Bacchidon und Milon

An seiner efeuumwachsenen Grotte saß der Knabe Milon entzückt. Ihm war erst ein treffliches Lied auf den Weingott Bacchus gelungen, das gefiel ihm selbst so wohl, daß er's, weil niemand anders zugegen war, der horchen wollte, dreimal seinen Ziegen vorsang. Eben kam der immer durstige Satyr Bacchidon seiner Höhle zu. Fröhlich nötigt ihn der Hirt also herbei:

Milon: »Wie recht gehstu hier über, Freund Bacchidon! herein in meine Grotte! will dir einen Gesang vorspielen, einen trefflichen Gesang auf'n Weingott Bacchus. Eben ward er fertig – Soll dir gefallen, gewiß gefallen; ohn mich zu rühmen, ist's mein best Gedicht; herrlich – wirst selbst hören.«

Bacchidon: »Mit deinem Gedicht! – Lärmstu doch als wollst einen zum Schmaus laden. – Bin ohnehin schwer und unbeholfen, und du Narr machst mich noch durch die Hitze laufen, daß ich den Atem verliere. Weg –«

Milon: »Wirst doch nicht so sein, lieber Bacchidon! wieder fortgehen, ohne mein Hymnus zu hören. – Bleib doch, wird dich nicht reuen. Ich hab mir alle Mühe gegeben, was Extras zu machen; auch läßt's so schön wenn ich ihn spiele –«

Bacchidon: »Still – still – uh! du flammender Hundsstern!«

Milon: »Darnach hätten wir uns fröhliche Stunde gemacht, wacker gezecht; habe meinen Schlauch weidlich mit frischen Most gefüllt –«

[1394] Bacchidon: »Ah so!« – Nun heiterte sich des alten Satyrs Stirne auf, als er vom Most hörte. Weiter sprach der Knabe zu ihm: »Willtu horchen?«

Bacchidon: »Freilich – laß doch einmal hören, was du Guts gemacht.« – Nun saßen beide aufs Moos nieder. Bacchidon lehnte seinen zottigten Bocksfuß auf ein zerbrochen Stück Urne das eben dalag, sein Haupt und Rücken aber lastet er an eine grüne Pappelwand: Dann sprach er dem Knaben gegenüber also: »Was das eine Hitze ist! – Was ich dir Durst habe! Sirius tobt abscheulich; ist ein Narr der Kerl, möcht uns alle gern rasend haben. – Wohl mein Sohn, daß du deinen Schlauch wacker geflickt; aber dreimal wohl, daß du mich zu deinem Schmaus ladest.«

Milon: »Sag mir doch, soll ich alleine nur singen, oder soll ich auch mit der Leier dazu spielen?«

Bacchidon: »Närrchen, mach's wie du willt. – Vor allem gib was zu trinken, ich meine Lung und Leber brennen mir ab. Was das heiß macht! Phu! – ist mir, als trüg ich den Ätna im Leibe. – So, so, schon gut, auf dein Wohlsein, pappelbekränzter Freund Milon!«

Milon: »Wenn dir's einerlei ist, will ich dazu spielen; läßt doch immer hübscher –«

Bacchidon: »Vortrefflicher Wein! – extra gut! – extra fein! – Mein lieber Freund Milon, laß dir einen Schmatz geben! Her sag ich – stärkst meine alte Knochen mit so köstlichem Balsam; delikates Gläschen Wein! verjüngst mich als ein Adler.«

Milon: »Schmeckt er? je Bacchidon liebt immer was Feines, sollst's auch gleich hören.«

Bacchidon: »Ums Pans willen, wo hast du den Wein her? Geruch, Farbe aus Zypern. Junge, wer gab dir ihn? Will ein Schelm sein, wo du ihn nicht dem kahlköpfigen Silen weggemaust, als er voll unter seinem Esel lag. – Ist's so, he? Himmlischer Wein! der schleicht die Gurgel nunter – Mein Gläschen ist wieder leer.«

Milon: »Traun er mag gut sein, hat mich auch mein schönst Stück Bock gekostet; – aber wenn du ein so großer Becherheld bist, als rühmst, kannstu mir sagen was für Landsmann?«

Bacchidon: »Beim Jupiter ja – gleich sollst's hören, gleich – laß mich nur erst ausreden, das Herz ist mir zu voll. – Was ist's doch eine edle Sach um gut Tröpfchen! – Freund, daß uns doch Zeus einmal zu Genüge gäbe, und wir wie Gänse in solchem Trank[1395] schwämmen! – Wahrlich frommer Wunsch – aber er macht's wie er will. – Prosit – ist Wassers Patron.«

Milon: »Wie ist's? kennstu ihn nun?« –

Bacchidon: »Was denn? – wie denn? o mein Seel, ich hab's vergessen, daß dich der Guckguck! der Schurk ist auch so glatt – schenk noch einmal ein, gar zu glatt, Milon – glätter als ein Aal. Kaum wollt ich den Schelm am Kopf erwischen, und ihm ins Gesicht sehen, da war mir schon der Schwanz zwischen dem Daumen. – Kann's nicht begreifen –« Nun guckte er ins leere Glas und sprach, »Freund Milon, ich dacht auch würklich dein Pokal wär tiefer.«

Milon: »Was tiefer – der Henker reich tief genug, wenn's auch ein Ziehbrunnen wäre, du süffest ihn aus. – Mein Schlauch reicht nicht zu, wenn's so währt – Bleib ruhig sitzen; hör hübsch meinem Hymnus zu – hernach wenn ich fertig bin, und dir's gefallen hat, will ich schon wieder füllen.«

Bacchidon: »Was hastu vor, Junge? Was soll das bedeuten? Ist das dein Ernst, wie? Ei du lieblicher Gaudieb willt mich nur vexieren? vexieren ha? Geh schenk ein, wer will warten, wenn der Schlauch noch voll ist – schenk ein sag ich – warten – daß dich die Pest! ein schön Warten – Kind Milon, nur ein einziges Wort, ist dein Gesang nicht auf Bacchus?« Milon sprach, »das hab ich dir schon zwanzigmal gesagt, wärstu ruhig und ließest mich auch zum Wort kommen, so könntestu hören.«

Bacchidon: »Was? – weißtu auch, Junge, was das heißt ein Gedicht auf Bacchus? was das auf sich hat, was das sagen will, Baccho ein Hymnus dichten? weißtu wer Bacchus ist? – frag nicht umsonst – wer er ist? ein muntrer durstiger Mann, freundlich und leer, der alle Dinge im Rausch anfängt, dabei ein merklicher Feind von leeren Gläsern ist – merkstu?«

Milon: »Oho, sehr leicht – dein Glas.«

Bacchidon: »Was geht's dich an, wenn's leer ist und's dir nicht gefällt – Ei du Närrchen! füll wieder, was hindert's. – Weiter ist Bacchus der Weinerfinder, der Weinerfinder, mein Sohn! wenn man ihn malt, trägt er immer in der Rechten einen vollen Becher, in der Linken einen Traubenklotz – in Wahrheit hab ihn selbst einmal so mit Kohlen an ein Faß gerissen, wie er zwei Staren von einer Traube scheucht –«

Milon: »Was geht's mich an –«

Bacchidon: »Trauben scheucht – zwei Staren –«

Milon: »Meinetwegen zwei Raben –«

[1396] Bacchidon: »Staren! bei meinem Horn! – hättest alle Nägel an ihren Füßen zählen mögen, und alle Federn an ihren Schwänzen, bei meiner Treu! Die Faunen lachten dir oft drüber. – Sieh, so ließ ich dem Bacchus den linken Arm übers Knie bambeln. Sieh doch – den rechten hub er so in die Höh – schlug mit einem Stecken dem einen Starmatz aufn Kopf, daß ihm die gestohlne Beer aus'm Schnabel fiel. – Darnach stellt ich grad seinen Augen gegenüber in freier Luft einen mächtig großen Becher voll dicker Tropfen neben um – Ein Korb voll Trauben hing ich an seine Hörner, und setzte ihm, Trunks anzudeuten, aus freier Hand mitten auf die Nase zwei rote Pocken, haselnußdick, daß sie jeder von ferne schauen mochte. Gelt das war dir was Nobels? – Noch manchen Gott würd ich so an die Wand hinarbeiten, aber ich kann vor meinem Bauch nimmer zu. – Im übrigen all eins – wieder aufs Wort zu kommen – du weißt also wer Bacchus ist. Hastu denn Verwegenheit genug, einem alten frommen Mann als mir zuzumuten, daß er einen Lobgesang auf Bacchus anhöre, ohne vor durch tüchtigen Rausch sich in heilige Begeisterung zu setzen? – Ah, das wag ein anderer – nein – Verwegenheit, grausame Sünde so was, nein, da behüte – getrunken muß man haben siehstu, und ich habe heut noch kein Tröpfchen über mein Herz gebracht, mein Seel!«

Milon: »Schwör, daß du erworgen möchst! – Ei du fetter schmeerbauchichter Lümmel! Nicht getrunken? Mein Schlauch ist halb leer – nicht getrunken nein? nicht getrunken? – so zu schwören.«

Bacchidon: »Schrei nur nicht so – ist ja nur Spaß.«

Milon: »Schlechter Spaß – ist dir nur ums Saufen zu tun; einen Gefallen erweisen, zuhören kannstu nicht. Möcht 's Teufels werden! säufst einem den Wein und tust einen noch dazu quälen –«

Bacchidon: »Ha, ha, ha – was das gesprochen ist! – Verzeih dir's Jupiter, gottloser lieblicher Schelm. Dich quälen! einen alten Mann so verleumden, dich quälen! ha, ha, ha. Ei ja doch! den Schlauch wollen wir quälen, ihm den letzten Tropfen vom Herz drücken. Dich quälen! unvergleichlicher Dieb – dich quälen! sag, wie kommstu nur dazu?«

Milon: »Laß mich nur einmal zum Wort; – hör auf zu plappern – hättest nur deinen Wanst voll Steine und ließest auch einmal mein Maul frei; – aber –«

Bacchidon: »Hörstu's Junge, wer hält dir's? – Sprich so viel dir lüstet, wir haben 's Maul nicht umsonst. Ah, da fällt mir ein [1397] artig Stückchen ein. Weißtu zum Exempel warum das Maul einem grad unter der Nase sitzt he? Die Nas hat sonst auf dem Wirbel gestanden; gelt das hastu vor nie gewußt? Ein herrlich Histörchen! hör nur, ein gerechtes Stück, ein klarer Beweis von Jupiters Weisheit. Mir hat's jüngst ein graubärtiger Ägypter, der in meiner Grotte übernachtet, ein gelehrter Hexenmeister, der dir alles weiß, was Sonn und Mond spricht und Jupiter träumt, erzählt. Zu Anfang der Welt, sagt er mir, als Zeus den Menschen gemacht, schuf er die Nas auf'n Wirbel, sprach – aber wart, will zuvor ein Schluck tun, daß mir der Hals ein bißchen glätter wird, hernach weitererzählen.«

Nun trank der alte Satyr. Aber Milon sprach heimlich so: »Wollt er läg mit seinem Märchen im Rhein; heut komm ich nicht an mein Lied zu spielen, und ich wollt, ich läg oben drein, daß ich so einfältig war, und den Nimmersatt in meine Höhle gezogen – wenn's noch lange währt, drückt's mir das Herz ab.«

Bacchidon: »Was geschah? da nun jeder seine Nase unter der Kappe trug – denn Jupiter sprach weislich, 'laßt sie nicht eher aus, als wenn's euch beliebt, so seid ihr nicht gezwungen, zu riechen, was euch nicht beliebt', und kurz, meine Meinung zu sagen, mir gefiel's sehr unvergleichlich. – Aber wie gefiel mir's? Zum Exempel wenn man, wie Jupiter meinet, durch des Nachbars Kühstall in seinen Weinkeller geht, oder sonsten wo, da man gezwungen ist einzuschnaufen, was uns mutwillige Lüfte unter die Nase treiben – da ließ ich nun hübsch meine Kappe sitzen, ging grade durch. Aber zum Exempel wenn man bei Gelagen sitzt, guten Wein trinkt, da lob ich mir doch dies Plätzchen, wo wirklich Nase stehet, denn da kann man immer trinken, auch zugleich riechen und so doppelt genießen. – Schönheit halben möchte sie immer ganz wegbleiben: denn die schönste Nase, Wahrheit zu sagen, steht einem nicht besser zum Gesicht, als das Bierschild zu einer Klippschenke. Aber wieder auf meine Erzählung zu kommen, das ging nun alles gut mit unsrer Nase; geruhig saß sie unter ihrer Kappe, dacht an nichts, bis Bacchus geboren ward, mit ihm die Rebe hervorwuchs, da war ein Jubilierens ohn Ende; alles freute sich, denn die Rebe wuchs kräftig voll Most und Trauben; da waren die Augen sie zu sehen, die Zung und Maul Trauben zu kosten, Ohren lieblich den Most im Becher sprudeln zu hören, alles voll Lust, nur der armen Nase unter der Kappe, als ein Ei unter der Henne versteckt, ward nicht gedacht, konnt nicht mitgenießen allerlei Freuden. – Denn das muß dir beiseit sagen, [1398] Freund Milon, damals war's noch nicht Mode beim Gesundheittrinken die Kapp abzuziehen – hörst du's?« Milon sprach heimlich: »Ich wollt, hätt keine Ohren, gewiß ich verbrenne langsam im Styx, so das Ding noch lange währet.«

Bacchidon: »Will lauter reden, daß du mich besser verstehen kannst – Endlich erfuhr's meine gute Nase. ›Ei!‹ schrie sie zu Jupiter auf, ›betriegt man mich so? Was hab ich denn getan, daß ich schlechter geachtet werde denn ein anderer.‹ Absonderlich tat's ihr wegen des Mauls weh; das trank nun nichts ohn zuvor der armen Nase unter der Kappe zu höhnen, schrie, ›komm herunter Näschen, herunter wenn du kannst, schnüffel ein bißchen.‹ – Jupiter schlug auf'n Bauch – Jupiter ist ein feiner Mann, sah wohl daß der Nase Gewalt geschah – was tut er? Er nimmt fein hübsch die Nase vom Wirbel runter, setzt sie recht übers Maul hin, sagende: ›weil du Maul gehöhnt, soll künftig Nase recht über dir stehn, sollst immer in ihrem Schatten sitzen zur Straf; auch sollt du Maul künftig nichts genießen, worin nicht zuvor Nase ihre Nase stecke.‹ – So kam sie herunter. Ha! ha! ha! – Nun wie gefällt dir mein Spaß?«

Milon: »Das will ich dir gleich sagen: Solang ich hier in dieser Grotte wohne, und solange sie meine Vorfahren bewohnet, die selbsten Pan hierin erzogen, hat nie ein unerträglicherer Schwätzer mit seinem Rücken an dieser Wand gelegen, als du – O du unerträglicher Saufaus, und noch greulicherer Plapprer, wie ermüdest du meine Geduld! Ich wollt ich wäre zehn Meilen von hier –«

Bacchidon: »Was schnarrstu? Was gehen mich deine Fratzen an. – Wenn dir mein Stückchen nicht gefällt, was tobst du Esel dann?«

Milon: »Platz auseinander! – Ich schwör beim Zerberus, denn nun bin ich fuchswild. – Sollt kein Maulvoll mehr zu trinken bekommen, bis du mein Hymnus angehört, solltest auch drüber verzwatzlen.«

Bacchidon: »Liegt da der Has? – Ich Ochsenkopf – hum! Milonchen, mein Närrchen, mein Hühnchen – wirst doch nicht bös sein – nicht gleich bös sein – Will Silens Reutpferd sein – Distel fressen, mir die Ohren abschneiden lassen, wo ich's im Herzen mit dir arg meine. – Wie singstu denn heut nicht? Wie? mein artiger Venuskeil! – Laß mich doch nicht so lange warten. Geh doch, geh! mache einem alten Mann auch einmal ein Späßchen. Laß mich dein Hymnus hören, mein Seel! sitze schon über eine Stunde hier[1399] – eine volle Stunde, lasse meine Ohren weit offen hängen als ein hungriges Füllen, laustre dir mit Fleiß auf – sei doch so geizig nicht – sing doch, sing, sing, sing, komm will mitsingen, Takt schlagen, Baß brummen, Chor schreien, heulen, bewundern, wie's gilt. – Ah! eh du anfängst füll mir noch einmal dies Glas, noch ein einzigmal; und um die Welt kein Tropfen mehr. Genug – will dies mit Verstand trinken, spitzen, sucklen, Tröpfchen vor Tröpfchen, bis du fertig bist. – Fang an – schluck – drunten ist alles – daß dich der Geier! wie ging das zu – Ei du Gaudieb hast mich am Ärmel gestoßen, mir 's Glas in den Hals gestoßen – kann's nicht begreifen, wundersame Sympathie! – magnetische Kraft! –«

Milon sprach nun hitzig: »– Horch Bacchidon, das letzte Wort – laß mich jetzt gleich mein Lied vorsingen, oder ich glaub du stoffelst mich; will dir's dann gesegnen, soll dir nicht schmecken wie mein Wein.« – Als dies der Knabe sagte, hob er erzürnt den Stock in die Höh; ängstlich rollte der Satyr die feurige Augen, denn ihm war vor Prügel angst; drum sprach er ganz leise: »Ja, ja, ich will schweigen und horchen, fang nur einmal an.« – Fröhlich ward's dem jungen Hirten nun zumute; entzückt nahm er die Leier, fing mit beweglichen Gebärden und herzbrechender Stimme also an: – »Bacchus! Bacchus, wie soll ich dich singen, umstirnter Evan, wie, o du unvergleichlicher Tyrsusträger du! Soll ich dich mächtig singen, wie du mächtig hinter einer Rebe laurend, der nächtlichen Luna kämpfende Drachen erhaschst. Erhaschst, sing ich, denn damit die göttliche Schwester länger bei deinem Becher verweile, knüpftest du ihres Gespanns feuerschuppichte Schwänze ineinander, zogst sie dann hoch auf, daß sie herabkreisten von deinem Weingeländer, ähnlich Jovis flammichten Blitzen. – Ja das war ein Spiel! Oder soll ich dich singen, wie du efeugekrönt und tyrsusschwingend, durchs heilige Zypern flohst. Um dich jauchzten taumlende Faunen, den Göttern entsprungen: und der Wälder und Quellen Nymphen gossen die Urnen vor dir, pflasterten deine Straße mit Blüten – oh! oh! oh! da gingstu stolz und königlich einher. Deine wehende Locken schlugen harmonisch herab auf den goldnen Riemen, der anzog deiner schwellenden Schulter den Purpurmantel, daß ihn nicht: dir nachgauklende Zephyren mit leichten Fingern entwenden. – – Oh! wie ganz heilig warstu! Wilde Partel führten ihre Jungen auf deinem Pfad, die trunkne Spur aufzulecken, wo dein heiliger Fuß stand. Krokodil und der grimmig jauchzende Löw liefen, wie weinende Kinder, nebenher, bettelten Most und Trauben aus [1400] deiner vollen Schale. Ach da gabstu ihnen und sie nahmen und aßen fröhlich. – War das nicht himmlisch anzusehn!« –

Bacchidon: »Halt ein Milon, keine Silbe weiter, hierauf muß erst getrunken sein! – hierauf muß erst getrunken sein. – Was das gesungen – und sie nahmen und aßen – wie weiter?«

Milon: »Und aßen fröhlich, war das nicht himmlisch anzusehen?«

Bacchidon: »Göttlich Lied! – schenk ein – was das gedicht ist! – Schenk voll – ei du Spitzbub lässest das ganze Glas leer – Keine Ehrlichkeit mehr – muß gestehen –«

Milon: »Hör doch nur weiter lieber Bacchidon, jetzt kömmt erst das Schönste.« Der Satyr trank und sprach: »Wohl! wohl!« – Aber der Knabe sang also weiter: »Auch mutig bistu im Gedräng der Schlacht wo Hörner brüllen den Hügel herunter, auch beim Weinmahl. Ergriffstu nicht einst voll Kraft, jenen rußigten Bock, den ausgesandt der ergrimmte Erebus deinen heiligen Weinberg zu verheeren. An seiner buschichten Stirne faßtestu ihn, schleudertest hoch, daß er hinfuhr über Ozean in Neptuns wellenreiches Spiel, dem brausenden Walroß zur Beute, Ja – ja! aber das ist zu traurig vor meine Schalmei; lieber will ich singen wie du im Grünen scherzest, da wo hüpfende Quellen herunterfallen von Klippen und unter biegenden Lauben plätschern. – Wie munter bistu dann und vertraulich! Wie spaßestu dann glimpflich mit deinen Freunden! War es nicht ein ergötzlich Späßchen, als du einsmals deinem göttlichen Vetter, dem wacklenden Silen, ein dicken Kürbs auf'n Rücken warfst, daß er wie von Jupiters Blitz gerührt, mit seiner krummbehörnten Glatze in den Weinschlauch schluge; befestiget am Horn blieb nun der Schlauch hangen, begoß ihn so stark, daß er fast im herausstürzenden Most ersoff. Geblendet lief er umher, zappelt und spie den lieben Wein, den andere so gerne genössen, mit so lächerlichen Gebärden, auf die Goldmäntel der Nymphen aus, daß lachend einer des andern Bauch halten mußte. – O du majestätische Jovisbrut, so freundlich bistu und treu!« –

Bacchidon: »Oh! – oh! Jovisbrut! – keine Silbe weiter – eingeschenkt, ach! ach! – was das ein wohlgeschliffenes Glas ist.«

Milon: »Es ist noch lang nicht aus. O mein Herzens-Bacchidon, jetzt kommt's erst, jetzt, jetzt!«

Bacchidon: »Proficiat! – Was das ein Jung ist! Was mir das ein Jung gibt! – Auf dein dichterisches Wohlsein – hem! hem! oh! ach!«

[1401] Milon: »O du herzliebster Bacchidon, gefällt dir's so gar wohl, dir stehen ja Tränen in den Augen.«

Bacchidon: »Oh! oh! hem – o Zerberus! – fast erstickt – zu schnell getrunken, steckengeblieben – daß dich der Hagel! – schenk ein, daß ich's geschwind aus dem Hals spüle – wohl – Sag du hartherziger Knabe Milon, was machstu mit mir alten Manne? Machst mich vor Freuden weinen als ein Kind. – Kann nicht weiter – ist zu viel.«

Milon: »So hör nur zu Ende –« und der Knabe füllte von neuem des Alten Becher, sang also weiter: »Auch schröcklich bistu Evan! Bessareus! Jacche! Freudenmehrer! drum weihen wir dir Kränze durchflochten mit Trauben und Obst, hängen sie an dir geheiligte Äst auf. – Ach du Grausamer sieh uns nicht an, wenn die Flamme deines Zorns weht, wir liegen auf unsern Bäuchen als gezähmte Schlangen, preisen deine Wunder. – Wer will dir bestehen, wenn du rüstig deinen Nacken schüttelst, zurückgefallene Tiger erschrocken winseln, die Augen von deinen stürmichten Locken drehen, ach! ach – hubstu nicht einst Schrecklicher die Nymphe Ariadne so empor, drückst sie an dein gieriges Herz, daß sie wollüstig herunterlehnet auf deinen Hals ihr schmachtend Haupt. So glänzend beladen stehstu, als einer der mit der Flöte ein krauses Milchlamm gewonnen, und es erfreut zu seiner Mutter heimträgt – wehe. – Wehe! wehe! mich durchrast's ganz! Partel wälzen sich vor dir Weinkönig, knurren und werfen einander mit Trauben; dennoch bleibstu stehen, erhabner Bacchus, immer noch, teilst mit der Linken den Lockenknoten auseinander, der wie ein gülden Horn um der Nymphe schönen Wirbel sich dreht. Ach! ach! – da rinnet herab deinen Schenkel wellicht ihr blinkendes Haar, übergießt mit Glanz dein heiliges Knie. Wärstu ein Mädchen und säßest, schwören wollt ich du seiest Danae, ihr Haar Jupiter, der sich gülden hinregnen wollte in deinem Schoß. Ach aber so bistu ein wohlgemachter Knabe; auch dieses sieht das Nymphchen gar wohl, verbirgt ihr schämend Angesicht unter deine schattigte Locke. – Aber du Grausamer lächelst rüstig herab auf ihre Brust, die da hüpft artig und weich, wie zwei Turteltäubchen hüpfen nach der Flöte gelernet. – Hätten sie Mäulcher; küssen würden sie sich, so wohl ist ihnen. Oh! Oh! Oh! nun rufstu hoch – bäumst auf die wilde Brust, wirfst über den grunzenden Tiger das Joch – sprengst hinan heulend, mein ist sie! mein! – Mag ein Höllengott kommen, einer vom Meer oder Erde, Hand anlegen, an meine schöne Beute, daß er falle vor meinem Wagen – [1402] So aufgeschwungen jagstu der Grotte zu, denn dir blökt die Seele, wie ein junges Mailamm blökt, wenn es unter der Mutter hervorspringt – Drum wende von uns dein Antlitz wenn die Flamme deines Zorns weht, wir liegen auf unsern Bäuchen als gezähmte Schlangen, preisen deine Wunder, Amen!«

Bacchidon: »Bistu fertig, haben wir nicht morgen Rosenfest, oder übermorgen?«

Milon: »Sag, wie hat dir mein Gesang gefallen?«

Bacchidon: »Wenn's Regen gäbe könnten wir nicht tanzen. Ist der Himmel hell?«

Milon: »Mein Hymnus Bacchidon, wie – – –«

Bacchidon: »Schweig doch Junge, ist eine gewaltige Sache um Musik, erschröcklich und schwül, graus und erhaben; es wäre lang davon zu sprechen, meinstu nicht auch?«

Milon: »Was? was?«

Bacchidon: »Ah dein Lied? Fragstu nach deinem Lied? Unvergleichlich, göttlich, meisterhaft! Wie mein rüstiger Apollo, kannstu so was fragen, wie's einem gefallen hat? so einen versuchen? – ach mir fällt ein gutes Exempel ein, mein Seel, ein gutes Exempel, weißtu wie mir's gefallen hat? weißtu wie? Schenk ein, dein Lied ist wie dein Wein; wie dein Wein, schenk ein, dein Lied ist wie dein Wein.«

Milon: »Ha! ha! ha! machst gar Verse; – aber lieber Bacchidon, hilft hier Wollen wenig, hast so tapferlich meinen Schlauch zugesprochen, daß er nun aufs letzte Glas leer ist – Sieh –«

Bacchidon: »Hab ich so viel getrunken? Wie ging das zu? – Das ist im Entzücken geschehen – daran ist dein warmes Lied schuld. – O der Guckuck, hättest mir's sagen sollen, hätte keinem andern um zehn Böcke so viel getan. Nein – Mag dir's Jupiter vergeben Junge, daß ich mich deinetwegen so verderbe –«

Milon: »Schön, willst gar noch prahlen; gut, gut, will diesen übrigen Pokal auf Seite stellen.«

Bacchidon: »Auf Seite stellen? Ist dann noch da?« Nun guckte der Alte und sprach wieder: »Mach keine Narrenstreiche, gib doch her, wenn noch da ist – Für was auf Seit stellen? Was? Kann mir einer sagen, daß ich solch ein Wort gesprochen? Ein schön Wegstellens, schöne Manier einem das Wort im Maul verdrehn, und zum Übel legen – Den Becher her, oder du bist ein Erzhalunk, ein verpester Dieb der kein ehrlichen Blutstropfen im Leibe hat, mich verlästern will, sagen will, könne nicht aushalten ich – Hüt dich vor dergleichen Laster, so einem geht's hie und [1403] dort nicht zum besten.« – Nun gab's ihm der Knabe Milon, Bacchidon trank's aus, guckte in den leeren Grund, sprach so gelassen: »So geht's – alles dauert nur ein Weilchen. – Drum Kind laß gehen, stehen, wie's will; wer's längste lebt erbt die ganze Herde – Aber wo wollen wir morgen schmausen?«

Milon: »Wenn du heut hübsch ordentlich bist, kann's morgen noch einmal bei mir sein.«

Bacchidon: »Wie? mein Herz, was verlangstu denn? Sag's doch geschwind mein lächelnder Koridon, meine Waldlerche, mein Phönix!«

Milon: »Sing mir jetzt ein Lied – komm, schadlos mußtu mich doch mit etwas halten – habe nichts trunken; sing mir, ich weiß du hast eine treffliche Stimme.«

Bacchidon: »Die Wahrheit zu sagen, nein – meine Stimme ist nicht fein, ist so schnarrend, wie soll ich doch sagen, borstig, strebend, zu vergleichen als ein Igel.«

Milon: »Sing, sing!«

Bacchidon: »Je Närrchen! quäl mich doch nicht so, kann dir nicht singen, schweig davon, sieh daumensdick läuft mir der Schweiß, da ich nur davon höre.«

Milon: »Mein Lebtag kein Schmaus mehr.«

Bacchidon: »Kannstu so gottlos sein, daß dir's nicht ans Herz geht. Einem armen alten Manne, als ich, so Schweiß abzujagen! Wie? soll ich verbrennen? Willtu mir tropfenweis wieder den Wein abzapfen, willt mit meiner Gesundheit dein Ohr füttern, dich an meiner Angst laben, soll ich diese maullose Felsen mit Herzwasser tränken, he? Böses will dir nicht wünschen, aber bedenk daß du über den Phlegethon willt – mögen dir's die drei Biedermänner dort verzeihen, wenn du so denkst – Gewiß, mein Sohn, ich lasse jedem gern das Seine, mag nicht mehr können, als ich kann; wenn du neben der Leier dein Plätzchen hälst, so hab ich das meine neben den Becher, neide niemand; einer kann nicht alles haben – Junge geh fort! hier läßt sich's trefflich schlummern.«

Milon: »Nichts schlummern, beim Styx mußt singen, oder ich binde dich, und will dich zum Gespötte – – –«

Bacchidon: »Fluch nur nicht, wann's sein muß, will ich auch – sonst um die Welt nicht. – Hilf mir nur ein wenig auf. Es schallt nicht wenn man sitzt, bleibt alles im Bauch. – He du Schlingel, läßt mich auf'n Bauch fallen, zerplatzen.« – Nun hielt der Knabe Milon den alten Satyr an die Wand gelehnt empor – Mit der [1404] Linken fingerte er auf seinem Haberrohr, mit der Rechten hielt er den Fleischhügel von hinten umschlungen. – Der Satyr sprach: »Spiel, hilf mir ein wenig in Schuß; langsam, langsamer – nicht so springend, taktmäßig und klar. – Singen soll ich, singen – und doch ist der Schlauch leer; so will ich denn hier stehen über ihm, mit Fingern herabweisen und schreien ›leer! leer!‹ – Kann man was sagen herzrührender, tragischer, bedenkt's selbst und sinnet ihm nach –

Ja, du sehr leerer Schlauch, wärstu nicht leer, so wärstu voll! Wie wohl wär dir, wie wohl wär mir! Nicht traurig müßt ich dann über dir stehen, Tränen mit Schweiß vermischt auf dein Grabmal herabgießen; nein lustig säß ich neben dir hin, wollte dich mit Rosen bekränzen als ein Bräutigam seiner Braut tut, wollte dir süße Worte geben, als ein Bräutigam seiner Braut gibt – aber ach! dies ist vergebens. – Tot, runzlicht, entstellt, liegstu, vor so angespannter Schlauch, ähnlich einer Barke deren volle Segel ein Sturm zerrissen, still als ein aufgesprungner Dudelsack, unbrauchbar als ein Bogen ohne Pfeil. – Gerne herzliebster Schlauch wollt ich länger bei deiner Leiche weinen, stünde nur wie sich's gebührt neben deiner Bahre ein wohlgezogenes junges vollbäckigtes Schläuchlein, dein Sohn oder Enkel, der mir hernach auch wieder mit Mildigkeit meine Bekümmernisse hälfe abwälzen vom Herzen, mit seinem Balsam wieder abwüsche meiner Tränen Salz – aber wehe mir Trauermann! Erblichner war ein Waise. Mag's ein anderer, der ein härteres Herz hat, aussingen; mir blutet die Seele zu viel, weiter kann ich nichts als seufzen, leer! – zu früh leer! – ach armer Weinschlauch!«

So sang Bacchidon, und nun ließ ihn der lachende Knabe los. Am Ufer taumelt der trunkne Satyr fort, seiner Höhle zu; viel heult er noch unterwegs vom leeren Weinschlauch, und der doppelzüngichte Widerhall streckt sein Haupt aus dem hohlen Ufer jenseits, und heult's ihm nach.

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TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). Idyllen. Bacchidon und Milon. Bacchidon und Milon. Bacchidon und Milon. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-514A-D