[36] Homo Imperator

Gewandert bin ich
auf andere Gipfel,
deren Riesenfüße,
das Meer, wie ein Hund,
demütig leckt;
an deren Knöcheln
es wohl auch manchmal
bellend hinaufspringt,
den brauenden Nebeln nach,
als seien diese
warme Dämpfe aus leckeren Schüsseln.
Wär ich der Mond,
der Hunden verhaßte,
ich hülfe herauf dir
auf den Berg.
Doch Ich bin der Mensch,
lasse dich lächelnd
unten kläffen
und übe an dir
Meinen göttlichen Spott.
Denn sieh,
du armes, krauses Meer!
was bist du denn
ohne Mich?
[37]
Ich gebe dir Namen
und Rang und Bedeutung,
wandle dich tausendfalt
nach Meinem Gelüst.
Meine Schönheit,
Meinen Witz
hauch Ich als Seele dir ein,
werf Ich dir um als Kleid:
und also geschmückt
wogst du und wiegst du dich
vor deinem König,
ein trefflicher Tänzer,
brausköpfiger Vasall!
In Meine hohle Hand
zwing Ich hinein dich
und schütte dich aus,
einem Kometen,
der grade vorbeischießt
aufs eilige Haupt.
Wie einen Becher
faß Ich dein Becken
und bringe dich
als Morgentrunk
Meinem Liebchen Phanta.
[38]
In dein graues Megärenhaar
greift Mein lachender Übermut
und hält es gegen die Sonne:
Da wird es eitel Goldhaar und Seide.
Und nun wieder nenn Ich dich
Jungfrau und Nymphe und Göttin,
und deiner dämonischen Leidenschaft
sing Ich ein Seemanns-Klagelied.
Oder Ich deute den donnernden Prall dir aus
als stöhnende Sehnsucht um Himmelsglück,
als wühlenden Groll,
als heulenden Haß:
So redet Schwermut, flugohnmächtig,
wenn sie der Krampf der Verzweiflung
zu jagenden Fieberschauern schüttelt.
Aber du drohst:
»Eitler Prahler,
breite die Arme nur aus,
und komm an mein nasses Herz!
Dann wirst du kunden,
wer größer und mächtiger,
du oder ich!«
[39]
Drohe mir immer,
doch wisse: Die Stunde,
da du Mich sinnlosen Zornes verschlingst,
tötet auch dich.
Ein kaltes, totes Nichts,
wertlos, namenlos,
magst du dann
in die Ewigkeit starren,
entseelt,
entgöttert.
Denn Ich, der Mensch,
bin deine Seele,
bin dein Herr und Gott,
wie Ich des ganzen Alls
Seele und Gottheit bin.
Mit Mir vergehen
Namen und Werte.
Leer steht die Halle der Welt,
schied Ich daraus.
Gleich unermeßlichem Äther
füllt Mein Geist den Raum:
In Seinen Wellen allein
leuchtend, tönend,
schwingt der unendliche Stoff.
[40]
Eine Harfe bin Ich
in tausend Hauchen.
Zertrümmere Mich:
das Lied ist aus.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Morgenstern, Christian. Gedichte. In Phanta's Schloss. Homo Imperator. Homo Imperator. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-3B01-5