Wintersaat

[261][263]

Das Glück

Sein Lächeln scheint, so klar und weich,
wie Götter es Erwählten spenden.
Es trägt im Haar den Efeuzweig,
Christrosen in den blassen Händen.
Taub war es meiner Stürme Weh
und meiner Jugend heißen Bitten –
nun kommt im Mondlicht durch den Schnee
es lautlos auf mich zugeschritten.

Herbstliche Liebe

Meine Seele spinnt dich ein;
schimmernde Marienfäden
sollen ihre Häscher sein.
Ihre Schlingen fühlst du kaum.
Eine rote Märtyrkrone
brech ich dir vom Eschenbaum.
Deine Stirne küß ich bleich –
und so führ ich dich gefangen
mitten durch mein Schattenreich.
Du wirst ganz mein eigen sein,
wirst verbluten und verblühen –
meine Seele spinnt dich ein.

[263] Warnung

Was suchst du hier in meinem Reich
und wühlst in unerforschten Tiefen,
weckst meine Träume, stumm und bleich,
ertrunken, die im Moore schliefen?
Aus Süden kam ein heißer Hauch:
des Abgrunds blasse Lilien blinken –
wenn sie dich locken, wirst du auch,
wie hundert andre, jäh versinken.
Seit einst der Prinz von Samarkand
sein Blut verspritzt zu meinen Füßen,
bin ich in ewiges Graun gebannt,
und wer mich küßt, muß elend büßen.

Die eine Saite

Und wieder spielt der Abend auf den Wogen
in seiner herbstlich sonnenroten Pracht.
Auf goldner Straße kommt dahergezogen
die stille Sehnsucht, die so selig macht.
In lila Purpurdämmrung träumt der Strand.
Ein lauer Wind aus rosenroter Weite:
und mir im Herzen tönt die eine Saite, –
– die du gespannt.

[264] Nachtlied

Liebling, laß mich schlafen gehen,
laß mich ruhn an deiner Seite!
Du mein seliges Geschick!
Hohe blasse Träume stehen
uns zu Häupten. In die Weite,
in die sternenstille Weite
geht ihr blauer Märchenblick.
Leise durch das Dunkel singen
sie mit zaubersüßen Stimmen
uns das hohe Lied der Ruh!
Und sie heben ihre Schwingen:
tausend Funken glühn und glimmen,
tausend goldne Welten schwimmen
über unserm Lager, du . . . .

Das ist der Schatten

Magst du mich ganz in deine Flammen hüllen
und mag das Blut, das deinen Leib durchmißt,
mein Herz durchpulsen, meine Adern füllen –
es bleibt ein Rest, ein Rest, der du nicht bist!
Das ist der Schatten unsrer Sonnenliebe,
auf unsern Himmelstraum, der Erdenspott.
Wenn dieser Rest, du, dieser Rest nicht bliebe:
wir wären Gott. –

[265] Den letzten Trank

So laß uns trinken den letzten Trank,
den Trank, der nicht verschäumt,
in dessen Tiefen die Perle versank,
die unsere Jugend erträumt.
Leere das Glas bis auf den Grund,
singe dein Lied bis zum Schluß –
von meinem glutweinfeuchten Mund
trinke den letzten Kuß.
Siehst du, wie tief schon die Sonne steht
und wie so rot ihr Licht? –
Und ob sie in funkelnden Wassern zergeht,
uns beiden, uns stirbt sie nicht.
Uns leuchtet die Nacht, die niedersinkt,
und ladet zum letzten Genuß –
Und unsere lebendige Seele ertrinkt
jauchzend im Schöpferkuß.

Johannisnacht

Umwogt von weißen Nebelschleiern
von blühenden Rispen überdacht –
komm mit ins Korn! Wir wollen feiern
die heilige Johannisnacht.
Da treibt aus taugetränktem Grunde
in alle Halme hoch der Saft,
da wirkt in klarer Vollmondstunde
uralter Gottheit Wunderkraft.
Wir fühlen tief das heilige Reifen
und – eins im andern fromm bereit –
stillsegnend unsre Stirnen streifen
den Blütenhauch der Ewigkeit.

[266] Wandlung

Du steinerne Stufe am grauen Haus,
wie sprang ich einst lachend auf dich hinaus!
Barfüßig im Hemde, ein fröhliches Kind –
und die Pappeln rauschten im Juniwind.
Die Wiese war klee- und mohndurchblüht
und der Berg von Sonne überglüht,
und die Frösche sangen in Moor und Sumpf
viel lustige Weisen dem Weidenstumpf.
[267]
Du steinerne Stufe, am grauen Haus –
aus ragenden Gassen zog ich aus
und habe müde und abgehetzt
den Lackschuh heute auf dich gesetzt.
Die Pappeln dorrten im Ofenbrand,
und die Wiese durchquert ein Eisenband –
über dem Berge im Abendhauch
kräuselt sich dicht der schwarze Rauch.
Nur der Klee blüht rot wie in alter Zeit,
und der Mohn brennt wie blutiges Herzeleid . . .
und die Frösche quaken in Sumpf und Moor
mir alte schaurige Weisen vor.

Auf dem Zernsee

Schön bist du auch im fahlen Glanze,
im Nebelschleier licht wie Schnee,
in hoher Pappeln Silberkranze,
du Traum der Mark, mein Havelsee!
Wie schmiegt ein Mantel – weich und lüstern –
rotgoldnes Rohr der Flut sich an!
Der Binse braune Rispen flüstern
und schmeicheln sanft um meinen Kahn.
Da plötzlich schrillt wie lautes Weinen
ein Schwanenschrei durch all die Pracht;
ein blau geheimnisvolles Scheinen
erleuchtet deiner Tiefe Nacht.
[268]
Und schwirrend hebt der Ost die Flügel,
die letzten Schleier löst er bald –
aufflammend grüßt vom Uferhügel
sein buntes Bild der Apfelwald.
So hat ein Himmelshauch entsiegelt
des Herbstes Fülle auch für mich,
und meiner Tage Reife spiegelt
in deinem klaren Auge sich.

Bergwanderung

Wieder blüht das Heidekraut
auf den spinnwebgrauen Wegen;
über glatten Föhrenboden
gleiten lautlos unsre Schritte
unserm Wanderziel entgegen:
droben, wo der Bergwald blaut.
Einmal schon zur Frühherbstzeit
bin ich diesen Weg gegangen,
Höhensehnsucht in der Seele,
blühnde Heide mir zu Füßen,
fliegend Rot auf Stirn und Wangen
und das Ziel noch meilenweit.
Droben, wo der Bergwald blaut,
saß die Fee auf felsgen Zinnen;
ihre weißen Hände winkten,
ihre seidnen Schleier flogen
wie ein zart Geweb der Spinnen
über Stein und Heidekraut.
[269]
Einmal schon zur Frühherbstzeit
ging ich fehl im Märchenwalde.
Sturmwind bog die Tannenwipfel.
Fahl verschwammen alle Gipfel,
und der Schnee fiel auf die Halde –
du, wie liegt der Tag so weit!
Nimm den Strauß von Erika –
hörst du fern die Häher rufen?
Vor der Bergwelt Heimlichkeiten
sind die Schleier all zerrissen –
über grauen Felsenstufen
sehn wir schon den Gipfel nah!

Herbst

Und nun: der Wind geht hohl und schwer,
in weißen Wogen schäumt das Meer –
nun ist der Herbst gekommen
und hat vom Feld den Morgentau
und hat das letzte Stückchen Blau
vom Himmel weggenommen.
Und nun fahr hin! – Es rauscht und zieht
durch dunkle Luft ein dunkles Lied;
ich mag nicht ruhn und träumen.
Ich liege wach die ganze Nacht
und horche auf die heiße Schlacht,
das Stöhnen in den Bäumen.
[270]
Und nun fahr hin. Das war ein Jahr,
so früchtereif, so freudenklar . . .
nun laß die Blätter treiben.
Fahr hin! Die Saat von deiner Hand,
die Ernte, die in Halmen stand,
muß doch mein eigen bleiben.

Im Vorort

Frühwinternacht, Sprühregen stäubt
durch Vorortstraßen, stumm und leer;
ein leises, dumpfes Donnern treibt
der Nachtwind nur vom Bahndamm her.
Durch blätterlose Pappelreihn
die blassen Nebel brau'n und ziehn –
im Osten loht's wie Feuerschein:
Da liegt Berlin.
Wie Feuerschein die ganze Nacht!
Der Menschheit Wesen scheint vertauscht,
wie hab ich oft, vom Traum erwacht,
das ferne rote Licht belauscht!
Das sang mir durch die Zeit der Ruh
die Mär vom ewgen Widerstreit,
den Lockruf aller Lüste zu –
und singt das alte Lied vom Leid.
Und durch den roten Dämmer schaun
mich irre Augen heischend an:
im Federhut erloschne Fraun,
im Efeukranz der trunkne Mann,
[271]
und Kinder, zitternd, frostdurchbebt, –
das stöhnt und kichert, schluchzt und braust:
und aus dem Hexensabbat hebt
sich hammerhart die Arbeitsfaust!
Frühwinternacht. Der Regen sprüht
durch Vorortstraßen, tot und leer;
ein funkelnd Höllenauge, glüht
das Haltsignal vom Bahnhof her.
Durch blätterlose Pappelreihn
die nächtgen Nebel westwärts ziehn –
im Osten flammt's wir Frührotschein:
Das ist Berlin!

Tote Blumen

In des Hofes Sterbewinkel,
schräg vom Dachfirst überhangen,
liegt auf Scherben Schutt und Kehricht
– tief das Haupt in Staub gepreßt –
eine tote Sonnenblume.
Aus dem Dachrohr unermüdlich
rieselt der Septemberregen,
rinnt und rinnt, und kann doch nimmer
die Verwelkte neu beleben,
kann aus ihrem Strahlenkelch
nicht den Staub der Erde waschen.

[272] Novembertag

Geht ein sonnenloser Tag
wiederum zur Neige,
und der graue Nebel tropft
durch die kahlen Zweige.
Leise atmend ruht die See,
müde, traumumsponnen . . .
eine Woge, schaumgekrönt,
ist im Sand zerronnen.

Das Ende

Und also war's zum letztenmal,
daß unsre Hände sich umfangen, –
dann bin ich stumm, wie Hagar einst,
in Nacht und Not hinausgegangen.
An meines Lebens Himmel war
der letzte lichte Stern gesunken,
die heilge Glut in meiner Brust
erloschen bis zum Aschenfunken.
Was jetzt noch kommt ist Schmerz und Schmach,
ist todesruhiges Entsagen:
ich werde meines Daseins Last
mit ungebeugtem Haupte tragen.
[273]
Und sagt ich's euch, ihr glaubtet's nicht,
selbst nicht den früh gebleichten Haaren:
wie riesenstark das Menschenherz,
muß jeder an sich selbst erfahren.

Traum

Auf einen Scharlachteppich schritt ich hin.
Klirrendes Gold zerpreßte meine Glieder –
in Ketten war ich eine Königin.
Vor meinen Blicken schwankte auf und nieder
im halben Dämmerlicht ein schmaler Sarg.
mit Veilchen rings besteckt und weißem Flieder.
Ein Kindersarg, der ein Gestorbnes barg –
Ihn trug ein Mann. Und ich, mit wehen Füßen,
mit brennenden Augen folgte tränenkarg.
Aus fahlen Wolken floß ein flimmernd Grüßen,
als nun am Tor der stille Träger stand. –
Er wandte sich und hob mit einem süßen
und klaren Lächeln seine Last zum Sand
hinab. Und hier am Eingang seiner Reiche –
bot er zum Willkomm mir die weiße Hand.
Laut schrie ich auf: »Dein Lächeln lügt, das bleiche,
dein Schweigen lügt, – und all dies klirrende Gold,
der Königspurpur lügt an dieser Leiche!
[274]
Erlösung nur aus meiner Schmerzen Sold –
Erlösung will ich: Tränen! gib mir Tränen –«
und er: »Dir sei gewährt, was du gewollt!«
Da quoll's mir hoch, wie ein erstickend Sehnen,
ich spürt im Hirn des Herzens wildes Klopfen
– und aus den Augen stürzten meine Tränen
erlösend, heiße, rote, blutige Tropfen!

Auf Goldgrund

Auf Goldgrund stand die Sonne
und strahlte groß und feierlich.
Aus der Tiefe der Welten stieg
die scharfumrissene Wolkenwand
mit rasender Schnelle am Himmel empor,
stieg – stand.
Auf ihrem Gipfel aber hob das Kreuz,
dran vor Jahrtausenden der Heiland hing,
sich finster, scharf und glorienumloht,
– drei schwarze Sterne schattend über ihm –
vom goldumflossnen Abendhimmel ab
und breitete die nackten Arme aus
und harrte, tausendjähriger Sehnsucht voll,
des neuen Welterlösers –
oder einer
verstoßenen Seele?
Arme Seele du –

[275] Feierstunde

Ferne Kirchenglocken klingen,
Sonntagsstille deckt die Runde . . .
meine Stirn mit Taubenschwingen
streift der Geist der Feierstunde.
Fern den wechselnden Gestalten
fühl ich leise im Gemüte
zarte Knospen künftiger Blüte
reich und reicher sich entfalten.
So, im sommerlichen Schweigen
streif ich längs dem Ackerrande.
Reifend sich die Aehren neigen . . .
Kraft des Herrn geht durch die Lande

Gesundung

Nun fiel der Schlag. Nun hast du's leicht.
Ich hatte dir mit vollen Händen
des Lebens Seligkeit gereicht
und sah kein Ende meiner Spenden.
Und für die Rosen, die ich dir
um Stirn und Brust gewunden habe,
gabst du die Dornenkrone mir
als königliche Gegengabe.
[276]
Vor meine Augen schoß die Glut,
in meinen Schläfen fühlt ich klopfen
das lechzende Erlöserblut –
heiß rann's herab in roten Tropfen.
So ging ich blind im Mittagsglanz
und durch den Flackerschein der Blitze –
und deine Hand auf meinem Kranz
trieb tiefer nur der Dornen Spitze.
Und über Südlandsbergen zog
ein Wetter auf am Himmelsbogen,
und der Scirocco sang und bog
der Pinien Wipfel in die Wogen.
Da wuschen mir vom Angesicht
den blutigen Tau die Regengüsse,
da ward ich sehend, ward ich licht
und wissend, daß ich sterben müsse –
Und griff empor im letzten Schmerz!
Im Zucken eines ungebornen
schuldlosen Glückes Herz an Herz
riß ich vom Haupte mir die Dornen.
Und war gesund. Mit klarem Blick
schau ich in abendlichte Ferne.
Nimm deine Krone dann zurück –
und mich laß finden meine Sterne.

[277] Ins freie Land

All, was mein heimliches Eiland bot:
Aepfel, wie rinnendes Blut so rot,
Trauben, die gärende Glut im Schoß,
Crysanthemen, wie Sterne groß,
wuchernde Nesseln und wehendes Laub,
lockende Pilze voll tödlichem Staub –
was da blühend und reifend stand,
nahm und zerbrach ich mit eigener Hand,
warf mit eigener Hand mein Gut
in die reißende Flut . . .
Und an die Sparren, die es umhegt,
hab ich den züngelnden Brand gelegt.
– Ueber den Steg im Flammenschein
schreit ich ins leuchtende Land hinein.
[278]

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TextGrid Repository (2012). Müller-Jahnke, Clara. Wintersaat. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-522C-D