577. Der Wode.

Den Wode haben viele Leute in den Zwölften und namentlich am Weihnachtsabend ziehen sehen. Er reitet ein großes weißes Roß, ein Jäger zu Fuß und vierundzwanzig wilde Hunde folgen ihm. Wo er durchzieht, da stürzen die Zäune krachend zusammen und der Weg ebnet sich ihm; gegen Morgen aber richten sie sich wieder auf. Einige behaupten, daß sein Pferd nur drei Beine habe. Er reitet stets gewisse Wege an den Türen der Häuser vorbei und so schnell, daß seine Hunde ihm nicht immer folgen können; man hört sie keuchen und heulen. Bisweilen ist einer von ihnen liegen geblieben. So fand man einmal einen von ihnen in einem Hause in Wulfsdorf, einen andern in Fuhlenhagen auf dem Feuerherde, wo er liegen blieb, beständig heulend und schnaufend, bis in der folgenden Weihnachtsnacht der Wode ihn wieder mitnahm. Man darf in der Weihnachtsnacht keine Wäsche draußen lassen, denn die Hunde zerreißen sie. Man darf auch nicht backen, denn sonst wird eine wilde Jagd daraus. Alle müssen still zu Hause sein; läßt man die Tür auf, so zieht der Wode hindurch und seine Hunde verzehren alles, was im Hause ist, sonderlich den Brotteig, wenn gebacken wird.

Einst war der Wode auch in das Haus eines armen Bauern geraten und die Hunde hatten alles ausgezehrt. Der Arme jammerte und fragte den Wode, was er für den Schaden bekäme, den er ihm angerichtet. Der Wode antwortete, daß er es bezahlen wolle. Bald nachher kam er mit einem toten Hunde angeschleppt und sagte dem Bauern, er solle den in den Schornstein werfen. Als der Bauer das getan, zersprang der Balg und es fielen viele blanke Goldstücke heraus.

Der Wode hat einen bestimmten Weg, den er alle Nacht in den Zwölften reitet. Der geht rings um Krumesse herum über das Moor nach Beidendorf zu. Wenn er kommt, so müssen die Unterirdischen vor ihm flüchten, denn er will sie von der Erde vertilgen. Ein alter Bauer kam einmal spät von Beidendorf und wollte noch nach Krumesse; da sah er, wie die Unterirdischen daher gelaufen kamen. Sie waren aber gar nicht bange und riefen: »Hüt kann he uns nich krigen, he sall uns wol gaan laten, he hett sik hüt morgen nich woschen.« Als der Bauer nun etwas weiter kam, begegnete ihm der Wode, und der fragte ihn: »Wat repen se?« Der Bauer antwortete: »Se seggt, du hest di van morgen [390] nich woschen, du sast se wol gaan laten.« Da hielt der Wode sein Pferd an, ließ es stallen, saß ab und wusch sich damit. Nun stieg er wieder auf und jagte den Unterirdischen nach. Nicht lange darauf sah ihn der Bauer zurückkommen; da hatte er sie mit ihren langen gelben Haaren zusammengebunden und zu jeder Seite mehrere vom Pferde herabhangen. So hat er die Unterirdischen verfolgt, bis sie jetzt alle verschwunden sind. Deshalb jagt er auch nicht mehr auf der Erde, sondern oben in der Luft.

So erzählte dies ein alter achtzigjähriger Mann inKrumesse, der auch stillen und böten kann. Der Wode ist in ganz Lauenburg bekannt und überall schließt man vor ihm die Türen in der Weihnachtszeit.

Herr Kandidat Arndt. – Unterirdische haben keine gelben Haare; es sind ohne Zweifel die Moosleute und Waldfrauen gemeint. Siehe Mythol. S. 881. 1231. – Wolf, Niederl. Sagen Nr. 258. Grimm, Deutsche Sagen 47. 48. Börner, Orlagau S. 212. Die Mecklenburger Sagen Mythologie S. 876-879. Thiele II, 122.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Müllenhoff, Karl. Märchen und Sagen. Sagen, Märchen und Lieder. Drittes Buch. 577. Der Wode. 577. Der Wode. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-4F3C-F