30. Die Schildkröte und die Ratte

Eine Fabel.


Vor dem Sturm eilt sich zu schützen
Manches Thier dem Walde zu;
Nur die Schildkröt' bleibet liegen
Auf dem off'nen Feld in Ruh.
Dies erblickt die Ratte; zeigen
Will sie auch den gleichen Mut,
Daß auch sie der Sturm nicht schrecke
Noch des Regens kühle Flut.
Tückisch grollend lacht der Eitlen
Jene bei sich, denn sie sah
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Ueber sich, bald Unheil bringend,
Weiße Hagelwolken nah.
Und nicht lang', so rauscht es; Schlossen
Schlagen nieder, scharf und dick.
In ihr Schild zieht jetzt die Kröte
Sicher Kopf und Bein' zurück.
Doch die arme Ratte findet
Keinen Schirm, der sie hier deckt;
Und in wen'gen Augenblicken
Liegt sie todt dahingestreckt.
Miß nicht, Armer, dich mit Reichen,
In der Not deckt sie ihr Glück.
Nackend sinkst du; jene freuet
Oefters noch dein Mißgeschick.

Notes
Erstdruck in: Frankfurter Konversationsblatt. 1848.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). 30. Die Schildkröte und die Ratte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5163-4