Friedrich Müller
Der Faun

Eine Idylle

[1407] Vom Hügel herunter kam der Faun Molon. Auf seiner Schulter trug er sein erblichenes Weib. Nun legt er sie weinend auf den Holzstoß nieder, streckt schluchzend seine Hand auf ihr Gesicht – seufzt: – »Nun tot! – Tot du liebes Weib! – Soll ich dann leben?

Es trauren um dich Hecken und Stauden; alle meine Weinbecher trauren mit mir. – Ach heiliger Bacchus! Bin des Kummers so voll, daß ich auch Gebet und Weintrinken vergesse.

So kommst du dann nimmer zurück – Will von nun an keines Lebens mehr genießen. – Nein, will mich lieber wälzen durch Dörner, wälzen durch heiße Nesseln, als von nun an noch einmal mich erfreuen. An Festtägen, wenn andere lachen, will ich daheim sitzen in meiner Höhle, Wein trinken, so mir Bacchus ferner verleiht; deiner gedenken, lange gedenken, bis der Abend kommt; herausgehen will ich dann, hinsitzen, wo deine Urne steht; will betrachten den Lauf des Monds über Bergen und Tal – deinen Namen rufen – weinen, ja weinen, beide Fäuste voll Tränen.

Das kränkt mich nur im Herzen – Was soll ich mit meinen Kleinen anfangen? Wie die Würmcher ernähren, wenn sie ihre [1407] Mäulcher aufsperren, lallen und für Durst am Däumchen nullen? – Oh! du lieber Gott! – Oh! – Wenn denn der Erwachsene kommt, ›Vater, sag's der Mutter doch, daß sie komme, Brüderchen stille.‹ Etwa mein Kleinerer spricht: ›Was macht sie draußen so lange, die liebe Mutter? Wo ist sie? Wird sie bald heimkehren vom Feld?‹ Was soll ich dann sagen? – Was? Gern gäb ich mich dem Wolf preis, Antwort zu ersparen. – Gerne, ja gerne – daß sich Pan meiner erbarme!«

So weint der Faun, wischt mit beiden Händen die Tränen, löst nun von seiner Seite die Weinflasche und trinkt. – »Ach! ich halt es nicht länger aus«, seufzt er – trinkt wieder.

Vom Hügel kommen nun seine Kinder. Die erwachsenen schleppen die kleinsten, und die mittlern kriechen auf allen vieren nach und hocken sich um den traurenden Vater, heulen mit; aber er ruft: »Schweigt! ich bin noch nicht fertig; darnach, darnach mögt ihr Abschied nehmen.« – Nun trinkt er noch einmal, blickt lächelnd auf sein totes Weib, und fängt freundlich also weiter zu klagen an:

»Weiß Gott! warst ein munteres Weib; redlich, treu, und an Freundlichkeit gibt's doch wenig deinesgleichen. Will nicht aller Tugenden gedenken, das fräß mir 's Herz ab; aber auch kann ich's nicht verschweigen, wie gut du warst. Stahlst mir oft Wein, wenn ich nichts hatte; in Nöten trucken in meiner Höhle saß; ja da genossest du nichts, wovon ich nicht auch einen Teil bekam, hättest's auch müssen heimbringen im Mund.

Kam einmal Maienfest. – Unser Vieh war an der Seuche gefallen; alle unsere Schläuche leer. Wir sind nicht der reichen Faunen, die Bacchus weidet, also daß sie liegen mit fetten Rücken auf seinem Füllhorn und wollüstig hinabbampeln ihre Füße ins Weinfaß. – Hatten nichts zu nagen und zu beißen und sollten doch lustig sein, drei Tage lang – Was war zu tun? – Da gingst du hin – ach! in meinem Leben werd ich's nicht vergessen, gingst hin, du liebliches Weib du, hingst einen großen Rückkorb auf meinen Buckel, bandst Schellen an meine Hörner, um meine Brust ein Ziegenfell; Gras und Kräuter zogst du über mein Gesicht, daß sie herabfielen auf meinen Bart von vielfärbigem Moos – du aber triebst gar artig, auch im Gesicht bemalt, triebst mich mit einer langen Gerte vor dir her – riefst laut: ›Ich komm aus Bambelbumbe, Bambelbunde! Wer will gute Wahrsagung? – Ihr Mädcher kommt, teilet mit was euer gutes Herz vermag, und ich will in artlichen Reimen was Schönes prophezeien, [1408] jeglicher, nachdem sie reichlich gibt.‹ – Vor jeder Höhle mußten wir nun halten. Noch freu ich mich darüber, wenn ich nur daran gedenke. Was flog da Butter, Käse, Mehl, Honig und Kürbis in meine Keze; also reichlich, daß ich fast darunter zu Boden sank. – Jedem Mädchen sangst du dann was vom goldigen Buben und fremden Schäfer, mit Lämmerherden, weiß, grau, wie Holderblüt, und vom Mainachts- Amor – – des lachten die Dirnen gar herzlich; sprachen: ›Ei! wär's wahr!‹ Gaben noch Milch und Most drüber, also, daß wir reich beladen zurückkamen, mit allem, was Liebs und Guts ist, und wir schmausen konnten nach Herzenswillen.

Geh nur hin; es kann dir meinethalben nirgends übel gehen; geh nur hin, daß du Guts an mir getan! Hast mir Treu erwiesen in allen Stücken, Buben zur Welt gebracht, groß und stark, voll heißer Eßlust, also, daß ich nicht weiß, woher nehmen, ihren Gaumen zu füllen. – Dein werd ich gewahr werden, du Fette, im Schmalztopf und im Keller: denn du warest nahrhafter als eine Herde; einträglicher, als ein Hügel, worauf Schnitter und Winzer ruht. – Geh nur hin; magst kecklich dich stellen vor den blinden Richter; nicht zittern, wenn er dich Knieende erwischt am Wirbel, wenn er auseinander teilet mit schwerem Zepter dein Haar – daß etwa ein süßer Schauer durch dein Gebein saust und deine bebende Seele zerreißt. Umschlinge dann mit deinem freundlichen Arm sein Knie; bring ihm meinen Gruß; erzähle, wieviel Knaben du mir geboren, daß er dir aufhelfe und dich geleite in Elysiums schönes Tal.

Wenn's sein könnt nur noch ein einziges Wörtchen aus deinem Mund. – Ach! wenn du unter Elysiums goldenes Tor eingehst, wirst du auch meiner gedenken? Gedenken bei so vielem Wohlleben? – Ich meine säh's, wie du freundlich einhüpfst – unter Blumen, ach! – den Becher in der Hand – hüpfst hervor nun, lachst mir – dir scheint das Sonnenrot unter die Nase – Halt ein, halt ein, daß ich meine zwei grausköpfigte Buben erwische und hinter dir herspringe!

So fahr denn wohl, weil's nicht anders sein kann! Liebes, liebes Weib du! Gedenke meiner, ehe du aus der stillen Quelle trinkst, hum – Grab meinen Namen in einen Felsen, hum – daß wenn ich einst entgegenkomme, dir die Hand reiche, hum – du nicht zurückgehst, hum – mich allein stehenließest, hum – das würde im Himmel noch mein Herz zerreißen!«

So klagte der Faun, bestreute nun die Leiche mit Blumen, [1409] legte dann Wacholder, Thymian und Quendel auf sie – dann betrachtet er seine Kinder, die ihm am Gürtel hängen und um seine Füße herumkriechen. »Seid ihr alle hier? – Ja wohl mögt ihr schreien, liebe Herzcher – Heult nur, heult. – Will nun hingehen, einen Brand holen und den Holzstoß anzünden, denn der Abendtau sinkt schon. Nehmt alle Abschied von eurer Mutter – ins Dunkle geht sie; blickt nimmer zurück ins Licht.«

Also der Faun. Erbärmlich heulten nun die Knaben; aber der älteste sprach: »Laßt mich zuerst heulen, und ihr darnach – Ach! daß du fortgehst, liebe Mutter, da die schöne Jahrszeit kommt. – Ach! Vögel Nester baun, Junge zu hecken; die Weiden im Saft stehen, zu schönen Pfeifen. – Ach! mir möcht das Herz im Leibe brechen, daß ich nicht schneiden soll. Es rucksen die Tauben unter Felsen hervor; im jungen Korn die Wachteln. – Könnt ich Schlingen flechten, wie du, wollt sie bald kriegen. – Ja, ja! Ach! ich möchte vor Herzeleid sterben mit dir – daß du hinuntergehst im Frühjahr – sitzen willst im Dunkeln, wohin die liebe Sonne nicht scheint.«

»Ei, halt sie«, rief der kleinere; »halt sie Bruder an der Hand. – Heb mich, bin zu klein – reich hinauf – wenn sie nur nicht vergißt wiederzukommen morgends und abends – sag's ihr, mir die Geiß am Horn hält, daß ich unten hinkrieche und am vollen Dullen trinke – He!«

»Ja, ja!« schrie der noch kleinere und purzelte über noch zwei ganz unmündige, die im Gras lagen – »Hätt ich nur Nuß und den Apfel! – Geh, sag soll aufstehen und mir Nuß und den Apfel geben. – Geh! geh!«

So heulen die Knaben. Schon lodert der Holzstoß hell. – Zurück führt nun der Faun seine Kinder. – Ferne stehen sie, betrachten die fressende Glut und heulen weiter. – Langsam geht nun Mitternacht vorüber, und seitwärts über der Flamme voll der Mond auf.

[1410]

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TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). Idyllen. Der Faun. Der Faun. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5177-7