453. Der arme und der reiche Bauer.

Ein armer Bauer im Meggerskoog bei Rendsburg, der eine große Familie hatte, aber weiter nichts besaß, als ein Stück Moorland, einen alten Gaul und einen schlechten Karren, wollte eines Abends, nachdem [303] er den Tag seinen Arbeitslohn verdient hatte, noch den Mondschein benutzen, um aus seinem Moore einen Karren Torf zu holen; denn der Tag darauf war ein Markttag, und da wollte er ihn in Rendsburg zu Kauf bringen. Der Torf stand auch grade gut im Preise, aber die Wege waren tief und nur mit Mühe arbeitete er sich mit seinem Wagen durch. Doch kam er endlich an Ort und Stelle und hatte auch nach einiger Zeit ein kleines Fuder aufgeladen. Als er sich aber mit seinem Fuhrwerk auf den Weg nach Hause machte, ward das Fahren auf dem durchweichten Boden immer schwieriger und endlich sanken Wagen und Pferd so tief ein, daß sie nicht mehr von der Stelle zu bringen waren. Der arme Bauer arbeitete, weinte und betete umsonst; er mußte beides sitzen lassen und einen weiten Weg zurück machen, um von seinem reichen Nachbar Hilfe zu suchen, bei dem er den Tag über gearbeitet hatte. Er weckte ihn, klagte ihm seine Not und bat, ihm einen Knecht und zwei seiner starken Pferde mitzugeben; sonst sei das seine verloren. Dieser aber im Ärger darüber, daß er aus dem Schlafe geweckt war, antwortete dem Armen, das sei seine eigene Schuld; was er denn auch bei Nacht im Moore zu tun habe? er wolle seine guten Pferde nicht für seine Kracke preisgeben. »Warum büst du so unklook! Maak, dat du wegkümmst, un laat mi up en andermal slapen«, sagte er und schlug das Fenster zu.

Der arme Bauer lief in der Verzweiflung den Weg zurück, in der sichern Erwartung, sein kleines Fuhrwerk jetzt ganz versunken wieder zu finden. Er betete in seiner Herzensangst, daß der liebe Gott doch nur diesen kleinen Augenblick einmal an ihn denken möge; wie er aber nun nach der Stelle seines Unglücks hinblickte, nahm er mit Verwunderung von ferne wahr, was für ein wunderliches Gewimmel an dem Platze sei, als ob gegraben und Erde ausgeworfen würde. Als er nun selber dort anlangte, fand er sein Pferd schon auf ebenem Boden stehen; die Unnererschen hatten sein Jammern gehört und gruben nun auch seinen Karren aus, mit einer Behendigkeit, daß dem Bauern darüber Hören und Sehen verging. Als er ihnen aber danken wollte, waren sie auf und davon.

Am andern Morgen kam singend des Reichen Knecht dahergefahren; kaum aber war er in einen Moorweg, der seinem Herrn gehörte, eingelenkt, da sanken auf einmal Pferde und Wagen so tief in den Grund, daß der Knecht sich nur mit genauer Not retten konnte, und als er mit Hilfe zurückkam, da war von allem keine Spur mehr, als das Loch, worin Pferd und Wagen versunken, das unterdes voll Wasser gelaufen war. – Dies Loch hatten die Untererschen gegraben, und dünne Reiser und Erdschichten darüber gelegt, um den unbarmherzigen Bauern zu bestrafen. Er versuchte später, das Loch zuzuwerfen, was ihm jedoch nicht gelang. Jetzt ist die Stelle, die nach ihm den Namen trägt, so groß, daß sie Wellen schlägt. Die Bauern in der Gegend pflegen sich beim Moorgraben die Geschichte gerne zu erzählen.

Von D. St. durch Storm.


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TextGrid Repository (2012). Müllenhoff, Karl. 453. Der arme und der reiche Bauer. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-4A75-8