Barbaren

Sie streiten, wer Barbar sei unter ihnen,
und zum Beweise, daß stets nur die andern
vor aller Nachwelt solchen Ruf verdienen,
verwüsten sie mit schrecklichen Maschinen
Galipoli, Galizien, Serbien, Flandern,
Wolhynien und das Land der Beduinen.
Das Blut gerinnt, es häufen sich die Leichen
im Elsaß, in Tirol, in Frankreich, Polen.
Auf hoher See und in den Tropenreichen
ist Kampfgetöse, Mord, ist Sieg und Weichen.
Es wird gebrannt, geschändet und gestohlen,
und über Trümmern ragen Ruhmeszeichen.
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Aus Wolken fetzt der Mord, vom Meeresgrunde,
und Kinder müssen sterben, Frauen, Greise;
den Hunger ruft man sich, die Pest zum Bunde.
Der Mutter Träne und die Todeswunde
erhabenen Planens zu der Menschheit Preise
gibt von der Heldenzeit Europas Kunde.
Und jubelnd töten sie für ihren Zaren,
für ihren Kaiser, König, Präsidenten,
und starke Männer sinken hin in Scharen
und wissen, daß sie tapfere Streiter waren ...
Blut tropft und Jammer von den Firmamenten –
und jeder schmäht die andern als Barbaren.

Notes
Erstdruck in: Brennende Erde. Verse eines Kämpfers, München (Kurt Wolff) 1920.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Mühsam, Erich. Barbaren. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-4476-5