein junges Mädchen von Donauwerth in den Postwagen, an das sich der Offizier sogleich machte. Er brachte so grobe Zoten und Zweydeutigkeiten vor, daß Siegwart die Augen zuthat, als ob [542] er schliefe, so ärgerlich war ihm das Geschwätz. Er wurde durch ein grosses Geplapper aufgeweckt, indem eine Wallfahrt, die ein halbes Dorf ausmachte, und nach Königinbild im Burgauischen gieng, am Wagen vorbey kam. Der Offizier rief ihnen zu: Sie möchten doch auch für ihn beten! denn er sey ein grosser Sünder. Hierüber schlug er ein lautes Gelächter auf. Gegen Abend wurde der Jude, der sein Abendgebeth verrichten wollte, von dem Offizier unaufhörlich so geneckt, daß er sich endlich, ungeachtet des ärgsten Regens, aus dem Wagen hinaussetzte, und die ganze Nacht da sitzen blieb. – In Donauwerth giengen alle vom Postwagen ab, ausgenommen der junge Kaspar und der Kondukteur. Dagegen traten drey Studenten von Ingolstadt ein, die auf der Vakanz gewesen waren. Sie sprachen mehrentheils lateinisch, und Siegwart mischte sich in ihr Gesprach. Kaspar aber konnte mit dem Lateinischen nicht fortkommen. Er beklagte sich sehr über die Kälte, ungeachtet die Witterung ziemlich gelinde war; zog seine Leckerbißchen hervor, und zehrte eins nach dem andern auf. Sie fuhren auf eine Anhöhe, und sahn unten eine Ueberschwemmung, die die Donau machte. Es sah traurig aus. Die Felder lagen [543] unter Wasser; nur zuweilen ragte eine Anhöhe, oder ein Gesträuch hervor. Tannen und Eichen hiengen halb ausgewurzelt über's Wasser. Oben, wo sie fuhren, stand ein gutgesatteltes Pferd, ohne Reuter, das der Postillion mitnahm. Ganze Dörfer waren vom Wasser, das wild und laut unten hinrauschte, umzingelt. Halbe Scheunen und Häuser, oder losgerissene Balken nahm die Flut mit fort. Die Bauren standen, zum Theil nur halb gekleidet, mit Weib und Kindern, und ihrem Vieh auf der Höhe; sahen stillschweigend ins Thal hinab; oder streckten die Hände aus, und fiengen ein lautes Wehklagen an, wenn ihre Hütten einstürzten. Siegwart übersah die Scene mit Thränen; einer von den Studenten kramte witzige Einfälle aus. Auf Einmal ward er blaß, und schwieg. Es erhub sich ein grosses Geschrey. Der Wagen, der sich bisher immer auf der Höhe gehalten hatte, muste nach dem Dorf, wo die Station war, ins Thal hinabfahren. Du kannst hier nicht durch, riefen alle Bauren dem Postillion zu. Ich muß durch! sagte dieser, und peitschte auf die Pferde los. Plötzlich blieb der Wagen stecken, und das Wasser strömte wild drum herum. Zween Bauren sprangen, ungeachtet sie, wegen des Feyertags, [544] gut gekleidet waren, ins Wasser, und huben die Räder in die Höhe, daß der Wagen wieder fort konnte. Drauffen rief ein altes Weib ihrem Sohn ängstlich zu, der fast unter's Rad kam, als es sich zu drehen anfieng. Der Postillion fluchte, und lachte die Bauren aus, als er aus dem Wasser heraus war. Siegwart warf ihnen zween Dreybäzner zu. –


Herr Gott! Das ist unsers Herrn Gaul? rief eine Magd; und gleich drauf sprang die Verwalterin aus ihrem Haus heraus, und rief: halt, Schwager, halt! Wo ist mein Mann? Das ist sein Schimmel. Schwager, Schwager, sag um Gottes willen, wo er ist? Das weis ich nicht, sagte der Postillion ganz kalt. Da habt ihr den Gaul, wenn er euer ist. Indem ließ er das Pferd gehen, das sogleich seinem Stall zulief. Die Verwalterin lief dem Wagen nach ins Posthaus; zwey Kinder sprangen heulend hintennach. Sie wandte sich an Siegwart, um zu fragen, wo ihr Mann sey? Auf seine Antwort: Daß sie das Pferd, zwo Stunden vor dem Dorf draussen, ohne Reuter angetroffen haben, fiel sie in eine Ohnmacht, und ward in ihr Haus getragen. – Nach zwey [545] Stunden fuhr der Wagen weiter, nachdem die Reisenden erst versichert worden waren, daß sie von der Ueberschwemmung nichts mehr zu befürchten hätten, weil man immer auf der Höhe fahren könne. Als die drey Studenten drauf von Ingolstadt sprachen, ward Siegwart sehr aufmerksam. Sie musterten die Ingolstadter Mädchen. Die Kornfeldin ist eben ein fideles Mensch, sagte der Eine, mit der man einen wahren Jokus haben kann. Sapperluft, sie sieht so frisch aus, wie ein Borstorferapfel, und das Best' ist, daß sie einem nichts übel nimmt. Weist du, Kirner, wie wir letzt bey ihr waren, als wir die Musikanten hatten? Narr, warum wirst roth drüber? Man sieht dir noch recht den Fuchs an; darfst dich ja nicht schämen; Man weis wohl. – Auf dem Billard gehts auch noch an; die Franzel macht noch wohl so was mit; aber um das andre Geschmeiß geb ich all zusammen keinen Heller! – Was verziehst das Maul so, Gutfried? steckt dir wieder deine Fischerin im Kopf, der Zieraffe? – Ihr möcht sagen, was ihr wollt, antwortete Gutfried; die Fischerin ist ein trefliches Frauenzimmer; aber sie ist euch zu gut; ihr wollt nur leichte Waare, wo man wenig Umstände machen darf. – Das ists eben, sagte Boling; [546] die Fischerin ist ein stolzes Mensch, die so jüngferlich thut, als ob sie nicht fünfe zählen könnte, und einen ehrlichen Kerl über die Achsel ansieht. Schön ist sie, das kann man ihr nicht nehmen; aber eben deswegen sollte sie mehr mit unser einem umgehn. Narr! sie hat doch auch Fleisch und Blut! Aber du siehst sie immer als einen Engel an. Wenn ein Mädel nicht mit Studenten umgeht, so wird ihr Lebetag nichts rechts aus ihr! – Schöne Moral! sagte Gutfried. – Moral hin, Moral her! versetzte Kirner, um der Moral willen bin ich nicht nach Ingolstadt gegangen. Das kanst du doch nicht leugnen, Gutfried, daß die Fischerin mit all ihrem glatten runden Gesicht ein dummes, hoffärtiges Ding ist! Ich wollte letzthin mit ihr im Schlitten fahren; da zog sie die Nase in die Höhe, und sagte, sie müss' es sich verbitten. – Verbitt du den Henker und seine Großmutter! Gelt, wenn der seine Herr von Kronhelm kommt, da reicht sie gleich ihr Pfötchen her, weil er eine goldbeschlagene Jack' an hat. Das sind mir die rechten Menscher! Ich bekümmre mich viel um ihre feine Haut.


Das Mädel lob ich mir allein,

Das Leib und Seele kann erfreun:

[547]

Dem Tag und Nacht zu jeder Frist

Der Pursche fein willkommen ist!


Als die beyden Herren ausgesungen hatten – denn Gutfried sang nicht mit – so fragte Siegwart, ob sie den Herrn von Kronhelm kennen? O ja! sagte Boling, er hört mit mir das Ius Canonicum. Es ist ein trocknes eingebildetes Bürschchen, das immer aussieht, als obs weinen wollte. Der Kerl ist mir recht fatal, weil er immer allein auf der Stube sitzt, und sich viel zu gut dünkt, mit andern ehrlichen Kerls umzugehen. – Er ist doch sehr artig in Gesellschaft, sagte Gutfried; ich hab ihn ein paarmal im Konzert beym Hofrath Fischer gesprochen. Er ist nichts weniger als stolz. Ein Bißchen schwermüthig scheint er wol zu seyn. Es muß ihm etwas fehlen. Sonst aber ist er sehr artig, und hat viele Lebensart. – Er ist mein vertrauter Freund, sagte Siegwart zu Gutfried; ich habe zwey Jahre auf der Schule mit ihm zusammen gelebt; wir wurden Ein Herz und Eine Seele. Ich glaube, daß er mir entgegen kommen wird. – Das soll mir lieb seyn, antwortete Gutfried; ich habe schon längst gewünscht, genauer mit ihm bekannt zu werden; aber es wollte sich nicht schicken: vielleicht geschiehts jetzt. Ein [548] paar Bücher hab ich durch die dritte Hand von ihm zu lesen bekommen, die sehr schön waren. Das Eine hieß der Messias, und im andern stund ein grosses Gedicht, der Frühling. – O, die kenn ich wohl, die hab ich selbst auch, sagte Siegwart. Sie lesen wol gern solche Bücher, mein Herr Gutfried? Ausserordentlich gern! antwortete dieser; wenn man nur in Ingolstadt dergleichen auch bekommen könnte! – Die beyden Jünglinge fiengen nun ein vertrauteres Gespräch über diese Materie an; denn nichts macht vertrauter, als die gemeinschaftliche Liebe zu den schönen Wissenschaften. Sie beschäftigt sich mit der Empfindung, und da begegnet man sich alle Augenblick auf Einem Wege. – Da hat er nun einmal den rechten Mann gefunden, sagte Boling zu Kirner, vor dem er sein Herz ausschütten kann. Wir müssen immer hören, daß wir von nichts, als Studentenmährchen reden können. – Es ist auch wahr, fiel ihm Gutfried ein, ihr bekümmert euch um nichts, was geschrieben wird. – Um Vergebung! sagte Boling; wir lesen doch den Triller und den Günther. Das ist wol ein herrlich Lied im Günther: Ihr Schönen höret an etc.

[549] Indem kam ein Kapuziner an den Postwagen, und bat den Schwager, ihn doch einzunehmen, weil er sehr ermüdet, und von der langen Reise halb krank sey. Meinetwegen wol, sagte der Postknecht, wenns die Herren da zufrieden sind. Sogleich machte Siegwart den Schlag auf, und ließ den Kapuziner ein. Er setzte sich neben Kaspar, der sich ängstlich vor ihm zurück zog. Bleib er sitzen, junger Herr! sagte Siegwart, und schlag er seinen Mantel mit um den Ehrwürdigen Herrn herum! Er sieht ja, daß er halb erfroren ist. Kaspar thats halb unwillig, und der Kapuziner sah unsern Siegwart dankbar an. – Wo geht denn die Reise bey den jungen Herren hin? fragte er. – Nach Ingolstadt, war die Antwort. – So? dahin will ich auch. Will Gott recht danken, wenn ich da bin; denn nun marschir ich schon seit fünf Tagen aus dem Frankenland heraus. Ich glaubt' oft, ich könnt's kaum mehr aushalten. – Warum gehn Sie denn bey dieser veränderlichen Jahrszeit so weit, Herr Pater? fragte Siegwart. – Ach, was thut man nicht um des lieben Gehorsams willen! antwortete er. Ich habe Geschäfte für meinen Provinzial gehabt. Freylich kommt michs hart an, da ich schon seit Jahr und Tag [550] nicht recht gesund bin. Ich hoffte aber auch, meine Leut' im Aichstättischen noch einmal zu sehen. Lieber Gott! wie ich da vor meines Vaters Haus komm, und denk, ich will dem alten Mann eine Freude machen, daß er mich nach 20 Jahren wieder einmal sieht; da find' ich alles ganz und gar verändert; lauter fremde Gesichter; und als ich frag, da weis kein Mensch nichts von meinen Leuten. Die sind seit zehen Jahren weg, und gestorben, hieß es – das drang mir durch Mark und Bein, daß ich nicht mehr wuste, wo ich war? – Heilige Mutter Gottes! sagt ich; sind sie alle gestorben? – Hier stürzten dem ehrlichen Kapuziner die Thränen aus den Augen. Siegwart und Gutfried weinten mit. – Was ist denn das für ein Kerl da? rief Kirner zum Postillion, als sie bey einem Rad vorbey fuhren, auf dem ein kürzlich hingerichteter Mensch lag. Ja, das war ein feiner Geselle! Herr! antwortete der Schwager. Er ist auf der Mühle dort Knecht gewesen. Der hat seinem Herrn die Kasten aufgebrochen, und das Geld herausgenommen, und dann seine Tochter mit dem Beil umgebracht, weil sies sah, und ihrem Vater sagen wollte. Meynen Sie, er habe gebetet, als man ihn räderte? Geflucht und gesungen [551] hat er, bis man ihn aufs Rad legte. Ich stand nah dabey, dort auf dem Hügel, und hab alles recht mit angesehen. Das war ein Teufelskerl! Aber er hat auch sein Lebtag nichts gethan, als gesoffen und gespielt, und mit Menschern ganze Nächte zugebracht. Ich hab ihm oft gesagt: Hans, so wirst dus nicht weit bringen. – Das ist mir doch ganz unbegreiflich, sagte der Kapuziner, wie ein Mensch die Bosheit so weit treiben, und sich vom Teufel so verblenden lassen kann! Ich würds nicht glauben, wenns der Schwager da nicht selbst sagte. Daß man einem etwas nimmt, wenn man sich nicht mehr zu helfen weis, und Hungers sterben müste, das läst sich wohl noch denken, obs gleich auch grausig ist; aber wie man einen umbringt, das geht über meinen Verstand hinaus. – Ueber meinen auch, sagte Siegwart; ich hätte nie geglaubt, daß es so verdorbne Menschen gibt. – Wohl euch, edle, unschuldsvolle Seelen, denen das Laster unbegreiflich, und der Gang einer boshaften Seele unerforschlich ist! Möchtet ihr immer bey eurer unwissenden Einfalt bleiben!

Der Kapuziner unterhielt sich noch viel mit Siegwart, und erzählte ihm von seiner eigenen [552] Geschichte, und vom Kloster; zuweilen seufzte er, aber nur verstohlen, und furchtsam, über die Strenge seines Ordens. Die liebenswürdige Einfalt, und die fast kindische Unerfahrenheit im Lauf der Welt, besonders in der Bosheit der Menschen, die der Pater alle Augenblick äusserte, nahm unsern Siegwart, der seine idealische Vorstellungen hier so lebendig vor sich sah, sehr für ihn ein. Mit Gutfried, an dem er sehr viel edles fand: ward er auch bald Freund.

Den andern Tag, als sie noch drittehalb Stunden weit von Ingolstadt entfernt waren, kam Kronhelm hergeritten. Seine, und Siegwarts Freude war unbeschreiblich. Jeder fühle sie mit mir, der seinen Freund, den er so zärtlich liebt, wie Siegwart seinen Kronhelm, nach einer Jahrlangen Trennung wieder umarmt, und nun wieder ganz sein ist! Boling erbot sich, zu reiten, und Kronhelm setzte sich in den Wagen. Anfangs sprachen sie wenig, und hielten sich nur bey der Hand fest. Sie fragten sich tausend Dinge, beantworteten die Fragen nur halb, und fiengen sogleich wieder eine neue an. Als sie einander steif, und mit dem seelenvollsten Ausdruck ansahen, [553] erschrack Siegwart auf Einmal, weil er jetzt erst wahrnahm, wie blaß und mager Kronhelm aussah. Du bist doch gesund? sagte er. So ziemlich; war die Antwort. Und nun stunden dem armen Kronhelm die Thränen in den Augen, denn er dachte sich seine Therese lebhaft, und erkannte sie in den Zügen ihres Bruders ganz wieder. Hast du mir nichts mitgebracht? sagte er. – Nichts als Grüsse von dort her, und vom P. Philipp. Kronhelm schwieg eine Zeitlang, und versank in tiefe Wehmuth.

Gutfried mischte sich nun auch ins Gespräch. Kronhelm wunderte sich, daß sie sich nicht schon früher hätten genauer kennen lernen, da er so viel Gleichheit in ihrer Denkungsart wahrnahm, und da dieses Siegwart noch mehr bestätigte. Er bat ihn zu sich, und versprach, ihn öfters zu besuchen, und ihm alle Bücher zu leihen, die er hätte. Kirner hänselte indessen den jungen Kaspar, der sich alles gefallen ließ, und nun froh war, daß er das Ende der Reise vor sich sah. Der Kapuziner freute sich innerlich recht herzlich über die Freundschaft der beyden Jünglinge, und über die Freude, die sie an einander hatten. Das ist schön, sagte er, wenn man einander so recht gut ist. Ich weis, daß mein P. Ignatz auch viel Freude haben wird,[554] wenn ich wieder komme. Wir sind Herzensfreunde zusammen. Eine Viertelstunde vor der Stadt gieng der ehrliche Pater vom Postwagen ab, und dankte Siegwart noch besonders, daß er sich seiner so angenommen, und für ihn gesorgt habe. – Sieh, dort an dem mittlern Thurm, sagte Kronhelm zu Siegwart, indem er nach der Stadt wies, ist mein Zimmer, gleich in dem Hause rechter Hand. Du kannst erst bey mir seyn, bis wir um eine Wohnung für dich sehen; ich glaub, daß in meinem Haus noch ein Zimmer ledig wird. Das wär herrlich, sagte Siegwart; aber könnten wir nicht auf Einem Zimmer beysammen wohnen, wie im Kloster? Nein, Bruder, antwortete Kronhelm; aber ich kann dir jetzt nicht sagen, warum?

Endlich kamen sie in der Stadt an, und giengen gleich auf Kronhelms Zimmer. Hier umarmten sie sich erst mit herzlicher, brüderlicher Liebe. Siegwart bemerkte gleich beym Eintritt in die Stube ein unter dem Spiegel hängendes Portrait, das ihm sehr bekannt deuchte. Wen soll das vorstellen? fragte er. Kennst du das nicht! antwortete Kronhelm. Es ist Therese. – Ja wahrhaftig! Recht gut und ähnlich! Fiel mirs doch nicht gleich ein. Aber, wo hast du's denn her? Wer hats [555] gemacht? – Aus mir selber hab ichs; ich habs gemacht. Das war dir eine Freude, als ichs fertig hatte. O Bruder, ich kann nichts anders thun und denken! – Du daurst mich, armer Junge! Ich hoffte, die Zeit würd es ändern. – Da kennst du die Liebe recht. Wer einmal liebt, liebt ewig. – Hierauf erkundigte er sich mit Aengstlichkeit nach Theresen. Siegwart wich seinen Fragen aus, so gut er konnte, und antwortete immer nur ins Allgemeine. Bey Kronhelm wachte der ganze, etwas eingeschlummerte Schmerz wieder auf. Alles war ihm wieder neu. Es kam ihm vor, als ob er Theresen erst gestern gesehen, und verlohren hätte. Alle Bilder der Vergangenheit stellten sich ihm wieder dar. Er betrachtete seinen Siegwart genau, eilte dann zum Portrait hin, und brachte sogleich einen Zug drinn an, den Therese mit ihrem Bruder gemein hatte. Das hat noch gefehlt, sagte er, das konnt ich nicht treffen; nun ists noch ähnlicher. Und wirklich hatte die Aehnlichkeit des Bildes durch diese Aenderung sehr gewonnen.

Sieh, das Zimmer wäre groß genug, sagte Kronhelm, daß wir bey einander wohnen könnten. Aber ich habs besser überlegt. Du hast in der letzten [556] Zeit im Kloster sehr viel von mir ausgestanden; ich war so wunderlich und verdrüßlich. Seit der Zeit bin ichs noch mehr geworden. Oft ist mirs so zu Muthe, daß ich keinen Menschen, nicht einmal meinen besten Freund um mich leiden kann. Wenn du hier im Hause wohnst, so kannst du doch immer bey mir auf dem Zimmer seyn; aber wenn ichs zu arg mache, kannst du ausweichen. Mir ists leid, daß ich so bin; aber ich kanns nicht ändern. Siegwart machte erst Einwendungen, aber endlich ließ er sichs gefallen.

Den andern Tag besahen sie die Stadt mit einander. Sie gefiel unserm Siegwart besser, als seinem Freunde, der, bey seinem Eintritt, alles in die Farbe der Melancholie gekleidet gesehen hatte. Siegwart erkundigte sich bey ihm nach dem Hofrath Fischer, und erfuhr, daß es eben der sey, von dem die Studenten auf dem Postwagen gesprochen hatten. Er wird dir nicht sehr gefallen, sagte Kronhelm, denn er ist ziemlich stolz; aber seine Tochter, denk ich, wird dir mehr gefallen; es ist ein herrliches Mädchen. Mir wirst du dieses Lob um so mehr glauben, da ich so ganz unpartheyisch bin, und nur für Theresen allein lebe. Meinetwegen mag sie seyn, wie sie will! versetzte Siegwart,[557] was gehen mich die Mädchen an? Ich bring einmal dem Hofrath meines Vaters Brief, und damit aus! Wenn er stolz ist, so bin ichs auch! – Nun, wir wollen sehen, sagte Kronhelm lächelnd. Den Nachmittag waren sie zu Gutfried gebeten, der ihnen sehr gefiel, und mit dem sie Freundschaft errichteten, und eine wöchentliche Zusammenkunft ausmachten, weil er die Flöte recht gut spielte. Es war auch ein Sohn vom Hofrath Fischer da, dem Gutfried gegenüber wohnte. Dieser junge Mensch studierte, und war unbändig stolz. Er gab sich mit Kronhelm etwas, und mit Siegwart gar nicht ab, ob ihm dieser gleich sagte, sein Vater habe ehedem das Glück gehabt, ein Freund des seinigen zu seyn. Alle Augenblicke besah er sich im Spiegel, und bewunderte sein glattes, karmesinrothes Gesicht. Den andern Tag gieng Siegwart zum Kanzler, der ihm höflich begegnete, und von da zum Hofrath Fischer, dem er seines Vaters Brief brachte. Der Hofrath empfieng ihn in seinem damastenen Schlafrock sehr kalt und stolz, und nöthigte ihn nicht einmal zum Sitzen. Als er den Brief durchgelesen hatte, sagte er: Also lebt sein Vater noch? Ich dachte, er wäre schon längst gestorben. Nun, Nun! [558] Wenn ich ihm gelegentlich worinn dienen kann, so komm er wieder zu mir! Er kann auch seinen Vater von mir grüssen, wenn er an ihn schreibt. Siegwart bückte sich, und nahm seinen Abschied. Der Hofrath gieng bis an die Thüre mit, und klingelte dem Bedienten, der ihn die Treppe hinab begleitete. Voll Unmuths gieng nun Siegwart zu Hause, und schimpfte unterwegs bey sich selbst auf den kalten Weltton, und das stolze, veränderliche, menschliche Herz. Der kriegt mich gewiß nicht wieder! sagte er zu Kronhelm; das ist ein rechter Hofmann. Hätt ich das gewust, er hätte weder mich, noch den Brief gesehen! Meinem Vater darf ich das nicht schreiben, der würde sich zu sehr drüber ärgern. O Kronhelm, wenn ich denke, daß einer von uns einmal so werden könnte, ich möchte toll werden! – Wie kannst du auch so was denken? sagte Kronhelm, Hast du aber seine Tochter nicht gesehen? – Nein! antwortete Siegwart halb unwillig; was willst du nur immer mit seiner Tochter? Ich mag sie gar nicht sehen! –

Nach ein paar Tagen ward in dem Haus ein Zimmer leer, das Siegwart sogleich miethete und bezog, ob er gleich seine meiste Zeit auf Kronhelms [559] Zimmer zubrachte. Dieser sprach beständig nur von Theresen. Siegwart muste ganze Abende durch mit ihm von ihr reden, ohngeachtet er jetzt selbst wenig von ihr wuste; denn sie schrieb seltener, als sonst, vermuthlich um Kronhelms willen. Siegwart hätte so gern seinem Freund eine Neigung ausgeredet, die allem Anschein nach nie einen glücklichen Ausgang nehmen konnte; aber wenn er sich nur von fern etwas dergleichen merken ließ, so ward Kronhelm böse oder traurig, und argwohnte, daß er nicht sein Freund mehr sey. Zerstreuen ließ er sich auch wenig, denn er saß bey den schönsten Frühlingstagen fast immer zu Hause, und wollte nicht einmal gern Musik machen, wenn Gutfried kam. Gieng Siegwart einmal allein aus, und kam er nicht sogleich wieder heim, so ward er drüber unruhig und unzufrieden. Er wollte den Bruder seiner Therese beständig um sich haben, und sagte ihm oft, daß die Freundschaft so wohl eifersüchtig sey, als die Liebe. Siegwart, der ihn so unaussprechlich liebte, fügte sich ganz in seine Laune, bedaurte ihn in der Stille, und that ihm alles zu Gefallen.

Nun giengen auch die Kollegia an: Siegwart, der auf der Schule durch seinen Fleiß schon so weit [560] gekommen war, hörte die Philosophie, und die Physik. Der junge Ickstatt, der die Wolfische Philosophie inne hatte, und überhaupt sehr aufgeklärt dachte, gefiel ihm vorzüglich, und machte ihm das philosophische Studium sehr angenehm. Seine andern Lehrer, die gröstentheils Jesuiten waren, gefielen ihm schon weniger. Kronhelm hatte blos eine Stunde bey Ickstatt, und eine andre auf der Reitbahn. Die ganze übrige Zeit brachte er zu Haus in der Einsamkeit zu. Gutfried war fast ihr einziger Gesellschafter. So gieng der Frühling und der Sommer hin, ohne daß Siegwart Einmal in eine eigentliche Studentengesellschaft kam, wobey er freylich blutwenig verlohr. Sein Verstand ward durch die Wissenschaften und den Vortrag seiner Lehrer immer mehr aufgeklärt; sein Herz durch das Lesen der Alten, und besonders der Geschichtschreiber, immer männlicher und fester; und seine Empfindung durch das Lesen der alten und neuen Dichter, durch fleissige Uebung in der Musik, und genaue Beobachtung der Natur immer seiner, richtiger, und reizbarer. Oft fühlte er in sich ein gewisses Leere, und ein Verlangen, wovon er den Gegenstand nicht kannte. Sein Herz war oft, besonders in der Dämmerung, ungewöhnlich [561] weich; oft flossen ihm Thränen aus den Augen, ohne daß er wuste, warum? Er hielts für eine Sehnsucht nach dem Kloster, und für einen göttlichen Aufruf, sich zu diesem Stande recht vorzubereiten; daher studierte er auch unaufhörlich, oft bis in die tiefe Nacht hinein. Wenn sein Herz recht weich, und er allein war, so erhub sich seine Seele zu hoher Andacht; er betete mit grosser Inbrunst, und heiligte sich Gott ganz. Das Lesen der Bibel machte ihn täglich vollkommener und besser, und jeder grossen Handlung fähig. Seine Liebe zur Tugend, und seine Gewissenhaftigkeit ward beynahe schwärmerisch. Ein paarmal traf er von ungefähr bey Gutfried andre Studenten an, besonders Boling und Kirner, welche ziemlich frey und leichtsinnig sprachen. Dieß that ihm so weh, und brachte ihn so auf, daß er ganz freymüthig sein Misfallen drüber an den Tag legte, und fast in Ungelegenheit und Streit kam. Das rohe und verderbte Wesen, das er unter den Studenten wahrnahm, machte ihn beynah zum Einsiedler und zum Menschenfeind, so daß er bey keinem Menschen gern war, als bey Kronhelm und Gutfried. Das Andenken an Sophien, und ihr Tagebuch, worinn er fleissig las, erhöhten seine Schwärmerey [562] noch mehr. Theresens traurige Briefe, und seines Kronhelms düstre Denkungsart lehrten ihn die Welt, die den besten Seelen so wenig Freude gewährt, und sie in so tiefen Kummer stürzt, immer mehr gering schätzen. Dabey war ihm bey seiner halbfanatischen Denkungsart so wohl, daß er sich in keine andre Lage wünschte.

Die Kirchen, und besonders die Frauenklosterkirche besuchte er alle Sonn- und Feyertage, und nährte da seine Phantasie noch mehr durch das heilige Gepränge, und die feyerliche Musik. Einmal sah er ein Mädchen neben sich knien, über dessen Anblick er erschrack. Es hatte die Augen andachtsvoll gen Himmel gerichtet, und warf, als er es anblickte, einen Blick auf ihn, der sein Innerstes umkehrte. Er war auf einmal aus aller Fassung, und konnte, ohngeachtet aller Bemühung, seine Andacht nicht mehr sammeln. Es überfiel ihn ein solches Zittern und Beben, daß er sich kaum mehr auf den Knien halten konnte. Noch Einmal blickte er hinüber; sie ließ eben ein Kügelchen an ihrem Rosenkranz fallen, sah ihn wieder an, und sein Blick fuhr wie der Blitz zurück. Nach etlichen Minuten stand sie auf; er hörte ihr Gewand rauschen, wagte es aber nicht, nach ihr hinum zu [563] blicken. Er wollte wieder beten, aber er konnte nicht vier Worte zusammen bringen. Drauf machte er ein Kreuz, schlug sich auf die Brust, stund auf, und, indem er sich umwendete, sah er das schlanke Geschöpf mit langsamem, majestätischem Gang der Kirchenthüre zugehn, sich mit Wiehwasser besprengen, und aus seinen Augen verschwinden. Er kam aus der Kirche, ohne selbst zu wissen, wie? Gutfried stand in einem Seitenstuhle, und grüste ihn; aber er nahm ihn nicht wahr. Als er vor die Kirche kam, sah er das Mädchen nicht mehr, und wuste nicht, wo er sich hin wenden sollte? – Gott! Was ist das? dachte er. War das ein Engel, oder wars Maria? Seine ganze Empfindung war ihm unerklärlich. Es war ihm nicht wohl, und auch nicht weh! Seine Seele war immer ausser ihm, und er wuste doch nicht, wo? Er sah nur das, gen Himmel gehobene Auge, und die schlanke Gestalt, wie sie majestätisch vor ihm hin schwebte. Ein paar Stunden lang gieng er, ohne sich seiner bewust zu seyn, auf seinem Zimmer auf und ab. Er wollte beten, wollte lesen; aber seine Gedanken waren immer anderswo. Zuweilen seufzte er, und hustete, um vor sich selbst den Seufzer zu verbergen. Kronhelm hatte [564] schon eine halbe Stunde mit dem Essen auf ihn gewartet. Als er nicht kam, gieng er zu ihm auf sein Zimmer. Siegwart fuhr zusammen. – Was treibst du denn, Xaver? Ich warte schon über eine Stunde auf dich. Das Essen steht schon eine halbe Stunde auf dem Zimmer; es wird ganz kalt. – So? ists denn schon Essenszeit? Das kann ja kaum seyn! – Je freylich! antwortete Kronhelm; sieh nur nach der Uhr! Es ist schon halb Eins. – Siegwart gieng schweigend mit ihm auf sein Zimmer, und sprach während dem Essen fast kein Wort; auch aß er wenig. – Kronhelm, der mit seinen Gedanken bey Theresen war, merkte davon nichts. Nach Tische gieng Siegwart auf sein Zimmer, unter dem Vorwand, daß er Briefe nach Haus zu schreiben habe. Kronhelm trug ihm einen Gruß an Theresen auf. Siegwart schrieb nicht, sondern gieng nur hin und her. Er wollte das Mädchen und ihren andächtigen Blick wieder vergessen, dachte an tausend verschiedne Dinge, aber immer am Ende wieder an sie. Zuweilen phantasirte er auf seiner Violine; gleich war ihms wieder entleidet, und er hieng sie wieder auf. Um halb vier Uhr holte ihn Kronhelm ab, um zu Gutfried zu gehen, wo sie ein wöchentliches [565] Privatkonzert hatten. Siegwart zog sich an, und gieng mit ihm. Als sie schon unter der Hausthüre waren, sagte Kronhelm: Nimmst du denn deine Violine nicht mit? Ach, das ist wahr! die hätt ich bald vergessen! antwortete Siegwart, und sprang die Treppe wieder hinauf. Als das Band, an dem die Violine hieng, sich am Nagel verwickelt hatte, riß er es mit Gewalt entzwey. Im Konzert spielte er ohne alle Aufmerksamkeit mit, und hörte endlich, als ein andrer kam, der die erste Violine spielte, gar auf, weil er vorgab, es sey ihm nicht recht wohl. Er setzte sich in eine Ecke, hielt die Hand vors Gesicht, versank in Wehmuth, und dachte nichts, als das schöne andächtige Mädchen. Zuweilen konnte er sich ihr Gesicht nicht mehr deutlich vorstellen; es schwebte blos sein Umriß vor ihm herum, und da ward er auf sich selbst böse, und gab sich alle Mühe, sich das ganze Bild wieder zurück zu rufen. Kronhelm merkte wohl, als er mit ihm nach Haus gieng, daß ihm etwas fehlte, aber er beruhigte sich wieder, als er hörte, daß es nur von Kopfschmerzen herrühre. Siegwart blieb wohl noch drey Stunden auf, sprach oft mit sich selbst, sang zuweilen etwas, betete, und flehte Gott um Ruhe [566] und Vergebung, denn er hielt, aus zu genauer Gewissenhaftigkeit, seine Empfindung für Sünde. Er wuste nicht, war es Liebe, oder was es war? Endlich legte er sich zu Bette. Lang bemühte er sich umsonst, einzuschlafen. Wenn er die Augen zumachte, so stand das Mädchen lebendiger, als ers sich den Tag über hatte vorstellen können, ihm vor Augen. Den andern Morgen wachte er früh auf; die eben aufgehende Sonne schien in seine Kammer; eine Thräne schoß ihm in die Augen, denn sein erster Gedanke war das Mädchen. Ihr gen Himmel gehobnes Auge gab seiner Andacht Schwingen. Er stand auf, streckte die Arme aus, als ob er sie umfangen wollte, und betete so feurig, als er fast noch nie gebetet hatte. – Gott! Gott! seufzte er: Ich kenne mich selbst nicht mehr! Was will ich? Was fehlt mir? Warum denk ich immer an den Engel? Wenn es Sünde ist, o Gott! so vergib mir! Du hast ihn erschaffen! Ich kann nicht anders. Ich bin immer bey ihm! Ach, wo mag sie seyn, die Heilige, die unaussprechlich Holde? Ach, wo mag sie seyn, dann betete er wieder. Aber immer schien ihms, als ob sie sich zwischen Gott und ihn stellte, oder mit ihm betete. – Er gieng ins Kollegium. Auch da [567] war sie immer um ihn. Er hörte nichts, was der Lehrer sagte. Er zwang sich, aufzumerken, aber nur vergeblich. So gieng die ganze Woche hin. Zuweilen dachte er minder lebhaft an sie; aber tausenderley Dinge zogen ihn wieder zu ihr zurück. Wenn er in Gesellschaft sie auf einige Augenblicke vergaß, so wachte er plötzlich wieder, wie vom Schlummer, auf. Wenn er nur das Wort: Mädchen, aussprechen hörte, so stand sein Mädchen wieder vor ihm. Nie war sein Geist in der Gesellschaft seiner Freunde ganz gegenwärtig; immer schwebte er in der Kirche vor dem Altar, oder er wuste selbst nicht, wo? Er war immer zu Thränen gestimmt, und muste oft aufstehn, um seine Wehmuth vor seinen Freunden zu verbergen. Sie riechen hin und her, was ihm fehlen möchte? Auf Liebe fielen sie gar nicht, da er bey jeder Gelegenheit dagegen eiferte. Endlich wusten sie seiner Zerstreuung keine andere Ursach zu geben, als sein langes Aufsitzen bey Nacht. Kronhelm bat ihn sehnlich, es zu unterlassen, und seine Gesundheit zu schonen! Er war über die zärtliche Besorgniß seines Freundes sehr gerührt, und versprach, es zu thun. Den künftigen Sonntag konnte er kaum erwarten. Da dachte er, das Mädchen wieder in [568] der Kirche zu sehen. Hundertmal des Tags sah er nach seinem Wandkalender, wie viel Tage es noch bis dahin sey? Immer vergaß ers wieder, und rechnete oft einen Tag weniger. Zuletzt zählte er sogar die Stunden. Er stellte sich vor, was er thun, wo und wie er sich anstellen wolle? wenn sie in die Kirche komme. Als der Sonntag kam, wachte er früh auf, kräuselte seine Haare sehr sorgfältig, und kleidete sich prächtiger und netter, wie gewöhnlich. In der Frühmesse traf er das Mädchen nicht. Sein Herz erhub sich zu Gott mit schwärmerischer Andacht; seine Einbildungskraft drang bis an den Thron der Gottheit; sein Geist war ausser dem Leibe, und unmittelbar im Himmel. Auf Einmal überfiel ihn wieder eine äusserliche Beklemmung; sein Herz klopfte laut und sichtbar. Alle Augenblicke, dacht' er, kann sie kommen, und neben mir niederknien. Er bebte vor dem Augenblick, und wünschte ihn doch so sehnlich herbey. – In die Predigt kam das Mädchen auch nicht. Sein Auge suchte ängstlich umher, verweilte auf jedem gutgekleideten Frauenzimmer, und wandte sich unwillig wieder weg, weil es nicht fand, was es suchte. So oft die Kirchenthüre aufgieng, blickte er hin, [569] und zitterte. Sie kam nicht. Nach der Predigt gieng er in den Chor, kniete auf die Stelle nieder, wo sie gekniet, und die er sich so genau gemerkt hatte. So oft er etwas hinter sich gehen, oder ein seidenes Gewand rauschen hörte, ward ihm bange; ängstlich blickte er dann um sich, weil er fürchtete, jedermann bemerke ihn: Einmal sah er ein Mädchen mit einem Flor vor dem Gesicht ihm zur Rechten niederknien. Es hatte die schlanke Gestalt seines Mädchens. Sein Gesicht glühte, er zitterte, sein Gebet ward laut; er glaubte zu vergehen und zu sinken. Schwankend stand er auf. Das Mädchen war nicht das seinige. Heilige Mutter Gottes! dachte er, wo ist sie? – Schnell steckte er den Rosenkranz ein, gieng aus der Kirche, ohne das Weihwasser zu nehmen, und nach der obern Stadtkirche. Hier fand er sie wieder nicht. Nun überfiel ihn tiefe Wehmuth. Tausenderley traurige Vorstellungen bekämpften sich in seiner Brust: Ist sie krank? Ist sie todt? Hab ich sie durch meinen Blick erzürnt? Hätt ich sie doch nie gesehen! Stürb ich doch auch! O ich bin der unglücklichste Mensch auf Gottes Erdboden! – Er gieng heim, und weinte, rang die Hände und betete. Kronhelm kam zu ihm [570] aufs Zimmer. Indem erhielt er einen Brief von Theresen mit der Nachricht, daß ihr Vater sich von neuem nicht ganz wohl besinde, doch sey er schon wieder auf dem Weg der Besserung. Während dem Lesen stürzten ihm die Thränen aus den Augen. Kronhelm fragte ihn um die Ursache davon. Er konnte sie vor Wehmuth kaum erzählen. Nun weinten beyde Freunde. Siegwart konnte nun einen Grund für seine Traurigkeit angeben, und Kronhelm argwohnte desto weniger eine andre Ursache. Der doppelte Schmerz bestürmte nunmehr Siegwarts Seele mit aller Gewalt. Er dachte sich die beyden theuren Personen immer zusammen, und wünschte sich nichts als den Tod, das einzige Ende seines Jammers, das er vor sich sah. – Den Nachmittag schrieb er an seine Schwester und an seinen Vater einen bangen und schwermüthigen Brief. Unter andern schrieb er an Theresen: – Ich sehe wohl, daß die Welt keine Freuden hat. Jeder Tag hat seine Plage, und mit jedem Tage steigt sie. Möcht ich doch bald diese Welt verlassen, und im Grab von allem Kummer ausruhen! O meine Schwester, es gibt viele Leiden, die du noch nicht kennst. Sterben, sterben ist das Beste! Und wenn dieses Ziel vom Schöpfer noch nicht gesetzt [571] ist, ist es dann nicht Weisheit, der Welt so viel abzusterben, als man kann und darf? Du verstehst mich; der Eintritt ins Kloster ist ein Bild des Todes. Dürft' ich ihn doch morgen thun! etc.


Dießmal war das Konzert auf Kronhelms Zimmer. Siegwart spielte nicht mit, sondern saß in einem Winkel, und weinte. Seine Phantasie ward durch die Musik aufs äusserste gespannt. Zuweilen irrte er durch Nacht und Gräber; sah seinen Vater mit dem Tode ringen, schauerte zurück, und stand hastig auf. Dann ward er wieder in das süsse, heilige Gefühl der Liebe versenkt; sah sein andächtiges Mädchen vor dem Altar knien; sah sie wehmüthig und traurig; bildete sich ein, sie lächl' ihm zu. – Dann schwand sie ihm wieder aus den Augen. Er sah kein Mittel, sie jemals zu sprechen. Ich werde sie nie, nie sehen! dachte er. Sie flieht mich; sie muß mich verachten; Ich bin nichts, gar nichts gegen sie! Sie ist ein Engel, und ich bin ein Sünder, ein Verworfener! O warum hab ich sie gesehen? Warum all meine Ruhe so auf Einmal verlohren?


Plötzlich ward er aufmerksam, als eine wildschwärmerische Symphonie von Fils gespielt wurde. [572] Er stand auf, nahm seine Violine, und spielte mit. – Von wem ist das Stück? fragte er, als es ausgespielt war. Von Fils, antwortete einer. Das war ein herrlicher Kerl! Seine besten Stücke hat er in der rasendsten Liebe gemacht; und als es ihm nicht nach Wunsch gieng, aß er Glas, und starb dran. – Das ist vortreflich, sagte Siegwart, wir wollen das Stück noch einmal spielen? Sie spieltens wieder. – Bey einem Quatuor von Boccherini versank er wieder in die tiefste Schwermuth, in der er den ganzen Abend blieb. – Die ganze Woche strich ihm traurig hin. Die Unruhe über die Krankheit seines Vaters verdrang das Bild des Mädchens etwas aus seinem Herzen, oder überzog es vielmehr nur mit einer Art von Schleyer. Oft stand es wieder frey, und in allem seinem Reiz vor ihm da. Er lief alle Strassen der Stadt durch, ob er sein geliebtes Mädchen nirgends entdecke? Aber nirgend sah ers. In die Kirchen konnte er die Woche über nicht gehen, weil er seine Kollegia gewissenhaft besuchte. Er und Kronhelm machten nun eine traurige Figur zusammen. Keiner konnte den andern trösten. Sie weideten sich an ihrem wechselseitigen Schmerz, und vereinigten ihre Klagen, obwol Siegwart viel zu furchtsam[573] und zärtlich war, seinem Freunde das Geringste von dem Mädchen zu entdecken. Ganze Stunden sassen sie in der Dämmerung, ohne Licht, beysammen; seufzten und klagten mit einander, oder spielten wehklagende Stücke. Am Sonnabend bekam Siegwart einen Brief von Theresen, und die Versicherung, daß ihr Vater wieder ganz hergestellt sey. Dieß war ihm ein grosser Trost, aber ganz freuen konnte er sich nicht. Gott! ich danke dir, sagte er. Du bist gütig und barmherzig. Nur verzeihe mir meine Schwachheit! Ach, ich kann mich nur halb freuen. Du weists, ich bin nicht undankbar! Mein Jammer ist dir nicht verborgen! Von einer Seite hast du mich geheilet; aber von der andern frist der Schmerz immer tiefer! Gott! wenn ichs würdig bin, ach, wenn ichs würdig bin, so erbarm dich meiner! Laß mich sie sehen, oder laß mich sterben! – Nun dachte er wieder sie nur ganz allein. Morgen, morgen, rief er, Leben oder Tod! – Er gieng auf Kronhelms Zimmer, und brachte ihm die Nachricht von der Genesung seines Vaters. – Und von Theresen hast du mir nichts? sagte Kronhelm wehmüthig. – Nichts, mein Lieber, als einen Gruß. Ach du daurest mich unendlich. Ich kann dirs nicht sagen, wie tief ich deine Leiden fühle! Gott weis, ich [574] kanns nicht! – Und nun schwiegen sie lang. – Ich weis nicht, ob ichs lang mehr aushalte? hub Kronhelm wieder an. Wenn sie mich vergessen, mir untreu werden könnte. – Und doch! – soll sie ohne Hofnung harren? Ohne Hofnung! wenigstens ohne Gewißheit, sogar ohne Wahrscheinlichkeit: O, mein Leiden ist das gröste! Duld und harre! sagte Siegwart. Die Leiden auf der Welt sind mancherley. Ich bin auch nicht glücklich. – Er wollte reden; aber eine plötzliche Aengstlichkeit hielt ihn wieder zurück.

Der Sonntagsmorgen brach an. Siegwart kleidete sich gut, und gieng voll banger Ahndung in die Kirche. Er setzte sich in einen Stuhl, von dem er die ganze Kirche übersehen konnte. Das Mädchen war noch nicht da. Er ward verwirrt drüber; dankte aber doch Gott für die Genesung seines Vaters brünstig. Nach einer halben Stunde öfnete sich die Kirchenthüre, und das Mädchen trat herein, schwarz gekleidet, mit einer etwas bejährten Frau von angenehmer und sanfter Gesichtsbildung. Sein Herz schlug ungestüm. Sie setzte sich ihm gegenüber in einen vergitterten Stuhl, an dem aber das Gitter zurückgeschoben war. Sie setzte sich nieder, und las in einem Gebetbuch. Zuweilen [575] erhub sie ihr schönes nußbraunes Auge zum Himmel; drey- oder viermal glaubte er, sie seh ihn aufmerksam an; und ihm ward bald warm, bald kalt in der Brust. Er hieng mit ganzer Seele an ihr; sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht, wie auf dem Antlitz einer Heiligen. Er konnte den unendlichen Reiz nicht fassen, der sich über das Ganze verbreitete. Alles um sich her vergaß er, Himmel und Erde, und wuste nicht mehr, daß er in der Kirche war. Er dachte nichts; sein ganzes Wesen war Gefühl. Sie sah ihn an; Er schlug die Augen nieder, als ob ein Blitz ihn blendete. Gleich sah er wieder auf; sie war verschwunden. Ein breitschultriger Mann mit einer grossen Perücke hatte sich vor sie hingesetzt, und ihm den Anblick des himmlischen Gesichts benommen. Nur zuweilen, wenn der Mann sich bückte, sah er sie auf einen Augenblick. Der Mann ward ihm auf Einmal unaussprechlich zuwider. Er knirschte mit den Zähnen, und hätt ihn gern mit den Füssen weggestossen. – Der dumme, kalte Kerl! dachte er, mit dem abscheulichen Alltagsgesicht! Ich wollte, daß er hundert Meilen weit von hier wäre! – Nach der Messe stund das Mädchen, mit der Frau auf; gieng in den Chor vor den Altar und [576] kniete nieder. Im Hingehn warf sie einen Blick auf Siegwart, der ihm durch die Seele drang. Er sah sie langsam, und andächtig vor sich hin gehn, und wuste nicht, ob er ihr folgen, oder bleiben sollte? Er zitterte, daß die Kügelchen an seinem Rosenkranze klapperten. Sie kniete schon etliche Minuten, da schlich er sich ängstlich und zögernd nach dem Chor. Sie kniete im vordersten Reihen, unter denen, die das Abendmahl geniessen wollten. Er kniete sich an der Seitenwand der Kirche ihr fast gegenüber nieder. Die Musik, die in dem Augenblick gemacht wurde, war ihm sein ganzes Leben durch die liebste, und rührte, sobald sie angestimmt wurde, alle Saiten seines Herzens. Der Priester, der die Hostie austheilte, gieng umher, und kam zu ihr. In dem Augenblick hätt' er alles hingegeben, um der Priester, oder einer von den Knaben zu seyn, die das Tuch unterhielten. So oft er nachher einen von den Knaben sah, stellte sich ihm die ganze feyerliche Handlung wieder lebendig dar, und seine Seele glühte. Er liebte die Knaben, und war doch eifersüchtig auf sie. Als ein dritter ihr den Spühlkelch reichte, da bebte seine Seele vor Verlangen, nach ihr aus dem Kelch zu trinken. Er beneidete das Mädchen, [577] das neben ihr kniete, und aus dem Kelch trank. Nun betete sie, und seine Seele flog mit ihr zum Himmel. – Gott! ach Gott, laß sie mein seyn! Sey ihr gnädig, und erhöre mein Gebet! – Weiter konnte er nichts denken. –

Noch lag er auf den Knien, in der Absicht, zu warten, bis sie weg gienge, und zu erfahren, in welches Haus sie gehöre? als er auf Einmal durch einen Stoß, den ihm jemand, neben ihm, gab, aus seiner Schwärmerey aufgeweckt wurde. Kronhelm, den er nicht wahrgenommen hatte, stand neben ihm, und winkte, mit ihm weg zu gehen. Er stand unwillig auf, und suchte seine Verwirrung seinem Freunde zu verbergen. So bös er drüber war, so durft er es doch seinen Freund nicht merken lassen, und gieng mit ihm aus der Kirche. – Laß uns etwas spatzieren gehen! sagte Kronhelm; der Tag ist so schön. – Meinetwegen! antwortete Siegwart.

Sie giengen mit einander durch die Stadt, ohne ein Wort zu sprechen. Siegwart war ganz in Gedanken verlohren, und bey seinem lieben Mädchen in der Kirche. Es schmerzte ihn tief, daß er so von ihr weggerissen worden war, und ihre Wohnung nicht hatte erfahren können. Sich nach ihr bey [578] Kronhelm zu erkundigen, wagte er gar nicht. Als sie ausserhalb der Stadt waren, so fieng Kronhelm an: Du bist ja ganz ausser dir gewesen in der Kirche, und hast mich nicht bemerkt, ob ich gleich eine halbe Viertelstunde neben dir kniete. – Wer? Ich? ... stotterte Siegwart. Recht! ich war so in der Andacht; weil ich an meinen Vater dachte ... Weil er gesund worden ist ... Und da dankt ich Gott – – und da konnt ich dich nicht sehen ... Ja, ich war ganz vertieft ... Hab dich warlich nicht bemerkt .... Es kam gewiß nur daher ... u.s.w.

Der helle Herbstmorgen machte auf sein ofnes Herz den tiefsten Eindruck. Die bleichgelben Blätter, deren eins nach dem andern von den Bäumen herabfiel; das Rauschen der verdorrten Blätter im Gesträuch; der halb durchsichtige Hain; die einzeln drinn herum fliegenden Vögel; die, auf der Wiese sparsam zerstreuten Herbstblümchen; alles brachte ihm das süsse Bild des Todes in die Seele. Er fühlte eine dunkle Sehnsucht, sich hinzulegen und zu sterben. Sein Herz ward erweitert, und Thränen stunden ihm in den Augen. Kronhelm hatte eben dieses Gefühl; beyde schwiegen. Noch nie hab ich so lebhaft und so ruhig an Theresen gedacht, fieng endlich Kronhelm an; Noch nie eine so süsse [579] Melancholie gefühlt. Mir ist so wohl, und so wehmüthig! – Mir auch, Bruder! sagte Siegwart mit bebender Stimme. – Sie setzten sich an das, etwas erhöhte Donauufer hin, blickten den Wellen nach, und dachten nichts. – Wie alles so geschwind geht! sagte Kronhelm, nach einer langen Pause. Nur das Leben geht so langsam, wenn man unglücklich ist. Ach Bruder, das Wasser kommt von deinem Dorfe her. Wenn jetzt Therese auch so da sässe, und an mich dächte! – Vielleicht thut sies. Meynst du nicht, Siegwart? – Ja, vielleicht, Bruder, antwortete Xaver. Ich wünsch es dir. – Nun schwiegen beyde wieder. – Indem schwamm ein todter Mensch in der Donau herunter. Herr Jesus! rief Siegwart, sieh! dort! – In dem Augenblick sprang er nach der nah gelegnen Fischerhütte, und rief dem Fischer, der sogleich in seinem Kahn hinausfuhr, und den Leichnam auffieng. Es war ein junges Mädchen, das nicht übel aussah, von neunzehn oder zwanzig Jahren. Der Kleidung nach wars ein Dienstmädchen. Ueber eine Stunde konnte sie noch nicht im Wasser gelegen haben, denn sie sah noch frisch und roth im Gesicht, und ihre Fingergelenke waren noch nicht einmal steif. Der Fischer stürzte sie auf den Kopf, in der verkehrten [580] Meynung, daß das Wasser ihr aus dem Mund und aus den Ohren laufen möchte. Allein, wenn ein Ertrunkener noch nicht ganz todt ist, so muß er durch dieses Mittel sterben. Das flüssige Blut strömt nach dem Kopf zu, und ein Schlagfluß ist fast unvermeidlich. – Sie ist todt, sagte der Fischer, gibt kein Anzeichen mehr – und dann legte er sie wieder nieder, und fieng an, sie genauer zu betrachten. 's ist meiner Seel, kein unseines Ding; fieng er an; seht mir nur einmal die vollen Backen, und das glatte weisse Kinn! Der hats gewiß um 'n Mann gefehlt, oder 's hat sie einer ang'führt. Hab schon mehr dergleichen Exempel erlebt. Erst vorigen Sommermarkt hab ich auch so 'n Mädel raus zogen. – Schaut mir einmal an, was sie für 'n schönen Fingerring hat! Er ist, meiner Six, Silber; den will ich mir zu Gemüth führen. Er ist gut für meine Thrine, paßt ihr grad. – Indem zog er den Ring vom Finger. – Muß doch auch sehen, was sie im Sack hat? – 'n Rosenkranz! Hat doch auch noch 'n Vaterunser und ein Ave betet! Und da gar 'n Büchel! – 's ist ein Psalter. Nu, nu, sie hat sich doch vorbereitet. Gott sey der armen Seel gnädig! Will auch ein Ave für sie beten. – Da steckt ja gar 'n Papier [581] im Buch. – 's ist g'schrieben – Kann nicht G'schriebnes lesen. Da, Herr! (zu Siegwart) lesets Ihr! – Siegwart las den Brief, der sehr unleserlich und unrichtig geschrieben war. Hier ist er in deutlicherer Schreibart; sonst ist er unverändert. –


† †

HS.


Du hast mirs arg gemacht, Joseph. Hast mir die Eh' versprochen im Namen der heiligen Jungfrau, und nimmst nun ein anders Mädel. Ich weis mir nicht mehr zu helfen; muß mir selber was zu Leid thun. Gott verzeih mirs! mit dem ichs redlich gemeynt hab mein Lebetag. Ich wollt mir schon einmal die Kehle abschneiden, aber das war mir zu grausig. In der Donau haben schon viel ihr Grab gefunden; ich werds auch finden. Gib Acht, wenn du mich siehst, daß ich mich nicht noch einmal umdreh, und dir den Ring zeig, den ich von dir am Finger trag zum Trauring. Lieber Gott! Ein rechter Trauring! Das hat mir noch am wehesten gethan, daß du mein noch spottest, und letzthin des Abends bey meinem Haus vorbeygiengst mit deinem Mädel. Ich dacht, ich müst dich umbringen! [582] Aber das Leben wird dir doch nicht hell werden, weil dus so gemacht hast mit mir. – Lieber Gott! ich war dir so herzlich gut, und hätt gern mein Leben für dich hingegeben! Und du sagtest mir so oft, du meynest's treu; Nun hast du auf den Montag Hochzeit. Hör, Joseph! auf den Sonntag spring ich ins Wasser. Es kann nicht anders seyn, Joseph! Aber gib Acht! Ich lade dich ins Thal Josaphat auf den Ersten Tag im neuen Jahr. So lange hast du noch Zeit zur Busse. Bedenks, Joseph, und bekehre dich! Ich wollte nicht, daß du ins Fegfeuer, und von dar in die Hölle kämest; denn ich hab dich noch lieb, aber in diesem Leben kann ich dir nicht mehr gut seyn. Mir ists schauerhast zu Muth! Jesus und Maria mag sich mein erbarmen! Aber länger leben kann ich nicht. Denk an den Ersten Tag im Jahr! Hab Acht, und bekehre dich!


† †

HS.


Das ist meiner Seel recht herzbrechend, sagte der Fischer, und wischte sich die Augen. Der Joseph möcht ich nicht seyn um tausend Gulden! Ich denk, ich steck ihr den Ring wieder an Finger. Ich mag ihn nicht, weils ein Trauring ist, der ist heilig. – [583] Hierauf steckte er dem Mädchen den Ring wieder an den Finger.

Kronhelm und Siegwart giengen schweigend und traurig weg. – So ein Tod ist doch der schrecklichste, sagte Siegwart; Gott sey dem armen Mädchen gnädig! – Sie giengen nun wieder der Stadt und ihrem Hause zu. Siegwart konnte lang das Bild des Mädchens nicht aus seinem Herzen bringen, und dafür das Bild seines Mädchens drein zurückrufen. Endlich war er wieder ganz bey ihr, und versetzte sich ganz in die Kirche. Als er zu Hause angekommen war, gieng er auf sein Zimmer, übersah die ganze Scene in der Kirche wieder, betete zu Gott um sein Mädchen, sprach oft laut, und warf endlich diese Verse, die mehr Gebet sind, als Gedicht, aufs Papier hin.


Sieh, o Gott der Liebe!

Wie ein armes Herz, das du erschufest,

Aus der Tiefe seiner Leiden

Sich zu dir hinausschwingt!


Heut, an deinem Altar

Sah ich sie, in Andacht hingegossen,

Die du auch, wie mich, erschufest;

Ach, um die mein Herz bebt!


[584]

Kühn erhubs zu dir sich.

Auf den Flügeln ihrer reinen Andacht

Schwebt' es, wagte, minder zitternd,

Diesen Wunsch: – Erhör ihn, Schöpfer! –


Leg in deine Wagschaal

Meine Tage, die noch kommen sollen!

Laß, wenn sie mich liebt, sie sinken!

Steigen, wenn sie nicht liebt!


Es war ihm recht wohl, als er dieses Gedicht gemacht hatte. Er las es mehrmals durch; es gefiel ihm, denn er hatte seiner Empfindung doch einigermassen ein Gewand und Worte gegeben; ob er gleich unendlich mehr hatte sagen wollen. Er schrieb das Gedicht rein ab, und ergötzte sich noch lange dran, bis ihn Kronhelm zum Essen rief. Da schloß ers schnell und ängstlich in sein Pult ein. – Gutfried aß nun gewöhnlich auch mit ihnen. Sie erzählten ihm die Geschichte mir dem ertrunkenen Mädchen, und den Inhalt des Briefes. Er seufzte dabey, und sagte: Gekränkte oder unbelohnte Liebe ist alles zu thun im Stande! Mit diesen Worten sah er Kronhelm an, der in seiner Liebe zu des Hofrath Fischers Tochter sein Vertrauter geworden war. [585] Alle drey Jünglinge wurden über diesen Ausruf noch trauriger. Gutfried erzählte nun ein paar schreckliche Geschichten von Personen, die sich aus unglücklicher Leidenschaft selbst entleibt hatten. Sie bedaurten ihr Schicksal, und wünschten ihnen, durch ihre Seufzer, ein glücklicheres Schicksal, als sie in diesem Leben gehabt hatten. Gutfried schlug ihnen zur Zerstreuung von dem anhaltenden Studieren einen Spatzierritt auf ein, zwo Stunden von Ingolstadt, gelegnes Dorf, vor. Sie nahmen den Vorschlag an, und ritten hin. Siegwart dachte auf dem ganzen Wege an sein liebes Mädchen. Es schmerzte ihn im Innersten, die Stadt, in der sie lebte, nur auf einige Stunden zu verlassen. Er glaubte, weis nicht wieviel, zu versäumen, ob er gleich nicht die geringste Hofnung hatte, sie zu sprechen, oder nur zu sehen. – Was mag sie jetzt machen? dachte er beständig. Jetzt wird der Engel wohl beten; jetzt wird er vor Gott knien u.s.w. Möcht ich sie nur einen Augenblick erblicken! Möchte sie nur einen Augenblick an mich denken! Aber, ach, wie kann sie das? Wer weis, ob sie mich bemerkt hat? Vielleicht ist ein andrer bey ihr! Solche und ähnliche Vorstellungen stürzten ihn in die tiefste Traurigkeit, aus der ihn fast nichts herausreissen [586] konnte. Auf dem Dorfe hatten sie wenig Vergnügen, und konnten nicht einmal zusammen sprechen, denn die vielen andern Studenten, die da waren, machten mit Gesang und Zank beym Spiel einen solchen Lerm, daß man kaum sein eignes Wort verstand. Gegen Abend ritten sie in der Dämmerung wieder zurück. Alle drey Liebende waren jetzt noch wehmüthiger; jeder dachte sich zu seinem Mädchen hin. Als sie gegen die Stadt hin ritten, begegnete ihnen ein Scharfrichter, der auf seinem Karren das ertrunkne Mädchen fuhr. Der Unglücklichliebende, sagte Kronhelm, der sich mit der ganzen Schwere seines Jammers beladen, selber in die Grube stürzt, hat also einerley Schicksal mit dem Bösewicht, der sich im Kerker umbringt, um dem Galgen zu entgehen; oder mit dem Betrüger, der, weil er seinen Gläubigern nicht mehr entgehen kann, sich dem Tod in den Rachen wirst? Wie wenig sehn doch die meisten bürgerlichen Gesetze auf das Moralische an einer Handlung! Laß sie ruhen! sagte Siegwart; ihr ists einerley, wo ihr Körper liegt. – Das wohl! antwortete Kronhelm; aber das Unglück verdiente doch eine bessere Behandlung, als die Bosheit!

[587] Sie hielten nun noch zu Haus ein kleines Koncert, das, weil alle gleich traurig gestimmt waren, gröstentheils aus wehmüthigen Trios bestand. Nachdem Siegwart sich den ganzen Abend nach dem Koncert mit dem Gedanken an seine himmlische Unbekannte beschäftiget hatte, so wünschte er nichts mehr, als von ihr zu träumen, und sie wenigstens im Traum zu sehen. Aber diese Wohlthat ward ihm nicht zu Theil. Er wünschte sie sich so oft, und immer umsonst. Zu lebhafte und gegenwärtige Vorstellungen kommen selten im Traume wieder; sie müssen mehrentheils erst mit dem Flor der Vergangenheit umzogen seyn.

Als Siegwart ein paar Tage drauf des Nachmittags um drey Uhr aus dem Kollegio gieng, da sah er, etliche Häuser vor ihm, sein geliebtes Mädchen gehen. Das Herz schlug ihm, und er eilte, was er konnte. Sie gieng in ein gutgebautes Haus hinein. Wer wohnt hier? sagte er in der Verwirrung zu einem kleinen zwölfjährigen Mädchen, und erschrack gleich selbst wieder über seine Frage. Es wohnt ein reicher Herr da, sagte das Mädchen; man nennt ihn nur Herr Spiegel. Jetzt wuste er so viel, wie vorhin, und wagte es doch nicht, sonst jemand um den Herrn Spiegel zu fragen; [588] weil er fürchtete, jeder werde sogleich die Absicht seiner Frage muthmassen. Er gieng alle Tage zwey- oder dreymal bey dem Hause vorbey; sah aber seine Holde nie am Fenster. Die ganze Woche verfloß ihm unter Seufzern nach dem Sonntag, weil er da gewiß wieder sein liebes Mädchen in der Kirche zu sehen hoffte. Viele Stunden, ja halbe Tage lang besprach er sich in Gedanken mit ihr, klagte ihr seine Leiden vor, und ließ sie zärtlich wieder antworten. Er sann ganze Romanen aus, und dachte sich in Lagen hinein, in denen sie nothwendig sein werden muste. Oft wünschte er sie in Lebensgefahr; daß Feuer in ihrem Hause auskommen möchte, und er sie befreyen könnte. Er dachte sie in Wassergefahr, rettete sie, und nun gab sie ihm zur Dankbarkeit ihre Hand. Aufs lebhafteste fühlte er die Wonne, mit der er sie an sein Herz drückte; den Blick der Dankbarkeit und Liebe, den sie auf ihn warf; dann eilte er zu ihrem Vater, zeigte ihm die befreyte Tochter, und ward ihr Bräutigam. Nur ein Liebender, wie unser Siegwart, kann sich die schwärmerischen und zärtlichen Gespräche denken, die dann seine Seele mit ihr führte. – Aber Seufzer, und Bangigkeit, und [589] Thränen waren immer das Ende dieser süssen Träumereyen. –

Den nächsten Sonntag kam er erst um neun Uhr in die Kirche. Sein Kronhelm war zu ihm aufs Zimmer gekommen, um von Theresen zu sprechen; und wenn er von ihr anfieng, so konnte er nicht aufhören. Siegwart war mit seiner Seele abwesend, und antwortete verwirrt, aber Kronhelm merkte es nicht. Ein paarmal sah er auf die Uhr. Jede Minute ward ihm zu einer Stunde. Dieß war das erstemal, daß ihm sein Freund zur Last fiel; aber er ließ sich doch vorsetzlich nicht das geringste merken. Endlich gieng Kronhelm. Siegwart eilte, was er konnte, und kam ganz athemlos vor die Kirche. Als die Thüre aufgieng kam eben sein Mädchen mit der Frau, die er für ihre Mutter hielt, ihm entgegen. Er war, wie vom Donner gerührt. Sein Gesicht glühte. Er gieng schnell an ihr vorbey, und machte in der Angst kaum eine Verbeugung. Sie grüste ihn freundlich. Er eilte, ohne sich seiner bewußt zu seyn, nach dem nächsten Stuhl, und sah sich um. In dem Augenblick gieng die Thüre zu. Sein Herz klopfte laut. Er wollte wieder umkehren; besann sich aber plötzlich, daß man seine Absicht merken würde. Er war Kronhelm, [590] sich selbst, und der ganzen Welt böse, daß er zu spat gekommen war. Es war ihm unmöglichlang da zu bleiben. Nach etlichen Minuten eilte er wieder weg, und der Strasse zu, wo ihr Haus war, aber er sah sie nicht mehr. Er wollte nach Hause; aber vor der Thüre fiel ihm wieder ein, Kronhelm würde aus seiner plötzlichen Zurückkunst etwas folgern. Er gieng also wieder weg, rannte noch einige Strassen durch, und wuste nicht, wo er bleiben sollte? Endlich gieng er aus einem Thor; rannte weit ins Feld hinaus, ohne die Natur um sich her zu bemerken, und kam nach einer Stunde wieder nach Haus zurück. Gutfried war schon bey Kronhelm auf dem Zimmer. Sie lasen mit einander Lessings Sara, die ein junger Herr von Dahlmund an Gutfried geliehen hatte. Da haben wir was herrliches, sagte Kronhelm zu Siegwart; sieh einmal! Lessings vermischte Schriften. Das ist gut! sagte Siegwart ganz zerstreut. Ich hab eben angefangen zu lesen, fiel Gutfried ein; es ist Miß Sara Sampson. Ich kann ihnen mit ein paar Worten sagen, was vorhergieng; wenn sie wollen, les ich weiter. – Ganz wohl, antwortete Siegwart; setzte sich in eine Ecke des Fensters, und stützte die Hand an den Kopf. Er hörte fast[591] nichts, und war mit seinen Gedanken weit weg; nur, wenn die andern eine Stelle lobten, sagte er auch: das ist vortreflich! ohne zu wissen, wovon die Rede war; nach dem Essen lasen sie weiter fort, und als das Stück geendigt war, sagten sie einander ihre Meynung drüber. Als Siegwart die seinige auch sagen wollte, so wuste er gar nichts, oder urtheilte ganz verkehrt. – Wo waren sie denn mit ihren Gedanken? fragte Gutfried. Ich weis nicht, was ihm fehlt? fiel ihm Kronhelm ein. Er ist eine Zeit her ganz zerstreut. Siegwart wurde feuerroth drüber, und sah nach dem Fenster. – Den ganzen Tag war er ausserordentlich traurig und verdrießlich.

Die folgende Woche floß ihm wieder unter Thränen, Seufzern und schwärmerischen Träumereyen hin. Kronhelm merkte die Veränderung, die in seinem ganzen Wesen vorgieng; er spielte oft drauf an; aber doch nahm er sich Acht, weiter deswegen in ihn zu dringen, theils, weil er merkte, daß ihm Siegwart auf alle mögliche Art auswich, theils, weil er selbst eine unglückliche Liebe muthmaste, und aus seiner eigenen Erfahrung wuste, wie hart es einem ankomme, seine Leidenschaft einem andern, auch seinem besten Freunde zu entdecken. – Der Sonntag, [592] den sich Siegwart so sehnlich herbeygewünscht hatte, kam endlich wieder. Er eilte, noch vor sieben Uhr, auf den Flügeln der Liebe, nach der Kirche. Sein Mädchen war schon da, schön und heiter, wie ein Engel Gottes. Siegwart saß gegenüber, und zerfloß fast vor Wonne in dem Anblick ihrer Schönheit. So genau hatte er sie noch nie betrachtet. Er sah erst jetzt den ganzen Glanz ihrer unaussprechlichen Anmuth; ihr grosses, kastanienbraunes, mit Feuer und edelm Stolz belebtes Auge, über dem sich die schwarzen Augenbraunen majestätisch wölbten; die hohe, offne, heitre Stirne; die so regelmässig gebildete Nase; den sanftesten, anmuthsvollsten Mund; die frischrothen glänzenden Lippen; das runde, weisse, weiche Kinn, von dem sich zwo zarte blaue Adern nach dem weissesten und schönsten Hals hinabschlängelten; das lieblichste Farbengemisch von Weiß und Roth auf den zarten Wangen; und die nicht zu beschreibende Uebereinstimmung aller dieser Züge; und die himmlische Anmuth, die über das Ganze ausgegossen war, und die die Schönheit erst zur Schönheit macht; und das, nicht künstlich, aber schön aufgethürmte blonde Haar; und das Ebenmaaß der Glieder, und den schlanken hohen Wuchs, und alles, alles, [593] was man sich von einer regelmässigen und belebten Schönheit denken kann. Hiezu kam die Andacht, die jede Schönheit noch verschönert, und die offene Freundlichkeit, mit der sie jeden, der bey ihrem Stuhl vorbeygieng, grüste. Ihre Kleidung war geschmackvoll, regelmässig, schön, und doch nicht prächtig. In ihren Haaren steckten Blumen, die Vergißmeinnichtchen vorstellten; ihr Busen war mit Sittsamkeit verschleyert; ihr Gewand von himmelblauer Seide. Sie sah unsern ausser sich gebrachten Siegwart zu verschiednenmalen, und schlug die Augen nieder, wenn ers merkte. Er ward traurig, sobald sie eine Zeitlang nicht nach ihm blickte, und wandte doch sein Auge von ihr weg, sobald sie's that. Er machte traurige Gebärden, in der Absicht, daß sies merken, und Mitleid mit ihm haben sollte. Als sie weggieng, gieng er auch, und folgte ihr, ungefähr 20 oder 30 Schritt weit, hinter ihr nach. Sie gieng in des Hofrath Fischers Haus. Er erschrack drüber. Gott! wenn der Hofrath ihr Vater ist, dachte er, so ist mein Unglück vollkommen. Wenn der stolze Mann ihr Vater ist, was fang ich an? – Er gieng zu Gutfried, der, wie schon gesagt, dem Hofrath gegenüber wohnte, und eben aus dem Fenster sah, [594] und ihn hinaufrief. Gutfried, der die Fischerin auch liebte, blieb im Fenster liegen, als Siegwart auf das Zimmer kam, und rief ihn, um neben ihm hinaus zu sehen. – Das ist die Fischerin, sagte er, und seufzte, indem sie eben in der Stube nah am Fenster stand, und ihre Kirchenkleider auszog. Sie warf einen Blick herüber, und gieng weg, indem sie die beyden Jünglinge erblickte. Siegwart zitterte, ward feuerroth, und konnte kein Wort sprechen. Nun wards ihm erst auf Einmal wichtig, und ein Stachel im Herzen, was er schon so lang gewust hatte, daß sein Freund des Hofraths Tochter liebe. Er gieng einigemal im Zimmer auf und ab, wollte gern noch mehr von ihr erfahren, und hielt hundertmal die Frage, die ihm schon auf der Zunge lag, wieder zurück. Endlich stieß er hastig und erschrocken die Frage heraus: Es ist wohl ein gutes Mädchen, die Fischerin? und lehnte sich ans Fenster, damit sein Freund sein Gesicht nicht sehen möchte, denn es glühte. – O, sie ist ein ausserordentliches Frauenzimmer, sagte Gutfried, zu deren Lob man eigentlich nichts sagen sollte, weil man doch immer nur zu wenig sagt, und ich kanns am wenigsten. Ich kenne sie nun über zwey Jahre, und jeden Tag wird sie artiger und schöner. Sie hat das[595] Herz eines Engels, das ist alles, was ich sagen kann. – Beyde schwiegen nun wieder eine Zeitlang, und sahn aus dem Fenster. Sie kam wieder in ihr Zimmer, weiß gekleidet mit rosenrothen Bändern, stellte sich ans Fenster, und sah ein paarmal herüber. Dann gieng sie an ihr Klavier, und spielte. Alles, was Siegwart hören konnte, war bezaubernd schön. Er glaubte im Paradies zu seyn, und Harmonien der Engel anzuhören. – Sie spielt ja himmlisch! sagte Siegwart. – O, bey Nacht sollten Sies erst hören, versetzte Gutfried, wenn alles still ist; da weis man nicht mehr, ob man im Himmel, oder auf der Welt ist? – Zumal, wenn sie singt. Das ist ein Silberton! Ein ... ein ... Ach, man kanns nicht sagen! – Sie singt auch zuweilen im Konzert, da können Sie sie hören. – Wo? fragte Siegwart hastig. – In ihrem Hause, war die Antwort. – Ihr Vater hat im Winter alle Wochen Konzert, es wird nun bald wieder anfangen. – Kann man da auch drein gehen? fragte Siegwart. O ja, antwortete Gutfried, wenn man nur den Hofrath drum ersucht; zumal wenn man selbst zuweilen mitspielt. Kronhelm und ich gehen auch drein. – Aber der Hofrath ist so ein stolzer Mann, erwiederte [596] Siegwart. – Je nu, das muß man übersehn! versetzte Gutfried. –

Und nun hörten sie dem Spiel Marianens – so hieß die Fischerin – wieder zu, und schwammen beyde in überirdischem Entzücken, und wollustreicher Wehmuth. Mariane trat wieder ans Fenster; die beyden zärtlichen Liebhaber traten zurück, um sie nicht zu beleidigen, und blickten nur halb durch die Vorhänge durch. Marianens Bruder kam nun auch ans Fenster. Der schlägt seinem Vater nach, sagte Gutfried, und übertrift ihn nur ein Gutes an Stolz und Hochmuth. Der Mensch ist so in sich vernarrt, als ich noch nicht leicht einen gesehen habe. Auf sein rundes, aufgedunsenes Gesicht thut er sich unendlich viel zu gut. Er bildet sich ein, er sey ein grosser Violinspieler, und auf der Flöte gar ein Virtuose, und doch ist er auf beyden Instrumenten kaum mittelmässig. Dabey ist er noch auf eine schändliche Art filzig. Was ich ihm aber am wenigsten vergeben kann, ist, daß er seiner Schwester allen möglichen Verdruß anthut. Immer neckt er sie und plagt sie. Ich habs schon hundertmal von hier mit angesehn Einmal hat er, mit Hülfe seines Bruders, seinen Vater schon so weit gebracht, daß das Mädchen [597] ins Kloster sollte, aber sie wehrte sich ritterlich, und ward von ihrer Mutter, die eine trefliche Frau ist, unterstützt. – Sehen Sie, da kommt die Mutter eben auch. – Dacht ichs nicht? Da fängt er schon wieder einen Zank mit seiner Schwester an. Der verteufelte Kerl! – Aber warum gehn Sie denn mit ihm um? Ich traf ihn ja schon ein paarmal bey Ihnen an, sagte Siegwart. – Gutfried zuckte die Achseln. Was muß man nicht alles in der Welt thun, wenn man Absichten erreichen will? Es ist hundssütisch genug, daß man sich mit solchen Kerls abgeben und ihrer Gnade leben muß! – Siegwart merkte wohl, wo das hinaus wollte, und suchte das Gespräch abzulenken. – Und wo ist denn der andre Bruder? sagte er. – Hier in Ingolstadt, versetzte Gutfried; dort droben wohnt er, an der Ecke. Er ist bey einem Kollegio so viel, als Sekretair, und an sich so toll nicht, wie sein Bruder; aber dafür hat er ein Weib, von dem er sich regieren läst; und das Weib ist nicht einen Heller werth; ein bigottes Ding, das immer fromm seyn will, und es meiner Seel! nicht ist. Da ist sie immer hinter den Hofrath drein, und will, er soll seine Tochter ins Kloster stecken, und ist doch selbst nicht drein gegangen. Der verfluchte Aberglauben [598] mit dem Kloster! Es ist, auf meine Ehre! nur auf das Geld angesehen, das Mariane kriegen soll; das möchten die seinen Herren Brüder theilen. O, ich hab so viel Mitleid mit dem armen Mädchen, daß ich oft toll werden möchte. Sie steht erstaunlich viel aus; mich wundert nur, wie sies aushalten kann! Aber sie hat ausserordentlich viel Standhaftigkeit, und ist bey all ihrem sanften Weiberwesen doch ein halber Mann. Könnt ich sie auf meine Seite bringen, ich wollts den Kerls schon sagen! Aber .... und hier seufzte Gutfried, und gieng auf die Seite. – Es wird Essenszeit seyn, sagte Siegwart. Gutfried sah auf der Uhr nach, und sie giengen mit einander auf Kronhelms Zimmer.

Beym Essen wurde Siegwart durch allerley andre Gespräche etwas zerstreut, und von dem Gedanken an seine Mariane abgezogen; aber oft stralte das Bild von ihr wieder, wie ein Blitz, in seine Seele, und machte ihn verwirrt, und wehmüthig.

Sie waren zum Herrn von Dahlmund gebeten, und blieben den Nachmittag und Abend bey ihm. Dieses war ein junger Edelmann von vielen Kenntnissen, der, während seines Aufenthalts in Augspurg [599] viel mit dem jungen Buchhändler umgegangen war, der unserm Siegwart und Kronhelm die Bücher zugeschickt hatte. Durch seinen Umgang, und in seinem Laden war er mit unsern besten protestantischen Schriftstellern, und besonders Dichtern bekannt geworden, und hatte auch die meisten mit nach Ingolstadt gebracht. Als er bey Gutfried von Kronhelm und Siegwart, und ihrer Liebe zu den schönen Wissenschaften hörte, so war er nach ihrer Bekanntschaft sehr begierig; denn sie waren unter den Studenten die einzigen, die in diesem Stücke aufgeklärt dachten. Alle andre Studenten waren roh und unwissend, und gröstentheils im tiefsten Aberglauben versunken, worinn die meisten Professors, und die Jesuiten am vorzüglichsten, sie zu erhalten sich bestrebten. Er hatte viele Bücher, die Siegwart und Kronhelm nicht hatten. Also konnten sie hierinn einander aushelfen. Er hatte auch sonst so viel Gutes an sich, und war so gesittet und tugendhast, daß unsre vier Jünglinge sehr bald Freunde wurden, und eine wöchentliche Zusammenkunft ausmachten, wovon hauptsächlich die schönen Wissenschaften der Gegenstand waren. Sein Zimmer lag sehr angenehm, gegen die Donau hinaus. Er bewirthete seine Gesellschaft dießmal mit Wein, [600] der unsre Jünglinge ziemlich lustig und offenherzig machte. Siegwarts erhitzte Einbildungskraft brachte ihn mit der grösten Lebhaftigkeit zu seiner Mariane. Die Thränen standen ihm oft in den Augen. Als Gutfried anfieng, mit Enthusiasmus sie zu loben, muste er weggehn, um seine Bewegung zu verbergen. Er legte sich ins Fenster, und übersah die Donau, die im hellen Mondschein dahinrollte. Das mannigfaltige Spiel der Wellen, die da, wo sie auf den Kieseln hüpften, lauter goldne Sternchen bildeten, erhitzte seine Einbildungskraft, und brachte tausenderley Vorstellungen hervor, die sich alle auf Marianen bezogen. Kronhelm kam zu ihm; schlang seinen Arm um seinen Arm, sah wehmüthig mit ihm hinaus, und küste ihn ein paarmal mit nassen und bethränten Wangen. Siegwarts Zähren flossen auch. Ach Bruder, sagte Kronhelm, weist, an wen ich denke? – Was mag jetzt unsre Therese machen? Denkt sie wohl jetzt auch an dich und mich? – Ja, sie denkt noch oft an dich, sagte Siegwart; sie kann dich nicht vergessen! Du bist ihr zu tief ins Herz gegraben. Ich hoffe, daß du noch mit ihr glücklich werden wirst. Trage nur Geduld! Ohne Hofnung und Geduld müsten [601] wir vergehen. – Hier stürzten ihm die Thränen häufiger von den Augen. Er sah seinen Kronhelm ein paarmal mit unaussprechlicher Zärtlichkeit an. Es war ihm, als ob er dießmal reden, und sein Herz ausschütten müste. Aber Furchtsamkeit hielt ihn immer wieder wie eine geheime, unsichtbare Gewalt zurück. Gutfried und Dahlmund kamen, und riefen sie wieder zum Trinken. – Wir wollen eins singen! sagte Dahlmund, und fieng das Lied von Kleist an: Freund, versäume nicht zu leben etc. Endlich sangen sie auch das Studentenlied: Was den Musen soll gefallen etc. das sich schliest: Vivat deine – – hoch! wo zwischen den zwey letzten Worten jeder den Namen eines Mädchens singen muß. Dahlmund sang: Elise; Kronhelm: Therese; und Gutfried: Mariane. Nun kam die Reihe auch an Siegwart. Er stund an, und wuste nicht, welchen Namen er singen sollte? Er entschuldigte sich, er habe ja kein Mädchen. – Ey, du must eins haben, sagte Kronhelm, du bist ja unaufhörlich traurig. Siegwart erröthete, und wollte sich entschuldigen. – Nun, schon gut! versetzte Kronhelm, wir wissens ja! Sing, was du willst: Susanne, oder Kunigunde! Siegwart sang: Susanne! – Diese Rede Kronhelms [602] machte unsern Siegwart noch furchtsamer und zurückhaltender. Beym Nachhausegehen begleiteten sie Gutfried, und giengen also bey des Hofrath Fischers Haus vorbey, wo noch Licht war. Siegwart blickte mit banger Sehnsucht hinauf, und hörte Marianen Klavier spielen und singen. Er wäre so gern stehen geblieben, und hätte dem Gesang zugehört, aber seine Schüchternheit erlaubte ihm nicht, seinen Kronhelm den Vorschlag zu thun. Er gieng also schweres Herzens mit ihm nach Haus.

Den andern Tag konnte er erst über alle das nachdenken, was er den Tag vorher gehört hatte. Der Umstand, daß Mariane des Hofrath Fischers Tochter war, machte ihn sehr traurig; denn da er aus eigener Erfahrung, den stolzen Karakter dieses Mannes kannte, so sah er alle Schwierigkeiten voraus, die er haben würde, Marianen kennen zu lernen; und doch war ihm der Gedanke unerträglich, sie, die Vollkommenste, die sein Herz so sehr liebte, nie zu sprechen. Ins Konzert sah er auch keine Gelegenheit, zu kommen; er war theils zu stolz, dem Mann, der ihn das erstemal so verächtlich begegnet hatte, noch gute Worte deswegen zu geben; theils war er auch, wenn die Liebe diesen Stolz [603] noch überwunden hätte, viel zu schüchtern in der Liebe, und hätte tausendmal gefürchtet, die Absicht, warum er ins Koncert zu kommen wünschte, möchte verrathen werden. Auch Gutfrieds Liebe zu Marianen machte ihn äusserst unruhig, obwohl Gutfried bey ihr nicht glücklich zu seyn schien. Aber eben dieses erregte bey ihm auch die Besorgnis, es könnte ihm eben so gehen. – Auf der andern Seite freute ihn das viele Gute, was er von Marianens Denkungsart gehört hatte, ausserordentlich, und fesselte seine ganze Seele nur noch mehr an sie. Von allen diesen verschiednen Empfindungen ward sein Herz immer mehr zerrissen, und die schmerzhafte Wunde immer tiefer, so daß er in eine dunkele und verdrießliche Melancholie verfiel, die ihm oft die ganze Welt, und sich selbst zuwider machte. – In andern Stunden machte er wieder Entwürfe auf Entwürfe, und baute ein Luftschloß nach dem andern auf.

Gegen das Ende der Woche erhielt er einen Brief von P. Philipp. Der rechtschaffene Mann fragte ihn darinn unter andern nach seinen theologischen Studien, ob er noch Geschmack daran finde, und sich gewissenhaft aufs Kloster vorbereite? Diese Frage gab unserm Siegwart einen Stich [604] durchs Herz. Seit dem Anfang seiner Liebe hatte er zwar seine theologische Kollegia immer fleissig besucht, aber zu Hause hatte er sich weniger mit den Wissenschaften, und besonders den theologischen abgegeben. Das Andenken an sein Mädchen beschäftigte ihn allein. Er dachte ungern ans Kloster, und entfernte den Gedanken von sich, so bald er sich ihm aufdringen wollte. Jetzt ward er so unvorbereitet dran erinnert, daß er davor zurückschauerte. Sein voriger Enthusiasmus für das Kloster; die Gelübde, die er so oft bey sich selbst Gott gethan hatte, dahin zu gehen; P. Anton; sein Vater – alles fiel ihm auf Einmal ein, und bestürmte sein Herz. – Gott! in welchem Irrgang bin ich! dachte er. Was fang ich an? Was unternehm ich? Dir ungetreu? Dir, dem ich mich widmete? Und die Welt soll mich fesseln? Die Welt, die ich schon so verachtete? – Gott! Gott! – Nein, ich muß es halten, mein Gelübde! Muß ins Kloster! – Mariane! Mariane! (indem er umher gieng, und die Hände rang) Welt! Welt! Dich verlassen! Dich und alles! Dich und Marianen! – So dachte er wild und stürmisch hin und her; fühlte sich von allem los gerissen; wuste nicht, woran er sich halten sollte? – Bald betete er, widmete sich [605] ganz Gott; bat ihn um Vergebung, daß er ihm so lang sein Herz entzogen habe! – Bald war seine ganze Seele wieder bey Marianen, hieng an ihrem Blick, und fühlte es, daß nichts auf der Welt im Stande sey, sie von ihr loszureissen. – P. Philipps Brief schloß er ein, damit er ihm nicht zu Gesichte kommen möchte; er wollte nicht dran denken, und dachte doch immer dran. Es graute ihm schon von fern vor der Beantwortung des Briefes; aber auch daran mochte er noch nicht denken. So tief wehmüthig, wie jetzt, war er vorher noch nie gewesen. Alle Schwierigkeiten, die sich seiner Liebe hätten widersetzen können, waren ihm leicht vorgekommen; aber diese letzte, gegen die er sich bisher immer eingeschläfert hatte, schien ihm jetzt unüberwindlich. Er wuste wohl, daß er, um seines Vaters willen, nicht schlechterdings gezwungen sey, ins Kloster zu gehen; aber die Verpflichtung, die er Gott schuldig zu seyn glaubte, erschreckte ihn. Er glaubte eine Untreue an ihm zu begehen, wenn er die Welt der Zelle vorzöge. – Einigemal beschloß er fest, alle Gelegenheit, Marianen zu sehen, zu vermeiden, und so wenig, als möglich, an sie zu denken. – Nur noch Einmal, dachte er dann wieder, muß ich mich an ihrem Anblick weiden, [606] und auf ewig von ihr Abschied nehmen. Nur noch Einmal will ich in die Kirche! – In andern Stunden dacht' er wieder: Sehen kann ich sie doch wohl; das ist keine Sünde; nur nie sprechen muß ich sie, und den Gedanken aus der Seele bannen, mich um ihre Liebe zu bewerben, oder auch nur sie zu wünschen. – Nun ward er ruhig, und glaubte, einen herrlichen Ausweg gefunden zu haben; aber, wie wenig kannte er sich selbst! Kaum sah er Marianen am Sonntag wieder, so waren alle seine Entschlüsse umgestossen, und er dachte nichts, als sie. – Ich kann, ich kann nicht anders! dachte er; Gott vergeb mirs! Ich bin nicht mein eigner Herr mehr! – Die Antwort an P. Philipp machte ihm bey seiner zarten Gewissenhaftigkeit wieder neuen Kummer. Er wollte ihm nicht schreiben, daß er noch eben so eifrig und enthusiastisch ans Klostergehen denke, wie vor Zeiten; und noch weniger konnte er ihm seine Abneigung davon, und die Ursache dieser Abneigung melden. Er schrieb also etwas zweydeutig: Die Theologie gefall ihm wohl, aber er höre jetzt noch mehr philosophische Kollegia, als theologische; und das war auch im Grunde wahr. Jetzt vergaß er wieder alles, und ward, von dieser Seite, ruhig.

[607] Die Woche drauf kam des Hofrath Fischers Bedienter zu Kronhelm, als Siegwart eben bey ihm auf dem Zimmer war, und lud ihn zum künftigen Winterkonzert ein. Können Sie mir nicht sagen, setzte er hinzu, wo Herr Siegwart wohnt? Ich soll auch zu ihm. O ja, antwortete Kronhelm; hier ist Herr Siegwart selbst. Der Bediente richtete eine Empfehlung an ihn vom Hofrath Fischer aus, und sagte ihm, der Herr Hofrath würde ihn auch gern im Koncert sehen, weil er gehört habe, daß er die Violine und die Flöte spiele. Siegwart wuste nicht, was er in der Verwirrung antworten sollte? Machte viele Komplimente, und sagte zu. Als der Bediente weg war, sagte er zu Kronhelm. Es ist mir nur halb lieb, daß ich zugesagt habe; der Hofrath möchte glauben, er erweise mir eine grosse Gnade, und Gnaden nehm ich eben nicht gern an. Kronhelm zeigte ihm, daß das Grillen wären; man müste in der Welt nicht alles so genau nehmen etc. und beruhigte ihn. Im Grunde freute sich Siegwart über den Antrag sehr; er wollte sich nur recht gleichgültig bey der Sache stellen, um desto weniger entdeckt zu werden. Am Sonntag sah er seine Mariane in der Kirche wieder; sie entzückte ihn immer mehr, und einigemal glaubte er [608] zu bemerken, daß sie Antheil an ihm nehme. Wenigstens waren ihre Blicke oft auf ihn geheftet, und, wenn er bey Gutfried war, sah sie fleissig aus dem Fenster.

Am Mittewoch nahm das Konzert seinen Anfang. Siegwart gieng mit schwerem Herzen hin, nachdem er sich vorher sehr sorgfältig angekleidet hatte. Als er in den Saal trat, machte er dem Hofrath ein verwirrtes Kompliment. Dieser war sehr höflich, freute sich, ihn wieder in seinem Hause zu sehen, sagte, daß er viel Gutes von seinem Violin- und Flötenspielen gehört habe, und stellte ihn dann seiner Frau, und seiner Tochter, die an der Seite standen, mit den Worten vor: Das ist der junge Herr Siegwart, dessen Vater ein alter Freund von mir ist. Die Mutter, eine Frau von der angenehmsten Bildung, machte ihm ein sehr verbindliches Kompliment. Mariane verneigte sich stillschweigend. Siegwart glühte im Gesicht, und bückte sich, ohne ein Wort zu sprechen, sehr tief. Drauf stellte ihn der Hofrath der übrigen Gesellschaft vor, und bat ihn, bey der Symphonie die zweyte Violine mit zu spielen. Siegwart war froh, daß er etwas auf die Seite gehen, und Luft schöpfen konnte. Er stimmte seine[609] Violine, und konnte sie, in der Angst, kaum zu Stande bringen. Endlich gieng das Konzert an. Mariane saß unserm Siegwart gegenüber. Er machte in seinem Spiel tausend Fehler, und ward noch verwirrter, weil er fürchtete, die Zuhörer möchten es merken. Endlich erholte er sich etwas von seiner Verwirrung, und spielte ordentlicher. – Bey einem Flötenkonzerte, das Gutfried machte, ruhte er, und lehnte sich an die Wand, Marianen gegenüber. Er glaubte, bey der schmelzenden Musik, und dem Anblick seines Mädchens, das er noch nie so nah bey sich gesehen hatte, zu vergehen. Sie saß, in aller ihrer Anmuth, aufs niedlichste und kunstloseste gekleidet, da; ihre Seele war ganz auf die zärtliche Musik gerichtet; sie schien jeden wahren Ton im Innersten zu fühlen, und drückte oft ihren Beyfall durch eine kleine Bewegung aus. Oft hub sie ihr schönes Aug in die Höhe, und richtete es dann auf Siegwart, der, in überirdische Entzückungen versunken, da stand, und vor lauter Empfindung nichts von dem fühlte, was um ihn herum vorgieng. Zuweilen drang sich ihm ein tiefer Seufzer aus der Brust, den er ängstlich zu verbergen suchte. Selten wagte ers, sie lange anzusehen, weil er von tausend Augen bemerkt [610] zu werden glaubte. Mariane sang dießmal nicht; ein paar andre Frauenzimmer aus der Stadt sangen ziemlich artig. Als das Konzert zu Ende war, so wurden einige Solos und Konzerte auf die künftige Woche ausgetheilt; Kronhelm übernahm eins, und auch Dahlmund; aber unsern Siegwart traf noch keins. Eh man auseinander gieng, sprach Kronhelm mit Marianen ziemlich bekannt. Dieß that unserm Siegwart weh, ob er ihm gleich so herzlich gut war.

Sonst aber wars ihm, als ob er neu gebohren wäre. Nun sah er einen frohen, wonnevollen Winter vor sich. Sie alle Wochen Einmal, und des Sonntags in der Kirche zu sehen, war für ihn ein Glück, das er jetzt nicht grösser wünschte. Ihre Blicke schienen ihm auch viel Gutes zu prophezeihen, und das freundliche Betragen des Vaters füllte ihn mit tausend Hofnungen. Als sie zu Hause waren, sagte Kronhelm: Nun, wie gefällt dir die Fischerin? Ist sie nicht ein herrliches Geschöpf, und zum Anbeten schön? – Von Aussehen gefällt sie mir recht wohl, antwortete Siegwart ganz kalt. – Das glaub ich, sagte Kronhelm; aber ihr Herz solltest du erst kennen! Wart, ich will schon machen, daß du noch genauer mit ihr bekannt wirst. Da sollst du deine [611] Wunder sehen! O, sie hat ein himmlisches Gemüth! Nach deiner Schwester kenn ich gar kein beßres Mädchen. So viel Verstand, so viel Empfindung und Gutherzigkeit, so viel Festigkeit der Seele, und edeln Stolz und Unschuld trift man selten beysammen an. Ueberhaupt hat sie mit Theresen sehr viel Aehnlichkeit, nur daß sie kälter scheint, und, wie mir deucht, etwas eigensinnig ist, wenn mans nicht Standhaftigkeit nennen will. Ihre Mutter hast du auch gesehen; das ist eine trefliche Frau, die es selbst nicht weis, wie gut sie ist. Sie ist die Bescheidenheit und Frömmigkeit selbst, und liebt ihre Tochter über alles. Man könnte sie für übertrieben fromm halten, aber bey ihr kommt alles aus gutem Herzen.

Siegwart legte sich voll froher Vorstellungen schlafen. Das Versprechen Kronhelms, ihn mit Marianen genauer bekannt zu machen, gab ihm tausend glänzende Aussichten. Er sah eine wonnevolle Zukunft vor sich, und machte tausend Plane von Glückseligkeit. Zwey- oder dreymal gieng er unter allerley Vorwand zu Gutfried, um sie oft zu sehen, und sie stand oft eine Viertelstunde lang am Fenster, und blickte oft herüber. In der Kirche [612] sah er sie auch wieder, und erhöhte seine Andacht durch die ihrige.

Den nächsten Mittewoch eilte er wieder ins Konzert. Sie sang bald zu Anfang eine Arie; er stellte sich, fern von ihr, in die andere Ecke des Saals, um unbemerkt ihren Engelston zu hören. Seine ganze Seele war ausser sich, sobald sie anstimmte. Eine solche Empfindung hatte er in seinem Leben nicht gehabt. Ich kann sie nicht beschreiben. Mitten in dem schmelzenden Gesang machte ihr Bruder, der ihr auf dem Flügel akkompagnirte, solche Fehler im Spielen, daß sie plötzlich abbrach, vom Pult weggieng, und sich unwillig auf ihren Stuhl niedersetzte. Unserm Siegwart wars, als ob er aus dem hellsten Sonnenschein mit Einemmal in die tiefste schauervollste Gruft herabstürzte. Der Bruder sprang hastig auf, lief zu ihr hin, verzerrte sein Gesicht, und machte ihr die kränkendsten Vorwürfe. Sie ward roth, und unwillig. Noch nie hatte sie unserm Siegwart so gefallen; auf den Bruder warf er einen Blick voll Verachtung, und hätt ihn in dem Augenblick vor die Stirne schlagen können. Endlich kam der Hofrath und seine Frau, und besänftigten den Bruder; aber Mariane ließ sich nicht mehr bewegen, fort zu singen. [613] Sie saß, immer noch roth im Gesicht, mit hingesenktem Blick da, und konnte die Zähren des Unwillens kaum zurück halten. Hierauf spielten Kronhelm, Dahlmund, und ein paar andre, noch Konzerte. Siegwart hieng mit schmachtendem Blick an Marianens niedergeschlagenen Augen. Der Verdruß und Schmerz, der aus ihren Mienen blickte, drang ihm durch die Seele, und lockte ihm auch Thränen in die Augen.

Bey Endigung des Konzerts ward unserm Siegwart auf den künftigen Mittewoch ein Violinkonzert aufgetragen; er übernahm es, ob ihm gleich bange war, sich vor Marianen hören zu lassen. Heut hatte er auf Gutfrieds Betragen sorgfältig Acht gegeben. Er hatte seine Blicke wohl bemerkt, wie sie schmachtend an ihr hiengen, aber Mariane sah ihn nur Ein- oder Zweymal, und dabey ziemlich gleichgültig an. Noch einen andern Menschen, der schon in den dreyssigen zu seyn schien, und den man Rath nannte, sah er oft, und zärtlich nach ihr blicken; aber diesen schien sie noch weniger zu bemerken. Dagegen ward er wegen seines Kronhelms unruhiger, mit dem sie vor dem Weggehen wieder, und, wie er glaubte, sehr vertraulich, sprach. Auch war ihm kein Blick entgangen, den[614] sie auf ihn richtete; und, als er sein Konzert ausgespielt hatte, bemerkte er genau, wie sie ihm Beyfall zuklatschte. Er kämpfte zwar lang gegen sich selbst, ihr und seinem Freunde nicht Unrecht zu thun, zumal da er von dem letzten so gewiß überzeugt war, daß seine Seele nur allein an Theresen hange. Er machte sich selbst Vorwürfe, daß er gegen seinen liebsten Freund nur der geringsten Argwohn hegen, und nur einen Augenblick unzufrieden auf ihn seyn konnte; aber seine Empfindung ließ sich nicht unterdrücken; sie widersetzte sich seiner Vernunft und Ueberzeugung, und beunruhigte ihn sehr. Wenigstens, dachte er, kann doch Mariane etwas für ihn fühlen, wenn gleich er nichts für sie fühlt.

Zu Hause sprachen er und Kronhelm noch über das Konzert. Kronhelm schimpfte sehr auf Marianens Bruder, und bestätigte alles das, was Gutfried schon von ihm unserm Siegwart erzählt hatte. Das Mitleiden, das Kronhelm mit Marianens Schicksal hatte, und das Lob auf sie, in das er aufs Neue ausbrach, machte unsern Siegwart noch unruhiger. Er mochte sich selber dagegen sagen, was er wollte, so ließ sich doch sein Herz nicht überreden, billiger zu denken. Er fühlte anders, [615] als er glaubte. Am Sonntag drauf gieng Kronhelm mit ihm in die Kirche. Auch das kam ihm verdächtig vor. Aber Mariane kam dießmal nicht. Halb war ihms lieb, halb schmerzlich. Den Montag drauf ward eine Schlittenfahrt angestellt, und nach dieser ein Ball. Kronhelm sagte zu Siegwart: Du must auch mit machen, Xaver. Wenn du willst, so will ich bey des Regierungsraths, Oswalds Tochter für dich anhalten. Sie ist eine Freundin von Marianen. Ich muß die Fischerin fahren; ich hab ihrs schon im Herbst zugesagt. – Ein neuer Donnerschlag für den liebekranken, schon halb eifersüchtigen Siegwart. Nun ward ers ganz. Nichts war im Stande, ihn zu überreden, die Schlittenfahrt mitzumachen. Kronhelm drang lang in ihn, aber endlich ließ er nach. Die Schlitten fuhren bey seinem Haus vorbey. Er sah hinaus. Kronhelm lachte freundlich zu ihm herauf. Mariane sich auch herauf, und grüste freundlich. Aber dießmal rührte ihn ihr Gruß nicht; er schlug das Fenster zu, zog sich an, und lief aufs Feld hinaus. Hier irrte er lang im hohen Schnee herum; zeichnete mit seinem Stock ihren Namen in den Schnee, zernichtete ihn wieder, und sprach viel mit sich selber. Er war halb erfroren, eh ers [616] merkte. Gegen Abend, als er wieder in die Stadt kam, traf er gerade auf die Schlitten. Kronhelm flog an ihm vorbey; er und Mariane grüsten. Siegwart nahm den Hut trotzig ab, und setzte ihn wieder tief ins Gesicht. Er gieng auf eine halbe Stunde zu Gutfried, der sich nicht recht wohl befand. Aber er konnte nicht lang an einem Orte bleiben, und gieng wieder nach Haus. Gutfried hatte ihn nach der Schlittenfahrt gefragt; er sagte aber, er wüste nichts davon. Der ganze Abend, und die Nacht war ihm eine der traurigsten und quälendsten. Er machte sich tausend ungeheure Vorstellungen, die, so unwahrscheinlich sie auch waren, seine aufgebrachte Leidenschaft für wahr hielt. – Jetzt tanzt sie, dachte er; ist von Stutzern und abgeschmackten Kerls umgeben; denkt an ihren armen Freund, der hier im Stillen um sie traurt, nicht einen Augenblick; reicht vielleicht meinem glücklichern Freund die Hand, blickt ihn liebeschmachtend an! – Gott ich kanns nicht aushalten! Mach ein Ende mit mir! – So quälte er sich über eine Stunde mit den schrecklichsten Gedanken. Endlich lehnte er sich matt in seinen Lehnstuhl zurück und schlief ein. Erst nach drey Stunden, [617] um halb zwölf Uhr wachte er wieder auf. Sein Licht war ausgegangen. Der Mond schien hell ins Zimmer. Er legte sich ins Fenster, sah ihn traurig an, wie er bald hell und klar am Himmel lief, bald wieder hinter leichte Wölkchen sich versteckte, und sie golden machte. Eine unaussprechliche Wehmuth überfiel ihn; plötzlich machte er Licht, und schrieb folgendes Gedicht nieder:


An den Mond.

Heiliger, keuscher Mond!
Sieh herab auf meine Leiden!
Habe Mitleid, und erbarm dich meiner!
Weinend und todtenbleich
Seh ich dich, du Kind des Himmels,
Ringe meine Händ', und schmacht in Jammer.
Heiliger, keuscher Mond!
Ach, ich lieb', ich lieb' ein Mädchen,
Und sie weis es nicht, daß ich sie liebe!
Heilig und keusch, wie du,
Brennt ihr meine ganze Seele,
Alle Heilige und Engel wissens!
[618]
Aber Sie weis es nicht! –
Gott im Himmel, laß mich sterben,
Wenn du nicht für mich den Engel schufest!

Noch zwey Stunden blieb er auf, und verfiel aufs neu in ängstliche Zweifel wegen seiner Mariane. Er glaubte, er müste Kronhelm noch erwarten; aber endlich ward sein Zimmer zu kalt, und er legte sich zu Bette. Kein Schlaf kam in seine Augen, jede Viertelstunde hörte er schlagen. Seine Phantasie arbeitete fürchterlich. Um vier Uhr hörte er endlich die Hausthüre öffnen, und seinen Kronhelm kommen. Ein kalter Schauer lief ihm über seine Glieder. – Gott! – der Glückliche! dachte er; hüllte sein Gesicht ins Kissen ein, und weinte. Endlich kam ein kurzer und unruhiger Schlummer. Den andern Morgen, als er ins Kollegium gieng, schlief Kronhelm noch; um eilf Uhr gieng er bey Marianens Haus vorbey. Das Haus war ein Eckhaus; sie sah in die Strasse, durch die Siegwart gieng; und als er sich in die andre wendete, sah sie auf der andern Seite auch heraus, ihm nach. Dieß bemerkte er nachher immer, und schloß mit Recht viel Gutes draus. Aber heut war ihm alles gleichgültig, und er fühlte nichts, als Gram und [619] Eifersucht wegen des gestrigen Tages. – Zu Haus kam Kronhelm auf sein Zimmer, und that ganz freundlich. Siegwart konnt' ihn kaum ansehen, so viel quälende und schmerzende Gedanken bemächtigten sich auf Einmal seiner Seele. O Bruderfieng Kronhelm an, gestern waren wir recht frölich! Seit ich hier bin, war mirs nie so wohl. Du hättest auch dabey seyn sollen! Ich dachte hundertmal an dich. Die Fischerin hat mich zweymal nach dir gefragt; sie glaubte ganz gewiß, du würdest auch kommen. Du darfst dir recht was drauf zu gut thun, Bruder! Sie lobte dein Violinspielen sehr, und freut sich auf den Mittewoch, wenn du Konzert spielst. – Ich sagt ihr auch, du singest gut. – Das hättest du wohl bleiben lassen können, sagte Siegwart hastig und verwirrt. Es liegt mir viel dran, was die Mädchen von mir denken! Und nun gieng er schneller auf und ab. – Immer noch der alte Weiberfeind? sagte Kronhelm. Und nun muß ichs gar entgelten, wenn ich Gutes von dir spreche. Du bist ein wunderlicher Mensch! – Hier brach unserm Siegwart das Herz. Verzeih mir, Bruder! sagte er, ich bin heut in übler Laune. Es war nicht so bös gemeynt. Ich weis nicht, das beständige Stubensitzen macht mich ganz hypochondrisch. [620] Es war warlich nicht so bös gemeynt! – Bey mir auch nicht, Bruder, sagte Kronhelm, und nahm seinen Freund bey der Hand. Wir sind ja Freunde, und du weist, was ich auf dich halte. Du hättest mir auch schon vieles übel nehmen müssen. Laß die Grillen fahren! Ich weis am besten, daß man nicht immer aufgeräumt ist. Aber ein Wort must du mir erlauben, Xaver! Ich seh wohl, daß das Stubensitzen dir nicht taugt; du solltest dich zerstreuen! drum wollt ich eben, daß du gestern mit gewesen wärest! Gelt, bey mir hast du wenig Aufmunterung, dich zu zerstreuen? Ich weis wohl, und es thut mir leid. Aber wer kann für sein Schicksal? Wenn man so viel Gram im Herzen hat, wie ich, wie kann man da noch froh und munter seyn? Mach dir zuweilen eine Veränderung! – Gut, ich wills thun, Kronhelm! sagte Siegwart zärtlich. Bey der nächsten Schlittenfahrt will ich auch seyn! Du must Geduld mit mir haben! Vielleicht wirds bald besser! – Er gieng auf die Seite, und wischte sich die Augen. Kronhelm konnte nichts sprechen, und gieng nach etlichen Minuten auf sein Zimmer, unter dem Vorwand, sich anzukleiden, denn sie assen jetzt auf Gutfrieds Zimmer, weil er krank war. – Siegwarts Schmerz brach [621] nun in lautes Schluchzen aus, als Kronhelm weg war. – Gott! was bin ich für ein Scheusal! dachte er; wie hab ich meinem besten liebsten Kronhelm Unrecht gethan! – Er ist ein Engel, und ich bin ein Teufel! – Ach, ich bin seiner Liebe nicht werth! ... Vergib mir, Gott! Vergib mir, Kronhelm! ... Ach, ich bin ein Teufel!.. Er meynts so redlich mit mir, und ich bin so treulos! ... Bin so scheuslich undankbar! ... Vergib mir, Lieber, wenn dirs möglich ist! – Mariane hat nach mir gefragt! ... Das ist mehr, als ich verdiene!.. Ach, daß ich so ein schändlicher Kerl bin!.. Vergib mir, Gott! ... Mariane, Mariane! O du Engel!.. Wenn ich deiner werth wäre!.. O vergib mir, Gott, daß ich so hart war gegen meinen lieben, sanften, freundschaftlichen Kronhelm!

Indem kam Kronhelm wieder aufs Zimmer, und sahs noch, wie sein Freund sich die Augen wischte. Er umarmte ihn stillschweigend. Arm in Arm, und Brust an Brust, blieben sie lang so stehen, und giengen endlich mit einander zu Gutfried. Sie trafen ihn sehr bestürzt an. Er hatte einen Brief vor sich liegen, und lehnte sich, mit weinenden Augen, über ihn hin. Nun soll ich fort! sagte er. [622] Mein Vater hat mir heut geschrieben. Er ist sehr böse, daß ich schon über die Zeit ausgeblieben bin, und droht, mich zu enterben, wenn ich nicht zwischen heut und drey Wochen zu Hause sey. Das kostet mich, bey Gott! mein Leben; ich fühls schon. Ich kann an keinem andern Ort seyn, als wo sie ist! Das weis mein Vater, und ich soll doch fort. O, ich möchte rasend werden über das verwünschte Schicksal, das mich hieher brachte! Seit ich Marianen sah, hatt ich keinen, ganz frohen, Augenblick, und das dauert nun schon ins zweyte Jahr. Nun soll ich gar sie nicht mehr sehen. Das einzige, was mich bisher noch erhalten hat; sonst wäre ich längst todt. – Sagt, was fang ich nun an? Beydes ist gleich schrecklich: Ohne sie seyn, und von seinem Vater enterbt und verflucht werden. Er hält Wort; ich kenn ihn schon. – Nun rathet mir! Siegwart und Kronhelm zuckten die Achseln; keiner wuste, was er sagen sollte? – Nicht wahr, sagte er, ihr könnt mir auch nicht rathen? Und wie solls nun ich? – Das beste ist, daß es nicht mehr lang währt! Es steckt mir so schon etlich Tage her ein Schelm im Leib. – Nur das Weggehn, davor graut mir! Ich wollt mir lieber jetzt gleich eine Kugel vor den Kopf schiessen lassen; so wärs doch[623] mit Einemmal aus! – Gleich in drey Wochen weg! Das läst sich kaum denken, geschweige thun.

Kronhelm und Siegwart trösteten ihn, so gut sie konnten; aber alles half nichts. Er war viel zu heftig. – Ihr seyd nicht klug, sagte er, wenn ihr mit Worten etwas auszurichten glaubt! Da, da, (auf die Brust zeigend) sitzt es. Ihr müst mir erst dieses Herz aus dem Leibe reissen; dann wirds besser! Ich weis, was ich schon seit Jahren her um sie geduldet habe, da sie mich nicht Einmal ansah, wie ichs wünschte. Blos an ihrem Anblick hab ich mich geweidet; der erhielt mich noch; aber nun ists aus mit mir. Zwar bleib ich hier, das hab ich schon beschlossen; aber der Fluch meines Vaters, den ich lieb und ehre – denn er ist ein braver Mann – der wird mich tödten. – Und ich wette, er läst mich mit Gewalt wegholen, wenn ich nicht komme; er wollts schon vor einem halben Jahr thun, da hielt ihn meine Mutter noch zurück. Nun ist sie todt, und kein Mensch auf Erden kann ihn halten. – O, ich bin ein Unglückskind! – Mit diesen Worten schlug er sich vor die Stirne, daß es wiederhallte. – So rasend hab ich dich noch nie gesehen; sagte Kronhelm; mir ist bang für dich. – Mir auch; fiel Gutfried ein. So toll wars aber [624] auch noch nie! Ich weis, wie mirs war an Ostern, als ich nur acht Tage von ihr weg war; und nun auf mein ganzes Leben! O, ich halt es nicht aus! Wenn nur das Gift, das ich in mir fühl, bald um sich griffe, und Mark und Knochen aufzehrte! Es wär ja Wohlthat, wenn gleich das Sterben ohne sie auch schrecklich ist. Aber nach dem Tod hoff' ich doch Linderung.

Kronhelm und Siegwart redeten ihm zu, sich doch selbst zu schonen, und kein Selbstmörder zu werden! – Das werd ich auch nicht, sagte er, dazu hab ich zu viel Christenthum, und weis, daß es Sünde ist. Aber, lieben Leute! ich hab mir ja den Schmerz, der mich aufzehrt, nicht selbst gemacht! Ich stritt lang, und wollte sie vergessen, als sie gar nichts von mir hören wollte. Aber der verschloßne Gram wüthete nur heftiger in mir, und leckte allen Lebenssaft hinweg. – Jetzt kannst du aber nicht reisen, sagte Kronhelm; du siehst gar zu elend aus. Ich will deinem Vater schreiben, daß du krank bist, oder selber die acht Meilen zu ihm reiten. Vielleicht sieht ers doch ein, und gibt nach. – Thu das, Brüderchen! sagte Gutfried; Gott segne dich für diesen Einfall, und für deine viele Freundschaft! Ich werd dirs nicht mehr lang [625] verdanken können; aber einst im Himmel will ichs thun, wenn mir Gott barmherzig ist, und mich zu sich nimmt. – Kronhelm versprach, morgen hinzureiten, wenns nicht besser werde. Und nun ward Gutfried etwas ruhiger. Doch aß er nicht mit, und beklagte sich über innerliche Hitze. Siegwart hatte mit seinem Zustand vieles Mitleid, und zitterte vor gleichem Schicksal. Nach Tische muste er ins Kollegium gehen. Gegen Abend kam er wieder hin. Gutfried beklagte sich sehr über Kopfweh, und innre Hitze, und muste sich zu Bette legen. Kronhelm, der Gefahr befürchtete, erbot sich, diese Nacht bey ihm zu bleiben und zu wachen. Siegwart kann dann morgen da bleiben, wenns nöthig ist, sagte er, weil ich morgen weg reite. Siegwart gieng nach Haus, und machte sich wegen seines Betragens gegen Kronhelm neue Vorwürfe. Er weinte über seine Thorheit, die ihn auf seinen besten Freund eifersüchtig machte, und zu einem so lieblosen Betragen verleitete. Nach vielen Seufzern entschloß er sich recht fest, sich künftig vor diesem schrecklichen und thörichten Verdacht in Acht zu nehmen, und weder sich, noch seinen edeldenkenden Freund mit einem so ungegründeten Verdacht zu quälen. –

[626] Dann überließ er sich ganz dem süssen, und schmeichelnden Gedanken, daß sich Mariane nach ihm erkundigt habe, und zog tausend gute Vorbedeutungen draus her. Er ärgerte sich, daß er aus blossem Eigensinn und närrischer Verblendung den Ball und die Schlittenfahrt nicht mit gemacht hatte, und wünschte sehnlich eine so herrliche Gelegenheit, Marianen kennen zu lernen, bald wieder.

Den andern Morgen kam Kronhelm nach Haus, und sagte, daß ihm Gutfried gar nicht gefalle. Es scheine eine schwere Krankheit im Anzug zu seyn. Siegwart fand ihn auch am Mittag um ein gutes kränker, als gestern. Den Nachmittag ritt Kronhelm weg, und versprach, in höchstens vier Tagen wieder zu kommen. Siegwart blieb bis fünf Uhr bey Gutfried. Dann gieng er nach Haus, um sich anzukleiden, und sein Konzert noch vorher zu spielen. Nach dem Konzert, versprach er, wieder zu kommen, und bey ihm zu wachen.

Er gieng mit ziemlichem Herzklopfen ins Konzert, weil ihm bange war, sich vor Marianen hören zu lassen. Sie saß ihm gegenüber. Anfangs spielte er sehr ängstlich; aber der Beyfall, den sie ihm durch ihre Aufmerksamkeit, und einige Bewegungen mit dem Kopf zu geben schien, befeuerte [627] ihn auf einmal, daß er beym Allegro wild in seine Saiten stürmte, und die Herzen aller Zuhörer zur Bewunderung hinriß. Er sah ihr die Freude und das Wohlgefallen an, das sie drüber hatte, und trieb die Kunst immer höher. – Auf Einmal sank er, im Adagio, in den tiefsten Klageton herab. Seine Violine sprach; jeder Ton ward eine Sylbe. Sein ganzes Spiel ward die rührendste Klage, und das wehmüthigste Selbestgespräch. Sein eignes, liebekrankes Herz schien, es zu halten. Alles lauschte auf dem Saal, kein Laut ward gehört; jeder hielt den Athem an sich; aus jedem Herzen wollt' ein Seufzer aufsteigen, der nur mühsam zurück gehalten wurde. Mariane saß in tiefer Wehmuth da; senkte ihr thränenvolles Aug zur Erde, blickte schmachtend wieder auf, und ward vor heftiger Empfindung blaß. Dann warf sie einen Blick, aus dem die ganze Seele sah, auf Siegwart; er fieng ihn auf, stieg in einem Lauf bis auf die höchste Höhe, daß die Seele mit hinauf stieg, und staunte; senkte sich herab, und preste aus jeder Brust ein Ach! voll Schmerz und Bewunderung. Jede Hand war aufgehoben, ihm den wärmsten Beyfall zuzuklatschen; Mariane war die erste, die es that. Er verneigte sich gegen sie, [628] und gegen die übrige Gesellschaft, und gieng auf die Seite, um sich wieder zu erholen, und den Schweiß vom glühenden Gesicht zu wischen. Im ganzen Saal entstand ein freudiges Gemurmel; jedes Herz theilte dem andern seine staunende Bewunderung mit; jeder Zuhörer sah auf ihn, und war bewegt. Der Hofrath Fischer kam, drückte ihm die Hand, und dankte ihm. Auch der Engel Mariane kam – ihr Siegwart zitterte. – Sie habens unaussprechlich gut gemacht, sagte sie; ich dank Ihnen aus dem vollsten Herzen. Sie bringen Töne aus der Violine, die ich niemals drinn gesucht hätte. O, Ihr Adagio war göttlich! – Hier sah sie ihn mit einem unbeschreiblich zärtlichen Blick an; er ward feuerroth, schlug die Augen nieder, und wagt es nicht, sie anzusehen. Er stund da, und konnte sich kaum halten: jedes Auge, glaubte er, bemerk ihn. – Wo haben sie denn heut den Herrn von Kronhelm gelassen? fieng sie wieder an. – Diese Frage riß ihn wieder etwas aus der schrecklichen Verlegenheit, in der er sich gewiß verrathen hätte. Er ist.. sagte er, und hub die Augen wieder auf; er ist ... ausgeritten.. weil Herr Gutfried krank ist ... weil ers Vater sagen will. Drauf erkundigte sie sich nach [629] Gutfrieds Umständen. – Werden Sie nicht auch einmal eine Schlittenfahrt mitmachen? fragte sie endlich. O ja! war seine Antwort, sobald wieder Gelegenheit da ist – plötzlich fuhr der Gedanke, wie ein Blitz, durch seine Seele: Sollt ich sie wol bitten, mit mir zu fahren? Indem er noch zweifelte, und eben etwas sagen wollte, kam Marianens Mutter, machte ihm ein ausserordentlich verbindliches Kompliment, und lobte ihn mit vieler Wärme wegen seines Spiels. Indem kamen noch andre, die ihn auch mit Lobsprüchen überhäuften; man hielt sein Erröthen für Bescheidenheit, und er konnte nun Marianen, die noch bey ihm stand, weit freyer ansehn, und ihre unaussprechlich regelmässige Züge, ihr hellglänzendes Aug, und die feinste weiße Haut bewundern. So wohl und bang, wie in diesem Augenblick, war ihm noch nie gewesen.

Während daß noch jedermann um den beglückten Siegwart herum stand, klopfte endlich Marianens Bruder, der schon längst vor Eifersucht geglüht hatte, voll Verdruß auf die Violine, um die Spieler zusammen zu rufen, und fieng ein Konzert zu spielen an. Er machte es nicht ganz schlecht; aber nach Siegwart konnte man ihn kaum mehr hören. Als er ausgespielt hatte, klatschte niemand [630] Beyfall. Dieß verdroß den stolzen Knaben sehr, und machte ihn unserm Siegwart, den er schon vorher beneidet hatte, noch aufsätziger.

Nach dem Konzert gieng Siegwart nach Haus, um sich umzukleiden. Anfangs wuste er sich vor Freuden über Marianens Beyfall kaum zu fassen. Nach und nach kamen ihm wieder Grillen und ängstliche Gedanken. Er dachte: Das alles konnte sie wol sagen, ohne dich zu lieben. Sie sprach nur mit dir, um sich nach Kronhelm zu erkundigen. Sie kann ihn lieben, wenn ers auch nicht weis. Er ist unschuldig, aber was hab ich davon? So lang sie sich nicht deutlicher erklärt, und von meiner Liebe weis, so lang ists nichts, u.s.w. Unter solchen traurigen Gedanken, die die erste Liebe, solang sie nicht Gewißheit hat, tausendmal in der Brust des Liebenden erzeugt, gieng er zu Gutfried, um bey ihm die Nacht über zu wachen. – Er war jetzt etwas muntrer. Diesen Abend, sagte er, hatt ich einen harten Kampf. Ich bekam eine Art von Fieber, und die schrecklichsten Phantasien ängstigten mich wol eine Stunde lang. Jetzt ist mirs ganz leicht. Setzen sie sich zu mir her, ans Bette! Siegwart thats.

[631] Was macht denn Mariane? fuhr er fort. Haben Sie sie heut gesehen? Hat sie gesungen? – Gesehen hab ich sie, antwortete Siegwart; aber gesungen hat sie nicht. Sie erkundigte sich bey mir nach Ihnen. – Hat sie das? rief Gutfried hastig, und richtete sich im Bett auf. O der Engel! Ich muß sie anbeten, ob ich gleich gewiß weis, daß sie ewig nicht die meine wird. – Er legte sich langsam wieder nieder, und fuhr fort: Alles, lieber Siegwart! alles hab ich ihr zu verdanken! Ich war ein liederlicher Kerl, eh ich sie habe kennen lernen. Gott vergeb es mir! Ich ward verführt. Als ich hieher kam, wust ich noch gar nichts von der Welt. Sechs Jahre hatt ich in einem Jesuiterkloster gesteckt; muste da die Religion als ein Handwerk treiben, und ganze Stunden lang, ohne Andacht, beten. Das, wozu mich meine Lehrer anhielten, sah ich sie selber mit den Füssen treten. Wie ein Sklave war ich eingeschränkt, und durste keinen Schritt thun, ohne Vorwissen meiner Lehrer. Wenn ich nun einmal in die Welt hinaus kam, so hielt ich alles, was ich sah, für wünschenswürdig, und schmachtete in meinem Käficht wieder desto mehr darnach. Als ich nun hier ankam, und der Freyheit ganz genoß, [632] nach der ich mich so längst gesehnt hatte, da glaubt ich, um mich schadlos zu halten, und das Versäumte wieder einzuholen, müss' ich nun der Freyheit ganz geniessen, und alles mitmachen. Freyheit und Ausgelassenheit hielt ich für einerley. Alles, was ich sah, war mir neu, und reizte mich; ich fiel drauf hin, wie ein Geyer auf den Raub, und glaubte mich nie sättigen zu können. Sie wissen, wozu der närrische Begriff von Universitätsfreyheit verleitet. Zu allem Unglück waren damals hier die allerschändlichsten Gesellschaften, in denen Gewissen und Vernunft durch Zoten und Unfläthereyen übertäubt, und durch unmässiges Saufen geschwächt, oder gar getödtet wurden. Da gieng ein jeder hin, und that, was ihm gefiel. Mein Trost ist noch, daß ich niemals Freundesblut vergossen, und nie eine Unschuld verführt habe. Davor hat mich Gottes Gnade noch bewahrt; mir hab ichs nicht zuzuschreiben. Ich wär bey meinem tollen, heftigen Temperament, und bey meinen Grundsätzen zu allem fähig gewesen. Zweymal ward ein Freund in meiner Gegenwart erstochen; ich seh noch ihr Blut mit Schrecken rauchen. Dem Boling, der sonst noch weit schlechter war, wie [633] jetzt, hab ich zweymal das Leben gerettet. Der Umgang mit liederlichen Menschern entkräftete mich so, daß ichs jetzt noch fühle; und ich hätte mich zuletzt ganz zu Schanden gerichtet, wenn nicht der Engel Mariane, wie vom Himmel herab, gekommen wäre. Das erstemal sah ich sie auf einem Ball wo mich Dahlmund mit Gewalt hinschleppte; denn es gieng mir da viel zu ehrbar zu. Sie sehn, und weg seyn, war Eins! Aber, Gott! was das für eine Empfindung war! Ich bebte, wie ein Sünder, der vor Gott steht, und schämte mich vor mir selbst. Anfangs wagt' ichs kaum, sie anzusehen, denn es war, als ob sie mich durchblickte, und den schlechten Kerl in mir entdeckte. Aber weg war ich ganz, und konnt auf der Welt an nichts mehr denken, als an sie. Alles war mir ekelhaft; ich hätt in das Lumpengesind und meine liederlichen Saufbrüder spucken mögen! Sie lachten mich aus, als ich nicht mehr mitmachte, ich ließ sie lachen. Ich blieb allein, ärgerte mich über mein vergangnes Leben, und schmachtete um Marianen. Daß sie mich lieben sollte, konnt' ich noch nicht wünschen, denn ich kannte mich selbst zu gut, was ich für ein Kerl gewesen war; ob gleich jetzt jeder Schatten von Begierde aus mir wegwich. – [634] Aber sie war doch für mich' zu heilig; ich sah zu ihr hinauf, wie zu der Mutter Gottes, und wünschte nichts, als einen einzigen Gnadenblick von ihr. Ich kriegte sie selten zu Gesicht. Einmal sah ich sie, an Allerheiligen, in der Kirche. Ihr Aug und Herz betete voll Andacht. Nun wagt ichs auch zum erstenmal wieder, meine Augen aufzuheben, und Gott um Erbarmung anzuflehen. Ihre Andacht gab der meinen Muth und Flügel. Es war mir, als ob ein Stral von göttlicher Barmherzigkeit sich in mein Herz herab senkte, und es stärkte. Mir ward so wohl, daß ich weinen konnte. Dieser Augenblick bleibt mir unvergeßlich; er ist der Anfang meines wahren Glücks. Ich ward nun wirklich fromm, denn ich handelte nach Grundsätzen. Zu Haus warf ich mich nun nieder, und zerfloß in Thränen. Das Gefühl der göttlichen Begnadigung goß sich wieder durch mein Herz; ich las auch in der Bibel, und ganz anders, als im Kloster ehmals. Ihre Kraft, und der heilige Gedank an Marianen unterdrückte, oder mässigte meinen wilden, unbändigen Karakter; obgleich noch – das weis der liebe Gott – unendlich viel davon zurück blieb; denn oft will es wieder in mir aufbrausen, und ich habe gnug mit mir zu kämpfen. Mit meiner Besserung [635] keimte auch der Wunsch auf, Marianens Herz zu gewinnen. Ich konnte mich ihr nun eher ohne Zittern nahen, denn ich fühlt es, daß ich besser war. Im Konzert hatt ich Gelegenheit, mit ihr bekannt zu werden. Sie begegnete mir immer freundlich und gefällig; aber niemals hab ich einen Funken von Liebe an ihr wahrgenommen. Ich fürchte, sie weis meinen vorigen Lebenswandel, und kann deswegen kein rechtes Zutrauen zu mir haben. O Freund, dieß ist die gröste Strafe meiner schändlichen Verblendung! Diese, und daß ich einen ausgemergelten Körper davon getragen habe, der mich wohl in wenig Wochen oder Tagen ins Grab stürzen wird. Daß mir Gott vergeben habe, hoff ich um der Leiden seines Sohnes willen, sonst müst ich gar verzweifeln. – Ich beschwöre Sie um Gottes willen, theurer Freund! Sie sind noch jung, und mancherley Verführungen ausgesetzt. O behalten Sie ihr Herz rein! Sie wissen nicht, was das für ein Kleinod ist, denn ich hoffe, daß Sies nie verlohren haben. Glauben Sie mir, daß beym Laster nichts als Unruh ist, und Höllenreue hintennach. Ich schwör Ihnen, daß ich nicht nur jetzt so rede, weil ich krank bin, und den Tod näher vor Augen seh, als Sie. Ich hab in gesunden Tagen eben so [636] gedacht, und bin wahrhaftig überzeugt, daß nichts auf der Welt ganz glücklich macht, als Kenntniß und Ausübung unsrer heiligen Religion, und Rechtschaffenheit, und Reinigkeit des Herzens. Ich hab alles versucht, bin alles gewesen, Religionsverächter, Spötter, Zweifler, Taugenichts, und Christ, und nichts hat mich beruhigt, als das letzte. – Noch einmal, ich beschwöre Sie, Freund! bleiben Sie auf dem guten Wege, auf dem Ihnen so wohl ist! Bleiben Sie ein rechtschaffener Mann, ein Christ! Denken Sie an meine Worte! Ich bin jetzt glücklich, und wärs noch mehr, wär ich immer gut geblieben. –

Hier konnte der gerührte und entkräftete Jüngling nicht mehr reden. Ein heisser Strom von Thränen stürzte ihm aus den Augen, er schluchzte, und verhüllte sein Gesicht ins Kissen. – Siegwart konnte sich nicht länger halten; das Herz brannte ihm im Leibe. Thränen schossen über seine Wangen; er lief weg ans Fenster, und schluchzte laut. – Gott, erhalt mich fromm und rein! Mehr konnte er nicht seufzen; aber ihm wars, als ob er Gott von Angesicht zu Angesicht erblickte, und gewiß wäre, daß er bleiben würd' in seiner Reinigkeit und Unschuld.

[637] Erst nach etlichen Minuten gieng er wieder ans Krankenbette. Gutfried gab ihm seine Hand. Lieber Freund, sagte er mit sanfter Stimme, wir könnten so viel reine Freuden auf der Welt geniessen, daß wir solcher Ausschweifungen nicht nöthig hätten. Wie viel frohe himmlische Abende gab uns, dieses letzte halbe Jahr, die Freundschaft! Gott! wie sassen wir oft so vergnügt zusammen, und fühltens erst am Ende, daß die Zeit so schnell verstrichen war. Welche reine, unverfälschte Freuden gab uns die Musik! Wie erhub sie unser Herz zu himmlischen Empfindungen; zu Entschlüssen, etwas Grosses und Edles für die Welt zu thun. Wie erquickte sie uns nach unserm Studieren! Am Abend wars uns, als ob wir den ganzen Tag in reiner Wollust zugebracht hätten. Und die schönen Wissenschaften! – Ihnen verdank ich, nächst der Liebe zur Tugend und zu Marianen, mein verfeinertes, veredeltes Gefühl am meisten. Ich liebte Marianen, und durch sie, die Tugend schon eine geraume Zeit; aber in meinem äusserlichen Wesen war immer noch viel Rohes und Unbehagliches. Nun sah ich bey ihr einmal ein Buch von Kronhelm liegen; es waren Kleists Werke. Ich sah hinein; und es gefiel mir. Mariane lehnte mir das Buch mit [638] Kronhelms Vorwissen. Freund! wie war mir das so neu! Wie viele, vorher nie gefühlte Empfindungen füllten da mein Herz! Wie ward es oft zur Anbetung des Schöpfers hingerissen! Ich sah nun die Natur mit ganz andern Augen an. Jede Blume, jeder Vogel, jede schöne Gegend ward mir wichtiger, und lehrte mich den Schöpfer im Geschöpf bewundern. Mein Herz ward reizbarer und empfindlicher fürs Gute und fürs Schöne. Ich sah die Harmonie der Schöpfung, trug sie auf meine Handlungen über; schätzte sie im Leben und der Denkungsart andrer Menschen mehr; sah bey mir selbst mehr auf äusserlichen Anstand; und ward gegen jedes Elend mitleidig.

Sein Gespräch ward durch die Ankunft Bolings unterbrochen. Dieser erbot sich, mit Siegwart zu wachen, damit der Eine etwas schlafen könnte, während daß der andre wachte. Unser Siegwart erwählte die Vormitternacht zum Wachen, denn er sah beym Hofrath Fischer Licht, und hoffte, seine Mariane noch einmal zu sehen. Als Gutfried etwas einschlummerte, setzte sich Boling in den Lehnstuhl, um zu schlafen, und Siegwart legte sich ins Fenster, ob er Marianen nicht erblicke? Ein paarmal sah er etwas am Fenster hin und her [639] gehn, aber er konnte nicht genau unterscheiden, ob es sie sey, oder ihre Mutter? Er war halb freudig, und bald traurig; bald fürchtete er alles Traurige, und hoffte dann auf Einmal wieder nichts als Gutes. So stand er, in süsser Wehmuth, und voll schwärmerischer Entwürfe eine ganze Stunde da. Endlich hörte er das Klavier anstimmen, riß das Fenster eilig auf, und lauschte, daß er kaum zu athmen wagte. Erst spielte Mariane eine ernsthafte, langsam gehende Phantasie; dann eine schmelzend zärtliche Sonate, und endlich einen feyerlichandächtigen Choral, und sang dazu. Siegwart kam über den empfindungsvollen Ton ihrer Silberstimme ganz ausser sich, daß er kaum mehr wuste, wo er war. Er hatte tausend Empfindungen, deren er sich kaum selbst bewust war, und die sich erst nach und nach entwickelten, als sie lange schon schwieg. Er lag noch lang im Fenster, als ob er ihr zuhorchte, ob sie gleich schon das Licht ausgelöscht hatte. Endlich ward er wehmüthig, setzte sich an den Tisch, und schrieb, als er Dinte und Papier vor sich sah, folgendes Gedicht nieder:


[640]
Alles schläft! Nur silbern schallet
Marianens Stimme noch!
Gott! von welcher Regung wallet
Mein gepreßter Busen hoch!
Zwischen Wonn' und bangem Schmerz
Schwimmt mein liebekrankes Herz.
Schwind, o Erde! Laß mich fliegen
Zu des Hochgelobten Thron;
Mich mit ihr im Staube liegen,
Seufzen mit in ihren Ton:
Gott, du hörst es, was sie fleht;
Acht' auch mit auf mein Gebet!
Daß ich lang um sie mich quäle,
Ist der Holden unbewust;
Send', o Gott, der frommen Seele,
Lieb' und Mitleid in die Brust!
Wär' ihr nur mein Leid bekannt,
Wär' auch meine Qual verbannt. –
Gott! ich seh den Himmel offen!
Freud und Leben winken mir!
Daß mein Herz darf wieder hoffen,
Mariane, dank ich Dir.
Sing, und zaubr', o Sängerin,
Ganz ins Paradies mich hin!

[641] Siegwart saß noch eine Stunde da, und überließ sich seiner Phantasie, als endlich Boling aufwachte, um ihn abzulösen. Gutfried schlief sehr ängstlich, und unruhig; fuhr oft auf, und sprach oft mit sich selbst. Sie befürchteten den Ausbruch eines hitzigen Fiebers, das der Arzt den Abend vorher ziemlich deutlich vorausgesagt hatte. Boling versprach, unsern Siegwart sogleich zu wecken, wenn die Krankheit steigen sollte, und nun schlief er im Lehnstuhl ein. Vor Tag weckte ihn Boling durch einen heftigen Schrey auf; denn Gutfried hatte angefangen, zu phantasiren, war aus dem Bett gesprungen, und hielt ihn an der Kehle fest. Laß mich los! rief Gutfried, reiß mich nicht von Marianen, Vater! sonst erwürg ich dich! Siegwart sprang hinzu, und riß ihn endlich mit aller Gewalt von Boling weg. Sie hatten Mühe, ihn ins Bett zu bringen; seine Augen funkelten und rollten fürchterlich; der weisse Schaum stand ihm zwischen den Zähnen; er klammerte sich mit den Händen fest an, wenn er was zu fassen kriegte, und hatte fast übermenschliche Stärke. Endlich brachten sie ihn doch wieder aufs Lager. Er sprach unaufhörlich fort, zankte sich mit seinem Vater, glaubte zuweilen, den bösen Feind vor sich zu sehen, [642] lachte fürchterlich laut, und weinte dann wieder, wie ein Kind. Sein Zustand drang seinen beyden Freunden tief ins Herz, daß sie sich mit Thränen, und mit Seufzern ansahen. Einmal hielt er ein langes, rührendes Gebeth an die Mutter Gottes, richtete sich auf, hub die Hände in die Höhe, nannte sie zuweilen Mariane, und sank entkräftet wieder aufs Bett zurück. Siegwart und Boling wusten sich kaum mehr zu helfen. Nach dem Arzt konnten sie nicht gehen, weil keiner sich, allein bey ihm zu bleiben, getraute, und im Hause schlief noch jedermann. Sie warteten mit Sehnsucht auf den Morgen. Endlich brach er an. Sie schickten eiligst nach dem Arzt. Dieser zuckte die Achseln, verordnete eine Aderlässe, und versprach wenig Hofnung. Nach dem Aderlassen ward der Kranke etwas ruhiger, und schlummerte ein wenig ein. Zwey Stunden nachher wachte er mit grossem Schreyen wieder auf, riß die Binde von der Ader weg, und verblutete sich, eh man ihm beykommen konnte, so, daß er in eine Ohnmacht sank. Der Arzt, der herbeygerufen wurde, brachte ihn, nach vieler Mühe wieder zu sich selbst. Er war so matt, daß er kaum reden konnte. So lag er den ganzen Tag da, und erholte sich erst gegen Abend [643] wieder etwas. Siegwart kam keine Viertelstunde von seinem Bette. Auf sein Verlangen muste er ihm die letzten Reden Jesu im Johannes, und Semidas Selbstgespräch im vierten Gesang der Messiade vorlesen. Beyde waren sehr gerührt. Der Kranke hub seine Augen in die Höhe, und sagte: Segen dem Manne, der die Heiligkeit der Liebe so tief gefühlt hat! Wohl dem, der, wie er, fühlt! Dann betete er still zu Gott; rief einigemal laut: Gnade mir, Erbarmer! und dann weinte er. Segne Marianen! sprach er leiser. Gib ihr einen Mann, der fromm und rein liebt!

Den ganzen Tag über lag er matt da; seine Kräfte nahmen sichtbar ab. Gegen Abend schien sein Ende nahe. Lieber Siegwart, sagte er: Versichern Sie meinen Vater meiner Liebe, meines Danks, und meiner Reue! Sagen Sie ihm, daß ich Marianen liebte; daß ich durch sie fromm ward, und nun freudiger zu Gott geh! Ich wollt ihn durch mein Aussenbleiben nicht betrüben. Eine innre, unbekannte Kraft hielt mich zurück. Es war mehr, als Liebe. Ihr zu widerstehen, war mir unmöglich. Sagen Sie ihm alles, alles! –

Nach einigem Schweigen fuhr er fort: Noch einmal, um Gottes willen, lieber Siegwart, bewahr [644] das im Herzen, was ich gestern sagte!.. Laß dich nicht verführen! ... Bleibe dir und Gott treu! ... Sags auch Kronhelm! ... Dank ihm! ...

Siegwart konnte nichts, als weinen. Auf Einmal entstand im Haus unten ein Lerm. Das will ich sehen, obs so schlecht ist? rief eine rauhe Stimme. Er soll und muß mit mir fort, der Ungerathene! Indem stürzte Gutfrieds Vater in das Zimmer, Kronhelm hinter ihm drein, und aufs Bette zu. Heh! Kerl! rief der Vater, und schüttelte seinen Sohn. Plötzlich, als er seinen Sohn im Todesschweisse sah, blieb er wie erstarrt stehn. Mit der einen Hand hielt er seinen Sohn, und die andre hub er in die Höhe. – Was ists? sagte er, mit zerstörten Blicken, zu Siegwart. Will er sterben, oder ist er schon? – Karl! und nun schüttelte er ihm die Hand; um Gottes willen, Karl! du lieber Karl! Was ists? – Der junge Gutfried hub seine Augen auf; eine Thräne glänzte drinn, und schloß es wieder zu. Der kalte Todesschweiß stund ihm auf der Stirne. Er lag unbeweglich da. Der Vater ließ seine Hand unwillig fahren, gieng weg, sah gen Himmel, seufzte tief, und sprach: Nun ists aus mit mir! Deine [645] Mutter, deine Mutter! Gott! ich habs verschuldet! – Karl! Karl! Sie hat mirs gesagt. Nun warf er sich stumm über seinen Sohn her, küste ihm den letzten Athem aus dem Mund; der Sohn war todt. – Der Vater setzte sich ans Bette, sah den Sohn lang und starr an. Endlich murmelt' er: Gott! sobald mit deinen schrecklichen Gerichten! – Hat er mir geflucht? – Sie gesegnet, sagte Siegwart. – Gut! ich habs doch nicht verdient! versetzte der Vater. Hab doch seine Mutter ins Grab gebracht, durch Untreu! – Aus dem Haus soll sie mir, der Hund! Ich kann keine Hure sehn! Ich bin ein Ehebrecher! – Lieber Karl! Bist du bey der Mutter? Ach, verklag mich nicht! Verklag mich nicht! – Nun stürzte er sich wild über seinen todten Sohn her, und küste ihn, daß er ihm die Lippen aufbiß. – Der Bube war doch fromm? Nicht? – Nun, so mag er für mich bitten! – Aber, ach, nun hab ich keinen Sohn mehr! habe keine Freunde mehr im Alter! Ach, nun möcht ich sterben, weil er todt ist! – Du lieber, todter Sohn! Eine Hure hat dir deines Vaters Herz gestohlen! Und du bist gestorben; konntests länger nicht mehr ansehn! Sags deiner Mutter nicht, Karl! Um Gottes [646] willen nicht! – Ach, daß du so früh gestorben bist! Die Hure soll mirs büssen! – Siehst wie deine Mutter aus, als sie gestorben war! – Hat er mich gesegnet, Herr? Mein Weib hats auch gethan! Aber kann beym Ehebruch auch Segen wohnen? – Daß du mich gesegnet hast, das hat dich deine Mutter wohl gelehrt; wenn sie mit dir weinte in der Kammer. – Nun sprang er auf: Aber, lieben Herren, sagts der Welt nicht! Ich will selber meine Schande aufdecken! – Lieber Karl! Ich kann dich nicht mehr ansehn. Es ist gar zu fürchterlich! –

Indem kam der Arzt herein mit Boling. Der Vater gieng in einen Winkel, sah beständig starr auf einen Platz, und schwieg, solang der Arzt da war. – Nachher sagte er zu Kronhelm: Lassen Sie meinen Karl begraben! Ich kann nichts thun.

Kronhelm machte Anstalten, daß sein Freund in zwey Tagen begraben wurde. Der Vater verschloß sich gröstentheils auf dem Zimmer seines Sohnes, und ließ sich nur von Siegwart und von Kronhelm sprechen. Sie musten ihm seine ganze Geschichte erzählen. Er hörte stillschweigend, und mit niedergeschlagnen Augen zu. Nur zuweilen seufzte [647] er tief auf, oder klagte sich selber, wegen seines Betragens gegen ihn, an. Ich vermuthete, sagte er, daß ihn etwas anders auf der Universität zurückhielte, so wie mirs ehemals gieng. Wenn man schlechte Streiche macht, so vermuthet man sie bey andern auch. An eine so heilige und keusche Liebe, wie die gegen Marianen war, dacht' ich gar nicht. War denn gar keine Hofnung da, daß ihn das Mädchen wieder lieben werde? – Wenig, oder keine; antwortete Kronhelm. Eben jetzt sagte mir Boling, sie werd' einen hiesigen Assessor heyrathen. – Siegwart wurde über diese Nachricht plötzlich blaß, und lief weg. Zu Haus sank er in einen Stuhl, blieb eine Stunde lang so sitzen, seufzte, weinte; und verwünschte sein Geschick.

Den andern Tag wurde Gutfried begraben. Der Vater gieng stumm hinter dem Sarge drein. Es folgten die Freunde seines Sohnes; alle voll tiefen Grams. Siegwart war am meisten bewegt. Der Gedanke an den Verlust eines solchen Freundes, und der Gedanke an sein eignes trübes Schicksal zerfloß in seiner Seele in einen einzigen, und lag schwer auf ihm. Stumm und starr sah er auf den Sarg ins Grab hinab; bittre Thränen flossen [648] drauf, und sein Herz ward voll von dem Wunsch, wie sein Freund zu sterben; denn zuweilen that er, aus seinem kummervollen Leben einen Blick in die Wonne, der sein Freund nun genoß. Den Abend drauf schrieb er aus dem kummervollsten Herzen diese Verse nieder:

An Gutfrieds Begräbnistage.

Würd' ich doch, wie du, begraben!
Sänk' ich auch in Todesnacht!
Zärtlichkeit und Jammer haben
Mich dem Grab' auch reif gemacht.
Deine Leiden sind vorüber,
Ausgeweinet hat dein Blick;
Aber trauriger und trüber
Wird mir jeder Augenblick.
Stimmet keine Trauerlieder
Auf des Freundes Hügel an!
Segnet sein Geschick, ihr Brüder!
Er betrat des Lebens Bahn.
Wißt: Der schönste Tag des Lebens
Ist der nächste an der Gruft.
Ach, daß doch mein Wunsch vergebens
Ihn, herbeyzueilen, ruft!

[649] Kronhelm hielt den Kummer seines Freundes für Schmerz über Gutfrieds Tod, und vereinte sich mit ihm zu klagen. Den nächsten Sonntag sah Siegwart seine Mariane in der Kirche. Sie grüßte ihn freundlich, und sah heiter aus. Er hielt diese Heiterkeit für Freude über ihre nahe Verbindung, und ward darüber noch unruhiger, und trauriger. Im nächsten Konzert merkte er wohl, daß sie ihn sehr fleissig beobachtete, aber seine Furcht ließ ihn auf nichts vortheilhaftes schliessen. Sie sang eine obligate Arie, und bat Kronhelm, ihr dabey zu akkompagniren. Dieß brachte ihn noch mehr auf, und erfüllte ihn mit dem bängsten Schmerz. Der halbverborgene Funken von Eifersucht glimmte wieder frisch in ihm auf. Seine Vernunft mochte ihm sagen, was sie wollte; sein Herz stritt dagegen. Er merkte kaum auf ihren himmlischen Gesang, und fühlte nichts von der herzschmelzenden Zärtlichkeit, mit der sie sang. Indem er so, von tausend kämpfenden Leidenschaften bestürmt, in einem Winkel stand, und nicht bemerkte, daß die Arie ausgesungen war, trat Mariane zu ihm, und bat, er möchte ihr bey einer zweyten Arie akkompagniren. Er stund da, wie vom Grab erweckt, in der staunendsten Bewegung; [650] neigte sich gegen sie, und nahm zitternd seine Violine. Seine Töne rangen mit den ihrigen um den Vorrang des Ausdrucks; endlich strömten sie in einander, wie die Empfindung zwoer Seelen, die sich nun zum erstenmal ihr Gefühl entdecken, und es ganz in Seufzer und in Worte ausfliessen lassen. Als er ausgespielt hatte, verneigte sie sich tief vor ihm, mit einem Lächeln und einem Ausdruck ihres Auges, der durch sein ganzes Wesen eine, nie gefühlte Wärme ausgoß. In dem Augenblick vergaß er aller Zweifel, aller Schwierigkeiten; sie war ganz sein. Es fühlt' er wohl, und wust' es nicht, wie Klopstock sagt.

Sie bat ihn nun im nächsten Konzert ein Duett mit ihr zu singen. Er stotterte was her: Er sey im Singen so geübt nicht, um mit ihr zu singen u.s.w. Sie sagte aber: Sie wisse, durch Herrn von Kronhelm, schon das Gegentheil, und rief Kronhelm selbst zum Zeugen auf. Dieser versicherte, daß sein Freund nur aus übergrosser Bescheidenheit so rede. Drauf sprachen sie von Gutfried. Mariane bedaurte seinen Tod mit dem herzlichsten Antheil, so daß unserm Siegwart die Thränen in die Augen schossen. Tausend Empfindungen drängten sich in seiner Seele. Gutfried, sagte sie, hatte [651] sehr viel Gutes, viel Empfindung, und das ist das Beste. Seine Freundschaft war mir werth und schätzbar. Ich hätt ihm ein längeres Leben gewünscht. Doch nun ist ihm auch wohl. Hier wandte sie sich auf die Seite, um sich eine Thräne aus dem Auge zu wischen. Unsre beyden Jünglinge sahn sich an, und weinten auch. Voll seiner heftigen Liebe gegen sie schien sie nichts gemerkt zu haben. Dieß rührte unsern Siegwart noch mehr. Die Hofrath Fischern stellte sich auch zu ihnen, und besprach sich, besonders mit Siegwart, über Gutfrieds Tod. Mariane sprach indessen mit Kronhelm, und sah mehrmals unsern Siegwart seitwärts sehr bedeutend an. Sein Herz ward ihm durch jeden solcher Blicke sehr erleichtert, und Hofnung nahm die Stelle der Furcht ein. Kronhelm hub zu Hause an: Hör! Xaver, Mariane will den Geßner lesen, und ich hab ihn nicht, willst du mir ihn wohl für sie leihen?

Siegwart. O von Herzen gerne! Sie kann alle Bücher von mir haben.

Kronhelm. Nun, das heiss' ich mir einmal vernünftig gesprochen! Nicht wahr, du gibst mir nun auch zu, daß die Fischerin ein vortrefliches Mädchen ist! Sie gefällt dir doch?

[652] Siegwart. Ich habe nie nichts gegen sie gehabt; warum sollte sie mir nicht gefallen, wie ein andres braves Mädchen auch?

Kronhelm. Also mehr gefällt sie dir doch nicht? Was du nicht geheimnißvoll seyn kannst!

Siegwart. Geheimnißvoll, Kronhelm? Ich weis gar nicht, was das heissen soll?

Kronhelm. Gut, so weis ichs auch nicht! Ich dachte nur, daß ich dir niemals Ursache gegeben habe, gegen mich so zurückhaltend zu seyn, da ichs doch nicht gegen dich bin. Und in dieser Sache könnt ich dir vielleicht mehr nützen, als schaden. Aber, glaub ja nicht, daß ich neugierig bin, oder jemand seine Heimlichkeiten abdringen will. Sieh, dieß Blatt Papier hast du gestern, als du deine Brieftasche durchsuchtest, bey mir auf dem Tische liegen lassen. Die Verse sind wohl an Marianen? Sie hat doch wohl Klavier gespielt, als du bey Gutfried wachtest?

Siegwart zitterte, ward roth und blaß, und fiel endlich seinem Kronhelm um den Hals. Du hast Recht, sagte er, ich war ein mistrauischer Narr, der so einen Freund, wie du bist, nicht verdient! Aber, Kronhelm, wenn du in mein Herz sehen könntest; wenn du wüstest, was ich ausgestanden [653] habe, daß ich schweigen muste! Denn ich muste schweigen. – O ich weis, du würdest mir vergeben. – Du kennst die Liebe, Kronhelm! Weist, wie's einem ist. Ach, vergib mir, Bruder! Warlich, wenn ichs Einem Menschen hätte sagen können, du wärst der erste auf der Welt gewesen; warlich! –

Kronhelm. Sey ruhig, Bruder! Ich war böse, und das must du mir vergeben! Aber jetzt ists schon vorbey. Ich will glauben, daß du mehr um deinetwillen schweigest, als um meinetwillen. Laß es gut seyn! Ich wills auch thun. Freunde müssen sich so was nicht übel nehmen!

Siegwart umarmte seinen Freund noch feuriger, und gestund ihm nun seine Liebe zu Marianen offenherzig. Es war ihm unaussprechlich wohl dabey, daß er sein, schon so lang geprestes, volles Herz ausschütten konnte. Kronhelm billigte seine Wahl aufs äusserste, und machte ihm nicht geringe Hofnung, daß er Marianen gar nicht gleichgültig sey. Zugleich versprach er, sie noch mehr auszuholen, und ihm Gelegenheiten zu verschaffen, genauer mit ihr bekannt zu werden. Dieß Versprechen war unserm Siegwart ausserordentlich angenehm, nur bat er, seiner angebohrnen Schüchternheit [654] gemäß, seinen Kronhelm sehr, recht behutsam drein zu gehen, und sich und ihn auf keine Weise zu verrathen. Zu seiner grösten Freude erfuhr er auch, daß ihre Verbindung mit dem Assessor eine falsche Nachricht sey, und sich bloß auf einen Misverstand von Bolings Seite gegründet habe. –

Die beyden Freunde verlohren sich nun in süsse Träumereyen über das künftige Glück ihrer Liebe; Kronhelm sprach von seiner Therese, und Siegwart von seiner Mariane mit dem wärmsten Enthusiasmus. Jeder lobte das Mädchen des andern mit Begeisterung, um eben solches Lob auf das seinige zu hören. Sie blieben bis um Mitternacht beysammen, und konnten sich kaum trennen; denn immer fiel, bald dem einen, bald dem andern etwas neues ein. Kronhelm meynte, Siegwart sollte Theresen etwas von seiner Liebe schreiben, aber Siegwart wollte sich dazu schlechterdings nicht verstehen, denn er war in diesem Punkt übermässig furchtsam und zurückhaltend, und zärtlich.

Täglich sprachen sie nun ganze Stunden lang von ihrer beyderseitigen Liebe. Siegwart sah nun ein, wie unrecht er seinem Freund mit seiner ungegründeten Eifersucht gethan habe, und ward täglich [655] offenherziger. Er entdeckte ihm so gar seine ehemaligen Grillen, und auch Sophiens unglückliche Liebe zu ihm. Sie machten mit einander aus, so bald wieder ein Schnee fiele, eine Schlittenfahrt und einen Ball anzustellen, wobey Siegwart seine Mariane bedienen sollte. Dieser machte zwar anfangs tausenderley Einwendungen, die ihm seine Schüchternheit eingab, aber Kronhelm zerstreute seine Zweifel und ängstliche Bedenklichkeiten.

Den nächsten Sonntag gieng Kronhelm mit Siegwart in die Kirche, und wollte in Marianens Blicken und Betragen viele Theilnehmung an Siegwarts Person bemerkt haben. Siegwart machte ihm tausend Einwürfe, um sie nur widerlegt zu sehen. Im folgenden Konzert sang er mit Marianen das Duett zum Erstaunen aller Zuhörer. Ihre Stimmen waren wie das Lispeln der Liebe; stiegen mit einander in den Himmel, und wieder mit einander in das Grab herab, und klagten. Jedes Herz fühlte Zärtlichkeit und Liebe, doch das ihrige am meisten. Man hätte wenig scharfsinnig seyn dürfen um zu hören und zu fühlen, daß weit mehr aus ihnen sang, als Kunst. Bey einem Triller sah sie unsern Siegwart so schmachtend und beweglich an, daß ihm Thränen in die Augen kamen,[656] und sein Herz im seligsten Gefühl schwamm. Die ganze Gesellschaft klatschte noch so lang, als sonst gewöhnlich, als die beyden ausgesungen hatten. Sie lobte seinen richtigen Gesang und seinen tiefen Ausdruck mehr mit Blicken, als mit Worten. Wir müssen öfter singen, sagte sie. Ich sang noch nie mit solchem Eifer und mit solchem Antheil. Ich gewiß auch nie! sagte Siegwart, und seufzte. – Kronhelm kam dazu, und sagte: Hab ich nicht Recht, Jungfer Fischerin, daß er gut singt? – O, sie haben mir nicht halb so viel gesagt, war ihre Antwort. Herr Siegwart singt ausserordentlich. Endlich ward das Gespräch, durch andre, die dazu kamen, allgemeiner.

Siegwart war nun so froh, daß er alles um sich her vergaß. Er glaubte nun selber, daß ihn Mariane liebe, und wünschte nur bald Gelegenheit, sie allein zu sprechen, und ihr sein Herz ganz entdecken zu können! Beym Weggehen, als er von ihr Abschied nahm, sah sie ihn mit dem zärtlichsten schmachtendsten Blick, in dem eine Thräne schwamm, an. Zu Haus machte er sogleich in seiner Freude folgendes Gedicht:

[657]

Der Blick der Liebe.

War das nicht ein Blick der Liebe.
Der aus ihrem Auge sprach?
Sah es nicht bethränt, und trübe
Mir mit stiller Sehnsucht nach?
Ja, bey Gott! Sie muß es wissen,
Daß ich so verwundet bin;
Muß, von Mitleid hingerissen,
Auch für mich im Stillen glühn! –
O ihr Liebesengel, rühret
Euch das Flehn des Leidenden,
O so steigt herab, und führet,
Mich zu meiner Heiligen!
Daß ich ihr zu Füssen sinke,
Meine Leiden ihr gesteh,
Und durch Einen ihrer Winke
Mich zu euch erhoben seh!

Mit diesem Gedichte gieng er gleich zu seinem Kronhelm, der damit zufrieden war, und sagte: Die Zeit, die du dir in diesen Versen wünschest, kann bald kommen. Sie liebt dich, daran zweifle ich gar nicht mehr; und bey der ersten Schlittenfahrt [658] sollst du mit ihr fahren, und den Abend drauf beym Ball kannst du ihr dein Herz entdecken. – Siegwart war über diese Hofnung und das Versprechen seines Freundes ganz ausser sich. Er gieng nun täglich mehr als zwanzigmal zu seinem Barometer, ob der Merkurius drinn noch nicht falle, und Schnee verkündige? Er blickte immer nach dem Himmel, ob noch kein Gewölk sich aufziehe? und freute sich über jedes aufsteigendes Wölkchen, das ihm Schnee zu tragen schien.

Endlich umzog sich am Sonnabend der Himmel ganz, und in der Nacht drauf fiel ein tiefer Schnee. Als er am Sonntag Morgens aufwachte, und alles weiß sah, da wars ihm so wohl, als ob der Frühling angebrochen wäre.

Auf den folgenden Tag ward sogleich eine Schlittenfahrt fest gesetzt. Kronhelm gieng zu Marianen und ihren Eltern, um anzuhalten, ob Siegwart sie fahren dürfe? Denn dieser war zu furchtsam, um selbst anzuhalten. Mariane, nebst ihren Eltern, willigten mit Freuden in den Antrag. Siegwart, dem sein Freund diese Nachricht brachte, war darüber ganz ausser sich. Doch klopfte ihm das Herz, je näher die Zeit kam, da er Marianen abholen sollte. Er wünschte oft den so sehnlich erseufzten [659] Augenblick weit weg, und zögerte, als die Stunde kam, mit dem Schlitten vor ihr Haus zu fahren. Endlich muste er doch hinfahren. Zitternd gieng er die Treppe hinauf in ihr Zimmer; machte vor ihr und ihren Eltern eine tiefe Verbeugung, und tausend Entschuldigungen, die man aber nicht verstehen konnte, so leise und verwirrt sprach er. Der Hofrath Fischer und seine Frau waren gegen ihn sehr höflich, und Mariane that gegen ihn sehr offenherzig und freundlich. Mit bangem Zittern ergriff er ihre Hand, und führte sie die Treppe hinunter. In der freyen Luft ward ihm wieder wohl, und er fuhr zu der übrigen Gesellschaft. Mariane sagte ihm im Fahren: Es sey ihr sehr angenehm, in seiner Gesellschaft zu seyn. Er stotterte: Ihm seys noch angenehmer, und er habe sich schon lange dieses Vergnügen gewünscht etc. Nachdem die Gesellschaft in der Stadt herum gefahren war, so fuhr man auf ein benachbartes Dorf. Siegwart wuste nichts zu sprechen; er lobte nur das Wetter, und die angenehme Wintergegend, und freute sich, daß ein so schöner Schnee gefallen sey. Es ärgerte ihn, daß er so den Stummen spielen sollte; er besann sich hin und her, was er sagen wollte? Es fiel ihm nichts ein, und doch war ihm das Herz [660] so voll. Endlich kam er aufs Konzert zu sprechen. Er fühlte, daß sein Gespräch kalt und gleichgültig sey; er wollte was anders anfangen, und unterhielt sich doch davon ganz allein mit ihr, bis sie an das bestimmte Dorf kamen. Hier blieben sie nur eine kleine Stunde, und bedienten das Frauenzimmer mit Kaffee. Die Studenten trunken ein Glas Wein. Dieses machte, daß Siegwart auf der Rückfahrt etwas minder schüchtern war. Er führte seine Mariane an den Schlitten, und wagte es, ein paarmal ihr die Hand zu drücken. Sie sah ihn an, und lächelte mit einer Wehmuth, die schnell, wie ein Blitz, in seine Seele übergieng, und ihn die Augen niederzuschlagen zwang. Der Abend war der schönste. Die ganze Gegend war ins weisse schweigende Gewand des Winters eingehüllt, und stimmte die Seele zum wehmüthigfeyerlichen. Die Sonne gieng, wie das reinste, durchsichtigste Gold am Horizont hinab, und breitete am Himmel eine unbeschreibliche Heiterkeit aus. Als sie, am schwarzen Wald hinab, tiefer in die Dünste sank, ward sie blutroth, und färbte durch ihren Wiederschein den halben Himmel mit Violet und Rosenroth. Marianens Gesicht glänzte in dem sanften Wiederschein des Himmels. [661] Ihre Miene war voll Heiterkeit, und ihr helles braunes Auge voll süsser Wehmuth. Ein paarmal sah sie sich nach Siegwart um, der, in ihrem Anschaun ganz versunken, fast vergaß, sein Pferd zu lenken. Alles war ihm so feyerlich; die ganze Flur umher schien ihm ein Tempel. Ein paarmal sah er gen Himmel, und sein Blick, und die Thräne drinn, ward ein Gebeth um Marianens Liebe. Anfangs sprach er wenig. Nur zuweilen rief er aus: Was das doch alles schön ist! Sehn Sie dort am Schloß die Fenster! Wie sie glänzen, als obs Gold wär! Sehn Sie das herrliche, überherrliche Abendroth! Und die Waldung dort im Golde! Und das Dunkel dort am Berg! Und die Stille! O, der schönste Tag in meinem Leben! – Kronhelm, der vor ihm fuhr, und sich ein paarmal nach ihm umsah, merkte ihm die Freude an, wie sie ihm aus den Augen blitzte, und in jeglichem Gesichtszuge sich ausdrückte. Er freute sich im Innersten darüber, und sah ihn mit einem vielbedeutenden Lächeln an.

In der Stadt fuhr die Gesellschaft noch einmal die Hauptstrassen durch, und dann nach dem Hause, wo der Ball gehalten wurde. Mariane ließ sich erst nach Hause führen, um sich umzukleiden. [662] Siegwart führte den Schlitten weg, und eilte auch nach Haus, um ein andres Kleid, und seidne Strümpfe anzulegen. Er war vor Freuden über Marianens Betragen ganz ausser sich, hüpfte hin und her, sang laut, und sprach mit sich selber. Als Kronhelm, der sein Frauenzimmer auch nach Haus geführt hatte, kam; sprang er ihm entgegen, drückte ihn fest an sich, daß er hätte schreyen mögen, und frohlockte gegen ihn über sein Glück und über seine Mariane. Bruder, Bruder! sagte er, das ist ein Engel, wie es keinen gibt! Nun fang ich erst recht zu leben an. Vorher war es alles nichts! Wenn sie so bleibt, so bin ich ganz im Himmel! Meynst du nicht, sie sey mir gut? – Ganz unstreitig, sagte Kronhelm! O die Liebe läst sich gar nicht lang verbergen, zumal vor einem Liebenden. Mach deine Sachen nun klug! Sey nicht allzuschüchtern! Sie muß es merken, was du für sie fühlst! Siegwart machte wieder einige Einwendungen: Sie könn' es übel nehmen, und ihm böse werden, wenn er so gerade zu geh, u.s.w. Kronhelm aber fiel ihm in die Rede; Da kennst du die Mädchen schlecht, wenn du glaubst, sie nehmen so etwas übel. Warum sollten sies auch thun? Es schmeichelt ihnen ja, und muß sie freuen, wenn [663] ein braver Kerl sie ins Auge fast. Du nimmst's ja auch nicht übel, wenn du einem Mädchen wohlgefällst, zumal wenns von Liebe von der rechten Art herkommt. Fang nur keine Grillen! Das ist bey der Liebe, und zumal im Anfang so gewöhnlich. Wenn du Marianen, wie ich glaube, wirklich wohlgefällst, so kann ihr dein Geständniß nicht misfallen. Wart nur den rechten Zeitpunkt ab, und sprich mit ihr aus dem Herzen!

Siegwart versprach, zu thun, was er könnte, und gieng nun, Marianen zum Ball abzuholen. Er gieng aufs Wohnzimmer, wo ihre Eltern waren, die ihm beyderseits sehr höflich begegneten. Die Mutter that besonders ausserordentlich freundschaftlich, und bat ihn, sie und ihren Mann und ihre Tochter zuweilen am Abend zu besuchen. Wenn Sie den Herrn von Kronhelm mitbringen, und mein Joseph (so hieß Marianens jüngster Bruder, der auch im Zimmer war) zu Haus ist, so können Sie, wenn es Ihnen gefällig ist, zuweilen ein kleines Privatkonzert machen. Siegwart nahm den Antrag mit Freuden und einer tiefen Verbeugung an. Der Hofrath Fischer sagte eben dieses, und war überhaupt ungewöhnlich höflich, erkundigte sich sehr sorgfältig nach seinem Vater, trug [664] ihm ein höfliches Kompliment an ihn auf, und bedaurte, daß er noch nicht Zeit gehabt, selbst an ihn zu schreiben. Marianens Bruder, Joseph, war so höflich nicht; er ärgerte sich, daß seine Eltern dem Siegwart, seines Violinspielens wegen, so höflich begegneten; Er hielt es für eine Verachtung seiner selbst, und hatte es noch nicht vergessen, daß Siegwart einmal im Koncert ihn mit seinem Spiel so verdunkelt hatte. Daher sprach er sehr wenig mit Siegwart, blickte stolz auf ihn herab, und ließ allerley spöttische und zweydeutige Reden fallen. Siegwart merkte es, that aber doch sehr freundschaftlich gegen ihn, und gab sich Mühe, ihm eine günstigere Gesinnung gegen sich einzuflössen. Der Bruder sagte Marianen, es werde nicht gut stehen, wenn sie wieder so spät nach Hause komme, wie das letztemal; Man spreche von solchen Mädchen nicht zum Besten, u.s.w. Mariane, die mit ihrem Anzug beschäftigt war, that, als ob sie seine Hofmeisterey nicht hörte.

Als sie fertig war, gieng sie mit Siegwart nach dem Ball. Auf dem Weg dahin beschwerte sie sich über ihren Bruder. Es ist ein fataler [665] Mensch, sagte sie, dem man nichts recht machen kann; er will alles besser wissen. Sie wissen sich gut in ihn zu schicken, und das gefällt mir, u.s.w. Siegwart war über ihre Offenherzigkeit ganz bezaubert, und zog tausend günstige Schlüsse daraus.

Als sie auf den Tanzsaal kamen, ward alles auf Marianen aufmerksam. Sie hatte ein Kleid von rosenrothem Tafft an, und glich in ihrer Heiterkeit und der frischen Gesichtsfarbe der Göttin der Morgenröthe. Kronhelm hatte an der Tafel schon einen Platz für sie neben sich belegt. Noch vor dem Essen muste Siegwart eine Menuet mit ihr tanzen. Anfangs zitterte er, und machte fast alle Schritte falsch. Nach und nach kam er in den Gang, und tanzte recht zierlich. Alle ihre Bewegungen hatten die gröste Leichtigkeit und Ungezwungenheit, und den schönsten Anstand. Sie tanzte nicht ängstlich nach dem Takte, sondern mit Empfindung und Gefühl, und machte viele Abänderungen. Sie sah unserm Siegwart immer ins Gesicht, so daß er oft die Blicke wegwenden, oder niederschlagen muste. Bey Tisch ward die Gesellschaft aufgeräumt und munter. Man sprach viel ins Allgemeine. Das Mädchen, das Kronhelm bediente, war eine lustige, etwas vorlaute [666] Brünette, die sehr oft zur Unzeit ihren Spaß anbrachte. Sie wollte immer aller Augen, und die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft auf sich ziehen. Endlich ließ sie sich doch mit Dahlmund, der ihr auf der andern Seite saß, und nicht gleichgültig gegen sie zu seyn schien, allein in ein Gespräch ein. Kronhelm unterhielt sich nun mit Marianen, und mit Siegwart, der im Taumel seiner Liebe nicht wuste, was er anfangen, oder reden sollte? Kronhelm sah eine Zeitlang starr und traurig vor sich hin, holte einen tiefen Seufzer, grif endlich hastig nach dem Glas, stieß an Siegwarts seines, und sagte: Therese! O, das trink ich auch mit, sagte Mariane, und stieß mit den beyden an. Kennen Sie sie auch? sagte Siegwart. O ja, gab sie zur Antwort: Herr von Kronhelm hat mir viel von ihr erzählt. Ists noch immer bey dem Alten? (indem sie sich zu Kronhelm wendete). Immer noch, erwiederte dieser, mit einem tiefen Seufzer. – Das ist traurig, sagte sie. Und Sie verdienten doch, so glücklich zu seyn, und Therese gewiß auch. Ihr Schicksal hat mich schon manchen Seufzer gekostet. Hier schossen unserm Kronhelm die Thränen in die Augen. Sie müssen eine [667] herrliche Schwester haben, sagte sie zu Siegwart. Was ich von ihr hörte, hat mich ganz für sie eingenommen. Ich wünschte nichts mehr, als sie von Person zu kennen. – Ja, es ist ein braves Mädchen, versetzte Siegwart, und es wär ein Glück für sie, mit Ihnen bekannt zu seyn. Ich liebe sie herzlich, und ihr Schicksal geht mir tief zu Herzen, denn es ist gewiß sehr traurig. Die Liebe hat sie ganz unglücklich gemacht. – Ich hoff immer noch, es soll ein gutes Ende nehmen; sagte Mariane. Herr von Kronhelm verdient sie gar zu sehr, und würde sie gewiß glücklich machen. Wenn Sie nur Geduld haben können, Herr von Kronhelm! Ich habe Ahndungen – Wollte Gott! sie träfen ein! sagte dieser seufzend, nahm ein Glas, sah gen Himmel und trank. Wir wollens auch mit trinken, sagte sie zu Siegwart, und sah ihn mit einem sehr bedeutenden Blick an, den sein Herz verstand. Er hub sein feuchtes Auge gen Himmel, und trank. Nun ist mirs um ein gutes leichter, sagte Kronhelm.

Es war jetzt abgespeist, und ein Paar fieng an zu tanzen. Siegwart tanzte auch mit Marianen. Er merkte wieder, daß sie ihm immer in die Augen sah. Nachher gab er Acht, als ein andrer [668] mit ihr tanzte, ob sie diesem auch so scharf ins Gesicht sehe? und zu seiner grösten Freude fand er das Gegentheil. Nachher ward ein Gesellschaftstanz mit der Promenade und der Chaine gemacht. Siegwart hatte Marianen zur Tänzerinn. So oft er sie bey der Hand faste, fand er, zu seiner grösten Freude, daß sie ihm die Hand weit stärker drücke, als die übrigen Mädchen; er freute sich, so oft er ihr nahe kam, und bey jedem ihrer Händedrücke durchschauerte ihn die angenehmste, unbeschreiblichste Empfindung. Ihr Auge sah ihn oft auch bedeutend an, und ihre Blicke hatten eine Sprache, die mehr ausdrückte, als tausend Worte. Er war immer da, wo sie war. Sein Auge merkte sie aus zwanzigen heraus, und fand sie, wenn sie auch am äussersten Ende des Saals stand. Mit andern Mädchen tanzte er wenig; er stand immer da, wo seine Mariane tanzte. Einmal bemerkte er einen Menschen, der oft, und immer lang mit ihr tanzte. Er ward darüber unruhig, biß sich auf die Lippen und tanzte. Mit hingesenktem, trübem Blick stand er in einer Ecke des Saals; alles war um ihn her verschwunden; er sah und hörte nichts. Mariane kam, ohne daß ers merkte, von der Seite auf ihn zu, nahm[669] ihn bey der Hand, sah ihn halblächelnd an, und sagte: Sie sind ja so traurig und so nachdenklich? Wollen Sie nicht mit mir tanzen? Ich kann den Menschen dort im grünen Kleid gar nicht los werden, und das ist mir so verdrüßlich. Kommen Sie! Ein Schleifer! (So heist der eigentlich schwäbische Tanz) Siegwart küßte ihr im feurigen Entzücken die Hand, und hüpfte mit ihr in den Reihen. Sie tanzte herrlich schwäbisch. Alle Paare wurden müd, und hörten auf. Aber das liebe Paar tanzte noch eine halbe Viertelstunde allein, und die andern sahen bewundernd, oder neidisch zu. – So ists eine Freude, sagte sie, indem sie den Tanz schlossen. Sie tanzen so rasch und so leicht weg, daß man glaubt, man fliege. Er führte sie an eine Seitenbank, und stand vor ihr. Sie sind doch warm geworden, sagte sie, und kühlte ihm mit dem Fächer das Gesicht. Er nahm den Fächer, und kühlte damit sie und sich. Sie sah nach ihm auf, wie eine Heilige zum Himmel. Er nahm ihre Hand, und wendete das Gesicht weg, denn sein Auge glänzte. Sie drückte ihm die Hand; er küste sie. Reden konnt' er nicht, ob er gleich sich hin und her besann, was er sagen wolle. Das ist ein herrlicher Tag! fieng er endlich [670] an. Sind Sie auch vergnügt? – Wie sollt ich nicht? war ihre Antwort, und ihr Auge sagte noch mehr. Setzen Sie sich doch! fuhr sie fort; Sie werden müde seyn. Er setzte sich, ob er gleich lieber so vor ihr gestanden wäre. Ich habe lange schon gewünscht – fieng er an, und faste sie bey der Hand. Indem kam ein Student, und zog sie zum Tanz auf. Er blieb unbeweglich sitzen, und ließ sie von sich. Mit schmachtendem, und halbaufgeschlagenem Auge sah er das herrliche Mädchen vor sich herumtanzen. Sein Auge folgte ihr, wohin sie sich wendete. Kronhelm kam, und setzte sich neben ihn. Wie ist dir, Bruder? Du bist doch vergnügt? Siehst so schmachtend aus, als ob du sterben wolltest. Nicht wahr? Mariane ist dir hold? Ich weis nicht, antwortete Siegwart; Sie hat nichts gesagt. – Ey, das glaub ich, antwortete Kronhelm; seit wann fangen denn die Mädchen an, Liebeserklärungen zu machen? Hast du denn ihr Auge nicht gesehen, wie es spricht? Trink Wein, Bruder! Ein Gläschen kann nicht schaden, wenn du selber keinen Muth hast. Du must heute weiter kommen! – Ach, ich kann nicht! sagte Siegwart. – Ey, was, Possen? fiel ihm Kronhelm ein, nahm ihn bey der Hand, und führte [671] ihn zum Tisch hin. Marianens Wohlseyn! sagte er, indem er zwey Gläser eingeschenkt hatte: und Theresens! Was mag nur der Engel machen? Wenn sie mich nur nicht vergißt! – Nein, gewiß nicht, Bruder! sagte Siegwart. Wäre Mariane so gewiß mein, als sie dein ist, ich wünschte weiter nichts mehr! Nun, auf gute Hofnung! und hier füllte er die Gläser wieder. Schwager, sagte Kronhelm, wenn sie mein wird, so soll Mariane dein seyn! Eher kann ich nicht ruhen. Wart! Jetzt will ich mit ihr tanzen. Sie ist eben frey. Werd mir nur nicht eifersüchtig! Siegwart sah ihm nach, und trank noch ein Glas. Dahlmund kam, und fragte ihn, ob er nicht mit ihm und Kronhelm eine Menuet a six machen wolle? Siegwart nahm das erste beste Mädchen, und sprang hin. Mariane drückte ihm allemal die Hand, wenn er sie hinauf führte. Er drückte die ihrige wieder, und sah in seinem Sinn so stolz umher, als ob ihm die ganze Welt gehörte. Sie machten eben diesen Tanz auch deutsch, und giengen dann an den Tisch. – Darf ich würklich zuweilen in Ihr Haus kommen? fragte Siegwart Marianen. O Sie müssen kommen! antwortete diese. Halten Sie ja bald Wort! Ich hätt es lange schon gewünscht; [672] aber es wollte sich nicht schicken. Kommen Sie doch ja bald! – Lieber Engel! sagte Siegwart gantz ausser sich, und küßte ihr die Hand. – Ich habe noch den Geßner von Ihnen, sagte sie, nach einiger Zeit; in drey oder vier Tagen sollen Sie ihn haben. Ich habe viel herrliches drinn gefunden. Besonders hat mir sein Daphnis wohl gefallen. Unschuld und Liebe, wenn man die so wahr geschildert sieht, da geht einem das Herz auf. Es ist einem so wohl, daß man gleich ein Schäfer werden möchte. Ich habe solche Gemählde gern, wenn sie gleich mehr schöne Träume, als Würklichkeiten darstellen. Man sieht doch, was die Menschen seyn könnten, und fühlt sich dabey. Ich würde gern recht viel solche Bücher lesen, aber ich behalte sie immer so lang zurück, denn mein Bruder fängt sogleich an zu schmälen, wenn ich etwas lese, und da thu ichs nur, wenn er nicht zu Haus ist. Wenn Sie wieder einmal ein Buch eine Zeitlang entbehren können, so wollt ich Sie wohl darum bitten. Siegwart war über diese Bitte sehr erfreut: und versprach, ihr alle Bücher zu geben, die er von der Art hätte. Dann fragte sie mit vielem Antheil nach Theresen, und war bey seinen Erzählungen von ihr sehr aufmerksam. Das wär ein Frauenzimmer [673] für mein Herz, sagte sie, hier kann ich keine solche Freundin finden. Meine Vertrauteste ist jetzt aufs Land verheirathet, und da leb ich so in der Einsamkeit; und das ist mir manchesmal sehr traurig. Wenn ich nicht noch meine Mutter hätte, so wär ich hier sehr ungern, aber sie ersetzt mir alle Bedürfnisse.

Nachdem die Frauenzimmer mit Kaffee und fremdem Wein bedient waren, wurde noch einmal deutsch getanzt. Endlich sagte Mariane, nun muß ich doch wol nach Haus, mein Bruder macht sonst morgen grossen Lärm. Es schien unserm Siegwart noch viel zu früh zu seyn, aber er wagte es doch nicht, sie länger aufzuhalten. – Wie doch die Zeit so schnell verfliegt! sagte er. Mir ists, als ob wir erst eine Stunde da wären. – Mir ists auch so, sagte sie, und drückte ihm sanft die Hand. Ich bin noch nie so vergnügt gewesen, wie heute. – Möcht' ich doch auch etwas dazu beygetragen haben! sagte er schmachtend. – Vieles, vieles! sagte sie mit tiefem Ausdruck. Er ward wie von einer unsichtbaren Gewalt hingerissen, und küßte sie auf den Mund. Sie hielt willig still. In dem Augenblick fühlte er sich über alles erhaben. Welt und alles schwand vor seinen Blicken. Der [674] fatale Mensch, der schon mehrmals mit ihr getanzt hatte, wollte sie wieder aufziehen. Ich tanze mit Herrn Siegwart, sagte sie, sah ihn zärtlich an, und drückte ihm die Hand. Er stürmte mit ihr in den Reihen hinein, flog mit ihr herum, als ob ihn Wolken trügen. Alle andre hörten auf, und sahn unserm Paar verwundernd zu. Hier und da ward ein Gelipsel: Da wird wohl ein Liebeshandel draus werden; die sind immer bey einander, u.s.w. Endlich tanzte man den Kehraus, den Mariane und Siegwart anführten, und die Gesellschaft gieng gröstentheils auseinander.

Auf dem Heimweg küste Siegwart seine Mariane noch ein paarmal. Sie war ausserordentlich vergnügt über diesen Abend, dankte ihm für das viele Vergnügen, das er ihr gemacht hätte; freute sich, mit ihm genauer bekannt worden zu seyn, und bat ihn, sie nur recht bald zu besuchen. Er wuste vor Entzücken nicht, was er reden sollte? Alle Worte fehlten ihm. Er drückte ihr nur die Hand, und gab ihr noch einmal einen heiligen Kuß zum Abschied.

Als er aus ihrer Strasse kam, hüpfte und sprang er mehr, als daß er gieng. Zu Haus blieb er noch eine halbe Stunde auf; Kronhelm war schon zu [675] Bette gegangen. Alle Begebenheiten des vorigen Tags und des schönsten Abends schwebten in glänzendem Gemisch vor ihm herum. Wenn er sich einen Umstand besonders denken wollte, so fielen ihm zwanzig andre ein. Es war ihm, als ob er ein buntes Tulpenbeet vor sich sähe, deren jede schön ist, aber er konnte keine einzeln betrachten. Sein Geist irrte, wie sin Schmetterling von einer Blume zu der andern. Zuletzt ward ihms vor den Augen dämmerig. Er sah nur noch Farben vor sich. Alle flossen in einander. Mariane war der Hauptgedanke, den er sich unter tausenderley Gestalten dachte. Er wiederholte alle Gespräche, die er mit ihr geführt hatte, und ärgerte sich, daß er so wenig gesprochen hatte. Jetzt, dachte er, jetzt sollte sie da seyn! Jetzt wollt' ich ihr alles sagen, ihr mein ganzes Herz ausschütten, u.s.w.

Im Bette konnte er nicht schlafen. Der Tanz, den er mit ihr zuerst getanzt hatte, schallte ihm immer in den Ohren. Wenn er die Augen zumachte, so war ihms, als ob er mit ihr im Kreis herumflöge, vor ihr stünde, ihr ins Auge blickte, und sie bey der Hand faßte. Aus dem leisesten Schlummer fuhr er wieder auf, denn es dauchte ihm, ein [676] Gelispel, wie Marianens Stimme, flüstr' ihm in die Ohren. Er hielt ganze lange Gespräche mit ihr, streckte seine Hände nach ihr aus, wachte auf, und sah sich getäuscht. Morgens um acht Uhr stand er, fast müder, wieder auf, als er sich niedergelegt hatte, und gieng auf Kronhelms Zimmer. Dieser lachte ihm sogleich entgegen, und wünschte ihm zu Marianens Liebe Glück. Dann nun, sagte er, wirst du doch nicht mehr ungläubig seyn? Sie hat sich zu viel verrathen. – Siegwart sagte ihm, er müste mehr beobachtet haben, als er selbst. – Das hab ich auch, versetzte Kronhelm. Ich bin in dieser Schule länger schon erfahren, und ein Dritter Unpartheyischer sieht immer mehr. Aber, Bruder, du schienest mir so kalt zu seyn. – Kalt? rief Siegwart voll Verwunderung aus. So muß die Sonne auch kalt seyn! Ich weis gar nicht, wie du so reden kannst? Freylich, da hast du Recht, reden konnt ich wenig; oder, wenns was war, so bracht ich dummes Zeug vor. Da hab ich mich schon gnug drüber geärgert. Ich weis nicht, wenn ich so allein bin, da hätt ich ihr tausend Dinge zu sagen; und kaum steh ich vor ihr, da ists, als ob mir aller Sinn genommen wäre. Gestern auf dem Schlitten hätt ich nun nichts reden können, [677] wenn ich mich Stunden lang besonnen hätte. Sie wird mich wol für einen dummen Einfaltspinsel halten – Das gewiß nicht, Bruder! sagte Kronhelm. Die Liebe hat ihre eigne Sprache; das Auge hat da mehr zu thun, als die Zunge. Und Mariane hat dich ganz gewiß verstanden. Man hält alles, was man spricht, für dummes Zeug, weil man fühlt, daß man das noch lang nicht ausdrückt, was das Herz fühlt. Man will lauter Empfindungen und Göttersprüche sprechen, und da ist unsre Sprache viel zu arm dazu. Jedes Wort soll so voll und warm seyn, wie das Herz ist, und das ist unmöglich. Weil man nun doch sprechen will, da kommt man auf allerley entfernte und gleichgültige Dinge, die nichts sagen. Die Empfindung ist einsylbig, oder stumm. Ich habe das bey Theresen oft gefühlt. Waren wir allein, so schwieg ich ganz; und wenn andre da waren, so macht' ich Spaß; das ist noch das Beste. – Mariane hat dich gewiß gefühlt. Wärst du wortreich gewesen, so wärs mit deiner Liebe nichts. Redseligkeit ist Larve der Liebe, nicht die Liebe selbst. – Bruder, sieh! wie die Sonne so hell aufgeht! Ich denke, wir gehen spatzieren. Mit deinen theologischen Kollegien hats nun doch wohl in Ende? [678] – Erinnre mich daran nicht! sagte Siegwart. Aber, zieh dich nur an! Wir wollen spatzieren gehen.

Sie giengen mit einander aus. Als sie an die Strasse kamen, wo man nach Marianens Haus hinauf geht, da stellte sich Kronhelm an, als ob er in eine Seitenstrasse gehen wollte. Siegwart sah ihn halb bittend an. Er lächelte, und gieng mit ihm bey Marianens Haus vorbey. Sie sah erst auf der Einen, und dann auf der andern Seite des Hauses aus dem Fenster, und grüste unsre beyden Jünglinge sehr freundlich. Siegwart ward auf Einmal wehmüthig. Wir wollen vor das Thor gehen, sagte er, wo wir gestern gefahren sind. Hier erinnert' er sich an jede Rede, an jede Empfindung wieder, die er gestern hier gehabt hatte. Kronhelm sprach viel von Theresen, und sagte, daß er gestern wieder besonders lebhaft an sie gedacht habe. Er fühle es mit jedem Tage mehr, daß er ohne sie nicht leben könne. Es sey ihm unerträglich, daß er an sie nicht schreiben dürfe, und nicht das geringste von ihr erfahre. Nächstens wollt' er wieder an sie schreiben, es möge daraus kommen, was wolle! u.s.w. Siegwart suchte ihn mit der Vorstellung zu beruhigen, daß Therese ihm gewiß [679] treu bleibe, sie möge schreiben oder nicht. Es könne nur einen neuen Lärm bey seinem Vater abgeben, wenn er den Briefwechsel wieder anfange, u.s.w.

Nun kamen sie auf die Würkungen der Liebe in dem Herzen eines Verliebten zu sprechen. Siegwart sagte: Ich bin, seit ich liebe, ein ganz andrer Mensch. Ich glaubte vorher, gut zu seyn, aber die Liebe hat mich noch weit besser gemacht. Ich bin frömmer, andächtiger, mitleidiger, und duldsamer geworden. Ich bin auf fremdes Elend aufmerksamer, und fühl es tiefer. Wenn ich ein blasses Gesicht, und ein trübes Auge sehe, so vermuth ich sogleich unglückliche oder hoffnungslose Liebe, und nehme an dem Schicksal dieser Person Antheil. Ich würde alles thun, um ihr eine Gefälligkeit zu erweisen, die ihr Elend lindern, oder heben könnte. Jeder Liebender, und Leidender wird auch mein Bruder. Ich theilte gern mit jedem Armen mein Vermögen. Die Glückseligkeit aller Menschen liegt mir nah am Herzen. Ich wäre fähig, alles für andre zu thun. Jede Pflicht, und jede Tugend wird mir leichter. 1 So glaub ich [680] auch, sagte Kronhelm, und eben deswegen ist es ungerecht und thöricht, auf die Liebe loszuziehen, wie viel hochgelahrte, sich weise dünkende Leute thun. Es ist Undank gegen Gott, einen Trieb, den er mit dem Leben uns ins Herz pflanzt, zu verdammen, und den Aufruf zu mancher hohen Tugend für Stimme der Sinnlichkeit, oder gar des Satans auszugeben. Daß die Liebe oft gemisbraucht, oder misverstanden wird, soll doch wol nichts gegen sie beweisen? Denn sonst wäre die Religion auch ein Uebel, die, wenn sie misverstanden und gemisbraucht wird, oft grössere Verwüstungen anrichtet, als misverstandne Liebe. Anstatt daß man die Liebe mit Gewalt und stolzer Verachtung zu unterdrücken, und aus dem Herzen der Jugend zu verdrängen sucht, sollte man sich nur bestreben, sie durch Vernunftgründe zu leiten, und auf den rechten Gegenstand zu lenken. Dieß [681] würde viele Leute besser machen, als sie bey ihrer angenommenen, oder erzwungenen Kälte sind. Wer nicht lieben will, und verächtlich von der Liebe denkt, der schämt sich auch ein Mensch zu seyn; und wer sie schlechterdings verdammt, der begeht einen Hochverrath gegen die Menschheit, denn er will die Quelle der Empfindung und so vieler Tugenden ableiten, oder austrocknen, und dafür eine dürre Sandwüste anlegen! –

Um 11 Uhr kamen sie wieder zu Haus an, und spielten miteinander auf der Violine. Den Nachmittag ritten sie mit Dahlmund spatzieren, der auch sehr vergnügt war, weil er seine Brünette ziemlich kirr gemacht hatte. Er erzählte ihnen: Gutfrieds Vater sey gestorben. Als er nach Haus gekommen war, kündigte er seiner Beyschläferin sogleich an, sie könne sich innerhalb zwey Tagen aus dem Hause packen. Das Mensch gab ihm spitzige Reden, begegnete ihm grob, und machte grosse Forderungen an ihn. Er erzürnte sich darüber, und legte sich den Abend drauf krank zu Bette. Er bekam eine hitzige Krankheit, deren Samen er vermuthlich von seinem Sohn eingesogen hatte, als er ihm den letzten Hauch von den Lippen küste. Vier Tage drauf starb er, nachdem ihm die Metze drey Tage vorher [682] eine ansehnliche Summe Gelds, und seine besten Kostbarkeiten mitgenommen hatte. – So gehts mit den Huren, sagte Kronhelm.

Kronhelm und Siegwart legten sich Abends bald zu Bette, weil sie die vorige Nacht wenig, oder nichts geschlafen hatten. Den folgenden Abend sprach Mariane im Konzert viel mit Siegwart, und bestärkte ihn, durch ihr gefälliges Betragen, immer mehr in der Hofnung, daß sie ihn liebe. Er schwamm jetzt immer in einem Meer von Wonne; nur zuweilen unterbrach ihn ein Anfall von Wehmuth in seiner Freude. Es stiegen ihm oft wieder Zweifel auf, ob sie ihn auch wirklich liebe? Vor einiger Zeit wäre ein Blick, wie sie ihm jetzt viele gab, sein gröster Wunsch, und der höchste Grad von Glückseligkeit für ihn gewesen; aber jetzt verlangte sein Herz schon mehr; er wollte nun thätige und mündliche Versicherungen von ihrer Liebe haben. Sie weis vielleicht noch nicht, dachte er, wie sehr ich sie liebe. Wie leicht könnte ein andrer kommen, der mehr Kühnheit, und vielleicht auch grössere Ansprüche hat, als ich, und den kleinen Funken von Liebe auslöschen, der vielleicht für mich in ihrem Herzen glimmt. Bey ihren Vorzügen kann es ihr nicht lang an Freyern fehlen. [683] Ich habe nichts, keinen Stand, kein Vermögen, kein Amt, wenig äusserlich empfehlendes; warum sollte sie mich andern vorziehen? oder mich nicht alsobald vergessen, wenn ein, dem äusserlichen Scheine nach, besserer und vorzüglicherer Mann kommt, u.s.w.

So quälte er sich oft ganze Stunden lang, und thürmte Berge von Zweifeln gegen seine eigne Ruhe auf. Aber wenn er Marianen wieder sah, und sie ihm mit dem Blick der Liebe begegnete, dann verschwanden diese Zweifel wieder, wie Nebelwolken vor der Sonne. – Etliche Tage nach dem Konzert schickte sie an Kronhelm den Geßner wieder, und ließ ihn, oder Siegwart um ein anderes Buch bitten. Sigwart schickte ihr den Kleist, und sprang mit dem Geßner auf sein Zimmer, wo er ihn hundertmal an den Mund drückte und küßte. Das Buch war ihm nun ganz heilig geworden. Er blätterte es durch, und verweilte sich bey jedem Blatt. Jegliches schien ihm zu glänzen, weil ihr Auge drauf geruht hatte. Wie groß war seine Freude, als er ein klein Stückchen blauer Seide drinn liegen fand, von der Farbe, wie sie zuweilen ein Kleid trug. Dieses Stückchen war ihm mehr werth, als dem Abergläubigen das [684] Stückchen vom Gewand eines Heiligen. Nachdem ers lange gnug betrachtet hatte, schloß ers sorgfältig in seinen Schreibpult; holte es aber alle Augenblicke wieder heraus, um es von neuem wieder anzusehen. – Als er noch weiter blätterte, fand er auch ein Schnippelchen Papier, auf welchem Marianens Name stand. Er sprang hoch auf, hub es in die Höhe, drückte es hundertmal an seinen Mund, und an sein Herz, und betrachtete jeden Zug unzähligemal.

Endlich entdeckte er auch seinem Kronhelm einen Entwurf, den er schon lang bey sich selbst gemacht hatte, ob sie nämlich nicht Gutfrieds Zimmer beziehen wollten? Er hatte schon Erfahrung eingezogen, daß in dem Hause noch ein andres Zimmer ledig sey, worauf also Kronhelm wohnen könne. Es thut mir zwar leid, unsre Hausleute zu verlassen, sagte er, weil es ehrliche und brave Leute sind; aber ich will ihnen gern noch ein halb Jahr Hausmiethe bezahlen, um nur bald meiner Mariane näher zu kommen. Kronhelm, der seinem Freund alles zu Gefallen that, willigte sehr gern in diesen Vorschlag, und nach wenig Tagen bezogen sie das Zimmer. Nun sah Siegwart sein geliebtes Mädchen täglich, und fast stündlich. Er [685] hatte seinen Schreibepult am Fenster stehen, und merkte jede Bewegung, die auf Marianens Zimmer vorgieng; sie stund auch sehr oft am Fenster, und setzte sich, wenn sie allein zu Hause war, so, daß er sie, und sie ihn sehen konnte. Er sah sie stricken, nähen, Stickereyen machen, und alle häusliche Geschäfte verrichten. Oft standen ihm Freudenthränen in den Augen, wenn er das liebe Mädchen, so mit sich vergnügt, der Welt unbekannt, sich in der Stille, in jeder Pflicht, in jeder Tugend üben sah. Mit Thränen blickte er zum Himmel. Gott! dachte er, welch ein Glück ist dem bereitet, dem du eine solche Gattin gibst, die, mit jeder Anmuth geziert, noch mehr für die Schönheit ihrer Seele sorgt, und sich täglich innerlich vollkommener zu machen sucht! – Statt Eroberungen zu machen, und von hunderten begafft, und angestaunt, und bewundert zu werden, statt ihre Eitelkeit zu nähren, sitzt das fromme Mädchen da, von ihrem Engel, und von dem nur gesehen, der sie so heiß und heilig liebt, und bildet sich zu einer treuen Gattin, zu einer weisen Hausfrau, und zu einer frommen Mutter. – Gott! wenn ich es werth bin, so erbarm dich mein, und schenk mir diesen Engel, daß ich in ihrer Gegenwart täglich besser, täglich heiliger, dir täglich [686] angenehmer und meinem Nebenmenschen nützlicher werde! Gott, du kannst mich nicht verdammen, wenn ich in der Welt bleibe; diese Welt ist ja dein Tempel, und ich will dir dienen drinn mit diesem Engel. – So ward die Empfindung über ihr Anschauen oft bey ihm Gebeth. Einmal sah er sie spinnen. Dieser Anblick rührte ihn ungemein. Er erinnerte sich aus seinem Homer, den er mit P. Philipp gelesen hatte, an die Töchter der Könige, wie sie spannen und Gewebe webten, und sich nicht der gemeinsten Weiberarbeit schämten; er erinnerte sich der Töchter der Patriarchen, die sich auch zur ländlichen Arbeit nicht zu vornehm däuchten. Ein andermal sah er sie im Kleist lesen, und gerührt zum Himmel blicken. Wie beneidenswürdig war ihm da das Loos des Dichters, der das fromme Herz eines Mädchens zur Bewunderung und zum Dank hinreist; ihre Seele zu zärtlichen Gesinnungen erweicht, Thränen in das schönste Auge lockt, und nach seinem Tode noch für seine frommen Lieder gesegnet wird. – Des Abends hörte er sie oft noch am Klaviere singen, ward bald zu hoher Andacht mit ihr aufgehoben, und betete mit einer Innbrunst, die er sonst nie erreicht hatte; bald ward er zu Seufzern und zu Thränen herabgestimmt,[687] und zerschmolz in süsser Wehmuth. Kurz seine neue Wohnung machte ihm jeden Tag zu einem Festtag; alles um ihn her war feyerlich, denn alles erinnerte ihn an Marianen. Im Konzert spielte er oft; fand sie immer freundlich, und erhielt manchen liebenden und zärtlichen Blick von ihr. Mit ihrem Bruder suchte er, so viel als möglich, Freundschaft zu erhalten, und bat ihn zuweilen zu sich. Der Mensch that äusserlich freundschaftlich, aber die geheime Tücke, die er auf Siegwart hatte, ließ sich doch nicht ganz verbergen. Endlich wagte er es auch einmal, Marianen und ihre Eltern mit seinem Kronhelm zu besuchen. Er ward aufs freundschaftlichste empfangen; man that ihm viele Ehre an, und Mariane sah so heiter aus über seine Ankunft, wie der junge Tag, wenn die Sonne eben aufgeht. Siegwart und Kronhelm liessen ihre Violinen holen, und machten ein Konzert, bey welchem Mariane Klavier spielte, und himmlisch sang. Beym Weggehen bat sie unsern Siegwart, künftig nachbarlicher zu handeln, und sie öfter zu besuchen. Er küßte ihr die Hand, und sie drückte ihm die seinige.

So wahrscheinlich, und beynahe zuversichtlich Siegwart nun hoffen durfte, daß ihn seine Mariane[688] liebe, so ward ihm doch die ewige Entfernung, und die, doch immer nur halbe Gewißheit, täglich unerträglicher. Er schmachtete darnach, sie einmal allein zu sprechen, ihr Herz noch genauer auszuforschen, und ihr das seinige mehr zu entdecken. Die grössere Freymüthigkeit, die sie jetzt gegen ihn, und er zum Theil auch gegen sie beobachtete, erregte diesen Wunsch in ihm noch mehr. Nun, dachte er, würde er ihr alles sagen, was ihm auf dem Herzen liege. Daher sann er Tag und Nacht auf Gelegenheit, sie allein zu sprechen. Seine Einbildungskraft kam ihm zu Hülfe. Er stellte sich schon in Gedanken den künftigen Frühling vor, wie er sie auf einem Spatzierwege allein antreffe, sich anbiete, sie zu begleiten, ihr die Hand reiche, und im Schatten eines Wäldchens ihr sein ganzes Herz aufschliesse. Er hielt in Gedanken lange zärtliche Gespräche, führte sie und sich redend ein, sank ihr endlich in den Arm, und empfieng mit dem ersten heiligen Kuß die Versiegelung einer ewigen Liebe. Aber dieß waren alles nur Träume, und wenn sie verflogen waren, sehnte sich sein Herz desto mehr nach der Wirklichkeit. Oft wollte er sie besuchen, wenn sie allein zu Hause war, aber er fürchtete der Bruder möchte kommen, oder sie möcht es [689] übel nehmen. Er sah vorher, daß er doch nicht würde reden können, wenn die Sache so vorbereitet wäre, und dann wollte er auch allen Schein einer heimlichen Zusammenkunft vermeiden, wogegen sein zartes Gefühl stritt. Oft dachte er, er woll' ihr schreiben, aber wie sollte er ihr den Brief beybringen?

Kurz, alle seine Entwürfe zerfielen wieder von selbst, bis ihm endlich ein Ungefähr – das Beste in der Liebe – seinen heissen Wunsch erfüllte. Wider alles Vermuthen, selbst wider seine Hoffnung – und ein Liebender hofft doch gewiß nicht wenig – fiel, noch kurz vor Ostern, ein sehr tiefer Schnee, und zween Tage drauf ward eine Schlittenfahrt angestellt, bey welcher Siegwart Marianen fuhr.

Nun sprach er schon mehr, und that minder schüchtern. Er und Mariane theilten ihre Freude mit einander über die unvermuthete Gelegenheit, einen Abend mit einander zuzubringen. Sie gestand ihm frey, es hätt' ihr nichts angenehmers begegnen können, und sah ihm dabey mit einem unaussprechlichzärtlichen Lächeln ins Gesicht. Er beugte sich auf dem Schlitten vorwärts, um ihr einen Kuß zu geben, und sie hielt willig still. Es ist sehr schön, [690] sagte sie, daß sie nun auf Gutfrieds Zimmer wohnen, so kann ich sie doch oft Violine oder Flöte spielen hören. – Und ich Sie oft sehen und oft hören, fiel ihr Siegwart ein. Diese Wohnung ist mir mehr werth, als wenn man mir das ganze Schloß schenkte. – Sie sind gar zu gütig! sagte sie. – Gar zu eigennützig, sollten Sie sagen, versetzte Siegwart. – Sie sprachen auf dem ganzen Weg hin nach dem Dorfe, und zwar so, als ob sie miteinander völlig ausgemacht hätten, daß sie sich liebten; sie nahmen es stillschweigend für bekannt an, und sprachen vertrauter, als sie selbst zu wissen schienen. Aus dem Dorfe ließ er ihre Hand fast niemals los, schenkte ihr Chokolade ein, und trank weil Mangel dran war, mit ihr aus einer Schaale. Kronhelm selbst muste sich über die Herzhaftigkeit seines Fueundes, und über ihre Offenherzigkeit wundern, da sie sonst etwas zurückhaltend, und dem Scheine nach stolz war. So eine mächtige Veränderung in ihrem beyderseitigen Karakter hatte die Liebe, die stumme Augensprache, und der Zwang, sich einander nicht entdecken zu dürfen, hervorgebracht. Auf dem Rückwege sagte Siegwart: dieser Abend ist noch schöner, als der letztere; Sie sind noch gütiger und freundlicher. – Sie sind auch noch ungezwungener und [691] munterer, sagte sie, und das lieb ich. Solche Tage muß man ganz der Freude weihen, denn sie kommen selten. Siegwart ließ sich nun von ihr feyerlich versprechen, daß sie auf den Abend länger beym Ball bleiben wolle, und sie that es gerne. So fuhren sie im rothen Duft des Winterabends nach der Stadt. Vor ihnen stieg der Rauch von den Schornsteinen säulengerad in die Höhe, und ward von der, hinten untergehenden Sonne vergüldet und geröthet. Das Gesicht der Liebenden war heitrer als der Abend. Sie sahn zur Seite schon den Abendstern blinken, zeigten ihn einander, und sahn ihn mit heitern Blicken an: dann blickten sie einander wieder ins Gesicht, und lächelten mit namenlosem Ausdruck. Das ist der Stern der Liebe, sagte Siegwart. Ein herrliches Gestirn, sagte Mariane, sah ihren Jüngling schmachtend an, und er küßte sie. – Schade, daß nicht auch Therese bey uns ist! sagte sie. Ich lieb ihre Schwester sehr, und wünschte sie so gern glücklich! – Sie wirds werden, versetzte Siegwart. Kronhelm meynt es ehrlich, und sie liebt ihn treu. Das gute Mädchen muß noch glücklich werden; sie hat gar zu viel gelitten. – Wird man immer glücklich, wenn man [692] leidet? fragte Mariane, und ward wehmüthig. Siegwart schwieg, und sah gen Himmel.

Sie kamen nun in der Stadt an. Beym Umkleiden theilte Siegwart seine Freude mit Kronhelm auf die heftigste Art. – Ich bin alles, alles! Ewig! Unsterblich! Alles! sagte er. Freu dich doch, Kronhelm! Du bist ja so kalt. Denk, sie ist mein, auf ewig mein! Kannst du nicht begreifen, was das ist? Mein, mein! – Wenn man doch sagt, man sey nicht glücklich, und hat nur so Einen Augenblick! – Denk nur erst den Abend! Die ganze lange Nacht mit ihr tanzen, mit ihr sprechen! O ich möchte sterben, so wohl ist mir! – Nun sag mehr: Ich sey nicht kühn! Alles, alles soll sie heut erfahren! – Denk, auch Theresen wünscht sie her, und wünscht sie glücklich! Siehst du, was der Engel für ein Herz hat? – Sey nur gutes Muths! Es muß euch auch noch glücklich gehen! Kein Mensch kann auf der Welt unglücklich seyn! Gott hat uns all zur Freud erschaffen! – So sprach er in lauter Ausrufungen fort, bis es Zeit war, Marianen wieder abzuholen.

Er führte sie im Triumph auf den Tanzsaal, und fieng gleich mit ihr zu tanzen an. Sie schwebte, wie eine Göttin zwischen Himmel und Erde. [693] Ihre Blicke waren immer auf ihn gerichtet. Er glaubte, in dem Saal der Seligen zu seyn. So oft er sie bey der Hand faßte, gab sie ihm einen Händedruck, der durch Mark und Knochen schauderte. Beym Essen sprach sie nur allein mit ihm, und zuweilen mit Kronhelm, der in tiefer Wehmuth da saß, weil er an Theresen dachte, und doch zwang er sich, an dem Entzücken seines Freundes Theil zu nehmen, und lächelte zuweilen wie die Frühlingssonn' im Regenschauer. Mariane trank ihm Theresens Gesundheit zu, und bat ihren Siegwart, es seiner Schwester zu schreiben, daß sie eine unbekannte Freundin habe, die ihr Schicksal oft beseufze, und für sie bete. – O dann muß sie glücklich werden, sagte Siegwart, wenn ein Engel für sie betet. – Und beten sie denn auch für mein Glück, lieber Engel? Würden Sie mich auch wol glücklich machen? – Ob ichs würde? sagte sie, und sah ihn zärtlich an. Könnt ichs nur! – O sie könnens! Bey Gott! Sie könnens, wenn Sie mir nur gut sind! Sind Sies, lieber Engel? – Herzlich! Herzlich! sagte sie; mehr, als ichs sagen kann! – Er schwieg, und drückte ihr die Hand. – Sie hatte ein Stück Torte vor sich auf dem Teller liegen. Er schnitts entzwey. Sie gab ihm ein Stück davon, und aß [694] das andere. Süßre Kost hatte Siegwart nie noch genossen. Er schlang seinen Arm um sie, und sah sie seitwärts an. Ihr Gesicht hatte eine Wehmuth, die über Thränen erhaben war. Zuweilen blickte sie zu ihm herum, und schlug schnell das Auge nieder. Seine Brust war gespannt, er athmete schwer, und konnte kaum den Seufzer zurückhalten. Es war ihm nicht möglich, ein Wort hervorzubringen. Er sah nichts mehr um sich her. Ihr Gesicht zerfloß vor ihm, als ob nur ein leichter Rosenduft vor ihm schwebte. Sie drückte ihm mit unaussprechlicher Zärtlichkeit die Hand. Er konnte die Empfindung nicht mehr zurückhalten, und küßte sie, mit einem heissen Seufzer, auf die Wange. Indem kam ein Student, und foderte sie zum Tanz auf. Sie entzog ihm, nach einem sanften Druck, die Hand, legte ihre Handschuh an, sah ihn an, und gieng, halb unwillig, mit dem Studenten weg. Er blieb unbeweglich, rückwärts an den Stuhl gelehnt, sitzen. Endlich sah er sich nach ihr um; sie tanzte, und hatte ihr schönes Auge immer auf ihn geheftet. Er konnts nicht aushalten; Thränen schossen ihm in das seinige; er eilte in die Vertiefung des Saals ans Fenster, sah durch die Scheiben nach dem hellen Mond, und weinte. Nach etlichen Minuten [695] kam sie, ohne daß ers merkte, zu ihm, legte ihre Hand auf die seinige, sah ihn an, und sagte: Sie sind traurig? – Ja, vor Freuden, antwortete er. Lieber, lieber Engel, sind Sie mein? – Auf ewig! sagte sie, und sank ihm mit dem Gesicht an die Brust. Er küßte sie feurig, und empfieng von ihr den ersten heiligen Kuß der Liebe. – Drauf folgte eine sprachlose Scene, die sich nicht beschreiben läst. Erst nach einiger Zeit giengen sie, mit nassen Augen, um eine Menuet zu tanzen. Dann giengen sie wieder ans Fenster, sahn den Mond an, sahn, wie er sich spiegelte in ihren Thränen, küßten sie sich von den Wangen, und waren überschwenglich glücklich. Siegwart tanzte fast mit keinem Mädchen, als mit ihr. Wenn sie mit einem andern tanzte, so stellte er sich in eine Ecke, und hatte fast immer Thränen in den Augen, denn das Maaß der Freuden war für ihn zu groß. Sie kam immer, wenn sie ausgetanzt hatte, wieder zu ihm hin, nahm ihn bey der Hand, und sah ihn unaussprechlich zärtlich an. – Nun müssen Sie mich oft besuchen, sagte sie. Meine Mutter liebt Sie, mein Vater ist Ihnen gut, und mein Bruder denkt auch wieder besser von Ihnen, seit Sie auf sein Spiel zu achten scheinen. Etwas behutsam müssen Sie nur[696] seyn, doch das sind Sie selbst. O, der heutige Tag ist doch gar zu herrlich! Nicht wahr, Sie sind auch vergnügt, mein lieber Siegwart? Ein feuriger Kuß auf ihre Lippen gab ihr die Antwort. – Wenn wir doch immer beysammen seyn könnten! fuhr sie fort; das Tanzen ist mir heut ganz verdrüßlich. Kaum hatte sie ausgesprochen, so ward sie wieder aufgezogen. Siegwart ging zu seinem Kronhelm, der in einer Ecke des Saals wehmüthig und nachdenklich da saß. – Wenn nur du auch glücklich wärest! sagte Siegwart; ich wollt' Alles geben! – Lieber Schwager! – sagte Kronhelm, und küßte ihn. Da hab ich einen Gedanken, den ich, glaub ich, Morgen oder Uebermorgen ausführe. Ich will nach München zu meinem Onkel; du must auch mit! – Und was da machen? – Um Theresen anhalten. Er kann und wird sich meiner annehmen! Von ihm kann ichs ganz allein erwarten. So halt ichs nicht länger aus. Dein Glück hat alle meine Empfindungen wieder aufgeweckt; ich fühle meinen Verlust wieder stärker, und mein Zustand wird mir unerträglich. Nicht wahr, Bruder, du gehst mit mir? Du must bitten helfen. Er wird deine Schwester auch um deinetwillen[697] schätzen, wenn ich sage: daß du ihr Ebenbild bist. – Wenn ich etwas dazu beytragen kann, sagte Siegwart, so weist du schon, daß ich für dich ins Feuer ginge.

Sie erlaubens doch auch? sagte Kronhelm zu Marianen, die eben zu ihnen kam, daß ich Herr Siegwart mitnehme? – Wohin? fragte sie rasch und ängstlich, und sah ihren Siegwart an. Nach München, antwortete Kronhelm; nur auf etliche Tage. Er kann mir einen großen Dienst thun. Es betrifft mein und Theresens Schicksal. – Ja, wenn das ist ... sagte sie, sonst ... Ich will bey meinem Onkel, dem geheimen Rath, anhalten, sagte Kronhelm, ob ich Theresen heirathen darf? und Siegwart soll meine Bitte unterstützen. Er kann viel ausrichten, das weis ich. – Nur auf vier, oder fünf Tage. – Tausend, tausend Glück! sagte Mariane, aber kommen Sie bald wieder! Und Sie, Herr Siegwart, Sie vergessen mich doch nicht? – Gott im Himmel! könnten Sie das glauben? rief Siegwart aus. O Sie kennen mich noch nicht! Ich werd an keine Seele denken, als an Sie. – Ein Kuß versiegelte das Versprechen.

Sie war nun auch traurig, daß sie ihren Siegwart so bald – wärs auch nur auf einige Tage – [698] verlieren sollte. Sie saß traurig neben ihm, als sie Kaffee tranken, und konnte die Thränen nicht zurückhalten. Er umschlang sie mit seinem Arm, lehnte sein Gesicht an ihre Brust, und konnte vor Bewegung und Zärtlichkeit nicht sprechen. Er fühlte das Schlagen ihres Herzens, blickte zuweilen zu ihr hinauf; schmachtend sah ihr Aug auf ihn herab, und eine Thräne fiel auf seine Stirne, die sie wieder weg küßte. Kronhelm sah das edle, zärtliche Paar, und weinte vor Freuden. – Möcht ich Sie einmal beysammen sehen! sagte er; Sie und Meine Therese! Sie wären gleich im Augenblick Ein Herz und Eine Seele.

Nun werd ich wol bald nach Hause gehen müssen, sagte endlich Mariane.; es ist über zwey Uhr. Siegwart wollte das nicht glauben, bis ers selbst auf seiner Uhr sah. Noch ein paar Schleifer müssen wir doch machen! sagte er, und fing an, mit ihr zu tanzen. Mariane blieb noch über drey Viertel Stunden. Endlich sagte sie: Ich muß, ich muß gehn, wenn ich gleich nicht will! Siegwart stund mit ihr noch eine halbe Stunde unter ihrem Haus, und empfing die zärtlichsten Versicherungen ihrer Liebe. Ich habe keinen noch geliebt, sagte sie, und will auch ausser Ihnen keinen lieben. Mein [699] Herz war unruhig, seit ich Sie erblickt habe. Sis mustens oft an meinen Blicken merken, im Koncert und in der Kirche. – Lieber Siegwart, ich bin nun so glücklich; soll ichs ferner bleiben? Ist Ihr Herz auch ganz mein? – Ganz! so wahr als Gott lebt! sagte er. Keiner Seele hats noch angehört, Gott ist mein Zeuge! und soll Gott und Ihnen nur gehören ewig. Nun folgten wieder Küsse, die den Bund auf ewig schlossen. Endlich trennten sie sich mit Gewalt von einander. Da geht der Stern der Liebe wieder auf, sagte er beym Scheiden. Gestern hat er uns zum erstenmal geglänzt, und nun auf ewig. Nie will ich ihn ansehn, ohne dieses Tags und Ihrer zu gedenken. Er soll das Sinnbild unsrer Liebe seyn, ewig rein, und jugendlich und ewig! Schlaf sanft, lieber Engel, sanft, sanft, sanft! –

Er ging nach seinem Haus hinüber, und schloß auf. Andacht, und Entzücken, und Dankbarkeit bebten durch sein Herz. Er sah aus dem Fenster, sie sah noch eine Viertelstunde heraus; endlich warfen sie sich einen Kuß zu, und sie löschte ihr Licht aus. Hastig ging er im Zimmer auf und ab. Mein, o mein ist er, der Engel Gottes! sagte er laut, setzte sich nieder, und schrieb:


[700]
Mein, o mein ist er, der Engel Gottes!
Banges Herz, wie kannst dus fassen? Brich nur!
Schmelz in Thränen hin! denn dein ist
Die Erwählte Gottes.
O ich sink in Staub vor Dir, Du Geber!
Alle Thränen hast Du weggetrocknet!
Freuden hast Du mir erschaffen,
Ewig, wie mein Herz liebt!
Rein und heilig ist die Auserwählte!
Mach, o Gott! mein Herz, wie sie, so heilig!
Daß ich werth sey dieses Kleinods,
Das vor allen schimmert!
O, Du Heilige! Sieh an dieß Streben,
Das, Dir gleich zu werden, hoch mein Herz hebt!
Sieh es an! Und, wann ich strauchle,
Heb mich durch Dein Lächeln!
Kronen hätt' ich nicht für Dich genommen!
Tausend Kronen legt' ich Dir zu Füssen!
Engel, sieh, ich wein' vor Freuden,
Daß Du ewig mein bist!

Noch eine halbe Stunde blieb er auf, und sagte diese Verse oft zum Fenster hinaus. Endlich legte er sich zu Bette, aber es kam wenig Schlaf [701] in seine Augen. Um halb sieben Uhr weckte ihn das Morgenroth schon wieder. Er sah hinaus, dachte nichts als Marianen, war im Innersten bewegt, und dankte Gott mit solcher Inbrunst für ihre Liebe, daß sein Herz mehr im Himmel, als auf Erden war. Sie war auch schon aufgestanden, und lächelte mit Engelanmuth zu ihm herüber. Seine Seele war so heiter, als sie in seinem Leben nie noch gewesen war. Kronhelm kam zu ihm aufs Zimmer, und sagte, er habe diese Nacht nicht schlafen können, und den Plan, zu seinem Onkel zu reisen, vollends ausgedacht. Er sey nun völlig entschlossen, morgen nach München zu reiten. Er habe alles überlegt, und soviel ein Mensch voraus sehen könne, könn' es ihm nicht fehlen. Sein Onkel habe ihn und sein Glück viel zu lieb, und sey zu frey von Vorurtheilen, als daß er ihm seine Einwilligung, Theresen zu heirathen, versagen könne. Wenn er diese habe, dann sey es ihm genug. Sein Vater werde gewiß nachgeben, denn sein Onkel vermöge alles über ihn, und er müss' ihm nachgeben, weil er sonst fürchten müste, er vermache seine Güter einer andern Linie vom Kronhelmschen Haus. Ich trage, setzte er hinzu, diesen Plan schon lang im Herzen; [702] aber noch nie fühlte ich so vielen Muth, und so zu sagen, innerlichen Beruf, ihn auszuführen, wie jetzt. O Bruder, wenn Gott meine Wünsche segnet; wer ist dann beglückter, als wir beyde! Hierauf unterrichtete er seinen Freund, wie er seinem Onkel begegnen müsse, um sein Herz zu gewinnen. Nur geradezu, und frey! Das liebt er. Dein Charakter ist so, wie ers wünscht. Zeig dich, wie du bist! Dann kennt er Theresen, und ist ganz gewiß für meine Wahl. Er ist ungeheuchelt fromm, und man darf mit ihm mehr von der Religion reden, als mit irgend einem Hofmann. Auch von meiner Schwester hoff ich viel. Wenn sie so ist, wie sie war, dann tritt sie ganz gewiß auf meine Seite, und über meinen Onkel vermag sie alles. Nur vor meinem Schwager darf ich nichts sagen; der ist ganz Hofmann, und glaubt, zwischen den Bürgerlichen und dem Adel müss' eine ewige Kluft befestigt seyn. – Sieh, Brüderchen, ich denk, es geht gut. Wir wollen Gott drum bitten, und das Beste hoffen! sagte Siegwart. Niemand kann dir mehr einen glücklichen Ausgang wünschen, als ich, denn ich liebe, nach Marianen, dich und meine Schwester über alles.

[703] Sie gingen nun aus, um Pferde zu bestellen. Dahlmund kam drauf zu ihnen, und klagte, daß ihm seine Brünette gestern ungetreu geworden sey. Sie habe sich mit einem schlechten Kerl abgegeben, der schon zwey- oder dreymal Schulden und liederlicher Streiche halben auf dem Karzer gesessen habe. Er that ganz verzweifelt und untröstlich, schlug sich vor die Stirne, knirschte mit den Zähnen, weinte vor Wuth, und sagte endlich: Entweder ich muß sterben, oder Er? Feder und Dinte her! Ich schick ihm eine Ausforderung. Kronhelm, du must mir sekundiren!

Bist du toll, Dahlmund? sagte Kronhelm. Mit dem schlechten Kerl dich schlagen. Dein Leben an ihn setzen! Was hast du davon, wenn du ihn niederstichst? Wird das Mädel dadurch besser? Möchtest du sie dann wohl wieder haben? Du weist selbst, daß jeder Zweykampf, den man selbst sucht, Thorheit und Verbrechen ist; wir haben schon einmal davon gesprochen. Aber hier trifft das doppelt ein. Der Kerl ist schlecht, das sagst du selbst. Alles, was noch Gutes an ihm ist, das ist sein Leben, weil ers noch einmal dazu brauchen kann, sich zu bessern, der Welt etwas nutz zu werden, und dem Elend zu entgehen, das ihn in der Ewigkeit erwartet. [704] Darfst du einem Menschen den Weg zu seinem Glück abschneiden? Oder willst du sein Teufel werden, und ihn in die Hölle jagen, und dir dadurch dein Leben auch zu einer Hölle machen? Denk einmal, was ein Mörder für ein unseliges Geschöpf ist? Fliehen muß er vor Menschen und vor Gott; darf nicht mit sich selber reden, denn es ruft aus ihm heraus: Du bist ein Mörder. Blut sieht er überall, darf keinem Menschen ins Gesicht sehn, und hat Höllenquaalen, ausser sich und in sich. Das heist sich warlich schön gerächt, wenn man sich selbst einen Dolch ins Herz stöst, daß es ewig blutet. Dem Teufel gibt man Satisfaktion, und nicht sich selbst, wenn man ihm einen schlechten Kerl zuschickt, und wohl selber nachfolgt. Und dann ists ja so ausgemacht nicht, daß du ihn gerad niederstichst; er hat ja auch einen Degen, und kann eben so gut treffen, als du. Ist der Kerl wol dein Leben werth, und dein Glück in alle Ewigkeit? Darfst du nur damit schalten und walten, wie du willst? Du hast brave Eltern, die so viel an dir thun, und Trost und Freud im Alter von dir erwarten, und nun mit Gram und Kummer vor der Zeit ins Grab sänken; die nicht ohne Graus an dich denken könnten, und [705] im Tod einander sagen müsten: Er hat uns umgebracht, und nun treffen wir ihn doch nicht an. Heist das, seinen Eltern Freude machen, und ihnen für das lohnen, was sie an uns thaten? Heist das, ein ehrlicher Kerl seyn, geschweige denn ein Christ? Das heiß ich mir recht auf Ehre halten, und ein Schurke gegen sich und andre werden! Besinn dich, lieber Dahlmund! Sieh, du bist der Welt viel schuldig, hast so gute Gaben, die dir Gott gab zur Verwaltung, daß du Menschen segnest, und sie glücklich machtest. Sieh, du hast uns, und wir sind dir herzlich gut, und du bist uns Freundschaft schuldig! Wirf dein Leben nicht einem schlechten Kerl hin. Handle nicht so gegen Gott, und dein eignes Glück! Ich bitte dich um Gottes und um deinetwillen, komm wieder zu dir selbst! Du bist sonst ein Mensch und hast Religion, und willst nun alles das mit Füssen treten. Nicht wahr, du folgst mir, Dahlmund? Indem umarmte er ihn. Dahlmund ward gerührt, und weinte. Vergebt mir, Brüder! rief er, daß ich so ein Narr war! Ich wills nicht thun! Lieber mag man mich für einen feigen Kerl halten!

Das bist du deswegen doch nicht, sagte Siegwart; du hast dich letzthin männlich gewehrt, als dich die[706] zween Studenten mit dem blossen Degen angriffen. Man kann Muth haben, ohne ihn zum Schaden andrer ohne Noth zu brauchen. Ich schlage mich gewiß nicht, aber deswegen komm mir keiner und necke mich! Ich will ihms zeigen, daß ich meine Faust und meinen Degen nicht umsonst habe. Und bey den groben Schlägern fehlts gar oft an Herz, wenns auf wirkliche Vertheidigung ankommt. Beym bösen Gewissen gibts keine wahre Herzhaftigkeit, und ein gutes Gewissen hat der niemals, der vorsetzlich, um einer Kleinigkeit willen, sein Leben aufs Spiel setzt, oder nach dem Leben eines andern trachtet. – Aber die Weissin ist nun doch verlohren, sagte Dahlmund, und das thut mir in der Seele weh! – Kanns das wol mit Recht? sagte Kronhelm. Sie hat sich schlecht aufgeführt, das must du selbst bekennen, da sie dir einen solchen Menschen vorzieht. Ein Mädchen, das ausser uns, noch mit einem andern, auch sonst guten Menschen, liebelt, verdient warlich unsere Liebe nicht. Ganz und allein muß man ein Herz haben, das man ganz liebt. Wenn ich meinem Mädchen nicht Alles bin, so bin ich gar nichts, und nehm auch mein Herz zurück. Du must stolz seyn, Dahlmund, und den Flattergeist verachten können. Du [707] verdienst ein ganz andres Mädchen. Es fehlt dir nichts, um ein Herz zu fesseln, und glücklich zu machen. Du siehst gut aus; hast Verstand, Vermögen, Wissenschaften, und ein edles Herz, das treu lieben, und daher wieder treue Liebe fodern kann. Sag einmal, möchtest du ein Weib, wie die Weissin, das mit jedem Kerl buhlt, sich von jedem schmeichlerischen Schurken die Hände und den Mund belecken läst: jedem Narren glaubt, und seine unverschämten Schmeicheleyen anhört, und sich drüber zur Ehebrecherin machen läst? Möchtest du so ein Weib? Und man muß kein Mädchen haben, das man nicht zum Weib machen will! Der Verdruß über ihre Narrheiten würde dich umgebracht haben. Laß sie nur nicht merken, daß es dir leid um sie thut, sie würde heimlich nur darüber jauchzen. Sey ein Mann, und wimmre nicht wie eine Memme um ein eitles falsches Mädel! Warlich, sie ist dein nicht werth! – Du hast Recht, Bruder, sagte Dahlmund, ich fühl mich, daß ich etwas bessers werth bin. Sie mag sich zur alten Jungfer buhlen, oder noch was ärgers mit dem Kerl thun! Ich frag den Henker nach ihrem Paar schwarzen Augen, wenn sie glaubt, die ganze Welt müsse sich drein vergaffen!

[708] Den Abend drauf ging Siegwart mit Kronhelm zu dem Hofrath Fischer, unter dem Vorwand, ein Konzert zu machen. Aber seine wahre Absicht war, seine Mariane noch einmal zu sehen, und von ihr Abschied zu nehmen. Der Hofrath wurde gegen Siegwart immer höflicher, theils wegen seines guten Spielens, theils auch, und hauptsächlich, weil sich Siegwart jetzt täglich gut kleidete, denn er sah mehr auf äusserliche, als auf wesentliche Vorzüge. Die Hofräthin liebte ihn seiner Artigkeit, seiner unbescholtnen Sitten, und seines edeln frommen Herzens wegen, täglich mehr, und ließ ihn ihre Achtung deutlich sehen. Joseph, Marianens Bruder, that jetzt auch sehr freundschaftlich, da er sah, daß ihn Siegwart sehr von andern unterscheide. Ueber Marianens Gesicht verbreitete sich sichtbar eine ausserordentliche Heiterkeit, sobald ihr Geliebter kam. Sie stand von ihrer Stickerey auf, wo sie eben eine Schäferinn, und einen Schäfer, die im Grase bey einander ruhten, gezeichnet hatte. Sie war sehr beschäftigt, die lieben Gäste zu bewirthen. Siegwart betrachtete indessen mit Entzücken ihre Stickerey. Sie trat hinzu, sah sie ein paar Augenblicke an, und betrachtete dann sein Gesicht, das mit Wohlgefallen auf[709] der Arbeit ruhte. Er sah sie an, sie lächelte mit einem solchen Ausdruck, daß er Mühe hatte, sich nicht vor dem Vater und der Mutter zu verrathen. Nachdem er dem Vater und der Mutter erst von seiner vorhabenden Reise erzählt hatte, so spielten sie ein kleines Konzert, bey welchem Mariane schöner und mit mehr Ausdruck sang, als sie noch je gethan hatte. Drauf spielte Joseph ein Konzert auf dem Flügel, und ward über den Beyfall, den ihm Kronhelm und Siegwart gaben, ganz entzückt. Siegwart sang auch, und wurde von Marianen und ihren Eltern sehr gelobt. Um sechs Uhr machten diese viele Entschuldigungen, daß sie weggehen müsten, weil sie sich bey ihrem ältern Sohn versprochen hätten. Kronhelm und Siegwart wollten auch weggehen, wurden aber sehr gebeten, da zu bleiben. Mariane bat auch, und Siegwart willigte nur gar zu gern ein. Joseph machte auch Entschuldigungen, daß er zu seinem Zeichenmeister gehen müsse. Er wolle um sieben Uhr sogleich wieder da seyn etc. und unsre jungen Leute waren nun allein. Sie sahn aus dem Fenster, als die Eltern weggiengen, und merkten, daß der Wind sich gedreht habe, und aus Mittag wehe, und Thauwetter bringe. Es fing auch bereits an etwas [710] zu regnen. – Seys! sagte Mariane; wir haben nun doch noch die Schlittenfahrt gehabt. Vielleicht können Sie auch morgen noch nicht reisen. Kronhelm sagte, sie müsten, wo möglich, fort. Nun stellte sich Mariane an den Flügel, schlug, ohne hinzusehen, ein paar Töne, sah ihren Siegwart an, gab ihm die Hand, und sank in seinen Arm. Seligkeit des Himmels ward um ihn herum, und noch mehr in seiner Seele. – Du must spielen, sagte er zu Kronhelm, damit man unten und im Hause glaubt, wir machen Musik. Kronhelm spielte sich, ganz allein, auf seiner Violine recht müde; oft ganz wild, und heftig wie der Taumel der Liebe; dann wieder schmachtend und zärtlich, gleich der Empfindung unsrer Liebenden. Sie sassen im Kanapee beysammen, glücklicher als alle Könige der Erden. Ihre Zunge konnte nicht reden; nur ihr Auge sprach, und ihr Händedruck. Liebes Mädchen! Lieber Engel! war alles, was zuweilen Siegwart sagte. Dann lehnte sie wieder ihr Gesicht an seine Brust. Er küßte sie auf ihre schönen Augen. Sie sah auf, erhub sich etwas und küßte seine offne, hochgewölbte Stirne. Wenn ihre Blicke sich begegneten, wenn ihr Auge scharf in seines sah, dann schoß ihm eine Thräne drein, [711] und er und sie lächelten, und ihr Gesicht sank wieder an sein Herz, das so laut schlug, daß sies hörte. – Morgen, morgen! sagte Siegwart traurig. Sis hub ihr Gesicht langsam auf, sah ihn schweigend, lang, und wehmüthig an! Ein Seufzer bebte ihre Brust herauf, und sie verbarg sich wieder an der seinigen. – Traurig! traurig! rief sie Kronhelm zu, der eben ein Allegro spielte. Auf Einmal sank er ins Moll herab, in eine Düsternheit, daß den Liebenden schauerte. – Gedenke meiner, sagte Siegwart, wenn ich fern bin! Sie drückte ihren Mund fest auf den seinigen; wendete sich eilig weg, nahm ihr Schnupftuch, und wischte sich das Auge. – Nur etliche Tage! sagte Siegwart. – Kann ich Ihnen schreiben? Sie schüttelte stillschweigend mit dem Kopf. Ich habe niemand, sagte sie nach einer Pause. Dann drückten sie einander fest ans Herz, und küßten sich, als ob sie den Athem und die Seelen austauschen wollten. – Man läutete an der Glocke. – Schon vorbey? sagte Siegwart seufzend, und stand auf. Joseph kam, und sagte, daß das Wetter sehr schlecht und ungestüm sey. Man hörte auch stark stürmen, und der Regen wurde heftiger. Wenn es so fort macht, sagte Mariane, und sah unsern Siegwart bittend an, [712] so reisen Sie Morgen doch nicht! Ich bitte Sie. Kronhelm versprach, noch einen Tag zu warten, wenn das Wetter sich verschlimmre. – Um acht Uhr nahmen er und Siegwart Abschied. Sie leuchtete ihnen hinunter. Der Wind löschte das Licht aus. Sie stand noch einige Augenblicke bey ihnen. Siegwart küßte seinen Engel noch aufs zärtlichste, nahm mit vielen Thränen Abschied, und versprach, bald wieder zu kommen. Den andern Morgen stürmte und regnete es noch so stark, und das Gewässer vom zerfloßnen Schnee war so häufig, daß sie unmöglich wegreiten konnten. Auch am folgenden Tage wars noch so, und sie konnten erst am Anfange der Charwoche abreisen.

Mariane sah mit ihrer Mutter aus dem Fenster, als sie zu Pferd stiegen. Sie sah traurig aus, und schmachtend. Siegwart blickte noch einmal zärtlich hinauf, nahm den Hut ab, und ritt mit seinem Freund um die Ecke hinum. Mit schwerem Herzen kam er auf das Feld hinaus, und sah sich noch einigemal mit Thränen nach der Stadt um, die seine Mariane einschloß. Der Morgen war sehr heiter, und die Sonne gieng golden auf. Der Schnee war gröstentheils zerschmolzen, [713] nur noch an den Rainen, und Hecken, und in den Gräben lag ein wenig, wo die Sonne nicht so frey hin scheinen konnte. Die Wiesen waren schon grün, besonders an den Quellen; das junge Gras, und die Gänseblümchen keimten schon hervor. Die Lerchen schwangen sich das erstemal in diesem Frühjahr in die Luft, und sangen. Es war, als ob ein himmlisches, überirdisches Konzert über unsern beyden Jünglingen schwebte. Ihre Seelen erweiterten sich, und lebten in der frischen Frühlingsluft, die um sie her spielte, wie neu auf. All ihr Gefühl wurde geschärft; jeder dachte an sein Mädchen und schwieg. Um Mittag kamen sie in ein Dorf, wo sie ihre Pferde fütterten, und assen. Ein Fleischer saß in der Stube mit zwey großen Hunden. Er erzählte von einer Frau im nächsten Dorf, die närrisch geworden sey, und nun gebe man ihr Schuld, sie habe ihren Mann umgebracht. Dann erzählte er von einem alten Mann von 73 Jahren, den man draussen im Bach todt gefunden habe. Vermuthlich sey er selbst hineingesprungen, denn sein Sohn, der nun auf seinem Handwerk sey, und bey dem der Vater aus Gnad und Barmherzigkeit gewohnt habe, sey ihm hart und [714] grausam begegnet, hab ihm täglich vorgeworfen: Er esse Gnadenbrod, sey der Welt nichts mehr nütz, und dürfe wol machen, daß er bald draus fort komme. Diesen Morgen noch hab er ihn einen alten Narren gescholten, ihm gedroht, er woll ihn noch aus dem Hause stoßen, und drauf habe der alte Mann geweint, und gesagt: Gott soll unter uns richten! Hab sein altes zerrissenes Wamms angezogen, sey an seinem Stab aus dem Dorf gegangen, und habe sich am Bach niedergesetzt. Ich hab ihn selber angetroffen, sagte der Metzger; er gab mir noch einen guten Morgen, und nahm die Mütze ab, daß ich seine Handvoll weisser Haare und seine Glatze sah, und bey mir selber dachte: Lieber Gott, was es doch um einen Alten für ein Elend ist, wenn sich niemand seiner annimmt, selbst die Kinder nicht, die er groß gezogen hat! – Da hat sich eben der arme Mann hingesetzt, halb kindisch war er, wuste sich selbst nicht mehr zu helfen, und sprang in das Wasser. Gott verzeih es ihm, er war sonst ein guter Christ, der niemand nichts zu leid that. Aber so Kerls, wie sein Sohn ist, ließ' ich spiessen, die verdienen nicht zu leben, wenn sie Leuten nicht das Leben gönnen, denen sie doch alles zu verdanken haben. Das ist so meine [715] einfältige Meynung. Hab ich Unrecht, Herr? Siegwart gab ihm völlig Recht. Kronhelm spielte indessen mit einem von den Hunden. Das ist ein treues Thier, Herr! sagte der Fleischer. Der liesse sich eher todt schiessen, als mir was thun. Nun erzählte er mit treuherziger Geschwätzigkeit die Geschichte und die Tugenden seiner beyden Hunde. Sehen Sie, sagte er, die Thiere horchen auf, als ob sies verstünden. Ja, es ist ein gescheides Thier um einen Hund. – Siegwart liebkoste ein paar Kinder mit einem offenen Gesicht, und grossen blauen Augen. Er fragte sie nach ihrem Alter, und nach ihrem Namen, und gab jedem einen Kreuzer. Die Kinder sprangen mit dem Geld zu ihrer Mutter, wiesen es ihr, und dann wieder auf Siegwart, daß ers ihnen gegeben habe. Die Mutter kam zu ihm her, gab ihm die Hand, und sagte: O Herr, warum machen Sie sich Unkosten? Das ist gar zu viel. Drauf musten ihm beyde Kinder die Hand küssen.

Indem kam ein Bedienter in abgeschabter Livree mit verweinten Augen ins Zimmer, und setzte sich an den Ofen. Er machte einige Bewegungen mit der Hand, als ob er mit sich selber spräche, und dann zählte er etwas an den Fingern ab. Was [716] fehlt denn ihm, Marx? sagte die Wirthin. Ey, was wird mir fehlen! antwortete er; sie haben mich im Schloß fortgeschickt, und nun kann ich betteln. Das ist mir eine Haushaltung! Da ist ein welscher Hahn aus dem Schlosse weggekommen, und weil ich nichts davon wissen wollte, und auch meiner Treu nichts wuste; da geben sie mir meinen Abschied. Ist das auch erlaubt? Aber ich weis schon wo das her kommt. Die gnädige Frau kann mich eben nicht leiden, und das hat auch seine Ursachen. Möcht ich nur Händel anrichten, und dem gnädigen Herrn ein paar Stückchen vom Jäger und von ihr erzählen! Aber das mag ich ihm nicht zu leid thun. Er ist ein kreuzbraver Herr, der so schon seine liebe Noth hat. Nur das ist unverantwortlich und himmelschreyend, daß man einem armen Dienstbothen seinen Lohn nicht gibt. Ich hatte zwanzig Thälerchen zu fodern; da kam die gnädige Frau mit ihrer großen Schreibtafel, und hatte, der Henker weiß, was all? drauf geschrieben. Da war Porcellain zerbrochen, das ich nie gesehen hatte, da war dieß und jenes am Sattelzeug zerrissen; ein Füllen war gestorben, und da sollt alle ich Schuld dran seyn, und das Ding bezahlen. Ich mochte sagen, was ich wollt; es half [717] alles nicht, sie summirte, und siehe da: Summa summarum war 19 Thaler 46 Kreuzer, daß mir also gerad noch 44 Kreuzer heraustrafen. Ich dacht, ich hätte Blut weinen müssen, wie ichs hörte. Ich wollt ihr zu Füßen fallen, und ihr meine Unschuld darthun; aber sie gab mir noch harte Reden, warf mir das Geld in lauter Zweyern hin, und schlug die Thür zu. Ich wollt vor den gnädgen Herrn, und ihm meine Noth klagen, aber sie stand bey ihm im Hof, und da durft ich nichts sagen. Die Livree gehört auch noch uns, sagte sie. Ach, mein Schatz, laß ihm das, sagte er; es ist doch nicht viel mehr dran! Nun, so kann er sich aus dem Schloßhof packen, rief sie, und sich nie mehr drinn erblicken lassen! – So hat man mirs gemacht, und Gott weiß, ich hab meinem Herrn treu gedient, das wißt ihr, Wirthin, und alle Leut im Dorf wissens. Nun weiß ich nicht wo naus. Auf dem Leib hab ich nichts als diesen Kittel, an dem man alle Fäden zählen kann. Kein Attestat hab ich auch nicht, darf mich nicht drum melden. Und ohne Attestat nimmt mich keine Herrschaft an. Und, Gott weiß, meynts einer mit seiner Herrschaft ehrlich, so thus ich. Ich wollte gleich mein Leben lassen, wenn mein Herr in Gefahr kommt; [718] Ich wollt ihm dienen, daß er mir wie seinem Kind trauen könnte. Ehrlich währt am längsten. Das hab ich noch von meinem Vater gelernt, der war auch Bedienter, bis er 70 Jahr alt war, und nicht mehr dienen konnte. Drauf zog er seine 44 Kreuzer heraus, und zählte 32 davon ab, die er, wie er sagte, noch dem Jäger schuldig war für ein Gebethbuch.

Kronhelm, der, wie Siegwart, von dem Schicksal des Bedienten sehr gerührt war, zog die Wirthin auf die Seite, und erkundigte sich bey ihr nach ihm. Sie gab ihm mit der gutherzigsten Miene, und mit vieler Wärme das Zeugniß eines frommen und rechtschaffenen Menschen. Drauf gieng Kronhelm zu dem Bedienten, der ihm, seiner guten, ehrlichen Bildung wegen, gleich gefallen hatte, fragte ihn, was er monatlich fodre? und nahm ihn zu seinem Bedienten an. Der Kerl war vor Freuden ganz ausser sich, und konnte kaum Worte finden, seine Dankbarkeit auszudrücken. Kronhelm sagte ihm, er soll sehen, daß er ein Pferd geliehen kriege, um nach München mitzureiten; in einer Viertelstunde kam er mit einem Pferd wieder. Der Wirthin gab er das Geld für den Jäger, und bat sie, alle gute Freund' im Dorf noch einmal zu [719] grüssen. Als sich Kronhelm die Zeche machen ließ, foderte die Wirthin so wenig, daß er sie ausdrücklich fragte, ob sie nichts vergessen, oder zu niedrig angerechnet habe? Sie sagte aber, Nein: sie hab alles angerechnet; Sie thu sich nicht Unrecht, aber andern Leuten thu sies auch nichs. Wie gewonnen, setzte sie hinzu, so zerronnen. Sie dankte auch Siegwart noch einmal für die 2 Kreuzer.

Auf dem Wege erzählte der neue Bediente, Marx, fast seine ganze Lebensgeschichte mit vielen Umschweifen, und der, dem Schwaben so gewöhnlichen gewissenhaften Aufrichtigkeit. Man sah ihms an, wie viel er auf seinen neuen Herrn halte; er war besorgt, sobald das Pferd stolperte, und stieg ab, sobald es scheute. Neugierig war er auch, wie die meisten Schwaben sind, und fragte Kronhelm und Siegwart mit der treuherzigsten Einfalt, die ein Sachse für Beleidigung halten würde, um alles, was sie angieng.

Ziemlich spät am Abend kamen sie in München an, und stiegen, weil Kronhelm seinen Onkel und seine Schwester nicht mehr überraschen wollte, in einem Gasthof ab. Marx war ausserordentlich besorgt, seine neue Herrschaft und unsern Siegwart zu bedienen, und lauerte auf alle ihre Winke. [720] Wenn einer nur eine Bewegung machte, so fragte er sogleich, ob man etwas zu befehlen habe? und verrichtete jeden Auftrag mit der geschwindesten Genauigkeit. Den folgenden Morgen schickte ihn Kronhelm sogleich aus, ihn bey seinem Onkel zu melden. Marx kam bald wieder mit der Nachricht zurück, der geheime Rath sey gegenwärtig nicht in München. Kronhelm, der darüber sehr betroffen war, gieng selbst nach seinem Hause, und erfuhr: sein Onkel reise schon seit acht Tagen in Churfürstlichen Geschäften im Land herum, und werde vor 14 Tagen nicht zurückkommen. Kronhelm kam voll Unmuths wieder in den Gasthof, erzählte Siegwart den verdrießlichen Umstand, und ließ sich nun bey seinem Schwager und seiner Schwester melden. Als er angenommen wurde, gieng Siegwart indessen aus, um die Stadt zu besehen. Er erstaunte über die vielen schönen Häuser und Palläste, und noch mehr über die Volksmenge, die ihm auf allen Straßen entgegen wimmelte. Alles, was er sah, war ihm neu. Anfänglich gefiels ihm, bald aber ärgerte er sich, zu sehen, wie hier immer ein Mensch dem andern im Wege steht; wie sich so viele tausende zusammenthun, ein jeder in der Absicht, von dem andern zu zehren. Eins Baurenhütte, [721] dachte er, ist mir lieber, wo sein Besitzer ruhig drinn sitzt, sich nur um sich selbst bekümmert, von keines andern Hülf' oder Gnade abhängt, und im Frieden für sich und seine Kinder sein Feld baut. Am meisten ärgerte er sich über die vielen Müssiggänger, die, wie Puppen, die Strassen auf und ab tanzten, denen man den Müssiggang ansah, und die, um den Müssiggang noch zu vermehren, eben so grosse Müssiggänger, als Bediente, hinter sich drein gehen haben. Es schmerzte ihn, so viel Leute in zerlumpten Kleidern, mit ausgehungerten Gesichtern, und muthlosen, niedergeschlagnen Mienen zu sehen, die, von den goldbedeckten Herren umbemerkt, wie Gewürm unter den Füssen des Wanderers herum kriechen. Gott, dachte er, das sind doch auch Menschen, die auch Seelen haben, wie die Herren, und sie werden nicht geachtet! Gibts denn keine Größe, und kein Glück, wenn ihm nicht Niedrigkeit und Elend zur Seite steht? Hier vergißt man ja sich selber vor dem ewigen Gelärm der Kutschen, und den stillen rechtschaffenen Bürger muß man auch vergessen. Leute mit den frechsten Gesichtern und dem aufgeblasensten Wesen sah er zwischen andern, und besonders alten Mütterchen sich brüsten, die mit der [722] andächtigsten, oft bigottesten Miene, und dem Rosenkranz in der Hand, nach den Kirchen zuschlichen. Aberglauben und Unglauben schien sich hier ewig zu durchkreuzen. Als er eine Kirche vorbeykam, gieng er hinein. Auf einmal dachte er an Marianen, gieng in einen Stuhl, warf sich auf die Knie, und betete mit heisser Innbrunst, und mit Thränen in den Augen. Nun fühlte er erst ganz das Glück der Ruhe und der Liebe, das er in ihrem Arm genossen hatte, und jetzt entbehren muste. Mit ungewöhnlich starker Sehnsucht sehnte er sich nach ihr zurück. In der Kirche sah er noch mehr die große Kluft zwischen Andacht und Frechheit. Das gemeine Volk lag in tiefster Demuth vor Gott, und die vornehmen jungen Herren und Frauenzimmer stunden frech in ihren goldnen oder seidnen Kleidern da, begafften sich mit stolzer Selbstzufriedenheit; warfen sich, anstatt zum Himmel zu blicken, und in Demuth vor Gott zu erscheinen, buhlerische Blicke zu, und vergassen alle Ehrerbietung, die man in einem Gotteshause zeigen sollte. Siegwart gieng, mit einem schweren Seufzer aus der Kirche, und nach seinem Gasthof zurück.

[723] Kronhelm schickte seinen Bedienten dahin, und ließ ihn zu seiner Schwester zum Mittagsessen bitten. Er ward von ihr gütig aufgenommen. Ste war ein Frauenzimmer von 25 oder 26 Jahren, das in den Gesichtszügen, das feine weibliche abgerechnet, ihrem Bruder ganz ähnlich sah. Sie hatte viel Anmuth in der Miene, etwas schwärmerisches im Auge, und viele Lebhaftigkeit und Munterkeit in ihrem Wesen. Ihr Mann war auch da; er war schon in den dreyssigen, hatte eine ziemlich angenehme Bildung, die er aber durch ein angenommnes, kaltes, steifes Wesen sehr verstellte. Sein Betragen gegen Siegwart war höflich, aber doch von einer Feyerlichkeit und Entfernung begleitet, die alles Zutrauen verbannte. Vor Tisch wurden die Kinder ins Zimmer gebracht, zwey Mädchen von 6 und 7 Jahren, und ein Knabe von 9 Jahren, die wie junge Engel aussahen. Sie musten etwas französisch plappern, aber mit Siegwart sprach der Knabe deutsch, fragte ihn alles, wo er herkomme? wie er heisse: Ob er auch einen Papa, und auch eine liebe Mama habe? u.s.w. Dann erzählte er allerley Geschichten von sich und seinen Schwestern, von ihren Puppen, von seinen zinnernen Soldaten, die er herholte und in Schlachtordnung stellte. Siegwart [724] wollte ihm auch helfen, aber er machte, nach seiner Meynung, alles unrecht; der Knabe lachte ihn aus, und belehrte ihn eines Bessern. Dann holte er der Beaumont Magazin, las ihm daraus vor, und erzählte ihm ein Mährchen. Siegwart muste auch vorlesen, und sich von dem kleinen Karl alle Augenblicke korrigiren lassen. Er machte vorsetzlich Fehler, und stellte sich bey den Belehrungen des Knaben sehr aufmerksam an, welches diesem ausserordentlich gefiel. Die Mädchen unterhielten sich mit ihrer Mama, und mit Kronhelm, dem sie ihre Puppen zeigten, ihre schönen Kleider hererzählten, und von andern kleinen Mädchen unterhielten. Als die Kinder weggebracht werden sollten, bat der Knabe sehr, man möcht ihn doch bey dem Herrn lassen! Man versprach ihm aber, daß er wieder kommen dürfte. Bleib fein da! sagte er zu Siegwart, als er weggieng.

Bey Tisch war auch Kronhelms Bruder, ein etwas flüchtiger und leichtsinniger junger Mensch, der die witzigen Franzosen, und besonders Voltärs Schriften stark las. Er spottete über Universitäten, Professoren, und gelehrte Wissenschaften, sprach viel von der Historie, in der Voltaire seine Quelle war; sagte, er wünsche [725] nichts mehr, als Paris zu sehen; schimpfte auf die Steifigkeit der Deutschen, nahm aber den Münchnerhof davon aus; erzählte ein paar Hofgeschichten, und gieng wieder weg, in eine andere Gesellschaft.

Herr von Eller, so hieß Kronhelms Schwager, der schon ernsthafter dachte, suchte ihm die Annehmlichkeiten des Hoflebens von einer andern Seite darzustellen, und ihm den Hang, auf dem Land zu leben, zu entleiden. Er stellte ihm das Glück vor, um einen großen Herrn zu seyn, immer höher zu steigen, und endlich vielleicht gar zu seinem Vertrauen zu gelangen, u.s.w. Für Kronhelm war dieses kein Glück, und er wich den Ueberredungen seines Schwagers mit Klugheit und Bescheidenheit aus. Um 3 Uhr muste Hr. von Eller in eine Session, und seine Gemahlin, Kronhelm und Siegwart blieben allein. Das Gespräch ward nun vertraulicher. Die Frau von Eller fragte ihren Bruder, warum er so blaß und eingefallen aussehe? Er sey sonst viel munterer gewesen; jetzt hab er so viel Ernst und Schwermuth in seinem Karakter; seine Seele müsse eine große Veränderung und tiefe Leiden erfahren haben. Er kenne die Freundschaft, die [726] sie von jeher gegen ihn getragen, und den Antheil, den sie immer an seinen Schicksalen genommen habe; er möchte daher doch offenherzig gegen sie seyn, und ihr alles offenbaren, was er, ohne Verletzung seiner Ruhe könne! etc. Kronhelm that es auch, erzählte ihr mit vieler Rührung und der grösten Aufrichtigkeit seine ganze traurige Geschichte mit Theresen, und setzte hinzu: So lang ich von ihr getrennt leben muß, und sie nicht bekommen kann, so lang kann ich auch nicht ruhig und nicht glücklich werden. Mein Herz wird sie ewig lieben, und ewig um sie trauren, wenn ich sie nicht ganz besitzen soll. Für mich ist dann keine Ruhe, als im Grab! – Seine Schwester sagte: sie habe von ihrem Onkel einen Theil seiner Geschichte schon gewußt; sie habe innerlich um ihn getraurt, seine Liebe und seine Leiden würden durch die Hindernisse, und durch die Zeit wieder verringert werden; nun erfahre sie mit inniger Betrübniß das Gegentheil. – Ich bin in der Absicht hieher gereist, sagte er, den Onkel auf meine Seite zu bringen; denn, wenn ich nur selber mit ihm von Theresen reden, und ihm meinen Zustand schildern könnte, so wär alles gut, aber nun ist dieses auch nichts. Seine Schwester beruhigte ihn von dieser Seite mit der Versicherung, daß [727] der Onkel seiner Wahl nicht ganz abgeneigt sey; und jetzt, da er in Theresens Gegend komme, sich gewiß nach ihr erkundigen, oder den alten Hrn. Siegwart selbst besuchen werde. Der Onkel, setzte sie hinzu, hält alles auf dich, und ist für dein Schicksal sehr besorgt. Er war mit dem Betragen unsers Vaters gegen dich nicht zufrieden, aber weil er deine Liebe nur für ein aufbrausendes Feuer hielt, so glaubte er, behutsam drein gehen zu müssen. Er hat sich unter der Hand fleissig nach dir erkundigt, besonders bey einem Hofrath Fischer in Ingolstadt (hier wurde Siegwart roth) und war oft sehr bekümmert, wenn er hörte, daß du so niedergeschlagen seyest. Erst noch neulich, als man von dir sprach, sagte er, ich will mich der Sache annehmen, sobald ich kann. – Und was ich dabey thun kann, Bruder, das thu ich gewiß. Davon brauch ich dir nicht erst Versicherung zu geben. – Kronhelm war über diese Nachricht äusserst froh, und voll süsser Hoffnungen. Er und Siegwart musten nun der braven Frau viel von Theresen erzählen. Sie erkundigte sich nach allen, sie betreffenden Kleinigkeiten sehr genau. Kronhelm muste ihr Theresens ganzes Aussehen beschreiben. Er sagte: in den meisten Zügen seh sie seinem Siegwart ganz ähnlich; [728] nur eine feinere Haut hat sie, sagte er, ist nicht so ernsthaft, hat hellere und dunkelblauere Augen, eine nicht so hoch gewölbte Stirne. Die Frau von Eller that gegen unsern Siegwart recht vertraut, trank auf Theresens Gesundheit, und war ganz mit ihm zufrieden. Kronhelm sagte, auf den Karfreytag wollten sie wieder zurückreiten; aber sie drang so lang in sie, am Karfreytag noch in München zu bleiben, um die Prozession zu sehen, und den feyerlichen Gottesdienst und die Trauermusik bey Nacht mit anzuhören, bis sie endlich nachgaben. Der kleine Karl kam wieder, und spielte mit Siegwart; die Mädchen wurden auch nach und nach zuthätiger und mischten sich mit in die Spiele. Sie erzählten in der Reihe herum Mährchen, und Siegwart muste das seinige auch erzählen; aber er sah, wie viel ihm dazu fehle, etwas auch den Kindern wahrscheinliches, zu erzählen, denn sie machten ihm alle Augenblicke Einwendungen und Fragen, die er nicht beantworten konnte. Der Herr von Eller kam auch wieder zurück, und war gegen unsre beyden Jünglinge ganz verbindlich; aber weil er um 6 Uhr mit seiner Frau in Gesellschaft gehen muste, so bat er sie auf den andern Tag wieder zu Tisch, [729] und sagte, überhaupt, so lang sie in München wären, sollten sie immer bey ihm essen.

Den Abend assen Kronhelm und Siegwart in ihrem Gasthof in Gesellschaft, aber sie gingen bald wieder auf ihr Zimmer, denn in der Gesellschaft, die aus gemischten Personen bestand, wurden fast lauter Spöttereyen über die Religion, Anspielungen auf die Begebenheit, die am bevorstehenden Fest gefeyert werden sollte, und Zweydeutigkeiten vorgebracht, die in der sogenannten grossen Welt, wo der gute Ton herrschen soll, so gewöhnlich sind, und Leuten von Verstand und Herz nicht gefallen können. Marx erzählte seinem Herrn, nach seiner Art, die Merkwürdigkeiten, die er in der Stadt gesehen hatte. Er habe nicht geglaubt, sagte er, daß so viel Menschen in der Welt wären, als er heut angetroffen habe. Es sey in seinem Dorf am Jahrmarkt nicht so voll, wie hier auf allen Strassen; und Junker hab er angetroffen, die weit schönre Kleider haben, als sein vorger gnädger Herr an hohen Festen getragen habe, und doch seys jetzt nur ein Werktag; wie's nun erst am Sonntag seyn müsse? Es geb in seinem Dorf nicht so viele Wagen, als er hier vergoldete Kutschen angetroffen habe. Man hab ihm auch das Haus gezeigt, wo [730] der Herr Kurfürst wohne. Unten sey ein Herr gestanden, von dem er gewiß geglaubt habe, er sey der Kurfürst, denn er hat lauter Silber angehabt, aber, als er sich sehr tief gebückt, hab des Herrn von Eller Bedienter ihn ausgelacht, und gesagt, das sey nur ein Läufer. Auch in ein paar Kirchen sey er gewesen; da sey so viel Gold, daß einem die Augen davon weh thuen. In der Einen Kirche sey das Wahrzeichen ein Stein zwischen zwey Pfeilern; wenn man auf dem Stein steh, so könne man kein Fenster in der ganzen Kirche sehen. Er wisse nicht, wie das seyn könn', aber es sey so; er habs selbst gesehen. In einer andern Kirche blas' ein Engel die Posaune, daß man glaub, er lebe, und doch sey er nur von Holz. Es muß wohl Zauberwerk seyn, sonst könn' ers nicht begreifen. In den Kirchen sey so schöne Musik, daß er glaub, die Leute in München müssen all in den Himmel kommen, weil man ihn ihnen so schön und anmuthig vormale. Es sey eine Lust, da zu bethen. Das Herz werd' einem ganz weit und leicht, und man glaub, Gott müss' einem gnädig seyn, wenn man so schöne Musik höre; auch glaub er nicht, daß man viel Böses thun könn', wenn man oft so was mit anhöre; das Herz werd einem so [731] weich und mitleidig, daß man alles Böse drüber vergesse u.s.w. Kronhelm und Siegwart hörten seiner Beschreibung mit Vergnügen zu. Kronhelm gab ihm Taschengeld, und versprach ihm auch, ihm in Ingolstadt eine neue Livree machen zu lassen; der arme Kerl war so dankbar, daß er vor Freuden weinte, und sagte: Er möchte nur wissen, wie er bey Gott ein so grosses Glück verdient habe? –

Kronhelm ließ ihn weggehn, und theilte nun mit seinem Siegwart seine Freude über die frohen Aussichten, die er jetzt, in Absicht auf Theresen hatte. Er machte schon Entwürfe, wie er sein künftiges Leben einrichten wollte. Wenn mein Vater sich nicht zufrieden geben will, sagte er, so zieh ich auf das Landguth, wo wir mit unsrer seligen Mutter lebten. Ich weis, daß Therese sich mit Wenigem vergnügt, und mein Onkel wird schon auch für uns sorgen. Wir sind uns an jedem Ort genug, und brauchen keinen Ueberfluß, wenn uns nur die Liebe mit Zufriedenheit segnet; und das wird sie thun, so lang wir leben. Siegwart gab ihm völlig Beyfall, und sagte, so denk er auch in Absicht auf seine Mariane. Kronhelm mochte ihn noch nicht fragen, welchen Plan er sich gemacht habe und welche Lebensart er [732] zu erwählen gedenke? Siegwart hatte auch im Taumel seiner Liebe daran noch nicht gedacht.

Den andern Morgen gingen sie bey Zeiten wies der zu Kronhelms Schwager. Dieser wurde nach und nach vertraulicher, und legte den Hofton ziemlich ab. Er fragte, ob sie nicht die Merkwürdigkeiten der Stadt besehen wollten? und gab ihnen seinen Kammerdiener mit. Sie besahen die Residenz und besonders den Prinzenhof, wo sie die vielen metallenen Bildsäulen, die zum Theil sehr gut gearbeitet sind, bewunderten; das Antiquarium, mit den vielen marmornen Bildsäulen der ältern römischen Kaiser, und die Kunstkammer. Sie bedaurten nur, daß man alles nur so flüchtig besehen kann, und von der Menge der Merkwürdigkeiten mehr betäubt wird, als daß man das, sich besonders auszeichnende, studiren, und seinem Gedächtniss' einprägen kann. Auch giengen sie in einige Kirchen, wo die Menge von Gemälden, Kostbarkeiten und Schätzen sie blendete, und kamen um Ein Uhr zum Essen zurück. Herr von Eller fragte sie nach verschiedenem, was sie gesehen hatten, und freute sich, daß sie auf die Alterthümer und die römischen Bildsäulen am aufmerksamsten gewesen waren, denn er selbst war ein guter Alterthumskenner, [733] und ein Freund der alten Litteratur. Bey Tisch sprach er viel von römischen und griechischen Schriftstellern, und war über die Einsichten, die Siegwart und sein Schwager hatte, nicht wenig entzückt. Er rieth ihnen, sich in Ingolstadt, wegen des Griechischen, an den alten Ickstadt zu wenden, der es in diesem Fach ausnehmend weit gebracht habe, und zuweilen privatissima über den Homer, oder andre Griechen lese. Auch rühmte er ihnen den Prof. Lory (der jetzt geadelt und geheimer Rath zu München, auch Präsident über die Universität Ingolstadt ist), als einen Mann, dessen Herz und Verstand, und Gelehrsamkeit gleich groß sey. Ich kenn ihn sehr genau, sagte er, und hab in der Jugend mit ihm studirt. Er war im Studiren unermüdet, forschte selbst, und prüfte alles, was er hörte. Im Griechischen, Lateinischen, Italiänischen und Französischen war er schon dazumal zu Hause, und setzte sich noch immer mehr drinn fest. Alles Wissenswürdige machte er sich zu eigen, und erweiterte nachher seine Kenntnisse in den Wissenschaften noch mehr zu Gottingen, wo er, ausser den andern berühmten Lehrern, sich besonders an den, in seinem Fache grossen Pütter hielt, und sich seine ganze Freundschaft,die er jetzt noch [734] durch Briefe unterhält, erwarb. Er ist ein treflicher Mann, der alle Weisheit der Alten und der Neuen aus ihren Schriften sammelt, und auf sich und den Zustand seiner Mitbürger anwendet, denn er ist ein ächter deutscher Patriot, der auf seinen Reisen nach Frankreich und Italien nicht, wie gewöhnlich, Thorheiten oder Laster, sondern Wissenschaften, Menschenkenntniß und Weltklugheit eingeerndtet hat, und sie nun unter seine Mitbürger und in seine Schriften ausstreut. Er hat bey seinem standhaften, deutschen, männlichen Karakter, die uneingeschränkteste Menschenliebe und Rechtschaffenheit. Kurz er ist ein Mann, wie es heut zu Tage wenig mehr gibt. Machen Sie ihm nur eine Empfehlung von mir! Er wird Ihnen auch um meinet willen viele Freundschaft erweisen. – Nach Tische zeigte Herr von Eller unsern Jünglingen seine ansehnliche Kupfersammlung, und verwunderte sich über den natürlich guten Geschmack, den sie zeigten. Er war aufmerksam, als er sie mit so vieler Wärme von neuern deutschen Schriftstellern reden hörte, und ließ sich sogleich einige Trattnersche Nachdrücke von deutschen Dichtern aus dem Buchladen holen.

[735] Kronhelm und Siegwart blieben diesen Abend bis zehn Uhr da, und giengen sehr vergnügt nach ihrem Gasthof zurück. Den andern Morgen, am Karfreytag, giengen sie in die Jesuiterkirche, wo sie mit der grösten Andacht eine sehr schöne und rührende Trauermusik anhörten, und einen grossen Theil des vornehmen Münchner Adels sahen. Siegwart wünschte nichts, als daß seine Mariane auch da seyn möchte, denn unter der Menge von Frauenzimmern, die er sah, konnte keine sein Auge lange auf sich ziehen. Er dachte nur, wie seine Mariane in ihrem schwarzen Kleid, und das himmlische Gesicht mit Flor bedeckt, jetzt auch im Chor knien, und über die Leiden ihres Heilandes heilige und unschuldsvolle Thränen vergiessen werde.

Nach dem Essen sahen sie die grosse Prozession, und die Kreuzigung, die das Jahr darauf auf kurfürstlichen Befehl, zum Triumph der gesunden Vernunft, abgeschafft worden ist. Der Geißler und Büssenden war eine fast unzählige Menge. Ganz München, auch der Hof, war an Einem Ort versammelt, und die Büssenden waren mehr zum Gepränge, als aus Andacht da. Marx sagte nachher: das Geisseln hab ihm so wohl gefallen, daß er beynahe Lust bekommen habe, auch mitzumachen, wenn [736] er nur gleich ein leinenes Kleid und eine Geissel gehabt hätte.

Den Abend assen Siegwart und Kronhelm noch einmal beym Herrn von Eller. Kronhelm sprach mit seiner Schwester nochmals allein wegen Theresen, und erhielt die wiederholte ernstliche Versicherung von ihr, sie wolle sich seiner aufs möglichste annehmen, und gewiß ein kräftiges Vorwort bey ihrem Onkel einlegen. Um zehn Uhr nahmen die beyden Jünglinge Abschied, denn sie wollten den andern Morgen, mit dem Tag, wegreiten. Um 11 Uhr giengen sie in die Frauenkirche, um die grosse Trauermusik, die zum Andenken der Kreuzigung des Erlösers aufgeführt wird, mit anzuhören. Die ganze kurfürstliche Kapelle war zugegen. Der Anblick der Kirche war der feyerlichste. Eine grosse Menge von Wachslichtern erleuchtete die Dunkelheit der Kirche. Oben im Gewölbe schwebte der Weihrauchsdampf wie eine Wolke. An den Wänden glänzten die vergoldeten Altäre, Gemälde und der Marmor. Die Volksmenge drängte sich, und ihre Stimmen, und der Schall der Gehenden machten ein dumpfes, fürchterliches Gemurmel. Die schwarze Kleidung der meisten Frauenzimmer machte die Scene noch feyerlicher. Auf Einmal [737] wurde das wehmüthige Miserere von Allegri angestimmt. Das Gemurmel schwieg; alle Gesichter wendeten sich nach dem Chor hin, und glänzten im Schein der Wachslichter. Jede Brust war von Bangigkeit beklommen. Aus allen Mienen sprach allgemeine Wehmuth. Die Instrumente klangen dumpf wie aus dem Grab. Die tiefe Demuth und die Traurigkeit der Singstimmen ergoß sich in jedes Herz. Ein allgemeines Sehnen nach Erbarmung athmete aus jeder Brust. In Siegwarts Seele wars wie das Sehnen nach der Auferstehung. Er weinte, denn er dachte sich die Liebe Christi, die für uns gestorben ist, dachte alle die unabsehlichen Folgen dieses Todes die in alle Ewigkeit fortströmen; sah seinen Heiland am Kreuze hangen, und mit Heiterkeit hinab ins Grab blicken; sah die Augen aller auf ihn gerichtet, die im Elend schmachten; sah die Dunkelheit der Gräber, und das ängstliche Harren der Kreatur nach der Erlösung und der Auferstehung; sah auch seine Mariane mit schon halbgebrochnen Augen zu ihm aufblicken. Seine Seele bat zu ihm für sie, für sich, und alle Menschen. Laß sie Alle Eins werden! dacht' er, mach sie Alle selig! – Zum Schluß ward noch ein herrliches [738] Oratorium aufgeführt, das aller Herzen hob, und mit Aussichten in die Ewigkeit erfüllte.

Marx ging mit Kronhelm und Siegwart heim. Er sprach lange nichts. Endlich sagte er: Er glaube, im Himmel werde einst lauter Musik gemacht werden, denn schöners könne man wol nichts erdenken. Siegwart und Kronhelm legten sich noch in den Kleidern drey oder vier Stunden zu Bette, und mit Sonnenaufgang ritten sie aus der Stadt weg. Siegwart freute sich unaussprechlich, seine Mariane bald wieder zu sehen. Sein Pferd lief ihm viel zu langsam, und er konnte den Abend kaum erwarten. Auf dem ganzen Wege fiel nichts wichtiges vor. Die beyden Freunde unterhielten sich wechselsweis von ihrem Glück, und kamen, mit dem Bedienten, Abends ziemlich früh in Ingolstadt an, weil Siegwart so sehr getrieben hatte. Seine Mariane lag im Fenster, und winkte ihm mit den Augen, daß er sie besuchen möchte. Er hatte auch kaum seine Reisekleider ausgezogen, so gieng er mit Kronhelm hinüber. Der Hofrath Fischer war allein bey seiner Tochter im Zimmer, weil die Mutter zu der Schwiegertochter gegangen war, die sich nicht recht wohl befand. Die Liebenden sahn einander mit einer Sehnsucht an, als ob sie [739] sich Jahre lang nicht gesehen hätten. Gern wären beyde einander in die Arme geflogen, und hätten sich ans Herz gedrückt, wenn nicht die Gegenwart des Vaters sie zurückgehalten hätte. Kronhelm und Siegwart musten viel von München, von der Prozession, und der Trauermusik erzählen. Mariane hieng an den Augen ihres Jünglings, wie die Seele eines Inbrünstigbetenden am Krucifix. Sie schenkte ihm Kaffee ein. Er bemerkte die Stelle, wo sie die Schaale gehalten hatte, und drückte sie, mit einem Blick auf seinen Engel, an den Mund. Nach einer halben Stunde gieng der Hofrath auch zu seiner Schwiegertochter, und entschuldigte sich bey Kronhelm und Siegwart, daß er sie allein lassen müsse. Mariane leuchtete ihrem Vater die Treppe hinunter. Als sie wieder zurück kam, sah sie ihren Siegwart zärtlich an gab ihm die Hand, und sank in seinen Arm. Er konnte vor Entzücken so wenig sprechen, als sie. Nur Küsse und seelenvolle Blicke drückten die Empfindüngen ihrer Herzen aus. – Haben Sie zuweilen auch an mich gedacht? fragte Siegwart endlich. Immer, immer! gab sie zur Antwort. Ich sah hundertmal des Tags nach Ihrem Fenster, ob ich Sie nicht sehe? Und dann fiel mir erst ein, daß [740] Sie weit von hier wären, und da ward ich traurig und weinte. Vorgestern und gestern Abend sah ich unaufhörlich aus dem Fenster, ob Sie noch nicht kommen? und als ich mich in meiner Erwartung betrogen fand, hatt ich tausenderley traurige Vorstellungen, daß Ihnen ein Unglück begegnet seyn möchte. So oft ich in der Ferne ein Pferd kommen hörte, fing mein Herz laut zu schlagen an, weil ich dachte, nun kommt er. Heut, als ich Sie kommen sah, war ich so ausser aller Fassung, daß ich fürchte, meine Mutter habe es gemerkt. Das Beste ist, daß sie auch aus dem Fenster sah, und also meine Bewegung nicht wahrnehmen konnte. – Er schloß sie fester an sein Herz, und belohnte mit dem heissen Kuß der Liebe ihre Zärtlichkeit. Dann fragte sie, was Kronhelm ausgerichtet habe? und freute sich über die frohen Aussichten, die er hatte. – Alles Glück der Zärtlichkeit ergoß sich diesen Abend über unsre beyde Liebende. Sie empfanden die Seligkeit, einander zu besitzen, nun noch mehr, weil die kurze Trennung sie gelehrt hatte, wie unentbehrlich eins dem andern sey. Marianens Bruder kam ihnen nur allzufrüh, nach Haus, und das Gespräch ward gleichgültiger, ausser daß die Liebenden sich zuweilen [741] mit dem beredten Blick der Liebe seitwärts ansahn. Die Hofräthin kam bald darauf auch nach Haus, und hatte eine herzliche Freude über die glückliche Zurückkunft unsrer Jünglinge. Beym Weggehn leuchtete Mariane ihrem Siegwart und seinem Freund die Treppe hinunter, und erzählte ihm, wie gut ihm ihre Mutter sey, und wie vortheilhaft sie sehr oft von ihm spreche. Eine Nachricht, die unserm Siegwart ausserordentlich angenehm war. Nach etlichen Küssen und Umarmungen trennten sich die Liebenden, weil sie fürchteten, der Hofrath möchte bald zurückkommen, und sie in der Hausthüre überraschen.


Den andern Morgen, welches der Ostertag war, sah Siegwart seine Mariane in der Kirche. Ihre festliche Kleidung, ihr aufgeheitertes Gesicht, die hohe Andacht, die draus hervorleuchtete, bezauberten sein Herz mehr als jemals. Als er in seiner Freude nach Hause gieng, und sich im Taumel seiner Wonne kaum fassen konnte, da ward er auf Einmal durch Kronhelms Anblick drinn gestört. Dieser kam ganz bestürzt, mit einem Brief in der Hand zu ihm aufs Zimmer. Ich muß fort! sagte er, und warf den Brief auf den Tisch. Siegwart [742] sah ihn betroffen und stillschweigend an. Lies nur! sagte Kronhelm. Siegwart las:


Lieber Son.


Daß Zibberlein hat mich abermalen hingeworfen, daß ich glauben thät, es sey aus. Es wirt mir gewiß noch einmal den Fang geben. Will mich in Goddes Nammen darauf vorbereiten thun, und mein Schloß bestellen. Du muost darbey seyn, darum komm! hast meiner Seel gnuog Gelt an das verdrakte Stuttieren verwendt, daß ich denk, es sey genuog. Du weist wol, daß bey einem Junker bey den Büchern nigs herauskommen thut. Pack also auf, und komm bälder als balt, oder 's geht nicht guot. Wenn du kommen thust in fier Tägen, so bin ich dein gedreuer Vatter


Veit Kronehelm.


Was hältst du von dem Brief? sagte Kronhelm. Ich halt ihn für so schlimm nicht, antwortete Siegwart. Daß du fort must, das ist freylich traurig, und für mich am meisten, aber sonst seh ich nichts Böses bey der ganzen Sache. Wenn dein Vater, wie es scheint, so schwach ist, daß er bald sterben könnte, so wirst du dein eigner Herr, und dann ... Schon gut, fiel hier Kronhelm ein; [743] aber ich habe eine Ahndung ... Ich weis selbst nicht. Mein Vater könnte leicht andre Absichten haben. Er wird wieder von Theresen anfangen, und da zittr' ich, wenn ich dran denke. – Siegwart suchte ihn, so viel als möglich, zu beruhigen, und ihm allen Argwohn zu benehmen. Er suchte ihm größre Hofnungen einzuflössen, als er selber hatte, und sprach ihm Muth ein, da es ihm doch selbst daran gebrach; denn der Gedanke, seinen besten Freund so bald zu verlieben, beugte ihn tief nieder. Wenn alles fehlschlägt, sagte er, so hast du ja deinen Onkel, auf den du dich verlassen kannst. Er wird sich der Härte deines Vaters gewiß widersetzen, und sich deiner annehmen. Durch diese und andre Vorstellungen wurde Kronhelm etwas ruhiger, und beschloß, gleich den andern Tag abzureisen. Ich will meine meisten Sachen hier lassen, sagte er; vielleicht komm ich wieder. Wenigstens will ich alles thun, was ich kann; denn was soll ich bey meinem Vater machen, zumal wenn er krank und verdrießlich ist?

Siegwart bestellte für seinen Freund einen Miethkutscher, und für sich ein Pferd, um ihn einige Stunden weit zu begleiten. Er verbarg seine Traurigkeit sorgfältig, um ihm nicht den Abschied [744] schwerer zu machen, oder seine traurige Vorstellungen und Ahndungen zu vergrössern. Kronhelm packte indessen seine nöthigsten Sachen zusammen, und nahm dann beym Hofrath Fischer, und einigen wenigen Freunden Abschied. Seine ökonomischen Umstände waren bald in Richtigkeit gebracht, da er jedermann sogleich bezahlte. Gegen Abend war er fertig, ohne daß er selber wuste, wie er dazu gekommen war. Nun konnt er sich erst besinnen, und an sich selber denken. Nun fiel ihm erst die nahe Trennung von seinem Siegwart schwer aufs Herz. Nun sollte er zum zweytenmal, und, Gott weis wie lange? sich von seinem Herzensfreund, von dem Bruder seiner Therese, der ihm, nach ihr, alles auf der Welt war, trennen. Nun sollt' er einem Vater entgegen gehen, der wenig oder gar kein menschliches Gefühl hatte, der ihm das Kleinod seines Herzens rauben wollte. Er saß in der Dämmerung, sah seinen Siegwart an, und versank in die tiefste Nacht des Kummers. In seiner Seele wälzten sich tausend Zweifel hin und her. Seine Phantasie thürmte Gefahren auf Gefahren vor ihm auf. Siegwarts Gesicht kam ihm in der Dämmerung wie Theresens ihres vor. [745] Die tiefe Traurigkeit, die drinn saß, schien ihm eine ewige Trennung anzukündigen. Er konnte sich nicht länger halten, sprang auf, drückte seinen Siegwart fest ans Herz, und rief: Bruder, Bruder, was wird aus uns werden! Unserm Siegwart stürzten die Thränen aus den Augen; er konnte nichts sprechen, und schloß seinen Freund noch fester ans Herz. – Wir werden gar zu traurig, sagte er endlich; laß uns etwas anders sprechen, oder uns ein wenig ausgehen.

Ich kann zu keinem Menschen gehen! sagte Kronhelm; ich weis nicht, wie mir ist? Ich bin für alle Gesellschaft unbrauchbar. Das ist ein erschrecklicher Zustand! Ich seh nichts vor mir, als Trennung und Elend. Indem ward an die Thüre geklopft, und Dahlmund kam. Ich konnte heut nicht genug mit dir reden, Kronhelm! sagte er, weil jemand bey mir war. Dir und Siegwart hab ichs zu verdanken, daß ich von der Weissin los bin, und mit ihrem liederlichen Kerl mich nicht geschlagen habe. Heut ist er durchgegangen, und hat ein paar hundert Gulden Schulden hinterlassen. Kürzlich hat er noch beym Kaufmann etliche Ellen Stoff zu einem Kleid ausgenommen, und ihr verehrt. Nun will der Kaufmann von ihr [746] die Bezahlung, oder seinen Stoff wieder, und drüber wird sie das Gespräch der ganzen Stadt. O, ich bin so froh, daß sie mich nicht mehr in ihren Klauen hat. Ihr habt brav an mir gehandelt, daß ihr mich so von ihr losrisset, und ich werd es nie vergessen. Es thut mir nur leid, Kronhelm, daß wir dich so bald verlieren sollen. – Siegwart lenkte das Gespräch, mit Vorsatz, auf etwas anders, und Kronhelm ward nach und nach ziemlich zerstreut, und, nach Umständen, munter.

Dahlmund blieb noch ein paar Stunden da, und nahm von Kronhelm mit vieler Rührung Abschied. Siegwart bat seinen Freund, frühzeitig zu Bett zu gehen, weil sie morgen bald aufstehen wollten. Er war besorgt, sie möchten beyde wieder in den schwermüthigen Ton herab sinken, und sein Freund möchte Zweifel aufwerfen, die er nicht im Stand wäre, umzustürzen; denn er schloß wirklich aus dem Schreiben des Junker Veit wenig Gutes. Kaum war er allein auf seinem Zimmer, so brach sein Schmerz mit aller Gewalt aus. Er fühlte den Verlust, den er leiden sollte, in seinem ganzen Umfang. Es war ihm jetzt gedoppelt schmerzhaft, seinen einzigen und besten Freund zu verlieren, da er kaum einen Vertrauten seiner Liebe[747] entbehren konnte, und doch keinen Menschen auf der Welt wuste, dem er sich so ganz anvertrauen könnte, denn mit Dahlmund war er nicht vertraut genug. Nach vielen Thränen, und tausend ausgestoßnen Seufzern legte er sich endlich zu Bette.

Um 4 Uhr weckte ihn Kronhelm wieder, und war so bewegt, daß er kein Wort sprechen konnte. Sie tranken stillschweigend mit einander Kaffee, packten das noch übrige zusammen, und reisten um 5 Uhr ab. Mariane trat in ihrem Nachtzeug ans Fenster, grüßte Kronhelm noch einmal halb freundlich und halb traurig; auf ihren Siegwart warf sie einen schmachtenden und liebevollen Blick. Vor dem Thor fragte Siegwart: Weis sies, daß ich dich nur etliche Stunden weit begleite, und heut wieder zurückkomme? Ja, ich hab ihrs gestern gesagt, antwortete Kronhelm. Weil Siegwart im Reiten neben der Kutsche nicht gut mit seinem Freunde sprechen konnte, so ließ er den Marx auf sein Pferd sitzen, und setzte sich zu ihm hinein, denn jetzt, in der freyen Luft, wurden ihre Herzen leichter, und sie konnten eher mit einander sprechen. Ihre Unterhaltung war, wie natürlich, traurig. Ihre Blicke sprachen mehr, als ihre Zunge. Grüß Theresen tausendmal! sagte Kronhelm; schreib mir alles, was [748] du von ihr weist! Unser Schicksal muß sich nun bald entwickeln. Wenn sie nur Muth genug hat, alles zu erwarten! Zwar ich hoffe viel; aber, Bruder, unser Schicksal steht in Gottes Hand; wir können nichts thun, als ihm willig folgen ohne Murren. Ich habe doch bey allem, was mir noch bisher begegnete, erfahren, daß es nichts als weise Güte ist, wodurch uns Gott regiert. Dieser Grundsatz kann mich allein bey allen Widerwärtigkeiten trösten. Laß ihn in dir leben und weben, und sorg, daß ihn auch mein Engel sich ganz zu eigen macht! Ich schreibe dir, sobald als möglich. Lieber Freund, daß wir uns trennen müssen, ist sehr hart, und doch werden wir noch einsehn, daß es auch weise Güte war, die uns trennte. – Wir hätten uns weit besser geniessen können. Jeder Augenblick, der uns ungenossen hinfloh, schmerzt mich jetzt. Wie oft sassen wir eine Stunde lang beysammen, ohne zehn Worte zu sprechen. O, wenn doch der Mensch die Zeit recht zu geniessen wüste! Aber hinter drein wird man weise. – Desto besser, sagte Siegwart, werden wir die Zeit benutzen, wenn uns Gott wieder zusammen führen sollte. O Freund, wird es wohl geschehen? – Ja, ich hoff es, hoff es, sagte Kronhelm. Ohne [749] diese Hoffnung wäre mir die Trennung unerträglich. Aber schreib mir fleissig. Laß mich nicht in meiner Einsamkeit verschmachten! – Du mich auch nicht, Kronhelm! Du weist, wie ich ohnehin zur Schwermuth geneigt bin. Wenn ich dich nicht hätte, und es ginge mir in meiner Liebe widerwärtig! Bruder, Bruder, schreib mir! – Du must glücklich werden, sagte Kronhelm, du, und Mariane! Wenn ein Mensch es werth ist, so seyd ihrs. Aber, Bruder, du must dich bald entschliessen, welche Lebensart du wählen willst. Ein Geistlicher wirst du nun doch nicht, und das ist recht gut, ich war nie damit zufrieden. Aber, da Mariane weis, was du bisher studirt hast, so könnte sie leicht unruhig werden. Reiß sie bald aus ihrer Unruhe! – Ich wills thun, Bruder! versetzte Siegwart. Es geht mir schon lang im Kopf herum, und quält mich heimlich. Ich bin selber noch nicht schlüssig; so bald ichs bin, schreib ich dir davon. Ein Geistlicher kann ich freylich nicht werden. Gott wird mirs vergeben, und ich hoffe, mein Vater wird es auch zufrieden seyn. Ich muß mich erst an Theresen wenden. – Thu es bald! sagte Kronhelm du weist, wie der Engel denkt. –

[750] So fuhren sie unter freundschaftlich wehmüthigen Gesprächen noch drey Stunden fort. Kronhelm fragte seinen Freund etlichemal, ob er nun nicht aussteigen und umkehren wollte? Aber Siegwart wollte gar nichts davon hören. Laß mir noch die Freude, sagte er, dich ein paar Stunden länger zu haben! Wer weis, wenn wir wieder so beysammen sind. Zuletzt wagte Kronhelm nicht mehr, etwas zu sagen, bis sie endlich in ein Dorf, 5 Stunden von Ingolstadt kamen.

Hier hielt der Fuhrmann, um die Pferde zu füttern. Siegwart und Kronhelm assen etwas weniges zusammen, und sprachen nur sehr selten. Vielleicht ist dieß das letzte Mittagsessen, sagte Siegwart seufzend. – Nicht so zaghaft, Bruder, versetzte Kronhelm; man sieht sich immer wieder, hat einmal ein weiser Mann gesagt; seitdem ist dieß mein Trost bey jeder Trennung. Wer weis, ob ich nicht in wenig Wochen oder Tagen wieder in Ingolstadt bin? Und dann sind wir ja nicht so weit von einander. – Hofnung ist freylich das beste, wenn man sonst nichts hat, sagte Siegwart.

Endlich sagte der Fuhrmann: Er habe angespannt. Kronhelm, der eben ein Glas Mallaga in der Hand hatte, und trinken wollte, stellte das [751] Glas wieder hin, ohne einen Tropfen zu trinken, stand auf, legte seinen Ueberrock an, gab seinem Bedienten seinen Stock und Degen, und umarmte seinen Siegwart. Keiner konnte ein Wort sprechen. Sie gingen aus der Thüre, und umarmten sich noch einmal. Gott sey mit dir! sagte jeder! – Grüß Theresen tausendmal, und Marianen! Leb wohl, Bruder, vergiß meiner nicht, schreib mir fleißig, und sey glücklich! Mit diesen Worten stieg Kronhelm in den Wagen. Siegwart eilte, thränenlos, an den Schlag, drückte seinem Freunde noch einmal die Hand. Marx nahm den Hut weinend ab, und der Wagen schwand aus Siegwarts Augen.

Die Wirthsleute stunden da, und wisperten zusammen. Die Herren müssen recht viel auf einander halten, sagte die Wirthin; sie machen, daß einem das Weinen ankommt. Ja, ja, das scheint ein braver Herr zu seyn, der da fortgefahren ist. Er war so still und freundlich, daß man ihm nicht bös seyn konnte. Nun, Gott geb ihm Glück auf den Weg! Diese Rede voll Einfalt rührte unsern Siegwart so sehr, daß ihm nun erst die Thränen in die Augen schossen. Er trank noch ein paar Gläser Wein, bezahlte, und ritt fort.

[752] Auf dem Wege brach sein Herz ganz. Nun allein zurück zu reiten, sich mit jedem Schritte mehr von dem Freund seiner Seele zu entfernen, der Gedanke begleitete ihn unaufhörlich. Gott segne ihn! war alles, was er denken konnte. Gott! ich hab ihn durch Mistrauen so beleidigt! O vergib mir, wenn es möglich ist! Weiter fühlte seine Seele nichts. – An Marianens Busen seinen Schmerz auszuweinen, war der Wunsch, der ihn beflügelte, daß er in drittehalb Stunden zu Ingolstadt ankam. Der Hofrath Fischer sah aus dem Fenster, als er abstieg, und fragte, ob er den Herrn von Kronhelm glücklich verlassen habe? Ich komm hinüber, sagte Siegwart, wenn Sie es erlauben wollen. Nach einer halben Stunde gieng er hinüber, und brachte dem Hofrath tausend Empfehlungen von Kronhelm. Der Hofrath lobte ihn sehr. Mariane war nicht gegenwärtig. Siegwart war darüber innerlich sehr unruhig, aber seine Verwirrung schien von der Trennung von Kronhelm herzurühren. Nach anderthalb Stunden wollte er wieder gehen. Der Hofrath sagte aber, ob er nicht noch auf seine Tochter warten wolle? Sie müsse alle Augenblicke von einem Besuch bey einer Freundin zurückkommen. Dieß war eine Herzstärkung für unsern kranken Jüngling.

[753] Nach einer Viertelstunde kam sein Engel. Verzeihn Sie! war ihr erstes Wort. Ich vermuthete Sie hier, aber ich konnte mich nicht losreissen. Ist er glücklich fortgekommen? – Tausend Grüsse, sagte er; der Abschied war unendlich schmerzlich für uns beyde. Ach, ich glaub es; versetzte sie, und seufzte. Nach einigen Erzählungen ging der Hofrath auf sein Zimmer, weil er Geschäfte hatte. Siegwart sank in Marianens Arm, und weinte. Eine Stunde lang konnte er nichts, als seufzen. Sein Mund hing fest am ihrigen, und Thränen mischten sich in ihre Küsse. Verzeihn Sie, Theure! sagte er, ich kann heut nicht sprechen. Gott weis, wie mir zu Muth ist! Hätt' ich Sie nicht, ich verginge. – Sie streichelte ihm die Thränen von den Wangen, oder küßte sie weg. Nach einer halben Stunde hörten sie ein Geräusch. Mariane sprang ans Klavier und spielte eine Phantasie. Es kam niemand auf das Geräusch. Sie spielte eine traurige Opernarie von Hasse. Es war ein Abschiedslied. Das Wort: Adio! war drinn ausserordentlich ausgedrückt. Sie hatte ausgespielt, und sah ihn an. Er wollte eben an ihr Herz sinken, als der Hofrath wieder ins Zimmer kam. Nach[754] einer Viertelstunde ging Siegwart weg. Zu Hause machte er ein Lied:

Nach Kronhelms zweyten Abschied.

Gränzt die Freude denn hienieden
Immer nur an Traurigkeit?
Ist uns denn kein Glück beschieden,
Das sich ohne Thränen freut?
Kronhelm, ach, und du, Erwählte,
Schmerz und Wonne schafft ihr mir!
Kaum daß Liebe nicht mehr quälte,
Quälet Freundschaft mich dafür.
Kaum daß Sie dem wunden Herzen
Endlich Linderung ertheilt,
Wird mit neuen bangen Schmerzen
Die zerrißne Brust zertheilt.
An die Eine Seite sinket
Das erflehte Mädchen hin;
Ach, und von der andern winket
Unerforschte Schickung ihn.
Weindl', o Freund! nach tausend Thränen,
Dem erweinten Mädchen zu!
Erndte, nach so langem Sehnen,
Der erweichten Liebe Ruh!
[755]
Und Du, Mariane, eile,
Segen lächelnd, an mein Herz,
Und umarme mich, und heile
Der verlaßnen Freundschaft Schmerz!

Den andern Tag gieng Siegwart traurig und niedergeschlagen umher. Der Schmerz um seinen verlohrnen Freund begleitete ihn aller Orten hin. Seine Mariane konnte er nur sehen, aber nicht sprechen. Abends fieng er einen sehr wehmüthigen Brief an Kronhelm an. Den Tag drauf erhielt er folgenden Brief von Theresen.


Allerliebster Bruder!


Ich eile, dir die angenehmste Nachricht zu schreiben. Vor drey Tagen ließ sich ein fremder Herr bey unserm theuren Vater melden. Wir machten uns so schnell als möglich auf seine Ankunft gefaßt. Er war sehr höflich, und bat sich, auf eine angenehme Art, selbst zu Gast. Er hatte aber seine eigne Küche und drey Bediente bey sich, die ihn Herr geheimer Rath nannten. Ich war in der Küche, und machte einige Zurüstungen. Er frug aber nach mir, und sagte, daß ich nothwendig mit bey Tische seyn müsse. Du kannst dir nicht vorstellen, wie leutselig und herablassend der Herr [756] war, und trug doch einen Stern auf der Brust. Aber ob er gleich so vornehm aussah, so must ich ihn doch lieb haben, denn er hatte nicht den geringsten Stolz an sich. Mit mir gab er sich viel ab, und fragte mich allerley aus. Sie sind ja so blaß, liebes Jungferchen, sagte er; in Ihrem Auge sitzt so etwas; ists vielleicht unglückliche Liebe? Ich ward feuerroth, und konnt ihn lange nicht mehr ansehn. Er lobte mich auch gegen unsern l. Vater so, daß ich gern weit weg gewesen wäre, ob mirs gleich im Herzen wohl that, von einem so braven Mann gelobt zu werden. Mit dem l. Vater gieng er auf einen recht vertraulichen Fuß um, daß dieser ganz vergnügt und offenherzig wurde. Einmal, als die Bedienten weg waren, wendete er sich schnell zu mir, und sagte: Kennen Sie nicht einen jungen Kronhelm? dabey sah er mich so steif ins Auge, als ob er mir durchsehen wollte. Gott weis, wie mir da auf Einmal wurde? Mein Gesicht brannte. Ich weis nicht, was ich zur Antwort gab? Ich glaub, ich sagte: Ja, ich kenn ihn. Er ist mein Neffe, sagte er; ich heiß Kronhelm. Unser Vater stand auf, weil der Herr sehr viel in München gilt, und wollte sich wegen seiner Vertraulichkeit entschuldigen. Er muste aber[757] gleich wieder nieder sitzen. Wir sind gute Freunde, Herr Amtmann, sagte er, und müssen uns noch näher kennen lernen. Keine Komplimente! – So kennt Sie meinen Neffen, gutes Mädchen, und liebt ihn auch? Nicht wahr? Scheuen Sie sich nur nicht, es zu sagen! Ich bins wohl zufrieden! Er verdient Sie, und ist Ihnen auch gewiß recht gut. Fassen Sie sich nur! Es ist mir recht lieb. Mein Wort haben Sie. – O liebster Bruder, es war mein Glück, daß er so freundlich war, und daß ich weinen konnte; sonst wäre mein Herz zersprungen. Ich muste mein Schnupftuch vors Gesicht halten, so sehr weint ich. – Diese Thränen sind alles werth, sagte er; und dann zu unserm Vater: Unsre Kinder sind einander auch werth; nicht wahr, lieber Herr Amtmann? Mein Neffe hat eine gute Wahl getroffen. Ein solches Mädchen hätt ich in meiner Jugend auch geheirathet, wenn ich eins gefunden hätte. Ihr sollt mir an Kindesstatt seyn! Sie lieben ihn doch noch recht herzlich? – Hier nahm er mich bey der Hand. O Bruder, ich dacht, ich hätt in Thränen zerfliessen mögen. So ein Herr ist mehr werth, als die ganze Welt! Unser bester Vater sprach kein Wort, und ward ganz blaß. – Mein Bruder [758] ist ein harter Mann, sagte der geheime Rath. Ich will ernstlich mit ihm reden. Morgen reis ich zu ihm. Wenn er nicht nachgiebt, so nehm ich mich meines Vetters an; ich kann ihm schon Vermögen geben, denn ich habe keine Kinder. – Dann redete er mit unserm Vater allerley ab. Mir sagte er, ich sollte guten Muth fassen, und mich gar nichts anfechten lassen; sein Vetter müsse mein seyn! und was er sonst noch schönes sagte, das ich vor Freuden nicht alle merken konnte. Er versprach, in etlich Wochen Richtigkeit zu machen, und dem lieben Vater, und mir selbst zu schreiben. Gegen Abend fuhr er wieder weg. Unsern Vater umarmte er, wie ein Bruder den andern; und mich küßte er auf die Backe, und sagte: Mein Vetter wird doch nicht eifersüchtig werden? Wir schickten ihm 1000 heisse Segenswünsche nach.

O Bruder, ich kann dir nicht sagen, was alles in mir vorgeht? Es ist, als ob ich ein ganz neues Leben anfienge. Die Welt hat sich um mich her verändert. Die Thränen stehen mir immer in den Augen, und ich kanns noch kaum glauben, was sich mit mir zugetragen hat. Meinen Kronhelm, meinen ewig, ewig theuren Kronhelm soll ich wieder haben! Grosser Gott! Meine Leiden [759] waren zwar sehr groß, aber diesen Lohn, dieses alles überwiegende Glück hab ich nicht verdient. O mach michs würdig! Mach wichs würdig! – Bruder, was ist alles Leiden dieser Zeit gegen so eine Stunde? – Und doch – ist mir oft so bang! Ich habe so schwarze Ahndungen, so schwere Träume! Ich fürcht immer noch, ich verlier es wieder. – Grosser Gott, vergib mir, wenn es Undank oder Mistrauen ist! Hilf mein Glück mir ertragen! Mir ists noch zu schwer! – Tausend, tausend Grüsse und Umarmungen an meinen, meinen Kronhelm! Ich kann ihm noch nicht schreiben. Bruder, Gott weis, ich kann nicht! Mein Herz ist noch gar zu voll. Hilf mir beten, und Gott danken! Unser bester Vater ist wie neugebohren und grüßt tausendmal. Gott! wie hat sich alles mit uns verändert! – Ich weis, du nimmst an meinem Glück Antheil. O Bruder, Gott mache dich doch auch recht glücklich! Schreib mir doch bald


deiner unaussprechlich glücklichen Schwester


Therese Siegwart.


Siegwart konnte sich der Freunenthränen nicht enthalten, als er diesen Brief gelesen hatte. [760] Gott, wie gut bist du! rief er einigemal aus. Dank! Dank! Du kannst mich auch nicht verlassen! O mein Kronhelm, o mein Kronhelm, du bist glücklich! O meine Schwester, meine Schwester! – Er warf sich auf seine Knie. Gott! Barmherziger, Gnädiger! O, auch mich, auch mich! Und Marianen! – Der halbe Tag zerfloß ihm unter einem fortdaurenden Taumel. Bald schrieb er etliche Zeilen in dem Brief an Kronhelm! Bald gieng er wieder auf dem Zimmer auf und ab. Zuweilen grif er nach einem Buche, wollte drinn lesen, und schlug es wieder zu; seine Seele war viel zu zerstreut, und ganz getheilt. Er sehnte sich nach jemand, dem er seine Freude mittheilen könnte; aber, ach, er hatte niemand, und nun fühlte er, mitten in seiner Freude, die Trennung von seinem Kronhelm doppelt wieder. Er sah Marianen am Fenster: er wünschte, ihr den Brief zeigen, und sie an seiner Freude mit Antheil nehmen lassen zu können; aber er wagte es nicht, sie wieder zu besuchen, da er erst vor zwey Tagen da gewesen war. Nach Tische sah er sie mit ihrem Bruder ausgehn, und vermuthete, da sie einen [761] Sonnenschirm trug, daß sie vor das Thor gehen werde.


Er zog sich auch an, und gieng vor das nächste beste Thor, weil er nicht wuste, wo sie hingegangen war. Es war schon ein völliger Frühlingstag, die Sonne schien warm, alle Kräuter und Frühlingsblumen keimten schon hervor; die Lerchen sangen in der Luft, und die Aemmerlinge, Zaunkönige und andre Vögel im Gebüsch. Seine Seele schwang sich mit den Lerchen auf, und freute sich der reinen aufgehellten Luft. Freude und Wehmuth gränzten aneinander; er war bewegt, daß sein Aug in Thränen glänzte. Er sehnte sich nach Marianen, aber sie war nirgends. Von fern sah er ein Frauenzimmer gehn; sein Herz klopfte; er eilte, um sie einzuholen; aber es war nicht sein Engel, und er ward noch wehmüthiger. An einer etwas erhöhten Stelle, die von einer Dornhecke geschützt war, fand er endlich blaue Veilchen. Er schrie laut auf, als er sie sah, pflückte, und band sie mit einem Grashalm in ein Sträuschen. Hätt' euch Mariane! sagte er halb laut; möchtet ihr an ihrem Busen blühn! – O Kronhelm, wärst doch du da! Aber du bist glücklich, und ich kann [762] dich nicht beneiden! Singend, und mit sich selber sprechend gieng er wieder nach der Stadt zu.

Nur so allein, Herr Siegwart? rief eine Stimme aus einem Gartenhäuschen. Stutzend sah er auf, und erblickte Marianen. Sie rief ihm in den Garten. Sind Sie hier? sagte er; ich habe Sie gesucht. Ich sahs, daß sie ausgiengen. Das ist mein Garten, antwortete sie. Ich hätts Ihnen gern wissen lassen, daß ich hier bin, aber ich konnte nicht. – Wo ist Ihr Bruder? fragte er. Auf die Jagd gegangen, war die Antwort. Das ist ja erwünscht, daß Sie hier sind. Was machen Sie? trauren Sie noch um Ihren Kronhelm? – Hierauf erzählte er ihr die freudige Nachricht, die er heut von seiner Schwester erhalten hatte, und gab ihr den Brief zu lesen. Sie nahm herzlichen Antheil daran, und freute sich über das Zutrauen sehr, das ihr Jüngling zu ihr hatte. – Darf ihr Bruder mich hier antreffen? fragte nachher Siegwart – O ja, antwortete sie. Er ist Ihnen jetzt recht gut. Man muß schon ein übriges bey dem Menschen thun. Wenn man nur ihm nicht im Wege steht, dann läst er einen schon zufrieden. Mein Vater ist Ihnen auch sehr gut, und besonders meine Mutter. Ich glaube, daß sie etwas [763] merkt, und wenn sie mich drum fragen sollte, so wüst ich nicht, warum ich ein Geheimniß draus Machen müste, wenn nur Sie mir gut sind. – Er sank in ihren Arm, küßte sie feurig, und schwur ihr ewig Liebe.

Der ganze Abend war für unsre Liebende ein heiliges Fest. Der Bruder kam erst nach zwo Stunden wieder, und war sehr vergnügt, weil er ein paar Hasen geschossen hatte. Siegwart begleitete sein Mädchen nach Haus, und hatte nie einen schönern Frühlingstag gehabt.

Zween Tage drauf kam der Miethkutscher wieder, der Kronhelm nach Haus gebracht hatte, und brachte von ihm folgendes Briefchen an Siegwart:


Liebster Bruder!


Den Augenblick bin ich angekommen, und kann also noch nichts sagen. Die Reise war mir traurig, so allein, und von dir getrennt, den ich so sehr liebe! Mein Vater empfieng mich, nach seiner Art, freundlich, und ist lange so krank nicht, als ich glaubte. Er konnte im Zimmer auf und abgehn, als ich ankam. Er fürchtet eben den Tod, daher war er so besorgt beym letztern Anfall. O Bruder, was werd ich hier anfangen unter solchen Leuten? [764] Du verstehst mich. Warum musten wir uns trennen? Mein Herz ist voll von tausend Dingen, aber jetzt kann ichs nicht ausschütten vor dir. Nächstens einen großen Brief! Schreib mir ja bald! Was macht Mariane? Tausend Grüsse an den Engel, und dem andern zehntausend! Leb wohl, Bester! Der Fuhrmann will weiter, und ich wollt ihn doch nicht leer fahren lassen.


Ewig dein!


Kronhelm.


N.S. Mach über deinen Brief an mich zwey Kouverte, und auf das äussere die Aufschrift: Herrn Amtmann Friedrich. Der Brief wird mir richtig eingehändigt.


Siegwart hatte nur auf diesen Brief und Nachricht von seinem Freund gewartet, um seinen Brief abschicken zu können; denn er hatte noch keine Adresse gehabt. Nun schrieb er umständlich und mit grossen Freuden alles, was ihm Therese berichtet hatte, wünschte seinem Kronhelm tausend Glück und schickte den Brief ab. Das wird eine Freude seyn, dacht' er, wenn er noch nichts weiß, und diesen Brief erbricht! Nun wird er für alle seine Leiden getröstet werden.

[765] Zehn Tage lang wartete er mit der grösten Sehnsucht, aber nur vergeblich, auf neue Nachrichten. Endlich kam an einem Mittewochen, welches nicht der gewöhnliche Posttag war, folgender Brief:


Günzburg den 21. May.


Liebster Bruder!


Seit drey Tagen bin ich hier, in der schrecklichsten Verfassung, die du dir denken kannst. Alles, alles ist verlohren! Meine Ruhe, meine Hoffnung, meine Therese, alles! O Bruder, es ist aus mit mir! Zwey Tage war ich bey meinem Vater, da giengs an. Seine Krankheit war nur ein Vorgeben, um mich her zu locken. Eines Abends war ich allein bey ihm auf dem Zimmer. Wie stehts mit deinem Menschen? sagte er; hängst du ihr noch an? Ich weiß nicht, ob sie die Jungfer Siegwart meynen? sagte ich. Ich habe noch alle Ursache, sie hochzuschätzen. – Was? Canaille! rief er, und das wagst du mir ins Gesicht zu sagen? Daß dich alle Teufel holen! Ich zertrete dich, du Rabenaas! – Mit diesen Worten kam er auf mich zu, packte mich bey der Kehle fest, und würde mich erwürgt haben, wenn ich mich nicht vorgesehn, und [766] losgerissen hätte. Kaum konnt ich mich zurückhalten, mich an ihm nicht zu vergreifen. Als ich los war, sprang ich aus dem Zimmer aufs meinige, und schloß hinter mir zu. Ich hört ihn noch eine Stunde lang im Haus herum lärmen, und die Thüren zuschlagen. Kurz vor Sonnenuntergang ritt er weg; ich wuste nicht, wohin? Meine Schwester kam erschrocken zu mir aufs Zimmer, weinte und schrie, und bat fast auf den Knien, daß ich mich doch geben sollte; sonst könns kein Mensch mehr aushalten bey dem Vater. Schon seit vierzehn Tagen sey man nicht des Lebens bey ihm sicher, seit mein Onkel weg sey. Dieser war nehmlich bey ihm hier, und da gabs grossen Streit, vermuthlich wegen meiner. Ich konnte nichts Gewisses erfahren, denn sie sprachen allein miteinander. Meine Schwester that gar kläglich, aber ich sagt ihr: Ich könn es nun nicht ändern; Theresen könn ich nicht aufgeben, wenn es auch mein Leben kosten sollte, u.s.w. Du weist das alle selbst schon. Das Mädchen konnte mir nicht Unrecht geben, aber sie sagte nur: Ich stürzte mich, und Theresen, und sie alle in Lebensgefahr. Kunigunde stecke dahinter, und regiere meinen Vater ganz. Er sey wie rasend, und könn' alles thun, u.s.w. Ich beschloß [767] also, wegzugehen; weiß der liebe Gott wohin? und machte meine Einrichtungen so, daß ich in drey oder vier Tagen aus die Jagd zu reiten, und nicht mehr zurück zu kommen dachte. Aber es gieng anders.

Den andern Morgen kam mein Vater wieder, that ganz freundlich, und stellte sich, als obs ihm leid wäre, daß er gestern so mit mir umgegangen war. Auf den Nachmittag, sagte er, wollen wir ein wenig auf die Jagd reiten, und das übrige, zu seiner Zeit, im Frieden mit einander abthun. Ich konnte mich in sein Betragen nicht finden, und vermuthete nichts Gutes; doch konnt ichs auch nicht abschlagen, mit zu reiten. Wir ritten in einen Forst, eine Stunde weit vom Dorf, nur mit Einem Jäger; und, nach einigen Schüssen, sagte er: wir wollen aufs nächste Dorf zum Amtmann reiten; ich muß etwas trinken. Von der Sache sprach er gar nichts.

Beym Amtmann war der Baron Striebel; wie es schien, ganz von ungefähr. Der Amtmann sah aus, wie ein Spitzbube, dem ich keinen Heller anvertrauen möchte. Nach drey Viertelstunden kam ein Wagen mit dem alten Seilberg, mit Regine Stellmann, und dem lüderlichen Jobst. Das [768] kam mir bedenklich vor; aber ich merkte weiter nichts. Die Stellmann war mir jetzt mit ihrer buhlerischen Freundlichkeit noch unausstehlicher, weil ich von meiner Schwester wuste, was sie seit der Zeit mit dem süssen Silberling für einen ärgerlichen Liebeshandel gehabt hatte. Ich hätte sie lieber anspeyen, als viel mit ihr machen mögen, und doch war sie so zuthätig, daß ich nicht wuste, wohin? Man sprach mir stark zu, zu trinken, und im Aerger trank ich ziemlich. Nach und nach fielen von Seiten Jobsts und meines Vaters, und des Amtmanns allerley Anspielungen vor: Wir gäben so ein hübsches Paar ab, u.s.w. daß ich wol merken konnte, es sey abgekartet, und auf mich gemünzt. Ich that aber, als ob ichs nicht hörte, oder nicht verstünde. Ich sah immer auf der Uhr, und sehnte mich weit weg. Einmal gieng ich in den Stall hinunter, sah nach meinem Pferd, und machte etwas am Gurt zurechte, das vorher auf der Jagd aufgegangen war. Ich hielt mich mit Fleiß lang auf, und kam erst nach einer Viertelstunde wieder aufs Zimmer. Da sassen sie all auf Einem Haufen, steckten die Köpfe zusammen, und fuhren auseinander, als ich herein trat. Das machte mich nun noch stutziger. Mein Vater sagte: [769] Hör, Karl, das Fräulein hier wollt ich dir eben wünschen! Sie ist schön, hat Geld, und ist von steinaltem Adel. – Verzeihen Sie, Papa, sagt ich, und zuckte die Achseln; Sie wissen ... Ey was? rief er, freylich weis ich! Aber, schlag mich der Donner, da wird nichts draus! Lieber zieh ich dir die Haut ab! – Es leb Fräulein Stellmann! Trinks mit! – Ich konnts, ohne die Höflichkeit zu beleidigen, nicht abschlagen. – So, Karl, das ist brav! Ihr müst ein Paar werden; nicht wahr, Fräulein? – Sie sah mir unverschämt ins Gesicht, lachte, und gab mir die Hand. Ich ließ es so geschehen, weil ich dachte, hier wird doch nichts ausgemacht, und allein will ich schon mir ihm reden. –

Schade, daß nicht gleich ein Pfaff bey der Hand ist! sagte mein Vater; man könnt sie gleich zusammengeben. – O, da ist Rath vor, sagte der Amtmann, hier ist schon ein Pfarrer! indem machte er ein Seitenzimmer auf, und ein dicker Pfaffe trat heraus. Ich riß mich von der Stellmann los, und sprang auf. Papa, rief ich, ist das Ernst? Freylich, Kerl, rief er, und riegelte die Saalthüre zu. Man wird dich schon kriegen, du vermaledeyte Bestie! – Ich ward in [770] dem Augenblick wie rasend, und sprang in das Zimmer hinter mir, das aus Versehen offen geblieben war, und schlug die Thüre zu, daß das Sckloß zurückfuhr. Von da gieng eine Thüre nach dem äussern Saal; ich hinaus, die Treppe hinunter, in den Stall aufs Pferd, und beym Hof hinaus! Vom Fenster herab geschah ein Schuß, der mir nichts that. – Nach! Nach! schrie mein Vater. Ich flog beym Dorf hinaus, wie der Blitz. Beym letzten Haus hört' ich schon hinter mir her galoppiren. Mein Water wars, mit 3 oder 4 andern Reutern. Sie waren mir schon so ganz nah auf dem Hals, daß ich ihn fluchen hören konnte. Neber einen breiten tiefen Grafen setzt ich wie der Wind. Es geschah noch einmal ein Schuß. Mein Pferd wendete seitwärts. Auf Einmal entstand ein schreckliches Geschrey. Ich sah mich um, und sah eben noch meinen Vater in den Graben stürzen. Ich nahm mir nicht Zeit, nochmals umzusehn. Endlich, nach einer halben Viertelstunde merkt ich keinen Menschen mehr hinter mir. Vermuthlich waren sie bey meinem Vater geblieben, um ihm aufzuhelfen. – Ich ritt links in einen dicken Wald hinein. Nach einer guten halben Stunde fand [771] ich einen Holzweg, auf dein ich gerade fort ritt. Es ward schon sehr dunkel, und der Weg war mir gänzlich unbekannt. Endlich kam ich aus dem Holz, und ungefähr um eilf Uhr in ein Dorf, wo ich noch in einer Hütte Licht sah, und mich erkundigte, wo ich wäre? Ein altes Mütterchen sagte mir, das Dorf heisse Reisensburg, und lieg eine gute halbe Stunde von Günzburg. Mit dem Namen: Günzburg fuhr der Gedanke durch meine Seele, unter die kaiserlichen Völker zu gehen, und mich bey unserm Hauptmann anwerben zu lassen. Bey dem Gedanken ward mir auf Einmal wohl, denn ich sah nun einen Ausweg, da mirs vorher war, als ob ich in einem Irrgang wandelte. Krieg und Tod war mir Eins; denn was kann ich anders wünschen, als den Tod? – Ich spornte mein Pferd, und kam nach einer Viertelstunde zu Günzburg an. In der Krone stieg ich ab, weil ich wuste, daß der Hauptmann da logirt; und als ich hörte, daß er noch nicht zu Bette sey, ließ ich mich bey ihm melden, und trug ihm meine Absicht vor. Er nahm mich mit Freuden auf, und nun geh ich in vier oder fünf Tagen auf der Donau als Freywilliger mit dem Transport nach Schlesien, wo vermuthlich [772] eine Kugel auf mich wartet, und meiner Qual ein Ende macht.

O Bruder, so weit ists mit mir gekommen. Das sind nun meine Hoffnungen! Gott, was wird aus Theresen werden? Schick ihr diesen Brief, wenn dus für gut hältst, und schreib ihr das übrige! Tröst sie, wenn du kannst! Ich bins nicht im Stand. An meinen Oakel hab ich vor 2 Tagen geschrieben, daß er Sorge trägt, daß ihr mein Vater nichts thut, und daß er mir Geld schickt, denn ich hab nur 15 Gulden bey mir, und mein Pferd nehm ich mit. Der Hauptmann will mir indessen Geld auf den Weg mitgeben. Mein Onkel kann meinen Schritt unmöglich misbilligen; es war mir nichts anders übrig. Ich gehe nicht aus dem Haus, um nicht entdeckt zu werden; sonst wär ich zum P. Philipp gegangen. Schreib mir unter der Adresse an den Hauptmann!

Ich kann dir nicht sagen, wie mir ist. An Theresen darf ich kaum gedenken, und doch ist sie fast mein einziger Gedanke. Sie auf ewig nun verlieren! Sie auf ewig nicht mehr sehen! Und doch ist dieß all mein Trost, daß ich nun dem Tod entgegen gehe. Die Preussen schiessen gut, und ich will mich immer dahin stellen, wo der Tod am [773] nächsten ist. O Bruder, ich kann nicht anders. Ich will meine Pflicht thun, als Soldat, aber dann muß der Tod mein Lohn seyn. Mein Vater mags bey Gott verantworten, daß er mich so weit gebracht hat! – Tröste meinen Engel! Dieß ist alles, was du thun kannst. Leb wohl, Bruder, ewig wohl! Vielleicht kriegst du bald den letzten Brief von mir. Hab Dank für alle deine viele Liebe! Grüß deine Mariane! Laß sie mich bedauren! Gott bewahre dich vor einem so schrecklichen Schicksal, wio das meine ist! Beth für mich, daß ich selig sterbe! Ich muß abbrechen. Es wird mir bänger ums Herz. Tröste Theresen, daß einst Gott dich tröste! Leb ewig wohl, und bewein mich! Schreib ja bald! Der Hauptmann schickt mir den Brief nach. Ewig, bis an meinen Tod der Deinige.


Kronhelm.


In dem Brief lag folgendes Blatt an Theresen, unversiegelt:


Was soll ich, ach, was soll ich der Geliebten meiner Seele schreiben? Auch der letzte, schwache Rohrstab ist zerbrochen, den die Hoffnung mir gereicht hatte. Dein Bruder, ewig Theure! mag [774] mein Unglück dir erzählen! Ich kanns nicht. Diese blutigen Zähren, die ich auf das Blatt hin weine, sind das Letzte, was ich dir in diesem Leben weihen kann. Meine Seele ist tief gebeugt zur Erden, und schmachtet nach dem Grabe. Dir zu leben, war der Wunsch, der mich bisher noch an den Leib fesselte. Nun er hin ist, kenn' ich keinen Wunsch mehr, als für dich zu sterben. Ich eile dahin, wo der Tod laurt. Ich will ihn aus seinem Hinterhalt herausweinen, daß er komm, und mich in seinen eisernen Arm schließe. – O Therese! Was ich wünschen kann für mich, ist eine Thräne, daß du sie dem Jüngling weinest, der dich liebte, wie kein Sterblicher geliebt hat. Weine sie, und sey dann glücklich, wenn dus seyn kannst ohne mich! – Ich hab keinen Trost für dich! Wie kann der trösten, der sonst keinen Freund hat, als den Tod! Bethen kann ich, wenn noch das Gebeth des Elends hilft. Gott! Nur einen Tropfen Trost für sie! Ich will gerne dursten, bis mein Ende kömmt. – Therese! Nicht wahr, ich quäle dich? Nun, verzeih! Ich wust es nicht; sonst hätt ich meine Hand gelähmt, eh ich dieses Blatt schrieb! – Aber ich muste noch zu dir reden. Leb denn wohl, Engel! und hab Dank für deine [775] Liebe! Gott, warum muste sie doch so belohnt werden? Leb ewig wohl! Ich kann nichts schreiben. Meine Säfte stocken. Aber reden mußt' ich. Wenn Du Bothschaft hörst: Er ist todt, dann jauchze laut auf, und sag: Er ist glücklich. – Ach Therese, wenn Du doch auch stürbest! Es ist so was süsses um den Tod, und wir sind so elend. Stürbst Du doch mit Deinem


Kronhelm.


Die Bewegung, in die unser Siegwart durch diese beyden Briefe gerieth, kann man sich mehr vorstellen, als beschreiben. Anfangs war er ganz betäubt, und konnte es kaum glauben; zuletzt brach sein Schmerz in laute Klagen und in Thränen aus. Nach der ersten heftigen Erschütterung fieng er an, Plane zu machen, ob sein Freund nicht noch zu retten sey? Erst beschloß er, nach Günzburg zu reiten, und, wo möglich, seinen Freund noch zurück zu halten. Aber, was sollte er ihm sagen? Welche Gründe hatte er, durch die er ihn zurück halten könnte? Und der Weg war weit. Vieleicht war sein Freund indessen schon abgereist. Endlich, nach tausend Entwürfen, die im ersten Augenblick annehmlich schienen, und im zweyten [776] wieder verworfen wurden, schien ihm dieser noch der beste zu seyn, nach München zu Kronhelms Onkel zu reisen, ihm die Sache so dringend vorzustellen, als möglich, und ihn zu bewegen, sich seines Vetters thätig anzunehmen, ihn aufs schleunigste zu retten, und entweder selbst sogleich nach Günzburg zu reisen, oder ihn mit genugsamer Vollmacht dahin zu schicken. Er bestellte sich sogleich ein Pferd, um weg zu reiten, und den andern Tag in München zu seyn. Nur das lag ihm am Herzen, daß Mariane die Ursache seiner Reise erfahren möchte! Zu gutem Glück traf er ihren Bruder an; erzählte ihm, daß er in Kronhelms Geschäften schnell nach München reisen müste; und bat ihn, es seinen Eltern und seiner Schwester zu erzählen, und ihnen seine vielfache Empfehlung zu machen.

Nach einer Stunde ritt er weg, und sah, zu seiner grösten Freude, seine Mariane noch im Fenster, der er einen zärtlichen Blick zuwarf.

Er ritt bis spät in die Nacht hinein; schlief auf einem Dorf nur einige Stunden, und kam den andern Abend in München an; aber, weils schon spät war, wagte er es nicht mehr, zum geheimen Rath zu gehen. Den folgenden Morgen ließ er [777] sich durch einen Miethbedienten nach dem Hause bringen und melden. Aber zu seiner grossen Bestürzung hörte er, der geheime Rath sey nicht hier. Er erkundigte sich bey einem Bedienten; dieser gab ihm kurzen Bescheid, und sagte, sein Herr sey schon vor drey Tagen mit seinem Kammerdiener unvermuthet auf der Post abgereist, er wisse nicht, wohin? Mehr konnte Siegwart nicht erfahren. In der Betäubung lief er zu Kronhelms Schwester, die ihn sogleich vor sich ließ. Er erzählte ihr, in der äussersten Verwirrung, fast ohne Zusammenhang die ganze Geschichte ihres Bruders, sagte, warum er nach München gekommen sey, und fragte sie, wo der geheime Rath hingereist sey? – Sie war aufs äusserste betroffen, und hatte, wie versteinert, zugehört. Als sie etwas von ihrem Staunen zurückkam, und sich durch Thränen Luft gemacht hatte, sagte sie, sie wisse vom geheimen Rath und seiner plötzlichen Abreise nicht das mindeste. Seit seiner Zurückkunft habe sie ihn nur Einmal gesehen, und mit ihm von ihrem Bruder gesprochen. Er habe sie versichert, daß es alles gut gehen werde. Er sey bey ihrem Vater gewesen, dieser nehme durchaus keine Gründe an. Nun woll er sich seines Vetters ernstlich annehmen. Er [778] kenne Theresen; sie hab ihm ausserordentlich gefallen, und sein Neffe soll sie haben. Diese Nachricht habe sie ganz beruhigt; sie hätte wirklich ihrem Bruder geschrieben, und gestern den Brief nach Ingolstadt geschickt; denn von seiner plötzlichen Abreise, und der vorgeblichen Krankheit ihres Vaters habe sie nicht das geringste gewußt. –

Nun fieng sie aufs neue an, ihren unglücklichen Bruder zu beklagen, und bitterlich über sein Schicksal zu weinen. Endlich fing sie sich mit Siegwart zu berathschlagen an, was nun zu thun wäre? Er wollte selbst nach Günzburg reiten, aber sie widerrieth es ihm. Wahrscheinlich, sagte sie, werden Sie meinen Bruder, nach seinem eignen Schreiben, nicht mehr da antreffen. Sollt er aber noch da seyn, so können wir durch einen Brief, der ohnedieß schneller hinkommt, eben das ausrichten. Wenn wir ihn versichern können, daß mein Onkel sich seiner ganz gewiß annehmen, und ihm Ihre Schwester geben will, so muß ihn das zurückhalten! Wir wollen ihm jetzt augenblicklich schreiben; denn in einer Stunde geht die Post ab. – Siegwart, der sich ohnehin sehr nach seiner Mariane zurücksehnte, ließ sich diesen Vorschlag gefallen, und gieng in ein Kabinet, wo er einen sehr beweglichen Brief an [779] seinen Kronhelm schrieb, und ihn um alles in der Welt willen bat, in Günzburg zu bleiben, oder, wenn er schon abgegangen wäre, sogleich zurückzukehren, weil er von den Bemühungen seines Onkels alles hoffen, und gewiß mit Theresen vereinigt werden könne. Die Frau von Eller ließ ihn ihren auch sehr rührenden Brief lesen, und schickte beyde augenblicklich auf die Post. Sie bat ihn zum Mittagsessen. Er nahms an, sagte aber, er wolle heut noch wegreiten, um noch eine gute Strecke Wegs zu machen. – Ihrem Mann, bat sie, möcht er nicht sagen, warum er nach München gekommen sey? Weil er noch nichts davon wisse, und leicht Hindernisse in den Weg legen könnte. – Unserm Siegwart wurde nun wieder leichter ums Herz, weil er Einen Stral von Hoffnung für seinen unglücklichen Freund sah. Er gieng in seinen Gasthof, um sein Pferd auf den Nachmittag zu bestellen; nach einer Stunde kam er wieder zu der Frau von Eller, die indessen von ihrem Schrecken sich erholt, und wegen ihres Bruders gute Hoffnung hatte. Sie lobte unsern Siegwart sehr, daß er für seinen Freund so viel thue, und die Reise übernommen habe. Ihre Schwester, sagte sie, muß ein herrliches Mädchen seyn, wenn sie Ihnen gleich [780] ist. Ich kann meinem Bruder keine beßre Gattin wünschen, und sehne mich recht darnach, sie bald meine Schwagerin zu nennen. Wenn nur mein Onkel bald zurückkommt, dann soll, hoff ich, alles noch gut gehen. Indem kam ihr Mann, und empfieng unsern Siegwart freundlich. Er erkundigte sich nach seinem Schwager, und verwunderte sich über seine so beschleunigte Abreise von Ingolstadt. Bey Tisch wurde viel über den Junker Veit gesprochen. Sie beklagten sich alle über sein rohes Wesen, und daß er sich so von Kunigunden regieren lasse.

Bald nach dem Essen empfahl sich Siegwart, nachdem er erst noch einige Augenblicke mit der Frau von Eller allein gesprochen hatte, und ritt wieder nach Ingolstadt zurück. Unterwegs dachte er nur an Kronhelm, an Theresen, und an seine Mariane. Er dachte hin und her, ob er seiner Schwester etwas von dem unglücklichen Vorfall schreiben sollte? und konnte nicht mit sich einig werden. Den folgenden Tag kam er sehr spät wieder in Ingolstadt an, denn er wollte nicht noch eine Nacht weg bleiben; der Gedanke, seiner Mariane nah zu seyn, hatte zu viel süsses für ihn. Den andern Tag stund er etwas spät auf, und sah,[781] nachdem er eine halbe Stunde vergeblich ausgeblickt hatte, seinen Engel endlich am Fenster. Es war ihm, als ob sie etwas traurig wäre; dieses beunruhigte ihn sehr, und er sehnte sich nach dem Abend, da er sie im Konzert sehen, und vielleicht auch sprechen würde; denn, seit Kronhelm weg war, wagte er es nicht, so oft hinüber zu gehen. Er hatte auch gehofft, vielleicht einen Brief von seinem Freund anzutreffen, aber vergeblich.

Des Abends im Konzert vermehrte sich seine Unruhe noch mehr, als er seine Mariane sehr niedergeschlagen fand. Erst am Ende des Konzerts bekam er Gelegenheit, sie auf einige Augenblicke allein zu sprechen. Mit etlichen Worten erzählte er ihr die Ursache seiner Reise, und von Kronhelms Unglück. Sie seufzte, und sagte: Ich hätt' Ihnen auch viel Unangenehmes zu sagen. Gehen Sie vielleicht morgen Nachmittags bey meinem Garten vorbey? Es wär möglich, daß ich da wäre. Eh sie weiter reden konnte, kam ein goldgestickter Herr dazu, der sich mit abgeschmackter Höflichkeit nach ihrem Befinden erkundigte.

Siegwart schlich sich auf die Seite, denn er ward vom Schmerz zu heftig überwältigt, und lief fort, eh noch das Konzert geendigt war. Sein [782] Zustand zu Hause war der grausamste. Gott, was ist das? dachte er, und sann hin und her, was sich zugetragen haben möchte? Seine Einbildungskraft stellte ihm alles Fürchterliche vor. Er sah nichts als Trennung und Elend vor sich. Marianen hielt er schon für verlohren; nur die Art, wie sies wäre? war ihm noch ein Räthsel. Die ganze Nacht konnte er nicht schlafen. Tausend Schrecken standen vor ihm; und, wenn er die Augen zuschloß, sah er Blut und Tod. Oft fuhr er auf, und schlug sich vor die Stirne; wälzte sich im Bette hin und her, stand auf, legte sich wieder, und ächzte, wie ein Sterbender. Endlich erweichte sich die ermüdete Natur zu Thränen. Seine Seufzer wurden nun Gebet und heisses Flehen. Mit dem Tag stand er wieder auf, und sah aus dem Fenster nach dem Wetter, ob es gut bleiben würde? Der Himmel war etwas umzogen, aber nach und nach hellte er sich auf, so daß er hoffen konnte, Marianen heut zu sehen. Den ganzen Morgen sann er wieder nach, worüber Mariane so bestürzt seyn möchte? Zuweilen dachte er an Kronhelm und seine Therese. Hier fand er wieder neuen Stoff zur Unruh. Er war noch nicht mit sich einig, ob er seiner Schwester Kronhelms Brief schicken, oder sie in ihrer frohen [783] Hoffnung lassen sollte? Er wartete, da es heute Posttag war, mit Sehnsucht auf Briefe; lief selbst ein paarmal auf die Post, aber es war nichts für ihn da.

Der sehnlich erwünschte Nachmittag kam. Mariane gieng um drey Uhr allein aus dem Haus. Eine halbe Stunde drauf gieng er mit bangem Zittern, und ängstlicher Erwartung, bey einem andern Thor hinaus ihrem Garten zu. Wie erschrack er, als der Garten und das Häuschen drinn noch zugeschlossen war! Mit banger Ahndung gieng er in das, nah daran stossende Wäldchen, und warf sich unter einer Eiche nieder. Alle Blumen um ihn her, und alles Gras riß er mit der Wurzel aus; die Vögel, die im Gebüsche zwitscherten, verscheuchte er; sprang wieder auf, drängte sich durchs dichteste Gebüsch durch, und machte sich dann, seiner Ungeduld wegen, selbst wieder Vorwürfe. Endlich gieng er wieder an den Garten; Mariane sah aus dem Häuschen, und sprang herab, ihm die Thüre aufzumachen. Ich kam spät, sagte sie, ich muste eine Freundin mit nehmen, es war nicht zu ändern. Wir können aber doch allein reden. Sie weis schon davon. – Ihre Freundin war ein Frauenzimmer, das Siegwart [784] schon oft im Konzert gesehn, und singen gehört hatte. Sie sprach mit ihm von der Musik, und lobte sein Spiel, und seine Stimme.

Nach einiger Zeit gieng sie von selbst in den Garten hinunter, und ließ unsre Liebenden allein. Siegwart sah Marianen traurig an, und wagte kaum, eine Frage an sie zu thun. Sie fragte erst noch nach einigen Umständen von Kronhelms und Theresens Schicksal, und sagte dann: Auch uns, lieber Siegwart, droht ein Unglück. Unsre Liebe ist so heimlich nicht mehr, als ich glaubte. Meine Schwägerin weis davon, und vor ihr war ich immer am meisten bange. Ich muß Ihnen nur gestehen; meine Mutter hat mit mir drüber gesprochen. Ich gestund ihr alles. Sie ist an sich nicht unzufrieden mit unsrer Liebe, aber sie sagt, daß sie voller Angst sey, wenn mein Vater es erfahre, und das werde durch unsre Schwägerin nur gar zu bald geschehen. Ich bedaure dich, meine Tochter, sagte sie. Ich habe eure Liebe lange schon gemerkt, und heimlichen Gram im Herzen drob getragen. Ich weis nicht, wie dein Vater von Siegwart denkt, aber du kennst ihn, daß man sich in nichts, ohne sein Vorwissen, einlassen soll; und ich kann dirs nicht verbergen, er hat Absichten mit dem Hofrath Schrager [785] (der gestern zu mir kam, als ich mit Ihnen sprach). Wenn nun unsers Theodors Frau, die ihm gut ist, noch dazu kommt, dann weis ich nicht, wie es gehen wird? Prüf dich recht, meine Tochter, wie es um dein Herz steht; ob du den Antrag annehmen kannst? – Ich fiel ihr weinend um den Hals. Ach meine Mutter! sagte ich. – Ich weis wohl, meine Tochter, fiel sie mir ein, und weinte mit; Siegwart wäre besser. Aber denk, er ist ein Student, und darauf sieht dein Vater sehr. Ich will thun, was ich kann; aber ich kann nichts versprechen. Halt nur alles recht geheim, mit Siegwart! und vertrau auf Gott! das ist das Beste. Ich rathe dir, wenn dein Herz noch nicht ganz an ihm hängt, so reiß dich los! Denn ich sehe nichts vor mir, als tausend Kummer und Verdruß. – O Mutter, sagt ich, thun Sie was Sie können, und entfernen Sie den Hofrath! Denn er ist mir unausstehlich. Gott erbarm sich meiner! Siegwart ist allein der Mann. Gott weis, daß ich ohne ihn nicht leben kann. – Hier sank Siegwart weinend, und halb ohnmächtig an ihr Herz. – Sie werden mich verlassen, und mir untreu werden, sagte er nach einiger Zeit. Nein, bey Gott nicht! war ihre Antwort. Lieber sterben! Aber, [786] Theurer, vorsichtig müssen wir über alles seyn! Sonst sind wir verlohren. Ach, es ist doch umsonst, sagte Siegwart. – Gott, wenn Sie verzweifeln wollen, siel sie ein, was soll dann ich anfangen? Bey allen Heiligen versprech ich Ihnen, daß ich ewig widerstreben will. Diese Hand soll nie ein andrer haben! Mich soll niemand zwingen. Lieber bleib ich ewig, wie ich bin. Seyn Sie stark, und sprechen Sie mir Muth ein! Meine Mutter wird mir beystehn, und Gott! Mein Vater ist doch Vater, und ich bin sein Kind. Meine Thränen sollen vor ihm fliessen, bis sein Herz erweicht wird. Nur jetzt handeln Sie behutsam! Lieber jetzt auf eine Zeit getrennt, als ewig. Wenn Sie mich noch lieben, Siegwart, o so seyn Sie stark! Meiden Sie mich jetzt! Es kann nicht anders seyn. Ich geb ihnen Nachricht, wenn ich kann. Ich schwörs, bey der Mutter Gottes, daß ich standhaft bleibe. Bleiben Sie es auch! Aber gehn Sie jetzt! Wir sind nicht sicher. Kommen Sie das nächstemal nicht ins Konzert! – Er küßte sis noch einigemal mit feuervollen Küssen; konnte kaum vor Thränen und vor Schluchzen reden, und nahm Abschied. Um Gottes Willen, bat er, bleiben Sie mir treu, und geben Sie mir Nachricht, [787] sonst vergeh ich. Bleiben Sie mir treu! Mit diesen Worten gieng er, und lief auf einer andern Seite weit ins Feld hinaus. Seine Seele war in der fürchterlichsten Arbeit. Alles, was sagen konnte, war:


Verflucht seyst du, betrügerische Liebe!
Von dir allein stammt unser Elend her!

Erst in der späten Dämmerung kam er zurück. Sein Herz war jetzt wehmüthiger geworden, und sein Schmerz goß sich in Thränen aus. Eine Stunde lang blieb er ohne Licht auf seinem Zimmer, gieng schnell auf und ab, rang die Hände, faltete sie zuweilen, und betete. Endlich schrieb er mit der heftigsten Bewegung, und mit tausend Thränen dieses Gedicht nieder:


Im dunkeln Thale stand ich, und jammerte;
Der Seele bange Leiden umwölkten mich;
Verkannter Liebe Schmerzen hiengen
Fürchterlich über mein mattes Haupt her!
Da brach ein Glanz aus Wolken, da schimmerte
Vor mir der Hügel; siehe, da standest du,
O Hofnung, hell im Sonnonstrale,
Winktest mir armen Verlaßnen freundlich.
[788]
Hinauf! Hinauf! Da wand ich durch Dornen mich;
Des Bluts nicht achtend; lachte die Schlangen an,
Die wüthig zischten; sah den Glanz nur,
Und den eröfneten Arm der Hofnung! –
O Göttin, Göttin! Sage, was wandelt dort?
Es kommt; es kommt! Es lächelt, o Göttin, mir!
Ists Mariane? Mariane?
Birg mich, o Göttin! Es kommt; es lacht mir! –
In meinem Arm? Ich sinke vor Seligkeit!
Am Herzen mir? O Heilige, steh mir bey! –
Mein bist Du? – Gott, und Engel Gottes,
Helft mir die lastende Freude tragen! – –
Wo bin ich, Engel? – Wieder ins Thal gestürzt?
Umhüllt von neuer, dämmernder Traurigkeit?
Der Hügel wieder trüb in Wolken? –
Engel, und Menschen! Wo bin ich, bin ich?

Ein Thränenstrom stürzte auf das Blatt hin, als er dieses ausgeschrieben hatte. Seine ganze Seele schien sich ausgiessen zu wollen. Der Klang von Marianens Klavier riß ihn aus dieser fürchterlichen Lage. Er legte sich ins Fenster, und lauschte. Sie spielte wehmüthig. Er weinte; aber [789] ruhiger; denn ihre sanfte Stimme floß in seine Seele, wie das Lied der Nachtigall nach einem Sturm. Endlich sang und spielte sie ein Lied, voll Entschlossenheit, voll Hofnung, und Ergebenheit in Gottes Willen. Ruh und Zuversicht träufelte, wie Abendthau in sein Herz herab. Er sah zum Himmel auf. Die goldnen Sterne blinkten hell. – Gott, Gott! seufzte er; du Schöpfer aller! und du Vater aller! Jeder Stern in seiner Bahn! Jeden lenkest du, und siehst du! Siehst auch mich, und Marianen! Alles lebt, und jauchzt ob deiner Güte. Gott, du Vater aller! Sey auch mein, und Marianens Vater! – Der du diese Sterne schufest; hast auch mich, und sie erschaffen. – Gott! Barmherziger! Gnädiger! Mächtiger! Nein, du wirst, du kannst uns nicht verlassen! O, ich fühls, du kannst uns nicht verlassen! In deine Hände geb ich mein, und Marianens Schicksal! Sey du unser Vater! Send uns Muth, und Zuversicht und Hofnung! Hilf uns alles tragen, was du sendest! Sey du unser Vater! – Auf Einmal ward sein Herz leicht. Er sah in der ganzen Schöpfung nichts, als Seligkeit und Segen; fühlte ganz von Gottes Güte sich umflossen; war lebendig überzeugt, daß Gott kein [790] Geschöpf ganz unglücklich machen kann; daß alles, was er thut, zu unserm Besten abzweckt. Freudenthränen flossen in die Thräne des Elends. Er dankte Gott für alles, was er ihm gegeben hatte, auch für seine Leiden. – Voll sichrer Zuversicht und Hofnung gieng er schlafen; und ward durch einen ruhigen und milden Schlaf erquickt. Am Morgen, als er aufwachte, betete er mit heisser Inbrunst für Kronhelms und Theresens Schicksal, und dann erst für sich und Marianen. – Endlich bekam er auch um zehn Uhr einen dicken Brief von Kronhelm. Mit dem Zittern der Hofnung und Erwartung und der Angst, brach er das Packet auf, und fand einen Brief von Theresen und von Kronhelm. Erst las er Kronhelms Brief:


Liebster, bester Schwager!


O daß ich endlich diesen Namen schreiben darf mit zuverläßigster Gewißheit! Jauchze laut mit mir, Geliebter meines Herzens! Der Herr hat weggenommen meine Leiden, meinen bittern Jammer! Hat in Freude sie verwandelt und Frohlocken. Hoch sey er dafür gepriesen bis in Ewigkeit! O Geliebter, sag, wo fang ich an die Geschichte meiner grossen Freude? Daß sie mein ist, daß sie mein [791] ist! Das ist alles, was ich sagen, was ich preisen kann.

Eben wollt ich fort in Günzburg. Ein Transport Rekruten, den wir noch erwarteten, hatt' uns länger aufgehalten. Da kam der Engel meiner Liebe, der mich retten sollte, und mir Freude bringen über Alles. Nein Onkel kam, der theure Gottesmann, und sagte, daß ich nicht sterben sollte, sondern leben; daß Therese mein sey, daß die Leiden sich geendigt haben mit dem Tode meines Vaters. Gott sey seiner Seele gnädig! Er warf Blut aus nach dem Sturz vom Pferd, und starb. Daß Therese mein sey, dieß, sonst nichts, konnt ich begreifen, und auch dieß nur wenig. Nach drey Tagen sank ich ihr ans Herz, und glaubte zu vergehen. – O Bruder, wenn du fühlen kannst, was das heisse: Das zu finden, was man schon verlohren gab, so fühls! Ich weis nicht, ob ich lebe? Das nur weis ich, lieber, theurer Schwager! daß sie mein ist.

In sechs Tagen wird uns, die wir lang schon Eins sind, auch des Priesters Hand vereinigen. O Schwager, daß du hier wärst, und mit uns dich freuen könntest! Freue dich mit Marianen! Du wirst auch glücklich werden; denn es ist nicht [792] möglich, daß ein Mensch auf Erden unglücklich sey. Meine Therese wird dir auch schreiben. – Hier ist schon ihr Brief. Ich küss' ihn tausendmal. Bruder, nun sink ich wieder an ihr Herz. Sie sieht mich an; dieß schreib ich in ihrem Arm. Leb wohl, du Geliebtester! Freund, Schwager, Alles! Leb wohl! Ich bin ein Gott.


K.F. Kronhelm.


Theresens Brief, der in den vorigen mit eingeschlossen war, ist dieser:


Mein Herz, o geliebtester und bester Bruder, ist so voll von unaussprechlichem Entzücken, daß ich dir mit Worten wenig, oder nichts sagen kann. Mein Kronhelm ist seit vier Tagen hier, und wird in sechs Tagen ganz mein. In diesem Wort, o Bruder, liegt die Seligkeit von Jahrhunderten! Er kam an einem Abend, als ich mit dem besten Vater in der Laube saß. Ich ward in seinem Arm ohnmächtig, und sah, als ich wieder zu mir selber kam, ihn und seinen theuren Onkel vor mir. Ich wuste es schon, daß er nun auf ewig mein sey, eh sies sagten. Erst nach langer Zeit konnt ich dem vortreflichsten von allen Menschen, seinem besten Onkel [793] danken. Aber meine Worte waren nichts, gegen das, was mein Herz fühlte. Mein ganzes Leben ist nicht hinreichend, diesem Mann zu sagen, was ich ihm schuldig bin, und wie ich ihn über alles ehre. – Der ganze Abend war für mich, und für uns alle der wehmüthigste, und seligste. Nun erfuhr ich erst, was mein Kronhelm noch um meinetwillen ausgestanden hatte. Gott! wie nah war ich dem Verderben, und so ruhig, weil ich nichts davon wuste! Wenn doch wir Menschen alles wüsten, welch ein Elend wärs um unser Leben! – Aber was der arme Jüngling um mich ausgestanden hat! Gott im Himmel weis, ich bin so vieler Liebe nicht werth. Nur anbeten kann ich ihn, und danken, und meinem theuren Kronhelm all mein Leben, jeden Athemzug in meinem Leben widmen. –

Könnt ich ihn doch so glücklich machen, als ers werth ist! Keinen andern Wunsch trag ich Gott in meinem täglichen Gebet vor. Hätt ich das Unglück gewust, das unsrer Liebe drohte, ich lebte nicht mehr; denn der Uebergang von solcher Hofnung in das tiefste Elend hätte mich getödtet. Und nun bin ich so ganz, so überschwänglich glücklich. O Bruder, du hast nie ein glücklicheres Geschöpf gekannt, [794] als mich. Würdest du doch eben so glücklich mit deiner Mariane! Ich kann dirs nicht verhehlen, daß ich um deine Liebe weis. Mein Kronhelm hat es mir erzählt.

Werd ihm drüber nicht böse, ich bitte dich, du würdest mich betrüben. Er gestand es mir in der zärtlichen Vertraulichkeit, in der wir gestern Abend in der Laube beyeinander sassen! Er kann und darf mir nichts verhehlen; ich verhehl ihm auch nichts; und was er mir sagte, war ja nur zu deinem Besten. Doch du kannst ihm nicht böse werden; wer das könnte, müste selbst bös seyn. Ich freue mich unendlich, liebster Bruder, über deine Liebe. Mariane muß, nach dem, was mir Kronhelm von ihr sagte, ganz deiner Liebe werth, und ein Engel seyn. O sey recht glücklich mit ihr; mache sie ganz glücklich, und laß deinen Traum vom Klosterleben fahren! Du kannst durch den geheimen Rath leicht ein gutes weltliches Amt im Baierischen kriegen. Wir wollen mit ihm drüber reden. Wenn doch alle Welt so glücklich wär, als ich und Kronhelm! Wenn doch du und Mariane es am ersten würden! Er sagte mir, Mariane sey mir gut. Das freut mich unaussprechlich; ich bin ihrs gewiß auch herzlich; – sag es ihr, und küsse sie in meinem Namen, [795] und erbitt mir ihre theure Freundschaft! Vielleicht schreib ich einmal an sie, wenn ich erst aus diesem Taumel von Seligkeit heraus bin; jetzt ist mir mein Kronhelm Alles in Allem, und er soll es ewig bleiben. – Eben gieng er vor meinem Zimmer vorbey. Mein Herz schlägt ihm zu; ich muß aufhören. Leb wohl, theurer Bruder! nach der Hochzeit schreib ich wieder. – Unser bester Vater ist so fröhlich, als ich ihn in meinem Leben nie sah. Er, und der vortrefliche Mann, der geheime Rath, sind immer beysammen, und begegnen sich wie Brüder. – Gott, wie glücklich hast du mich, und uns alle gemacht! Leb wohl, mein Geliebtester! Ich bringe meinem Kronhelm diesen Brief, und dann küssen wir uns wieder wie die Seligen und Heiligen im Himmel. Leb wohl! Leb wohl!


Deine


Therese.


Siegwart hatte bey dem Lesen dieser Briefe hundertmal absetzen müssen, denn seine Freude war zu heftig, und die Freudenthränen stürzten ihm auf das Blatt hin. Eine Zeitlang vergaß er seiner eignen Leiden drüber, und hielt sich selbst [796] für glücklich, weil es die waren, die er so unaussprechlich liebte. Aber dann empfand er sein eignes Unglück nur wieder desto stärker, wenn er die Kluft sah, die zwischen ihm und seinen Freunden war; wenn er die Donnerwolke sah, die über ihm und Marianen hieng, und schon herabzudonnern anfieng, und dort die Flur im hellen Sonnenschein, auf der seine Lieben ruhig wandelten. Oft ward er etwas ungeduldig, und rief: Gott, warum ich allein mit Marianen elend, und die andern überschwenglich glücklich? Dann machte er sich selber wieder Vorwürfe: Gott, vergib mir diesen Unmuth! Ach, bewahre mich vor Ungeduld und Murren; vor Neid und Misgunst! Laß mich über meiner Freunde Glück sich freuen, wenn ich schon für mich nicht glücklich bin! – Dann schrieb er ihnen diesen Brief:


Unaussprechlich theure Seelen!


Ihr vergebt mir, wenn ich nicht frohlocken kann. Meine Seele freut sich Eures Glücks, das wist Ihr; aber meine Freude ist so düster, wie mein Schicksal. O Geliebteste, Gott segne Eure Liebe! Mach Euch zu den Glücklichsten auf Erden! Ihr verdient es. Wohl Euch, daß der Herr die Thränen [797] abgetrocknet hat, die ich rinnen sah! Freut euch nun der goldnen Tage, die die Liebe für euch aufgehen heist! Rosen müssen euch durchs ganze Leben blühen, und euch täglich einen Kranz geben, euer Haar damit zu schmücken. Euer Grab sey in einem Rosenwäldchen, wo ihr unter lieblichen Gerüchen einschlummert! Mir ist ein Cypressenwald gepflanzt, in dem ich weinen muß. Mich hat die Liebe wenig Tage nur gesegnet. Ich habe wenig Tropfen ihres süssen Zaubertranks gekostet; nun reicht sie mir einen Becher dar voll Wehmuth. Vielleicht hat bald ein andrer Marianens Hand; nicht ihr Herz, denn das ist mein, und dieß ist der Stab, an dem ich mich im Thal der Leiden halte. –

Seyd gesegnet, meine Lieben, seyd gesegnet! Dieß wünsch ich Euch, mit Thränen in den Augen. Möcht ichs einmal können ohne Thränen! Aber, wie der Herr will, der mir Freuden erst gegeben hat, und mir nun Leiden gibt. Segne, liebste Schwester, unsern theuren Vater, aber sag ihm nichts von meinen Leiden! daß nicht seine Freude düster, und umwölkt werde! Du bist mein Schwager, Kronhelm, und ich liebe dich, wie meine Seele. Du machst meine Schwester glücklich, und sie lohnet dir mit ihrer Liebe. Ich wollt euch einen [798] Brautgesang singen; aber Brautgesänge sollten freudig seyn. Ich schreib euch aber doch das Lied ab, ob ich gleich nicht sagen konnte, was ich wollte. Es kam doch aus brüderlichem Herzen. Ich will an eurem Hochzeittage für Euch beten, und mein Leid vergessen. Liebt Euch treu, und seyd gesegnet! Dieß ist alles, was ich wünschen kann. Betet auch zuweilen in Eurem Glück für Euren Bruder! Denn ich glaube, das Gebeth der Glücklichen vermag viel. Betrübt Euch nicht zu sehr! Weine Leiden sind nicht ewig, und ich glaub an einen Gott, der unser aller Vater ist, auch wenn Er züchtiget. Hier ist noch das Lied. Ich bin ewig Euer Bruder


Xaver Siegwart.

Auf die Vermählung meiner theuren Schwester und meines theuren Kronhelms.

Keimen sah ich Eure Liebe,
Wie den Weidenzweig am Quell;
Oft war Euch der Himmel trübe,
Oft schien Euch die Sonne hell.
Stürme beugten oft Euch nieder,
Drohten Untergang und Tod,
Aber Ihr erhobt Euch wieder
Im erhellten Abondroth. –
[799]
Ach wie gern, Ihr Lieben, freute
Meine Seele sich mit Euch!
Wenn nicht ein Geschick mir dräute,
Eurem, nun verfloßnen, gleich.
Drohende Gewitter drängen
Sich in schwarzer Nacht daher;
Dunkle Wetterwolken hängen
Ueber meine Scheitel her.
Mit der ängstlichbangen Zähre
Steigt ein Seufzer aus der Nacht:
Daß der Tag auf ewig währe,
Der Euch jetzt so heiter lacht! –
Blickt aus Eurem Sonnenscheine
Mir den hellen Trost herbey:
Daß mein Aug nicht ewig weine,
Und mich Lieb' auch einst erfreu!

Den andern Tag, als Siegwart ausgegangen war, sagte man ihm bey seiner Nachhausekunft, daß ein fremder Bedienter nach ihm gefragt habe, der in einer Stunde wiederkommen wollte. Siegwart konnte nicht begreifen, wer der Bediente seyn, und was er bey ihm zu thun haben müsse? Er sann hin und her, und machte sich tausenderley Einbildungen, ängstliche und angenehme. Nach einer Stunde kam der Bediente, [800] und – siehe da! Es war Marx, den Kronhelm angenommen hatte.

O daß ich Sie nur wieder einmal sehe! fieng er an. Ich bin weit und breit im Land herumgelaufen; können Sie mir nichts von meinem gnädigen Herrn sagen? – O ja, antwortete Siegwart. Er ist wohl auf, und nimms nächstens eine Frau. Gott sey Lob und Dank! rirf der Kerl aus, und sprang vor Freuden in die Höhe. Hab ichs doch immer gesagt: so einem braven Herrn kanns nicht übel gehen! Ja, Herr Siegwart, das war ein Jammer! Sie werden mirs kaum glauben. Da brachte man den alten Herrn auf einer Tragbahre heim. Das Blut lief aus Mund und Nase, wie ein Röhrkasten; und dabey schimpfte und fluchte er auf meinen gnädgen Herrn, daß ich mich kreuzigte und segnete. Es hieß, mein Herr sey verlohren, und man wiss' nichts von ihm. Man müss' ihn überall aufsuchen. Ich konnte das nun nicht begreifen, aber ich nahm den ersten besten Gaul im Stall, und ritt, wo die Mähre hin wollte, denn ich wuste – Gott verzeih mirs! – von meinem Herrn so wenig als der Gaul. Keine Seele wollt ihn gesehen haben, wo ich fragte. Ich rannte durch Hecken und Stauden, durch dick und[801] dünn; alles nur umsonst. Endlich ritt ich nach drey Tagen recht betrübt, mochte nichts essen und nichts trinken, in Gottes Namen wieder heim. Da war nun der Lärm erst recht angegangen. Der alte Herr war abgesegelt. Es soll entsetzlich anzusehn gewesen seyn, wie er geschimpft, dann wieder gebethet, dann geflucht hat, besonders auf meinen unschuldigen jungen Herrn. Die Augen soll er im Kopfe herum gedreht haben, wie ein Uhu. Er war ganz blau im Gesicht, und die Zung hieng ihm aus dem Mund heraus, sechs Zoll lang, daß alle Menschen im Dorf sagten, der Böse – Gott sey uns gnädig – hab ihn abgeholt. – Ja, wie ich eben sah, daß da nichts zu machen war; denn ohne meinen Herrn möcht ich gar nicht leben – und daß alles drunter und drüber gieng – jeder packte ein, und die saubre Junfer Kunigund am meisten – da nahm ich eben in Gottes Namen meinen Bündel auf den Rücken. Ich hätt einen Gaul aus dem Stall mitnehmen können, daß kein Hahn darnach gekräht hätt – aber ich bedanke mich dafür! Unrecht Gut g'räth nie gut! und ehrlich will ich bleiben, es mag gehn wie's will! Da gieng ich eben auf gut Glück überzwerch ins Land hinein, und dachte: ich will meinen Herrn schon finden, [802] wenns Gotts Will ist. Freylich giengs ein bißchen hart her. Die kaiserlichen Werber wollten mich mit Gewalt wegnehmen, weil ich keinen Paß hatt', und mir sechzig baare Thaler geben; aber ich rankte mich hinaus; und weil ich meinen Herrn nicht auftreiben konnte, da fiel mirs erst ein, daß ich mich bey Ihnen Raths erholen wollte; Sie würden schon Bescheid wissen. Gottlob! daß ich auf den Einfall kam. Nun bitt ich gar schön, sagen Sie mir gleich, wo er ist? Daß ich mich morgen mit dem frühesten auf den Weg machen kann.

Siegwart sagte ihm, wo Kronhelm wäre. Ey, Ey! sagte er, das ist ein bißchen weit ohne Paß. Ich hätte wohl eine Bitte, ob Sie mir ein kleines Briefchen mit gäben, wo drinn stünde, daß ich ein ehrlicher Kerl sey. Ich fürchte die Soldaten, wie den Henker. Siegwart gab ihm einen kleinen Brief an Kronhelm, und ein offnes Zeugniß seines Wohlverhaltens. Der Kerl küßte ihm die Hand – Aber, fuhr er fort, und kratzte sich hinter den Ohren. Nun hätt ich noch eine Bitte! Sie ist zwar groß, ich weis nicht, ob Sies mir nicht abschlagen? Sie wissen schon so, wie's auf Reisen geht! Das Geld [803] ist mir eben ausgegangen, und da wollt ich ... Gut, gut! rief Siegwart, wie viel braucht Er? – O Herr, Sie sind auch gar zu gut, sagte Marx ganz bewegt. Ich dächte, wenn ich sechszehn Batzen hätt. Ich wollts Ihnen in vier Wochen wieder schicken; da krieg ich meinen Monatslohn. – Siegwart gab ihm zwey Gulden, und sagte, daß er sie ihm schenke. Der Kerl wollte das Geld nicht geschenkt annehmen, und ließ sich erst dadurch beruhigen, daß ihm Siegwart sagte: Er sey seinem Herrn das Geld schuldig und wolle mit ihm abrechnen. Endlich nahm Marx mit Thränen Abschied.

Den folgenden Tag brachte Marianens Mädchen unserm Siegwart seinen Kleist wieder. Es war ein Papier um das Buch geschlagen, und als ers wegnahm, fiel ihm dieser Zettel in die Hände:


Mein Allerliebster!


Entreissen Sie sich Ihrer Unruh! Es ist wieder Hofnung für uns da. Meine Mutter hat aufs neu mit mir gesprochen. Sie ist sehr für Sie, und versprach mir, alles, was zu unserm Besten dienen könnte, zu versuchen. Sie hat [804] bereits mit meinem Vater gesprochen, und ihn so weit gebracht, daß nun wegen des Hofraths nicht weiter in mich gesetzt werden soll. Nur sollen wir behutsam seyn, und unsre Rechnung nicht zu gewiß machen! Meine Hand soll gewiß kein anderer bekommen; das hab ich Ihnen schon so oft gesagt, und sag es hier auch schriftlich. Ich kann nicht glauben, daß Gott eine so reine und unschuldige Liebe un glücklich machen wird. Bleiben Sie nur Gott und der Hofnung treu, mein Allerliebster! Ich wünsche sehr, Sie zu sprachen, denn ich hab Ihnen mancherley zu sagen. Morgen geh ich mit meiner Freundin in ihren Garten, und da könnten wir uns sehen. Es ist, wenn Sie bey meinem Garten sich in das Gäßchen rechter Hand schlagen, der fünfte Garten auf der linken Seite, mit einem schwefelgelben Häuschen. Sie können nicht leicht fehlen, und ich werd auch heraussehen. Schlag Drey gehen wir hinaus, wenn das Wetter gut ist. Leben Sie wohl, mein Allertheurester! Bauen Sie auf meine Liebe und auf meine Standhaftigkeit; am meisten aber auf die Vorsehung, die unsre Herzen so fest vereinigt hat! Ich bin ihre, bis in den Tod getreue


Mariane Fischern.


[805] Siegwarts Seele war durch diesen Brief, und die darinn enthaltne Hofnung wieder wie neu belebt. Er gieng den andern Tag um halb vier Uhr in den Garten, wo seine Mariane schon seiner wartete. Sie empfiengen sich mit einem Entzücken, als ob sie Jahre lang getrennt gewesen wären. Mariane sah wieder so heiter aus, wie der Frühlingshimmel. Sie pflückte zwo Aurikeln von gleicher Farbe; gab die Eine ihm, und steckte die andre an ihre Brust. In Gegenwart ihrer Freundin war sie bis zum Muthwillen lustig, und hatte tausend muntre Einfälle. Siegwart erzählte den beyden Mädchen Kronhelms und Theresens glückliche Geschichte, und meldete seinem Mädchen den Gruß seiner Schwester. Mariane ward über diese Erzählung noch munterer, und sagte, mit einem Blick auf Siegwart: Standhaftigkeit und treue Liebe bleibt doch selten unbelohnt. Mit diesm Worten gab sie ihm ihre Hand, und gieng mit ihm durch die Johannisbeerhecken einer dunkeln Geißblattlaube zu. In ihrem Schatten sank sie an sein Herz; er neigte sich herab, küßte sie auf ihre Stirne, auf ihre schöne Augen, und auf ihren Mund. Freudenthränen stunden ihm in den Augen, wann sie ihren schmachtenden und liebevollen Blick zu [806] ihm aufschlug. Er lächelte; Sie auch, und fuhr ihm sanft mit der Hand über sein Gesicht. Er umschlang sie. Lieber, lieber Engel, sprach er, sind Sie wieder mein? Wollen Sie mein bleiben? Sie lehnte ihr Gesicht an eine Brust, und drückte seine Hand sanft. Oft sassen sie lange stillschweigend da; Gesicht an Gesicht geschmiegt; Er hörte ihren Athem, wie er erst langsam, nach und nach schneller und stärker gieng, und zuletzt ein Seufzer ward. Dann drückte er sie wieder fester an sein Herz, seinen Mund an ihren Mund; sog ihren Kuß, und ihren sanften, reinen Athem ein. – Lieben Sie mich auch? fragte er ein paarmal ganz leise. O unendlich! antwortete sie, und ihr Auge, das so zärtlich und so frey ihn ansah, sagte, daß es wahr sey.

Ein paarmal blickte Siegwart zum Himmel. Der ganze Ausdruck seines Blicks war Dank. Gott, ach Gott! dachte er; wie unendlich hast du mich gesegnet! Alles, alles, was du meinem Wunsch auf Erden geben konntest, die ganze Welt in meinem Arm! Alles andre ist mir nichts; ist Staub! Laß mir nur Sie, nur Sie! Gott, ach Gott, nur Sie! Und dann drückte er sie wieder feuervoller an sein Herz. – Warlich! Eine solche Liebe muß die [807] Freude Gottes, und die Lust der Engel seyn! Laß zwey solche Liebende auf Erden auch getrennt werden! In der Ewigkeit eilen sie sich wieder zu, wo ewig keine Trennung seyn wird! –

Lieben Sie mich auch? fragte sie nach einiger Zeit, ganz bewegt. Ueber alles, über alles! gab er ihr zur Antwort. – Lieben Sie mich, Siegwart? fragte sie bald darauf, noch bewegter wieder. – Warlich! wie mein Leben; mehr noch, als mein Leben! antwortete er, und ward traurig. – Lieben Sie mich mehr noch, als das Kloster? fragte sie zum drittenmal. – Thränen stürzten ihm hier aus den Augen; ja, bey Gott! auch mehr noch, als das Kloster! rief er aus. Liebstes, bestes Mädchen! Ich will nächstens meinem Vater drüber schreiben; denn er weis noch nichts. Aber er hat nichts dagegen, davon bin ich überzeugt. Der geheime Rath von Kronhelm will mir helfen, und im Baierschen ein Amt verschaffen. – Nun, das ist ja herrlich! sagte sie; nun bin ich ruhig. Meine Mutter machte mir den Einwurf: Sie würden ja ein Geistlicher, und ich wuste nichts darauf zu antworten. Er versicherte sie nochmals, daß er bald davon an seinen Vater schreiben werde. Und nun goß die Zärtlichkeit von [808] neuem ihre Freuden über sie in vollem Maas aus; jeder Kuß war ein Tropfen aus der Schaale der Liebe, die nur keuschen Liebenden gereicht wird. Eine Nachtigall saß auf dem Zweig des nächsten Apfelbaums, und sang ihnen noch mehr Wollust ins Herz. Endlich kam auch Marianens Freundin zu ihnen. Dieß störte sie in ihrer Freude nicht. Mariane gab ihrem Siegwart in ihrer Gegenwart Küsse, und blickte ihn noch eben so zärtlich an; denn ihre Freundin war mit ihr aufs innigste verbunden, und hatte ihr auch ehmals die Geschichte ihres Herzens anvertraut. Sie sagte ihrem Siegwart, er möchte das nächstemal wieder ins Konzert kommen, zumal da es das vorletzte sey. Ihre Schwägerinn sey wieder krank, und könne also nicht auflauren. Dann sprachen sie wieder von Kronhelm und Theresen; und endlich gieng Siegwart so selig und vergnügt wieder nach der Stadt, als er seit langer Zeit nicht gewesen war.

Zu Haus fieng er sogleich einen Brief an Kronhelm und seine Schwester an, der aber, in seiner Freude, so unzusammenhängend ward, daß er ihn wieder zerriß. Nun dachte er ernstlich drauf, [809] was er seinem Vater schreiben wollte? So fest ers auch beschlossen hatte, so ungern gieng er doch dran, weil es ihm schwer fiel, seinem Vater ein Geständniß zu thun, das sein zu zärtliches und ängstliches Gefühl lieber nie einer Seele eröffnet hätte. Daher schob er das Schreiben an seinen Vater von einem Tag zum andern auf. Oft hatte ers an einem Abend beschlossen, und unterließ es den andern Morgen, unter tausend, selbstgemachten, Entschuldigungen wieder. Wenn er Marianen sah, so dachte er, nun muß ich schreiben! Er fieng zu Hause an, war aber nie mit dem, was er geschrieben hatte, zufrieden, strich hundertmal aus, und zerriß dann das ganze Blatt wieder. Er hatte unendlich viele Bedenklichkeiten, daß er seinen Vater beleidigen, oder seine Gunst verlieren möchte, und machte sich selbst tausend Zweifel, die nicht wirklich waren.

Nach etlich Tagen erhielt er diesen Brief von Theresen:


Zärtlichstgeliebter Bruder!


Endlich sind alle Wünsche meines Lebens ganz erfüllt, und ich bin die glücklichste Frau des Besten aller Sterblichen. Vor zwey Tagen wurden wir [810] getraut. O Bruder, Bruder, meine Freuden sind zu groß, als daß eine Zunge, oder eine Feder sie ausdrücken könnte. Ich kann dir nicht den Schatten von dem zeigen, was ich fühle. Genug, für mich hab ich keinen Wunsch mehr, als das Leben und die Ruhe meines Kronhelms. Und ich hoffe, daß ihn Gott mir lange erhalten werde, denn er ist ein Segen der Welt. Täglich lern ich ihn mehr kennen, mehr bewundern und lieben. Täglich lern ich von ihm, und werde doch gewiß in diesem Leben nie auslernen. Seine Zärtlichkeit gegen mich ist unbeschreiblich. Unsre Seelen sind aufs engeste vereinigt und haben nur einen Willen. Doch, du kennst ihn ja selbst. Aber von seinem Lob möcht ich unaufhörlich reden, und du fassest so etwas am besten.

Bey der Hochzeit waren einige Freunde unsers theuren Vaters, der unaussprechlich heiter war. Auch meinen ehrlichen Prediger in Windenheim hab ich bitten lassen; er konnte aber, leider, wegen einer kleinen Unpäßlichkeit nicht kommen. Vor fünf Tagen sind wir, ich und mein Kronhelm, bey ihm gewesen. Der gute Mann hatte eine unbeschreibliche Freude, die hellen Zähren stunden ihm in den Augen, und er gab uns einen so herzlichen Segen, [811] daß ihn Gott gewiß erhören muß. Der geheime Rath ist mehr als mein zweyter Vater. Ich kann dir nicht sagen, wie liebreich er mir begegnet! Er nennt mich immer seine Tochter, und das thut so wohl. Auch große, nur zu große Geschenke hat er mir gemacht, an Juwelen, Diamanten, Perlen u.d. gl. Karl und seine Frau waren auch bey der Mahlzeit. Wie hat sich doch alles hier so wunderlich geändert! Sie wünschte mir so viel Glück, schmeichelte mir so sehr, daß ichs zuletzt fast überdrüssig wurde. Der geheime Rath will, der Papa soll mir gar kein Heyrathsgut mitgeben. Er will, wie er sagt, Vatersstelle bey mir vertreten, und bat den Papa, ihm diese Freude zu gönnen, da er keine eigne Kinder habe. Darüber ist Karl ganz ausser sich vor Freuden.

Deinen Brief, liebster Bruder, haben wir mit vielen Thränen gelesen. Gott stehe dir bey, und mache dich mit deiner theuren Mariane glücklich! Mich deucht, du bist ein wenig zu furchtsam; wenigstens mein Kronhelm sagt, du seyest viel zu ängstlich. Fasse doch Muth! Eine solche Liebe kann kaum unglücklich werden. Denk an unsre Liebe; welche Leiden wir ausgestanden haben, und wie glücklich wir nun sind! Vielleicht ist schon wieder [812] Hofnung für dich da. Gott geb es! Ich bitte täglich für dich. Tausend Dank für dein Gedicht, wollte Gott, du hattest ein freudigeres singen können! Aber doch hat es uns sehr gefallen. Grüß deine Mariane in meinem Namen herzlich! – Ich will meinen Kronhelm fragen, ob er dir auch schreiben will? O Bruder, ich bin deine unaussprechlich glückliche Schwester


Therese Kronhelm.


Am Schluß des Briefes war noch folgendes von Kronhelm geschrieben:


Ich kann nicht schreiben, Bruder! Mein Herz ist zu voll, und tobt vor Freuden. Ich bedaure dich, Gott weis es, herzlich. Aber faß Muth! Es wird sich ändern. Marianens Herz ist stark und standhaft. Bau darauf! Ich bitte dich, sey nicht gar zu muthlos! – Hier ist alles Freude; und mich deucht, ich bin der Glücklichste von allen. Könnt ich dir nur den tausendsten Theil von meinem Glück geben; und du wärst schon froh. Aber nur getrost! Du must auch noch glücklich werden; du bist gar zu brav. Uebermorgen reisen wir mit meinem treflichen Onkel nach Steinfeld. Unser Vater ist gar ein vortreflicher Mann,[813] den ich mit der grösten Ehrfurcht liebe. Sey ein Mann, Bruder, und kämpf! Die Siegerkrone kann dir nicht fehlen. Du wirst sagen: der hat gut trösten, weil ihm nichts mehr auf Erden übrig ist, zu wünschen; und da hast du freylich Recht. Leb wohl, Bester, und sey glücklich! Ich bin ganz


Dein treuer Schwager Kronhelm.


Siegwart war nun wieder von allen Seiten glücklich. Die Wünsche seiner liebsten Freunde waren ganz erfüllt; er besaß die Liebe seiner theuren Mariane ganz, und die Furcht, sie zu verlieren, war wieder gröstentheils zerstreut. Nur der Gedanke an das Geständniß, das er nun bald seinem Vater thun sollte, trübte noch zuweilen seine Ruhe. Aber in den vielen Freuden, die er hatte, suchte er ihn zu betäuben und einzuschläfern; er schrieb an seinen Schwager und an seine Schwester nach Steinfeld; theilte mit ihnen ihre große Freude, und erzählte ihnen auch die Hofnungen, die er für sich und seine Liebe hatte. Im nächsten Konzert sang er mit Marianen ein paar Arien, die die Wiedervereinigung zweyer Liebenden zum Inhalt hatten. Mit welchem Ausdruck sie und er gesungen haben mögen, kann sich jedes gefühlvolle Herz vorstellen. Jeder Zuhörer war bewegt, und klatschte [814] Beyfall. Ueber seinen Blicken wachte er genau, um den Hofrath und den andern Anwesenden keine Gelegenheit zum Argwohn zu geben. Der Hofrath war sehr höflich, und lud am Ende des Konzerts alle, auch unsern Siegwart ein, nach dem nächsten Konzert, welches das letzte seyn würde, zu einem Ball da zu bleiben. Siegwart sprach zwischen dieser Zeit sein Mädchen einmal in dem Garten ihrer Freundin, und brachte einen, der liebe heiligen Abend mit ihr zu. Sie versicherte ihn wieder, daß ihre Mutter ganz für ihn sey, und daß sie wegen des Hofrath Schragers wenig, oder nichts mehr zu besorgen habe.

Am nächsten Mittewochen spielte Siegwart noch einmal mit dem allgemeinsten Beyfall ein Konzert. Auch Marianens Bruder spielte eins mit ziemlichem Beyfall, weil er sich, unter Siegwarts Anführung, sehr darauf vorbereitet hatte. Dieser Umstand machte, daß auch er unserm Siegwart ziemlich zugethan wurde. Nach dem Konzert gab der Hofrath Fischer ein Abendessen; nach demselben eröfnete er, mit seiner Frau, den Ball. Siegwart tanzte zuerst mit Marianen eine Menuet, und dann einen Gesellschaftstanz. [815] Hierauf tanzte er mit ihrer Mutter, die ausserordentlich freundschaftlich gegen ihn that. Sie setzte sich nach dem Tanz mit ihm auf ein Kanapee, und fieng von ihrer Tochter an, zu reden. Es freut mich herzlich, sagte sie, daß Sie so viel Freundschaft gegen meine Tochter tragen; sie wird es Ihnen auch schon gesagt haben. Nur um der Leute, und hauptsächlich um meines Mannes willen, muß ich Sie sehr um Behutsamkeit bitten. Man ist im Stillen weit glücklicher, als wenn man vieles Aufsehen macht. Ich wurde schon von verschiednen Seiten her gewarnt. Die Leute hier schliessen aus jeglicher Bekanntschaft auf die engeste Vertraulichkeit, und erdichten aus Langerweile tausenderley Geschichten. Sie sehen ein, was mir daran liegt, daß meine Tochter nicht in der Leute Mund kommt. Meine Schwiegertochter und mein Mann sind gar wunderlich. Suchen Sie ein rechtschaffner und geschickter Mann zu werden; das Uebrige hängt von Gott und nicht von uns ab. Ich höre, Sie wollten geistlich werden. Wird es Ihr Herr Vater wol zufrieden seyn, wenn Sie umsatteln? O ja, ganz gewiß! sagte Siegwart; ich will ihm nächster Tagen schreiben. Ein anderer, [816] der die Hofräthin zum Tanz aufzog, machte dem Gespräch ein Ende. Er blieb sitzen, und sah seine Mariane in einiger Entfernung von ihm, tanzen. Ihre Augen waren viel auf ihn gerichtet; oft, wenn sie glaubte, daß es niemand merkte, lächelte sie ihm zu. Ihm wars, wie wenn ein Sonnenblick im Frühling auf die Flur fällt.

Als der Student, mit dem Sie tanzte, ihr, beym Schluß der Menuet, die Hand küßte, da fuhr ihms wie ein Dolch durchs Herz. Er ward feuerroth, und gleich drauf traurig; denn er hatte viel, fast zu viel Anlage zur Eifersucht. Der freundliche Blick, mit dem sie dem Studenten dankte, machte tausend Empfindungen in ihm rege. Er glaubte, Liebe drinn entdeckt zu haben, so unwahrscheinlich und ungegründet dieß auch war. Die Vernunft mochte ihm auch tausendmal sagen, daß er sich selbst ohne Ursach kränke, und Marianen Unrecht thue, er konnte sich und seine Unruhe doch nicht gnug bekämpfen. Mariane merkte dieses wohl, und setzte sich, als er ins Zimmer gegangen war, zu ihm. Sie blickte ihn zärtlich an, und nun kam die Heiterkeit auf Einmal in sein Aug, und in sein Herz zurück. Er sah die Falschheit seines Argwohns ein, machte sich selbst bittre [817] Vorwürfe, und konnte eine Thräne nicht verbergen, die ihm ins Auge schoß. Gern wär er an ihr Herz gesunken, und hätte sein beleidigtes Mädchen um Verzeihung gebeten, aber die vielen Gäste, die zugegen waren, hielten ihn zurück. Der, ihm verhaßte Hofrath Schrager, zog sie nun zum Tanz auf. Es ward ihm kalt und warm, als er den Mann sah. Er tanzte, um seine Verwirrung zu verbergen, mit dem nächsten besten Mädchen, seiner Mariane gegen über. Sie tanzte ganz kalt, und nachläßig mit dem Hofrath, und warf zuweilen einen liebevollen Blick auf ihren Jüngling. Als Mariane mit Dahlmund schwäbisch tanzte, setzte sich Siegwart allein in einen Winkel auf dem Saal, und hatte lauter traurige Gedanken. Mariane legte ihre linke Hand auf Dahlmunds Schulter, und flog so mit ihm auf dem Saal herum. Dieser Anschein von Vertraulichkeit kränkte seine zarte Seele tief, zumal da es sonst kein Mädchen auf dem Saal so machte. Er sah zwar nachher, daß dieses bey Marianen blos Gewohnheit war, weil sie es bey jedem Tänzer ohne Unterschied so machte; aber es that ihm doch im Herzen weh, daß die Geliebte seiner Seele auch nur scheinen sollte, ausser ihm mit einem Menschen [818] auf der Welt vertraut zu seyn. Er hätt es ihr so gern gesagt, aber er fürchtete, sie zu betrüben, oder in den Verdacht der Wunderlichkeit bey ihr zu kommen. Noch trauriger ward er bald darauf, als sie mit einem andern tanzte, der sie, wie ein Rasender herumriß, und mit ihr mehr flog, als sprang. Gott! dachte er, wenn ihr diese heftige Bewegung Schaden brächte, und ihre Gesundheit zerrüttete! Wie leicht könnte so ein Augenblick mein Liebstes rauben! Dieser Gedanke versenkte ihn immer tiefer in die traurigsten Vorstellungen, so daß ihm Thränen in den Augen standen. Sie kam nach dem Tanz zu ihm. Das ist schrecklich getanzt! sagte er; Sie glühen recht! und schien aufgebracht zu seyn. Sie sah ihn wehmüthig, und halb bittend an. Eine Thräne drang aus ihrem Auge. Liebes Mädchen, sagte er, und war bewegt; wie leicht könnten Sie sich schaden! Diese Vorstellung hat mich ganz traurig gemacht. Sie nahm ihn bey der Hand. Es wird mir hoffentlich nicht schaden, sagte sie; aber freylich war es scharf getanzt; ich dachte es selbst; nur kann ich nicht dafür. Ich thu's nicht gerne. – Nehmen Sie mirs nur nicht übel! sprach er; meine Warnung kam aus gutem Herzen. Sie sah ihn [819] mit der grösten Zärtlichkeit an, und wär ihm gern ans Herz gesunken, um an seiner Brust zu weinen. Ein paarmal küßte sie ihn doch, weil ihre Eltern in dem Nebenzimmer sassen. Ich will sagen, daß ich mit Ihnen tanze, sagte sie, wenn mich wieder jemand aufziehn will. – Liebes Mädchen! Weiter konnte er nichts sagen.

Man tanzte wieder französisch, und Siegwart tanzte nun auch mit den übrigen Frauenzimmern, und noch ein paarmal mit seiner Mariane. Erst um 2 Uhr gieng die Gesellschaft auseinander.

Kurz eh man auseinander gieng, entstand noch ein Streit zwischen einem Studenten, Namens Dieling, und Joseph, Marianens Bruder. Dieling war betrunken, und wollte schwäbisch tanzen, als die übrigen eben einen Gesellschaftstanz angefangen hatten. Joseph nannte ihn einen Menschen ohne Lebensart. Dieß stieg dem betrunkenen Dieling zu Kopf; er holte seinen Degen, und rannte damit auf Joseph. Siegwart, der auf der Seite neben Hofrath Schrager stand, der eben weggehen wollte, riß diesem den Degen von der Seite, fieng Dielings Degen auf, und schlug ihn ihm aus der Hand, daß er in das entgegen stehende Fenster flog. Nun kamen andre hinzu, und schafften den [820] Betrunknen weg. Siegwart hatte sich nur etwas an dem Finger geritzt, und blutete. Joseph, der nun erst sah, wer sein Retter gewesen war, sank ihm in den Arm, und dankte ihm mit hundert Küssen. Mariane und ihre Eltern waren indeß auch hinzugesprungen; sie ward todtblaß, als sie Blut sah; er beruhigte sie aber gleich, indem er zeigte, daß er nur geritzt wäre. Sie sprang in ihrer Angst weg, um ein Stückchen Tafft zum Verband zu holen. Der Hofrath umarmte indeß unsern Siegwart, und dankte ihm für die Rettung seines Sohns. Die Hofräthin weinte, und nannte ihn den Retter ihres Josephs, ihren zweyten Sohn. Indeß kam Mariane wieder, die sich nun von ihrer ersten Bestürzung erholt hatte, und verband ihm selbst den Finger. Als Siegwart weggieng, begleitete ihn Joseph noch bis auf die Strasse, umarmte ihn noch einmal, und sagte: Bruder, sag, was kann ich dir für diesen Dienst thun? Nichts! antwortete Siegwart in der Rührung; als daß du mein wahrer Bruder bleibest, und mir deiner Schwester Liebe gönnest! O das will ich! o das will ich! rief Joseph aus, ja du sollst Sie haben! Wenns auf mich ankäme, wär sie heute dein – Indem kam Marianens älterer [821] Bruder aus dem Hause, so daß er Josephs Worte noch gehört haben konnte. Siegwart erschrack, und gieng weg. Dieser Umstand benuruhigte ihn sehr, weil er fürchtete, daß er üble Folgen für ihn und Marianen haben könnte. Doch richtete ihn der Gedanke wieder auf, daß vielleicht der Hofrath ihm nun günstiger seyn, und sich seiner Liebe zu Marianen weniger widersetzen werde.

Den andern Morgen brachte er damit zu, daß er sich alle Auftritte des vorigen Tages wieder ins Gedächtniß zurückrief. Einigemal stunden ihm die Thränen in den Augen, wenn er überdachte, wie viel Unrecht seine Eifersucht Marianen gethan hatte. Er beschloß, sich vor dieser Marter seiner selbst, und des geliebten Gegenstandes künftig recht in Acht zu nehmen. Nun sah er aber erst, wie sehr er seine Mariane liebe; wie so ganz unzertrennlich seine Seele von der ihrigen sey. Er hatte nun auch ihre Liebe ganz gesehen, mit welcher Sorgfalt sie sich um ihn bekümmre; wie genau sie auf jede Veränderung in seinen Gesichtszügen Acht gebe. Er fühlte das Glück, ihre Liebe, und ein solches Mädchen, zu besitzen, ganz, so daß seine Emfindungen fast immer zwischen Entzücken, Andacht, und Gebeth getheilt waren.

[822] Um eilf Uhr kam Marianens Bruder zu ihm, und sagte: seine Schwester würde heut allein mit ihm auf seinen Garten gehen; ob er nicht auch hin kommen wolle? Siegwart nahm diesen Antrag, der ein Beweis seiner Dankbarkeit, und seiner Zuneigung zu ihm war, mit dem innigsten Vergnügen an; und ward durch dieses Zeichen seiner Liebe zu der grösten Offenherzigkeit verleitet, so daß er ihm die ganze Geschichte seines eignen, und des Herzens seiner Schwester erzählte. Joseph nahm daran sehr vielen Antheil, und sagte: Er sey ganz für diese Liebe, und wünsche nur, es recht bald beweisen zu können. Von seiner Schwägerin, und seinem Bruder, sagte er selbst, wär am meisten zu befürchten, weil diese ihren Vater so sehr einzunehmen wüßte. Doch könnte man vor den beyden diese Liebe sehr wohl verborgen halten, weil sie wenig aus dem Hause kämen, und vielleicht nähme gar seine Schwägerin bald ganz von der Welt Abschied.

Den Nachmittag um vier Uhr gieng Siegwart, wie er bestellt war, nach dem Garten. Seine Mariane, sah so zärtlich, und so schmachtend aus, als er sie noch nie gesehen hatte. Sie nahm ihn gleich bey der Hand, führte ihn in eine Laube, und sank [823] ihm in den Arm. Ihre Küsse waren feuriger, wie sonst; ihr Mund verweilte länger auf dem seinigen, und sog ganz seinen Athem ein. Er setzte sie auf seinen Schooß; drückte sie fest an sein Herz, und legte sein Gesicht an das ihrige. Keines konnte vor Empfindungen sprechen. Er küßte ihre Stirne, dann ihr Auge, und da fühlte er, daß es naß war, und küßte eine heilige Thräne weg. So eine süsse, überirdische Empfindung hatte er noch nie gehabt. Er sah ihr mit der grösten, wehmüthigsten Zärtlichkeit ins Auge; sie konnts nicht aushalten, und verbarg ihr Gesicht an seinem Busen. – Liebster, liebster Siegwart! Liebstes, bestes Mädchen! war alles, was sie sagen konnten. – Endlich kam Joseph, der indeß auf dem Gartenhaus gelesen hatte, hurtig auf die Laube zugesprungen, und rief, der Bruder und die Schwägerin! Siegwart und Mariane sprangen auf. Joseph wollte wieder zurück. Bleib da! rief Mariane, und nun giengen alle drey nach der Gartenthüre zu, wo das liebe Paar eben herein trat.

Das ist der Herr, sagte Mariane ganz entschlossen, der gestern unserm Joseph das Leben gerettet hat. Ey, sagte die Schwägerin, sind das der junge Herr Siegwart? Ja, mich deucht, ich [824] habe Sie schon im Konzert gesehen. Siegwart machte eine Verbeugung, und betrachtete nun erst ihr Gesicht recht. Sie sah ausgezehrt, und eingefallen aus, und hatte ganz die gelbe Farbe des Neides. Ihre kleine, matte, graue Augen lagen tief; ihre Augenbraunen waren weiß, und fielen ins gelbliche, daß man sie kaum sehen konnte. Ihre Nase war spitz; ihr Kinn hervorstehend, und die Stirne niedrig, ohne Ecken, weil die Haare rund herum, tief ins Gesicht herein stunden. Sie gieng vorwärts gebeugt, und der Kopf steckte tief in den Schultern. Ihr Herr Gemahl war ein langer, hagrer Mann, in dessen Gesicht man mehr Aengstlichkeit und Kummer sah, als Bosheit. Sind Sie nur so ganz allein hier, sagte die Schwägerin zu Marianen. Diese antwortete, ja; aber ihre Eltern würden vielleicht diesen Abend noch heraus kommen. Sie waren ja wohl gestern recht vergnügt, Jungfer Schwägerin? fuhr sie fort. Ja, ja, freylich, in so angenehmer Gesellschaft kanns nicht fehlen. Aber der Hofrath Schrager war nicht ganz vergnügt. – Mariane sagte: sie wüßte nicht, daß ihm jemand was zu Leid gethan hätte. Je nu, fuhr die Schwägerin fort, wenn [825] man eben den vierzigen näher ist, als den dreyßigen, so ist man bey dem jungen Volk nicht mehr so beliebt. – Sie wollen ja ein Geistlicher werden, Herr Siegwart, wie ich höre? Ihre Zeit ist wol bald herum! Mich deucht Sie sind schon lang hier? Siegwart sagte, daß er erst übers Jahr hier sey, und noch nicht fest entschlossen sey, was er studieren wolle! Es komm auf seinen Vater an. Ey, Sie werden ja der Kirche nicht untreu werden, sagte sie, werden Sie ja ein Geistlicher, das ist der beste Stand auf Erden. Hoffentlich wird Sie nichts irdisches davon zurückhalten. Mit diesen Worten sah sie Marianen spöttisch an, und machte noch zwanzig andre Anspielungen, die nur zu deutlich zeigten, daß sie von der Liebe unsrer jungen Leute manches wisse. Siegwart und Mariane kamen oft in die gröste Verlegenheit, und wußten nicht, was sie sagen sollten. Ihr älterer Bruder mußte seiner Frau immer Recht geben, weil sie ihn beständig ansah, wenn sie etwas vorbrachte. Sie affektirte eine lächerliche Liebe gegen ihn und wich nicht von seiner Seite. Oft wurden ihre Anspielungen so deutlich, daß Siegwart ein paarmal roth wurde.

[826] Endlich empfahl er sich, weil er wohl sah, daß das Paar nicht vor ihm gehen wollte. Er war über das, was vorgefallen war, aufs neu in der grösten Beängstigung, und stellte sich schon wieder tausend traurige Begegnisse in seiner Liebe vor. Noch denselben Abend schrieb er in der heftigsten Bewegung einen Brief an Marianen, worinn er ihr alle seine Besorgnisse entdeckte, und sie um Gottes willen bat, ihm treu zu bleiben. Zugleich bat er sie um Nachricht, wie er sich verhalten sollte? Den andern Morgen war er sehr bekümmert, wie er ihr den Brief zustellen könnte? Und endlich, als er keinen andern Weg sah, gab er den Brief ihrem Mädchen, die er auf der Strasse antraf, und sagte ihr, er habe diesen Brief geschickt bekommen; sie möcht ihn ihrer Jungfrau diesen Morgen noch, und allein geben! Nun war er wieder etwas ruhiger.

Endlich entschloß er sich auch ernstlich, seinem Vater zu schreiben, ihm seine Liebe zu entdecken, und ihn um die Erlaubniß zu bitten, daß er nun Jura studieren dürfte! Er schrieb dieses alles mit grossen Ausholungen und Umschweifen, oft mit vieler Rührung, und bat seinen Vater inständig, seine Liebe nicht zu verdammen, oder für leichtsinnig [827] zu halten. Er habe seinen Entschluß erst nach vielen Kämpfen gefaßt, weil er befunden habe, daß er im Kloster und ohne Marianens Liebe nie glücklich werden könne. Marianen schilderte er ihm, mit aller Begeisterung eines Liebhabers, und doch wahr ab, und schloß mit der Bitte: Ihn recht bald durch einen Brief aus seiner Ungewißheit zu reissen.

Wegen Marianen war er sehr besorgt. Sie hatte seinen Brief nun schon drey Tage, und noch hatte er keine Nachricht von ihr. Am Fenster sah er sie zwar täglich, und sie sah auch sehr heiter aus, aber die Ungewißheit, in der er, wegen der letztern Begebenheit im Garten, schwebte, quälte ihn doch sehr. Endlich kam am vierten Tag ihr Bruder zu ihm, und sagte, seine Schwester würde den Nachmittag in den Garten ihrer Freundin gehen; er möchte auch hin kommen. Um vier Uhr kam er. Mariane war sehr freundlich. Sie haben sich unnöthige Besorgnisse gemacht, sagte sie, als sie allein mit ihm in der Laube saß; meine Schwägerin konnte aus dem, daß Sie bey mir waren, nichts schliessen, da mein Bruder mit dabey war. Um ihre Sticheleyen bekümmre ich mich wenig, da Sie durch den neulichen Vorfall mit [828] meinem Bruder sehr viel in der Gunst meines Vaters gewonnen haben. Und überhaupt, auf mich können Sie sich verlassen. Mein Herz bleibt ewig Ihr, und auch meine Hand soll kein andrer haben. Sie kennen mich noch nicht genug, was ich zu thun im Stand bin. Auf unsre gute Sache, und die Vorsehung dürfen wir uns auch verlassen. Das Mistrauen, glaub ich, kann Gott niemals leiden. Wenn der Mensch das seinige thut, dann thut gewiß die Vorsehung noch mehr das ihrige. So lang ich Ihre Liebe habe, bin ich zwar nicht unbekümmert, aber doch nicht muthlos und unruhig. Ich hoff, es wird alles noch recht gut gehen. Sie haben mir einen lieben zärtlichen Brief geschrieben; aber, bester Siegwart, er war viel zu ängstlich; und dann – erlauben Sie mir, es zu sagen! – Die Art, wie ich ihn erhalten habe, war mir nicht die angenehmste. Sie gaben ihn meinem Mädchen. Es ist ein gutes Ding, dem man auch wol etwas anvertrauen kann. Es hat auch unsre Liebe längst gemuthmaßt, und verschwiegen. Aber Dienstbothen zu Vertrauten brauchen, scheint mir nicht sehr thunlich. Man macht sich dadurch von ihnen abhängig. Sie glauben, wenn sie einmal ein Geheimniß von uns wissen, [829] unentbehrlich zu seyn, und thun zu dürfen, was sie wollen. Wenn man sie des Diensts entlassen will, so trotzen sie; und thut mans nicht, so machen sie Klatschereyen, und bürden ihrer Herrschaft mehr auf, als wahr ist. Ich weis, mein Liebster! Sie nehmen mir diese Erinnerung nicht übel. Nicht wahr? – Siegwart fiel ihr um den Hals, und küßte sie mit Thränen. Er machte sich wegen seiner Zaghaftigkeit selbst Vorwürfe, und fühlte, daß ein Frauenzimmer, in Absicht auf die Liebe, mehr Unternehmungsgeist, und mehr edles Vertrauen hat, als ein Mann. Der Mann verläßt sich auf Stärke und aufs Geraddurchfahren, welches bey der Liebe wenig thut; das Weib baut auf Klugheit und Verschlagenheit, und tausend Weiberkünste. Bald werden wir uns recht geniessen können, sagte Mariane. In wenig Tagen geht mein Vater mit meiner Schwägerin ins Abacherbad bey Regensburg, und bleibt 5 oder 6 Wochen da. Ich gehe dann mit meiner Freundin aufs Land zu ihrer Tante, einer herzlichguten Frau. Das Guth liegt nur eine kleine Meile von hier, und Sie können täglich hinauskommen, wenn Sie wollen.–O, das ist herrlich! sagte Siegwart; da wollen wir ein Götterleben führen! Sie haben [830] Recht; alles geht nach Wunsch. Meinem Vater hab ich nun auch geschrieben, und in höchstens vierzehn Tagen hab ich Antwort. Lieber Engel! ach, wir müssen glücklich werden! – Lieb und Seligkeit umschwebte nun wieder unser keusches Paar. – Was macht Ihr Finger? sagte sie nach einiger Zeit. Ist er wieder heil? Sie haben ja nicht mehr den Tafft drauf, den ich Ihnen gab. Hier ist er, sagte er, und zog seine Brieftasche heraus; das ist mir ein Heiligthum, das ich bey mir tragen werde, noch im Grab. Und ich dieses, sagte Mariane, und zog ein weisses Schnupftuch aus der Tasche, auf dem ein Tropfen von seinem Blut war. Diesen Blutstropfen hab ich aufgefangen; das Schnupftuch geb ich nie aus meiner Hand; auch solls nie gewaschen werden. – Liebes, liebes Mädchen! rief er aus, und drückte sie ans Herz. Dieser Tropfen hat einst dir geschlagen; jeder andrer soll dir schlagen; bis ich todt bin! – Sie nahmen hierauf Verabredungen wegen Marianens Reise aufs Land. Sie sagte, daß sie schon mit ihrer Freundin drüber gesprochen habe. Diese woll ihn Einmal einladen, damir er mit ihrer Tante bekannt werde, und dann könn' er ohne Anstand alle Tage kommen, denn die Tante sey die billigste [831] und munterste Frau, und werd ihn selber fleißig zu sich bitten. Dieser Abend schloß sich für unsern Siegwart ausserordentlich vergnügt. Er gieng, mit tausend Küssen, und Versicherungen ihrer Liebe erst in der Dämmerung von Marianen und ihrer Freundin weg, und war so frey von aller Furcht, so voll ruhiger Freude, als er noch nicht leicht gewesen war.


Ein paar Tage drauf bekam er, von Steinfeld aus, Briefe von Kronhelm und Theresen, die von nichts als Zufriedenheit und innigem Vergnügen seiner Freunde zeugten. Kronhelm berichtete ihm die Ankunft seines treuen Dieners Marx, und die Freude, die dieser über sein Glück gehabt hätte. Auch erzählte er ihm Kunigundens Abschied. Sie sey nemlich noch vor seiner Ankunft bey Nacht und Nebel von Steinfeld abgegangen, und habe ziemlich viele Kleidungsstücke und Kostbarkeiten mitgenommen, die er ihr auf den Weg schenken wolle. Jetzt sey sie in Augsburg eine Art von Hurenwirthin. Dann fragte er ihn nach Marianen, und ermunterte ihn, guten Muth zu fassen; sein Onkel werde ihm gewiß eine anständige Bedienung verschaffen; daher soll er unverzüglich seinem [832] Vater schreiben, und die Rechte zu studieren anfangen u.s.w.

Theresens Brief war voll von Lobeserhebungen ihres Kronhelm; voll Freude über ihr glücklichstes Schicksal, und über ihre jetzige Lage. Zugleich machte sie eine ausführliche Beschreibung von der Einrichtung ihrer Lebensart in Steinfeld; und schloß mit der Nachfrage um sein eignes Schicksal, und schrieb eben das von Marianen, was ihm schon ihr Mann geschrieben hatte.

Noch dieselbe Woche gieng der Hofrath Fischer mit seinem Sohn und seiner Schwiegertochter ins Bad, und einen Tag drauf reiste Mariane zu ihrer Freundin, aufs Land. Gleich zween Tage drauf erhielt Sisgwart von dieser und von ihrer Freundinn eine hösliche schriftliche Einladung, welcher Mariane etliche Zeilen beysetzte, die voll Zärtlichkeit und Liebe waren. Er gieng gleich denselben Tag hinaus, und traf seine Mariane, ihre Freundin, und die Tante vor dem Landguth in einer Allee von Fruchtbäumen mit Kleists Frühling in der Hand an. Alle drey Frauenzimmer bewillkommten ihn mit der grösten Freude. Das Betragen der Tante, die Frau Held hieß, nahm ihn ganz ein. Sie war ungefähr [833] 55 Jahre alt. Ihr Gesicht war sehr regelmäßig, und zeigte noch Spuren ihrer ehemaligen Schönheit. Ihr blaues Auge war etwas trüb, und verrieth Hang zur Melancholie. Einige Züge zeigten, daß sie oft geweint, und manchen stillen Kummer getragen haben muste. Jetzt war ihr Gesicht zwar heiter; aber doch verrieth es immer noch Anlage zur Schwärmerey und Wehmuth. Ihre Reden zeugten von gleich viel Verstand, und Empfindung. Nur die letztere schlug noch zuweilen vor. Ich habe viel Gutes von Ihnen gehört, sagte sie zu Siegwart. Seyn Sie mir vielmals willkommen! Zwingen Sie sich vor mir im geringsten nicht, und folgen Sie ganz Ihrer Neigung! Ich weis, wie Sie mit der Jungfer Fischern stehen, und es freut mich. Kommen Sie, Mariane, und geben Sie ihm ihre Hand! Ich kann mir vorstellen, was Sie fühlen müssen; ob ich gleich in der Liebe nie so glücklich war. Da ichs nicht seyn konnte, möcht ichs doch andre machen können! –

Mariane drückte ihrem Jüngling seine Hand stärker, und sah ihm freundlich ins Gesicht. Hier ist herrlich leben, sagte sie, Gottlob, daß Sie da sind! Tante weis, wie viel wir von Ihnen schon [834] gesprochen haben. Die Gesellschaft gieng nun miteinander in den Garten, der sehr reizend angelegt war. Statt der vielen todten und einförmigen Heckengänge waren Alleen von Apfel- und Kirsch- und Nußbäumen angelegt. Der Garten war in vier Haupttheile abgetheilt, die mit Küchengewächs bepflanzt, und mit schmalen Strichen, in denen Blumen aller Art stunden, je nachdems die Jahrszeit mit sich brachte, eingefaßt waren. Hinten stund ein schöner Gras- und Baumgarten, der sich in ein schönes, büschichtes Wäldchen endigte, wo Amseln, Drosseln, Nachtigallen und Zaunkönige durcheinander sangen. Ueber dem steinernen und simpeln Gartenhaus, das einen großen Saal hatte, wölbten sich ein paar wilde Kastanienbäume, die angenehme Kühlung und Dämmerung herabgossen. In dem Saal setzten sie sich, und assen frische Milch, glücklich wie die Menschen in dem goldnen Zeitalter. Die Tante erheiterte sie noch mehr durch ihren gesunden Witz, der oft in Empfindung übergieng, so daß das Auge, das eben erst gelacht hatte, hell von Thränen wurde. Sie sind eine vortrefliche Frau, sagte Siegwart, daß Sie den Liebenden so günstig sind, da sonst ältere Personen, vornehmlich von Ihrem Geschlecht, [835] gemeiniglich auf das Glück jüngerer Personen neidisch sind. Lieber Gott! sagte sie, wie können sie doch das seyn, da sie wissen, wis es ihnen ehemals war, und wie leid es ihnen that, wenn sich jemand ihrer Liebe widersetzte! Nein, ich freue mich herzlich, wenn ich andre glücklich sehe, und thu alles, was ich kann, sie in ihrem Glücke zu befestigen. Ach Gott, wenn ich einen solchen Jüngling, wis Sie sind, in der Jugend hätte lieben dürfen, und man hätte mir dieß Glück wollen rauben, was hätt ich von solchen Menschen denken müssen! Soll ichs jungen Leuten übel nehmen, daß sie Menschen sind, und dem Trieb des Schöpfers und der Natur folgen? Freun Sie sich, meine Lieben, es werden auch trübe Tage kommen, ob ichs gleich nicht wünsche. Hier weinte sie. Sie waren also nicht glücklich, theure Frau? fragte Siegwart. – Nein, ich wars nicht, versetzte sie. Denken Sie! Im sechszehnten Jahr must ich einen Mann heyrathen, den ich nicht kannte und nicht liebte. Gott hab ihn selig. Aber er war weiter nichts, als Regierungsrath und reich. Von Seelenliebe wust er nichts. Er glaubte, wenn man seine Frau in Gesellschaft bringe, und ihr Unterhalt verschaffe, seys genug. Kurz, er war, [836] was wir im Deutschen nicht gut geben können, ein bon vivant. Seine Gesellschafter waren lustige Brüder, die bey einer guten Mahlzeit und einem guten Glas Rheinwein sich über einen kahlen Einfall, oft auch über Zoten, einen halben Abend fast zu Tode lachen konnten. Ich indessen saß auf meinem Zimmer, hatte ein fühlendes Herz, das nicht fühlen sollte; denn ich gestehe gern meine Schwachheit, mancher edeln Seele schlug mein Herz zu, mit der ich glücklich hätte leben können. Aber ich muste das Feuer unterdrücken, das in mir auflodern wollte, und so verzehrte ich mich innerlich selbst. Traurigkeit und Schwermuth nutzten meine besten Lebensgeister ab, daß ich vor der Zeit alt wurde. Meinen Kummer konnt ich keinem Menschen anvertrauen; nur Thränen, Bücher und am erstsn die Religion waren all mein Trost. Ganze Tage phantasirt ich weg, mit Aussichten in ein beßres Leben; und da half mir meine Einbildungskraft sehr. Ich schmückte meine Hofnungen so gut aus, als ich konnte, und ergötzte mich daran. Oft erhitzt ich meine Einbildungskraft so sehr, daß es meinen Nerven, die schon ohnedieß stark gespannt waren, schadete. Ich las Dichter, Italiäner und Franzosen, die meine Phantasie [837] noch mehr erhitzten; aber, lieber Gott, wenn das Herz nichts zu thun hat, dann nimmt man seine Zuflucht zu der Einbildungskraft. Erst vor kurzer Zeit lernt ich, durch meine Base hier, einige deutsche Dichter kennen, besonders den Klopstock; und da muß ich gestehen, hier ist freylich tausendmal mehr Nahrung für den Geist, mehr Wahrheit, mehr tiefgedachtes, und mehr tiefempfundenes; und jetzt les ich fast beständig deutsch. Aber noch vor ein paar Jahren sah man ja hier zu Lande kaum ein deutsches Buch, das man ohne Ekel lesen konnte. Genug, meine Lebenszeit strich hin, ohne mir oder der Welt Vergnügen zu gewähren. Mein Mann sah meinen stillen Gram, ohne mit zu fühlen, oder Antheil dran zu nehmen, und dann schmerzt das Elend doppelt. Vor zwey Jahren starb er; nun bin ich schon so an die Einsamkeit gewöhnt, daß ich mich wenig mehr um die Welt bekümmre. Kinder hab ich nie gehabt; die hätten mir allein mein Elend noch erleichtern können.

Siegwart seufzte und ward ganz wehmüthig bey ihrer Erzählung. Aber, sagte sie, Karoline, (so hies Marianens Freundin,) wir müssen unser Pärchen auch allein lassen. Wollen Sie vielleicht spatzieren gehen, Mariane? oder sollen wirs thun? [838] Mariane stand auf, und lächelte. Die Tante gieng an ihren Flügel, und Siegwart mit Marianen durch den Baumgarten nach dem Wäldchen. Hören Sie, sagte Mariane, was die arme Frau für ein trauriges Adagio spielt! Ich bedaure sie recht herzlich, denn sie hat unendlich viel ausgestanden. Hysterische Zufälle, und ihr kummervolles Leben, setzten ein paarmal ihrem Verstande hart zu, und da nahm die Verleumdung Anlaß, ihr allerley Böses nachzureden; aber, weis Gott! sie ist die beste Frau auf Gottes Erdboden, in der kein böser Blutstropfen rinnt! Es geht immer so, sagte Siegwart, je besser und vollkommener man ist, desto mehr hat man Neider, und wird misverstanden. Ich wollte auch in ihre Seele schwören, daß nichts böses an ihr ist. Sie hat mich ganz bezaubert.

Sie setzten sich auf eine Rasenbank, die unter einem dickbelaubten Apfelbaum sehr glücklich angebracht war. Um sie herum düftete in der, nach und nach herannahenden Abendkühle das Geisblatt. Auf einem Baum vor ihnen hatte ein Eichhörnchen sein Nest, wo es bald heraus, bald hinein schlüpfte, und oft, als ob es neugierig wär herabsah. Sie belustigten sich lange an seinen possirlichen [839] Sprüngen und Wendungen; drückten sich dann wieder fest ans Herz, und freuten sich ihrer Liebe, und des himmlischen Abends. Siegwart las seinem lieben Mädchen Theresens und Kronhelms Brief vor; sie freuten sich miteinander über das Glück der Edeln, und phantasirten sich in gleiches Glück hinein, das ihnen einst begegnen würde. Unvermerkt steckte Mariane unserm Siegwart einen Ring an seinen Finger. Das ist für Klopstock, sagte sie, (den er ihr geschenkt hatte.) Siegwart war vor Freuden ausser sich, sah bald den Ring an; drückte bald sein Mädchen an sein Herz; küßte bald den Ring, bald sie, und wuste nicht, was er vor Entzücken und Dankbarkeit sagen sollte. Endlich sagte er, wie haben Sies doch so treffen können, daß der Ring so genau paßt? Das macht man so, sagte sie; nahm einen Grashalm; wickelte ihn um seinen Finger, und brach den Grashalm ab. Ach, deswegen, rief er, wickelten Sie letzthin mir den Grashalm um den Finger? Liebes herrliches Mädchen, möcht ich doch deiner Liebe ganz würdig seyn. – Sie sind es; Sie sind es! versetzte sie. Er sagte, daß er nun in acht Tagen Antwort von seinem Vater erwarte. Zwar sey er seines Beyfalls, und seiner Einwilligung [840] schon gewiß. Es sey blos um des Ceremoniels willen.– Sie sassen da bis in die Dämmerung, und trafen Karolinen mit ihrer Tante an einem Rosenstrauch sitzend an, der seine Düfte um sie her verbreitete. Es kam unsern Siegwart schwer an, schon zu gehen, ob er gleich versprechen muste, morgen wieder zu kommen. Auf dem Wege nach der Stadt sann er hin und her, wie er ein Mittel ausfündig machte, nicht immer in der schönsten Zeit weggehn zu dürfen. Endlich beschloß er, auf dem benachbarten Dorf einen Bauren zu suchen, in dessen Haus er übernachten könnte. Den Ring von Marianen drehte er immer am Finger hin und her; besah und küßte ihn alle Augenblicke. Seine Seele war ausserordentlich entwölkt, und ruhig; die Zukunft lag wie ein Frühlingsgefild vor ihm da; seine Phantasie zauberte sich und Marianen und alles Angenehme hinein.

Den andern Tag gieng er schon um zwey Uhr wieder hinaus, in der Absicht, auf das Dorf zu gehn, und sich einen Aufenthalt aufzusuchen. Unterwegs traf er einen Bauren an, der eben auf das Dorf zugieng. Siegwart redete ihn an, fragte [841] ihn, ob er in das Dorf gehöre? und als der Bauer es bejahte, frug er weiter, ob ein Wirthshaus im Dorf sey, oder ob er nicht sonst ein Haus wüste, wo er für Geld und gute Wort zuweilen schlafen könnte? Es ist wohl ein Wirthshaus da, antwortete der Bauer; aber weil Sie, wie ich sehe, so ein braver Herr sind, so können sie, um einen Schlafkreuzer für meine Magd, in meiner Hütte schlafen, so oft Sie wollen. Ich hab oben ein Stüblein, und ein Bett drinn. 's ist zwar ein Bissel hart, aber aufm Land, pfleg ich so zu sagen, muß man sich halt nach der Decke strecken. Was wir so im Haus haben, Milch und Butter und Eyer, das steht Ihnen auch zu Dienst, wenns anständig ist. Siegwart gieng mit ihm auf das Dorf, um das Zimmer zu sehen. Es war reinlich, und frisch ausgeweißt. An der Wand herum hiengen Bilder von Heiligen, vom Kayser, von der Kayserin, vom Churfürsten und der Churfürstin; vom General Daun und Laudon. Das Bette war auch weiß und reinlich. Das ist ja fürstlich! sagte Siegwart. – Ja ja, versetzte der Bauer Thomas, die Herren haben eben so ihren Spaß mit uns Bauersleuten. Nun, nun! die Freud kann man ihnen ja wohl lassen. – 's ist doch manchem Bauersmann [842] wöhler, als den Leuten in der Stadt. Siegwart versicherte, daß er nirgends lieber sey, als auf dem Dorf. So oft ich hier schlafe, fuhr er fort, geb ich sechs Kreuzer, und, was ich esse, das bezahl ich besonders. Der Bauer weigerte sich lange, den Vertrag einzugehen, weil das wie er sagte, viel zu viel Geld wäre. Auf den Abend, sagte, Siegwart, komm ich; aber vielleicht etwas spät, weil ich zu meiner Base auf das Landhaus gehe. – So, zu der Frau Held? fiel Thomas ein. Ja ja, das ist eine seelengute Frau, die den Armen hier im Dorf viel Gutes thut. Sie kommt fleißig rüber in die Kirche, und bringt allemal der Armuth etwas mit. Ey, Ey! So ist das Ihre Bas? Nun, da nimmt michs eben nicht Wunder, daß Sie auch so brav sind. Sagen Sies ihr nur, daß man sie im Dorf hier recht lieb hat!

Siegwart gieng aufs Landhaus, das eine kleine halbe Stunde vom Dorf lag. Die Frau Held spielte gerad im Gartensaal auf dem Flügel. Er schlich sich leise hinein, um sie nicht zu stören, und setzte sich zwischen Karolinen und Marianen aufs Kanapee. Die Tante spielte mit viel Wahrheit und Ausdruck; unsre Liebenden drückten sich, bey jeder empfindungsvollen Stelle die Hände [843] und blickten sich oft mit Thränen der Zärtlichkeit an. Endlich, als die Tante sich umsah, wurde sie unsern Siegwart gewahr, und hörte auf zu spielen, um ihn zu bewillkommen. Man sprach etwas über die Musik. Frau Held äusserte den Wunsch, daß sie unsern Siegwart, den ihr Mariane auch als Musikus sehr gerühmt hatte, einmal hören möchte! Er versprach, das nächstemal seine Flöte mitzubringen; aber, sagte er zu Marianen, dafür singen sie heut eins. Sie ließ sich nicht lang bitten, holte ihre Musikalien, und sang einige italiänische und deutsche Arien mit solcher Anmuth, und mit so tiefer Empfindung, als sie im Konzert, wo die Menge von Zuhörern zurückhaltender macht, noch nie gesungen hatte. Drauf setzte man sich ins Grüne, und Siegwart muste, weil er eine angenehme und volle Stimme hatte, Kleists Frühling vorlesen. Die Frauenzimmer hörten mit dem innigsten Antheil und herzlicher Aufmerksamkeit zu, und weinten zuletzt dem Andenken und der Asche des Dichters eine dankbare Thräne; der schönste Lohn, den sich ein edler Sänger nach dem Tode wünschen kann! – Ich mache mir jeden Frühling, sagte Siegwart, einen festlichen Tag, und lese erst Kleists Frühling, und dann die Geschichte [844] seines Lebens, und seines edeln Heldentodes. Ein süsseres Vergnügen kenn' ich gar nicht, als die Thränen des Dankes und der Rührung, die ich dann ihm weine. Die Frauenzimmer baten einmüthig, daß er sein Leben vorlesen möchte! Er thats, und ward hundertmal durch seine eignen, und die Thränen der Frauenzimmer unterbrochen. Hierauf erzählte er die Nachricht von der edeln Gaussin in Frankfurt an der Oder, die ihm Hauptmann Northern erzählt hatte, daß nemlich dieses Mädchen jährlich Blumen auf des Dichters Grab streue. O, wir wollens auch thun! sagte Mariane, sprang auf, pflückte Rosen, Geißblatt und andre Blumen. Karoline, ihre Tante, und Siegwart machtens nach; und an einem schönen, etwas erhöhten Platz, der einem Grabhügel ähnlich sah, streuten sie die Blumen aus. Hier will ich mich begraben lassen, sagte Frau Held. Karoline! und Sie auch, Mariane! besuchen Sie dann jährlich mit Ihrem Siegwart diesen Ort, und denken Sie an mich, und diesen Abend! – Alle wurden über diese Wendung des Gesprächs noch wehmüthiger. Sie setzten sich auf die Blumen ins Gras. Frau Held fieng an mit Bsgeisterung von der Ewigkeit und vom Wiedersehn im [845] Himmel zu reden. Ach, so schloß sie, da werd ich auch den edeln Dichter sehen, und ihm danken!

Aber heute, sagte sie, indem sie aufstand, zu Marienen und zu Siegwart, heute haben wir Sie um einen schönen Abend gebracht. Wie wärs, wenn sie hier blieben, und im herrlichen Mondschein mit uns spatzieren giengen? Ich habe schon dafür gesorgt, versetzte Siegwart, und im Dorf da drüben ein Nachtquartier bestellt. Herrlich, herrlich! sagte Mariane, und gab ihm einen Kuß. Er gieng nun mit ihr allein ins Wäldchen spazieren, und setzte sich wieder unter den Apfelbaum. Indem er sich setzte, flog aus dem nächsten Busch eine Grasemücke: Er sah in den Busch, und fand ein Nestchen mit fünf Eyern. Liebes Mädchen, sagte er, wir wollen uns anderswo hinsetzen! Das arme Vögelchen wagt sich nicht auf sein Nest, und seine Eyer werden kalt. Sie giengen weiter ins Gebüsch, und setzten sich unter eine Fichte, durch die die etwas laute Luft majestätisch, wie ein Strom rauschte. Hier zwitscherte ihnen eine Grasemücke ihren ungekünstelten Gesang vor. Horch! sie dankt dir, sagte Mariane, und sank ihm ans Herz. Eine selige Wehmuth füllte ihre Seelen. Mariane lag in seinem Arm, [846] und weinte vor Zärtlichkeit. Sie langte nach dem Schnupftuch, um die Thränen wegzuwischen. Siegwart hielt ihre Hand; nicht wegwischen! sagte er, ich muß sie wegküssen! Halbe Stunden lang sprachen sie kein Wort. Das Abendroth schien ihr durch die Hecken ins Gesicht. Die Sonne geht schon unter, sagte er, wir müssen zur Gesellschaft! Sie stunden auf, und giengen nach dem Garten. Siegwart brach von einem Rosenstrauch zwo Rosen ab, die auf Einem Zweig stunden. Er wollte sie voneinander reissen, um die Eine davon Marianen zu geben. Trenne sie nicht! sagte sie, sie sind ein Paar. Er steckte beyde an ihren heiligen Busen, mit den Worten: so mögen sie denn miteinander sterben! Karoline und ihre Tante sassen vor dem Gartenhaus unter den Kastanienbäumen. Seyd ihr glücklich? fragte Frau Held. Unaussprechlich! antwortete Mariane. So daß ich fürchte, setzte Siegwart hinzu, unser Glück ist gar zu groß! wir müssens bald verlieren! Da sey Gott vor! sagte Karoline. Sie giengen in den Gartensaal, und assen Erdbeeren in Milch. Wenn Mariane eine große fand, so legte sie sie mit dem Löffel auf Siegwarts Teller. Als sie die ihrigen eher aufgegessen [847] hatte, so muste sie mit ihm essen. Erst gab er ihr einen Löffel voll, und dann nahm er den andern. – Der Mond wird wol bald aufgehn, sagte die Tante, dort hinten wirds schon hell. Sie giengen in den Garten, und blickten immer gegen Morgen, wo der Mond aufgieng. Endlich ward ein Wölkchen gantz vergüldet; sie giengen an einen etwas erhöhten Ort, und stellten sich auf die Zehen, um den Mond sogleich zu sehen. Er kommt, er kommt! rief endlich Siegwart voller Freuden aus. Ja, er glänzt schon an Ihrem Hut, sagte Mariane. Nun kam er in seiner ganzen stillen Majestät herauf, und beglänzte den ganzen Garten. Die Blumen und Gewächse schimmerten im Thau, und verbreiteten ihren lieblichen Geruch umher. Karoline sah sehr traurig aus. Was fehlt dir, meine Liebe? fragte Mariane. Ach, antwortete sie; ich denke jener Zeiten. Hier gieng ich vor drey Jahren noch mit meinem Wilhelm, und nun scheint der Mond seit zwey Jahren schon auf sein Grab. Sieh nur! wie er so traurig ist, und hinter Wolken geht! Ach, Mariane, möchtest du das nie erfahren! Tausendmal hab ich mir gewünscht, nie geliebt zu haben! Alle schwiegen, und verlohren [848] sich in tiefer Wehmuth. Endlich wollte Siegwart Abschied nehmen. Wir begleiten Sie die Wiese noch hinauf, sagte die Tante. Oben an der Wiese, nah am Dorf, nahmen sie von einander Abschied.

Siegwart kam zu seinem Bauren, der vor seinem Haus auf einer Bank saß, und schlief. Er wachte auf, als Siegwart kam, stand ganz schlaftrunken auf, und nahm seine Mütze ab. Es thut mir leid, sagte Siegwart, daß ich ihn so lang aufgehalten habe, ich ward drüben aufgehalten. Ey was, sagte Thomas, das hat nichts zu bedeuten. Ich saß da, und sah den Mond an, bis ich einschlief. Es schläft sich gar gut im Mondschein, und es träumte mir eben, als ob ich gestorben wär, und in Himmel käme. Da schien Sonn und Mond zugleich. 's mag auch wol so seyn! Nun, nun, wenn der Herr jetzt ins Bett will, so kann ich ihn hinaufführen. Will gleich ein Licht anmachen. Siegwart sagte, daß es gar nicht nöthig wäre, und gieng ohne Licht hinauf. Er sah noch etwas aus dem Fenster in die mondbeglänzte Gegend. Von ferne sah er das weiße Landhaus durchschimmern, und ein Licht drinn. Er dachte, daß dieß vielleicht Marianens Licht wäre, und sah hinaus, [849] bis es ausgelöscht wurde. Endlich gieng er, vergnügt wie ein Engel, zu Bette.

Um vier Uhr ward er durch das Horn des Kuhhirten, durch das Geblök der Kühe, und das Schnattern der Gänse, die man austrieb, schon wieder wach gemacht; auch unten in seinem Hause war schon alles munter. Er zog sich an, und gieng hinab. Ey, Ey, sagte Thomas, auch schon auf? Das hätt ich nicht gedacht, daß die Stadtherren so bald aus den Federn könnten. Komm, Anne, so hieß sein Weib, grüß den Herrn! Du hast ihn doch noch nicht gesehen. 's ist meiner Seel ein braver Herr, und so gemein; denn er spricht mit unser einem, wie mit seines Gleichen. Anne war ein freundliches Weib, und both Siegwart an, in die Stube zu gehen, und Haberbrey mit zu essen. Thomas lachte sie über dieses Anerbieten aus; Siegwart aber sagte, daß er alles mitmache, und gieng in die Stube. Das Gesinde saß um eine große, dampfende Breypfanne herum, den rechten Arm auf den Linken gestützt, und aß nach Herzenslust. Sie gafften unsern Siegwart staunend an, und winkten sich einander zu, als ob sie sagen wollten: Sieh! das ist ein rechter Herr! Er sah auf seine Taschenuhr, und zog sie auf. Die [850] Leute sahen einander voll Verwunderung an, weil sie nicht wusten, was das wäre? Ein Bauerkerl sah besonders neugierig zu, und bückte sich ganz über den Tisch herum. Weis er nicht, was das ist? sagte Siegwart; und auf die Antwort: Nein, machte er das Uhrgehäuse auf, und setzte sich zu ihnen. Die Knechte und Mägde wusten nicht, wie sie ihre Verwunderung über das künstliche Gemächte genug an den Tag legen sollten. Sie glaubten, es gieng ohne Zauberey nicht zu, daß sich die kleinen Räder alle so von selbst bewegten. So eine Uhr, glaubten sie, wäre wol viel Jauchert Ackers werth. Anne brachte nun in einer kleinern Pfanne, Brey für Siegwart. Das Gesinde gieng indessen mit Thomas ins Feld hinaus zur Heuerndte. Anne war sehr gesprächig und sehr neugierig. Sie that von fern allerley Fragen, um etwas von Siegwarts Stand und Umständen zu erfahren. Er sagte, daß er die Frau Held, die seine Base sey, besucht habe. Nun brach die Bäurin in Lobeserhebungen der Frau Held aus, daß sie so fromm und gutthätig gegen die Armen sey, und mit jedem Bauersweibe spreche, als ob sie selbst nicht viel mehr wäre. Sie war auch schon einmal bey mir, sagte sie, als ich vor einem Jahr im Kindbett lag, und so krank war. Ich hatte da so starke Hitzen, [851] und sie brachte mir Himbeersaft, und andre gute Sachen, daß mir bald drauf besser wurde. Ich sehe sie seitdem immer drum an, und dank ihr in der Stille, so oft ich sie seh. Sie hat auch ein paar recht brave Jungfern bey sich, die man sich nicht besser wünschen könnte. Die Eine davon ist ihre Base, die war schon oft bey ihr. Aber die andre hab ich noch in meinem Leben nicht gesehen. Das ist gar ein bildschönes Fräulein, sie hat ein Gesicht wie Wachs, und Backen wie Milch und Blut. Ich meyne, ich könne sie nicht genug ansehn, wenn sie in die Kirche kömmt. Sie grüßt da die Leute so freundlich, und ist so andächtig, daß es einen in der Seele wohl thut. Sie soll von vornehmen Leuten seyn, und thut doch gar nicht vornehm. Erst letztern Sonntag sagte sie zu mir: Guten Morgen, Anne! und küßte meine kleine Kathrine, als obs ihr eignes Kind wäre.

Indem kamen zwey Kinder, die eben aufgestanden waren, in die Stube; ein Knabe von sieben, und ein Mädchen von fünf Jahren. Sie stutzten anfänglich, als sie den fremden Herrn sahen. Als vber Siegwart freundlich auf sie zu kam, wurden sie nach und nach vertraulich, und endlich ganz zuthätig, und erzählten ihm allerley Geschichten. Die Bäurin sah Siegwart wie einen Engel an, [852] weil er mit ihren Kindern so freundlich that, und sich so zu ihnen herabzulassen wußte.

Während daß er mit ihnen spielte, kam Frau Held mit Marianen und Karolinen, um ihn zu einem Spatziergang abzuholen. Sie sprachen noch eine Zeitlang mit Annen, und giengen dann, durch das nächste Wäldchen, dem Schloß zu. Siegwart erzählte ihnen, wie er seine Zeit in dem Dorf zugebracht habe, und machte ihnen durch seine Schilderung viele Freude. Den Mittag assen sie zusammen im Gartensaal, und nach dem Essen spielte Frau Held auf dem Flügel. Gegen Abend nahm Siegwart Abschied, nachdem er erst versprochen hatte, den andern Tag wieder zu kommen, zumal da Mariane sagte, ihre Mutter würde dann ein paar Tage bey ihnen zubringen, und also würde er dann nicht herauskommen können. Er versprach auch, seine Flöte mitzubringen. Sie begleiteten ihn noch eine halbe Stunde weit. Er küßte seine Mariane aufs zärlichste und nahm von Frau Held und Karolinen Abschied.

Den andern Morgen war das Wetter sehr schwül, und ein Gewitter zog nach dem andern vorbey. Er sah alle Augenblicke nach dem Himmel, und war sehr besorgt, er möchte nicht aufs Landguth [853] hinaus gehen können. Sein Barometer, den er jede Viertelstunde besah, fiel immer tiefer, und endlich brach um zwölf Uhr ein heftiges Gewitter los, das mit Hagel und Schlossen begleitet war. Er war darüber sehr betrübt, hoffte aber immer, es würde sich noch aufheitern. Jede Wasserhelle hielt er für klaren Himmel, und sah dann mit Misvergnügen wieder neue Wolken aufsteigen. Einmal zog er sich schon an, um wegzugehen, weil der Himmel etwas hell ward; aber, als er aus dem Hause wollte, kam ein neuer heftiger Gewitterschauer; und so giengs den ganzen Abend fort; bis er endlich, wider seinen Willen, sich entschliessen mußte, da zu bleiben. Er stellte sich immer vor, wie sie auf ihn warten würden, und machte sich dann selber wieder Vorwürfe, daß er doch nicht, trotz dem Wetter, hinausgegangen sey. Der ganze Abend war ihm lästig und langweilig; er konnte nichts lesen, und nichts denken. Mariane, mit ihrer ländlichen Gesellschaft war sein einziger Gedanke, bis Dahlmund, ihn zu besuchen, kam. Dieser fragte ihn, wo er doch gewesen sey? Er hab ihn so lang schon nicht gesehen. Siegwart antwortete, er sey bey Frau Held gewesen. Bey Frau Held? sagte Dahlmund hastig; von der hab ich [854] wenig Gutes gehört; und nun erzählte er allerley Verleumdungen, die man ihm von ihr beygebracht halte; daß sie ihrem Mann untreu gewesen, aus Liebe alle Augenblicke närrisch geworden sey, und dergleichen mehr. Siegwart fuhr auf, und wollte böse werden; aber Dahlmund beruhigte ihn wieder durch die Versicherung, daß er diese Aussagen selbst nicht glaube, und es sich zur Regel wolle dienen lassen, dergleichen Geschwätze nicht mehr anzuhören.

Den folgenden Tag hoffte Siegwart halb und halb, von seinem Vater Antwort zu bekommen, aber vergeblich. Das Wetter war wieder schön geworden, und er wäre so gern zu seiner lieben Mariane hingeeilt, aber er sah ihre Mutter wegfahren, und wagte sich also nicht aufs Guth hinaus. Am dritten Tag, als sie wieder zurückkam, gieng er noch denselben Abend hinaus, und kam erst in der Dämmerung bey ihnen an, als Mariane mit Karolinen eben die Levkojenstöcke bogoß. Sie ließ vor Freuden die Gießkanne fallen, als sie ihren Siegwart wieder sah, und lief auf ihn zu. Er schloß sie mit Inbrunst in den Arm, und entschuldigte sich, daß er letzthin nicht Wort gehalten, und herausgekommen sey. Ach, sagte sie, ich hätte gezittert,[855] wenn Sie bey dem fürchterlichen Wetter gekommen wären. Wir glaubten hier, die Welt werde untergehn: es war Feuer an Feuer, und Schlag auf Schlag. Besonders Einmal kam ein Donnerschlag, von dem wir glaubten, er hab unser Haus getroffen; wenigstens muß der Blitz ganz in der Nähe eingeschlagen haben. Jetzt ists schon zu dämmerig; morgen sollen Sie sehen, wie der Hagel unsre lieben Blumen, und den ganzen Garten mitgenommen hat. Frau Held kam nun auch, und bewillkommte unsern Siegwart. Sie setzten sich in den Gartensaal zusammen. Frau Held spielte den Flügel, und Siegwart saß mit seiner Mariane auf dem Kanapee, gab und nahm tausend Küsse; und empfand das Glück der Zärtlichkeit gedoppelt, weil er von seinem Engel einige Tage hatte getrennt leben müssen. Nach dem Abendessen giengen sie im Garten spatzieren. Siegwart schlich sich unvermerkt weg; setzte sich auf einen halb umgebognen Birnbaum, und fieng an, auf der Flöte zu spielen. Bravo, bravo! riefen die Frauenzimmer, kamen zu ihm, und setzten sich ihm zur Seite an den Birnbaum. Der Ton seiner Flöte klang wie Silber durch die stille Sommernacht. Ihre Herzen wurden weich, und wehmüthig. [856] Mariane sank ihm endlich an sein Herz. Er ließ die Flöte sinken, und umarmte sie. Keines konnte vor Entzücken und Empfindung sprechen. Nachdem er Marianen gnug geküßt hatte, mußte er noch drey, oder vier Arien spielen, und gieng erst um zehn Uhr auf sein Dorf hinüber. Die Frauenzimmer begleiteten ihn noch. Unterwegs freuten sie sich über die häufigen Johanniswürmchen, die wie kleine Feuerfunken durch die Nacht flogen. Siegwart fieng ein paar Würmchen. Eins davon legte er auf seinen, und das andre auf Marianens Sonnenhut. Als sie von einander Abschied nahmen, blieb er stehen, und sah das Würmchen noch lang auf ihrem Hut glänzen.

Seinen Bauren Thomas und sein Weib traf er noch auf der Bank vor dem Haus sitzend an. Er merkte, daß sie niedergeschlagen wären, wollte sie aber heut nicht mehr um die Ursache davon fragen. Auf der Kammer legte er sich noch ins Fenster, und blies, eh er zu Bette gieng, fünf, oder sechs Flötenstücke. Um vier Uhr stand er den andern Morgen auf, und gieng zu Thomas hinunter. Dieser saß, die Hand an den Kopf[857] gestützt, am Tisch, und seine Frau neben ihm. Wo fehlts, Thomas? sagte Siegwart. Ach, überall, Herr! antwortete der Bauer. Wir sind eben geschlagene Leute, seit uns unser Herr Gott so heimgesucht, und all unser Korn durch den Hagel weggenommen hat. Da sitzen meine Leute nun, und haben nichts zu thun, als die Aecker, wo die liebe Saat gestanden hat, umzupflügen, und allenfalls Rüben oder Wickenfutter drauf zu säen. Ich weis nicht, wie's mir auf den Winter gehen wird, zumal wenn die Herrschaft doch die Gebühr haben will. Stand nicht unser Feld so schön, und als ich da nach dem Hagelwetter hinauskomm, steht kein Halm mehr, und das Wasser läuft mir stromweis entgegen, und die Leute liegen auf den Knien, schlagen die Händ' über'm Kopf zusammen, und fangen ein Geheul an, daß ich bald mein eignes Elend drob vergessen hätte. Es ist, weis Gott! ein Hartes; und, wenns nicht von Gott herkäme, wüßt ich mich nicht drein zu finden! Er klagte noch eine gute Zeit so fort, und sagte: wenn er nur zwölf Gulden hätte, um neues Saamenkorn einzukaufen, und seine Haushaltung etwas zu bestreiten, so gieng's noch an, sonst müss' er einen Acker verkaufen; und jetzt gebe niemand [858] nichts drum, weil kein Mensch im Dorf Geld habe. Siegwart tröstete ihn, so gut er konnte, und gieng um neun Uhr aufs Schloß hinüber zu Frau Held und der übrigen Gesellschaft.

Es war eben ein Bauer aus dem Dorfe da, der bey Frau Held etwas Geld entlehnte, weil ihm der Hagel auch seine Früchte zerschlagen hatte. Der Bauer gieng mit Thränen in den Augen weg, und dankte. Er mußte den Flachs, den er der Frau Held hatte verehren wollen, wieder mitnehmen, und darüber war er noch mehr gerührt. Als er weggegangen war, fieng Siegwart an: Ich hätt auch eine Bitte einzulegen für meinen Hauswirth Thomas. Der arme Mann hat kein Geld zur neuen Aussaat, und wollte doch nicht gern einen Acker verkaufen. Mit zwölf bis funfzehn Gulden wär ihm geholfen. Wollten Sie es wohl mir zu Gefallen thun, Frau Held? Herzlich gern, antwortete sie, und gieng aus dem Saal. – Kommen Sie! sagte Mariane zu Siegwart und Karolinen.; wir wollen nach den Blumen sehen, die der Hagel verderbt hat. Sie giengen in den Wurzgarten. Es war ein trauriger Anblick. Den Levkojenstöcken waren mehrentheils die Zweige abgeschlagen, und die schönsten Blumen lagen zerfetzt[859] im Schlamm. Die Rosen hiengen halb entblättert am Strauch; die Knospen waren zerknickt, oder die Blätter durchlöchert, und gelb. Den Aurickelstöcken waren die Herzblätter abgeschlagen; unter den Bäumen lag das Laub, und die unreife Frucht dickgesät. Kurz, die Verwüstung war fast allgemein. Siegwart und die Mädchen blickten traurig drauf hin. Noch vor wenig Tagen, sagte Siegwart, wars hier wie ein Paradies, und nun! – – – Gott! wie unbeständig ist doch alles! – Sie werden zu traurig, sagte Karoline, und führte sie wieder in den Gartensaal. Mariane setzte sich an den Flügel, und spielte. Frau Held kam dazu, und setzte sich zu Siegwart.

Nach einer halben Stunde kam Thomas, und fragte, was die gestrenge Frau zu befehlen habe? Sie erkundigte sich nach einigen ihrer Aecker, die Thomas zu bestellen hatte, ob der Hagel da viel Schaden angerichtet habe? Endlich fragte sie ihn, wie von ungefähr, ob er auch sehr drunter gelitten habe? Und als er es bejahete, und seine jetzige Verlegenheit erzählte, bot sie ihm an, ihm 20 oder 25 Gulden vorzuschiessen. Der Bauer wußte nicht, wie ihm war, und was er sagen sollte? Frau Held holte das Geld, und gab es ihm. Er [860] war ganz ausser sich, und konnte vor Thränen nicht zu Worte kommen. Dankend und weinend nahm er Abschied.

Die Gesellschaft sprach nun von dem Glück, Reichthümer zu besitzen, wenn man auch die Kunst weis, sie wohl anzuwenden. Ich schäme mich nicht, sagte Siegwart, meine Schwachheit zu gestehen, und mir viel Vermögen zu wünschen. Wer viel hat, kann viel geben! Mariane blickte ihn für diese Gesinnungen mit Zärtlichkeit an; drückte seine Hand, und sank stillschweigend an sein Herz.

Eine halbe Stunde drauf gieng man zu Tisch. Die Mahlzeit war sehr einfach. Eßt, meine lieben Kinder! sagte Frau Held. Bey mir sieht man dem Koch bald unter die Augen. So ists am besten, sagte Mariane. An den allzusehr beladnen Tafeln will mirs nie ganz schmecken. Man ißt auf Kosten seiner Gesundheit, und der Gedanke macht mir jeden Bissen bitter: Daß von diesem Ueberfluß, wenn er in gemeine nahrhafte Speisen verwandelt würde, zwanzig und mehr Arme könnten gesättigt werden. Ich sah einmal den Hof in München offne Tafel halten. Die Tische waren voll; die Gäste übersättigt, und hundert Menschen mit eingefallenen Gesichtern standen da, denen man [861] den Wunsch aus den Augen lesen konnte: Wenn doch meine armen Kinder davon hätten! Das gieng mir durch Mark und Bein, und ich dachte: Ich möchte nie ein Fürst, oder eine Fürstin seyn, wenn ich fürstlich leben müßte. Zumal wenn man denkt, daß mehrentheils der Schweiß der Unterthanen auf den Tisch kommt! –

Frau Held hatte nach Tisch mit Karolinen einige Haushaltungsgeschäfte zu besorgen. Siegwart gieng mit Marianen nach dem Wäldchen. Sie haben gestern Abend, fieng Mariane an, mir mit Ihrer Flöte noch viel Vergnügen gemacht. Ich konnts noch hören, als ich schon zu Bette lag. Es war, als ob ich Ihre Seele sprechen hörte. Ueberhaupt ist der Flötenton der Ton der Liebe, oder des guten Herzens. Wenn ich einen gut die Flöte spielen höre, so ist mirs kaum möglich, zu glauben, daß dieser Mensch, wenigstens in diesem Augenblick, etwas Böses denken, oder ausüben könne. So geht mirs fast bey allen Instrumenten, sagte Siegwart.

Sie waren nun im Wäldchen. Gott! Was ist da geschehen! sagte Siegwart. Der Apfelbaum, unter dem sie auf der Rasenbank gesessen hatten, war vom Blitz entzwey geborsten. Die Aeste lagen [862] umher verstreut, und die Blätter waren versengt. Mariane stand blaß und zitternd da. Das ist der Donnerschlag, den wir gehört haben, sagte sie. Hätten wir denken sollen, daß das unserm lieben Baum gelte! Siegwart hatte indessen in der Hecke nach dem Grasemückenestchen gesehen. Sieh, Mariane! sagte er, und konnte weiter nicht sprechen. Sie sah hin. Die Mutter saß im Nestchen todt auf ihren Jungen. Neben ihr lag das Männchen, mit ausgebreiteten Flügeln, todt. Was half nun meine Vorsicht? sagte er. Hätt ichs weggejagt vom Nestchen, und sie lebten noch! – Mariane setzte sich, ganz betäubt, am gespaltnen Stamm auf die Rasenbank.


Sie schwiegen lang, und sahn sich traurig an. Wo mag gestern Hofrath Schrager hingefahren seyn? fragte endlich Siegwart. Es war ein Koffre hinten auf dem Wagen aufgepackt. Vermuthlich nach Abach, sagte Mariane; meine Mutter hat davon gesagt. Nach Abach? fragte Siegwart ganz tiefsinnig. Weis Ihr Vater was davon? Vermuthlich; war Marianens Antwort. Mein Vater hat ihm einen Brief zugeschickt.

Siegwart. Und das sagen Sie so kalt?

[863] Mariane. Warum nicht, mein Lieber? Fürchten Sie schon wieder?

Siegwart. Sollt'ich etwa nicht? Ach Mariane, Mariane! Ihre Gleichgültigkeit ist mir unerklärlich. Ich kann nie ohne Zittern an den Hofrath denken. Sie wissen, welchen Schrecken er uns schon gemacht hat.

Mariane. Und doch giengs vorüber. Seyn Sie ruhig! An meiner Liebe werden Sie doch nicht zweifeln?

Siegwart. An Ihrer Liebe warlich nicht! Aber schützt diese uns vor allem? Ich fürchte, ich fürchte, das Schicksal, oder Menschen werden uns nicht zusammen leben lassen.

Mariane. So läßts uns doch zusammen sterben. Denk an die Vögel dort im Busch! Ach Siegwart! du hast viel zu wenig Glauben an die Vorsehung, und an dich, und mich. Mein Herz hast du. Meine Hand noch nicht, aber sie soll keines andern werden. Ich schwör es dir aufs neu vor Gott und allen Heiligen. Man könnte dich mir rauben, aber keinem andern geben kann mich niemand. Dazu gehört mein Wille, und den Willen eines Menschen hat noch kein Mensch gezwungen.

[864] Karoline und ihre Tante kamen ins Wäldchen, eh noch Mariane ausgesprochen hatte. Sie bedaurten zusammen den schönen Apfelbaum, und das ganze Wäldchen, das von den Schlossen sehr viel gelitten hatte. Ueberall lagen Zweige und Früchte, manchmal war die Rinde mit abgeschält. Dieser Anblick machte sie traurig, und still. Sie giengen wieder nach dem Garten. Unterwegs sagte Mariane ihrem Siegwaat, in acht Tagen werd ihr Vater wieder kommen, und sie selbst zieh in vier Tagen wieder in die Stadt. Er mußte versprechen, wenigstens noch zweymal herauszukommen; denn heut wollte er in die Stadt, weil er morgen gewiß einen Brief von seinem Vater erwartete.

Gegen Abend gieng er also nach der Stadt, und hatte wegen der Nachricht vom Hofrath Schrager tausend unruhige Gedanken, denn er glaubte gewiß, daß seine Reise nach dem Bad die Verheyrathung mit Marianen zur Absicht habe. Marianens Versicherung, daß sie ihm treu bleiben wolle, konnte ihn nicht genug beruhigen, denn er wußte, wie viel Künste man anwenden könne, ein Mädchen durch List und durch Gewalt auf andre Gedanken zu bringen. Er hatte Muth genug, alles zu unternehmen, aber mehr gegen offenbare [865] Gewalt als gegen List und Kunstgriffe; und mehr, wenn die Gefahr schon da war, als wenn sie erst noch von ferne drohte.

Den Tag darauf wartete er mit der grösten Sehnsucht auf einen Brief von seinem Vater. Der Briefträger kam endlich. Mit klopfendem Herzen sprang er ihm die Treppe hinab entgegen; nahm den Brief an, ohne die Ueberschrift zu lesen, und brach ihn auf. Wie erschrack er, als er statt der Handschrift seines Vaters, des jungen Grünbachs seine sah, der ihm berichtete: Er werde nun gewiß an Michaelis nach Ingolstadt kommen, da er an Ostern daran verhindert worden sey. Siegwart warf den Brief weg, eh er ihn ausgelesen hatte, und machte sich tausend schreckliche Vorstellungen, warum wol sein Vater nicht geschrieben haben möge, da doch schon vor vier Posttagen ein Brief hätte ankommen können. Mit alle seinem Nachsinnen bracht er doch nichts heraus, als tausenderley Muthmassungen, deren immer eine die andre wieder aufhob.

Voll verdrüßlicher Grillen und übler Laune gieng er aufs Landguth hinaus. Mariane sahs ihm bald an, daß ihm etwas fehlte. Anfangs vermuthete sie, er habe einen verdrüßlichen Brief bekommen; [866] als sie aber hörte, daß er gar keinen erhalten habe, und nur deswegen so unruhig sey, stellte sie ihm vor, wie unnöthiger Weise er sich selber quäle, da es ja eben soviel gute oder gleichgültige Ursachen geben könne, warum der Brief einen Posttag länger ausbleibe, als böse, und unangenehme. Ihre Gründe, und noch mehr ihr freundliches Gesicht hellten seine Seele wieder auf, und bannten alle Zweifel und Grübeleyen draus weg; und dieser Abend war ihm einer der fröhlichsten, zumal da ihm auch Mariane noch sagte, es sey ihr erst beygefallen, daß der Hofrath Schrager schon vor einem Jahr gesagt habe, er wolle diesen Sommer ins Abacherbad reisen. Er blieb bis nach zehn Uhr bey Frau Held, und traf seinen Bauren schon im Bette an. Es that ihm leid, daß er ihn wecken mußte, aber Thomas that ganz freundlich.

Den andern Morgen fand er auch Thomas und sein Weib recht aufgeräumt. Sie erzählten ihm mit grossen Freuden, was er schon wußte, daß Frau Held ihnen in ihrer Noth ausgeholfen, und ihnen mehr vorgeschossen habe, als sie nöthig gehabt hätten. Sie brachen in Lobeserhebungen der gutthätigen Frau Held aus, und Siegwart [867] freute sich mit ihnen gemeinschaftlich drüber. Als er sagte, daß er eben zu ihr hinüber gehe, trugen sie ihm tausend herzliche Grüsse und Segenswünsche an sie auf.


Frau Held schlug ihrer Gesellschaft zur Abwechselung vor, auf einem sehr schönen Teich, der ihr gehörte, und nicht gar weit vom Schloß lag, herumzufahren, und zu angeln. Der Teich war länglicht, und mit einem dicken Gesträuch von Hagdorn umgeben, welches eben blühte. Die Blüthen, welche sich im klaren Wasser spiegelten, der blaue Himmel, und die Sonne, die daraus zurückstralten; das sanfte Lüftchen, das die Hitze kühlte, und der Gesang der Vögel am Ufer machten die Fahrt ausserordentlich angenehm. Sie fiengen mit der Angel nur so viele Fische, als sie zum Mittagsessen nöthig hatten. Drauf nahm Siegwart seine Flöte, und blies; Mariane sang dazu. Sie waren alle so heiter, wie der Sommermorgen. Die Freude stralte aus ihren Gesichtern, wie die Sonn aus dem Teich. Am Ufer besteckten sie ihre Hüte mit Hagdornblüthen, und giengen so, Hand in Hand, in den Gartensaal zurück, wo sie bald darauf zusammen assen, und den Nachmittag [868] mit Scherz und frohem Lachen zubrachten.

Als Siegwart Abschied nahm, sagte Frau Held: Sie verlassen mich nun; Ihre Mariane will in zween Tagen nachfolgen, und in drey Tagen bin ich mit meiner Nichte in der Einöde. Das wäre doch nicht recht, wenn Sie uns so ganz allein lassen wollten. Zuweilen, dächt ich, könnten Sie uns wol noch einen Nachmittag schenken. Wenn wir Sie gleich nicht so gut, wie Ihre Mariane, unterhalten können, so wollen wir doch unser möglichstes thun; ohne daß Mariane Ursache zur Eifersucht bekommen soll. Wollen Sies mir wol in die Hand versprechen, noch zuweilen an uns zu denken? Siegwart gab ihr die Hand, und versprach, sie gewiß öfters zu besuchen. Er nahm mit tausend herzlichen Danksagungen Abschied, küßte seine Mariane, und gieng tausendmal vergnügter, als er herausgegangen war, wieder nach der Stadt.

Zu Haus fand er einen Brief von seiner Schwester, der fast nichts, als ihr unaussprechliches Glück, die Zärtlichkeit ihres Kronhelm, und Einrichtungen auf ihren Gütern, und ihrem Hauswesen zum Inhalt hatte. Er schrieb ihr und seinem [869] Schwager sogleich wieder, meldete ihnen seine jetzige Lage mit Marianen, daß er alle Tage von seinem Vater Antwort erwarte, und diesen Brief so lang zurückbehalten wolle, bis er ihnen zugleich die Antwort mit melden könne.

Zween Tage nachher kam Mariane wieder vom Land zurück. Er sah sie aussteigen, und grüßte sie vom Fenster aus. Den Tag drauf erhielt er endlich den längst so sehnlich erwarteten Brief von seinem Vater: Aber – Gott! wie erschrak er, als er folgendes las:


Theurer Sohn!


Dein Schreiben habe erhalten, und wollte es schon beantworten, als mich Gott mit einer schweren Krankheit heimsuchte, und dem Tod nahe brachte. Seit ein paar Tagen fühl ich einige Linderung, und der Arzt will von Hofnung sagen; aber ich fühle noch Todesschwäche, und schreibe dieses, wie du siehst, mit zitternder Hand. Theurer Sohn, du weist, was ich auf dich halte, und wünsche ich daher nichts sehnlicher, als dich vor meinem Ende, welches vielleicht vor der Thür ist, noch einmal zu sehen, und dir meinen väterlichen Segen aufzulegen. Von der bewußten Sache[870] können wir dann auch sprechen; solltest du mich aber, nach Gottes Willen, schon todt antreffen, so erklär ich mich hiemit, daß nichts dagegen habe, und es gern sehe, wenn du weltlich bleibst, und durch meines Freundes Tochter glücklich wirst. Grüß und versichre sie meiner gänzlichen Zuneigung! Bleib nur fromm und redlich! Dies ist der beste Segen, den dir dein Vater auf der Welt zurück lassen kann. Komm so bald, als möglich, denn ich bin sehr schwach, und kann nicht weiter schreiben. Bin dein, auch noch im Tod getreuer Vater


Siegwart. Amtmann.


Das ganze kindliche Herz unsers Sirgwarts ward im Innersten erschüttert, als er diesen Brief erhielt. Thränen stürzten stromweis auf das Blatt hin. Er wagte es kaum den Brief zum zweytenmal zu lesen; und doch hatte er seinen Inhalt noch nicht halb gefaßt. Die dringende Nothwendigkeit, sogleich abzureisen, machte ihn noch stärker, und gewissermaßen unempfindlicher, als er sonst gewesen wäre. Die Einwilligung seines Vaters in seine Liebe, war ein Stral, der ihm die tiefe Dunkelheit noch in etwas erhellte. Er lief aus dem Haus, und bestellte ein Pferd. Dann [871] gieng er geradezu in Marianens Haus, und verlangte, sie zu sprechen. Sie kam zu ihm aufs Besuchzimmer. Verzeihen Sie! sagte er, und gab ihr seines Vaters Brief; ich mußte Sie noch sprechen. Sie las, konnte den Brief kaum vor Zittern halten, ward bald roth, bald blaß, gieng endlich auf ihren Siegwart schweigend zu, und sank weinend in seinen Arm. Gott steh Ihnen bey! sagte sie nach einiger Zeit. – Ach, meine Liebe, antwortete er; ich muß noch heute fort. – Aber, vergessen Sie mich nicht! O vergessen Sie mich nicht! Ich will sobald als möglich wieder kommen. Wollten Sie mir wol einmal einen Brief schreiben, meine Liebe? – Wie kann ich das? fragte sie. – Durch Ihren Bruder, war die Antwort. – Gut, ich will es thun, sagte sie. Aber kommen Sie nur bald wieder zurück! Ich will für Sie, und für die Genesung Ihres Vaters beten. Er versprach noch einmal, aufs möglichstbaldeste zu kommen, und ihr durch ihren Bruder sogleich von Haus aus zu schreiben, wie es mit ihm und seinem Vater stünde. Sie umarmten sich noch einmal aufs zärtlichste, und konnten vor Schluchzen kein Wort sprechen. Siegwart gieng noch auf einige Augenblicke zu Marianens Mutter, um [872] von ihr Abschied zu nehmen, die ihn aufs freundschaftlichste empfieng, und ihm auf die theilnehmendste Art ihr Beyleid bezeugte. Mariane begleitete ihn die Treppe hinab, sank in der Hausthür noch einmal in seinen Arm, weinte an seinem Busen, und versprach ihm, alle Tage etwas an ihn aufzuschreiben. Er riß sich aus ihren Armen los, und gieng.

Nach einer Stunde setzte er sich zu Pferd, sah noch einmal weinend zu seiner Mariane hinauf, und ritt weg. Schmerz und tiefe Traurigkeit begleiteten ihn auf dem ganzen Wege. In einem Dorf stieß er auf ein Leichenbegängnis. Dieser Anblick durchbohrte ihm das Herz. Er ritt schnell vorbey, um seine Thränen zu verbergen. Er stellte spät bey Nacht ein, und ritt Morgens wieder früh weg. Den andern Tag kam er, ziemlich spät, in seinem Dorf, und vor seinem Haus an. Kein Mensch kam ans Fenster. Nur im hintern Zimmer sah er ein schwaches Licht. Er führte sein Pferd selbst in den Stall, und gieng ins Haus. Alles war still; kein Mensch begegnete ihm. Zitternd, und mit lautem Herzklopfen gieng er an das Zimmer seines Vaters. Auch da hörte er keinen [873] Laut. Er machte leis auf, und trat hinein. Seine Brüder, Salome und seine Schwägerin standen schluchzend ums Bett' herum. Schweigend wichen sie zurück, als er hin trat. Todtenbleich lag sein Vater auf dem Bett, und strecke die Hand nach ihm aus, die kraftlos wieder niedersank. Mein Sohn! – sagte er. Siegwart stürzte sich mit Thränen über seinen Vater, und küßte und benetzte sein Gesicht. Gottlob! sagte der Vater, leis' und langsam, daß ich dich noch sehe, und legte die Hand auf seines Sohnes Haupt. Gott segne dich! ... und steh dir bey ... mein Sohn! ... Leb fromm ... und christlich ... du kannst ... Jura studiren ... leb.. mit Marianen ... Hier drückte er seine Hand stärker auf sein Haupt, und starb. Ein allgemeiner Jammerton erhub sich in der Stube. Siegwart stürzte sich wieder über seinen Vater, drückte sein Gesicht fest ans seinige; hub sich mit ausgestreckten Armen aus, sah mit einem Gesicht, voll des tiefsten Jammers, gen Himmel, und gieng aus der Stube. Nach einer Viertelstunde kam sein Bruder Karl mit einem Licht, und fand ihn, auf einem Gesimse liegend, das Gesicht in beyde Arme eingehüllt. Karl hub ihn auf. Ach mein Vater! [874] mein Vater! rief er, die Hände ringend, und ein Schnupftuch drinn. Man brachte ihn ins Wohnzimmer. Er warf sich in einen Lehnstuhl, sah starr vor sich hin, sprang auf, und rang wieder die Hände.

Salome und seine Schwägerin kamen aufs Zimmer, schrien und heulten. Ihr habt nichts verlohren, sagte er, aber ich! aber ich! – Er verlangte ein Licht auf seine Kammer. Eine Stunde lang gieng er sprachlos auf und ab. Endlich warf er sich in den Kleidern aufs Bette, und ließ das Licht brennen. Drey Stunden lang wälzte er sich hin und her, und konnte kein Auge zuschließen. Endlich sanken ihm vor Müdigkeit die Augenlieder zu. Bald darauf wachte er von einem Knastern und einer ungewöhnlichen Helle auf. Das Licht hatte den Vorhang am Fenster angezündet. Er sprang auf, riß den Vorhang herunter, und trat darauf. Als das Feuer schon gelöscht war, kam das Schrecken erst; er zitterte an allen Gliedern, warf sich wieder aufs Bette, konnte aber nicht mehr einschlafen, und um 5 Uhr stand er wieder auf.

Als er zu seinen Geschwistern kam, machten sie zusammen die Veranstaltungen zu dem Leichenbegängnisse [875] ihres Vaters, welches auf den folgenden Tag angesetzt wurde. Karl und Salome erzählten ihm verschiedenes von der Krankheit, und den Reden seines Vaters auf dem Krankenbette, von seiner Geduld und Gelassenheit, und von seiner Freudigkeit zu sterben, die ihm blos durch den Gedanken verbittert wurde, daß er seine Kinder verlassen müste. Sie erzählten ihm, wie oft er von ihm gesprochen, und wie sehr er sich darnach gesehnt habe, ihn noch einmal zu sehen. Siegwart zerfloß bey dieser Erzählung fast in Thränen. Sie sagten ihm auch den Wunsch ihres Vaters, daß man ihn bey ihrer seligen Mutter begraben, und ihnen einen gemeinschaftlichen Grabstein setzen möchte.

Er gieng in den Garten hinunter, um seinem bangen Herzen etwas Luft zu schaffen. Dann gieng er wieder auf sein Zimmer, und schrieb mit Hastigkeit folgendes an Marianen:


Liebste, Beste!


Er ist todt! Ich habe seinen Segen. – Sein letztes Wort war: Leb mit Marianen .... Das: glücklich starb auf seinen Lippen. – Morgen begraben wir ihn. – – O Mariane, o Geliebteste! [876] was hab ich verlohren! den Besten, Gütigsten, Zärtlichsten. – O Mariane, ich kann nicht weiter schreiben. Sey nun Du mir alles! Bleib mir treu! So bald als möglich komm ich, höchstens in acht Tagen. Leb wohl, Engel Gottes! Ich bin ewig Dein


Xaver Siegwart.


Als er den Brief gesiegelt, und selber, mit der Umschrift an ihren Bruder, dem Postverwalter gebracht hatte, gieng er wieder in seinen Garten, und lief hastig auf und ab, und dann schnell die Treppen hinauf, in das Zimmer, wo sein Vater lag. Seine ganze Natur schauerte zurück, als er ihn so blaß da liegen sah. Erst nahte er sich dem Leichnam langsam, dann stürzte er schnell auf ihn hin, küßte die kalte Lippe, und fuhr ängstlich wieder zurück, und verließ schnell das Zimmer. – Nirgends hatte er eine bleibende Stätte; zuweilen ergossen sich seine Thränen haufenweis, und dann war ihm wieder eine Zeitlang wohl. Bey Tische sprachen alle wenig; eins sah das andre traurig an, und dann stieg wieder ein tiefer Seufzer aus der Brust. Auch Salome war tief bekümmert, denn, da ihre Verwandte in München todt war, sah sie für sich die wenigste Versorgung. Sie beschlossen, [877] den Nachmittag aufs Feld hinaus zu gehen, um sich etwas zu zerstreuen. Alle Leute auf dem Feld sahen ihnen traurig nach, und weinten um ihren lieben Amtmann, und um seine Kinder. Salome sagte: sie hätte vor vier Tagen an ihre Schwester Kronhelm geschrieben. Vielleicht, wenn sie könnte, würde sie mit ihrem Manne herüber kom men. Sie giengen fast trauriger wieder nach Haus, als sie es verlassen hatten. Als sie in die Thüre traten, weinte Siegwart heftiger. Er war ungefähr eine halbe Stunde auf seinem Zimmer, als er ein Geräusch die Treppe herauf kommen hörte. An dem holen Gepolter merkte er, daß der Sarg heraufgebracht wurde. Ein kalter Schauer lief ihm über alle Glieder; sein ganzer Körper ward erschüttert, und er wagte es nicht, vor die Thür hinauszugehen. Das Zimmer, wo sein Vater lag, war nicht weit vom seinigen entfernt. Er hörte den Sarg zunageln. Jeder Schlag durchdrang sein Herz. Er konnte sich vor Wehmuth fast nicht mehr fassen. Als die Leute weggiengen, suchte er im Garten wieder frische Luft, wo er Karl und Salome in Thränen antraf. Er ward beyden auf Einmal wieder ganz gut, weil sie so um ihren Vater Leid trugen. Da er von der vorigen schlaflosen [878] Nacht so sehr abgemattet war, so legte er sich, nach dem Abendessen, von dem er ohnedies wenig genoß, frühzeitig zu Bette, und ward durch einen sanften Schlaf erquickt; nur gegen Morgen ängstigten ihn fürchterliche Träume; und, als er aufwachte, war sein Bett von Thränen naß. Er konnte nun seinen Schmerz ganz ausweinen. Gott! dachte er, jetzt erwach ich, als eine vater- und mutterlose Waise. Gott, erbarm dich meiner, und hilf mir! Leit du mich durchs Leben, weil mich sonst niemand leiten kann! Sey du ganz mein Vater! In deine Hände sink ich; o verwirf mich nicht! Sey du mein Schutzgeist, o mein Vater! Vergiß deines Sohnes nicht im Himmel. Ich will dir mein ganzes Leben durch für deine Liebe danken. Du hast alles an mir gethan. Mein ganzes Leben soll Dank gegen dich seyn!

Er hörte schon im Hause ein Geräusch, das Zurüstungen zum Leichenbegängniß bedeutete. Er gieng ins Wohnzimmer. Das Gesind im Hause sah ihn stumm und wehmüthig an, und gab ihm einen guten Morgen, der von ihrem Mitleid zeugte. Ein paar benachbarte Beamte, die sein Vater sehr geliebt hatte, kamen, und bezeugten ihm ihr Beyleid. Sie wollten ihren todten Freund [879] noch einmal sehen. Von den Kindern wollte keines mit ihnen gehen. Ein Knecht gieng mit, und nahm den Deckel noch einmal vom Sarg ab. In stummem Schmerz, bleich, und mit Thränen kamen die Amtleute wieder, und konnten nichts, als seufzen. Dieser Ausdruck ihrer Liebe rührte unsern Siegwart mehr, als Worte.

Er stand am Fenster, und sah einige Bauren, vom Gericht, kommen, die den Sarg tragen sollten. Sie sahn traurig herauf, und wünschten ihm einen guten Morgen. Nach und nach kamen auch andre Bauersleute, um die Leiche zu begleiten, alle niedergeschlagen, und mit verweinten Augen. Aussen an der Mauer des Hofes standen, in schlechten Kleidern, arme Leute, die vor Traurigkeit kaum aufzublicken wagten. Sie weinten wie um ihren Vater denn der alte Siegwart wars ihnen durch seine Wolthaten geworden. Sein Sohn fühlte, mitten in seinem tiefen Schmerz, noch das große Glück, als ein rechtschaffener Mann zu sterben, und wegen seiner Wohlthätigkeit und Redlichkeit beweint zu werden. Aber bey dem Gedanken flossen seine Thränen häufiger. – Die Richter des Dorfs traten nun ins Haus herein, um den Sarg zu holen. Sie brachten ihn heraus; alte, ehrwürdige [880] Männer, mit grauen Haaren, die schon auch dem Grabe zuwankten. Vorne trugen zween, die dem Tod am nächsten zu seyn schienen. Alle sahen mit thränenlosem Schmerz zur Erde. Nur zuweilen floß eine Zähre zwischen den grauen Augenwimpern hervor. Die Leidtragenden giengen nun auch die Treppe hinunter, und folgten der Bahre nach. Das Läuten der Glocken, und der stille Zug, von dem man nur zuweilen ein Schluchzen, oder einen Seufzer hörte, war feyerlich. Von der Seite, aus einer kleinen Hütte, sprang ein Weib herbey, mit einem Kind auf dem Arm; ach Jakob, rief sie; schau, da wird dein Vater hingetragen, der uns so viel Guts gethan hat! Gott vergelts ihm in der Ewigkeit! Sie schrie noch lange fort, bis man sie stillschweigen hieß. Auf dem Kirchhof stand Siegwart auf dem Grabe seiner Mutter, und sah in die Gruft hinab, die nun auch seinen Vater einschliessen sollte. Ein paarmal ward er fast ohnmächtig, und schwankte, daß man ihn halten muste. Als der Grabhügel aufgeworfen war, steckte eine arme Frau einen Rosenzweig darauf. Dies rührte ihn mehr denn alles. Es war ein Denkmal, herrlicher, als Marmor.

[881] In der Kirche ward vom Prediger des Dorfs eine kleine, aber rührende Rede, und dann eine Seelmesse gehalten, und der Zug gieng wieder langsam nach Haus. Die beyden Amtleute blieben beym Mittagsessen da. Siegwart hörte nur zu, und sprach fast nichts mit. Als sie weggegangen waren, gieng er auf sein Zimmer. Jetzt konnte er erst wieder mit etwas Ruhe an seine Mariane denken. Seine Seele sehnte sich nach ihr. Er beschloß, noch heute mit seinen Geschwistern davon zu sprechen, daß er nun die Rechte zu studiren gedenke, und daß ihm also Geld von der Masse, oder von seinem Antheil an der Erbschaft dazu gegeben werde. Allein diesen Abend konnte er davon nicht reden, weil der Pfarrer zum Kondoliren kam, und zum Abendessen da hehalten wurde.

Den andern Morgen gieng er, nachdem er erst mit Salome Kaffee getrunken hatte, mit ihr zu seinem Bruder in sein Haus hinüber. Nach einigen gleichgültigen Gesprächen fragte er, ob der selige Vater nichts wegen seiner gesagt habe, daß er nun die Rechte studiren könne? – Was? die Rechte? fuhr Karl heraus; was ist das wieder für ein schöner Einfall? Siegwart erzählte, daß er seinem Vater deswegen geschrieben, und schon seine Einwilligung [882] erhalten hab; daß der Vater aber durch den Tod verhindert worden sey, sich, wie er ihm versprochen habe, deutlicher darüber zu erklären u.s.w. Karl, und noch mehr seine Frau, fielen nun über Siegwart her; nannten seinen Einfall dumm, und gottlos, scholten ihn Lügen, und erklärten sich: sie würden dieses nimmermehr zugeben; Karl sey ihm nun an Vaters statt, und ihm müß' er folgen. Ueberdas sey gar kein Geld da, um das Studieren noch einmal von neuem anzufangen. Der sel. Vater hab auf der Schule und auf der Universität schon mehr an ihn gewendet, als an alle seine übrigen Kinder zusammen; die zweyfache Krankheit hab auch viel gekostet, und Theresens Aussteuer; jetzt sey kein Heller baares Geld da, und das übrige werd auch soviel nicht ausmachen; er koste in Einem Jahr so viel, daß sein ganzes Erbtheil darauf gehn würde; er könn jetzt ein Mönch werden, denn darauf hab er lange gnug studiert; sein Vorgeben sey auch sehr verdächtig, da der sel. Vater kein Wort davon habe verlauten lassen u.s.w. Kurz; der Schluß war: Auf sein Gewissen könne er, sein Bruder, nie darein willigen, und an Unterstützung sey gar [883] nicht zu denken. Karls Frau sprach noch viel von Gottlosigkeit und Versündigung an Gott, wenn man von seinem Gelübde abgehe, und Gott belügen und betrügen wolle; so daß Siegwart nicht einmal zu Wort kommen konnte. Salome sprach fast nichts dazu, denn sie war durch den Tod ihres Vaters zu sehr gedemüthiget. Unser Siegwart war so betroffen und bestürzt, daß er kaum noch von sich selber wuste. Er betheurte auf seine Ehre, daß sein Vater ihn habe wollen die Rechte studiren lassen; er könne es schriftlich vorweisen. Aber man überschrie ihn. Er legte sich aufs Bitten; alles half nichts. Endlich rief er alle seinen Stolz zusammen; warf seinem Bruder und seiner Schwägerin geradezu Geitz und Niederträchtigkeit vor, und sagte: Er werde sich schon vor der Obrigkeit Recht zu verschaffen wissen. Mit diesen Worten gieng er weg. Sein Bruder und sein Weib spotteten, und lachten ihm so laut nach, daß ers vor der Thüre hören konnte, und vor Unwill auf die Erde stampfte.

In seinem Garten, wo er hin gieng, lief er hastig auf und ab. Das ganze Menschengeschlecht war ihm verhast, weil es so niederträchtige Seelen drunter gibt. Er knirschte mit den Zähnen, und [884] stieß ungeduldige Reden aus. Gottlob! sagte er, daß ich solche Kerls verachten kann, und kein so niederträchtiges Herz habe! Du sollst mein seyn, Mariane, und wenn dich alle Welt mir rauben wollte! Ich will mir schon helfen! – Mich einen gottsvergessenen Menschen nennen! Gott! du weist, wie ichs redlich meyne! – Er lief noch lang auf und ab, ohne etwas deutliches zu denken. Endlich, als die erste Heftigkeit vorbey war, stiegen ihm doch allerley Zweifel auf, wie er sich in dieser Sache helfen wollte? Er hatte sich um das Vermögen seines Vaters nie bekümmert, und wußte also nicht, wie viel ihn auf seinen Antheil treffen, und ob er damit die Kosten zu seinem Studieren werde bestreiten können? Keine ausdrückliche Erklärung seines Vaters war da, und eine gerichtliche Behandlung der Sache scheute er auch. Er verlohr sich also in einem Labyrinth von Sorgen und Bedenklichkeiten. Er mochte hin und her sinnen, wie er wollte, er fand keinen Ausweg. Endlich stürzten ihm Thränen von den Augen; er sah gen Himmel, und konnte nichts sagen, als: Gott! Gott! –

Salome kam zu ihm, und sagte: Sie müßten heut bey ihrem Bruder essen, weil sies gestern [885] schon versprochen hätte. Er thats zwar ungern; aber doch wollte er nicht feindselig scheinen, und gieng hin. Bey Tische sprach er nichts; er verachtete die Leute zu sehr. Karl sprach, ihm zum Trotz, viel mit Wilhelm, und sagte ihm, daß er ihn nun zu seinem Schreiber annehme; so wären, bis auf Salome, alle versorgt; denn Xaver werde sich nun hoffentlich bald einkleiden lassen. Wenn ihn nicht andre weltliche Ursachen davon abhalten, sagte seine Frau spöttisch. – Ich weis schon, was ich zu thun habe, sagte Siegwart trotzig. Ja, das wissen wir, versetzte die Swchägerin; und der Herr Schwager werden wol morgen wieder auf die Universität zurückreisen, um ihr Studium fortzusetzen. Dieser Fingerzeig, daß man ihn ungern hier sehe, schmerzte unsern Siegwart so, daß er ganz blaß im Gesicht wurde, und nicht antworten konnte. Nach einiger Zeit sagte er: Ja, morgen will ich wieder zurück, und mir und andern Leuten Ruh machen. Wie Sie belieben, sagte die Schwägerin. – Die Siegel, fuhr sie fort, kann man ja erst nach ein paar Tagen abreissen, und die Theilung vornehmen. Der Herr Schwager brauchen eben nicht dabey zu seyn. Wir werden ihn nicht vervortheilen, da eine Obrigkeitsperson [886] dabey ist. Auch gut! sagte Siegwart; alles, wie Sie wollen! Es fielen noch hundert spöttische Reden vor, und um fünf Uhr gieng Siegwart weg.

Nun fühlte er erst, was er an seinem Vater verlohren hatte. Er gieng auf sein Grab, und weinte bitterlich. O, du Heiliger, rief er, sieh herab, wie mir Unrecht geschieht, und erbarme dich meiner! Bitte Gott und die heilige Jungfrau, daß sie mich nicht ganz verlassen! O Mutter, Vater, die ihr hier ruht, vergeßt eures armen Kindes nicht! Und du, Vater im Himmel! Gott und Vater, sieh auf eine arme Waise! Sieh herab, und sende Trost, oder laß mich auch ins Grab zu ihnen sinken! O Mariane, Mariane! rief er beym Weggehn, was steht uns bevor! O du Engel, wenn du wüstest, was ich leide! Gott, ach Gott, verlaß uns nicht!

Er gieng nach Haus auf sein Zimmer; und da fiel ihm ein, seinem Kronhelm und seiner Therese seine Noth zu klagen. Vielleicht, dacht er, haben diese für mich Trost; wenigstens werden sie Mitleid mit mir haben. Er schrieb an sie beyde einen sehr rührenden Brief, und es ward ihm ganz leicht dabey. Er brachte den Brief dem Postverwalter, und fragte zugleich, wenn die Briefpost [887] von Ingolstadt komme? Heut ist sie gekommen, sagte der Postmeister. – Und kein Brief für mich? – Nein. – Ein Neuer Donnerschlag für Siegwart. Doch hatte er noch soviel Gegenwart des Geistes, zu bestellen, daß, wenn ein Brief an ihn kommen sollte, man denselben zurückbehalten, und ihn nach Ingolstadt Retour schicken möchte. Es machte ihm viele Sorge, daß ihm Mariane nicht geschrieben habe, doch war die Zeit fast zu kurz, als daß er schon einen Brief hätte erwarten können, und dieses beruhigte ihn wieder in etwas.

Sein Entschluß war nun fest, morgen wieder nach Ingolstadt zurück zu reiten, es möchte ihm auch gehen, wie es wolle, denn die Zeit, ohne Marianen zu leben, ward ihm viel zu lang. Er gieng frühzeitig zu Bette, ohne viel schlafen zu können. Der Gedanke an sein dunkles hofnungsloses Schicksal ließ seinem Geist keine Ruhe.

Eine Stunde vorher, eh er den andern Morgen wegreiten wollte, kam ein Wagen angefahren. Siegwart kannte sogleich den Marx, der vorn auf dem Bock saß; er sprang an den Wagen, und sein Kronhelm und Therese sassen drinn. Sie hatten den Abend vorher auf einem benachbarten Dorf, wo sie spät angekommen waren, schon gehört, daß [888] der Amtmann todt sey, und wollten also bey der Nacht nicht weiter fahren, weil sie doch nichts mehr ereilen konnten. Therese stieg weinend aus dem Wagen, und sank ihrem Bruder in den Arm. Beyde konnten nichts sprechen. Kronhelm war auch sehr bewegt, und umarmte seinen lieben Siegwart. Gottlob! sagte er, daß ich dich wieder sehe! Aber leider bey der traurigsten Begebenheit! Sie giengen schweigend auf das Zimmer. Als Therese sich von ihrer ersten Erschütterung wieder etwas erholt hatte, mußte man ihr einige Umstände von ihres Vaters Krankheit und Tod erzählen. Sie vergoß dabey tausend Thränen. Kronhelm zog unsern Siegwart auf die Seite, und befrug ihn wegen Marianens. Therese kam auch noch dazu. Siegwart erzählte ihnen alles, daß sein Vater es zufrieden gewesen sey, und was sich gestern zwischen ihm und seinem Bruder zugetragen; auch daß er ihnen deswegen gestern geschrieben habe. Kronhelm und Therese erstaunten über die Härte des Bruders und der Schwägerin. Kronhelm erklärte sich sogleich, alles zu übernehmen, und die Kosten zum Studieren aus seinem Beutel herzugeben. Ich will dir keine Wohlthat erzeigen, [889] setzte er hinzu, für die du mir danken must. Ich bin dir tausenmal mehr schuldig; hier, meinen größten Schatz (indem er seine Therese bey der Hand nahm und küßte) ohne dich hätt ich dieses Kleinod nicht. Was ich thue, kann ich leicht thun, denn Gott hat mich ja mit Ueberfluß gesegnet; und dir bin ichs schuldig. Siegwart wollte eben danken, als Karl mit seiner Frau ins Zimmer trat. Sie schienen sehr erschreckt und betroffen zu seyn, und machten eine tiefe Verbeugung. Kronhelm und Therese dankten ziemlich frostig. Nach den vorläufigen Bewillkommungskomplimenten und Beyleidsbezeugungen fieng Kronhelm zu Karl an: Aber, Herr Bruder, gegen unsern Xaver handeln Sie ziemlich unbrüderlich und gebieterisch. Ich hätt Ihnen doch mehr zugetraut! Karl fieng an sich zu entschuldigen, es sey nicht so bös gemeynt gewesen; es könne Xavers Wunsch doch noch erfüllt werden – Das wird ohnedieß geschehen, fiel ihm Kronhelm ein; ich übernehme die Sache, und sie geht Sie weiter nichts an; ich rede nur von dem unbrüderlichen Betragen zwey Tage nach dem Tod eines solchen Vaters! Karls Frau wollte sich auch drein mischen, und sagte: Der selige Vater habe sich doch nicht drüber erklärt. Mit Ihnen red ich von[890] der Sache gar nicht, sagte Kronhelm. Ich habe das alles, und noch mehr von Ihnen erwartet. Sie machtens meiner Frau und mir ehedem nicht besser. – Und überdieß ist es nicht so ausgemacht, daß der selige Mann sich drüber nicht erklärt hat; wenigstens schrieb er meiner Frau: in seinem Pult werde man eine schriftliche Erklärung finden, wenn sein Sohn erst nach seinem Tod ankommen würde. Hier blaßte die Schwägerin ab. Doch wir wollen die verdrießlichen Sachen fahren lassen, fuhr er fort. Ich mußte Ihnen nur auf Einmal meine Meynung sagen. Ich denke, jetzt wäre keine Zeit zu zanken, da wir alle so gerührt sind, oder doch seyn sollten. – Drauf wendete er sich zu Siegwart, und sprach mit ihm von dem Ende seines Vaters. Dieser war noch zu bestürzt über die unvermuthete Wendung seines Schicksals, und die Großmuth seines Freundes, als daß er viel hatte reden können. Das Gespräch ward wieder allgemeiner. Man sprach von der Erbschaftstheilung, Kronhelm erklärte sich: Was das Hausgeräthe anbelange, sey er damit zum Ueberfluß versehen, und würd es auch nicht gut wegbringen können. Auch den übrigen Antheil am Erbe woll er ihnen überlassen, weil er Gottlob! hinlänglich gesegnet sey, [891] und seine Frau für einen Schatz halte, der das ganze übrige Erbe überwiege; nur bitte sich seine Frau einen Demantring aus, den ihr Vater beständig getragen hab', und den sie, ihm zum Andenken, wieder tragen wolle. Hie wurden Karl und seine Frau auf Einmal wieder heiter, und vergaßen, über den abgetretnen Erbantheil, alle vorige Verweise. Sie wollten Kronhelm danken: aber er verbat sichs. Es ward beschlossen, auf den Nachmittag das Pult aufzumachen, das versiegelt war, in dem der Ring, und vermuthlich auch die schriftliche Erklärung wegen der Bestimmung unsers Siegwart lag.

Karl und seine Frau wurden gebeten, beym Essen da zu bleiben, welches Salome zurecht machte. Weil die Witterung sehr gut war, gieng man in den Garten, um da zu essen. Die Zärtlichkeit, mit der Kronhelm seiner Therese begegnete, war unbeschreiblich. Er wußte sie so liebreich zu trösten, als sie beym Eintritt in den Garten, wo sie so oft mit ihrem Vater gewesen war, in neue, noch tiefere Traurigkeit verfiel. Er wußte sie so gut zu zerstreuen, daß sie ganz ruhig zu werden schien. Sie nahm hierauf unsern Siegwart auf die Seite, und sprach mit ihm über Salome's Schicksal. Er [892] sagte, daß das Mädchen ihm jetzt weit besser gefalle, als sonst jemals. Der Kummer über ihres Vaters Tod scheine, sie sehr zum Nachdenken gebracht zu haben. Therese versprach, für sie zu sorgen. Drauf mußte er ihr viel von Marianen erzählen. Dieses that er mit einer solchen Begeisterung, daß er und sie, ziemlich heiter wurden. Drauf rief man zu Tisch.

Nach dem Essen ward das Pult geöfnet. Es lag ein versiegelt Schreiben drinn mit der Aufschrift: An meinen lieben Xaver. Sein Vater gab ihm darinnen verschiedne gute, sehr rührende Ermahnungen; drauf kam er auf seinen Entschluß die Rechte zu studieren. Er war damit zufrieden, und schrieb: in einem Schieblädchen im Pult werd ein versiegeltes Päckchen mit 75 Dukaten liegen. Dieses sey für ihn bestimmt. Soviel woll er ihm noch von dem gemeinschaftlichen Vermögen geben. Was er weiter brauche, müss' er dann von seinem Antheil an der Erbschaft nehmen. Es folgte noch eine zärtliche und liebreichväterliche Aufmunterung zur fernern Rechtschaffenheit, und dann ein sehr beweglicher Abschied, über den Siegwart in lautes Schluchzen ausbrach! Karl und seine Frau machten über das Vermächtniß grosse Augen; aber vor [893] Kronhelm wagten sie es nicht, etwas drüber zu sagen, weil dieser ihnen erst vorher seinen Erbantheil geschenkt hatte. Man fand das Päckchen mit Dukaten. Kronhelm sagte: steck es ein, und verbrauch es, wie, und zu was du willst! Die Universitätskosten übernehme ich, wie ich schon gesagt habe. Therese fand auch den Ring ihres Vaters, küßte, und steckte ihn mit Thränen an den Finger. Sie giengen wieder in den Garten, und brachten den Abend gröstentheils mit wehmüthigen Gesprächen hin. Therese wollte das Grab ihres Vaters besuchen; aber Kronhelm bat sie sehr, es nicht zu thun, weil er fürchtete, es möchte sie der Schmerz zu sehr angreifen, und ihrer Gesundheit, da sis schwanger war, Schaden thun. Dagegen mußte er ihr versprechen, zu andrer Zeit einmal das Grab mit ihr zu besuchen. Als Siegwart Gelegenheit hatte, allein mit ihr zu reden, entdeckte er ihr einen Entwurf, den er in Absicht auf sein Geld gemacht hatte. Salome dauert mich, sagte er; sie ist am wenigsten unter uns versorgt, seit die Base in München todt ist. Da dein lieber Mann seine Großmuth so weit treibt, daß er mich ganz auf seine Kosten will studieren lassen, so kann ich, meiner Einsicht nach, das Geld von unserm seligen [894] Vater nicht besser anwenden, als wenn ich ihr die Hälfte davon gebe. – Behalt dein Geld, gute Seele! sagte Therese. Für Salome ist schon gesorgt. Ich hab mit meinem Mann drüber gesprochen. Wir wollen sie auf unser Schloß nehmen, wenn sie Lust hat. Will sie nicht, oder können wir zusammen nicht auskommen, so will mein Kronhelm sie in München unterbringen. O du himmlische Schwester! sagte Siegwart, und umarmte sie. Salome'n ward auch wirklich nachher dieser Vorschlag gethan, und sie nahm ihn mit Freuden, und, wie es schien, mit der dankbarsten Rührung an.

Als Karl und seine Frau weggegangen waren, entdeckte Siegwart Kronhelm und Theresen seinen Wunsch, morgen nach Ingolstadt zurückzureisen, um wieder bey seiner lieben Mariane zu seyn. So gern ihn auch Kronhelm und seine Schwester noch länger bey sich behalten hätten, so konnten sie es doch nicht übers Herz bringen, ein paar so zärtlich Liebende länger getrennt zu lassen; daher willigten sie in seinen Vorsatz, nachdem er ihnen erst versprochen hatte, sie gewiß bald, von Ingolstadt aus, zu besuchen. Kronhelm sagte ihm, sein Onkel habe ihm versprochen, ganz gewiß für ihn zu sorgen, und [895] ihm, wenn er fleißig studiere, in zwey Jahren eine einträgliche Stelle bey einem Regierungskollegio in München zu verschaffen. Darauf könn er sich, wenn es nöthig sey, beym Hofrath Fischer berufen. Siegwart ward darüber noch freudiger, und sein Herz wäre ganz wolkenlos gewesen, wenn ihm nicht jeden Augenblick der Tod seines Vaters eingefallen wäre. Sie blieben diesen Abend lang zusammen auf. Siegwart ließ sich überreden, morgen erst nach Tisch wegzureiten, weil er doch in einem Tag nicht nach Ingolstadt kommen konnte.

Der andre Morgen war sehr heiter, und unser Siegwart stand auch heiter auf. Sie tranken zusammen im Garten Kaffee. Er freute sich über die Zärtlichkeit seiner Schwester und Kronhelms. Sie erzählten ihm viel von ihrer Glüskseligkeit, und von der Einrichtung ihres Hauswesens; auch von einem vortreflichen jungen Edelmann in ihrer Nachbarschaft, der viel zu ihnen komme, und vermuthlich Kronhelms Schwester heyrathen werde, die, wie sie beyde versicherten, schon viel von ihrer Wildheit abgelegt habe. Therese erzählte ihm auch, welch eine herrliche und auserlesene Büchersammlung ihr Kronhelm ihr angeschafft habe, u.s.w.

[896] Man aß, wegen Siegwarts Abreise früher, und um zwölf Uhr ritt er weg, nachdem er von seinen Lieben mit tausend Thränen Abschied genommen hatte. Mariane, und das Glück, sie morgen wieder zu sehen, war der Gedanke, der ihn auf dem ganzen Weg begleitete. Als es Nacht wurde, stellte er in einer Dorfschenke ein. Er hatte keine Ruhe, weil er stets an Marianen dachte, und schlafen konnte er auch sogleich nicht. Er gieng also in den, an das Wirthshaus stossenden, schönen Baumgarten. Der Mond schien trüb; er sah zu ihm auf, und machte folgendes Gedicht, das er nachher auf der Stube in seine Schreibtafel schrieb:

An den Mond.

Meine Seele lebt nicht hier!
Sie ist hingewandelt zu der Trauten,
Die nun ewig mein ist!
Sag, o Hauch des Abends mir,
(Du umwehtest sie mit deinen Schwingen)
Wo sie jetzo wandelt?
Stark liebt ihre Seel', und treu!
Weint ihr Aug jetzt, daß ihr Lieber fern ist?
Sag mirs, Hauch des Abends!
[897]
Sieh, da, tritt der Mond hervor;
Bleich ist sein Gesicht, und melancholisch,
Wie getrennte Liebe.
Warlich, Mond, sie blickt dich an!
Denkt der Stunden heiliger Umarmung,
Und du weinst vor Mitleid!
Hell dich auf, und lach ihr zu!
Denn ich eil ihr, mit der Sonn', entgegen
Lach, o Mond, ihr Trost zu!

Den andern Morgen ritt er früh weg, und gegen Abend kam er in Ingolstadt an. Er sah Marianen nicht am Fenster; aber ihr Vater stand halb hinter den Vorhängn versteckt. Weil es spät war, und er überhaupt dem Vater nicht recht traute, so gieng er nicht hinüber. Er schlief ziemlich unruhig, und hatte fürchterliche Träume, die von den vorhergegangenen traurigen Vorstellungen erzeugt wurden. Den andern Morgen sah er Marianen wieder nicht am Fenster; der Vater, der heraus sah, schlug das Fenster zu, als er ihn erblickte; dieses machte unsern Siegwart noch bestürzter. – Er gieng aus, ob er vielleicht ihren Bruder irgendwo antreffe? aber vergeblich. Sein Herz ahndete viel trauriges; es war ihm nirgends wohl, und er schweifte von einem Ort zum andern.

[898] Gegen Abend endlich, als er eben in sein Haus wollte, kam Joseph, Marianens Bruder, hinter ihm drein. Er that sehr ängstlich. Nur auf ein paar Worte! sagte er. Hier ein Brief von Marianen, und von mir einer! Wo ist sie? fragte Siegwart. Ich muß fort, war die Antwort. Mein Vater kommt die Strasse dort herauf; du wirst alles in den Briefen finden. Mit diesen Worten sprang er weg.

Kaum konnte Siegwart die Treppe hinauf gehen, so sehr zitterten ihm die Knie, und sein ganzer Körper. Er riß sein Zimmer auf, warf sich in seinen Stuhl, erbrach zuerst Marianens Brief, und las:


Ingolstadt den 7. August.


Mein Geliebtester!


Laß mich die Sprache der Vertraulichkeit reden, und dich Du nennen! Ich schreibe dir, wie ichs versprochen habe. Gestern bist du fort, und schon find ich nirgends keine Freude mehr. Wenn du doch bald wieder kämest! Mir ist so bang ums Herz; und doch weiß ich nicht warum? Nun wirst du wol noch auf dem Wege seyn. Vielleicht denkst du jetzt an mich. Mir deucht, ich fühl es. Ich habe [899] dich gestern und heut fast jeden Schritt begleitet. Gott gebe, daß du glücklich ankommst; und daß dein Vater wieder besser sey! Ich bete viel für ihn, und für dich. Adjeu, mein Geliebtester! Morgen wieder ein paar Wörtchen; denn ich habe viel zu thun, noch eh mein Vater kommt. Uebermorgen soll er kommen. Meine Mutter kommt alle Augenblicke auf mein Zimmer; sie hat Geschäfte drauf. Drum kann ich dir nicht schreiben, wann und wie viel ich will. Aber morgen wieder. Adjeu indessen, mein Geliebtester!


Den 8ten August


Ich bin heut in meinem Garten gewesen. Da hab ich viel an dich gedacht, mein Theurester! Ich wollt, ich hätte Schreibzeug draussen gehabt, so hätt ich viel an dich geschrieben. Aber gesprochen hat meine Seele viel mit der deinigen. Wie waren alle Plätze mir so werth, auf denen ich ehmals mit dir gesessen habe! Alle Worte fielen mir da ein, die wir miteinander sprachen. Ich wurde traurig, daß du nicht auch da warest, denn ich war allein. Auf jede Stelle setzt ich mich, und blieb recht lange sitzen, weil mir so wohl war, da zu seyn, wo mein Geliebtester einst gewesen war. Denk! ich hab deinen Namen in einen glatten, jungen Birnbaum [900] eingeschnitten. Als der Name fertig war, und ich mich genug darüber gefreut hatte, daß mir alles so gerathen ist, da fiel mir erst ein, mein Vater könnte den Namen sehen, weil der Baum dicht am Gang zur rechten Seite stand. Ich erschrack recht, als mirs einfiel. Sollt ich nun den schönen Namen wieder auskratzen? Das wäre traurig. Und doch must es seyn. Aber, Gottlob! daß ich auf den Einfall kam, ihn mit Erde zu überkleben, die der Baumrinde ganz gleich sah. Das will ich nun immer wieder thun, wenn die Erde wieder abfallen will. Und wenn ich allein bin, nehm ich sie ab, um den Namen zu sehen. Adjeu!


Den 9ten August.


Noch ein paar Worte vor Schlafengehen mit meinem Geliebtesten! Ich schreib auf meiner Kammer, weil ich unten nicht sicher bin. Diesen Abend ist mein Vater angekommen. Er saß in einem Wagen mit Hofrath Schrager, meinem Bruder und meiner Schwägerin. Er sah stürmisch und verdrüßlich aus. Die Gesellschaft blieb ungefähr eine Stunde da. Sie war kaum weg, so fragte er meine Mutter sehr gebieterisch: Ist nichts vorgefallen? – Nein. – Hat sich nichts mit Marianen [901] zugetragen? Nein. – Er sah mich von der Seite vielbedeutend an. Nun, wir wollen sehen, sagte er, und gieng. – Ich bin in der größten Unruhe. Zum Hofrath Schrager hatte er gesagt: Morgen also, um halb 5 Uhr haben wir die Ehre. – Meine Schwägerin ließ auch einige Worte fallen, und mein Bruder lachte höhnisch dazu. Beym Weggehen wollte mir Hofr. Schrager Hand küssen. Ich zog sie zurück. Nu! rief mein Vater sehr gebieterisch, und ich hielt die Hand hin. – Um Gotteswillen! sagte meine Mutter, als wir allein waren, so hab ich den Papa noch nie gesehen! Ich bitte dich bey allem, was heilig ist, Mariane, sey nicht widerspenstig! Du weist, was ich drunter leide. Ach Mama, sagt ich, und sank in ihren Arm; bethen Sie für mich! Ich brauche Kraft von Gott. Sie wissen, ich thu, was ich kann. Ader ich kann nicht, wenn es darauf ankommt. – Ich will das Beste von dir hoffen, versetzte sie: bedenk dich wohl! – Siegwart, Siegwart! Was will aus mir werden? Ich habe fürchterliche Ahndungen! Genug, ich bin dein, lebendig oder todt! Gott kennt mein Herz; er kann mich nicht ganz verlassen. – Die Hälfte meines Lebens wollt ich geben, wenn der morgende Tag [902] vorüber wäre! Mutter Gottes, und all ihr Heiligen im Himmel helft mir bethen! – Siegwart, Siegwart! Ich bin dein, es gehe, wie es wolle! Möchtest du doch jetzt auch für mich bethen! Aber du hältst mich für glücklich. Komm doch bald! Ich bitte dich. Vielleicht sehen wir uns nicht mehr lang! Erbarm dich, Gott!


Den 10ten August Vormittags um 10 Uhr.


Jesus, Maria! Welch ein fürchterlicher Auftritt! Ach, Geliebtester, ich kann dirs nicht erzählen. Samml' es zusammen, was ich in der Unordnung aufs Papier werfe. Diesen Morgen beym Theetrinken gieng mein Vater mit der Pfeife im Zimmer auf und ab. Er fragte, ohne mich anzusehen, ist der feine Siegwart viel auf dem Landhaus gewesen? – Nein, Papa – Also doch? – Ja. – Mordieu! sagte er, und gab mir eine Maulschelle. Ich sank auf meinen Stuhl zurück, und weis nicht, was er weiter sagte. Meine Mutter hielt mir ein Balsambüchschen vor. – Du bist auch so eine alte Kupplerin, rief er, und schlug ihr das Büchschen aus der Hand. Licht! rief er zur Thüre hinaus, weil ihm seine Pfeife ausgelöscht war. Dann kam er wieder auf mich zu. Du willst dir also schlechterdings nichts sagen lassen? [903] Willst uns all in Schand und Unehr bringen? – Ach Jesus, Mann! rief meine Mutter. – Schweig! Ich kenn ihre Streiche schon. Aber man wird dir einen Riegel vor die Thüre schieben. Das Ding muß anders werden! Du sollst mir den Hoftath nehmen, oder ich schlag dich todt. Marsch! Du kannst dich besinnen! In zwey Stunden will ich Antwort, und das ohne alle Umschweife und Ausflüchte! Fort, auf deine Kammer! – Hier bin ich nun, mein Geliebtester, von aller Welt verlassen, in der unaussprechlichsten Angst. Gott im Himmel woll sich meiner erbarmen! Den Hofrath kann ich nicht nehmen, wenn auch kein Siegwart auf der Welt wäre! Er ist mir in der Seele zuwider. Gott weiß, daß es kein Eigensinn ist. Ich wollt es so gern allen Menschen recht machen, aber ich kann nicht. Dein bin ich, lebend oder todt. Ich kann vor Zittern kaum schreiben; ich muß etwas auf und ab gehen, um mich zu sammeln. –

Es sey so! Ich will alles dulden, auch den Tod! Meine Seele ist von der deinen unzertrennlich. Gott hat mich gestärkt, und mir Muth und Entschlossenheit eingeflößt. Er wird mich auch im bängsten Kampfe nicht verlassen. Ich flehe dich [904] jetzt an, du Gott der Unterdrückten, weil ich jetzt noch flehen kann, um Beystand und um Gnade, auch im bängsten Kampf! Wenn meine Seele nicht mehr flehen kann, so hör ihr Stammeln! Wenn sie nicht mehr stammeln kann, so hör das Klopfen meiner Brust! Gib mir Standhaftigkeit, daß ich meinem Siegwart treu bleibe! denn ich hab ihms zugeschworen! Du kennst unsre Liebe; sie ist rein von allem Bösen! Bewahre meinen Mund, daß er meinem Herzen treu bleibe! daß er nichts rede, was mein Herz nicht denkt! In deinem Namen will ich vor meinen Vater treten. Mache du sein Herz weich, wenn es hart und unbarmherzig ist; wenn er die Vaterempfindung vergißt, so erinnre du ihn dran! Laß meinen Mund nichts hartes reden wider ihn! Von dir allein erwart ich Hülfe. Laß sie mich von keinem Menschen erwarten! Stärke meine Mutter, daß ihr Leiden nicht zu schwer werde! Sie hat nichts verschuldet. Schütt alles Elend über mich allein aus! Gib mir einen Engel zu, der mirs tragen helfe! Laß den Tod nicht ferne von mir seyn, wenn du, nach deinem weisen Rath, sonst keinen Trost auf Erden für mich hast! Amen! Hilf mir Vater, Amen!

[905] Ich fühle mich gestärkt, mein Geliebtester! In einer halben Stunde muß ich hinunter. Ich hoffe standhaft zu seyn, denn ich weiß, ich hab eine gute Sache. Ich will noch einmal bethen.


Nachmittags um 5 Uhr.


Zween fürchterliche Kämpfe hab ich ausgestanden, mein Geliebtester! Mich wundert nur, daß ich noch lebe. Um 11 Uhr ward ich durch den Bedienten hinabgerufen. Der arme Mensch hatte ganz verweinte Augen. Nun wie stehts? sagte mein Vater. Ist man nun vernünftiger? Willst du dich geben? Noch ists Zeit. Willst du den Hofrath? Ich sah ihn bittend an. Keine Antwort? Also ja? – Verzeihen Sie, mein Vater! Ich kann nicht! – Was? rief er, noch immer auf dem alten Kopf? Fort! Hinauf mit ihr. Ich schwör dirs; auf den Nachmittag um 2 Uhr ist die letzte Zeit. Besinn dich wohl! Wenn du dann nicht Ja sagst, so ists vorbey. Dann magst du sehen, wie dirs geht! Dein Vater bin ich nicht mehr! Schließt sie ein oben! Fort mir, aus dem Gesicht, Hure! – Meine Mutter sagte mir unter der Thüre: Um Gotteswillen, besinn dich! Wir sind alle sonst verlohren! Der Bediente schloß mich auf die Kammer.

[906] Ich konnte dir in dieser Zwischenzeit nicht schreiben. Alles schwand vor meinen Augen. Zuweilen nur konnt ich einen Seufzer zu Gott erheben. Ich hatte genug zu thun, um nicht ganz in Muthlosigkeit herab zu sinken. Der Bediente brachte mir das Essen, etwas Suppe, und einen Krug mit Wasser, und schloß, ohne ein Wort zu sprechen, die Thüre wieder hinter sich zu. Doch sah ichs ihm wol an, daß das Herz ihm voll war. Ich konnte fast nichts essen; aber den Krug mit Wasser trank ich rein aus. Um 2 Uhr hohlte man mich hinunter ins Zimmer.

Mein ältrer Bruder, und meine Schwägerin waren auch da. Sie stunden um mich herum. Jetzt wollen wir noch einmal in Güte mit dir reden, sagte mein Vater. Es war eine Schande, daß du dich mit einem jungen Menschen einliessest, von dem ich gar nicht weiß, was an ihm ist. (Verzeih, Lieber! Ich schreibe, wie er sprach.) Aber das wollen wir übersehn, und dir als einen Jugendfehler anrechnen. Dagegen must du nun zweyerley versprechen: Erstlich, ihn auf ewig zu vergessen, und zweytens, dem Hofrath Schrager heute noch dein Jawort zu geben; er ist um 5 Uhr herbestellt. Willst du das? Gerad heraus [907] gesprochen, ohne Umschweife! Hier ward er schon wieder hitzig. – Zitternd antwortete ich: Erlaub Sie mir erst, vom Hofrath Schrager zu sprechen! Er mag ein Mann seyn, der seine Vorzüge und Verdienste hat; aber, Gott! muß er deßwegen auch sogleich für mich seyn? Ich kann ihn unmöglich ... Teufelskind! rief mein Vater, willst du mich zu Tod ärgern? du ... Lassen Sie sie erst ausreden! sagte meine Schwägerin; was sie denn für herrliche Gründe vorbringen mag. – Ich habe, sagte ich, indem ich mich mit einem gewissen Stolz gegen sie wendete, ich habe keine Gründe gegen ihn, als mein Herz. Dein Teufelsherz, rief Papa, wo der infame Kerl drinn festsitzt! – Verzeihn Sie, sagte ich, solche Namen verdient er nicht. – Willst du's besser wissen, Kanaille? Genug! willst du den Hofrath, oder nicht? – Ich kann ihn nicht wollen! – Nun so holen dich alle T**! indem er mit geballter Faust auf mich zukam, und ihn meine Mutter und mein Bruder in den Arm fielen. – Sie müssen ihn aber wollen, sagte meine Schwägerin. Was haben Sie denn gegen ihn, als Ihren schändlichen Eigensinn, und daß der Bettler Ihnen im Kopf steckt? Ich ward hitzig. Madam, das verbitt ich mir! Was, was? rief mein Bruder, [908] thust du meiner Frau etwas? Ich sah ihn nicht an, und kehrte mich zu meinem Vater: Haben Sie um Gotteswillen Mitleid! Ich kann und will mich nicht zwingen lassen! Wollen Sie mich ewig unglücklich machen? – Du bist eine Bestie! Ich frage dich zum letztenmal: Willst du den Hofrath? – In meinem Leben nicht! – Hier schlug er mich ins Gesicht, daß mir das Blut aus Mund und Nase floß. Mir ward schwindlich; ich sank in meiner Mutter Arm. Mir ward, als ob ich nur ein entferntes Gelispel hörte. Aber, als ich mich wieder erholte, zankten sie laut mit meiner Mutter. Ich sank zu meines Vaters Füßen. Nur Eine Gnade! rief ich. Lassen Sie mich nur ins Kloster! Er stieß mich mit den Füßen von sich, daß ich umsank. Wenn sies nicht besser haben will, sagte meine Schwägerin, so sperren Sie sie in ein Kloster! Sie wird schon anders werden. Meinetwegen! rief mein Vater; morgen mag sie fort, wenn sie sich nicht heut noch eines Bessern besinnt. Der Nickel hat mir doch schon Gram genug gemacht. Willst ihn also nicht? – Nein, ich kann nicht! – Nun so scher dich zu allen T**! Ich gieng weg. – Viel Glück! rief meine Schwägerin! Ich sah mich um, und blickte sie verächtlich [909] an. Der Bediente, der weinend vor dem Zimmer stand, brachte mich wieder auf die Kammer. – Ich konnte nicht weinen. Alles auf der Welt war mir gleichgültig. Nur ein paarmal dacht ich an dich, mein Theurester, und da schoß mirs, wie ein Strom in die Augen. Ich höre sie unten, zuweilen, wenn die Thür aufgeht, stark reden.

Als ich dieses schrieb, hört ich den Schlüssel in meine Thür stecken, raffte das Papier schnell zusammen, und verbargs in meinem Busen. Die Feder schmiß ich aus dem Fenster. Der Bediente kam mit meinem ältern Bruder (den jüngern hatt ich heut und gestern nicht gesehen) den Schreibzeug her! sagte mein Bruder. Ich gab ihn ihm, und die Feder, die daneben lag. Hast du kein Papier? sagte er. – Nein! – Er suchte meine Taschen durch, und fand nichts. Er sah sich in der Kammer um, und fand auch nichts. Auf dem Tisch lag blos mein Schnupftuch, wo dein Blutstropfen drinn ist. Er hubs auf, ob nichts drunter liege? und legte es wieder hin. Ist denn gar kein Erbarmen zu hoffen? fragt ich. – Morgen reisen wir! war seine Antwort, und dann gieng er. – Ich hatte nun nichts mehr zu schreiben. Endlich bog ich ein Bley aus dem Fenster, und [910] damit schreib ich dir jetzt. Zu gutem Glück hatt ich eben einen frischen halben Bogen angefangen. Wie dir der Brief zukommen wird? das weiß Gott! – Vor einer guten Stunde, als ich eben dieses geschrieben hatte, kam der Bediente zu mir auf die Kammer, und schloß hinter sich zu. Er hatte weise Wäsche unter dem Arm. Jungfrau, sagte er, und stotterte, Sie sollen sich auf morgen reißfertig machen! Wenn Sies ändern können, so bitt ich unterthänig, thun Sies doch! Es ist unten ein schrecklicher Jammer. Die Frau Mama streitet, man soll Sie nicht ins Kloster sperren; aber sie wird überschrien. Ihre Frau Schwägerin sagt: Sie müssen drein! Sie woll Sie selber hinbegleiten! Ihr Herr Bruder sagt, was sie sagt. Konrad, sagt ich, ich kann nicht anders. Es scheint, er hat Mitleid mit mir. Will er mir wol eine Bitte erfüllen? herzlich gern! Was Sie wollen, sagte er, und wischte sich die Augen. – Darf ich mich aber wol sicher auf ihn verlassen? – Ja, bey Gott, daß dürfen Sie! – Da hat er etwas Geld, ich brauchs doch nicht mehr! Nein, Jungfrau, Geld nehm ich um alles in der Welt nicht von Ihnen. Dann könnten Sie mir ja nicht trauen! – Nun, so thu ers umsonst! Gott wird [911] ihn dafür belohnen! Ich hab ein paar Blätter Papier! Morgen, wenn er mich holt, will ichs ihm zustecken. Geb er sie, sobald als möglich, meinem jüngern Bruder. – Aber, ich bitt ihn um Gotteswillen, laß ers sonst keinen Menschen sehen! Ich würde unglücklich! – Ich schwörs Ihnen bey allen Heiligen! – Nun gieng er wieder. –

In Gottes Namen will ich den Brief meinem Bruder überliefern. Ich hoff, er stellt dir ihn zu. So weist du doch etwas von mir. Wo nicht, so ist nicht viel verdorben. Denn was ich geschrieben habe, wissen sie alle schon vorher.

Und so soll ich denn aus einer Welt, wo du bist, mein Geliebtester? Gott! wer hätte das je gedacht! Er, der bisher mich unterstützt hat, daß es nicht gar aus mit mir ist, unterstütz auch dich, du Theurer, dem ich bis ans Ende meines Lebens treu bleibe. Du siehst, daß ich nicht anders handeln konnte; denn dem Hofrath meine Hand geben, wäre mehr, als Tod und Trennung. Wer weiß, wann wir uns wiedersehen? In der Ewigkeit gewiß. Diese sey dein Augenpunkt in allen Leiden, so wie er meiner auch ist! Hoffe nichts auf dieser Welt, und alles in der Ewigkeit! Es kommt ein Tag, an dem wir nicht mehr weinen werden. Denk [912] an diesen in der Dunkelheit des Lebens! Gott stärke dich, wie er mich gestärkt hat! Lang kann ich unmöglich leben. Vielleicht folgst du mir, mein Geliebtester, bald nach. –

Meine Mutter ist bey mir gewesen. Ach, Geliebtester, dies war der ärgste Strauß für mich. Sie hieng an meinem Hals, bat und flehte mich mit Thränen, mich wohl zu bedenken, und dem Hofrath meine Hand zu geben! Was konnt ich anders thun, als weinen, mein Geliebtester? Sie sagte: Sonst sehen wir uns das Letztemal. Das war hart, mein Geliebtester! Aber, Gott! es steht ja nicht in meinen Händen, es zu ändern. Ich kann meine Hand nicht geben dem, den ich nicht liebe. Und dir untreu werden – Ach, das ist unmöglich; Der Hofrath ist auf heute abgestellt; aber morgen käm er wieder, wenn ich bliebe. – Gott trockne die Thränen meiner Mutter ab! Ich wollte lieber Blut weinen; lieber mich zu Tode weinen, als sie meinethalben leiden sehen; und doch kann ich es nicht ändern. Dieß ist das Erstemal, daß sie mich um etwas bat; und das Erstemal konnt ich ihre Bitte nicht erfüllen. Gott weiß, wie gern ich es gethan, wie gern ich ihr mein Leben hingegeben hätte. – Den Abschied [913] kann ich dir nicht schildern. Die zum letztenmale sehen, die ich, neben dir, über alles liebe, das geht über alle Leiden. Heilige Mutter Gottes, steh ihr bey!

Also wär ich denn allein; getrennt von dir und ihr, und hätte keinen Freund mehr, der mir helfen könnte! Fürchterlich, ach, unaussprechlich fürchterlich! – O du, den ich nicht sehe, der aber mich, und meine Seele sieht, daß sie rein ist; sieh, ich bin allein! Verschleuß dein Ohr nicht! Laß es hören meine Seufzer! Verschleuß deinen Himmel nicht! Laß herabthauen Trost und Gnade! Denn ich bin allein. –

Mein Bruder war noch einnal auf Befehl meines Vaters bey mir: Willst du dem Hofrath deine Hand geben? – Nein, ich kann nicht Bruder! – Nun so sag ich dir im Namen meines Vaters, daß du morgen früh um drey Uhr dich gefaßt halten kannst, ins Kloster zu wandern. Halts für eine Ehre, daß er deinen Wunsch erfüllt! Aber dein Vater will er von dem Augenblick an nicht mehr seyn. Man wird dir Kleider bringen! – Mit diesen Worten gieng er. Gleich darauf brachte mir Konrad einige wenige, und schlechte Kleider. –

[914] Ach Geliebter, du säumest, und kommst nicht, deine Mariane zu erretten; wenigstens sie noch einmal zu sehen. Leb denn wohl, du Theurer, den ich wie mein eigen Leben liebte! Gottes Gnade leite dich durchs Thal der Leiden! Denk oft an deine Mariane! Sie wird dein seyn, bis sie todt ist. Zwischen dunkeln Mauren wird sie weinen, und an dich gedenken, wenn der Tag anfängt. Wenn der Mond in ihre Zelle scheint, wird sie deiner noch gedenken, und der alten Zeiten, und weinen. Blick auf zum Mond, so oft er scheint! Meine Seele wird stets an ihm hangen, und mein Aug an ihm verweilen; und dann werd ich denken, daß auch du zu ihm hinaufblickst, und an mich gedenkst, und an die Stunden unsrer Liebe, upd an meine Thränen. Denke dann auch, daß wir einst im Grabe ruhen, und daß unsre Seelen wandeln werden auf des Mondes lieblichen Gefilden! Daß uns Gott vereinen wird nach unserm Tode, weil er uns vereinigt hat im Leben! – Das Papier geht zu Ende. Noch ein paar Worte muß ich unten hin an meinen Bruder schreiben. Gott gebe, daß du dieses Blatt bekommst! Du wirst weinen; aber es enthält auch Trost. – Leb wohl, leb ewig wohl, Geliebtester! Hier auf dieser Welt [915] zum letztenmale kann ich mit dir reden, und auch dieses nur in Briefen. Leb denn wohl, und bleib mir treu! Daß Gott dich stärken mög in allen deinen Leiden! Daß er dich mir wiedergeb im Himmel. Leb wohl, leb ewig wohl, und beth für deine


Mariane.


An den Rand war noch folgendes mit grössern Buchstaben, um mehr in die Augen zu fallen, geschrieben:

An meinen lieben Bruder Joseph.


Leiste mir den letzten Dienst, Bruder, den du mir in diesem Leben leisten kannst! Gib diesen Brief, versiegelt, an Siegwart, sobald er zurückkommt! Er ist für ihn unendlich wichtig. Gott und alle Heiligen werden dich dafür segnen. Gib ihm auch in etlich Zeilen Nachricht, wie mirs noch den letzten Tag meines Hierseyns gieng! Ich flehe dich mit heissen Thränen, die hier auf den Brief fliessen, um diese einzige, und letzte Wohlthat. Leiste sie um Gottes und um meiner Ruhe willen! Leb wohl, lieber Bruder! Gott segne dich! Tröst unsre Mutter, und wein um deine unglückliche Schwester


Mariane Fischern.


[916] Siegwart hatte wol hundertmal bey Lesung dieses Briefes abbrechen müssen. Oft schoß ein Strom von Thränen drauf, daß er keinen Buchstaben mehr von dem andern unterscheiden konnte. Oft fieng er an zu zittern, daß er den Brief nicht mehr zu halten vermochte. Oft vergiengen ihm Gesicht und Gehör, und der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirne, daß er halb ohnmächtig auf den Stuhl zurück sank. Oft sprang er wieder auf, rang die Hände, und rief: Gott! Gott! Gott! – Als er endlich den Brief ganz zu Ende gelesen hatte, sank er matt und sinnlos auf den Stuhl, wuste nichts mehr von sich selbst, und lag so bey einer Viertelstunde da. Als er wieder etwas zu sich selber kam, und sah, daß es schon ganz dunkel geworden war, wollt er aufstehn, aber er hatte keine Kräfte. Alle Glieder zitterten ihm, sein Gesicht war eiskalt, und es ward ihm wieder einmal um das andre schwindlich. Endlich grif er mit vieler Mühe nach der Glocke auf dem Tisch, und klingelte. Die Aufwärterin kam. Er foderte Licht. Jesus, Maria, und Joseph! rief sie aus, als sie das Licht brachte, was fehlt Ihnen? Sie sehn ja aus, wie der Tod! Soll ich zum Herrn Doktor laufen? – [917] Mir ist nicht recht wohl, antwortete er; mach sie mir eilig eine recht gute und warme Suppe! Es wird schon besser werden! Sie bedaurte ihn von Herzen, zündete das Licht an, und gieng weg. Er versuchte indeß den Brief von Marianens Bruder zu lesen; aber die Augen giengen ihm über, und die Buchstaben flossen all vor ihm ineinander, daß er schwarz und weiß nicht von einander unterscheiden konnte. Die Aufwärterin brachte ihm eine gute warme Weinsuppe; er aß, und fühlte sich darauf wieder etwas gestärkt. Mit vieler Mühe brachte er die Magd von seinem Zimmer, sie war sehr besorgt, und wollte ihm durchaus einen Doktor holen. Als sie weg war, nahm er Josephs Brief wieder vor sich, und las:


Den 11ten August.


Lieber Siegwart!


Ich erfülle die traurige Bitte meiner Schwester, gebe Dir ihren Brief, und soviel Nachricht, als ich von ihr geben kann. Gestern früh um 3 Uhr wurde sie, ohne daß ich sie noch sprechen durfte, mein Vater und meine Mutter sprachen sie auch nicht mehr, in den Wagen geführt, in [918] dem meine Schwägerin saß, und den mein Bruder selbst kutschierte. Sie fuhren beym Thor hinaus gegen Regensburg zu. Weiter weis kein Mensch nichts von ihnen; denn es durfte kein Bedienter mit, und mein Bruder ist bis dato noch nicht zurückgekommen. Soviel weis ich, daß meine Schwägerin hauptsächlich Schuld daran hat, daß sie ins Kloster muß. Sie mag wohl ihre besondre Absichten dabey haben. Meine Mutter weint beständig, und um meinen Vater kann man gar nicht seyn, so aufgebracht ist er. Er sagt, er woll nun weiter gar nichts von dem Nickel wissen. Er hat Dir auch sehr aufgedroht; und wollte ich Dir daher wohlmeynend gerathen haben, Dich je eher, je lieber von hier weg zu machen. Ich werde dich wol nicht sprechen können, weil mein Vater immer auflaurt, und mich todtschlagen würde, wenn ers wüßte. Sag daher keinem Menschen nichts, daß ich nicht auch noch in Ungelegenheit drüber komme! Wenn du nur den Brief erst hättest! Ich bedaure dich, und sie gewiß. Weiter kann ich aber auch nichts thun, Dein getreuer Diener


Joseph Fischer.


Eine neue Erschütterung betäubte Siegwarts Seele. Er fühlte sich wieder schwächer, ließ den Brief [919] fallen, sank vorwärts auf den Tisch, barg sein Gesicht in beyde Arme, und lag so eine halbe Stunde, seiner nur halb bewust da, bis die Aufwärterin wieder kam, sich nach ihm zu erkundigen. Er ließ sich von ihr halb auskleiden, und gieng zu Bette. Nun, da sich seine Natur wieder etwas erholt hatte, gieng erst sein Seelenleiden an; nun konnte er erst sein Unglück überdenken, und in seiner ganzen Grösse fassen. Er schauderte zuweilen zurück, als ob er in einen Abgrund hinabblickte. Alles war noch Nacht vor ihm. Er konnte nichts denken, als: sie ist verlohren! Die halbe Nacht quälte er sich mit diesem einzigen Gedanken, ohne all sein Schrecken halb auszudenken. Oft gränzte seine Muthlosigkeit nah an Verzweiflung, und dann bat er wieder Gott, ihn nicht ganz zu verlassen! Wie glücklich, dachte er, wenn ich von meiner Ohnmacht ewig nicht mehr aufgewacht wäre! Dann fiel ihm wieder ein, was jetzt seine Mariane leiden müsse; und dann zerfloß ihm das Herz ganz in Wehmuth. Dann bethete er nur für sie, und nicht für sich. Gib mir nur den Tod, o Gott! sonst kenn ich keine Wohlthat mehr! – Die häufigen Erschütterungen seiner Seele machten endlich alle Sehnen schlaff, und er sank in einen tiefen[920] Schlummer, der bis den andern Morgen gegen acht Uhr daurte, als seine Aufwärterin auf die Kammer kam. Sie machte die Thüre leise auf, und sah herein. Er wachte von dem Knarren der Thüre auf. Was giebts? rief er. Wie befinden Sie sich? fragte das Mädchen. So ziemlich! war die Antwort; mach sie mir nur Kaffee! Dann stand er auf, kleidete sich an, und gieng aufs Zimmer. Hier sah er Marianens Brief auf dem Tisch, und Josephs seinen auf der Erde liegen. Er raffte beyde schnell zusammen, und steckte sie ein. Er sah sich von ohngefähr im Spiegel, und erschrack über seine Blässe. Ach Gott, seufzte er, machs nur bald ganz aus mit mir! – Er wollte etwas nachdenken, ob er kein Mittel vor sich sehe, sich und Marianen zu retten? Aber es war ihm nicht möglich, nur etwas zusammenhängendes zu denken. Endlich setzte er sich nieder, an Kronhelm zu schreiben. Mit zitternder Hand schrieb er folgendes an ihn:


Liebster Bruder und Schwager!


Zu dir nehm ich meine Zuflucht; den einzigen, den ich nur auf Erden habe. Das Schicksal schlägt mich ganz Boden. Reich mir deine Hand! Aber [921] welcher Mensch kann den Unglücklichen retten, der alles, ach, alles verlohren hat? Ach Geliebter, meine Mariane ist verlohren. Dieses sag dir alles! Sie ist eingeschlossen in ein Kloster, und ich weis den Ort nicht, wo sie jammert. Selbst ihr Vater war der Grausame, der sie verstieß. Menschen, Menschen! Welch ein Scheusal seyd ihr! Aber ich vergeh in meinem Jammer. O Geliebter, wenn ich wüßte, wo der Tod wär, daß ich ihm entgegen gienge! – Komm Geliebter, und erbarm dich meiner! Oder ich will selber kommen, und mein Leid bey dir verjammern. Gönn in deinem Hause mir ein Plätzchen, und ein Grab auf deinem Acker! Denn in wenig Tagen wird das Grab mich rufen, und mir Ruhe geben in der Erde, weil ich auf der Erde sie nicht finden konnte. Sage meiner Schwester nichts von meinen Leiden, daß sich ihre Seele nicht zu sehr betrübe! – Mariane, Mariane! ach wo bist du, du Erwählte meines Herzens, daß ich mit dir sterbe? – Ach Geliebter, wenn du etwas von ihr hörtest! Wenn ein Engel dir die Bothschaft brächte, wo sie jammert! – Ich muß fliehen, denn ihr Vater will auch mich verfolgen. Darum eil ich zu dir. Nimm mich auf an deinen Busen! Nimm mich freundlich auf! Es [922] währt nicht lange. Noch bin ich matt und kraftlos, denn die Todesbothschaft hat mich wie ein Sturm erschüttert, und mich hingeworfen, daß ich meine Kraft verlohr. Wenn ich wieder aufgestanden bin, dann eil ich zu dir. Ich kann nicht mehr schreiben; meine Augen sind voll Wasser, und mein Herz ist voll Jammers. Lebe wohl, mein Geliebter, habe Mitleid mir, und empfang mich freundlich, wenn ich komme! Sieh den Himmel an, und beth für deinen armen


Siegwart.


Nachdem er diesen Brief auf dis Post geschickt hatte, befahl er der Aufwärterin, ihm von seinem Hauswirth die Rechnung machen zu lassen. Sie weinte, und fragte, ob er dann ganz wegreisen wolle? Nein, sagte er, aber wie leicht könnt ich sterben! Sie weinte noch heftiger. Er bezahlte drauf die Rechnung, und packte seine meisten Sachen in den Koffre, ohne selbst zu wissen, warum? Zuweilen ließ er plötzlich alles liegen, setzte sich auf einen Stuhl, und weinte; oder zog Marianens Brief heraus, küßte ihn, las eine halbe Seite, legte ihn dann sorgfältig wieder zusammen, und steckte ihn in seine Brieftasche. Als er eingepackt [923] hatte, gieng er zu Dahlmund, kam aber, weil er ihn nicht zu Haus angetroffen hatte, nach einer halben Viertelstunde wieder nach Haus. Er wünschte sich nun keine Wohlthat, als jemand zu haben, in dessen Busen er seinen Schmerz ausschütten, und mit dem er gewissermaßen seinen Jammer theilen könnte; aber keine solche Seele war für ihn in Ingolstadt. Es fiel ihm ein, daß der geheime Rath von Kronhelm versprochen habe, ihm eine ansehnliche Bedienung zu verschaffen. Vielleicht, dachte er, stimmt dieses den Hofrath Fischer um. Ohne sich erst lange zu bedenken, gieng er aus dem Haus, und ließ sich bey dem Hofrath melden, mit dem Anhang: Er habe viel wichtiges mit ihm zu reden. Der Bediente kam wieder mit dem Auftrag: Der Herr Hofrath müsse sich erstaunlich wundern, wie er sich noch unterstehen könne, ihm unter die Augen treten zu wollen, da er wisse, wie schlecht er sich gegen ihn betragen habe. Er möchte sich ja in Acht nehmen, und dem Herrn Hofrath nicht zu nahe kommen! Es könnte schlimme Folgen für ihn haben. Der Herr Hofrath werd ihn nie anhören. Er habe nichts mit einem solchen Menschen zu reden, und das rathsamste wäre, wenn er sich recht bald von Ingolstadt weg [924] machte. Mit diesen Worten machte der Bediente die Hausthüre auf, als ob er unserm Siegwart den Weg weisen wollte. Dieser gieng weg, und zitterte vor Zorn und Unwillen. Zu Haus stampfte er auf die Erde. Das sind Menschen! sagte er, und knirschte mit den Zähnen. Er weinte vor unterdrückter Wuth. Pfuy den Hundskerl! sagte er, und spie aus. So will ich mich denn auf keinen Menschen mehr verlassen! Keiner ist einen Heller werth, Pfuy! Je vornehmer, desto liederlicher und stolzer, Pfuy! – Zuletzt gieng seine Verachtung wieder in Wehmuth und in Thränen über. Er dachte sich seine Mariane, seinen Vater, und überließ sich seinem Schmerz. Abends gieng er bald zu Bett, und konnte doch nicht schlafen. Er sprach mit sich selber, redete bald den einen, bald den andern von seinen Freunden an, und klagte ihnen seinen Jammer. Endlich fielen ihm Frau Held und Karoline ein, und, mit ihnen, der Gedanke, sie morgen zu besuchen; und bey ihnen wenigstens den Trost zu finden, seinem Schmerz durch Erzählung etwas Luft zu machen. Dieser Gedanke beschäftigte ihn noch so lange, bis er endlich mit einem, ganz erleichterten Herzen, einschlief.

[925] Kaum war er aufgewacht, so war dieses wieder sein erster Gedanke. Seine Seele strebt mit ungewöhnlicher Sehnsucht nach dem Landhaus, und glaubte, da endlich Erleichterung zu finden. Er schloß alle seine Sachen ein, sagte der Aufwärterin, er werde erst in ein paar Tagen wieder kommen, und gieng.

Es war um neun Uhr und der Sommertag war schön, aber heiß. Er war eine halbe Stunde noch vom Landhaus, als er querfeldein einen Bauren stark gehen sah, der auf ihn zu kam. Es war sein Thomas. Guten Morgen, Herr! sagte er, ich hab Sie schon lang nichr mehr gesehen. Haben Sie uns ganz verlassen? Siegwart sagte, er sey verreist gewesen. – Wo wollt ihr hin, Thomas? – Ich will da nach der Stadt, und dieses Felleisen einem Herrn bringen, der gestern bey uns durchfuhr. Vermuthlich gehörts ihm. Ich Habs hinterm Dorf in einem Graben gefunden. Der Herr fuhr vor etlich Tagen früh morgens durchs Dorf, und da war das Felleisen auf die Kutsche hinten aufgebunden. Er kutschierte selbst, und hatte zwey Jungfern im Wagen. Wo mir recht ist, so war eine davon die Jungfer, die bey der gestrengen Frau auf dem Schloß war, und die Sie unterm Arm führten, als sie wieder weggiengen. Sie sah wol ganz bleich aus, [926] und das Kutschenglas war vor, daß ichs nicht recht sehen konnte. Gott! Das ist Mariane! rief Siegwart. Wo ist sie hingefahren? – Da aufs nächste Dorf zu, gleich drey Viertelstunden von uns. Ich hab doch nichts unrechts geredt, weil Sie so bleich drüber werden? – Nein Thomas. Wenn fuhr der Herr wieder zurück? Wars nicht ein grosser hagrer Herr? – Recht! Es war so ein dürrer Herr! Gestern Abend nach acht Uhr sah ich ihn an meinem Haus vorbeyfahren. – Und er kam wieder von dem Dorf her, wo er hingefahren war? Ja, Herr! das Dorf heißt Altmanstein, wenn Sie hin wollen. Es geht immer grad aus. Jedes Kind kanns Ihnen sagen. Adjeu, Thomas! sagte Siegwart, und lief eilends fort nach dem Dorf zu. Der Bauer sah ihm voller Verwunderung nach. Siegwart kam in Thomas Dorf an, fragte nach dem Weg nach Altmanstein und lief hastig fort. Nun glaubte er, auf der Spur zu seyn, und hoffte seine Mariane gewiß auszukundschaften. Seine ganze Seele war jetzt von diesem einzigen Gedanken voll. Er achtete nicht der grossen Sonnenhitze und des Schweisses, der ihm von den Wangen lief. In Altmanstein fragte er bey etlich Häusern, ob man nicht gestern eine Kutsche habe durchfahren sehn, und wo sie [927] hergekommen sey? Ein altes Mütterchen gab ihm endlich Auskunft, und wies ihn auf das nächste Dorf rechter Hand. Hier ließ er sich, weil er ganz abgemattet war, von einer Bäuerin schwarzes Brod und frische Milch geben; erkundigte sich wieder nach dem Wagen, und erfuhr das nächste Dorf, wo er seinen Weg her genommen hatte. Alle Aussagen, und Beschreibungen der Personen, die beym Wagen gewesen waren, stimmten überein; und liessen ihn gar nicht mehr zweifeln, daß es der Wagen mit Marianen gewesen sey. Nachdem er sich wieder etwas erholt hatte, gieng er in der grösten Mittagshitze weiter. Er achtete sie aber nicht, auch nicht, daß er sich die Füsse schon ganz wund gelaufen hatte. Seine Seele war auf Einen Punkt geheftet, und ließ ihn alle äussere Eindrücke und Empfindungen vergessen. Er kam noch durch etlich Dörfer, wo er immer Nachricht vom Wagen bekam, und weiter gewiesen wurde. Gegen Abend fühlte er endlich seine äusserste Entkräftung, und die Wunden an den Fußsohlen. Er sehnte sich nach dem nächsten Dorf, und konnte es kaum vor Mattigkeit erreichen. Bey der nächsten Hütte klopfte er an. Die Leute drinnen machten ihm auf, thaten sehr dienstfertig und mitleidig, als sie ihn so abgemattet sahen, [928] und brachten ihm Brandewein, seine Füsse zu waschen. Als er fragte, ob er wol ein Nachtquartier bey ihnen haben könne? sagten sie willig Ja, und fügten hinzu: Wenn er nur vorlieb nehmen wolle, so könn er solang bey ihnen bleiben, bis er wieder frisch und gesund sey. Aus allem, was er sah, konnt er schliessen, daß die Leute sehr wohlhabend seyn. Es war ein Bauer mit seiner Frau und vier Kindern, davon das älteste ein Knabe von zehn Jahren, und das jüngste ein Mädchen von fünf Jahren war. Auf der Bank herum sassen zween Knechte und drey Mägde. Als Siegwart eine Milchsuppe und ein paar Eyer gegessen hatte, so gieng er wegen seiner grossen Müdigkeit zu Bette. Man führte ihn eine Treppe hoch in eine ganz artige, auf Baurenart schön ausgeputzte Stube, wo ein reinliches Bette stand.

Wegen der grossen Hitze, und der heftigen Wallung seines Bluts, die durch seine starke Gemüthsbewegung noch vermehrt wurde, konnte er erst nach Mitternacht einschlafen. Den folgenden Morgen wachte er erst um neun Uhr auf, und fühlte sich so matt, daß er mit vieler Mühe kaum allein aufstehen konnte. Als ihn die Bäuerin unten hörte, daß er wach wäre, kam sie herauf, und erkundigte [929] sich nach ihm. Sie bot sich an, beym Herrn Pfarrer Kaffee zu entlehnen, um ihm welchen zu machen. Er verbats aber, und ließ sich eine Biersuppe machen. Eh er sie essen konnte, mußte er sich wieder zu Bette legen, denn er ward ein paarmal halb ohnmächtig.

Er war sehr ungeduldig, daß er nun hier so unthätig liegen mußte, und die beste Zeit, Marianen nachzuspüren, vorbeygehen lassen sollte. Die Bäurin setzte sich neben ihm ans Bette, und war seinetwegen sehr besorgt. Als er sie versicherte daß er sich nun wieder etwas besser befinde, so fieng sie an: Es muß Ihnen wol sehr übel in der Welt gegangen seyn, denn ich habs schon gemerkt, daß Sie recht betrübt sind, und immer nasse Augen haben. Man sollt denken, so einem Herrn, wie Sie sind, könnts an nichts fehlen. Sie haben ja ein schönes Kleid, und sind sonst so wohl ausstaffirt, daß es eine Lust ist. Geld haben Sie auch genug, wie ich gestern sah, als Sie den Brandewein bezahlen wollten.– Ach meine liebe Frau, sagte Siegwart, Geld und Gut macht allein nicht glücklich. Wenn man auch alles genung hat, so gibts noch tausend andre Leiden, die man einem nicht so sagen kann. Ich wollt ihr [930] gern mein Geld und alles geben, wenn mir sonst geholfen werden könnte. – Ja freylich, fiel sie ein, macht Geld und Gut allein nicht glücklich und drauf fieng sie eine lange Erzählung an von ihrem ersten Mann, den sie sechs Jahre in ihrem ledigen Stand gekannt, und recht herzlich lieb gehabt habe. Sie hab immer nur gedacht, es könn ihr nichts mehr fehlen, wenn sis seine Frau sey. Endlich sey sies geworden, und hab ein Jahr lang mit ihm gelebt, wie die Engel im Himmel. Aber – hier fieng sie an zu weinen – der Tod hab ihn ihr genommen; sie sey untröstlich gewesen, und habe geglaubt, es sey kein Glück auf der Welt mehr, bis ihr Gott ihren Kaspar zugeführt habe. Nun sey ihr seit eilf Jahren wieder recht wohl, und sie sehe wohl, daß man immer wieder glücklich werden könn, es mög mit einem auch aussehen, wie es wolle! und so müss' er eben auch denken! Ich will das beste hoffen, sagte er; aber ich weis nicht, wie mir geholfen werden kann? Hier weinte er, und die Bäurin weinte herzlich mit. Nach einer Stunde, als er versichert hatte, daß er sich nun wieder weit besser befinde, gieng sie hinunter, um ihre Haushaltungsgeschäfte zu verrichten. Er seufzte und betete zu [931] Gott um Gesundheit oder Tod. Endlich langte er seine Brieftasche, und schrieb einen wehmüthigen und rührenden Aufsatz darein, wo er seine Mariane als gegenwärtig anredete. Um Essenszeit, als er wieder ziemlich gestärkt war, gieng er in die Stube hinunter, wo ihm die Bäurin ein recht gutes Essen zurichtete. Der Bauer war, weil es Sonnabend war, in das nächste Städtchen gefahren, um Haber zu verkaufen. Nach dem Essen spielte Siegwart mit den Kindern, die sich gleich um ihn her machten. So übel ihm auch zu Muthe war, so muste er doch ihre Spiele mitmachen, und zuweilen lächeln. Er sah einen Katechismus da liegen, und wollte den ältern Knaben etwas drinn lesen lassen; aber dieser konnte noch kaum buchstabiren, und von der Religion wuste er noch nicht das geringste. So traurig siehts oft auf dem Lande mit dem Kinderunterricht aus. Siegwart erkundigte sich drauf nach allen umliegenden Klöstern, und besonders nach den Nonnenklöstern. Es war deren eine so große Menge, daß ihm bange ward, wie er das rechte ausfindig machen wollte. Was er anzufangen habe, wenn er dasjenige Kloster fände, in welchem Mariane war, daran hatte er noch gar nicht gedacht. In der angenehmen [932] Dämmerung setzte er sich mit der Bäurin unter eine Linde vor dem Haus auf einen abgehauenen Baum. Sie war sehr besorgt, daß ihr Mann so lange nicht zurückkomme. Er hat einen Fehler an sich, sagte sie, wenn er an einem Ort einmal ist, da kann er sobald nicht wieder wegkommen, und da guckt er oft zu tief ins Gläsel. Sonst aber ists ein kreuzbraver Mann.

Siegwart sprach nicht viel, und saß in tiefer Wehmuth da. Er sah zum Himmel auf, wo nach und nach einzelne Sterne sichtbar wurden. Oft stieg sein Busen hoch, und ein lauter Seufzer brach hervor. So lebhaft hatte er, seit der traurigen Begebenheit, noch nie an seine Mariane, und an sein fürchterliches Schicksal gedacht. Jetzt übersah er es erst ganz, und schauderte vor der hofnungslosen Zukunft. Er wünschte sich nichts, als zu vergehen, und auf Einmal ewig aufzuhören. Es ward ihm, als ob er Marianen wimmern hörte, und wünschte, daß seine Seele aus dem Leib eilen möchte, um sie zu trösten! Die Bäurin ward indeß immer besorgter um ihren Mann. Sie stund einigemal auf, und gieng einige Häuser weit, ob sie noch nichts höre? Sie kam langsam wieder zurück, und sagte: Noch [933] nichts! Endlich hörte man vor dem Dorf draussen einen Wagen stark rasseln, und ein lautes Juchzen. Gottlob! nun kommt er, sagte sie. Er fuhr in vollem Gallop ins Dorf herein. Wo bist du doch so lang, Kaspar? sagte sie. Ey was, Narr! sagte er, sprang vom Pferd, und schloß sie in den Arm; ich hab einen guten Kauf gethan. Heh, lustig, Herr! Hier hab ich ihm was! Indem zog er zwo Bouteillen Wein aus dem Zwerchsack. Komm er! nun wollen wir die Grillen verjagen! Siegwart mochte sich so sehr weigern, als er wollte; er muste noch eine Bouteille mit dem betrunkenen Bauren trinken, und konnt ihn kaum abhalten, die andre nicht auch noch anzubrechen. Er erzählte ihm auf die verwirrteste Art allerley Geschichten aus der Stadt, und gieng endlich so betrunken zu Bette, daß er kaum allein gehen konnte.

Den andern Morgen gieng jedermann aus dem Haus, bis auf die Kinder in die Messe. Siegwart stand auf, und fühlte sich fast ganz wieder hergestellt. Aber sein Gemüth war krank, und im Innersten verwundet. Er setzte sich, und schrieb mit vieler Rührung seine Empfindungen, die voll Andacht und voll tiefer Schwermuth waren, in sein Taschenbuch. Während daß er schrieb, krabbelte [934] etwas an der Thüre. Er machte auf, und die beyden ältern Kinder warens. Sie boten ihm die Hand, und wünschten ihm freundlich einen guten Morgen. Er setzte sich aufs Bett, und sah ihren unschuldigen Spielen zu. Gott! dachte er, wie vergnügt sind diese Kinder! Ehmals war ich auch so; warum blieb ich nicht ein Kind! Haben wir denn die Vernunft nur zu unserm Unglück? Wär ich doch noch ein Kind! Er ward dabey so bewegt, daß ihm Thränen aus den Augen stürzten. Das andre Kind, ein Mädchen von acht Jahren, sah es, und kam auf ihn zu. Es weinte auch, nahm seine Hand, stieg auf seinen Knien hinauf, um ihm die Thränen mit dem kleinen Händchen wegzuwischen, und sagte: Must nicht weinen! Hab ich dir denn was gethan? Ich bin ja brav. Der Knabe sprang auch herbey, blieb ein paar Schritte weit von ihm stehen, sah ihn mitleidig an, und sagte: Was fehlt dir, daß du so ein Gesicht machst? Soll ich dir Blumen holen? Ich hab schöne im Garten. – Du liebes Kind, dachte Siegwart, und setzte es aufs andre Knie; wenn mir Blumen helfen könnten! Ach guter Gott! mach mich wieder zum Kind! Deinen Kindern ist so wohl. Laß mich wieder Freude haben über Blumen! Er [935] neigte sich über die beyden Kinder her, und weinte. Das Mädchen spielte mit Marianens Ring an seinem Finger. Sie sah ihn an, als sie fragen wollte, ob sie ihn abziehen dürfte? Nein, den must du mir lassen, gutes Kind, sagte er, das ist alles, was ich habe. Bald darauf kam die Mutter auf die Kammer. Der Knabe sprang auf sie zu, und sagte: Sieh, Mutter, er weint. Frag ihn, was ihm fehlt? Wir haben ihm gewiß nichts gethan; ich und Liese nicht. Laß nur seyn! antwortete die Mutter, ich weiß schon, was dem Herrn fehlt. – Es ist Ihnen doch wieder besser, Herr? Siegwart versicherte sie, daß er nun wieder ganz gesund sey, und morgen weiter wolle. Nur zu Fuß? fiel die Frau ein. Siegwart antwortete mit Ja; weil er nicht mehr weit wolle, und wol wisse, daß die Bauren in der Erndte ihre Pferde besser brauchen. Drauf gieng er mit ihr hinunter in die Stube, wo auch Kaspar war. Auf den Nachmittag lud er unsern Siegwart aufs Freyschiessen ein, der endlich, um ihn zu beruhigen, wider Willen Ja sagen muste. Kaspar aß heut, nebst seiner Frau, mit Siegwart, weil er gestern, wie er sagte, seinen Haber so gut an Mann gebracht habe. Sie tranken miteinander die andere Bouteille Wein, die [936] der Bauer gestern mitgebracht hatte. Siegwart vergaß bey seiner Geschwätzigkeit eine Zeitlang seiner eignen Leiden, und gewann das Zutrauen der beyden Leute ganz. Den Nachmittag muste er mit zum Freyschiessen. Kaspar gab ihm auch eine Kugelbüchse mit, und er muste mit schiessen. Die Bauren erwiesen ihm viele Ehre, und nannten ihn Junker. Er gewann das Beste, welches in etlichen Gulden bestand. Er wollt es wieder ausschiessen lassen, als die Bauren dies nicht zugaben, so hielt er sie alle in Bier und Brandewein frey. Darüber wurden sie ganz munter, und tranken alle Augenblicke seine Gesundheit. Als er mit Kaspar weggieng, ward er bis vor sein Haus hin mit Musik, einem Dudelsack und zwo Violinen begleitet. As er sagte, daß er morgen weiter wolle, wollte ihn Kaspar durchaus zu Pferd begleiten, aber Siegwart nahm es nicht an. Er wollte, die Bäurin sollte ihm die Rechnung machen für das, was er bey ihnen verzehrt hätte. Anfangs wollte sie es gar nicht thun. Zuletzt foderte sie etwas weniges. Siegwart gabs, und steckte noch jedem Kind einen Sechsbätzner in die Hand.

[937] Den andern Morgen um 5 Uhr stand er auf, und fühlte seine Gesundheit völlig wieder hergestellt. Die Bäurin wünschte ihm mit Thränen tausend Glück auf den Weg. Kaspar begleitete ihn bis vors Dorf hinaus, und wies ihm den nächsten Weg. Auf dem ersten Dorf konnt er lange nichts von Marianens Wagen erfahren; endlich fand er einen Bauer, der ihn gesehen hatte, und ihm das Dorf nannte, wo er hergekommen war. Noch in zwey Dörfern bekam er Nachricht. Endlich im dritten wollte niemand weiter etwas gesehen haben. Nur eine Frau sagte: Abends um Eilf Uhr habe sie vor etlich Tagen etwas durchs Dorfs fahren hören. Sie hade hinausgesehen, und da seys eine Kutsche gewesen, die aufs nächste Dorf zu, das sie nannte, gefahren sey. Man geh durch einen dicken Tannenwald durch, und es sey eine gute Stunde dahin. Erst müsse man sich, wenn man halb im Wald sey, rechts, dann links, dann wieder rechts hinum schlagen. Siegwart war auf diese Anweisung wenig aufmerksam. Er war zufrieden, daß er etwas von dem Wagen gehört hatte, und gieng wieder weiter. Durch allerley Phantasien und Träumereyen, daß er nun bald seine Mariane wieder finden werde, vertiefte er sich so in [938] Gedanken, daß er gar nicht mehr auf den Weg Acht gab, und schon ziemlich tief im dicken Tannenwalde war, als ihm einfiel, ob er wol auch auf dem rechten Wege sey? Der Fußpfad, auf dem er gieng, war schmal, oft verlohr er ihn, wo die Nadeln von den Tannenbäumen häufiger lagen, fast ganz. Er ward nun etwas besorgt, denn der Wald war dick, daß man nirgends hinaussehen konnte. Endlich theilte sich sein Weg, und er wuste lang nicht, welchen Pfad er wählen sollte? Endlich gieng er den zur Rechten, weil ihm nur noch dunkel im Gedächtniß schwebte, daß die Frau gesagt habe, er müsse rechter Hand gehen! Nach einer Stunde verlohr sich sein Fußpfad ganz. Er gieng hin und her, vor- und rückwärts, und fand nirgend keine Spur. Endlich gieng er in der Ungeduld auf Gerathewohl gerade fort. Der Wald ward immer dicker, und unwegsamer, weil, neben den hohen Fichten, viel niedriges Tannenreiß wuchs. Hören konnt er auch weder die Glocken in einem Dorf, noch sonst einen Laut von Menschen, weil die, etwas laute Luft durch die Tannenwipfel wie ein großer Strom dahin rauschte. Zuweilen machte ihn das übrige tiefe Schweigen, die Abgeschiedenheit von allen lebenden Geschöpfen – denn kein Vogel [939] war im Wald – und das Dunkel, durch das kaum ein Sonnenstral dringen konnte, sehr wehmüthig, daß ihm Thränen aus den Augen auf das Moos stürzten. Dann ward er wieder verdrüßlich und zaghaft, weil er gar kein Ende des Waldes sah. Wenn es auch zuweilen etwas hell sah, so kams doch nur daher, daß die Fichten etwas dünner standen; hinten schloß sich gleich wieder ein grösseres Dickicht an. Dabey ward er von dem mühsamen Hin- und Herirren immer matter und kraftloser. Ein paarmal setzte er sich auf das etwas erhöhte Moos nieder, sah auf die Uhr, und fand, daß es schon auf drey Uhr gehe. Er stützte den Kopf in beyde Hände, und dachte: Ach Mariane, wenn wir hier in dieser Wildnis, und von Menschen abgesondert lebten, die gröstentheils so niederträchtig sind! Ach, mein Kleist hat Recht: Ein wahrer Mensch muß fern von Menschen seyn! Wenn in dieser seligen und stillen Ruhe unser Leben unbemerkt, unbeneidet, ungekränkt, dahin flösse! Ach Mariane, Mariane, wenn du hier wärest! Aber du traurst und weinst – Gott weiß, wo? – in irgend einem Winkel zwischen dunkeln Mauren um deinen armen Siegwart und verseufzst dein Leben. Ach, wenn ich dich hier an [940] meinen Busen schliessen, und dich trösten könnte, wo kein Mensch wohnt, wo nur Engel unsre Liebe sehen und sich ihrer freuen würden! Ach Mariane, Mariane, wenn du hier wärst! – Aber ich verschmacht in dieser Wildnis, und kein Mensch beweint mich, und kein Engel kann mich retten! – Gott, ach Gott, erhalt mich meiner Mariane!

So dachte er, stund dann wieder auf, und gieng weiter. Je tiefer die Sonn am Himmel hinunter sank, desto dunkler wards im Tannenwald, so daß ihm endlich zu grauen anfieng. Je länger er umher lief, desto weiter verlohr er sich im Wald, und er wollte schon dran verzweifeln, sich jemals wieder herauszufinden, als er endlich unter dem dicksten Tannengebüsch eine Hütte wahrnahm. Bey diesem Anblick ward ihm, als ob ein Engel ihm erschiene. Er eilte auf die Hütte zu, fand aber die Thüre verschlossen. Er ward darüber sehr betroffen, doch hoffte er, daß ihr Besitzer bald zurückkommen würde, und setzte sich auf die gegenüber angelegte Rasenbank. Die Hütte war fast blos von Erde aufgebaut, das Dach mit Tannenreiß bedeckt, und statt der Fenster waren an der Seite nur ein paar kleine Oeffnungen. [941] Um das Haus herum war ein freyer Platz, wo etwas Küchengewächse, und auf der andern Seite einige, jung heranwachsende Fruchtbäume standen. Ein paar Kirschbäume hiengen schon voll Früchte, die, wegen der Dunkelheit des Waldes erst jetzt reiften. Siegwart konnte sich nicht zurückhalten, einige davon an den untersten Aesten abzupflücken, denn er war vom Hunger und Durst zu sehr abgemattet, und ausgemergelt. Eine halbe Stunde drauf kam endlich ein Einsiedler, in tiefen Betrachtungen verlohren, unter den dunkeln Tannen hergeschlichen. Siegwart stand ehrerbietig auf. Der Einsiedler erstaunte, als er einen Menschen in seiner Einöde wahrnahm. Anfangs war er so betroffen, daß er nicht reden konnte. Endlich gieng er auf Siegwart freundlich zu, und sagte: Sie sind gewiß ein Unglücklicher, daß Sie in diese abgelegne Gegend kommen? Ja, antwortete Siegwart, ich bin verirrt, und laufe schon den ganzen Tag in diesem Wald umher. Armer Jüngling! versetzte der Einsiedler, Sie werden wol sehr abgemattet seyn? Ich will Ihnen bringen, was ich habe. Mit diesen Worten schloß er seine Thür auf, brachte etwas Brod und Käse [942] heraus, und pflückte ihm Kirschen von den Bäumen ab. Er brachte auch einen Krug mit Wasser, und setzte sich neben unserm Siegwart hin. Als sich dieser etwas erfrischt hatte, betrachtete er den Einsiedler genauer, und fand, daß er ein Mann nicht viel über dreysig war, obgleich sein Gesicht von innerlichem Kummer sehr abgezehrt zu seyn schien. In seinem düstern Auge war ein Ueberrest von unterdrücktem Feuer, und aus dem ganzen Gesicht sprach viel Edles. Ueberhaupt verrieth sein ganzes Betragen, und auch seine Sprache einen Mann von nicht geringem Herkommen. Und wie kommen Sie in diesen Wald, sagte er, wenn ich fragen darf? Ich wollte, antwortete Siegwart, nach, nach – – Ja, nun hab ich den Namen des Dorfs vergessen, – und da must ich durch den Wald gehn, und vertiefte mich in meinen Gedanken, und verlohr den Weg, und konnte mich, trotz alles Suchens doch nicht mehr heraus finden. – Das glaub ich, versetzte der Einsiedler; der Wald ist erstaunlich groß, zumal in die Länge. Jetzt wirklich meine Hütte ist vom nächsten Dorf zwo Stunden weit entfernt, und ich habe hier seit Jahr und Tag keinen Menschen gesehen. Sie sahen mirs auch wol an, wie ich über Ihren Anblick so [943] bestürzt war. Sie kommen wol von einer Universität her? – Ja, von Ingolstadt, war Siegwarts Antwort. – Beyde schwiegen nun eine Zeitlang still, und schienen in tiefe Wehmuth zu versinken. Siegwart betrachtete zuweilen den Einsiedler seitwärts, und bemerkte tiefe Züge der Schwermuth in seinem Gesicht eingegraben. Je gewisser er überzeugt ward, daß er ein Unglücklicher seyn müsse, desto mehr Zuneigung fühlte er bey sich gegen ihn; desto mehr wünschte er, sein Herz vor ihm ausschütten zu können. Aber eine gewisse ehrerbietige Schüchternheit hielt ihn zurück, wenn er oft schon den Mund öffnen, und ihm seine Geschichte entdecken wollte. Sie leben wohl, fieng er endlich an, an diesem stillen einsamen Aufenthalt recht ruhig und zufrieden?

Einsiedler. Was der Ort dazu beytragen kann, das thut er, wenns nicht innre Stürme gibt.

Siegwart. Freylich kommts allein auf unser Herz, und nicht aufs Aeußre an, ob man ruhig und zufrieden lebt! Aber ich denke doch, je weiter man von Menschen lebt, desto mehr innre Ruhe hat man.

Einsiedler. Recht, mein Lieber! Es scheint, wir haben einerley Grundsätze. Aber es gibt auch [944] verschiedne Gründe, warum man sich von aller menschlichen Gesellschaft los macht.

Siegwart. Liebe zur Ruhe ists doch immer, wie mich deucht ...

Einsiedler. Und Sehnsucht nach Ruhe; oder daß man sie an andern Oertern sucht, wenn man sie nicht in sich selbst hat. Und das, scheint mir, ist sehr oft der Fall. (Hier seufzte er.)

Siegwart. Leider! mag ers nur zu oft seyn! Vielleicht sehen Sie mirs an, daß ich auch die Ruhe ausser mir aussuche. Ach, mein theurer Vater, darf ich Ihnen mich entdecken? Vielleicht wissen Sie ein Lindrungsmittel; und ich weiß, Sie würdens mir nicht vorenthalten.

Einsiedler. Nein gewiß nicht! wenigstens werden Sie mein Mitleid haben, wenns nichts weiter ist. Ich will Ihnen Ihr Geheimnis nicht abdringen. Oft ists Grausamkeit. Aber wenn Sie mir es freywillig entdecken wollen, so wirds mich freuen. Ich werde wenigstens Ihr Zutrauen nicht mißbrauchen.

Siegwart erzählte ihm nun seine ganze Geschichte. Der Einsiedler ward oft stark dabey erschüttert, und vergoß viele Thränen. – An manchen Austritten nahm er besonders Theil. Zuletzt [945] umarmte er unsern Siegwart mit den Worten: Du bist ein edler Jüngling, und verdienst mein ganzes Mitleid. Oft war mirs bey deiner Erzählung, als ob ich meine eigene Geschichte hörte; nur daß diese noch schrecklicher und trauriger ist. Ich bin dir nun auch Zutrauen schuldig. Morgen sollst du meine Geschichte hören. Heut ists schon zu spät, und der Abend ist sehr kühl. Du bist mud; deine Erzählung hat dich, wie ich sehe, heftig angegriffen, und du hast des Schlafs und der Ruhe nöthig. Komm! Ich führe dich in die Kammer.

Siegwart muste, so sehr er sich auch weigerte, in der kleinen Kammer, in dem eignen Bett des Einsiedlers schlafen. Ich schlafe draussen, sagte er, in meiner Hütte; du hast der Ruhe und der Wärme nöthiger als ich. Mach keine Umstände! Schlaf wohl! Mit diesen Worten gieng er, und ließ ihm das Licht in der Kammer.

Als Siegwart eben in das Bette gehen wollte nahm er das Bildnis eines Mädchens wahr, das dem Bette gegen über hieng. Er betrachtete es, mit dem Licht in der Hand, genauer, und fand ein schönes, sanftes Gesicht mit schmachtenden blauen Augen, dem Wiederschein einer himmlischen, [946] Seele. Er sah es lang mit Entzücken und mit Rührung an, dachte dabey an seine Mariane, weinte, und gieng endlich, voll wehmüthiger Gedanken, zu Bette. Auf die Ermattung des Tages schlief er ruhig, und wachte auf, als schon seitwärts durch die Tannenbäume einige gebrochne Sonnenstrahlen in die kleine Kammer schienen. Er stund auf, sah das Bild wieder eine halbe Stunde lang, unbeweglich an, kleidete sich drauf an, und gieng vor die Hütte, wo der Einsiedler tiefsinnig und traurig auf der Rasenbank saß.

Haben Sie wohl geschlafen, theurer Vater? fragte Siegwart. Red mehr die Sprache der Vertraulichkeit, sagte dieser, und nenn mich Du! Wir sind beyde unglücklich; und Unglückliche sind sich näher, und noch mehr Brüder, als andre Menschen. Du siehst heute frischer aus. Hast du gut geschlafen? Setz dich zu mir, auf den Rasen! Wir wollen erst miteinander bethen! Er betete mit hoher Andacht, und heiligem Feuer, daß die Seele unsers Siegwart ganz erschüttert, und zum Himmel empor gehoben wurde. – Drauf nahm der Einsiedler seine Hand, und hub an:

Deine Geschichte hat mich tief gerührt; sie gieng mir beständig nach, und ich konnte fast die [947] ganze Nacht nicht davor schlafen. Du hast viel gelitten, Lieber; aber stärke dich! Du kannst noch vieles auf der Welt erfahren. Ich hoffe, daß du Glauben an Gott hast. Bey allen Leiden, die ich ausgestanden habe – und es sind gewiß recht viele – hab ich das gelernt: Ohne Glauben an Gott und an sich selbst könnte man kein schweres Leiden überstehen. Selbstmord und Verzweiflung wäre stets die letzte Zuflucht, und sie ists auch, leider! bey so vielen. Wer an Menschen glaubt, der wird zu Schanden, wie du schon erfahren hast. Ich traute mir, und noch mehr andern Menschen alles zu; ich glaubte, mir allein helfen zu müssen, und – ach Gott! – Wie tief bin ich gefallen! – Ich sah den Himmel an, und alle Sterne, daß sich ihre Menge nicht verwirrt. Ich sah Stürm und Blitz, und Donner aufstehn; sah die Elemente miteinander kriegen, und doch alles bleiben, wie es war. Ich sah Menschen miteinander kriegen; sah, wie immer einer gegen den andern ist; sah in mir und andern alles miteinander kämpfen; Leidenschaften in der Seele toben, daß es schien, sie müste aufgerieben werden – und doch blieb im Menschen Ordnung; Nach den tausend Stürmen kam doch wieder Ruhe; und ich [948] huß mich auf, und sah gen Himmel, fühlt es, daß nicht nur ein Gott im Himmel wohnte, sondern auch ein Gott, der alles kann, und alles ordnet, und die Wirrungen zertheilt, und wieder Eins macht, und mein Herz fieng an zu glauben. Und ich faste Muth, und fühlt' an meinen Kräften, daß sie mir nicht so umsonst gegeben sind; und ich fieng an, sie zu brauchen, und ich fühlte mich gestärkt. Ich überwand mein Herz, wenn es verzagen wollte, mit Hoffnung, und fester Zuversicht, und fand, daß dem Glauben alle Dinge möglich sind. Mach du den Gedanken dir zur Stütze, daß du nicht alleine würkest, du magst stark, oder schwach seyn! Dann mein Lieber! wirst du auch im strangsten Kampfe nie verzagen.

Und nun meine Geschichte. – Du bist der erste dem ich sie erzäle. Ach, sie wird mich tausend Thränen kosten. Du wirst mit mir weinen. Thust du dieses recht von Herzen, so bin ich überzeugt, du wirst sie beiner Seele, die sie mißbrauchen könnte, offenbahren.

Ich bin ein Edelmann, und hab im Krieg gedient: du hast das Mädchenbild gesehen, das in meiner Kammer hängt. Du bist der erste, der in meine Kammer kam, und es gesehen hat. Ihr [949] Gesicht sagt dir alles; malt dir ihre ganze Seele ab. Ich liebte sie, wie du deine Mariane liebest, und ihr Herz war mein, wie Marianens ihrs dein ist. Der Krieg rief mich von ihr. Meine Mutter fieng die Briefe auf, die ich ihr aus dem Feld geschrieben hatte, und sagte meiner Theuren, daß ich untreu sey. Sie ward krank und wahnwitzig, und schloß sich, als sie besser ward, in ein Kloster ein. Ich kam heim; erfuhrs; glaubte nicht; verzweifelte, und erstach meine Mutter; und mein Engel starb.

Als Siegwart diese Erzählung, die der Einsiedler weit umständlicher vortrug, hörte; rief er aus: Herr Jesus! Heissest du nicht Ferdinand? – Ja, rief der Einsiedler; kennst du mich? – Ich kenne dich! meine Schwester war beym Tode deines Mädchens. Unglücklicher Mann! Ich kenne dich! Nun so erzähl mir alles! rief der Einsiedler. Reiß noch einmal alle Wunden meines Herzens auf!

Siegwart erzählte ihm nun alles, was ihm seine Schwester von der Baronessin erzählt hatte. Siehst du, rief der Einsiedler, dieser Ferdinand, dieser Elende, dieser Verworfne bin ich! Verdamm mich nun! Verfluch mich! Thu was du willst! Ich bin alles werth! – Gott, wie könnt ich das? [950] versetzte Siegwart. Bedauren und beweinen kann ich dich. Mehr nicht, unglücklicher Mann! Du bist ein Mensch gewesen, mehr nicht. Gott weiß, was ich, an deinem Platz, würde gethan haben?

Der Einsiedler umarmte ihn. Hör! ich schwör es dir! Du bist noch ein Mensch! Du weist noch, was ein Mensch kann, und nicht kann. Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet werden! Das hat Gott gesagt, und du befolgst es. Laß dich fester an mein Herz drücken! Du bist mir ein Engel Gottes!

Nach vielen Thränen und Umarmungen setzte der Einsiedler seine Erzählung also fort:

Meine Mutter war erschlagen. Ich wust es kaum, daß ichs gethan hatte, und erfuhr es erst nach ein paar Tagen von meinem Bedienten, der mich im Wald aussuchte, wohin ich mich geflüchtet hatte. Ich wollte verzweifeln. Es war, als ob mir Gottes Rache nachsetzte. Mein Bedienter lag mir an, aus dem Land zu gehn; ich wollte nicht. Hätt er mich nicht zurückgehalten, so hätt ich mich bey der Obrigkeit als einen Muttermörder angegeben. Zweymal wollt ich mich in die Donau stürzen. Einmal war ich schon bey Nacht darinn. Er warf sich mit seinem Pferd ins Wasser, und rettete [951] mich noch. Nun sah ich auf Einmal den Abgrund, an dem ich herumgetaumelt hatte. Ich fühlte die Schwere des Verbrechens, das ich noch der Last meiner Sünden hatte beylegen wollen. Ich verfiel in tiefe Schwermuth und Unthätigkeit, und ließ mich von ihm lenken, wie er wollte. Er überredete mich, aus dem Land zu flüchten. Ich wollte bey den Preussen Kriegsdienste nehmen, und machte mich mit ihm bey Nacht auf den Weg, nachdem er mir, durch Vermittelung meines Bruders, hinlänglich Geld verschafft hatte. Die zweyte Nacht verirrten wir uns in diesem Wald, und befanden uns am Morgen drauf hier. Diese Dunkelheit und Stille war ganz für meinen Zustand und für meinen Gram gemacht. Hier will ich bleiben, sagt ich, stieg von meinem Pferd ab, und steckte meinen Stock mit den Worten in die Erde: Hier soll mein Grab seyn, und unter jenem Baum dort meine Hütte. Mein Bedienter hielt dieß wieder für einen Einfall, wie ich schon viel gehabt hatte, und wovon er mich immer wieder abzubringen wuste. Aber dießmal war sein Zureden vergeblich. Ein geheimer Zug hielt mich an diesem Ort fest. Was wollen Sie denn werden? sagte er. Nichts, antwortete ich; genug ich will [952] hier bleiben, und mir eine Hütte bauen. Als er sah, daß ich schlechterdings nicht davon abzubringen war; so sagte er: wenn Sie denn nicht anders wollen, so ists am besten, wenn wir eine Einsiedeley anlegen, und Waldbrüder werden. Gut, das meyn ich eben, war meine Annwort; laß uns nur eine Hütte bauen! Er erbot sich, weil man ihn in dieser Gegend wenig oder gar nicht kannte, nach dem nächsten Dorf, das er finden könnte, zu reiten, die Pferde zu verkaufen, und sich ein Grabscheit, eine Axt, und einige andre Bauwerkzeuge, und etwas Nahrungsmittel zu kaufen. Während, daß er weg war, zeichnete ich den Platz zu der Hütte aus, bog einige Tannenzweig, zusammen, daß sie eine Art von Laube gaben, unter der wir uns zur Noth so lang aufhalten könnten, bis die Hütte fertig wäre. Er kam erst spät gegen Abend wieder, denn er hatte sich erst mit den Pferden kaum aus dem Wald finden können, und den Rückweg fand er fast gar nicht mehr. Er sagte mir, das nächste Dorf liege zwo Stunden weit vom Walde; Er habe sich auch von ferne nach dem Wald erkundigt, und erfahren, er sey bayerisch; aber es wage sich nicht leicht ein Bauer tief hinein, [953] weil man vor einigen Jahren einen Kerl, der sich selbst erhenkt hatte, darinn begraben habe, und da sey nun die allgemeine Sage, er geh im Wald um, und thu den Leuten allerley Spuck an; wir könnten also hier ganz sicher wohnen. Er brachte einen Zwerchsack voll Brod und Käse, und allerley Bauwerkzeuge mit. Den andern Tag hauten wir einige junge Tannen ab, schlugen davon vier Pfähle in die Erde, gruben die Erde auf; flochten Wände voll schlankem Tannenreiß, verklebten sie mit Leim, legten etlich Stangen quer über die Hütte, machten ein Dach von Tannenreiß, und waren in etlich Tagen mit unsrer Wohnung fertig. Den Platz dort gruben wir zu einem Kohlgärtchen um. Mein Heinrich kaufte auf dem Dorf Samen, die sehr gut gedeihten, so daß wir im Herbst schon Kohl und Rüben und dergleichen hatten. Er brachte auch zwo Waldbrüderkleidungen mit, für mich, und ihn. Im Herbst kaufte er die Obstbäume, die du hier gepflanzet siehst. Sie sind nun bald zwölf Jahr alt, und gedeihen, gottlob! gut. Wir richteten uns jeden Tag bequemer ein, säeten auch etwas Winterfrucht aus, so daß wir nun nicht mehr so oft etwas aus dem Dorf brauchten. Man erfuhrs in den umliegenden Dörfern bald,[954] daß zwey Einsiedler hier im Walde wohnten. Die Bauren gaben meinem Heinrich häufig Almosen; abe heraus in den Wald wagte sich selbst keiner, wegen der Sage vom erhenkten Kerl, die sich dadurch noch mehr bestärkte, weil mein Hein ich die List gebraucht hatte, etlichemal, sowol bey Tag, als auch bey Nacht im Wald herumzulaufen, und erbärmlich zu heulen, welches man für ein Gewinsel des erhenkten Kerls hielt. – Hier leb ich nun seit ungefähr zwölf Jahren, so glücklich als es ein Mensch bey meinem Gemüthszustand seyn kann. Anfangs hatt ich oft grosse Beängstigungen. Bald sah ich das Bild meiner ermordeten Mutter, und gerieth in Seelenängste; bald den Schatten meiner unvergeßlichen Geliebten. Zweymal war ich, eh sie noch gestorben war, und eh ich in den Wald kam, im Klostergarten gewesen, um sie zu entführen; aber es war, als ob mich Gottes Hand zurückgehalten hätte. Meine Stunden sind hier zwischen Gebeth und Andachtsübungen, und Thränen bittrer Reue getheilt. Ich kasieye meinen Leib, nicht als ob ich glaubte, Gott genug damit zu thun – meine Sünden kann ich selber durch nichts abbüssen – sondern weil ich weiß, daß ich nichts als Qual und Schmerzen auf der Welt verdienet [955] habe. Ich habe doch noch mehr Freuden, als ich werth bin, denn meine That ist fürchterlich, so sehr ich auch dazu gereizt war. Aber Gott weiß, wie ich jeden Tag und jede Nacht vor ihm in Thränen liege, und ihm meine Schuld bekenne. Den Menschen würd ich gerne dienen, wenn ich nur, ohne Gefahr, unter ihnen leben könnte. Und mich selbst als einen Mörder anzugeben, halt ich jezt auch nicht mehr für rathsam. Meiner ganzen Familie würd ich dadurch aufs neu einen unaussprechlichen Schmerz verursachen; hier hingegen schad ich keinem Menschen nichts, und kann doch meine Seele täglich mehr auf die Ewigkeit bereiten. Ich kann keine Belohnung erwarten. Ach Gott! wenn ich nur um des Versöhners willen, von den Strafen meines gräulichen Verbrechens frey gesprochen werde! – Ich glaube, daß es nicht mehr lange mit mir auf der Welt dauren wird, und daß ich bald meinem Heinrich nachfolgen werde. Sieben Jahre lang lebt ich mit der guten Seele. Ich war kaum hier etwas eingerichtet, so lag ich ihm Tag und Nacht recht herzlich, oft mit Thränen an, sein Glück in der Welt zu suchen. Ich bot ihm alle mein Geld an, das mir schlechterdings ganz unnütz war. Ich stellt ihm vor, daß er ja [956] nichts verbrochen hab, und also meine Schuld nicht mit tragen könnte. Aber alles war vergebens. Er wollte mit mir leben und sterben, und sagte: daß er nun auch der Welt überdrüssig sey, wo ich soviel Hundsfütter angetroffen habe, und er woll mir dienen. Ich warf ihm noch ein: ich brauche keinen Dienst; mein kleines Plätzchen könn ich selbst bebauen, und auch sicher im Dorf gehen, wenn ich etwas nöthig habe, weil mich da, besonders wegen meines langen Barts, kein Mensch erkenne, wie ich denn auch wirklich einigemal mit ihm ins Dorf gewesen war. Erst nach einem Jahr, da ich ihm beständig angelegen hatte, ließ er sich bewegen mich zu verlassen. Er nahm mit tausend Thränen von mir Abschied; und sagte, daß er blos mir zu Gefallen gehen wolle, weil ich ihn so sehr darum bitte; er wiss' aber, daß es mich gereuen werde. Von dem Geld nahm er, ungeachtet meines Dringens, nur die Hälfte mit. Er sagte, es sey ihm, als ob er in die Hölle zurückkehren sollte. Er wisse nicht, wo er sich hinwenden müst, und werde mich gewiß oft besuchen. Ich glaubte, er sage dieses alles nur um meinetwillen, um mich zu bewegen, ihn zu meiner Erleichterung bey mir zu behalten.

[957] Es ist wahr, es gieng mir nah, den guten Kerl zu verlieren. Anfangs war mir die gänzliche Einsamkeit fast unerträglich. Nach und nach gewöhnt' ich mich daran. Es war noch kein Vierteljahr verflossen, da kam er eines Morgens zu mir. Herr, sagte er, ich komme wieder; aber nicht nur auf einen Besuch. Sie müssen mich bey sich behalten; Sie mögen un wollen, oder nicht! Ich kanns in der vertrackten Welt nicht länger aushalten. Das sind mir Menschen! Man kommt schlechterdings auf einen grünen Zweig, wenn man nicht ein Spitzbube werden will. Ueberall ist nichts, als Lug und Trug. Man muß entweder sich betrügen lassen oder elbst betrügen. Keins von beyden mag ich! Warum sollt ich mich alle Tage halb zu Tod ärgern? Da hatt ich mir mit dem Geld, das Sie mir gegeben hatten, eine Dorfschenke gekauft. Fürs erste must ich schon weit mehr dafür bezahlen, als sie werth war, und dann hatt ich nichts, als täglich Aerlei und Verdruß. Das Saufen und Lärmen nahm kein Ende; täglich must ich die ärgerlichsten Dinge mit ansehen, und mit anhören. Beym Spiel sah ich immer einen den andern betrügen; beym Trunk gabs nichts als Händel; kurz einer ist immer gegen den andern. Da verkauft ich [958] meine Wirthschaft wieder an einen armen Schlucker, ders wol brauchen konnte, denn er hat nicht mehr als neun Kinder zu ernähren; nahm meinen Wanderstab, und bin nun wieder hier. Mein Lebtag will ich nun nichts mehr mit Menschen zu thun haben. Bey Ihnen ist mir wohl, denn ich weiß, daß fies ehrlich meynen; ob Ihnen gleich auch alles in der Welt schief ging. – Ich nahm den guten Kerl mit Freuden wieder auf, denn ich konnt ihm nicht ganz Unrecht geben. Wir lebten im Frieden miteinander, bis ungefähr vor fünf Jahren; da bekam er ein hitziges Fieber, und starb. Ich hab ihn hier begraben, und wir sitzen hier auf seinem Grab. Jezt leb ich so mein Leben hier, bis es Gott gefallen wird, mich auch abzurufen.

Beyde schwiegen eine Zeitlang stilt. Siegwart war sehr bewegt. Endlich sagte er, wenn ich meine Mariane nicht mehr finde, und du nimm so mich auf, so bring ich auch meine Lebenszeit bey dir zu. Ich bin noch jung, aber ich habe schon gnug in der Welt geduldet, und nach den vielen Stürmen wird sich mein Leib auch nicht lange mehr ausrecht erhalten.

Ferdinand sagte, daß er ihn mit Freuden aufnehmen werde. Er soll sich aber wohl bedenken; [959] er habe noch Verwandte, denen er Freude machen könne, und könn' überhaupt den Menschen noch viel dienen, welches bey ihm der Fall nicht sey. – Ich muß frisches Wasser holen. Willst du mit mir. Sie giengen ohngefähr 50 Schritte weit von der Hütte an einen etwas vertieften Ort, wo eine klare Quelle hervor strudelte. Siegwart ließ sich überreden, diesen Tag noch bey dem Einsiedler zu bleiben, um sich von seiner Ermattung wieder zu erholen. Ferdinand wieß ihm seine Einrichtungen, wie er im Sommer anbaue, wie er sich im Winter fortbringe etc. Sie sprachen viel über die Verhältnisse in der Welt, daß sie gewöhnlich den Menschen mehr unglücklich, als glücklich machen, besonders über Stand und Vermögen. Ferdinand gab ihm allerley gute Lehren, wegen Marianens, wenn er sie wieder finden sollte, und so brach unvermerkt der Abend an.

Sie sassen auf der Rasenbank, als sie plötzlich ein Geräusch in der Nähe hörten, und einen Reuter heran sprengen sahen, welches Marx war. Sind Sie da? rief er; nun Gottlob! und eilends ritt er weg. Der Einsiedler sah unsern Siegwart voll Erstaunen an. Sey unbesorgt! sagte dieser. Der Kerl ist meines Schwagers Bedienter. Vermuthmuthlich, [960] soll er mich aufsuchen. Aber warum er so plötzlich wieder weggeritten in? kann ich nicht begreifen. Indem kam Marx wieder mit seinem Herrn, Kronhelm, der auch zu Pferd war. Kronhelm sprang von seinem Pferd, und umarmte Siegwart stillschweigend. Was treibst du? fing er endlich an. Ich suche dich seit zwey Tagen im Land herum, bis man mir von einem Einsiedler sagte, bey dem du vielleicht wärest. – Ja, hätt ich den Bauer nicht angetroffen, sagte Marx, der mir Bescheid gesagt hat, wir ritten noch im Nebel herum. – Kronhelm grüste nun erst den Einsiedler, und ließ sich von seinem Schwager erzählen, wie's ihm gegangen sey, und wie er sich verirrt habe. Das beste ist, sagte endlich Kronhelm, wir reiten jezt gleich aufs nächste Dorf, um da zu übernachten. Siegwart wollte Schwierigkeiten machen, aber Kronhelm nahms nicht an. Marx muste von seinem Pferd steigen, und Siegwart setzte sich darauf. Er ging mit dem Einsiedler voran, und wies den Weg aus dem Holz. Als sie an den Ausgang des Waldes kamen, nahm der Einsiedler Abschied. Siegwart sprang vom Pferd, küßte und drückte seinen lieben Ferdinand mit tausend Thränen, und versprach ihm noch einmal, zu ihm in seine Einsiedeley zu [961] kommen, wenn er seine Mariane nicht mehr finde. Drauf ritt er mit seinem Kronhelm weiter, und rühmte ihm die Freundschaft, die der Einsiedler für ihn gehabt hätte; er erzählte ihm auch soviel von seiner Geschichte, als er glaubte, daß ihm, nach seinem gethanen Versprechen der Verschwiegenheit, erlaubt wäre. Auf dem nächsten Dorf liessen sie sich in der Schenke in das obre Zimmer führen, um allein zu seyn. Kronhelm erzählte seinem Schwager, er hab ihn in Ingolstadt abholen wollen, und als er nichts von ihm hab erfahren können, sey er auf Gerathewohl auf den Dörfern herumgeritten, bis er bey dem Bauren Kaspar nähere Nachricht von ihm erfahren habe. Diese Nachricht hab ihn seinetwegen sehr besorgt gemacht, und nun sey er froh daß er ihn endlich ausgekundschaftet habe. Er hoffe nun, daß er mit ihm auf sein Schloß kommen werde, um sich da, soviel als möglich, wieder aufzuheitern, und von seinen schweren Widerwärtigkeiten zu erholen. Siegwart sagte: das gehe schlechterdings nicht an. Er sey auf der Spur, den Ort zu entdecken, wo seine Mariane hingebracht worden sey; dieser müss er nachgehen, und könne nicht eher ruhen, als bis er mit seinem Mädchen wieder vereinigt sey. Kronhelm stellte ihm vor: [962] Was er machen wolle, wenn er auch das Kloster, wo seine Mariane eingesperrt sey, erfahre? Er werde sich durch seine Nachforschungen verdächtig machen, und dadurch, wenn es auch noch möglich wäre, sie aus dem Kloster zu entführen, sich selbst den Weg dazu versperren; es sey weit besser, wenn Marx, auf den kein Mensch Achtung geben werde, sich unter der Hand nach ihr erkundige, und es ihnen mittheile, wenn er etwas erfahren könne. Dann sey es erst Zeit, Maasregeln zu nehmen, wie man Marianen retten könne, u.s.w. Siegwart ließ sich diesen Vorschlag endlich nach langer Zeit gefallen.

Kronhelm suchte seinem Freund, der sich nun über sein Schicksal zu beklagen anfieng, soviel Muth und Trost einzusprechen, als möglich. Er ließ hierauf seinen Marx aufs Zimmer kommen, und trug ihm die Nachforschung nach dem Wagen und Marianens Aufenthalt auf. Siegwart beschrieb ihm das Dorf, wo er das letztemal von dem Wagen Nachricht erhalten hatte, und welches zur Linken des Walds lag, aufs genaueste, und bat ihn aufs beweglichste, sich die Sache recht angelegen seyn zu lassen. Marx, der durch seine Bitten selbst im innersten gerührt war, versprach alle mögliche [963] Behutsamkeit und Sorgfalt. Hierauf giengen Siegwart und Kronhelm zu Bette, um sich den andern Morgen frühzeitig auf den Weg machen zu können.

Mit Aufgang der Sonne ritten sie weg; Marx nahm seinen Weg nach dem beschriebenen Dorf, und versprach nochmals die sorgfältigste und schleunigste Besorgung seines Auftrags. Siegwart beschrieb nun seinem Schwager die schreckliche Unruhe, in der er bisher geschwebt hatte; erzählte ihm weitläuftiger, aus Marianens Brief, die Begegnung, die sie von ihrem Vater hatte ausstehen müssen; und die Geschichte des Einsiedlers Ferdinand, von der er wußte, daß sein Schwager sie keinem Menschen entdecken werde. Auch fragte er seinen Kronhelm um Rath, was er anzufangen hätte, wenn er den Aufenthalt Marianens auskundschaften könnte? Kronhelm sagte: Zeit und Umstände könnten hier allein die besten Mittel an die Hand geben; inzwischen hoffte er, es dann so zu ordnen, daß man sie aus dem Kloster entführen könnte, zumal, da sie hoffentlich selber dazu sehr geneigt seyn würde. Alsdann werd es das Beste seyn, wenn er sich mit ihr aus dem Lande flüchte, und dazu woll' er mit Rath und That behülflich seyn. – Durch solche, und ähnliche [964] Träume und Entwürfe wußte er das unruhige Gemüth seines Freundes etwas in Schlummer zu wiegen, so daß dieser über den Träumen seine Leiden gröstentheils vergaß, und in einer Art von süssem Taumel fortritt, bis sie endlich Abends in der Dämmerung zu Steinfeld ankamen. –

Therese kam ihnen eine Stunde vor dem Schloß in ihrem Wagen entgegen. Sie hatte schon zwey Tage umsonst auf ihren Kronhelm gewartet, und die schrecklichsten Beängstigungen ausgestanden. Sie sprang aus dem Wagen, als sie ihren Mann wieder sah, und fiel fast vor Freuden in Ohnmacht. Nach diesem sah sie erst ihren Bruder, und umarmte ihn. Der Bediente, der auf dem Wagen stand, mußte die beyden Pferds nach Haus bringen, und Siegwart und Kronhelm setzten sich zu Therese in den Wagen. Mit der Einen Hand hielt sie ihres Mannes, und mit der andern ihres Bruders Hand, und zitterte vor Freuden, beyde wieder zu haben. Das erste, was sie nun nach ihrer Bestürzung fragen konnte, war nach den Umständen ihres Bruders. Sie ward durch das traurige Gemälde, das er davon machte, sehr niedergeschlagen und traurig. Doch suchte sie ihm Muth und Hoffnung einzuflössen, und war in ihrer [965] Bemühung nicht ganz unglücklich. Ein Unglücklicher hofft gern, und hört nichts lieber als Träume von Glückseligkeit, die ihm andre beybringen.

Auf dem Schloß entstand eine grosse Freude, als Kronhelm wieder kam. Alle Dienstbothen drangen sich hinzu, den Bruder ihrer gnädigen Frau, die sie so sehr liebten, zu sehen. Fräulein Sibylle, Kronhelms Schwester, kam auch mit Salome, und bewillkommte ihn. Salome hatte sich in vielen Stücken geändert, und that jetzt weit zärtlicher gegen ihren Bruder, als ehemals. Sie sassen noch ein paar Stunden beysammen, und giengen dann, weil Kronhelm und Siegwart von der Reise etwas müde waren, frühzeitig zu Bette.

Siegwart träumte dießmal von seiner Mariane. Er sah sie in einem langen Schleyer zu ihm kommen. Sie sprach nichts; ihr Gesicht war blaß; sie legte ihre kalte Hand auf seine Schulter, gieng dann weg, und winkte ihm, ihr zu folgen. Er folgte ihr durch einen langen düstern Gang, bis an die Thor, zu einem Gottesacker, wo sie in ein offnes Grab sank, das sich über ihr schnell zuthat. Er stand auf dem Grab, jammerte mit emporgehobnen Händen, und wachte so, von der heftigen Bewegung, auf. Er war in der äussersten Bestürzung; [966] das Bild wollte nicht aus seiner Seele zurückweichen, und sobald er seinen Schwager und seine Schwester sah, erzählte er es ihnen. Diese gaben sich alle Mühe, ihm die traurige Vorstellung aus dem Herzen zu verbannen, und ihn zu überzeugen, wie wenig man auf einen Traum gehen müsse, da sich dieser gewöhnlich nach der vorhergegangenen Lage des Gemüthes bilde. Er vergaß den Traum zwar etwas, aber nur, solang er in Gesellschaft war; in der Einsamkeit stand er immer wieder lebhaft vor ihm da, und verfolgte ihn mit seinen Schrecken. Sein Schwager und seine Schwester gaben sich alle mögliche Mühe, ihn zu zerstreuen, und nur in etwas aufzuheitern. Sie wiesen ihm ihr Schloß, wo alles neu, und sehr bequem eingerichtet war, ohne ins Prächtige zu verfallen. Sie führten ihn in den Garten, wo sie alles umgraben, erweitern, und mit einem Geschmack hatten anlegen lassen, der der Natur soviel, als möglich, nahe kam. Siegwart, dieser sonst so eifrige Freund der Natur, sah alles mit einer kalten und erzwungenen Bewunderung an, so wie ein Kranker die Speisen ansieht, die er ehmals in gesunden Tagen sehr geliebt hatte, und nun nicht geniessen kann. Oft zwang er sich, seinen [967] Freunden zu Gefallen, munter zu thun; aber man sah allen seinen Handlungen den Zwang an. Am liebsten sprach er von seiner Mariane, ob ihm dieses gleich so traurig war, und ihn tausend Thränen kostete. Wenn sich davon das Gespräch anfieng, so konnt er gar nicht aufhören. Es war ihm immer noch zu kurz, wenn es auch schon ganze Stunden gedauert hatte. Seine einzige Hoffnung gründete sich jetzt auf Marxens Nachsuchungen. Er sah ganze Stunden lang aus dem Fenster, ob er ihn nicht kommen sehe. Er machte es im Gespräch immer zweifelhaft, ob er etwas von Marianen erfahren werde? um nur seine Zweifel und Einwürfe widerlegt zu sehen. Bald war er wehmüthig, bald verdrüßlich und ungeduldig; bald pries er das Einsiedlerleben als das glücklichste auf Erden, und sagte, daß er bald wieder zu seinem Einsiedler in den Wald zurückkehren werde.

Therese und sein Schwager betrübten sich darüber sehr, und sannen tausend Mittel aus, seine Gedanken etwas zu zerstreuen, und ihm heiterere beyzubringen. Sie giengen oder fuhren täglich mit ihm spatzieren; er gab sich Mühe, munter zu scheinen, aber ein unvermutheter Seufzer verrieth ihnen bald wieder den Gram, der an seinem Herzen [968] nagte. Sie fanden, daß man für ihn nichts angenehmers thun, als von Marianen mit ihm sprechen, und ihn allein durch Hofnungen aufrichten könne. Allein sie sahen auch ein, wie gefährlich ihm dieses werden könne, wenn die Hofnungen, wie nur gar zu wahrscheinlich zu vermuthen war, fehlschlagen sollten. Daher zitterten sie auch vor Marxens Zurückkunft, weil sie, fast mit Zuversicht, besorgten, seine Nachsuchungen möchten fruchtlos abgelaufen seyn!

Endlich kam Marx nach sechs Tagen wieder, ohne daß ihn Siegwart wahrnahm; denn Kronhelm hatte allen Hausbedienten befohlen, wenn Marx käme, sollte man ihn sogleich in das untere Zimmer im Hof führen, ohne jemanden, ausser ihm, etwas davon zu sagen. Marx zitterte, als Kronhelm zu ihm kam, und sagte: er habe sich kaum getraut, wieder zu kommen, weil er in seinen Nachsuchungen nicht glücklich gewesen sey. Er habe nur auf Einem Dorf etwas von dem Wagen erfahren, und da sey er Nachts um eilf Uhr durch gekommen. Vermuthlich sey er um Mitternacht, da die Bauren schliefen, durch die andern Dörfer gefahren. In einem Bezirk von acht Stunden [969] seyen wenigstens vier Nonnenkloster. In keines davon dürf eine Mannsperson kommen, also hab er, ohngeachtet aller Mühe, nicht das mindeste erfahren können, ob in einem von den Klöstern ein junges Frauenzimmer angekommen sey. Einmal hab er schon geglaubt auf der Spur zu seyn; aber am Ende hab es sich gezeigt, daß das angekommene Frauenzimmer schon eingekleidet, und eine Nonne aus einem benachbarten Kloster gewesen sey.

Kronhelm richtete seinen Bedienten ab, was er sagen sollte. Nemlich: Er habe zwar nichts gewisses von Marianen erfahren können; aber doch sey sie wahrscheinlich in einem Kloster, das er ihm nannte. Er hoffe in etlich Wochen Gewißheit davon zu erlangen, denn er habe ein paar Spionen bestellt, die ihm von Zeit zu Zeit Nachricht geben würden.

Durch diese Nachricht ward Siegwart zwar in etwas beruhigt; aber doch konnte sich sein Gemüth nicht damit beruhigen. Es stiegen ihm immer Zweifel auf, und täglich erkundigte er sich bey Marx, was er für neue Nachrichten erhalten habe? Dieser sagte ihm, was ihm Kronhelm eingegeben hatte, nemlich weitausehende Hofnungen und halbe Aufklärungen, die er aber so ängstlich und [970] so ungeschickt vorbrachte, daß jeder andrer, der weniger gehofft hätte, als Siegwart, die List hätte einsehen müssen.

Er wurde von Kronhelm fast täglich spatzieren geführt, damit er Abwechslung und Zerstreuung haben möchte. Sie besuchten jetzt oft zu Pferd die benachbarten Landedelleute, weil Therese, wegen ihrer herannahenden Niederkunft selten mehr mitfuhr. Herr von Rothfels, (so hieß der junge Edelmann, von dem ihm Kronhelm geschrieben hatte, daß er seine Schwester Sibylle heyrathen würde,) kam sehr oft nach Steinfeld, und blieb manchesmal zwey bis drey Tage da; oft besuchten sie ihn auch auf seinem Schloß. Er war ein angenehmer junger Mann, der in Wien, wo er studiert hatte, sich viel gelehrte und noch mehr Weltkenntnisse gesammelt hatte. Er fühlte viele Zuneigung gegen Siegwart, und nahm an seinen traurigen Schicksalen vielen Antheil. Er würde auch Siegwarts Herz und Zutrauen ganz gewonnen haben, wenn er minder heiter, oder wenn Siegwart in einer glücklicheren Lage gewesen wäre. Aber der junge Rothfels genoß bey Sibyllen das völlige Glück der Liebe; daher war sein Herz und sein Blick immer munter; und ein fröhliches Gemüth [971] ist nicht für ein unglückliches geschaffen. Der Unglückliche fühlt den Abstand zu sehr; er will alles traurig um sich her sehen, und glaubt, daß ein Glücklicher an seinem Kummer keinen, oder doch keinen völligen Antheil nehmen könne. Daher schließt er sich nicht an, und theilt sich nur dem mit, der gleiche Leiden mit ihm hat. Rothfels sah dieses, und hielt es bey Siegwart für Abneigung von ihm; daher vermied er es, viel mit ihm allein zu seyn, und ihre Seelen kamen sich, durch diesen Misverstand, nie ganz nahe.

Eines Tages saß Siegwart allein und schwermüthig in einer Laube im Garten, wo Marx eben die Blumen begoß. Siegwart rief ihm; Marx, hat er denn noch keine Nachricht von dem Frauenzimmer? – Nein, junger Herr! – Red er einmal aufrichtig mit mir! Glaubt er wohl, daß ich bald etwas gewisses erfahren werde? Hintergeh er mich nicht! Es ist mir alles an der Sache gelegen; ich muß sie zuverläßig wissen! – Marx fieng an zu weinen, und ihm langsam näher zu treten. Ach, junger Herr! Es mag nun gehen, wie es will, ich kanns so nicht länger aushalten; es muß heraus! Ich weis gar nicht von der Jungfer; man kann in der ganzen Gegend [972] keine Nachricht von ihr geben. Ich weis nicht, ist sie todt, oder – Aber werden Sie nur nicht böse! Lieber Gott, ich mußte ja so sagen – Geh nur, sagte Siegwart, ich will nichts weiter wissen! Er legte sich mit dem Kopf zwischen seine Hände auf den Tisch, und fieng an zu weinen. Weis man nichts von ihr? Ist sie todt, oder – Gott, ach Gott! Warum bin ich doch nicht auch todt? Warum muß ich mich denn ewig leiden? – So jammerte er fort, bis Kronhelm, ohne daß ers merkte, in die Laube trat. Was fehlt dir, Bruder? fieng er endlich an. Siegwart fuhr auf, sah seinen Schwager eine Zeitlang starr an; weist du schon, daß alles nichts ist? daß sie und ich verlohren ist? – Wer denn, Bruder? Mariane! Wer denn? Es ist alles nichts! Alles erdichtet und erlogen! Wer weis, wo sie ist! Vielleicht todt! Vielleicht ... O, ich halts nicht länger aus! Ich muß aus der Welt! Heut noch, oder morgen! In die Einsiedeley! Da soll mich keine lebendige Seele mehr zurückhalten! Ihr meynts nicht ehrlich, daß ihr mich so hintergeht; daß ihr mir nicht sagt: Pack dich aus der Welt! – Kronhelm hatte viele Mühe, ihn nur etwas zu besänftigen, und ihm begreiflich zu machen, daß sie zu seiner Ruhe [973] so hatten handeln müssen. Siegwart sagte, das sey schon recht; er glaub es auch; aber er wolle nun in die Einsiedeley, und man sollt ihn nicht länger mehr zurückhalten! Kronhelm gestand ihm jetzt, um ihn nur ein wenig zu beruhigen, alles zu, bat ihn aber, wenigstens noch acht Tage bey ihm zu bleiben, welches endlich Siegwart zugestand.

Er gieng auf sein Zimmer, weinte bitterlich, und schrieb endlich folgendes, an Marianen, nieder:

O du, bist du noch auf Erden? Duldest du noch unterm Joch des Lebens? Schmachtet deine Seele noch in ihrer Hülle? Oder bist du, Engel Gottes, aufgeflogen in die Wohnstatt der Erwählten? Trinkst du schon die Sonne, die nicht untergeht und keine Thränen sieht? Sind sie abgetrocknet dir von Engeln, und hast du vergessen aller Seufzer, die die Menschheit drücken? O du, sag, wie nenn ich dich, du Theure, du Geliebte, deren Seele mein war! Schwebt dein Geist um mich im Lichtgewande? Hörst du meine Seufzer? Trübt ein Wölkchen deinen Sonnenschimmer? O so rausch mit deinen Flügeln, daß ichs höre, und mich freue, daß dein Schmerz im Grab liegt, daß ich hingeh auf dein Grab, und [974] sterbe! – Oder schmachtet deine Seele noch in ihren Banden; ist der Kerker des Lebens noch nicht durchgebrochen; o so bring ein Engel dir die Seufzer, und den Hauch der Liebe, den ich hier aufs Blatt hin hauche!

Engel, oder Mensch, ich grüsse dich, umarme dich mit meiner Seele. Ach, wir leiden viel, Geliebte! Doch mir wäre wohl, wenn du nur überwunden hättest! Wiß! ich habe dich gesucht mit Thränen, und dich nicht gefunden! Wiß! ich rannte Wälder durch, und lechzete vor Ohnmacht, und ich hab dich nicht gefunden! Ach, ich glaubte dich zu finden, aber eine Wolke barg dich meinen Augen. Nun ist meine Seele trüb, und wünscht zu sterben.

Ich hab eine Ruhestatt gefunden, fern von Menschen. Dicke Wälder haben sie umzäunt, daß kein sterblich Auge durchbringt. Neid und Stolz und Bosheit haben diese Stätte nie betreten. Nur ein Grab ist da, und eine Hütte, und ein Leidender. Auf dem Grabe hab ich jüngst gesessen, und der Leidende hat mich umarmt, und ist mein Bruder. Er wünscht auch zu sterben. Und nun will ich hingehn, und mit ihm vom Tode reden, und dann soll er mich begraben, und das Grab nicht schliessen, [975] denn am Throne des Allmächtigen will ich für ihn bethen, daß er bald zu mir hinuntersinke, und vergesse seiner Leiden!

O Geliebte, wenn du schon entflohen bist der Erde, so steig nieder auf den Abendwolken, wenn der Wind durch meine Tannenwipfel säuselt; oder wenn der Mond durch sie herabscheint, und der Wind schweigt; steig hernieder, um mir Trost und Ahndung meines nahen Todes zuzulispeln; um mein Herz zu unterstützen, bis ich ausgerungen habe, daß die Seele, wenn sie scheidet, dir entgegen eile, und in deinem Arm zuerst des Himmels Seligkeit empfinde! – Oder wenn du noch im Thal der Thränen weinest; und ich lieg und ruh im Grabe, o so führe dich dein Engel an die Stätte, wo mein Grab ist, daß du weinest, und dann sterbest! – Wenig Tage bleib ich noch bey meinen Freunden. Ach, sie leiden viel um meinetwillen, und sie sollten glücklich seyn. Ich will sie verlassen, daß ihr Thränenquell versiege, daß mein Gram nicht ihre Freuden störe! Denn die Liebe hat, was sie so selten thut, mit ihren Freuden sie gesegnet. Meine Thränen sollen ihren Kranz von Freuden nicht benetzen; darum eil ich in den Wald und sterbe. –

[976] Kronhelm kam dazu, als er dieses ausgeschrieben hatte. Hier, Geliebter, sagte Siegwart, wenn noch Mariane leben sollte, und du einst von ihr erführest, gib ihr dieses Blatt! Sie wird es küssen, und drauf weinen, und das Blatt durch ihre Thränen heiligen. – Kronhelm las das Blatt, und ward sehr dabey bewegt. Er sah wohl, daß die Seele seines Schwagers tief gebeugt, und schwer zu heilen sey. Daher wagte er es auch nicht, ihm Trost einzusprechen, und ihm von seinem Vorhaben, in die Einsiedeley zu gehen, abzurathen. Vielleicht, dachte er, in den acht Tagen, die er noch zu bleiben versprochen hatte, ein Mittel ausfindig zu machen, ihn zurück zu halten, und seine düstre Schwermuth etwas zu zerstreuen.

Ein paar Tage drauf fand er, in Theresens Gegenwart, Gelegenheit, von der Sache wieder anzufangen. Er drang sehr in ihn, wenn er doch ja sich von der Welt absondern wolle, lieber, seinem ersten Vorsatz zufolge, in ein Kloster, als in eine Einsiedeley zu gehen, weil er doch als Mönch der Welt noch mehr nutzen könne, als wenn er ein Einsiedler werde. Er rieth ihm dieses hauptsächlich um seiner Gesundheit willen, [977] und weil er hoffte, sein Schwager würde vielleicht in dem Probjahr am Kloster genug kriegen, und gern wieder in die Welt zurück kehren. Er wuste dieses, von den Bitten seiner Frau unterstützt, so annehmlich vorzutragen, daß Siegwart endlich in diesen Vorschlag willigte. Kronhelm wollte ihn auch überreden, in ein benachbartes Augustiner Kloster zu gehen, theils, weil das Kloster seinem Schloß so nahe lag, theils weil die Regel dieses Ordens minder streng ist, aber Siegwart wollte schlechterdings in das Kapuzinerkloster zu *** treten; und hierinn muste ihm sein Schwager nachgeben, und ihm auch versprechen, nächstertagen seinetwegen an den dortigen Guardian zu schreiben.

Allein er ward durch eine unglückliche Begebenheit daran verhindert. Seine Therese sollte niederkommen, und die Geburt war so schwer, daß sie in die äusserste Lebensgefahr dabey kam. Das Kind, ein Knäblein, war gebohren; aber zween geschickte Aerzte, die herbey gerufen waren, zweifelten am Aufkommen der Mutter. Der arme Kronhelm gieng verzweifelnd und halb todt im Schloß herum, rang die Hände, und wuste nicht, wo er bleiben sollte? Das ganze Schloß war ein Haus [978] des Jammers. Siegwart kam fast nie vom Bette seiner Schwester, und zerfloß in Thränen. Die Dienstbothen sahen alle blaß aus, wie der Tod, meinten in allen Ecken, und wagtens kaum, laut zu sprechen, oder sich um das Befinden ihrer besten Frau zu fragen, weil jeder fürchtete, die Todespost zu hören. Kronhelm wollte nicht vom Bette weggehen; als er aber einmal übers andre ohnmächtig wurde, so brachte man ihn endlich, auf den Rath der Aerzte, in einer Ohnmacht auf sein Zimmer, und bat unsern Siegwart, ihn zurück zu halten, nicht wieder vors Krankenbette zu kommen, weil sein Aechzen seine ohnedies schon genug geschwächte Frau noch mehr entkräftete.

Therese lag, mit himmlischer Gelassenheit, das Gesicht schon fast mit Todesschweiß bedeckt, auf ihrem Bette; sah bald mit halbgebrochnen Augen gen Himmel, bald suchte sie mit ängstlicher und liebvoller Sorgfalt ihren Kronhelm, hätt ihm gern gerufen, wenn ihr die Stimme nicht entgangen wäre; dann weinte sie, daß sie umsonst ihn suchte. Sie verlangte durch einen Wink ihr Kind, schloß es mit schwachen Händen an ihr mütterliches Herz küßte es, und sah gen Himmel, als ob sie ihren Liebling in die Hände des Allmächtigen empföhle. [979] Drauf sah den sie Arzt bittend an, und winkte mit den Händen, vermuthlich, daß man ihren Kronhelm suchen sollte. Der Arzt ließ Siegwart rufen. Er kam zitternd, setse, und todtbleich ans Bette, nahm ihre Hand, und wandte das Gesicht weg. Der Schmerz überwältigte ihn, daß er laut schluchzte; Er wollte sich losreissen; Sie klammerte sich aber mit der Hand fest in die seinige, und ließ ihn nicht los. Er sah sie an; mit unaussprechlicher Wehmuth blickte sie ihn an; aus dem halbgeschlossenen Auge drang eine Thräne; der Mund öffnete sich, und man könnt es sehen, daß sie sagen wollte: Kronhelm!

Siegwart riß sich mit Gewalt los sprang weg, und hohlte seinen Kronhelm. Sie sah ihn an, lächelte ihm zu, und indem flossen wieder Thränen aus dem Auge. Kronhelm stürzte sich halb ohnmächtig über sie hin, schrie und schluchzte laut, bedeckte ihr Gesicht mit Thränen und Küssen, und ward so, in ihren Armen, ohnmächtig. Man brachte ihn sinnlos weg.

Sie befand sich sehr entkräftet. Der Artzt verbot, jemand wieder vor sie zu lassen. Kronhelm schickte alle Augenblicke einen Bothen nach ihr; dieser kam immer nur mit Achselzucken wieder. [980] Der Geistliche kam, und gab ihr die letzte Oelung. Kronhelm und Siegwart beweinten sie als todt, und waren trostlos. Die ganze Nacht floß ihnen schrecklich hin. Kronhelm verwünschte sich, und sein Geschick, und das Kind, das ihm, sein Liebstes raubte. Therese hatte die Nacht über ein paar Stunden Schlaf, und befand sich am Morgen ein klein wenig besser; die Aerzte verboten aber, ihren Mann zu ihr zu lassen, weil sie eine zu heftige Gemüthsbewegung für sie fürchteten. Sie konnte nun zuerst wieder etwas stärkende Brühe zu sich nehmen. Ihrem Manne ward etwas wenig Hoffnung gemacht; man ließ ihn aber nicht zu ihr. Auf sein anhaltendes Bitten liessen ihn endlich die Aerzte in ihr Zimmer, als sie eben in einem kleinen Schlummer lag. Man konnte ihn bey ihrem Anblick kaum zurück halten, daß er nicht vor Freuden laut aufschrie, und über sie hin fiel, und sie küßte. Als sie wieder aufwachte, ließ man ihren Bruder zu ihr kommen. Ihr erstes Wort war: Was macht mein Kronhelm? Er ist wohl, war die Antwort, und hofft auf deine Genesung. – Gott geb es! sagte sie. Ich befinde mich um ein Gutes besser. Sprich ihm Muth, und Vertrauen[981] ein, und gib ihm diesen Kuß in meinem Namen, wenn ich ihn nicht selber küssen darf!

Die Aerzte bekamen nun immer bessre Hoffnung; aber Kronhelm durfte sie noch nicht anders sehn, als schlasend. Einmal wachte sie auf, als er noch vor ihr stand. Sie streckte stillschweigend ihren Arm nach ihm aus; er sank darein. Beyde könnten vor zärtlichem Entzücken nichts thun, als weinen. Ihre Kräfte nahmen nun sichtbar wieder zu. Kronhelm und Siegwart kamen nicht von ihrem Bette. Siegwart freute sich von ganzem Herzen über ihre Genesung; aber dein ohngeachtet nahm doch seine Schwermuth, und seine Abneigung von der Welt mit jedem Tage mehr zu. – Schreib doch bald ins Kloster! sagte er einmal zu Kronhelm, als sie beyde vor Theresens Bette sassen. Die Welt wird mir täglich mehr zum Ekel; ich sehe, daß sie nichts als ein Sammelplatz von Noth und Elend, und ununterbrochner trauriger Abwechselung und Unbeständigkeit ist. Du hältst dich jetzt wieder für glücklich, Kronhelm, du hast keinen Wunsch mehr übrig, als die völlige Genesung meiner theuren Schwester. Armer Mann! Warst du nicht noch vor zehn Tagen der allerunseligste unter allen Menschen; and vier Tage [982] vorher der allerseligste? Sichst du nicht, daß, je näher man dem Glück zu seyn scheint, desto näher ist man dem unabsehlichsten Elend. Aber, lieben Freunde, ich will jetzt euren süssen Traum nicht stören. Ihr seyd glücklich; ihr drückt euch jetzt mit unaussprechlicher, vorher nie gefühlter Wollust ans Herz. Ihr glaubt jetzt im Himmel zu seyn. Möchte dieser Himmel ewig währen, wie der, dem sich meine ganze Seele zusehnt! Laßt nur mir meinen Jammer! Laßt mich eilen, und mich ihn in meiner Einsamkeit ausweinen, wo ich kein lebendiges und glückliches Geschöpf störe. Ich sehe, diese Welt ist nicht für mich: oder ich bin nicht sür sie. Ich kann nicht glücklich werden; aber ich will auch keinen unglücklich machen! Wenn ich heute Marianens Hand bekäme – wenn der Engel nicht schon ausgerungen hat – wenn sie heute ganz mein würde; morgen wäre sie mir gewiß wieder entrissen. Laßt sie mir auch viele Wochen! Wer bürgt mir für eine Krankheit, wie die war, die dich, meine theureste Therese, bald den Armen meines liebsten Kronhelms entrissen hätte? Ach, ich kann, ich kann nicht glücklich werden? Laße mich in mein Kloster, daß ich meine Lebenszeit verweine! Wenn ich mich ermannen kann, komm [983] ich zu euch, und besuch euch. Laßt mich in mein Kloster! Ich will für euch bethen!

Kronhelm und Therese weinten, und konnten ihn nicht trösten. – Ja, du sollst ins Kloster! sagte Kronhelm; morgen will ich dahin schreiben. Armer Freund, wir können nichts, als dich bedauren. Kronhelm schrieb auch wirklich den folgenden Tag an den Guardian, und schickte den Brief weg.

Therese erholte sich nun täglich mehr, und konnte schon zuweilen sich ein paar Stunden ausserhalb dem Bett aufhalten. Sie und ihr Kronhelm empfanden nun das Glück der Zärtlichkeit zehnfach mehr, als vorher, ehe das Unglück der Trennung sie bedrohet hatte. Es war ihnen, als ob ihre Liebe sich nun erst recht anfinge, und alles vorherige Glück war in ihren Augen nur ein Traum.

Einen Abend sassen sie beysammen, und Herr von Rothfels kam dazu. Siegwart fieng vom Kloster zu reden an, daß die Antwort sich so lang verzögere – Weil wir eben vom Kloster und von Kapuzinern reden, sagte Rothfels, so fällt mir eine Geschichte ein, die ich dieser Tagen von einem Kapuziner hörte. Sie betrifft ein [984] Frauenzimmer und ist sehr traurig. Das wenige, mein Siegwart, was ich von Ihrer Geschichte, und von Ihrem Mädchen weiß, paßt ziemlich auf Sie. Ein Kapuziner, er heißt Bruder Klemens, kommt zuweilen zu mir, weil er unter guten Freunden ein Gläschen Wein nicht verschmäht. Neulich, eh das starke Gewitter kam, war er bey mir, und ward durch den Rheinwein etwas munter. Ich bat ihn, die Nacht bey mir zuzubringen, weil der Regen anhielt, und der Weg sehr verdorben war. Er ließ sichs gefallen. Als der Wein ihm noch mehr zu Kopf stieg, und wir auf die Nonnen zu sprechen kamen, fieng er an: Gestern hab ich in einem gewissen Kloster eins der schönsten und unglücklichsten Frauenzimmer gesehen; denn sie hat, so oft ich sie noch sah, immer geweint, und grämt sich gewiß bald zu Tod, und doch ists ein Mädchen, rein und unschuldig und schön, wie die Mutter Gottes. O ich möchte Blut weinen, wenn ich sie seh, oder an sie denke, denn ihr Schicksal ist sehr hart! – Er wollte mir nichts weiter sagen. Endlich erfuhr ich doch soviel: Sie sey mit Gewalt ins Kloster gesteckt worden, oder wenigstens hab eine unglückliche [985] Leidenschaft sie dahin getrieben; sie sey jetzt bald ein Vierteljahr da, und von ihrem Bruder und ihrer Schwägerin, die sehr hart mit ihr umgegangen seyn, dahin gebracht worden. – Das ist sie, das ist sie! rief Siegwart, indem er aufsprang, und dem jungen Rothfels um den Hals fiel. Um Gotteswillen, Rothfels, wo ist der Pater? Wo ist sie? Bringen Sie mich hin! Um Gotteswillen thuns Sies! Das ist Mariane; das kann niemand anders seyn u.s.w. Er zog Rothfels fast mit Gewalt aus der Stube, daß er ihn zu Marianen bringen sollte. Kronhelm und Rothfels hatten nur Mühe, ihn zurück zu halten, und ihm vorzustellen, daß hier die gröste Behutsamkeit nöthig sey, zumal da der Pater weder den Namen des Klosters, noch des Frauenzimmers, noch andre zuverläßige Kennzeichen angegeben habe. Inzwischen glaubten Kronhelm und Therese auch, daß das Frauenzimmer Mariane sey. Sie baten Rothfels, den Pater, sobald als möglich, noch genauer auszuforschen, und auf alle Umstände aufmerksam zu seyn. Deswegen erzählte ihm Siegwart seine ganze Geschichte, beschrieb ihm Marianen aufs kenntlichste, und bat ihn fast auf den Knien, sich die Sache, wie seine eigne, angelegen [986] feyn zu lassen, und die Unterhandlung aufs schleunigste zu betreiben. Kronhelm und Therese, die, natürlich! bey der Sache kälter waren, riethen ihm die größte Heimlichkeit und Behutsamkeit an, und Rothfels versprach, alles aufs möglichste zu beobachten.

Siegwart war nun wieder wie neugebohren. Alle sein Ueberdruß der Welt und der menschlichen Gesellschaft war vergessen. Er sah und hörte nichts, als Marianen; konnte keinen Augenblick an einem Ort bleiben, und kannte sich vor Freuden und ungeduldiger Erwartung selbst nicht mehr. Es war ihm jetzt schon genug, nur etwas von Marianen zu wissen. Alle andre Schwierigkeiten, wie er sie aus dem Kloster kriegen, und wie sie sein werden könnte, bedachte er jetzt gar nicht. Alles auf der Welt schien ihm möglich; nur die Zeit gieng ihm viel zu träg; er schien sie mit seinen Sehnsuchtsseufzern forthauchen zu wollen. Rothfels, der die Nacht in Steinfeld hatte bleiben wollen, muste, auf sein Zubringen, noch denselben Abend auf sein Schloß zurückreiten, um nur bald den Pater Klemens zu sprechen, und ihm sogleich weitere Nachricht zu geben.

[987] Kronhelm und Therese hingegen sahen noch tausend Schwierigkeiten vor sich. Denn fürs erste war es noch nicht ausgemacht, daß das beschriebne Frauenzimmer Mariane sey; und dann, wenn sies wäre, wie wollte Siegwart sie sprechen, und wie sie wieder aus dem Kloster los bekommen? Alle diese und noch hundert andre Bedenklichkeiten schwebten vor ihnen; sie beredeten sich darüber miteinander, und wünschten nur, dieselben nach und nach unserm Siegwart beyzubringen! Aber dieses war unendlich schwer. Wenn sie sich nur von ferne etwas merken liessen, so baute er entweder vor, oder gerieth in die heftigste Bewegung darüber; nannte sie kleinmüthig und ängstlich, oder warf ihnen vor, sie nehmen an seinem Schicksal keinen Antheil, und wollten sich seinem Glück entgegen setzen. Alles, was sie bey ihm ausrichten konnten, war, daß er seine Ungeduld etwas minderte, und ein klein wenig behutsamer wurde; denn er sprach immer, auch in Gegenwart der Bedienten, von Marianen und ihrer Entführung.

Zween Tage drauf, die er in der ungeduldigsten Erwartung zugebracht hatte, kam Rothfels wieder. Siegwart sprang ihm mit lautem Herzklopfen in den Hof hinab entgegen, und rief ihm zu: Wie [988] stehts? Rothfels winkte mit der Hand, weil zween Bediente gegenwärtig waren. Siegwart eilte mit ihm dis Treppe hinauf, und konnt es kaum erwarten, bis sie miteinander im Zimmer waren. Sie ists! sagte Rothfels. Es ist weiter gar kein Zweifel. Ist sies, ist sies? rief Siegwart, und fiel ihm um den Hals; aber weiter, weiter, bester Rothfels! Der Pater, fuhr dieser fort, war gestern Abend bey mir, und da erfuhr ich durch viele Umschweife, daß er der Beichtvater des Frauenzimmers sey, daß das Kloster Marienfeld, und das Frauenzimmer Mariane heisse, und eine Hofrathstochter aus Ingolstadt sey; daß sie unaufhörlich beth und weine, und künftiges Frühjahr eingekleidet werden solle. – Aber weiter, weiter! sagte Siegwart. Das ist nicht genug! – Weiter hab ich nichts erfahren können, antwortete Rothfels, aber doch hab ich den Pater Klemens so weit gebracht, daß er mir, nach vorhergegangenem Versprechen der tiefsten Verschwiegenheit, versprach, wenn er wieder ins Kloster komme, ein Briefchen von mir an das Frauenzimmer abzugeben, weil ich vorgab, ich sey nah mit ihr verwandt. Anfangs wollt er lang nicht dran, weil er sagte: Ich wolle wol der Kirche eine Braut stehlen, aber als [989] ich ihn auf meine Ehre versicherte, daß dieses gar nicht meine Absicht sey, weil ich ja schon eine Braut habe, gab er sich endlich zur Ruhe. Ueberhaupt hat er mehr den Schein eines eifrigen Religiösen, als ers in der That ist. Wenn er sich nur von seiner Seite in Sicherheit weiß – und darauf schwur ich ihm – so kann ich ihn brauchen, wie und wozu ich will; denn der Schalk weiß wohl, daß er von mir viel zu geniessen hat. – Wir müssen jezt nun sehen, was zu thun ist? Siegwart muß mir zuförderst einen Brief an Marianen geben; das übrige müssen wir von Zeit und Umständen er warten.

Siegwart war vor Freuden ausser sich; er umarmte Rothfels und Kronhelm tausendmal, und doch, als der erste Taumel vorbey war, schien ihm alles viel zu langsam zu gehen. Er wollte am Ziel seyn, eh er den Weg dahin beträte. Seine Freunde sprachen ihm soviel als möglich Geduld und Gelassenheit ein, und baten ihn, nur erst an Marianen zu schreiben. Er schrieb auch noch denselben Abend diesen Brief, und gab ihn Rothfels mit:

»Also lebst du noch, du Engel, und ich hab umsonst dich als todt beweint? Dank, ewiger Dank [990] sey dem Geber des Lebens und des Todes, daß er dich mir nicht entrissen hat, und daß ich hoffen kann, noch einmal dein zu werden! O du Theure, der lichte Stral der Hofnung hat mein dunkles Leben wieder aufgehellt, und mir gewinkt in meiner Trauer, daß ich wieder geh ans Licht des Tages, und mich froher Aussicht freue! Zwar du Engel traurst in düstrer Zelle? Aber deine Trauer soll nicht ewig währen! Der dich mir erhielt, der Gott der Liebe, wird dich wieder geben meinen Wünschen. Menschen wollten einem andern Bräutigam dich geben; und du hast schon einen Bräutigam, und er traurt und weint um dich. – Sey nicht treulos, meine Liebe! Eil ihm wieder zu mit deinen Küssen, die der Himmel billigt! – Bald will ich suchen, dich zu sprechen und zu retten. Hilf mir selbst dazu, und gib mir Antwort, nur in wenig Zeilen! Ich bin dir nah, bey meinem Schwager und bey meiner Schwester, die mit gutem Rath mich unterstützen. Bleib standhaft, o Geliebte, und vergiß mich nicht! Ich bin jeden Augenblick bey dir; meine Seele ist stets ausser ihrem Körper, und umschwebt dich. Bald hoff ich ganz bey dir zu seyn. Beth und glaub an die Vorsehung, und überlaß die Bedenklichkeiten mir! [991] Fürchte nichts vom Pater Klemens! Gib ihm nur bald deine Antwort! Sag, sie sey für Herrn von Rothfels deinen Anverwandten! Er ist ein junger Edelmann, hier in der Nachbarschaft, der die Schwester meines Kronhelm heyrathet, und sich unsrer treulich annimmt. Ewig dein Siegwart.«

Rothfels nahm den andern Morgen den Brief mit, und versprach, ihn aufs früheste und genaueste zu besorgen. Er hofte, den Pater Klemens noch so auf seine Seite zu bringen, daß man ihm einen Theil der Geheimnisse anvertrauen könne; denn gänzliche Verschwiegenheit sey die einzige Bedingung; wenn er dieser versichert sey, so sey er auch im Stand, alles zu unternehmen. Siegwart versprach von seiner Seite die möglichste Behutsamkeit und Vorsicht, nur bat er um die äusserste Beschleunigung der Sache, denn zitternde Ungeduld belebte jezt jede seiner Handlungen.

Therese erholte sich nun immer mehr, und konnte bey den schönen Herbsttagen schon zuweilen wieder einen halben Nachmittag im Garten zubringen. Kronhelms und ihre Glückseligkeit war nun wieder auf dem höchsten Gipfel. Seine Therese blühte wieder auf, wie eine Blume, die in der Sonnenhitze dahin gewelket war, und sich nun im Abende [992] und Morgenthau mit neuer Kraft und neuen Düften wieder aufrichtet. Kronhelm sah sein Ebenbild, den jungen Wilhelm an ihrer mütterlichen Brust liegen, und wenn er sich einen Augenblick entfernen muste, so küßte Therese in dem kleinen Liebling ihren theuren Kronhelm. Die Freude über ihre Widergenesung war im Schloß und im Dorf allgemein. Die Bäurinnen kamen eine nach der andern, um ihre liebe gnädige Frau wieder zu sehen, und ihr Glück zu wünschen. Die Bauren hielten an, ob sie nicht einen Tanz deswegen halten dürften? Kronhelm ließ ihnen Bier und Wein und Fleisch genug geben. Sie schickten durch etlich junge Mädchen, die sie, auf Anordnung ihres Geistlichen, als Schäferinnen gekleidet hatten, unter Musik von Geigen und Schallmeyen, einen, mit Kornblumen durchflochtenen Aehrenkranz, und ein Schaf, das das älteste Mädchen an einem rothen Band führte, wobey sie zugleich eine artige Glückwünschungsrede an Theresen hielt.

Siegwart ward durch diese allgemeine Freude, und noch mehr durch die Hofnung, seine Mariane bald wieder zu erhalten, wieder neu belebt. Er war mit der Welt fast ganz wieder ausgesöhnt, empfand die Schönheit der Natur, und das Glück [993] der menschlichen Gesellschaft wieder; seine Wangen wurden wieder roth, seine Augen wieder helle, und sein Herz erweitert. Aber die Ungeduld stürmte doch beständig in ihm, und sein Herz war immer nur halb da, wo sein Leib war.

Die Zeit, daß er nichts von Rothfels und von seiner Mariane hörte, ward ihm endlich zu lang. Er wollte eben an einem Nachmittag weg reiten, als Rothfels selber kam. Schon sein heitres Aussehn verkündigte gute Nachricht. Munter, mein lieber Siegwart! sagte er. Es wird alles gut gehen! Der Pater ist nun ganz auf unsrer Seite. Hier ein Brief von Marianen! Siegwart riß ihn zitternd auf, und las, so geschwind, daß er nach dem ersten Durchlesen kaum den Inhalt des Briefes wuste.


Mein Geliebtester!


Wie erstaunt ich nicht, als mir der Pater einen Brief von Ihrer Hand gab! Ich ward fast ohnmächtig bey dem Lesen. So sind Sie mir so nah, mein Theurester? Ach, was hab ich ausgestanden, seit ich von Ihnen getrennt bin! Doch Sie sollen nicht mit mir leiden. Und nun, mein Theurester, was ist anzufangen? Ich habe das Gelübde noch nicht abgelegt; aber ich werde hier streng bewacht. [994] Ich warf mich Gott in die Arme, um der Grausamkeit der Menschen zu entgehen; aber auch im Kloster sind Menschen, und es geht mir hart. Retten Sie mich, wenn Sie können! Ich weiß, Gott will nicht, daß der Mensch sich quäle; und hier halt' ichs nicht lang aus. Ich bin sehr schwach und entkräftet. Man verspottet mich, und hält mich hart, weil ich geliebt habe; weil ich dich geliebt habe, du Vollkommener! Gott kann nicht so grausam seyn, wie Menschen sind; darum darfst du mich aus ihrer Hand erretten.

Thun Sie, was Sie können! Ich kann nichts thun. Ich habe nur Eine Freundinn hier, der ich halb trauen kann, weil sie Mitleid mit mir hat. Es ist die Schwester Brigitta, die die Aufwartung im Kloster versieht. Machen Sie sich mit ihr bekannt; vielleicht kann sie ein Werkzeug meiner Erlösung werden. Aber um Gotteswillen behutsam! Sonst muß ichs entgelten. Sie darf nichts wissen, als daß wir uns zu sprechen suchen. Leb wohl, Theurester! Vielleicht gibt dich Gott mir wieder. Und das ist mein Gebeth, Tag und Nacht. Sonst kann ich nichts wünschen, als den Tod. Leb wohl, Geliebtester!

[995] Weinend gab Siegwart den Brief seinem Kronhelm in die Hand; Er selbst gieng ans Fenster, sah gen Himmel, weinte laut, und flehte Gott um Beystand an, Marianen zu erretten! – Rathet, Rathet! sagte er zu seinen Freunden, was ich thun muß? Der Gedanke, daß sie leidet, und um meinetwillen leidet, ist mir unerträglich; Rathet! daß ich bald sie retten kann. Soll ich mit Gewalt sie holen, oder mit List? Ihr müst rathen! Denn ich weiß mir nicht zu helfen; Ich bin ausser mir vor Freud und Schrecken.

Um Gotteswillen, nicht mit Gewalt! riefen Kronhelm und Therese. Du würdest sie nach einer Stunde wieder verlieren, und in Ewigkeit nicht wieder sehen. Ohne Behutsamkeit und List wird sie niemahls dein. – Ich habe schon darüber nachgedacht, fiel Rothfels ein. Siegwart muß sich in verstelter Kleidung nahe bey dem Kloster aufhalten, und auf Zeit und Umstände passen. Es fiel mir eine List ein, als mir Pater Clemens den Brief übergab, und ich suchte die Sache sogleich bey ihm einzufädeln. Wie wärs, wenn Siegwart eine Zeitlang als Gärtner bey mir wäre. Ich würde denn einmal mit dem Pater reden, daß er ihn im Kloster, wo man eben einen Gärtner nöthig hat, [996] empföhle? – Schön! Schön! riefen Kronhelm und Therese. Diese List kann gehen, wenn du Klugheit und Geduld hast, Bruder! – Ich will alles thun, versetzte Siegwart, was ihr mir befehlt. Wenns nur hurtig geht!

Es ward sogleich beschlossen, daß Siegwart noch denselben Abend mit Rothfels in Gärtnerkleidung auf sein Schloß fahren sollte. Man rieth ihm alle mögliche Behutsamkeit an; seine schönen langen Haare wurden ihm abgeschnitten; eine Gärtnerskleidung ward ihm angelegt, und er fuhr mit Rothfels weg, nachdem er mit tausend Thränen von seinen Freunden, die ihm alles mögliche Glück anwünschten, Abschied genommen hatte. Rothfels erfuhr unterwegs von Siegwart, daß er die Gärtnersgeschäfte sehr gut versehen könne, weil er in seiner Jugend mit Theresen beständig den Garten seines Vaters gebaut habe. Rothfels versprach, ihm bald Gelegenheit zu verschaffen, mit dem Pater zu reden, so, daß er noch diesen Herbst in die Klosterdienste treten könne. Siegwart bekam den Namen Georg, und trat gleich den folgenden Tag seinen Dienst in Rothfels Garten an. Er arbeitete den Tag über sehr ämsig, und wußte sich so gut in seinen neuen Stand zu schicken, daß kein [997] Mensch auf den Einfall kam, ihn für eine verkappte Person zu halten. Rothfels ließ ihn oft auf sein Zimmer kommen, oder sprach Abends mit ihm, und redete mit ihm ab, wie er sich im Kloster zu betragen habe. Siegwart gab ihm ein kleines Briefchen, worin er Marianen auf diese List vorbereitete, und auf den Gärtner Georg aufmerksam machte. Rothfels versprach ihm, bald den Pater in den Garten zu bringen; dann soll er sich traurig stellen, daß der Pater auf ihn aufmerksam werde, und ihm dann sein Anliegen vorbringen.

Einige Tage drauf kam Rothfels mit dem Pater in den Garten. Er entfernte sich bald darauf, unter dem Vorwand von Geschäften, und ließ den Pater allein. Siegwart machte sich in dem Gang, wo der Pater gieng, etwas zu schaffen; stellte sich sehr traurig an, wischte sich die Augen, und weinte. Der Pater fragte ihn, was ihm fehle? Ach lieber, wohlehrwürdiger Herr, antwortete Siegwart: Da hat mir heut mein Herr gesagt, er sey zwar mit meiner Arbeit sehr zufrieden, wie Sie ihn selbst fragen können; aber, weil er mit seinem vorigen Gärtner wieder eins geworden sey, so könn er mich nicht länger behalten; es fall ihm zu schwer, zwey Gärtner zu bezahlen; [998] und er ist so gar ein braver Herr; das geht mir nun nah, daß ich ihn verlassen soll! Und der Winter ist vor der Thür, und ich habe keinen Dienst und kein Brod. – Hier fieng er an, heftiger zu weinen – Ach, lieber wohlehrwürdiger Herr, Sie sind bey soviel Herrschaften und in Klöstern wohl bekannt, wüßten Sie mir nirgends ein Dienstlein? Sie könnten ein recht gutes Werk verrichten. Ich wollte mich gewiß billig finden lassen; und meinen Dienst kann ich versehen, so gut als ein Gärtner im ganzen deutschen Reich, wie mein gnädiger Herr gewiß selbst bezeugen wird. Wenn Sie mir doch helfen könnten! P. Klemens ward durch die Thränen des Gärtners gerührt, und versprach, in Marienfeld ein gutes Wort für ihn einzulegen. Rothfels kam, wie von ohngefähr dazu, und mischte sich ins Gespräch. Er lobte den Gärtner Georg sehr, sagte, er wünsch ihm selbst einen recht guten Dienst, wo er besser stünde, als bey ihm, und empfahl ihn dem P. Klemens. Dieser versprach, das Beste für ihn in Marienfeld zu thun, wo man eben einen Gärtner nöthig habe, und in drey oder höchstens vier Tagen wieder Antwort zu bringen.

[999] Siegwart freute sich mit Rothfels über den guten Erfolg seines Unternehmens, und am dritten Tage kam P. Klemens wieder, mit der Nachricht, die Aebtissin zu Marienfeld wolle den Gärtner Georg sprechen, und werde ihn vermuthlich in Dienst nehmen. Siegwart reiste mit der freudigsten Hofnung ab, und kam noch denselben Nachmittag zu Marienfeld an. Die Aebtissin ließ ihn ans Sprachzimmer kommen; er gefiel ihr, und ward auf P. Klemens Zeugniß mit einem ansehnlichen Lohn zum Obergärtner angenommen. Siegwart hätte sich vor übermäßiger Freude fast selbst verrathen, und seine Rolle vergessen. Er dankte der Aebtissin aufs feurigste, sein Herz schlug ihm sichtbar, und er sprang mehr, als er gieng, an seine Arbeit.

Wenn er im Garten arbeitete, so sah er sich wol tausendmal um, ob er seine Mariane nicht erblicke? Wenn er oben an den Klosterfenstern, die mit hölzernen Jalousieladen vermacht waren, sich etwas bewegen sah, so blickte er unbeweglich hin, weil er glaubte, seine Mariane stehe dran. Seine Brust war den ganzen Tag von einem unruhigen Sehnen belebt; es war ihm zu Muth, wie einem Neuverliebten; bald war er heiter, bald [1000] wieder traurig und weinte. Alle Abend legte er der Aebtissin am Sprachgitter Rechenschaft von seiner Arbeit ab. Sie schien täglich mir ihm zufriedener zu seyn. Zuweilen sah er noch mehrere Nonnen in dem Sprachzimmer. Die heftigste Unruhe quälte ihn, ob nicht seine Mariane mit unter den Nonnen sey? Aber vor dem Schleyer konnt' er sie nicht erkennen. Einmal hub eine von den Nonnen, die in der Ecke des Sprachzimmers stand, ihren Schleyer etwas auf. Es war Mariane. Ihr Gesicht war todtbleich. Er ward durch den Anblick wie vom Donner gerührt. Bald ward sein Gesicht feuerroth, bald todtblaß, er stotterte, gab der Aebtissin lauter verwirrte Antworten; seine Knie zitterten, daß er kaum mehr stehen konnte. Zu allem Glück ließ ihn die Aebtissin sogleich von sich. Er lief auf seine Kammer, und fiel halb ohnmächtig aufs Bette. Ein Strom von Thränen schaffte ihm endlich Erleichterung. Er warf sich auf seine Knie, und bethete so inbrünstig, als er fast noch nie in seinem Leben gebethet hatte, daß ihm Gott beystehen wolle, seinen Engel bald aus diesem Kerker zu erretten! Nun wußte er fast gar nicht mehr, was er that. [1001] Mariane stand unaufhörlich so vor ihm da, wie er sie im Sprachzimmer erblickt hatte; sie erschien ihm so in Träumen; aber nur selten konnte er schlafen. Noch Einmal glaubte er sie unter den Nonnen zu erblicken, aber sie hub ihren Schleyer nicht auf, und er blieb in der Ungewißheit.

Am nächsten Feyertag gieng er in die Kirche. Nach der Messe, welche P. Klemens las, machten die Nonnen auf dem Chor eine Musik. Erst ward ein Tutti gesungen, dann ein Solo. Mariane sangs. Er glaubte bey dem Klang ihrer Stimme zu vergehen; konnts nicht länger aushalten, und gieng aus der Kirche, weil er fürchtete, man möchte ihm seine heftige Bewegung ansehen! – Mit der Schwester Brigitte, die er oft im Garten und im Kloster sah, machte er sich bald bekannt. Das arme Mädchen schien an dem artigen Gärtner nur gar zu viel Wohlgefallen zu finden, und gieng ihm alle Schritte und Tritte im Garten nach. Siegwart kam dadurch in eine sehr unangenehme Lage, und mußte sich stellen als ob ihm an Brigitta sehr viel gelegen sey. Oft lag ihms schon auf der Zunge, daß er sich nach Marianen erkundigen wollte, aber Furchtsamkeit, sich zu verrathen, hielt ihn immer wieder zurück.. Er fragte nur [1002] von fern nach den verschiednen Klosterfrauen. Brigitte machte ihm eine allgemeine Beschreibung davon, und sagte, zu seinem grösten Misvergnügen, gerade von seiner Mariane am wenigsten, ausser, daß sie immer sehr blaß ausseh, und unaufhörlich traurig sey. Weil ers noch nicht für rathsam ansah, sich Brigitten anzuvertrauen, so schrieb er ein paarmal an Marianen, legte den Brief an einen Ort, wo ihn Rothfels, dem der Ort bezeichnet war, entweder selber abholte, oder durch einen alten Bedienten abholen ließ, und ihn so, durch Pater Klemens Hand, Marianen zuschickte. Sie wußte nun, daß ihr Geliebter ihr so nah, und als Gärtner im Kloster sey; aber sie fand doch keine Gelegenheit ihn allein zu sehen, oder gar zu sprechen, weil man auf sie sehr genau Acht gab, und ihr, welches Siegwart nicht wußte, Brigitten noch besonders zur Aufseherin bestellt hatte.

Einmal kamen die Nonnen, an einem sehr heitern Herbsttage, nach dem Mittagsessen mit ihrer Aebtissin in den Garten, als Siegwart eben hinter der Hecke stand, und die losgerißnen Zweige wieder an den Stangen fest machte. Er hatte sie noch nicht wahrgenommen, und sang bey der Arbeit sein Gärtnerlied, das er einst an einem traurigen [1003] Abend gemacht hatte, und seitdem beständig sang, in der Hofnung, daß ihn Mariane vielleicht zuweilen hinter dem Fenster zuhöre. Das Lied hieß so; und er sangs nach einer sehr traurigen Melodie:


Es war einmal ein Gärtner,
Der sang ein traurigs Lied.
Er that in seinem Garten
Der Blumen fleißig warten,
Und all sein Fleiß gerieth.
Und all sein Fleiß gerieth.
Er sang in trübem Muthe
Viel liebe Tage lang.
Von Thränen, die ihm flössen,
Ward manche Pflanz begossen.
Also der Gärtner sang!
Also der Gärtner sang!
»Das Leben ist mir traurig,
Und gibt mir keine Freud!
Hier schmacht' ich, wie die Nelken,
Die in der Sonne welken,
In bangem Herzeleid,«
In bangem Herzeleid.
[1004]
»Ey du, mein Gärtnermädchen,
Soll ich dich nimmer sehn?
Du must in dunkeln Mauren
Den schönen May vertrauren?
Must ohne mich vergehn,
Ach, ohne mich vergehn?«
»Es freut mich keine Blume,
Weil du die schönste bist.
Ach, dürft ich deiner warten,
Ich liesse meinen Garten,
Sogleich zu dieser Frist,
Sogleich zu dieser Frist!«
»Seh' ich die Blumen sterben.
Wünsch ich den Tod auch mir.
Sie sterben ohne Regen,
So sterb' ich deinetwegen.
Ach wär' ich doch bey dir!
Ach wär' ich doch bey dir!«
»Du liebes Gärtnermädchen:
Mein Leben welket ab.
Darf ich nicht bald dich küssen,
Und in den Arm dich schliessen,
So grab' ich mir ein Grab.
So grab' ich mir ein Grab.«

[1005] Ey wie schön, Gärtner! rief eine Stimme als er ausgesungen hatte; und indem er aufsah, erblickte er jenseits der Hecke in einem andern Gang die Aebtissin mit den andern Nonnen. Sein Schrecken war doppelt groß, theils wegen des Liedes, das er gesungen hatte, theils weil keine Mannsperson im Garten seyn sollte, wenn die Nonnen drinn waren. Aber die Aebtissin hatte dießmal selbst das Läuten vergessen, welches das Zeichen war, daß die männlichen Bedienten sich entfernen sollten. Er stand zitternd, und todtenbleich da, hielt die Mütze in die Hand, und bat stotternd um Vergebung. Plötzlich erblickte er zuhinterst eine Nonne, die der ganzen Stellung nach seine Mariane war; aber er sah auch ihr himmlisches, blasses Gesicht durch den Schleyer schimmern. Er konnte vor Zittern kaum mehr stehen, und ward noch verwirrter. Zum Glück für ihn hielt man die plötzliche Ueberraschung für die Ursache seiner Verwirrung. Die Aebtissin sprach noch ein paar Worte mit ihm, und ließ ihn dann gehen, welches ihm recht herzlich lieb war. Mariane befand sich auch in der äusserster Verlegenheit, und hatte Mühe, ihre Unruhe zu verbergen.

[1006] Brigitta hielt sich immer mehr zu Siegwart, und suchte, ihn so viel als möglich war, zu sprechen. Da er ihr Zutrauen so sehr gewonnen hatte, so hielt er dafür, es sey nun Zeit, sich wegen Marianens etwas genauer gegen sie herauszulassen; und dazu both sich nach etlichen Tagen die Gelegenheit von selbst an. Siegwart mußte, weil die Witterung rauh zu werden anfieng, die Blumentöpfe, und die Kübel mit den Pomeranzen – und Lorbeerbäumen ins Gewächshaus bringen. Brigitte hatte dazu den Schlüssel, und war gegenwärtig, als er die Kübel in Ordnung stellte. Weil die Handlanger ab – und zugiengen, um die Töpfe zu holen, so that sie, wenn sie allein mit ihm im Gewächshaus war, ziemlich vertraut gegen ihn, und ließ nicht undeutlich eine Neigung merken, das Kloster mit ihm zu verlassen. Siegwart warf dieses nicht weit weg, und machte ihr einige Hofnung dazu. Sie war darüber vor Freuden ausser sich; und nun fragte er, wie von ohngefähr, ob nicht ein Frauenzimmer von Ingolstadt in dem Kloster sey, die einem Hofrath Fischer angehöre? Auf ihre Bejahung, sagte er, er kenne sie wohl, und habe sechs Jahre bey ihrem Vater als Gärtner gedient. Er wünsche nichts mehr, als sie einmal allein zu sprechen, [1007] weil er ihr wichtige Dinge von ihrem Vater zu entdecken habe. Zu dieser Unterredung könnte ihm Brigitte am besten verhelfen. Sie machte anfangs grosse Schwierigkeiten, wegen der Gefahr, verrathen zu werden; endlich aber, als er ihr zu schmeicheln und zu liebkosen wußte, gab sie nach, und versprach, ihm die folgende Nacht in einem Winkel des Gartens eine Unterredung mit Marianen zu verschaffen. Darüber war er vor Freuden ganz ausser sich, umarmte und küßte Brigitten, die dieses sehr willig geschehen ließ, und ihn nochmals versicherte, ihm diese Gefälligkeit gewiß zu erzeigen.

Anfangs glaubte er, Marianen schon in dieser Nacht entführen zu können; aber bey längerer Ueberlegung fand er noch Schwierigkeiten. Es war schon ziemlich spät am Abend, und er zweifelte, ob er noch an Rothfels könne Nachricht gelangen lassen, daß dieser mit einer Kutsche vor dem Kloster warten möchte, um ihn mit Marianen aus dem Land zu bringen. Zudem war die Mauer des Klostergartens hoch, und er wußte noch kein Mittel, wie er über diese kommen könnte. Daher mußte er sich dießmal damit begnügen, seine Mariane nur zu sprechen, und hofte, bald wieder eine [1008] Gelegenheit zu finden, sie zu sprechen, und alsdann zu entführen.

Die längst gewünschte Nacht kam. Siegwart stand im Garten, und zitterte vor Ungeduld. Nach zehn Uhr, da die Nonnen alle schon im Bett lagen, ward die Klosterthüre, die in den Garten gieng, geöfnet. Mariane schlich sich in der Dunkelheit, dicht am Kloster, nach dem Winkel des Gartens, wo ihr Siegwart stand. Brigitte hielt innerhalb der Thüre Wache. Er schloß sie stillschweigend in den Arm, und wäre vor übermässigem Entzücken fast zu Boden gesunken. – Ach Mariane! Ach Siegwart! war alles, was die zärtlichen Verliebten jagen konnten. Nach den ersten feurigen Umarmungen konnten sie mehr sprechen. Gottlob! sagte er, daß ich dich wieder sprechen kann! Bald, bald sollst du ganz mein seyn! Wie ist dir? Wie lebst du? Traurig! war die Antwort. Ach Siegwart, ohne dich! Ich muß vergehen. Oft war ich schon sehr krank. – Bald wirds besser werden, meine Liebe! Wenig Tage noch. Hab Geduld, und hoffe! – Ach, Siegwart, was ist Hofnung? Doch, ich will Geduld haben. Ach, daß ich dich wieder habe! Kaum kann ichs glauben. Siegwart, Siegwart! ach [1009] was haben wir geduldet! Aber alles, alles ist vergessen, da ich dich, dich wieder habe! – Ich kann nicht sprechen, meine Liebe! Gott im Himmel, meine Mariane hab ich wieder. Küß mich! Küß mich! Möcht ich doch vor Liebe sterben! Mein, mein, mein! – Er drückte sie an sich, als ob er Eins mit ihr werden wollte. Sie weinten, und schluchzten laut. – Gott wird unser Schutz seyn, sagte er, und uns wieder vereinigen! Ach Mariane, ich weis nicht, wie mir ist? Ich möchte nur im Augenblicke sterben! – Und ich auch, du Theurer! Ach, mein Herz ist so beklommen! Wenn wir uns nur wieder sehen! – Gewiß, gewiß! und bald, und ewig! ach Mariane, Mariane! – Siegwart sagte kurz, daß er sie in wenig Tagen wieder sehen, und alsdann befreyen werde. Alle Anstalten seyen schon gemacht. Sie warnte ihn, gegen Brigitten behutsam zu seyn, und ihr nichts zu sagen, denn sie wage viel, und könnte sie leicht aus Angst verrathen. Sie trennten sich nach einer halben Stunde. Mariane wollte ihn nicht loslassen. Dreymal kehrte sie sich um, als sie schon gegangen war, und sank wieder an sein Herz. Mir ist, sagte sie, als ob ich dich zum letztenmale sähe! Ach, mein Herz ist so beklommen! Er suchte [1010] sie mit der nahen Hofnung zu trösten, und riß sich endlich mit Gewalt von ihr los, weil er fürchtete, Brigitten ungeduldig zu machen. Mariane kam weinend zu ihr; sie habe, sagte sie, traurige Dinge von ihrem Vater erfahren. – Siegwart schlich sich nach seiner Kammer. Die ganze Nacht konnte er nicht schlafen. Unaufhörlich weinte er vor Zärtlichkeit und Liebe, und ängstlicher dunkler Ahndung vor der Zukunft.

Den andern Morgen sprach er mit Brigitten. Mariane ist sehr niedergeschlagen und halb krank, sagte sie; er muß ihr traurige Dinge entdeckt haben. – Ja wohl traurige, war seine Antwort; das arme Frauenzimmer leidet viel. Nur noch Einmal machen Sie, daß ich sie sprechen kann! Bis dahin hoff ich, ihr angenehmere Nachrichten geben zu können; und dann wollen wir suchen, diesen Aufenthalt zu verlassen. Er nahm sie bey der Hand, und blickte sie zärtlich an. Sie erwiederte diese Blicke, und versprach, ihm noch einmal eine Unterredung mit Marianen zu verschaffen. Er war nun voll froher Hofnungen. Täglich erkundigte er sich nach Marianens Gesundheit. Sie sey sehr schwächlich, war die gewöhnliche Antwort, doch sey sie immer so gewesen. Brigitte lag ihm immer[1011] mehr an, Anstalten zu ihrer Flucht zu machen. Er versprach ihrs zuverläßig, und sagte, er erwarte nur noch eine Nachricht von Marianens Vater, und wenn er sie ihr gegeben habe, woll er suchen, mit ihr zu entkommen. Er sey Marianen schuldig, sein Versprechen zu halten, weil er sie als Kind noch gekannt, und viel Gutes von ihr genossen habe. Durch diese List machte er Brigitten immer begieriger, ihm bald noch eine Unterredung mit Marianen zu verschaffen, weil sie glaubte, nach derselben halt ihn nichts mehr im Kloster zurück.


Etlich Tage drauf kam er endlich einmal des Morgens mit Freuden zu Brigitten, und sagte, nun hab er Nachricht für Marianen und zwar eine sehr frohe; sie möchte nun machen, daß er sie auf den Abend sprechen könnte; und um dem Mädchen alle ängstliche Unruhe zu benehmen, möchte sie ihr doch dieses versiegelte Blatt worinn er ihr vorläufig Nachricht gebe, zustellen. Brigitte nahm das Blatt in die Hand, versprach, es Marianen zuzustellen, und sie Abends um 10 Uhr in den Garten zu bringen. Indem sie das Blatt noch in der Hand hielt, kam die Aebtissin um die Ecke des Kreuzganges, wo sie standen, herum; Siegwart [1012] lief erschrocken davon; Brigitte steckte das Blatt schnell ein, und sprach mit der Aebtissin.

Siegwart gerieth in die schrecklichste Angst; er fürchtete, die Aebtissin habe das Blatt gesehen, und sich zeigen lassen, und nun sey alles verrathen. In dem Blatt standen diese wenigen Worte:

»Bald, bald kommt die Stunde der Erlösung. Diese Nacht, meine Theureste, soll uns ewig vereinigen. Meine Hand zittert vor Erwartung. Brigitte bringt dich um zehn Uhr an den bestimmten Ort. Verbirg deine Freude! Bitte Gott um Beystand zur Erlösung! Verbrenne dieses Blatt!«

Er dachte hin und her, was aus dieser Ueberraschung werden wollte? Alles Schreckliche stellte sich seiner Seele vor. Er verwünschte den Augenblick, in dem er diese Zeilen geschrieben hatte. Ein paarmal wollte er schon zur Aebtissin eilen, ihr alles offenbaren, sich ihr zu Füßen werfen, und sie um Mitleid anflehn. Aber dann dachte er wieder: Vielleicht stell ich mirs zu arg vor; vielleicht hat die Aebtissin auf das Blatt nicht geachtet. In dieser schrecklichen Unruhe gieng er im dunkelsten Gang des Gartens hin und her, als er Brigitten mit rothgeweinten Augen kommen sah. Er [1013] gieng zitternd auf sie zu. Gott, wie stehts? rief er, hat die Aebtissin es entdeckt? – Ach nein, sagte sie, die Aebtissin hat nicht das geringste gemerkt; aber einen andern Schrecken hat er mir gemacht. Was muß er doch Marianen geschrieben haben? Sie ward ohnmächtig, als sie den Brief las, und ist jetzt noch sehr matt. Hätt ich mich doch niemals damit eingelassen! Wären wir doch schon fortgegangen! Morgen, morgen! sagte Siegwart hastig; aber kan denn Mariane auf den Abend doch kommen? Sie will, antwortete Brigitte, wenn sie Kräfte genug hat. Halt er sich nur um zehn Uhr gefaßt! Aber aus unsrer Flucht wird nun wohl nichts werden. Ich beschwör ihn bey der Mutter Gottes! daß er keiner Seele nichts entdeckt! Ich wär auf mein ganzes Leben un glücklich. Siegwart suchte sie, wegen dieser Sache, soviel als möglich, zu beruhigen, sie wollte sich aber keinen Muth einsprechen lassen, und bat ihn nur, sie nicht zu verrathen! Er schwur es ihr bey allen Heiligen, und bat sie für Marianen Sorge zu tragen, und sie auf den Abend gewiß zu bringen!

Er gieng in noch grösserer Unruhe weg, und konnte sich ihr Betragen nicht erklären. Doch [1014] machte er alle mögliche Anstalten, schrieb an Rothfels, daß er um 10 Uhr mit der Kutsche an der Gartenmauer warten soll, und gieng in das Wirtshaus im Dorf, um den Brief durch einen Knaben, den er schon öfters dazu gebraucht hatte, nach Rothfels zu schicken. Zu gutem Glück traf er da Rothfels alten Bedienten selbst an, der von Zeit zu Zeit an dem bestimmten Ort sah, ob kein Brief da liege? Er nahm den Bedienten auf die Seite, und bat ihn, den Brief sogleich seinem Herrn einzuliefern. Im Garten halte er schon seit ein paar Tagen die Vorsicht gebraucht, an der Mauer, in dem Winkel, wo Mariane hinkam, hinter alten Bretern eine Leiter zu verbergen. Er gieng wieder ins Kloster, und sprach gegen Abend Brigitten noch einmal. Sie weinte wieder, versicherte ihn aber doch, daß es mit Marianen besser stehe, und daß sie um 10 Uhr in den Garten kommen werde.

Er lag in seiner Kammer auf den Knien, und bat Gott um Marianens Genesung, und um seinen Beystand. Als es dunkel wurde, legte er die Leiter an die Mauer an, und blieb in der unruhigsten Erwartung im Garten. Die Nacht war sehr dunkel, stürmisch, und regnerisch. Um 9 [1015] Uhr sah er alle Lichter im Kloster auslöschen. Um halb 10 Uhr hörte er ausserhalb der Mauer sich etwas bewegen. Er stieg auf die Leiter, und sah aussen die Kutsche, und einen zu Pferd dabey, und auch ausserhalb eine Leiter angelegt. Um 10 Uhr gieng endlich die Klosterthüre auf. Sein Herz schlug ihm laut, er konnte sich nicht halten, und gieng einige Schritte weit vorwärts in den Garten. Eine Nonne kam heraus: er hielts für Marianen und lief zitternd auf sie zu; aber es war Brigitte. Jesus, Maria! sagte sie; eben liegt Mariane in den letzten Zügen; mach er, daß er fort kommt. – Gott im Himmel! rief er aus. – Indem ward die Thüre wieder geöfnet, und drey oder vier Nonnen stürzten heraus. Er sprang, ohne daß ers wuste, fort, indem Brigitte einen Schrey that. Wie der Wind flog er die Leiter hinauf, warf sie mit dem Fuß um, und die Leiter auf der Aussenseite hinab. Fort, fort! rief er, sie ist todt! Zween Bedienten nahmen ihn in den Arm, schmissen die Leiter um, und schieppten ihn in den Wagen. Kommt nichts mehr? sagte der Mann zu Pferd. Nein, rief Siegwart, fort, fort! Indem flog der Wagen, wie der Wind davon. Siegwart lag ohnmächtig drinnen. Sie [1016] waren eine Stunde weit gefahren, als der Mann vom Pferd ab stieg, einen Bedienten drauf sitzen ließ, und sich in den Wagen setzte. Es war Rothfels. Siegwart war wieder etwas zu sich selbst gekommen. Wo ist denn Mariane? fragte Rothfels. – Todt, todt! versetzte Siegwart. – Fahrt nach Steinfeld! rief Rothfels zum Kutscher; so schnell, als ihr könnt! Der Wagen fuhr über das Feld hin nach der Landstrasse.

Gegen zwey Uhr morgens kamen sie in Steinfeld an, ohne daß Siegwart über zwanzig Worte mit Rothfels gesprochen hatte. Man weckte den Bedienten, der unten schlief, mit so wenig Lärm, als möglich; so, daß Kronhelm und Therese nicht aufgeweckt wurden. Man legte unsern Siegwart in ein Bette, wo er in einer Art von Schlummer bis gegen Morgen halb sinnlos lag. Bey Anbruch des Tages erwachte er; nun sah er erst, daß er in Steinfeld war; alles übrige, was sich die vergangne Nacht mit ihm zugetragen hatte, kam ihm noch wie ein Traum vor. Nach und nach kam zu seiner Qual alles in sein Gedächtniß wieder zurück, und er fühlte nun die Gewißheit und die Größe seines Verlustes nur zu lebhaft. Der Gedanke, [1017] an den Tod seiner Mariane fuhr wie ein Blitz durch seine Seele, und er stürzte sich auf seine Knie und rief, indem ihm dicke Thränen aus den Augen schossen: Heiliger Gott, du hast sie mir genommen! Nur noch Einen Wunsch hab ich auf Erben: Laß mich sterben! Heilige Mutter Gottes, bitt für mich, und laß mich sterben! – Ach Mariane, Mariane, tiefer, indem er aufsprang, und die Hände rang. Ach Vollendete, diese erste Thräne widm' ich dir. Bald wird auch die Aetzte rinnen. – Noch vor wenig Tagen.. ach du Heilige.. vor wenig Tagen lagst du mir am Herzen.. und nun bist du todt, todt, todt! – – Trostlos gieng er nun aufs neu umher; warf sich wieder auf die Erde, bethete still, doch so, daß die Lippen sich bewegten; und, nachdem er ausgeweint hatte, sank er in einen Gessel, und fiel in eine Art von Betäubung..

Kronhelm, der von Rothfels schon vorbereitet war, trat nach einer Stunde leise in sein Zimmer. Siegwart sah ihn ein paar Sekunden stier an, fuhr auf, gieng eilig auf ihn zu, drückte ihn fest ans Herz, und rief mit grosser Heftigkeit: Bruder, Bruder! Kronhelm konnte lange nichts sprechen, und führte ihn wieder nach dem Stuhl. Endlich [1018] sagte er: Ich bedaure dich unendlich. Gott, was ist das für ein Schicksal! Siegwart sich seinen Schwager lang unbeweglich an. Endlich schossen ihm die Thränen in die Augen; er stand auf, und verbarg sein Gesicht an Kronhelms Busen. Bruder, sagte er, hast du Trauerkleider? Ich bitte dich, leih sie mir! – Kronhelm ließ sie ihm, nach langem Weigern, bringen. Siegwart zog sich ganz schwarz an, und verlangte, seine Schwester zu sprechen. Kronhelm sagte, sie schlafe noch; als aber Siegwart sich nicht abhalten lassen wollte so sprang er voran, um seine Frau auf die traurige Nachricht vorzubereiten. Therese war eben aufgestanden, und ihr Bruder trat ins Zimmer. Er umarmte sie, sprach kein Wort, und weinte bitterlich. Therese konnte vor Thränen auch nicht sprechen. Endlich erzählte er in wenig Worten seine ganze traurige Geschichte, und versank wieder in Stillschweigen, und anscheinende Gefühllosigkeit.

Im ganzen Schloß war eine allgemeine Trauer, weil Kronhelm und Therese traurig waren. Rothfels hatte noch die Vorsicht gebraucht, Kronhelms Bedienten, Marx, nach Marienfeld zu schicken, und sich heimlich zu erkundigen, ob eine junge [1019] Nonne im Kloster gestorben sey? Er kam den andern Tag mit der Nachricht wieder: Eine junge Nonne sey gestorben, und die Schwester Brigitte sey – man wisse nicht warum? – ihres Dienstes entsetzt, und eingeschlossen worden. Man erzählte dieses unserm Siegwart nicht, um nicht seinen Schmerz aufs neu rege zu machen. Er fragte auch nicht darnach, weil er Marianen schon gewiß für todt hielt.

Kein Mensch wagte es, den niedergedrückten Siegwart zu trösten; denn für ihn war kein Trost auf Erden mehr. Mann konnte auch fast gar nichts mit ihm sprechen, weil er von zehn Fragen kaum Eine beantwortete. Er sah immer seine Trauerkleider an, und weinte. Am dritten Morgen suchte er seine Briefschaften sehr sorgfältig durch, verbrannte alle seine Papiere, und band blos die Briefe von Marianen mit einem perlenfarbnen Band zusammen, das sie ihm einmal geschenkt hatte; auch legte er das Sückchen Tafft dazu, das sie ihm einmal gegeben hatte, seinen Finger zu verbinden. Ihren Ring trug er am Finger.

Hierauf gieng er zu Kronhelm, und sagte: Hast du Briefe von – –? Kann ich nun ins Kloster? Kronhelm, der indessen Briefe bekommen hatte, [1020] wagte es nicht, ein Wort zu sagen, um ihn von seinem Entschluß abzubringen, und sagte: Ja, ich habe Briefe vom Pater Guardian; man erwartet dich. Hier ist auch ein Brief vom Pater Anton. Siegwart brach ihn auf, las ihn hastig durch, weinte heftig, und drückte ihn mit den Worten an den Mund: O du Heiliger, wie bin ich solcher Liebe werth? – Nach einer Pause wendete er sich zu Kronhelm: Willst du mir morgen deinen Wagen nach dem Kloster leihen? – Schon so früh? fragte Kronhelm. Ach Geliebter, war die Antwort; hab ich doch genug in dieser Welt gelebt. –

Kronhelm sagte Theresen, daß ihr Bruder morgen schon ins Kloster wollte. Sie weinte, aber sie wagte es auch nicht, ihrem Bruder abzurathen. Also machte man die traurige Anstalt zu seiner Abreise. Siegwart bat sich von Kronhelm als die letzte Gabe die Trauerkleider aus, die er hatte. Kronhelm konnte ihm vor Thränen nicht antworten. Er, seine Frau, ihr Bruder, und Rothfels fassen den letzten traurigen Abend bey sammen. Keines konnte sprechen; endlich fieng Siegwart, sehr gerührt, selber also an: Meine Lieben! Weinet nicht zu sehr! Bald hats ein Ende. Kronhelm,[1021] du hast viel gelitten, und auch du, Therese; und doch nahms ein Ende. Und doch seyd ihr noch so fern vom Grab, wo alles Leiden aufhört, und ich bin ihm schon so nah. Hat doch Mariane ausgelitten; warum sollt ich nun nicht alles tragen? Damals wars noch schwer, als ich mit ihr trug, und sie mit mir, aber nun ... ist alles leicht ..... Ach, daß ich euch trösten muß! Ihr verliert nur mich, und Ich habe sie verlohren.. Lieben Freunde, ihr habt viel gethan an mir.. und besonders Sie, mein Rothfels, in den letzten Tagen. Gott vergelts Euch! ... wärs auf Euch angekommen, ich wäre glücklich. Gott hats anders gewollt, und ich murre nicht. Ist sie doch in der Hand des Allmächtigen, und wird mir bald entgegen kommen.. Darum tröstet Euch! Ich werde glücklich.. Glaubet mir, im Himmel werd ich ihr erzählen, was ihr an mir thatet. Gott wirds segnen. Ich kann nichts vergelten. Diese kurze Zeit noch, daß ich lebe, will ich für Euch bethen. –.. Warum weinest du, mein Kronhelm, und du, meine Schwester? Soll ich mit euch weinen? Ja, ihr wart mir lieb und theuer; ach, ihr wißt es selbst, wie mein Leben euch zu Dienste stand! ... Aber nun ists aus; nun gehör [1022] ich Gott.. und meinem Engel.. und es wird bald ausgeweint seyn ... – Hier konnt er vor Schluchzen nicht weiter reden. Allen wars, als ob das Herz ihnen bersten wollte.. Siegwart nahm ein Glas mit Wein, und sagte: Seht! meine Thränen fliessen in den Wein. Es sind Thränen der Freundschaft, der Trennung und des Danks. Jedes trink' und wein' in das Glas! Trink, mein Kronhelm, und du, meine Schwester, und du, mein Rothfels! ... Gebt nun mir das Glas, und laßt michs vollends leeren!.. Und nun gebt mirs mit, daß es mir heilig sey, bis an mein Ende! ... O, Gott segn euch, meine Lieben, für die vielen Thränen!.. Kronhelm, du begleitest mich, das weis ich.. Und dich, meine Schwester, seh ich wieder. Du besuchst mich, wenn du stärker bist: und auch meinen Rothfels seh ich wieder. Vielleicht zieht sich noch mein Leben ein paar Jahre hin. Ich bin nah bey euch, und seh euch wieder ... Darum weint jetzt nicht so sehr!.. Therese, morgen küß' ich noch einmal dein Kind, wenn es schläft. Allen Segen des Himmels will ich ihm erflehen ... Ich bitte dich, sieh mich morgen nicht mehr! Du bist schwach und ich muß stark seyn, denn ich geh ja ein ins Land der Ruhe. –

[1023] Therese versprach, ihn Morgen nicht zu sehen. Er drückte sie mit Schluchzen an sein Herz. Beyde konnten nicht sprechen.

Den andern Morgen um vier Uhr gieng Siegwart in das Zimmer, wo Theresens Kind schlief. Er küßte den kleinen Engel, und muste weggehn, um das Kind durch sein Schluchzen nicht zu wekken. Gott, rief er aus, wie ruhig schläft es! warum können wir nicht Kinder bleiben? – Hierauf setzte er sich mit Kronhelm in den Wagen, und fuhr weg. Sein übriges Vermögen, was er nicht ins Kloster mitnahm, vermachte er seiner Schwester Salome die hm tausend Thränen nachweinte. Rothfels blieb zurück, um Theresen zu trösten.

Er war im Wagen ruhiger und stärker, als man erwarten konnte. Der Gedanke ans Kloster war etwas Neues, und beschäftigte seine Seele; auch der Gedanke an den nahen Tod tröstete ihn. Seine Seele ward stärker, je schwächer er seinen Körper fühlte.

Kronhelm rieth ihm, seine Geschichte sorgfältig zu verbergen, weil sie ihm im Kloster schaden könnte. Siegwart versprachs; nur meinem lieben Pater Anton, sagt' er, kann ich nichts verhelen. [1024] Er soll der Vertraute meines Jammers seyn, bis das Grab mich einschlieft.

Den Nachmittag kamen sie im Kloster an. Kronhelm ließ dem Guardian durch den Thorwart seine, und seines Schwagers Ankunft meiden. Der Guardian empfieng sie mit der grösten Freundschaft, und erinnerte sich unsers Siegwarts wieder mit Vergnügen. Wir dachten schon, sagte er, Sie hätten uns vergessen, weil uns Pater Philipp keine Nachricht mehr von Ihnen geben konnte. Beym Namen: Pater Philipp fieng unserm Siegwart das Herz an, zu schlagen; denn er hatte wirklich bey den mancherley Zerstreuungen, und den vielen Leiden der Liebe, schon seit langer Zeit kaum an Pater Philipp gedacht, geschweige denn an ihn geschrieben. Weil Kronhelm sah, daß diese Anrede seinen Schwager in Verlegenheit setzte, so nahm er an seiner Statt das Wort, und sagte: Siegwart habe eine Zeither viel geutten; aber doch sey ihm das Kloster niemals aus dem Sinn gekommen, ob er gleich nicht im Stand gewesen sey, dem Pater Philipp Nachricht von sich zu gehen.

Sie waren kaum etliche Minuten da, so kam der redliche Pater Anton, der von, Siegwarts Ankunft gehöret hatte, ins Zimmer. Siegwart flog [1025] ihm entgegen und in seinen Arm. Mein Vater! Mein Sohn! riefen sie zu gleicher Zeit aus, und weinten.

Der Pater Guardian fragte hierauf unsern Siegwart, ob er nun im Ernst gesonnen sey, ins Kloster zu treten! und auf seine Bejahung ließ er ihm seinen Aufenthalt bey zwey andern Novizien anweisen. Kronhelm blieb noch denselben Tag da, und schlief draussen vor dem Kloster bey dem Klosteramtmann. Nachdem er mit dem Guardian wegen des Geldes, das Siegwart mit ins Kloster bringen sollte, alles in Richtigkeit gebracht hatte, so gieng er am Abend mit dem Pater Anton und seinem Schwager im Klostergarten spatzieren. Diesem kamen alle die Empfindungen wieder ins Gedächtniß, die er ehemals in seiner glücklichern Jugend hier gehabt hatte. Er erinnerte sich seines seligen Vaters, mit dem er das erstemal hier gewesen war, und des verstorbnen rechtschaffnen Pater Gregors. Gott, wie war jezt alles ganz anders! Es war ihm nicht möglich, ein Wort vorzubringen; er konnte nichts als schluchzen. Der Schmerz und die gewaltige Bewegung drückten ihn fast zu Boden. Pater Anton und sein Kronhelm, zwischen welchen er gieng, konnten auch nichts sprechen; [1026] Anton, vor grosser Freude, weil er seinen lieben jungen Freund wieder sah; Kronhelm, weil er seinen Schwager, seinen innigsten und treusten Freund, hier in seinem trostlosen Jammer allein zurücklassen sollte.

Kronhelm kam den andern Morgen zu seinem Siegwart, um Abschied von ihm zu nehmen. Lange stund er bey ihm, und konnte doch kein Wort sagen. Oft wollte er anfangen, aber die Worte starben ihm auf der Zunge. Endlich fieng Siegwart selber an: Unsre Therese wird wohl auf dich warten. Gib ihr diesen Kuß in meinem Namen? Bruder, du bedaurst mich; aber komm ich doch dem Grabe immer näher. Ist doch schon das Kloster ein Grab auf der Welt für die Lebendigen ... Leb wohl, hab Dank für alle Liebe! ... Hier erstickten Thränen seine Reden. Kronhelm fiel ihm um den Hals. Leb ewig wohl! sagte er, besuch uns! Gott stärke dich! ... Er riß sich von ihm los, und wollte allein wegeilen. Aber Siegwart folgte ihm nach bis an den Kutschenschlag. Sie umarmten sich; Kronhelm stieg ein, zog das Kutschenglas auf, und fuhr weg.

Nun eilte Siegwart auf die Zelle seines lieben Pater Anton, und ließ seinem Schmerz und seinen [1027] Thränen freyen Lauf. Anton ließ ihn ausweinen, und versuchte es nicht, ihn zu trösten. – Verzeihen Sie, sagte Siegwart, ich weine nicht um die Welt; sie hat keine Freuden mehr für mich. Ich habe viel gelitten, theurer Vater! ach, unaussprechlich viel. Sie sollen alles wissen, aber jetzt nicht! Jetzt kann ich nichts, als weinen. – Getrost, mein Sohn! sagte Pater Anton; Du sollst Ruhe finden! Ich hab auch viel gelitten. Will dirs auch erzählen. Du sollst viel aus meiner Geschichte lernen. Sie ist auch traurig; aber fremde Leiden sind ein Trost für den Unglücklichen. Ich hab endlich Ruh gefunden; Gott gebe sie dir auch!

Siegwart gieng auf seine Zelle, stützte sich auf seine Hand, und dachte nun zum erstenmal wieder an seine Mariane. Er sah alles in der Zelle an. Gott! dachte er, in einem solchen engen, trüben Aufenthalt hat mein Engel, die Vollendete, geduldet und ausgerungen. Gott! um meinetwillen! – Gern will ich auch alles dulden. Hier auf diesem Bette soll mein Geist den letzten Kampf kämpfen, und sich dann, aus dieser Zelle, aufschwingen, und auf ewig bey ihr seyn ... Ewig, Ewig..! O! was sind die Leiden dieser Zeit: Heilige, gern will ich dulden; denn ich soll ja ewig, ewig, bey dir [1028] seyn! – So schwärmte er sich in überirrdische Empfindungen hinein, und vergaß Welt, und alles um sich her.

Der Guardian und die andern Paters begegneten ihm mit Freundschaft und Liebe, und unterschieden ihn da er mehr Vermögen mit ins Kloster brachte, sehr von den beyden andern, die mit ihm das Noviziat antreten sollten. Der Eine, Bruder Porphyr, war ein feuriger, oft ausgelassener Jüngling, der eher zum Herrschen, als zum Gehorchen gebohren war, und besser einen Officier, als einen stillen und geduldigen Mönch abgegeben hätte. Aber sein Vater hatte mehrere Kinder und ein mässiges Vermögen. Also hielt ers für ein Glück, daß sein Sohn hier eine Versorgung finden sollte. – Der andre Bruder Isidor, war ein dummer, schläfriger Mensch, der sein Leben so hinträumte, ohne viel dabey zu denken. Seine Mutter, ein bigottes Weib, hatte ihn, weil sie bey seiner Geburt fast starb, von Jugend auf zum Mönch bestimmt, und ihm schon, als Knaben, eine Kapuzinerkutte angelegt. Fragte man den Knaben, was er werden wollte? so sagte er: ein geistlicher Herr. Die Mutter sagte ihm, im Kloster könn er ohne viele Müh ein Heiliger werden; und dem Knaben war [1029] alles recht, was nicht viele Mühe kostete. Der Beichtvater seiner Mutter, ein Kapuziner, kam oft in sein Haus. Sein dicker Bauch gefiel ihm, und seine Erzählungen von der Ruh im Kloster wurden von dem Knaben begierig angehört. Man that ihn auf die Schule; er lernte da so wenig, als er brauchte; auf der Universität in Dillingen trank er sein Glas Bier in Ruhe, und gieng nun, als er alt genug war, ins Kloster.

Keiner von beyden war für unsern Siegwart geschaffen. Bruder Porphyr wollte immer nur lustige Universitätsstückchen von ihm wissen, und war ihm mit Erzählungen seiner Streiche, die er in der Welt getrieben hatte, lästig. Wenn Siegwart in tiefer Melancholie da saß, und mit seiner Seele ganz bey Marianen war, so rüttelte er ihn, und wollte ihn durch Spaß munter machen; und einem Traurigen ist nichts widriger, als eine unzeitige Lustigkeit. – Isidor sprach gar nichts, schlief gröstentheils, oder saß unthätig und gedankenlos da, und nahm an gar nichts Antheil. Siegwart nahm also seine Zuflucht zur einsamen Andacht, der er, so lang die Witterung noch gelind war, in einer Grotte im Garten pflegte; oder er schrieb kurze Aussatze, die an Gott oder Marianen gerichtet waren; oder [1030] er saß bey seinem lieben Pater Anton auf der Zelle. Gleich in den ersten Tagen erzählte er ihm, mit tausend Thränen, und aufs unpartheyischste seine Geschichte. Der alte Mann, der der Welt schon ganz abgestorben war, wurde oft im Innersten dabey bewegt, und nahm an Marianens und an seines jungen Freundes Schicksal soviel Antheil, als ein Jüngling. Er war offenherzig genug unserm Siegwart verschiedne Abende nach einander seine ganze Geschichte, die oft sehr traurig war, zu erzählen, und ihm auch die Verirrungen, in die er sich verwickelt hatte, nicht zu verschweigen. Unser Siegwart hörte ihm mit tiefer Rührung zu; oft vergaß er dabey seiner eignen Unglücksfälle; oft aber ward er wieder durch die entfernteste nur anscheinende Aehnlichkeit aufs lebhafteste an seine eignen Schicksale erinnert, so daß Anton manche Viertelstunde in der Erzählung inne hielt, und mit ihm weinte.

Siegwart konnte nicht begreifen, wie ein Mann, der soviel ausgestanden hatte, wie Pater Anton, mit seinem empfindungsvollen, tieffühlenden Herzen nicht nur solche Leiden überleben, sondern wieder zu einer solchen Ruh gelangen könnte; er äusserte auch seine Verwunderung darüber, und [1031] glaubte, ihm würde dieses nicht möglich seyn. Lieber Xaver, sagte Anton, ich habs auch nicht geglaubt, als der Schmerz noch neu in meiner Seele, und ich noch ein Jüngling war. In der Jugend fühlt man alles noch so stark, und traut sich auf der einen Seite zu wenig, und auf der andern zu viel zu. Leiden glaubt man nicht tragen zu können. Jede Leidenschaft, glaubt man, müsse diesen Körper gleich zertrümmern; aber in der Jugend kann der Körper weit mehr tragen, als im Alter. Drum gab Gott, dem das Leben eines Menschen theuer ist, uns gewöhnlich nur so lang starke Leidenschaften, als der Körper stark genug ist, ihre Erschütterungen zu tragen. Mit dem Wachsthum der Jahre nehmen sie ab, und die Reizbarkeit der Empfindung auch. Siehst du, Freund, so wird der Alte ruhig, in dessen Brust es vorher noch so sehr gestürmt hat. Die Jugend half ihm die Stürme aushalten, und nach dem Sturm kommt Ruhe. Also ist sie sehr natürlich, ob es gleich auch eine künstliche Ruhe giebt, die von guten Grundsätzen, von Erfahrung, Philosophie, und Anwendung der Religion erzeugt wird. Der Welt wäre schlecht geholfen, wenn Unglück des Herzens jeden Jüngling sogleich tödtete; denn [1032] mehrentheils sind die Jünglinge, die tief empfinden, deren gröstes Unglück ihr zu fühlendes Herz ist, die edelsten, die der Welt am meisten dienen können. Du bist also dich der Welt noch schuldig, und must auf deine Selbsterhaltung denken! Ich weiß wohl, daß der Wunsch nach dem Tod, und das heißt Sehnen darnach, dir, und dem Jüngling überhaupt sehr natürlich ist. Der Jüngling liebt alles Neue, Ungewöhnliche und Feyerliche, und was ist feyerlicher als der Uebergang aus diesem Leben in ein anderes, uns so wenig Bekanntes! Der öftere Gedanke an den Tod wird uns zuletzt gewöhnlich; das Lachende verliert sich, und wir sehn den Tod als ein Beingerippe an, vor dem man sich destomehr entsetzt, je näher man ihm kommt. – Ich gestehs, du hast viel ausgestanden; Marianens Verlust muß dir unaussprechlich schmerzlich, und der Gedanke, wieder mit ihr vereiniget zu werden, muß dir der süsseste seyn; aber, lieber Freund, zu sehr und zu lebhaft must du ihm nicht nachhängen! Denn darüber würdest du unbrauchbar für die Welt und für das Kloster, in dem du jetzt doch ein Mitglied werden willst. Du würdest nach und nach deine Gesundheit und dein Leben[1033] schwächen, über das du doch nicht soviel Gewalt hast, daß du es ablegen kannst, wann du willst. Glaub nicht, daß für dich kein Glück und keine Ruhe mehr auf Erden ist! Gott, der dieses dir genommen hat, kann dirs wieder geben, und aus Erfüllung unsrer Pflichten fließt die meiste Ruhe.

Siegwart weinte, und versprach, seinen Verdruß des Lebens, wo möglich, zu besiegen, wenigstens nichts vorzunehmen, was seinen Tod beschleunigen könnte. Er sprach jetzt weniger vom Tode, wenn er bey seinem lieben Pater Anton war. Er sah wohl ein, daß er schuldig sey, für seine Erhaltung zu sorgen, und sich nicht dadurch zu schwächen, daß er seinem Gram beständig nachhieng. Aber doch betäubte sein Gefühl gewöhnlich seine Ueberzeugung; er konnte sich, zumal wenn er allein war, selten aus seiner Melancholie herausreissen; oft dachte er halbe Nächte durch an seine Mariane; sie schien ihm wachend und im Schlummer zu winken, und dann bemächtigte sich seiner ein ungeduldiges Sehnen nach dem Tod; er bat Gott darum mit lautem Weinen; und dann machte er sich selber wieder Vorwürfe, und bath Gott seinen Fehler ab.

[1034] Nach drey Wochen, die er nun im Kloster zugebracht hatte, ward ihm vor dem Altar die Kleidung angelegt. Sein schwarzes Kleid, das er in der Kirche ablegte, ward mit einer braunen Kutte vertauscht, und das Noviziat fieng sich an. Er bekam den Klosternamen Georg. Er mußte nun alle die Geschäfte und Uebungen des Gehorsams antreten, die ein Neuangehender im Probejahr auszuhalten hat. Der damalige Novizmeister war ein strenger und wunderlicher Mann, der den Novizien oft lächerliche Uebungen auflegte. So mußten sie, zur Uebung im Gehorsam, Holz aus der Holzkammer holen, und wenn sie ziemlich viel geholt hatten, mußten sie es wieder zurücktragen. Es ward ihnen warmes Essen vorgesetzt, und wenn sie eben essen wollten, ward es wieder weggenommen, und sie mußten trocknes Brod essen. In der Bibliothek mußten sie im kalten Winter die Böcher aus einem Schrank in den andern setzen, und dann wieder zurück in den vorigen Schrank tragen; kurz: immer Arbeiten ohne Zweck verrichten.

Dem Bruder Porphyr gefiel dieses sehr übel. Er beklagte sich oft darüber gegen unsern Siegwart, und sagte, daß er dieses nicht aushalte, und [1035] in einem halben Jahre geh er wieder aus dem Kloster. Er wolle lieber jeden andern Stand, als diesen Sklavenstand erwählen, da er blos allein von dem Eigensinn und den Grillen eines närrischen Novizmeisters abhänge. Siegwart aber ertrug sein Loos, mit Gelassenheit, ob er wol sonst frey genug dachte. Er glaubte, diese Unterwerfung Gott schuldig zu seyn, und dieses Schicksal verdient zu haben; denn bey seinen beständigen Andachtsübungen, und in der fortdaurenden Einsamkeit bekam seine lebhafte Einbildungskraft wieder einen neuen Schwung, und lenkte sich auf die Seite der Andächtigen, wohlgemeynten Schwärmerey. Es stiegen ihm allmählich verschiedne Zweifel und Gewissensscrupel wegen seines vorigen Lebens auf da er sich Gott schon einmal gewidmet hatte, und sich nun durch die Liebe zu Marianen wieder von ihm ab, und zur Weltliebe hatte verleiten lassen; da er sogar auf den Vorsatz gefallen war, Gott und der Kirche eine Braut zu entziehen. Diese Vorstellungen machten ihn ängstlich, und brachten eine neue Art von Melancholie in ihm hervor, die noch tiefer, als die vorige, sich in seine Seele eingrub. Er machte sich nun ein Gewissen und sogar ein Verbrechen daraus, an seine Mariane zu denken, die [1036] ihm doch unwillkührlich und beständig vor der Seele schwebte. Verschiedne Aufsätze, die er hinterlassen hatte, zeugen von diesem neuen und schrecklichen Kampf seiner Seele, unter dem er fast erlag, und unter welchem seine Gesundheit sehr litt. Er hatte nicht einmal das Herz, seinem P. Anton etwas davon zu entdecken. Er glaubte nun dafür büssen zu müssen, und trug alle Proben des Gehorsams, die ihm der Novizmeister auflegte, mit Gelassenheit und Stille. Die Klagen des Bruder Porphyrs suchte er zu widerlegen, und gab sich Mühe, ihn zu bekehren, und in ihm den Entschluß hervorzubringen, vom Kloster nicht abtrünnig zu werden. Aber seine Vorstellungen halfen nichts bey dem ziemlich leichtsinnigen Porphyr.

Er wendete sich also mit seinen Bemühungen an den schläfrigen Bruder Isidor, der sich auch oft über die vielen Arbeiten und Beschwerlichkeiten beklagte. Seine geistliche Vorstellungen halfen bey diesem wenig; aber desto mehr die Winke, die er ihm gab, daß diese Probe ja nur ein Jahr daure, und daß dann Ruhe und Bequemlichkeit nachfolge; er dürfe nur die Paters ansehen, welch ein ruhiges Leben diese führten. Dieses gefiel dem phlegmatischen Isidor; er schielte bey seinen Arbeiten immer [1037] auf die andern Paters, die in Ruh und gröstentheils in Faulheit und Unthätigkeit ihr Leben hinbrachten. Er sehnte sich also nach dem Ende dieses Probejahrs, um dann ausruhen, und als Pater sein Leben in ewiger Unthätigkeit hin bringen zu können. In dieser Hofnung versprach er unserm Siegwart, das Probejahr auszuhalten und im Kloster zu bleiben. Darüber triumphirte Siegwart bey sich selbst, und hielt es für eine Frucht seiner frommen Vorstellungen, so daß er glaubte, durch diese Bekehrung ein grosses gutes Werk gethan zu haben.

Die Pönitenzen oder Bußübungen waren auch sehr streng, besonders das Fasten und das Geisseln. Die Paters mußten oft bey Nacht in ein dunkles Gewölbe gehen, und sich mit den Stricken, die sie an sich hängen hatten, auf den blossen Rücken geisseln. Das Schlagen gab ein Getöse, daß das ganze Gewölbe wiederhallte. Unser gewissenhafter Siegwart schlug sich allemal blutrünstig, so daß er eine Menge Bluts verlohr. Darunter litt seine Gesundheit, bey dem ohnedieß immer nagenden Seelenkummer, noch mehr. Seine Gesichtsfarbe verlohr sich völlig, und seine Kräfte nahmen zusehends ab. Umsonst warnte ihn P. Anton, sich zu [1038] schonen, und gegen seinen eignen Körper nicht mehr, als nöthig wäre, zu wüten. Bruder Porphyr lachte ihn oft aus, denn er hatte gemerkt, daß sich die Paters entweder blos mit der Hand auf den Rücken, oder mit den Stricken blos an die Säulen, oder an die Wand schlugen. Diese List machte er nach, und rieth unserm Siegwart an, es auch nachzumachen. Dieser hielt aber seinen Rath für gottlos, und betrübte sich über seinen Leichtsinn. Isidor hingegen war das eine angenehme Entdeckung, die er sich sehr zu Nutze machte.


Siegwart sah nun auch ein, daß das Klosterleben – wie das meiste auf der Welt – von aussen schön glänzt, wenn mans aber genauer kennen lernt, tausend Mängel und Unvollkommenheiten hat; er sah täglich mehr den innern Krieg, den Neid, und die Misgunst, die unter den Paters gewöhnlich herrscht. Er sah, daß fast keiner ein aufrichtiger Freund des andern, und daß das Kloster ein Sammelplatz fast aller häßlichen menschlichen Leidenschaften ist. Fast alle Tage gab es Zank, und Sticheleyen, und Verhetzungen. Er betrübte sich heimlich darüber, hielt sich aber desto mehr verbunden, sich von diesen Schlacken rein zu halten, [1039] und sein Herz unter den Unheiligen Gott zu widmen und zu heiligen.

Den meisten Kummer aber, der am schmerzlichsten heimlich an seiner Seele nagte, machte ihm, daß er, zumal an den trüben, einsamen Wintertagen, so unthätig in seiner Zelle sitzen mußte, ohne in einem nützlichen und vernünftigen Buche lesen zu dürfen; denn die Bibliothek enthielt fast gröstentheils Legenden, und er durfte noch dazu nur die Bücher lesen, die ihm der Novizmeister gab, und die sehr schlecht gewählt waren. Seine Dichter, und überhaupt kein Buch hatte er mit ins Kloster bringen dürfen. Jedes Buch, das ins Kloster kam, wurde erst visitirt, und unter diesen durfte nie kein Dichter, am wenigsten ein protestantischer Schriftsteller seyn. Tausendmal sehnte er sich nach seinem lieben Klopstock, zu dem er sonst in Freud und Leid seine Zuflucht genommen hatte. Auch schmachtete er oft, wenn seine Seele trüb und wehmüthig war, umsonst nach seiner treuen Freundin, der Musik, um seinen Schmerz auf der Violine weinen, oder toben, oder auf der sanften Flöte schmachten zu lassen. Denn im Kloster durfte man keinen Laut von einem Instrument hören lassen. Seine einzige Beschäftigung war, [1040] die Stellen, die ihm aus Haller, Kleist, und Klopstock im Gedächtniß geblieben waren, und kleine Aufsätze an Gott und Marianen, und besonders eine ziemliche Anzahl melancholischer, elegischer Gedichte, die seine ganze Geschichte und den Zustand seines Herzens schilderten, niederzuschreiben.

Pater Anton sah den guten Jüngling schmachten, und sichtbar nach und nach dahin sterben, ohne ihn trösten zu können. Er litt mit ihm, und oft sassen sie ganze Stunden beysammen, sahn sich wehmüthig und schmachtend an, und fühlten jeden Augenblick der Zeit, wie er trüb und freudenleer dahin schlich.

Im Frühjahr nahm ihn Pater Anton gewöhnlich auf dir benachbarten Dörfer mit, wo er Allmosen einsammelte, predigte, und dem Bauervolk in geistlichen und weltlichen Anliegen guten Rath ertheilte. Unser Siegwart war bey den Bauren sehr beliebt, weil er sie auch auf eine rührende und eindringende Art zur Frömmigkeit ermahnte. Sie nannten ihn in der ganzen Gegend den schwermüthigen Bruder Georg. Aber die Liebe dieser guten Leute war nicht im Stande, einen Stral von Heiterkeit und Ruhe in sein trübes Herz zu giessen. Fast alles ließ ihn kalt; auch sogar der [1041] Frühling, und die wieder auflebende Natur, die sein Herz sonst immer mit neuer Wonne angefrischt hatte. Statt der Freude, die der Frühling jeder jugendlichen Seele, auch sogar dem Alter bringt, brachte er ihm nichts als Seufzer, ängstliches Schmachten, und wehmüthige Wiedererinnerung an den verblühten Frühling seines Lebens, und die ehemaligen Freuden und süssen Schmerzen seiner unglücklichen Liebe. Er gieng kalt und fühllos, oder weinend auf beblümten Wiesen und zwischen blühenden Fruchtbäumen hin; die Nachtigall sang ihm Grablieder; er sah aus den Blüthen Tod hervorkeimen, wenn er ihre kleinen Blätter, vom Wind abgeschüttelt, haufenweise, wie Schnee herabsinken sah; er legte sich unter die Kuschbäume, ließ von den Blüthen sich bedecken, und dachte: stürb' ich doch auch mit ihnen! Wenn er auf der Wiese einen Haufen Blumen bey einander stehen sah, so erhub sich ein Sehnen in seiner Brust, unter die Blumen sich zu legen, und zu sterben. Sein Blick war immer mehr zum Himmel gekehrt, als auf die Erde; wenn er hörte, daß ein Mensch gestorben sey, so pries er ihn glücklich, und wünschte sich an seine Stelle. Wenn ihn Pater Anton Abends nicht im Garten antraf, so suchte er ihn aus dem Gottesacker, [1042] wo er ihn gewöhnlich auf dem Grab des P. Gregors fand. Er fühlte, daß ihn der innerliche Gram, das viele Fasten, und das strenge Geisseln nach und nach abzehrten und entkräfteten, und fühlte es gern. Wenn der Schlaf, das Bild des Todes kam, so flehte er zu Gott, ihn bald in den ewigen Schlummer einzuwiegen, aus dem kein Aufstehn mehr zu Schmerz und Thränen seyn wird. –

Als ein halbes Jahr um war, gieng Bruder Porphyr wieder aus dem Kloster. Man ließ ihn gern gehn, weil er allerley schlechte und muthwillige Streiche gemacht hatte. Als man aber unsern Siegwart fragte, ob er bleiben wollte? so sagte er mit Freuden Ja, ohngeachtet ihn der Novizmeister so hart hielt.

Kronhelm besuchte seinen lieben Siegwart ein paarmal im Kloster. Er erschrack, als er ihn so blaß und abgezehrt fand. Er wendete alle Mühe an, ihn zu überreden, das Kloster wieder zu verlassen, und sich nicht selbst ins Grab zu bringen; aber alle seine Zärtlichkeit und Liebe war vergeblich angewendet. Siegwart hätte es für einen Kuchenraub gehalten, wenn er hätte wieder in die Welt zurück kehren wollen. Die Furcht seines Kronhelms, daß er bald sterben möchte, schmeichelte ihm, und er hörte von [1043] nichts lieber reden, als von seinem Tode. Einmal bekam er auch die Erlaubniß, seine Schwester Therese zu besuchen. Diese, so glücklich sie auch in der Liebe ihres Kronhelm war, konnte doch, so lang ihr Bruder gegenwärtig war, nichts als weinen. Sie sah ihren Bruder, den sie so unaussprechlich liebte, nach und nach dem Tode welken; dieser Anblick war ihr unerträglich. Das ganze Schloß, das sonst so glücklich war, gerieth in Trauer. Siegwart saß einen Abend bey Kronhelm und Theresen, die ihr Kind auf dem Schoss liegen hatte. Das Kind schlief; Siegwart sah es an, mit Thränen in den Augen. Armes Knäbchen, sagte er, du schlummerst jetzt so ruhig, und lächelst im Schlaf. Wenn du aufwachst, wird die Welt dir entgegen lachen, denn du siehst nirgends keine Sorge. Möchtest du doch ewig ein Kind bleiben, oder sterben, eh das Jünglingsalter kommt! Wenn der Jüngling aufwacht, ach dann ists gar anders. Tausend Sorgen wachen mit ihm auf, Leiden werden stets mit ihm gebohren, deren Keim schon in der Seele liegt. Gebt mir euren Kleist her, daß ich mein Lieblingsstück wieder einmal lese: Weh dir, daß du gebohren bist etc. – So sprach er oft bey ihnen, und Krönhelm und Therese wagtens nicht, ihn zu trösten.

[1044] Er ward auch auf die Vermählung des braven Rothfels mit der Schwester Kronhelms geladen, aber er kam nicht, und schrieb ihnen:

Laßt mich, lieben Freunde, in der Zelle meiner Leiden! Bittet man den Tod zu Gast beym Freudenmahl? Soll mein Anblick Euch erinnern an die Stunde Eurer Trennung, und daß alle Freuden dieses Lebens nichts sind? Ich will Gott flehn, daß er Euren Blick nicht dringen lasse in die Zukunft! Daß ihr nur die Blumen, die der Frühling darreicht, aufkeimen, und nicht sterben seht! Flechtet keinen Kranz von Blumen, denn sie welken, eh der Abend anbricht! Hier schick ich Euch einen Kranz von Immergrün! Er vergeht auch, aber später, als die Blumen. Wenn es Ruhe gibt, und Glück, so fleh ichs Euch von Gott herab. –

Sein Schmerz ward immer düsterer und stummer. Anton wars fast allein, mit dem er sprach. Sein Leben war eine beständige Andacht, und dabey war er am heitersten, denn sein Blick drang immer schärfer in das Leben jenseits des Grabes. Oft weinte er Freudenthränen, wenn er im zuversichtlichsten Vertrauen sein nahes Ende sah. Er fühlte die Gegenwart Gottes aufs lebendigste, und [1045] ward fast bis zum Anschauen überzeugt, daß Gott den Menschen nur eine Zeitlang für die Leiden, nach diesen aber für ein ewig glückliches und ruhiges Leben geschaffen habe. Und dann dankte er Gott für sein Daseyn, auch sogar für seine Leiden. Aber freylich sind diese Stunden der heitersten und zuverläßigsten Gewißheit bey dem Menschen, dem sein Körper alle Augenblicke dran erinnert, daß er noch auf der Welt ist, selten. Oft konnte er ganze Tage lang nichts denken, als die Trennung von seiner Mariane, ohne die Wonne des Wiedersehens, und der Wiedervereinigung zu fühlen, und diese Tage waren ihm die traurigsten und bängsten. –

Sein Andenken an Marianen und der damit verbundne Schmerz wachte wieder neu auf, als man bey folgender Veranlassung einige Tage lang im Kloster von nichts als von Nonnen sprach. Man hatte nehmlich etlich Nächte vorher am Himmel eine starke Röthe, als das Zeichen einer grossen Feuersbrunst, wahrgenommen. Zwey Tage drauf kam die Nachricht, daß in Adlingen, einem acht Stunden weit entfernten Nonnenkloster, ein heftiges Feuer ausgebrochen sey, daß das ganze Gebäude in die Asche gelegt habe. Die Nonnen flüchteten [1046] sich, ein paar ausgenommen, die die Gelegenheit wahrnahmen, und entwischten, in ein benachbartes Benediktinerkloster. Diese Nonnen wurden nun in die benachbarten Frauenklöster vertheilt. Pater Hildebrand, der in dem nächsten Nonnenkloster Bergkirch Beichtvater war, erzählte bey Tisch, es seyen dahin auch vier Nonnen von den verunglückten gekommen, von denen zwo bey dem Brand vielen Schaden gelitten haben. Er schilderte ihren Schrecken, der noch immer fortdaure, sehr rührend, und beschrieb die Nonnen, deren eine noch sehr jung und äusserst schwermüthig sey. Bey dieser Beschreibung stellte sich unserm Siegwart das Bild seiner lieben verstorbnen Mariane wieder so lebhaft vor Augen, daß er in Gegenwart der Paters zu weinen anfieng, und so sehr vom Schmerz ergriffen wurde, daß er, um sein Geheimniß zu verbergen, unter dem Vorwand einer plötzlichen Uebelkeit von Tische weggieng, sich in seiner Zelle niederlegte, und seinen Thränen freyen Lauf ließ. Etlich Tage lang konnte er nicht ruhig bethen; seine Gedanken waren immerdar zerstreut; Marianens Bildniß folgte ihm aller Orten nach, und stellte sich ihm fast jede Nacht im Traum vor. [1047] Erst nach etlich Wochen bekam er seine vorige Ruhe wieder.

Sein Probejahr war schon beynah zu Ende, als der Guardian starb, und das Klosterkonvent fast einmüthig den rechtschaffnen Pater Anton zu seinem Vorsteher und Guardian erwählte. Der brave Mann nahm diese Ehre am Ende seiner Tage ungern an. Er hätte lieber seine noch wenigen Tage in der Stille beschlossen, aber das Zureden seiner Mitbrüder überwand endlich seine Bescheidenheit, und er nahm die Würde an, die er aufs treulichste, und ohne sein Betragen oder seine Denkungsart im geringsten zu verändern, verwaltete.

Siegwart hätte sich nun sehr gut sein Schicksal erleichtern, und sich bey dem Guardian, der sein Freund, und noch mehr, sein zweyter Vater war, über die Strenge und Unbilligkeit seines Novizmeisters beschweren können; denn dieser stolze und fühllose Mann vermehrte seine Härte, je mehr sich das Probejahr seiner Untergebenen dem Ende nahte; aber Siegwart sagte kein Wort, und trug sein Schicksal mir Stille und Gelassenheit. Oft fragte ihn P. Anton, ob er mit seinem Zustand zufrieden sey, und sich über nichts zu beklagen habe? und [1048] allemal antwortete er, er sey mit jedermann ufrieden, und wünsche sich keinen bessern Zustand.

Am Ende seines Probejahrs legte er feyerlich in der Kirche, zur Rührung aller Anwesenden, den Profeß ab, bekam die Priesterweihe und die Tonsur, ward zum Pater aufgenommen, und trat, nachdem er seine erste Messe gelesen hatte, alle Verrichtungen eines Paters an.

Kronhelm und Rothfels waren bey der Einweihung mit zugegen, und wurden auch beym Mittagsessen behalten. Siegwart, dem das Feyerliche der Handlung noch immer vor der Seele schwebte, sprach sehr wenig, und hatte fast beständig Thränen in den Augen. Seine beyden Freunde sahen ihn wehmüthig an. Sein mattes, halberloschnes Auge, seine blasse Farbe, sein eingefallenes Gesicht, die Gleichgültigkeit, mit der er sogar sie betrachtete, weissagten ihnen seinen nahen Tod, und daß sie ihn vielleicht schon heut zum letztenmale sehen würden. Kronhelm, der einen ziemlichen Theil seiner Jugend mit ihm zugebracht hatte, der ihn so ganz kannte, und es wußte, daß wenige Menschen in so hohem Grad verdienten glücklich zu seyn wie er; und doch auch alle seine Leiden [1049] kannte, deren manche Menschen in ihrem ganzen langen Leben nicht den zwanzigsten Theil davon erfahren, saß im düstersten Nachdenken da, schlug zuweilen seine Augen auf zum Himmel, unterdrückte einen Seufzer, und dachte zitternd an die Unbegreiflichkeit der göttlichen Rathschlüsse in den Schicksalen eines Menschen. Beym Weggehen drückte ihn Siegwart feste und feuriger als gewöhnlich ans Herz. Bruder, sagte er, ich sahs heut, daß du meinen Zustand ganz fühlst. Bald wirds besser werden. Hab Dank für deine viele brüderliche Liebe! Ich bethe stets für dich und meine Schwester, und dein Kind. Sag ihr, mir sey wohl, und werde bald noch besser werden. Ich gehöre nun ganz Gott an, und in seiner Hand könne man nicht unglücklich seyn. Gib ihr diesen Kuß! Sag ihr nicht, daß ich schwach bin, die gute Seele möchte sich betrüben. Wenn du hörst, daß ich todt bin, dann tröste sie, und sag ihr, daß mir ganz wohl sey! – Kronhelm konnte nichts sprechen, und riß sich von ihm los. Rothfels nahm auch weinend von ihm Abschied, und die beyden reisten traurig weg.

Siegwart theilte nun seine ganze Zeit in seine Mönchsverrichtungen und in selbsterwählte Andachtsübungen [1050] ein. Er war fleißig bey den Landleuten, bey denen er ausserordentlich beliebt war. Er predigte viel bey ihnen und stiftete sehr grossen Nützen, denn sein Vortrag war so faßlich, daß ihn jedes Kind verstehen konnte. Er hatte den Grundsatz, den jeder Prediger haben sollte: Wenn mich der gemeinste Mann vom schwächsten Verstand versteht, so versteht mich auch der Aufgeklärte, und ich werde allen nützlich. Da er die Gemeinden, und die einzelnen Glieder derselben genau kannte, so war sein Vortrag immer so wenig allgemein, daß er nur auf die Gemeinde, der er predigte, allein paßte. Alle seine Betrachtungen, Bewegungsgründe und Gleichnisse waren vom Landleben und vom Ackerbau hergenommen, und paßten auf keine Stadtgemeinde. Diese Kunst hatte er von Christo gelernt, der die Veranlassungen zu seinen Reden immer von denen Gegenständen hernahm, die seine Zuhörer vor sich sahen, oder womit sie sich beschäftigten. Wenn er Leute auf dem Feld antraf, so machte er sie auf die Natur, und auf den Segen aufmerksam, den Gott überall so reichlich ausgestreut hat. Dadurch flößte er ihnen Liebe und Vertrauen gegen Gott ein, die die beyden Hauptquellen eines reinen und aufrichtigen [1051] Gottesdienstes sind. Wenn er zur Geduld im Leiden ermunterte, so war sein eignes Beyspiel die beste Aufmunterung und Lehre, denn er war, bey seinem abgezehrten, matten Körper immer heiter, wenn er mit den Leuten sprach, und seufzete blos in der Stille.

War er allein, so war der Gedanke an den Tod und an seine Mariane sein beständiger Gefährte. Wenn er über eine Wiese gieng, so dachte er mit Sehnsucht: Vielleicht seh ich diesen Ort zum letztenmal; wenn er einem Sterbenden die letzte Oelung gab, so dachte er: O der Glückliche! Er kommt zu Gott, bey dem meine Mariane ist. Möcht ich doch mit ihm mich hinlegen und sterben! Ganze Stunden lang hieng sein Aug am stillen melancholischen Mond. Seine Phantasie überredete ihn, Marianens Seele sey im Mond; dieser Gedanke ward ihm oft Gewißheit, und er schwang sich auf den Flügeln seiner Schwärmerey in den Mond hinauf, und vergaß darüber Welt und alle Leiden, hielt lange Gespräche mit seinem lieben Mädchen, und sah oft erst spät hernach zu seinem Verdruß seine Täuschung ein, und daß er noch auf der Welt sey. Dann schrieb er wieder Gedichte, oder kleine Aufsätze an sie nieder.

[1052] Unter den wenigen Büchern, die er sich' auf der Bibliothek ausgesucht hatte, war ihm keins lieber, als eine lateinische Bibel. Darin, und besonders im neuen Testament las er unaufhörlich. Als er fand, daß die Religion Jesu in ihrer Quelle so ausserordentlich rein und einfach ist, und sie mit der Art verglich, wie sie heutzutage bey den Katholiken gelehrt und ausgeübt wird, da stiegen ihm wegen der vielen Menschensatzungen und willkührlichen eigenmächtigen Zusätze viele Zweifel und Bedenklichkeiten auf, mit denen er lang zu kämpfen hatte, eh er sich etwas beruhigen konnte. Endlich dachte er, wenn ich nur blos auf die Ausübung der Religion nach dem Sinn Christi dringe, und die Zusätze der Kirche stillschweigend gelten lasse, ohne sie für göttliche Satzung auszugeben, so kann ich ja doch mehr Nutzen stiften, als wenn ich mich dem reissenden Strom widersetze; denn sonst würde man sich mir wieder entgegensetzen, oder mich gar verketzern, und dann wäre mir aller Weg, Gutes zu thun, abgeschnitten. Mit diesen, und ähnlichen Betrachtungen beruhigte er sich wieder; aber doch stiegen ihm in ernsthaften Stunden des Nachdenkens oft wieder neue Gewissenszweifel auf, die ihn oft so ängstigten, daß er nicht wuste, was er [1053] thun sollte, und oft den dunkeln Gedanken bey sich spürte, zu den Protestanten überzugehen. Aber theils kannte er die Lehrsätze dieser Kirche nicht genug, theils hielt ers auch nach seinen Begriffen für strafbar, die väterliche Lehre, in der er gebohren und erzogen war, abzuschwören, und unter seinen Brüdern ein Aergernis zu stiften, da er ohnedies nur noch eine kurze Zeit, die er zu leben hatte, vor sich sah. Er wagte es auch nicht, seine Zweifel irgend einem Menschen, auch nicht einmal seinem lieben P. Anton vorzutragen.

Sonst aber war er viel bey diesem theuren Mann, der alles auf ihn hielt, und ihn durch seine Freundschaft soviel aufzuheitern suchte, als möglich. Diese Achtung, die der Guardian ihm, als einem noch so jungen Pater erwies, lud ihm den Neid und Haß fast aller andern Paters auf den Hals. Sie stichelten auf ihn bey aller Gelegenheit; sie sassen oft beysammen und machten allerley Kabalen gegen ihn; andre schmeichelten ihm, und glaubten durch seinen Fürspruch die Gunst des Guardian zu gewinnen; heimlich waren sie aber doch seine Feinde, und machten ihm hinterrücks tausenderley Verdruß. Siegwart merkte [1054] dieses wohl; weil er aber sich seiner Unschuld bewußt war, so blieb er darüber ruhig, und vergalt seinen Brüdern ihre boshaften Künste mit Freundschaft und ungeheuchelter Liebe.

Der zweyte Winter und der Frühling waren ihm nun auch dahin geschlichen. Seine Traurigkeit um Marianen war nun eine stille Melancholie geworden, die ihn zwar nie verließ, die aber doch unmerklicher geworden war, und seltner in laute Klagen ausbrach. Er trug den Tod in seinem Busen, wo er, wie der Wurm in einer Rose, immer weiter um sich fraß. Seine Kräfte nahmen allmählich ab; nur seine strenge Diät, und die, immer einförmige Lebensart erhielten noch den Körper aufrecht, daß er nicht auf Einmal hinsank. Noch ein paarmal war er bey seinem Kronhelm und bey seiner Therese gewesen. Die beyden lieben Seelen waren ausserordentlich glücklich. Therese hatte ihrem Kronhelm nun auch noch ein Mädchen, das ihr Ebenbild war, und auch Therese hieß, gebohren. Der kleine Wilhelm fieng schon an, Worte zu stammeln, und machte durch seine Liebkosungen, und durch seine unschuldige Fragen seinen Eltern tausend Freude. Kronhelm und Therese liebten sich noch wie am ersten [1055] Tage ihrer Verbindung. Zwey reine Herzen können einander niemals überdrüßig werden. Ihre Tugend nimmt täglich zu, zeigt sich täglich von einer neuen Seite, und Tugend ist ein Quell unaufhörlicher Freuden. Die beyden Eheleute waren unerschöpflich an Erfindungen, die ihnen täglich neue Vergnügungen brachten. Sie machten ihre Unterthanen und alle Leute um sich her glücklich, und wurden zum Dank von ihnen aufs zärtlichste geliebt. Wohlthun und geliebt werden ist das Gegengift aller Unzufriedenheit und alles Misvergnügens. Der Garten und das Schloß ward jedes Jahr verschönert, und die Gegend umher verwandelte sich nach und nach durch den Fleiß ihrer Bewohner, durch die Gütigkeit ihres Besitzers, und durch den Segen, den der Himmel über sie herabgoß, in ein Paradies. Rothfels war mit seiner Frau auch glücklich, und besuchte seine noch glücklicheren Freunde oft. Siegwart sah die Freuden seiner Lieben mit der reinsten Freude, und der innigsten Empfindung. Er fand hier, daß das Glück noch nicht ganz aus der Welt entflohen ist, und daß Lieb und Zärtlichkeit, wenn sie Einmal glücklich machen, unaussprechlich glücklich machen können. Er hob sein Aug zum Himmel auf und [1056] dankte; aber wenn er wieder auf die Welt und sich herabsah; wenn er auf seinen Zustand und die Bahn der Leiden blickte, die er schon zurückgelegt hatte, und auch jetzt noch immer wandelte; ach, dann floß die Thräne der Wehmuth, die er nicht verbergen konnte, und doch wollt er sie verbergen, um die Quelle der Seligkeit, aus der seine Lieben tranken, nicht zu trüben. Darum kehrte er oft wieder auf dem Weg um, wenn ihn sein Herz schon zu seinen Freunden führen wollte; denn er sahs, sein Anblick, sein eingefallenes Gesicht, sein trübes Auge machte seine Freunde traurig. Er wollte allein unglücklich seyn. Seine Freuden hätt er gern mit andern getheilt, aber nicht seine Leiden.

Nur mit seinem lieben Anton weinte er zuweilen, weil ihn dieser selbst zu Thränen aufrief, und gern in die Vergangenheit, die für ihn auch traurig war, zurückblickte. Einmal giengen sie an einem schwülen Sommernachmittag im Garten. Zur Linken thürmte sich schon ein Gewitter auf, das in weißgrauen Wolken daher schwebte, und alle andre Wölkchen an sich zog. Zuweilen sah man schon einen blassen Blitz den fernen Wetterschwall theilen, und ein Donner murmelte am fernen [1057] Gebirg hinab. Die Sonne schien matt und schwül. Die Luft stand ganz still, und kein Blatt bewegte sich. Die Vögel, die das nahe Gewitter fühlten, hüpften ängstlich von Zweig zu Zweig, und wagtens kaum, einen schwachen Laut zu geben. Anton und Siegwart sahen eine Zeitlang stillschweigend in das, sich langsam fortwälzende Gewitter; Gott gebe, sagten sie, daß es keinen Hagel mitbringt! und dann giengen sie, um der Schwüle auszuweichen, in eine kühle Grotte, die in dem kleinen Tannenwäldchen angelegt war. P. Anton, den die Hitze, und das Alter niederdrückten, schlummerte etwas ein. Siegwart setzte sich leise an den Eingang der Grotte, sah zuweilen nach dem Gewitter; dann kehrte er sich wieder um, und betrachtete mit stiller Ehrfurcht und mit Thränen in den Augen den redlichen silberhaarichten Greis, der, ohne Furcht vor dem nahenden Gewitter, ruhig schlummerte. Plötzlich riß sich das Gewitter, das bisher wie angeheftet über einem Wald geschwebt hatte, los; die Sonne ward verfinstert, und rings umher im Tannenwäldchen ward es finster. Siegwart weckte den P. Anton auf; sie wollten nach dem Kloster eilen, aber durch die Tannen fuhr ein Sturm daher, der sie auszureissen drohte; der [1058] Staub kreiste sich in wilden Wirbeln vor ihnen, und sie flohen wieder in die Grotte zurück; einzelne und starke Regentropfen fielen. Ein Blitz theilte die Dunkelheit, der die Beyden fast blendete; ein plötzlicher starker Donner folgte drauf, daß die Grotte zitterte, und nun ergoß sich ein starker Regen, der beynah einem Wolkenbruch glich. Das Gewitter daurte eine Viertelstunde lang; die ganze Natur schien im Aufruhr, der Sturm bog die Tannenwipfel; eine schlanke Tanne brach mit grossem Krachen mitten entzwey, und zwischen dem Getös brauste der Donner ununterbrochen fort. Die beyden Mönche lagen auf den Knien, schlugen sich an die Brust, und betheten. Endlich wards wieder etwas still; die Wolken hatten ausgeregnet und zertheilten sich; ein blasser Schimmer brach zur Linken durch das Gewölk. Endlich stralte die Sonne wieder etwas hervor, und das Gewitter zog sich zur Rechten schwer und fürchterlich weiter.

Als der Regen aufhörte, giengen P. Anton und Siegwart aus der Grotte. Anton hub seine Augen glänzend gen Himmel; sein ganzes heitres Angesicht sprach Dank und Freude. Wie nun alles so schön und froh ist, fieng er an, nach dem Gewitter! Vorher konnte man in der Luft kaum [1059] athmen; nun ists einem so leicht, und man zieht nichts als Blumendüfte und liebliche Gerüche ein. Sieh den Regenbogen dort, den Zeugen von der Huld des Allbarmherzigen. Alles um uns her ist nun so frisch, und einer neuen Schöpfung gleich. Wie das Gras so hell ist, und die tausend Regentropfen auf den Blättern, und die Sonne drinn, und alle Farben! Und der liebliche Gesang der Vögel, wie er nun so hell tönt! Ach, mein lieber Siegwart, immer denk ich da an unser Schicksal, wie es auch oft um und in dem Menschen stürmt, und doch ein Ende nimmt, und wieder heiter wird. Es geht beym Menschen zu, wie's in der Natur zugeht; Sturm und Regen, Sonnenschein und Ruh; und Ruh ist immer doch das letzte; denn Gott hat uns lieb, und will uns glücklich; und das Glück der Ruhe fühlt man nach dem Sturm am besten. – Das fühlt' ich eben auch, theurer Vater, fiel ihm Siegwart ein. Eben dacht ich an mein Schicksal, daß es bisher wild in mir gestürmt hat, und ein Ende nehmen wird. Hat uns Gott doch selber Ruh in jener Ewigkeit verheissen, und ich fühl es, daß ich bald zu ihr eingehen werde. So hell und zuversichtlich hab ich nie noch hinübergeblickt, wie heute. Anton schwieg, [1060] und wollte ihn in seinen wehmüthigen Gedanken nicht stören.

Indem sie so in Betrachtungen vertieft, durch die stille Feyer der Natur dahin giengen, kam ein Bothe aus dem Nonnenkloster Bergkirch schnaubend hergelaufen, und verlangte den Guardian zu sprechen. P. Anton gieng mit ihm auf die Seite, und kam dann wieder zu Siegwart, der langsam vorausgegangen war. Ich habe, sagte er, einen Auftrag an dich, mein lieber Siegwart. Eine Nonne liegt in Bergkirch in den letzten Zügen, und verlangt ihren Beichtvater und die letzte Oelung. Du must eilig hinüber, weil P. Hildebrand krank ist.

Siegwart nahm den Auftrag willig an, ob ihm gleich das Herz schlug, als er von einem Nonnenkloster hörte. Mit den lebhaftesten und traurigsten Gedanken an seine Mariane gieng er nach dem Kloster, und kam mit Untergang der Sonne an. Die Aebtissin ließ ihn vor sich kommen. Er sagte, der ordentliche Beichtvater P. Hildebrand sey krank, und sein Guardian hab ihm aufgetragen, seine Stelle zu versehen. Man führte ihn in eine dunkle Zelle, wo eine junge Nonne äusserst schwach auf einem Bette lag, um das ein paar andre Nonnen [1061] herum standen. Als man der Kranken sagte, der Beichtvater sey da, so verlangte sie zu beichten; die andern Nonnen giengen also weg, nachdem sie erst eine düstre Lampe auf den in der Ecke der Zelle stehenden Tisch gesetzt hatten. Siegwart setzte sich zu ihr ans Bette, um die Beichte zu hören. Der Ton ihrer Stimme schien ihm bekannt zu seyn. – Gott im Himmel! Es war Marianens Stimme! Mariane war die Nonne! – Mit einem lauten Schrey, und dann sprachlos stürzte er über sie her, und hielt sie fest in seinen Armen. – Erst nach einer Viertelstunde kam er wieder zu sich selber. Bist dus? Bist dus? rief er. – Mit gebrochener Stimme sagte sie: Siegwart! Ich bin Mariane ... Lebst du noch? – – Er taumelte auf, nahm die Lampe, hielt sie ihr vors Gesicht. Es war Mariane, todtenbleich, und abgezehrt. Auf ihrer Brust lag das weisse Schnupftuch, mit dem Blutfleck von seiner Wunde. Sie schlug ihr mattes Aug auf, und sah ihn an. Er ließ die Lampe fallen, und stürzte wieder über sie her. – – Man hat dich getäuscht, sagte sie, in Marienfeld – – ich war nicht gestorben – – – hier lies! – – (Indem sie aus ihrem Busen etlich versiegelte Blätter langte, und ihm gab.) ... [1062] Siegwart! Siegwart! ... Leh wohl ... Komm nach! ... Sie sprach noch etlich Worte, ohne zu merken, daß er ohnmächtig im Stuhl lag.

Erst nach ein paar Stunden giengen die Nonnen, denen es zu lang dauerte, mit einem Licht in die Zelle. Mariane lag todt auf dem Bette Siegwart war, noch halb ohnmächtig und sprachlos im Sessel zurückgelehnt.

Die Nonnen waren voll Bestürzung, wußten nicht, was vorgefallen war, und brachten ihn in einem andern Zimmer aufs Bette. Die ganze Nacht durch fiel er von einer Ohnmacht in die andere. Den andern Morgen that man sogleich Bericht an sein Kloster. Pater Anton kam selbst nach ein paar Stunden.


Jesus, Maria! Sagte er, indem er ins Zimmer trat, was hat sich mit dir zugetragen, Siegwart? – Nichts, antwortete dieser ganz matt. Das Gewitter ist vorüber ... und die Sonne lacht.. und der Tag bricht an.. und Ruhe ... Anton bath, Man möchte ihn mit Siegwart allein lassen! Nun erfuhr er von ihm, Mariane sey die Nonne gewesen. – Lebt sie noch der Engel? sagte er, und richtete sein Aug auf Anton, indem er[1063] seine Hand ausstreckte, als ob er die Hand seines Freundes suchte. – Sie hat ausgelitten, sagte P. Anton. – Nun Gottlob! sagte Siegwart, und faltete die Hände; bald auch ich ....

Und wo bin ich jetzt? – fragte er nach einiger Zeit wieder.. In ihrem Kloster, war die Antwort.. – Ihr so nah? ... Gott sey Dank!.. Ihr so nah ...

P. Anton war im tiefsten Schmerz. Siegwart wurde immer schwächer; sprach zuweilen nur ganz abgebrochen: Gottlob!.. Engel! ... Mariane! Gott sey Dank! Jesus!, bald! ...! u.s.w.

Man hatte nach einem Arzt geschickt. Dieser machte höchstens noch auf fünf bis sechs Tage Hofnung. Kann ich nicht noch meinen Kronhelm sehen, und Theresen? sagte Siegwart.

Man schickte nach ihnen, und sie kamen. Siegwart hatte wieder etwas wenige Kräfte bekommen, als sie kamen, und saß in einem Lehnstuhl. P. Anton, der beständig um ihn war, hatte sich nur etliche Stunden entfernt, um nach seinem Kloster zu gehen. Also war Siegwart allein, als Kronhelm und Therese ins Zimmer traten. – Bruder! riefen beyde, giengen auf ihn zu, und lehnten sich zu beyden Seiten schweigend an den Lehnstuhl. [1064] Er tröstete sie, und sagte, sie sollten ihm Glück wünschen, denn er sey am Ziel.

Als sie sich von ihrem Schmerz etwas erholt hatten, erzählte er ihnen kurz den Vorfall; zog das versiegelte Papier, das ihm Mariane gegeben hatte, hervor, und gabs seinem Kronhelm, mit der Bitte, es ihm vorzulesen.

Unter tausend Thränen, die er, und Siegwart und Therese vergossen, las es Kronhelm. Es waren abgebrochne rührende Aufsätze an Siegwart, und eine kurze Erzählung ihrer Geschichte, deren Hauptinhalt dieser war:

Die Aebtissin zu Marienfeld hatte von Brigitten alles erfahren, wer der Gärtner sey; was er vorhabe; daß er Marianen zu entführen denke etc. Mariane ward sogleich eingeschlossen. Brigitte mußte vorgeben, sie sey nicht recht wohl; mußte ihm aber doch versprechen, Marianen Abends in den Garten zu bringen, wo die Nonnen im Sinn hatten, ihn zu greifen und festzusetzen. Brigitte, die besorgt war, er möchte es entdecken, daß sie sich von ihm hab entführen lassen wollen, suchte ihn aus dem Kloster zu bringen, und betäubte ihn deßwegen mit der Nachricht von Marianens Tod. [1065] Als er entflohn war, gab man ihren Tod auch im Kloster vor, um allen seinen fernern Versuchen Marianen zu entführen, vorzubeugen. Brigitte ward zur Strafe eingeschlossen. Marianen brachte man sogleich heimlich nach einem andern Kloster, und, als dieses Kloster abbrannte, wurde sie mit drey andern Nonnen nach Bergkirch gebracht.

Als Kronhelm dieses vorgelesen hatte, war Siegwart durch die vielen Thränen und die heftige Bewegung aufs neue ganz entkräftet, und mußte ins Bette gebracht werden. Nach einer halben Stunde erholte er sich wieder etwas, und bat seinen Kronhelm, folgendes zu schreiben, und es nach seinem Tod dem P. Anton zu geben, mit der Bitte, ihm den letzten, darin gefoderten Freundschaftsdienst ja Nicht abzuschlagen.


Theurer Vater!


Die letzte Bitte deines sterbenden Sohnes, laß sie ja nicht unerfüllt seyn! Ich hab auf Erden sonst nichts mehr zu bitten. Laß mich ruhen neben ihr, für die ich sterbe! Gott im Himmel lohne Dich dafür, und für alle Deine Liebe, daß Du bald mir folgest! Höre mich! Leb ewig wohl, Du Theurer! Höre mich! Gott segne Dich, Amen!


[1066] Mit zitternder Hand unterschrieb er seinen Namen, ließ das Blatt siegeln, und bat nochmals, seinen P. Anton aufs dringendste anzuliegen, seinen Wunsch zu erfüllen!

Er lag da, ohne viel zu sprechen. Kronhelm und Therese schwiegen, und giengen wechselsweise weg, um ihre Thränen vor ihm zu verbergen. Er war nicht mehr traurig; die Hofnung seines nahen Todes ward ihm Zuversicht. Seine Seele war schon mehr im Himmel, als auf Erden. Nur die Liebe zu seinen theuren Freunden machte, daß er noch zuweilen einige Augenblicke an die Welt dachte, und auf ihr verweilte. P. Anton war auch wiedergekommen, und saß unaufhörlich ihm zur Seiten.

Eine Bitte hab ich, theurer Vater, sagte Siegwart zu ihm, die du erst nach meinem Tod erfüllen kannst. Mein Kronhelm wird sie dir entdecken. Ach, versprich mir, daß du sie erfüllen willst, damit ich ruhig sterbe! – P. Anton versprach, die Bitte zu erfüllen; wenn sie nichts, für ihn unmögliches enthalte.

Gegen Abend, als Siegwart wieder etwas auf war, und nah am Fenster saß, hörte er unten vor dem Fenster, ein Geräusch. Er sah hinaus, und da war der Gottesacker unten, und die Nonnen waren darum [1067] seine Mariane in das Grab zu legen. Therese, die auch hinaussah, erschrack über den Anblick, und ihr Bruder sank ihr schweigend in den Arm. Man brachte ihn wieder aufs Bette, wo er ein paar Stunden lang fast sinnlos lag. Endlich schlug er die Augen auf. Therese, sagte er, ist ein Kreuz auf dem Grab? – Ja lieber Bruder, war die Antwort, ein kleines schwarzes Kreuz. – Nun, so hab ich auch die letzte Bitte an dich. Flicht mir einen Kranz von Blumen und Cypressen, und gib ihn mir! Wenn er mit meinen Thränen gnug benetzt ist, dann häng ihn du am Kreuz auf, und weine auch drüber! – Therese brachte ihm einen Kranz; er weinte drauf, drückte ihn einigemal ans Herz, und legte ihn dann für sich aufs Bette hin.

Den andern Tag sprachen Kronhelm und Anton mit dem Arzt, und fragten ihn, wie lang er glaube, daß Siegwart noch leben könne? – Länger, als ich anfangs dachte, sagte dieser. Er hat eine starke Natur. Wenn er nicht zu heftige Bewegungen hat, so kann er noch sechs bis sieben Tage leben. Eine Veränderung des Aufenthalts wäre gut, denn hier scheint er zu viele traurige Gegenstände um sich zu haben. Die beyden beschlossen, ihn den folgenden Tag in einer Sänfte nach seinem [1068] Kloster bringen zu lassen, um ihn von dem Grab seiner Mariane zu entfernen, denn er wollte immer ans Fenster, um hinabzusehn. Sie thaten ihm also den Vorschlag, ob er sich nicht den andern Tag nach seinem Kloster wolle tragen lassen? Anfangs erschütterte ihn der Vorschlag, weil er sich nicht vom Grab seiner lieben Mariane entfernen wollte. Doch gab er sich endlich drein, denn nach und nach ward ihm alles auf der Welt gleichgültig, und Pater Anton stellte ihm vor, er möchte beständig um ihn seyn, und könne sich doch nicht so lang von seinem Kloster entfernt halten. Bringt mich hin, wo ihr wollt, sagte er; lange könnt ihr mich doch nicht mehr von ihr trennen. Wenn mir nur Pater Anton nach meinem Tod meine Bitte erfüllt. – Den Tag über lag er immer in anscheinender Ruhe auf dem Bette. Seine Freunde hieltens für ein Zeichen der Besserung, aber im Grunde wars Entkräftung.

Gegen Abend sank er in einen festen Schlaf. Der Arzt, der eben kam, und ihm im Schlaf den Puls berührte, sagte, daß er sehr gut gehe. Man möchte nur recht still und ruhig seyn, um ihn nicht aufzuwecken, weil er durch den Schlummer neue Kräfte bekommen könne. Therese und Kronhelm entfernten [1069] sich also in ein anliegendes Zimmer, wo sie alle Bewegungen zu hören hoften. Siegwart schlief bis gegen eilf Uhr aneinander fort. Therese war ein paarmal leise ins Zimmer gekommen, um nach ihm zu sehen. Als sie fand, daß er immer noch sehr fest schlief, so gieng sie wieder auf ihr Zimmer, setzte sich in einen Lehnstuhl, und schlief endlich, weil sie von dem vielen Wachen, und dem tiefen Schmerz äusserst abgemattet war, ein.

Um eilf Uhr wachte Siegwart von einem sehr lebhaften Traum, indem ihm seine Mariane erschienen war, und ihm zuwinkte, auf. Sein Blut war in starker Wallung. Er fühlte sich von dem langen Schlaf gestärkt. Seine Phantasie war von dem Traume, und dem schnellen Umlauf des Geblüts stark erhitzt. Er stand auf, und gieng ans Fenster. Der Mond, der durch dünne Wölckchen halb düster schien, warf etlich blasse Strahlen an das Kreuz auf Marianens Grab. Es schossen ihm Thränen in die Augen, und ein unwiderstehlicher Zug trieb ihn, auf das Grab zu gehen. Er gieng, mit dem Kranz am Arm, an die Thüre, machte sie leise auf, gieng durch den Kreuzgang, und suchte einen Ausgang nach dem Gottesacker. Zu gutem Glück fand er eine Thüre dahin; hastig lief er aufs Grab, [1070] stürzte sich drauf hin, umarmte das Kreuz, hieng den Kranz dran, und weinte laut. – O Mariane, Mariane! rief er, auf deinem Grab, auf deinem Grab! ... Nimm mich zu dir! Nimm mich zu dir, Engel! – Von der heftigen Bewegung, und der schnellen Verkältung entkräftet, sank er ohnmächtig an dem Kreuz nieder.

Therese wachte erst um Ein Uhr wieder auf. Sie erschrack, weil sie dachte, lang geschlafen zu haben, sprang auf, und eilte auf das Zimmer ihres Bruders. Die Thüre war offen, zitternd trat sie hinein, und – Jesus Maria! Das Bette war leer. –

Siegwart! Bruder! Siegwart! rief sie laut und ängstlich. Kronhelm sprang herzu; auch ein paar Nonnen. Er ist fort, fort! Mutter Gottes! sagt, wo ist er? – Die Bestürzung ward allgemein. Therese riß ihre Haare auseinander. Alle liefen umher und suchten, und wußten nicht, was sie wollten und suchten. –

Auf dem Grab! Auf dem Grab! rief endlich Kronhelm, der am Fenster stand. Alle flogen hinab auf den Kirchhof, und der edle Jüngling lag erstarrt und todt im blassen Mondschein auf dem Grabe seines Mädchens, dem er treu geblieben war bis auf den letzten Hauch.

[1071] Man brachte ihn aufs Zimmer. Kronhelm flog auf seinem Pferd zu Pater Anton mit der schaudervollen Nachricht, und der letzten Bitte seines todten Freundes. Anton las sie. Ja sie soll dir gewährt werden, rief er, Theurer, Unvergeßlicher! – Mit Tagesanbruch war er schon in Bergkirch, und sprach mit der Aebtissin. Sie wars zufrieden, daß Siegwart bey Nacht in aller Stille neben seiner Mariane solle begraben werden.

Die Nacht drauf begrub man ihn. Die beyden Märtyrer der Liebe ruhten bey einander. Auch auf sein Grab ward ein Kreuz gesetzt. Therese vereinigte die beyden Kreuze durch eine Blumen- und Cypressenkette.

Ihr und ihrem Kronhelm und dem frommen P. Anton war ihr Andenken heilig, bis auch sie ins Land der Ruhe eingiengen, wo Zärtlichkeit und Menschheit keine Thränen mehr vergiessen.

Fußnoten

1 Wenn ich bete, so wird mein Herz weiter, wie gewöhnlich. Es hebt sich leichter, und naht sich Gott mit größrer Zuversicht; nie bin ich andächtiger gewesen: als wenn ich Marianen in der Kirche beten sah, oder gleich darauf zu Hause betete. Wenn ich erst an sie denke, dann wird mein Herz weich, und fühlt sich zur Andacht vorbereitet. Liebe ist gewiß die Mutter der Menschlichkeit, und grosser Tugenden.

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TextGrid Repository (2012). Miller, Johann Martin. Roman. Siegwart. Eine Klostergeschichte. Siegwart. Eine Klostergeschichte. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-3894-4