[22] Adams erstes Erwachen und erste selige Nächte

Lob Gottes

Wo seid ihr, harmonische Stunden der Jugend, die ihr an morgenlichen Bildern so oft dies klopfende Herz gewiegt? Von Gottes Wundern stark ergriffen, stieg meine Seele dann vollen Flugs zum Himmel; verloren im Gelispel des Bachs, hing mein Ohr dann nicht mehr, nicht mehr mein nasser Blick am süßern Blau der Ferne; mir selbst schuf himmlische Phantasie edlere Gestalten ins Herz. Schlafende Bilder erwachten in meiner Seele: ich sah Fußtritte Heiliger, hörte dann singen die Stimmen fremder himmlischer Lieder jenseits dieser Welt. Dann ward mir mehr geweissagt in meinem Herzen, als diese zu stumpfen Sinne zu fassen vermögen, daß meine Augen oft im Tau rannen voll süßen Gefühls, daß dreimal mein Inneres wiederklang, ehe die kindische Lippe noch das Wort traf.

Was will sie, die brünstige, liebekranke Seele, so duldend und umschließend Gottes Geheimnis, so keusch, verschwiegen und brünstig wie Liebe, die noch im Grabe schwärmt?

Reiß los das Siegel meiner Zunge; ström' hin, Lied, dem Herrn! Meine Brust duldet des Dankes Fülle nicht mehr.

Mein Gott, wie unsprechlich, wie wundervoll, wie liebreich du [23] mir bist, wie reich an Maß zum Wohltun! Siehe' mein Auge weint zu dir! Wie voll väterlicher Sorgsamkeit, vom Moos, das am dürren Felsen klebt, bis zu Ceder, die die Wolken zerreißt, vom Schrecken bis an die Freude, bis in die stillen grauenvollen Geheimnisse der Nacht, bist du, mein Gott, ist dein Pfad Güte, Licht und Wunder!

Der Strom gischt, springt über mir hin in die Tiefe, zerreißt die Klippe des Tals; fürchterlich hast du seinem Pfad in Wildniß geboten. Durchbrecher eigener Bahn, reißt er sich die hallende Tiefe hinunter, und Felsen stürzen ihm nach. Höhnend faßt er Bäume an ihrer Wurzel und wirft aufeinander Gestade. Über seinen Sturz hervorstoßen junge Tannen, in sein Gebraus nieder rauscht die geschlagene Fichte; an seinen Füßen Reiher klatschen, um sein Haupt Raubvögel planen mit ihren Jungen. Sieh', im Stolze der Leidenschaft ruft er dem Frost: »Komm über mich!« und schäumt zur Erde: »Mache mir Platz!« Dann übernachten Stürme auf seinen schwellenden Schultern. In tiefer Gewitternacht horcht der Bär, ihm graust vor seinem gewaltigen Gange. Aber du rufst, der Riese höret dich und fällt zu Boden vor deiner Stimme. Entwaffnet hingestreckt im Tale ruht er, daß die Hirsche des Waldes herbeispringen, zu trinken aus seinem Helm, daß in seinem hellen Schwert und Schilde sich spiegeln Schäfereien und Fluren und Brunnen und brüllende Heerden mit ihren Hirten.

Wer hat den Drachen gebaut? Zu schrecklich der Erde, ward sein Kerker das Weltmeer. Du trugst ihn in die Fluten; dort bewegt er, Walfisch, junger Inseln Fuß. Wie ein Gebirg im Nebel ruht er; die Kerzen des Morgens brennen auf seinem Schilde, lebendige Brunnen springen aus seiner Nase, ihn trägt sein Element voll Ehrfurcht, des Meeres schwarze Wogen spielen um seinen Schwanz. Wenn alles stille, um Mitternacht, steigt er auf beim Nordschein und vergnügt sich am Sturm seines einsamen Pfades.

Ach, Sterne um dein allmächtig Haupt, Ewiger! laß mich auf mein Angesicht niederfallen vor dir! Licht, das bleiben wird, wenn auch keine Sonne mehr scheint, zu groß bist du mir, zu unermeßlich! Wer will dich umfassen, Meer, in das alles sinkt und versinkt und mein Geist sich verliert! Die Funken, die über mich sich drehen als Welten, vielleicht edlerer Gebilde Erbteil; ich Oberster hier, dort vielleicht Wurm noch, der Kette unterstes Glied, die sich zu höhern Gestalten emporschlingt.

Halleluja, Vater, der Welten und ihren Staub gemessen! [24] Halleluja, der Welten und ihren Staub erhält!

Wie viele Tausende leben, trinken dein Licht und harren auf dich, o mein Gott! Welch eine Menge entschlummert zu dir! Mehr als der Tränen am Morgen, mehr als des Ozeans Sand, ach, als die Tropfen des unermeßlichen Weltmeers: alle hingesäet der Verwesung, alle in Liebe und Hoffnung auf dich!

Kommt, Bilder sanfter Unschuld, vor meine brünstige Seele, die euch zu empfangen sich öffnet; jetzt seid ihr erwünscht, das Auge der Liebe forscht euch herbei! Kommt schmerzlindernd, liebevoll, heiter, wie Eva aus Gottes Wunderhand ging; die kalten Felsen fühlten, die Ungeheuer erschracken ob ihrer Lieblichkeit, und über ihr ließen alle Bäume ihr Blütenspiel los. Steigt auf harmonisch, ergötzet die Seele, erquicket, entsiegelt die geheimen Quellen meines Innern! Reiniget, führet mich ganz wieder der Menschheit nahe! Erreget so edle, starke, wahre Gefühle des ersten gottgeschaffenen Mannes in mir, daß diese dichte Dämmerung weiche, Licht um mich werde, meine Seele trunken, wie an Regenströmen dürres Land!

Eingang in die Erzählung: Adam und seine Kinder unter einem Baume

Stehend unterm schattigen Nußbaume nun Adam, der gottgeschaffene Vater der Menschen, an seiner Hütte; vor ihm sitzt Eva, die teure Mutter, mit ihren schönen Töchtern, Melboe und Tirza, auf dem Moose. Brauner Schweiß rinnt von des Erzvaters Stirne auf den schweren Baum nieder, mit dem er die harte Erde erst losstach. Den schweren Druck der Sünde fühlt er nun oft! Schweigend hängen seine Blicke über den Kindern, und trüber wird's ihm in der Seele; aber nur ein Blick himmelwärts, und der Ruhe sanftes Lächeln erhellt die traurige Stirne wieder. Süßere Rede fließt von seinen freundlichen Lippen bald also: »Teure, gottgeschaffene Mutter, lieben Kinder, welch ein freundlicher Abend! Schöner als diesen habe ich lange nicht, Eva, haben wir keinen außer Edens Fluren noch erlebt! Sehet, ihr Lieben, darum eilt' ich auch früher nach Hause, um ihn so ganz mit und unter euch zu genießen. Wie sich doch alles jetzt erquickt! Alle frohen Geschöpfe singen aus Gesträuchen und von Bäumen der lieben Sonne gute Nacht zu und [25] danken ihrem gütigen Erhalter. Hörst du vor allen der Lerche Abendlied? So hoch sie im Fluge alle andern Buschvögel übersteigt, überschmettert auch ihre helle Zunge alle andern Gesänge der Luft. Sie ist des Morgens und des Abends erste Gefährtin, die früh den Menschen zur Arbeit wecket, auch früh ihn wieder zur Ruhe erquicket; sie bleibt des Ackermanns stete Lust auf dem Felde und erfrischt ihn von oben herab, wenn's schwül um ihn, alles laß und niedergedrückt, in der heißen Stunde des Mittags. Meine Teure, sieh, jetzt fallen mir die ersten selige Tage wieder ein, als ich, nun von Gottes allmächtigem Odem hervorgerufen, ein Neuling in dieser Schöpfung, erwachte, als zum erstenmal der Tagesstern über mir anbrach, zum erstenmal der Abend mir entgegenprangte voller Pracht, und in schauderhafter Stille sich zum erstenmal über mir niederließ die finstre, schwarze Nacht. Ja, süß war die Stunde meines ersten Erwachens ins Leben! Wonnevoll wird die letzte Stunde, die Stunde meines Hinsinkens zum Tode auch sein! Mir ahnet's so fröhlicher Zukunft – ach Gott, mein Schöpfer!«

Und Tirza, Adam's Jüngste, ein wahrer Abdruck ihres Vaters in weiblicher Milde, ganz die hohe, feuertrunkene Seele, die oft in wonnevoller Phantasie in eine andere Welt hinüberschwärmt, ganz in Eden mitten unter Engelchören wandelt, wenn ihre Mutter, die holdselige Eva, daraus ihr vorerzählt. Sie ist das Seelenmädchen, das oft in einsamer Nacht von der Seite ihrer schlummernden Schwester aufsteht, im Mondschein unter dunkeln Buchen, am Gestade des Stroms sich Linderung zu schaffen, Empfindungsdrang von ihrem wunden Herzen loszuweinen, was ihre stammelnde Zunge nicht vermag. Da denkt sie sich oft seligere Zeiten zurück: ihre liebvollen Eltern, wie die noch in Unschuld wandelnd, noch engelrein im Paradiese unermeßliche Seligkeit genossen; und alle diese anmutigen Bilder lassen schweren, drückenden Kummer auf ihrem Herzen zurück und öffnen ihre Augen in immer fließenden Tränen. Allen Jammer ladet sie dann allein auf ihre Seele. Das Heldenmädchen gelobt oft im Taumel heiliger Andacht, die Sünden alle wegzubeten, allein wegzutilgen durch ihr Leiden den Fluch von ihren zärtlichen Eltern, und bringt so manche nächtliche Stunde im hohen Seelenkampfe zu. Jetzt neigt sie ihr blondlockig Haupt zur zärtlichen Mutter herüber, flüstert leise ihr also zu: »Teure, holdselige Mutter, bitte, daß Adam, der gottgebildete Vater, uns jetzt erzähle das erste Erwachen, die einsamen Nächte in Edens anmutigen Gefilden. Ach, lange dürstet mein Herz schon darnach. [26] Teure, süße Mutter, laß deine Tirza nicht umsonst hoffen!«

So sprach sie, hielt flehend der Mutter Hand fest an ihren Busen mit der Rechten; ihre Linke streichelt' sanft Evens holdselige Wangen. Die schöne, gottgeschaffene Mutter nahm also das Wort zu Adam, ihrem Geliebten:

»Mich däucht, ich höre jetzt Abel, unsern Sohn, nach Hause kehren; er spielt auf der Rohrflöte, seine Lämmer vor sich hertreibend; bald wird er auch bei uns sein. Mein Geliebter, noch ist's früh, nicht Essenszeit, obgleich alles bereits in jener Sommerlaube unserer wartet. Wolltest du nicht indessen mich und unsere Kinder hier mit deinen freundlichen Gesprächen erquicken, die Gott immer an unsern Herzen segnet, unser Gefühl nach deinem höhern Gefühle spannen? Ergötzlich ist jetzo der Abend, und wir so geöffneter Seelen. Trauter, erzähle uns jetzo von deinen Empfindungen, als du zuerst in Gottes Garten auferwachtest, nun über dir der neue Tag anbrach, die herzerquickende Sonne nun über dir lief, der Abend sich ausgespannt in seiner Pracht, und in schauderhafter Stille zum erstenmal sich über dir niederließ die schwere, finstere Nacht. Geliebter, erinnerst du dich's noch? Auf der holdseligen Insel im Herzen des Paradieses erzähltest du mir einmal davon. O selige Stunden! Laß mich's heute noch einmal von deinen Lippen vernehmen, schöner, gottgebildeter Adam! Auch unsere Kinder baten dich öfters darum; mach' ihnen jetzo die Freude! Auffassen werden sie alle deine Worte und fest in ihre Herzen verschließen, einst treulich ihren Nachkommen wieder erzählen, Wort für Wort, wie sie das von Adam's Munde vernommen; das wird ihnen ein seliger Trost bleiben und allen denen, die es hören.«

Also Eva, die schöne Mutter. Der gottgebildete Mann aber nahm sie freundlich an der Hand und sprach: »Gerne will ich euch jetzo erzählen, meine Teure; deine Bitte ist mir selber so angenehm. Doch laß uns warten, bis Abel, mein Sohn, auch hier ist. Schon kommt er an dem Garten her, er trägt seinen Stab auf der Schulter, daran ein schön geflochtener, mit Gras bedeckter Korb hängt. In der Hand aber hält er seine schön geschnitzte Wasserflasche; der gute getreue Hund springt vor ihm hin. Gewiß kommt er von der Weide und hat bereits seine Lämmer eingetrieben.« Also Adam.

Abel, der muntere liebreiche Schäfer, ging jetzt die Hecke hervor. In die Mitte kommt er nun herbei und stellt seinen Korb auf die Erde; dann küßt er seiner geliebten Mutter Stirne und des erhabenen Vaters Hand, beide Schwestern aber küßt er zärtlich auf [27] den Mund. Jetzt geht er wieder zum Korbe und spricht: »Etwas Angenehmes hab' ich für euch in diesem Korbe verborgen, Schwesterchen. Welche es rät, soll es sogleich auch von meinem Händen empfangen.«

Also Abel. Lächend hüpft' er um den Korb herum. Tirza sann hin und her. Jüngst begehrte sie von Abel eine Opferschale, die er ihr schnitzen sollte; sie hatte sie selbst ausgedacht bei nächtlicher Weile: schön rund sollte sie sein und tief ausgehöhlt, Früchte darein zu legen; auf jeder Seite gegenüber sollte ein Cherub stehen mit doppelten Flügel nach Adams Abbildung. Sonne und Mond sollten darauf stehen, der Morgen-und der Abendstern; unten und oben aber zögen sich Kränze von mancherlei Blumen herum, die Abel mit Saft von wilden Beeren bestreichen und schön bemalen wollte. Jetzt glaubte sie ganz gewiß, er habe diese Opferschale heimlich vollendet und wollte sie ihr unversehens vor ihren geliebten Eltern schenken, um ihr Herz in Freude zu überraschen. Freundlich steht sie auf, hinzugehen; aber Melboe, ihre geliebte Schwester, war bereits am Korbe. Die schiebt neugierig oben das Gras weg und spricht anmutsvoll zu ihrem geliebten Bruder also: »Nicht doch, laß uns viel lieber gleich sehen, was du uns Gutes heimgebracht, liebster Bruder, als so lange raten. Ei sieh' doch, teure Mutter! liebster Vater! Schwesterchen sieh' mal, welch ein schön Tierchen, o wie unschuldig! Einen jungen Hirsch, Schwesterchen, ein klein Reh hat Abel, der liebe, im Korb mit heimgebracht. Sag' mir doch, Bruder, wo hast du's gefangen?«

Jetzt treten alle hinzu, sich an dem unschuldigen Geschöpfe zu erfreuen, das so vertraulich vor ihnen lag. Eva sprach zu Adam also: »Welche auch dies Rehchen von ihren Bruder empfängt, immer wird es die andere schmerzen, denn ich sehe, beider Herzen hängen daran. Mich dünkt, Vater, wir wollen es unserer Jüngsten für eigen lassen; aber Melboe, unsere liebevolle, darf sein warten und pflegen und also auch ihre Freude mit daran genießen.« Dies sagte die Mutter und war eben im Begriffe, es also unter ihre Töchter zu verteilen. Aber nicht weit davon stand des Rehes Mutter. Immer war sie Abel nachgelaufen, jetzt kam sie unter den Linden hervor mit aufgereckt forschenden Ohren und schaute sehnlich nach ihrem Kinde umher. Immer näher ging sie und trat furchtlos hinter Adam, dem ersten Menschen, zur teilenden Mutter herbei, legte leise das Haupt auf ihre Schulter.

Der erhabene Vater aber spricht also: »Du teilest unrecht, [28] schöne Eva; meine Liebe, sieh hinter dich, noch eins steht und erwartet sein Teil schmerzlich, und ich hoffe zu deinem mütterlichen Herzen, du wirst ihm das nicht versagen können. Eva dreht sich, erblickt die Rehmutter, betroffen steht sie auf. Adam aber spricht zu ihr weiter: »Kennst du dies Reh nicht mehr, Eva? Ist doch eine alte Bekanntschaft; erinnerst du dich nicht mehr im Paradiese, in Eva's schöner Grotte, wen ich dir zuerst da zugeführt? Sieh, sie lenkt deine Hände, die teuern Hände, die ihr so oft damals geliebkoset. Komm, gib ihrer Liebe Raum! Laß uns dort ins Grüne ihr Junges hintragen und so wieder ihrer mütterlichen Pflege überlassen. Süß sind Muttersorgen, das weißt du, meine Teure!«

Eva winkt nun Melboe; die nahm sachte das Reh aus dem Korbe hervor und hielt es nieder. Freudig sprang's aus ihren Händen zur ernährenden Mutter hinüber; freundlich empfing die es unter ihre Beine und tränkt' es. Eva legt ihre Hand auf der Rehmutter Stirne und spricht: »Sei mir gesegnet, die du in Unschuld Eva gekannt! Viel selige Stunden haben wir damals miteinander genossen; reich war damals Eva an Freuden, an ewigen, seligen Schätzen; jetzt reich an liebem Kummer, an mütterlichen Sorgen dafür! O komm noch oft zu mir!«

Sie sprach so und trat auf die Seite, ihrem gedrückten Herzen Raum zu lassen; die Rehmutter aber zog durch Ginster und Sträuche mit ihrem lieben Jungen wieder davon.

Adams Erwachen im Paradiese. Eintritt in die Schöpfung. Erster Sonnenaufgang

Jetzt winkt Adam, der Vater der Menschen, allen aufs Moos nieder; er aber bereitet sich auch, legt den schweren Baum vor sich hin, sitzt mitten unter sie. Herrlich saß Adam, der Urvater unter seinen Kindern: Gottes Meisterstück, saß er in übermächtiger Kraft Leibes und der Seele. Obgleich gefallen, ruhte doch immer Abglanz göttlicher Erhabenheit auf ihm, die ihn über alles Geschaffene hervorhob. Freundlich glühten seine Wangen am silbergrauen Barte, patriarchalisch floß die satte Locke am mannhaften Halse herunter. Jetzt nahet ihm eben Eva, die schöne, gottgeschaffene Mutter. Männlich faßt er sie an in ungeschminkter, schuldloser Liebe und [29] nötigt sie nieder auf sein kraftvolles Knie. Sie sinkt, seiner stärkeren Arme Beute, enthüllt ihren wonnevollen Busen dem unschuldigsten Raube. Der Vater der Menschen sah sie an, verwundert ob ihrer Schönheit, neu verliebt; freudig ward sein Herz jetzt und Entzücken strömt aus seinen strahlenden Augen. Innig umfangen hält er sie nahe seinem Herzen und spricht also;

»Nein, das sagen kann ich dir nicht, teure geliebte Eva: Des ersten Erwachens Schauder bleibt unaussprechlich, mir ewig geheim. Wie könnt' ich auch, liebe Geliebte? Mehr als ein Mensch müßt' ich sein – könnt' ich das jetzt aussprechen. Zwar haben heilige Engel in ihren Liedern oft mir der Schöpfung Geheimnisse verkündet, oft mir erzählt, wie Gott den Erdenkloß zum Menschen beseelt, wie er dalag in des Schöpfers Händen, ungeschlacht, noch Staub, ein Nichts, jetzt, angehaucht vom allmächtigen Odem ins Leben erwärmt, zum schönsten Wunder erwacht. Welche Fülle von Empfindungen umfaßt doch das einzige Wort: Erwachen – ins Leben erwachen! Meine Kinder, wer will das aussprechen!

Wie war dir, Liebe, als du zum erstenmal deine Augen über mir aufschlossest, den schönen Himmel, die schöne Erde zum erstenmal vor dir erblicktest? ... Dies fragt' ich dich öfters, und allemal standst du schweigend, und deine schönen Augen fanden immer eher Tränen als deine Lippen Worte, es auszusprechen.

Als ich zum erstenmal meine Augen aufschloß, über mich zum erstenmal Licht von oben herabkam ... o Gott! ... ich sah, ... und sah nichts, und alles war doch so lieblich; hört' ... und hörte nicht, alles doch so lieblich! ... Es war noch totes Leben, war noch lebendiger Tod. Meine Seele schlummerte noch, meine Sinne alle noch geschlossen ... Bald aber erwacht' ich weiter, meine Sinne eröffneten sich mehr; klarer murmelten jetzt die Bäche vor mir, die Winde rauschten lieblicher, neben mir, über mir, in den Büschen, in den Cedern ... alles sah wundersam, alles ... ha, daß ich's einmal ganz aussagen, hinlallen könnte! Die Winde rauschten so lieblich! Bäche murmelten so klar! die schönen lebendigen Bäume vor meinen Augen! das Gebrüll der Tiere in meinen Ohren! – Alles so fremd und doch mir einfühlend, ganz mir verwandt! Ich sah hin: Himmel, Erde – ein Blick; ich fühlte, freute mich; mir war's, als fühlt' ich des Schöpfers allbelebenden Odem über mir.

Da eröffnet' ich die erwachenden Augen, da sah ich, und meine [30] Blicke faßten stärker. Das Morgenrot quoll auf am Himmel, quoll über mich nieder. Kühl taut's, ich zog die Luft ein, da ging lebendig der Odem in meinem Busen. Noch weht's; ich hielt mein Ohr hin, da klang's, da tönt's, säuselt's ... Da schlossen sich meine Sinne ganz auf, wie einem Kinde schlossen sie sich auf; neue Stärke drang durch alle meine Gebeine, neues Leben ergoß fich in alle meine Adern. Jetzt fühlt' ich Kraft, meine Glieder zu bewegen – aber mich selbst hielt noch immer die kühle Erde in ihrem gewaltigen Schoße fest. Ich saß im Kampfe zwischen Ermannen und Niedersinken und neue Kraft Gottes kam über mich, stärkte mich zum Leben.

Die ganze Schöpfung um mich her – Lebensodem weht überall; die ganze Natur, neben mir, um mich, brach jetzt in einen frohen Laut aus. Lieblich sangen nun die Vögel über mir, fröhlich brüllten die Tiere darein, die Winde sausten erquickend hinüber, die Bäume rauschten freundlich herunter, die Ströme schossen mächtig daher ... Alles ein Stoß dem Erderwacher, nicht Klang spielender, sich selbst überlassener Natur. Heilige Stimme Gottes nun, Aufforderung, Einsetzung, Einsegung des Menschen in die neue Schöpfung, Huldigung, frohes Staunen, Zuruf, Gejauchz der Geschaffenen dem ersten Menschen ins neue Leben.

Nun war ich ... fühlte mich ganz im Lichte geworden .... sah alles an, was vor mir geschaffen war .... aber auf meiner Seele lag noch schwere Dämmerung.

Gewaltigere Lebenskraft floß noch einmal durch alle meine Nerven, riß mich nun ganz der Erde los ... Da stand ich auf: der Sturm wirbelte die Wipfel, das brauste herunter, das kühlte meine Brust ... Nun schaut' ich um mich, ging, sprang, stand wieder, betrachtete meine Glieder ... Die Haare wehten mir um die Stirne, ich griff darnach, hielt mich so selbst gefangen ... nun lacht' ich .... ich fühlte das Anspannen meiner Wangen ... ich schrie, der Odem ward mir im Busen zu mächtig; ich schrie wieder und verwunderte mich ob meiner Stimme ... Jetzt fuhr Schauer durch alle meine Gebeine, riß schwere Nacht von meiner Seele; da erwacht auch mein Inneres und gewaltig drang's in mir darnach: Wer bist du? Wie bist du? Wer hat dich gemacht? hierher gebracht? wer das Klopfen in deine Brust gelegt? den Schrei in deinen Hals? das Recken und Strecken in deine Arme? in deine Ohren den Schall?

Ich sprang über Hügel, Auen, Felsen – überall mir entgegenströmendes [31] Wunder, neues auf mich einstürzendes Entzücken durch alle meine Sinne, alle meine Adern! Da strömte Gefühl auf Gefühl, Schauer auf Schauer, Wonne auf Wonne in mein Herz! Ihr blühenden Wiesen, fallenden Bäche, steigenden Wälder, alles! Licht auf Licht, Kraft auf Kraft, Schlag auf Schlag.

Und nun, o Anblick über alle maßen! Sinneverwirrung mir, Zwang zu stummen, heißen Tränen: als ich zum erstenmal über mir aufsteigen die Sonne sah! ... Mächtiger Anblick, der jetzt noch alle meine Nerven erschüttert! O glaubt mir, ihr Lieben, hätte damals meinen bessern Leib, erst aus Gottes Hand hervorgangen, hätt' ihn nicht selige Reinheit emporgehalten, wär' er sündenschwach, gefallen wie jetzt gewesen, glaubt mir, er hätte die Stärke, den so gewaltigen Schlag dieses Wunderanblicks nicht ertragen können.

Da stand sie, teilte eben leuchtende Wolken auseinander prangt ... himmelan im stolzen Gange! ... Hingezückt, mir selbst verloren, sah ich nichts als sie, ihn, den neuen Engel über mir, den Gott, Weltbeleber, Weltentzücker! Ich flog mit Blicken zu ihm hin, umfaßt' ihn, hielt ihn, erschrak und konnte mich doch nicht loswinden von dem zu süßen, seligen Wunder.

O unaussprechliches, großes, herrliches Gefühl, das damals mit deinen Strahlen zuerst in mein Herz eindrang: Licht, das mich umschwebt, mich umfing, meine Seele entzündet, meine Sinne erleuchtet zum hohen Bildnis dessen, der die Erde, die Himmel gemacht, der den Kloß zum Menschen beseelt! Du gabst mir erst Kraft und Vollendung, o Sonne! In deinen erquickenden Strahlen reift' ich zum Menschen erst aus.

Da riß schwerere Nacht von meiner Seele, da schaut' ich, sah, hörte die Worte dessen, der laut durch mein Inneres rief: Mann von Erde, alles was da ist, alles was du erblickst, ist mein Werk, ist alles geschaffen aus Liebe zu dir! – Da sank ich nieder, von trunkener Andacht ergriffen, streckte stumm meine Hände aus, sprachlos lag die Stimme in meinem Busen. Halleluja dem, der's gemacht! Halleluja dem, der's gegeben! Ihm sei Ehre, Preis in Ewigkeit!

Heilige Geheimnisse lagen jetzt aufgedeckt in meinem Busen.«


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TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). Adams erstes Erwachen und erste selige Nächte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5118-E