Freiheit

Dem Kampf entgegen

So schlaf in Frieden, armes Lamm . . .
Laß einsam mich auf steinigen Wegen
im Straßenstaube fürbaß ziehn
des Tages großem Kampf entgegen.
Es geht ein Brausen durch die Luft
wie eines starken Sturmes Wehen:
Aus Trümmern tausendjährigen Wahns
will eine neue Welt erstehen.
[81]
Des Wertes Wage schwankt nicht mehr,
schon neigt sich tief die goldene Schale –
des neuen Glaubens Märtyrer
empfingen ihre Wundenmale.
In deinem Tempel knieen sie,
von Schmerz durchloht und edlem Grimme,
du dreimal heilige Natur,
und hören der Verheißung Stimme:
»Raum hat die Erde allerwärts,
der Himmel Luft für Millionen –
der Aermste soll auf eigenem Grund
im Schatten seines Daches wohnen!
Und trinken soll mit vollem Zug,
wer nach dem Born der Wahrheit dürstet, –
und wem der Geist die Krone reicht,
die göttliche, der sei gefürstet!
Fortan soll keine Mutter mehr
ihr Kind in tausendfachen Schmerzen
verleugnen müssen, das sie trägt
in heiligster Liebe unterm Herzen.
Das reine Antlitz der Natur,
wer wagt, mit Schmach es zu bewerfen? –
Das Schwert der siegenden Vernunft,
zum letzten Kampfe sollt ihr's schärfen! –«
Und glühend stürmen sie zum Streit,
laut gellend schreit die Schlachttrompete, –
hoch über ihren Häuptern flammt
des neuen Tages Morgenröte.
[82]
Aus Ketten schmieden sie den Stahl,
von Herzblut rot die Banner wehen . . .
Mich aber laßt mit nackter Brust
in ihren ersten Reihen stehen!

Genug der Qualen!

Ich ging mit dir durch alles Elends Tiefen,
geknechtet Volk, durch einen Pfuhl der Schmach;
die Stimmen hört' ich, die nach Freiheit riefen,
und meine Seele hallte zitternd nach.
Ich schlief mit dir in deiner Armut Hütten,
in die kein Mondlicht mild verklärend scheint,
all deinen Jammer hab' ich durchgelitten,
all deine Tränen hab' ich mitgeweint!
Ich frohnt' wie du dem Sausen der Maschine
im grauen Tagewerk voll Staub und Dunst;
mit deinen Töchtern ging ich, daß ich diene, –
um trocken Brot verkauft' ich Geist und Gunst!
Ich ballt' die Faust – und doch: das Joch zu tragen,
beugt' ich die Stirn vor des Gesetzes Fluch –
und deine Zähne hört' ich knirschend schlagen
und knirscht mit dir ein trotziges: »Genug!«
Genug des Knechttums und genug der Qualen!
Der Gott des Zorns, den deine Sehnsucht träumt,
geht durch die Welt. – Und wenn aus seinen Schalen
der erste Tropfen brausend überschäumt,
dann weh dem Götzen, der auf ehrnen Achsen
das Feld zerstampft, von deinem Schweiß beträuft:
aus deinen Tränen wird die Sturmflut wachsen,
die seine goldne Herrlichkeit ersäuft!
[83]
Dann aus den Himmeln fällt der Wahrheit Feuer
in deine Nacht, das einst Prometheus stahl –
an ihrem Brand entzündet sich ein neuer:
der Welterlösung leuchtend Flammenmal!
Lichttrunken will ich dann die Arme heben
und jauchzen in den glühen Glanz hinein –
und wenn des Liedes Gabe mir gegeben,
laß mich die Stimme deiner Freiheit sein!

Die Zeit ist nah

Ein Gloria singend geht die Winternacht
durch Schneegefilde; keines Sternbilds Pracht
schaut aus den schwarzverhüllten Himmeln nieder, –
durch eisbereifte Fenster aber bricht
ins Straßendunkel eine Flut von Licht
und eine Woge kindhaft süßer Lieder.
In Bethlems Tälern nicht, – nicht weltenfern
und himmelhoch glänzt heut der Weihnacht Stern,
nach dessen Strahl die Brust sich sehnend weitet:
die Zeit ist nah, wo licht und hüllenlos,
wo neugeboren aus der Menschheit Schoß
die Liebe durch des Elends Nächte schreitet.
Die Zeit ist nah, wo jede Klage schweigt,
wo jedem Flehn ein menschlich Herz sich neigt,
Das Bruder heißt den Irrenden und Armen, –
wo sich der Keim aus brauner Scholle drängt
und Licht und Wärme als sein Recht empfängt
und nicht als Bettelgabe – aus Erbarmen!
[84]
Die Zeit ist nah: schon blüht ein bleiches Rot
im Osten auf, – schon zuckt in heißer Not
ein letztes Wehe durch der Menschheit Glieder;
sie ruft und ringt – der Dämmerung Schleier fällt:
erlösungsfreudig steigt zur dunklen Welt
das Himmelskind, die goldne Liebe, nieder.

Jahrwende

Am altersgrauen Baum der Zeit
ist eine Blume abgeblüht,
und eine Knospe tut sich auf.
Die Menschheit seufzt in gleicher Fron;
von ihrer müden Stirne fällt
der Schweiß in Tropfen erdenwärts.
Ihr Glaube aber träumt im Licht:
vor ihren Sehnsuchtsblicken schwimmt
das Morgenrot des neuen Tags.
Wie auch die Kette klirrt und drückt,
der Zukunft Sturm zerbricht sie doch, –
und jedes Jahr löst einen Ring.
Und jede Knospe, die erblüht
am altersgrauen Baum der Zeit,
birgt einen Keim der künftigen Frucht.
So grüß ich dich, du neues Jahr;
du junge Knospe tu dich auf,
und blüh' in lichtem Rosenrot!
[85]
Des Friedens milder Maienwind
umspiele deinen vollen Schoß,
der Liebe Geist befruchte dich!
Und deine Düfte gieße aus, –
mit Blütenblättern kränze du
der Menschheit tiefgefurchte Stirn.
In des Jahrhunderts Niedergang
sei du ein lichter Zukunftstraum,
sei du ein Gruß der neuen Zeit!

Der Heiland

Im Prunkschloß nicht, in goldner Königshalle:
in enger Krippe und im niedern Stalle
ist einst der Strom des ewigen Lichts entsprungen,
der Lebenschöre Vollakkord erklungen.
Nicht im Gewand von Goldstoff oder Seide:
mit nackten Füßen und im härenen Kleide
ging einst der Christ in seiner Freunde Schar
hinauf zum Haus, das seines Vaters war. –
Und als am Kreuz, verblutend, wegbestaubt
er sterbend neigt' das schmerzgekrönte Haupt,
da weinten um des künftigen Heils Verkünder
die Armen nur, die Zöllner und die Sünder . . .
Doch nicht am Kreuze kann der Geist verbluten,
und was aus Gott entsprang, muß rastlos fluten.
[86]
Und heut, nachdem Jahrtausende verflossen,
durchbebt die Welt ein heimlich Glühn und Sprossen:
im Volke wandelt, segnend, unerkannt
der Heiland schon im dürftigen Gewand.
Und wieder schaun des nahen Heils Verkünder
Enterbte nur, die Siechen und die Sünder,
indes der Fromme hohnvoll fragend geht,
»was Gutes kommen kann aus Nazareth –?«
Das Kind, dem einst der Engel Loblied scholl,
der Friedenskönig, der da kommen soll,
aus dessen Mund ertönt das zweite »Werde«,
ihr ahnt ihn nicht, ihr Mächtigen dieser Erde.
In seinem hagern Antlitz lest ihr nur
die tiefe Sehnsucht aller Kreatur:
den Trieb nach Glück, den heißen Durst nach Licht –
die Gottesglorie aber seht ihr nicht.
Der Armen fürchtet ihr, der Sklaven Heer,
das ihn umdrängt mit zitterndem Begehr,
und vor dem Schrei, der aus der Tiefe hallt,
verschließt ihr eure Ohren mit Gewalt,
und flüchtet euch in eurer Schlösser Schutz
und ruft die Söldner auf zu Wehr und Trutz
und schickt vom Schloßhof schon mit Spieß und Stangen
die Häscher aus, den Fremdling einzufangen –
Und laßt beim ersten blassen Morgenschimmern
durch eure Knechte schon den Kreuzstamm zimmern.
[87]
Ich aber sag euch, daß, noch eh die Hallen
im Frührot glühn, in Staub die Balken fallen,
und daß die Nägel rosten, eh zur Qual
des Menschensohns erhöht der Marterpfahl, –
ich aber sag euch, was die Bibel lehrt:
wenn der von Gott Gesandte wiederkehrt,
dann wird erlöst, was unfrei, krank und dumpf,
dann wird die Schärfe eurer Waffen stumpf.
Die Kette klirrt, das letzte Kreuz zerbricht,
in alle Kerker strömt das Sonnenlicht –
ein Liebeslächeln, ach, ein Freiheitsstrahl
fällt in den staubigsten Maschinensaal . . .
Und kommt ein Frühling, dessen Blütenpracht
dem ärmsten Kind mit tausend Wonnen lacht, –
und eine Flamme, die, was Spreu, verzehrt,
wenn Christ der Herr als König wiederkehrt . . .
Dann wird das Kleid, das seinen Leib umschließt
zu lauter Licht, darin die Welt zerfließt –
und aus des Dornenkranzes bitterem Hohne
erblüht der Liebe rote Rosenkrone.

Fabrikausgang

Bleigraue Schatten zittern durch die Luft,
aus hohen Essen quillt ein blauer Duft.
Durch Steingefüge dröhnt der Hämmer Ton,
um Erzgeäst schwirrt dumpf die Transmission,
[88]
schwirrt stumpf und dumpf, noch eh' die Sonne kam
bis daß der Tag verglüht in Zorn und Scham,
bis daß die Nacht barmherzig deckt die Qual –
Ein Glockenzeichen gellt im Arbeitssaal.
Da stockt der Lärm – und kreischend geht das Tor:
Ein Jüngling stürmt, ein Knabe fast, hervor;
im staubigen Rock, die Mütze im Genick,
ein frohes Leuchten noch im Kinderblick,
staunt er die Welt wie neugeboren an –
da schiebt ihn seitwärts schon sein Nebenmann.
Da drängt's hervor wie flügellahme Brut,
da wächst und wogt des Elends graue Flut:
Mit bangem Blick die blasse Mutter hier, –
zu Hause weint der Säugling schon nach ihr.
Das Mädel dort, Chrysanthemum am Hut,
– in flacher Brust erlogne Liebesglut, –
das frech vertraut dem nächsten Burschen nickt, –
der Mann, der stieren Auges vor sich blickt, –
und nun der Greis, der matt nach Hause wankt
und für den Hungerlohn dem Schöpfer dankt . . .
Des Landes Mark, der Großstadt Kraft und Glut
verschlingt des Elends uferlose Flut.
[89]
Mit müdem Schritt, die Stirn gesenkt und schwer,
zur Heimstatt zieht der Arbeit Sklavenheer,
zu kurzer Rast, daß schlafgestärkt die Kraft
beim nächsten Morgengraun aufs neue schafft.
Mit frischer Gier, mit niegestillter Wut
trinkt die Maschine ihres Herzens Blut.
Vorüberziehn, in seltsam scheuer Hast,
sie an der Arbeitsherren Prunkpalast:
den Tisch, der dort vor Ueberfülle bricht,
sie deckten ihn; doch ihnen blüht er nicht . . . .
Zwei Männer nur, den Hammer in der Hand,
hemmen den Blick und starren unverwandt
in all den Glast, der Freude goldenen Sitz;
aus ihren Augen zuckt des Hasses Blitz.
– So blickt der Leu, wenn sich die Schlange regt. –
sie wissen wohl, wohin ihr Fuß sie trägt,
sie schaun ihr Ziel, so sternenlicht und weit . . .
Und um sie braut die große Einsamkeit,
die schwere Ruh. –
Vom Himmel dichtgedrängt
die schwarze Wolkenmasse niederhängt,
indes am freien Horizont verloht
sturmdunklen Blicks ein blutig Abendrot.

Der Zukunft Krone

Dem Mann der Arbeit – und ob er schwingt
die Axt in der nervigen Rechten,
und ob er das Gold aus der Erde ringt
aus des Bergwerks dämmernden Schächten,
[90]
ob er lehrt und schafft und die Feder hält
und den Meißel führt, – ihm gehört die Welt,
ihm gehört der Zukunft Krone!
Wir haben gebeugt in Fron und Joch
den trutzigen Nacken lange, –
und heimlich glühte das Herz uns doch
bei des Hammers ehernem Klange.
Der Schweiß, der nieder die Stirn uns rann,
er adelt uns alle, Weib und Mann,
und gibt uns der Zukunft Krone.
Wir wollen kein feiges, kein halbes Geschlecht,
kein tröstendes Wort, uns zum Hohne:
wir wollen für jeden sein heiliges Recht,
für jeglichen Arbeit, die lohne, –
und Freude, wo brennend die Träne jetzt fällt,
und Frieden der ganzen, der seufzenden Welt –
und dem Volke der Zukunft die Krone!

Silvesterklänge

Eisnebel drängen vom grauen Meer
gespenstisch über die Dünen her
und hüllen in frühen Dämmerschein
die schneelichtleuchtenden Weiten ein
und ziehen die schimmernden Spinneweben
über des Waldes erstarrtes Leben.
[91]
– Einsam schreit ich im tiefen Hag –
ein Rabe mit lautlosem Flügelschlag
streift vom aufschnellenden Tannenast
die weiße, stäubende Winterlast;
und durch die Lüfte, verdämmernd weit,
schwimmen die Stimmen der Einsamkeit . . . . .
Sie flüstern heimlich wie Frühlingswind,
wenn rings der Saft in den Zweigen rinnt,
sie raunen zärtlich wie Liebesgruß,
wie ein wonneschauernder Brautnachtkuß,
sie weinen schmerzlich wie Klagesang
und sie schwellen zum hellen Glockenklang – –
von allen Türmen grüßen, locken –
läuten und stürmen Silvesterglocken!
Ein blutiges Rot im Westen blüht,
ein brausender Windstoß kommt aus Süd,
und der Schnee stäubt auf – und es will auf Erden
ein neues Jahr geboren werden.
Ein neues Jahr, eine neue Zeit . . . . . .
Aus der schweigenden Schneeeinsamkeit
kehre ich heim; da gleißt und bricht
aus breiten Fenstern ein Strom von Licht
[92]
und tönt ein Lachen und Gläserklingen:
sie feiern Silvester mit Scherz und Singen.
Vorüber an prunkender Villen Geheg
durch schmutzige Gassen führt mein Weg.
Hier tönt nur Fluchen; ein trübes Licht
träg durch befrorene Scheiben bricht.
Das Elend hütet des Hauses Schwelle, –
an der erkalteten Feuerstelle
hockt die Verzweiflung und stiert und lacht
gell auf in der eisigen Winternacht . . . . .
Da, horch: aus den Lüften ein Glockenchor!
Da, schau: aus des Gäßchens niedrigem Tor
tritt weißgewandet ein leuchtend Kind,
so zart und hold, wie die Engel sind.
Mit bloßen Füßchen im kalten Schnee
es lächelt sonnig: ihm tut's nicht weh –
kommt es die Straße heraufgeschritten
und steht vor dem Haus in des Gäßchens Mitten
und pocht so leise wie Nachtgespenster
mit der leuchtenden Hand ans Kammerfenster.
Und wie der Klang durch die Stube hallt,
erhebt sich am Herde die dunkle Gestalt,
[93]
und von der Schwelle der Hüter weicht:
auf nackten, rosigen Füßchen schleicht
ein scheues Hoffen, ein Neujahrstraum
sich in den unwirtbaren Raum
und küßt der Darbenden blasse Lippen
und läßt sie aus Schalen voll Manna nippen . . .
und träufelt Trost in der Schlafenden Ohren:
»Es wird eine neue Zeit geboren!«
[94]

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TextGrid Repository (2012). Müller-Jahnke, Clara. Freiheit. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5280-F