[212] Der Spaziergang nach Neckarau

(Aus einer Zuschrift an Otto Freiherrn von Gemmingen.)


Wer doch dasitzen und sein Luftschlößchen gemächlich nach Herzensgefallen ausbauen kann! Es tut einem so wohl in der Seele, drängt einem oft ganze Stunden wie nach Schlaf, daß man sich's endlich nicht länger mehr erwehren kann, wenn Moment und Lage so recht die Phantasie dazu anreizt. Wir sollen und müssen eben oft hinaus, wenigstens mit unserem Herzen, in die Ferne. Es gehört mit zu unserm Wesen, wie die Bienen über Tal und Auen, die Schöpfung zu durchwandern, um tausend neue Schätze zu finden, wo die Liebe mit allmächtiger Rute anschlägt; nicht immer mit dem Gedanken an einem Herd zu hausen, wär's auch nur dann und wann Bewegung und Ausbruch der Glut zu geben, die, sonst auf uns verschlossen, unser Herz endlich ganz verzehrte. Fühlten wir doch oft süßen Drang, Teuerster, zum Schaffen; und mit welchem Entzücken legten wir Zauberstab und Bleimaß wieder hin und freueten uns der vollendeten Schöpfung, freueten uns der Erholung darnach, wenn die verschlossene Seele, durch Imagination geöffnet, so recht der Fülle entließ, wie nach segenreichem Gewitter, das in üppigem Umfangen die lechzende Natur wieder erquickt.

Neu gestärkt dann, Unsterblichen gleich, wir in Ihren Heldenwagen sprangen, gastfrei und bieder Sie, ein anderer Odysseus, den Zügel ergriffen, die zwei braunen, stolz wiehernden Halbgötter voranzujagen, die ihrer Kraft wegen mir so lieb sind.

Leben, du bist süß, wer dich als Mensch genießt, des angestammten Rechts fühlt, das alles unter der Sonne meiner Freude gegeben!

Dann gings immer voran im Sturm, am Wasser und Wald, Steg und Hecken jetzt vorüber, dem Flug erhitzter Jugendphantasie nach, die taumelnd sich stolzerer, hoffnungsvollerer Zukunft entgegenschwingt. Man glaubt dann schneller zu schweben hinein in die Welt.

Dann und dann, was fällt einem nicht alles ein! Erste Liebe, erste Freundschaft, erste Lieblingsideen, erstes Wonnegefühl an der Natur – dann spiegelt sich noch einmal alles vergangene Herrliche durch die Seele zurück und paart sich mit den Hoffnungen der Zukunft. Die erzeugten Kinder sind schwärmerische Träume, die Herz und Seele eine Zeit lang in wollüstigen Schlummer wiegen ....

[213] Jetzt leben Sie wohl, und verzeihen Sie mir diese Plauderei. Ich hoffe, unsern vortrefflichen von Dalberg diesen Mittag in Ihrer Halle zu treffen.

Wie wäre es, wenn wir gegen Abend durch Neckarau am Rhein hinpilgerten – so in Ihrer und unseres Ossians Gesellschaft, köstlich! Wir ließen so die Sonne vor uns hinter's Rheingebirge hinabsteigen, seh'n den Mond dann die silberne Flut hinaufwandeln, uns in die Zeiten der Helden zurückzuwinken.

Aber da müßten Sie mir auch versprechen, nicht mit einem Wörtchen zu gedenken, daß es heutzutage noch Leutchen gäbe, die ihr buntes Pfeifengequäck dem blitzerhellten Nachtgesange des blinden Königs der Lieder anzuflicken suchen. Sonst bin ich auf einmal für alles verdorben.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). Gedichte. Gedichte. Der Spaziergang nach Neckarau. Der Spaziergang nach Neckarau. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-512D-F