Benedikte Naubert
Herrmann von Unna
Eine Geschichte aus den Zeiten der Vehmgerichte

Erster Theil

1. Kapitel. Ein Gespräch am Hochzeittage
Erstes Kapitel
Ein Gespräch am Hochzeittage.

»Am Montage nach Allerheiligen, als Kaiser Wenzel Sophien, Herzog Johannes von Bayern Tochter heimführte,« so fängt die Urschrift an, welche wir uns bey dieser Geschichte zum Leidfaden erwählt haben, und wir werden keine bessere Probe von der Treue, mit welcher wir unserm Original zu folgen gesonnen sind, ablegen können, als wenn wir uns diesen Anfang gefallen lassen, und dich, lieber Leser, ohne weitern Umschweif mitten in das Gewühl lärmender Freude einführen, welches bei Kaiser Wenzels Hochzeitfeste herrschte, obgleich ein solcher Anfang dir von der Folge dieser Blätter vielleicht einen ganz falschen Begriff beybringen könnte. Wirst du wohl in einer Geschichte ernste Scenen erwarten, welche mit der Beschreibung eines Fests beginnt, von dem man weiter nichts zu sagen braucht, als [5] daß es ganz von dem Charakter desjenigen zeigte, der es anstellte, des Hochzeiters, Kaiser Wenzels?

Nach der Gewohnheit der damaligen Zeit waren schon drey Tage in allen möglichen Arten des Wohllebens verstrichen, und der vierte, der eigentliche Tag der ehelichen Vertrauung war angebrochen, an welchem es gemeiniglich etwas sittsamer zuzugehen pflegte als an den vorhergehenden. Daher kam es, daß der erhabene Hochzeiter nicht allein seine schöne Braut aus Priesters Hand mit nüchternem unbenebelten Verstande einfing, sondern auch noch am Abend, da der Tanz bereits in den weiten Sälen des Schlosses zu Prag begann, nur erst so viele Pokale geleert hatte, als bey ihm hinlänglich waren, jenen Grad von Fröhlichkeit und Vergessenheit der Sorgen zu erkünsteln, die dem guten Herrn bey seiner bedenklichen Lage so nöthig war.

Nie hatte ihm, auch selbst in seinen jungen Jahren nicht, seine gränzenlose Liebe zur Bequemlichkeit erlaubt, einen Reiz an dem Vergnügen des Tanzes zu finden; er überließ dasselbe auch diesesmal der adelichen und unadelichen Jugend, die sein wunderlicher Sinn bey diesem Feste durcheinander gemischt hatte, und spielte mit dem Herzog von Ratibor in einer Ecke des Saals, ein Bretspiel, [6] welches wahrscheinlich mit dem tiefsinnigen Schach nicht die entfernteste Aehnlichkeit hatte, ein Zeitvertreib, der, wir müssen es selbst bekennen, seiner Hoheit und seinen Jahren angemessener war, als das üppige Tanzen.

In einer andern Ecke des Saals saß, eben so abgeneigt an der rauschenden Freude Theil zu nehmen als der phlegmatische Kaiser, die Braut, ein holdes Geschöpf in der ersten Blüthe des Lebens, in der Einsamkeit eines Klosters erzogen, das sie gern verließ, um Kaiserin zu werden, und eben so gern wieder bezogen, es auf Lebenszeit zu ihren Aufenthalt gewählt hätte, nachdem sie denjenigen nur ein einigesmal gesehen hatte, der ihr die Krone aufsetzen wollte.

Kaiser Wenzel, ein Fürst, dem in den Jahren der besten männlichen Blüthe, – er war noch nicht vierzig, – Schwelgerey und Indolenz schon die Züge des herannahenden Alters eindrückten, er, auf dessen Wangen, in dessen Augen nicht die liebliche Röthe, das edle Feuer der Jugend, sondern nur jene Röthe, jenes Feuer glühte, welches den Trunkenbold bezeichnet, Kaiser Wenzel, dessen Seele so arm an großen Eigenschaften als seine Person an Reizen war, er, den man ohne die Zeichen seiner Hoheit unter den niedrigsten des Volks verloren haben würde, welch ein Gemahl für Sophien!

[7] Es ist unbekannt, ob das Herz der unglücklichen Braut, je für einen andern dasjenige gefühlt hatte, was man ihr an diesem Tage vor dem Altar gebot für Wenzeln zu fühlen, aber so viel ist gewiß, daß sie in der Versammlung, in welcher sie die Hauptperson vorstellte, fast nicht einen, als etwa Wenzels Busenfreund, den alten Hanussus von Ratibor, erblicken konnte, welcher nicht mit Vortheil gegen den Bräutigam hätte vertauscht werden können, den ihr das Schicksal zugetheilt hatte. Was für eine Betrachtung für eine junge Braut mit einem zarten gefühlvollen Herzen! für sie, die mit diesem Herzen Tugend und Frömmigkeit genug verband, um jeden Gedanken von dieser Art, der etwa in ihr aufstieg, strafbar zu finden, und zu den Leiden, die sie ohnedem quälten, auch noch selbst Vorwürfe zu fügen!

Sophie war indessen so glücklich in dem Herzoge von Bayern dasjenige zu finden, was wenige Töchter an ihren Vätern haben, einen Freund, einen Vertrauten ihrer geheimsten Gedanken; ihm zu Liebe hatte sie einen Schritt gethan, den sie so gern wieder zurück genommen hätte, wenn sie nicht gewußt hätte, daß es zum Glück dieses geliebten Vaters gehörte, sie Kaiserinn zu sehen. Sie ward Wenzels Verlobte, war nun seine Gemahlinn, und – mußte es bleiben, wenn sie nicht die liebsten [8] Hoffnungen desjenigen zerstören wollte, der ihr alles war, wenn sie sich nicht selbst Schande und Unglück zuziehen wollte.

Herzog Johann, war klug genug, seiner Tochter an diesem traurigen Feste nicht von der Seite zu gehen, und da es ihm unmöglich gewesen war, sie zu einer zerstreuenden Theilnahme an dem Geräusch der Hochzeitfreude zu bewegen, so theilte er ihre Einsamkeit mitten in der zahlreichsten Versammlung mit ihr, hörte ihre Klagen, hörte das Bekenntniß ihrer innersten Gedanken nachsichtsvoll an, und lenkte sie durch weise Rathschläge auf den Weg, welcher nunmehr der einzige war, den sie zu gehen hatte.

Endlich, sagte er, endlich ist es Zeit, dich dieser quälenden Vorstellungen zu begeben. Vergleichungen, die zum Nachtheil deines Gemahls ausschlagen müssen, Wünsche, du möchtest nicht an der glänzenden Stelle sitzen, die dir das Schicksal bestimmt, Sehnsucht nach dem Kloster, Klagen, alles ist nun zu spät; zwar immer werde ich geneigt seyn sie anzuhören, aber immer werde ich dich auch auf die Vortheile zurückweisen, die dir dein Stand verschaft, und für welche du die Augen so ganz verschließest.

Vortheile? mein Vater, rief Sophie. Diese Krone? der Name Kaiserinn?

[9] Freilich Kleinigkeiten für dich, erwiederte der Herzog, aber was sagst du zu dem Glück, das Wohl von ganzen Nationen in deinen Händen zu haben, zu der Möglichkeit, durch deine Tugend, durch diese holdselige unwiderstehliche Sanftmuth, die selbst mich, deinen Vater, bezaubert, einen verderbten Fürsten zu bessern, der für jedes andere Mittel unverbesserlich war?

Eben so wohl könnte ich hoffen Bley in Gold zu verwandeln! rief die weinende Braut.

Und zu dem Bewußtseyn, den Willen deines Vaters erfüllt, ihn mit Aufopferung deiner Neigungen glücklich gemacht haben? fuhr er fort.

Sophie drückte die Hand des Herzogs an ihre Lippen, und versicherte, daß dieses das einige sey, was sie in dem Elend, das sie auf sich herandringen sähe, wenn sie sich als Wenzels Gemahlin betrachtete, aufrichten könnte.

Nichts von Elend, Sophie, sprach der Herzog, sage mir nichts von Elend, wie kann die unglücklich seyn, welche – doch mein Leser, du wirst schon errathen, wovon die Vorlesung handelte, die der weise Vater seiner Tochter hielt. Die Sage berichtet, dieser erwürdige Greis sey einer der beredtesten Fürsten seiner Zeit gewesen, nichts habe der Macht der Wahrheit widerstehen können, wenn [10] sie aus seinem Munde floß, und auch hier waren seine Worte nicht unkräftig.

Sophiens Herz ward durch das, was er ihr sagte, für den gegenwärtigen Augenblick beruhigt, und ihre nachmahlige Aufführung in einem langen traurigen Ehestande mit dem, der ihr jetzt so zuwider war, ihre Treue, ihre Geduld, ihre kluge liebreiche Sorgfalt für ihn in seinen mannichfachen wohlverdienten Unfällen, waren gewiß Folgen von den Lehren, die sie aus dem Munde ihres Vaters anhörte, und die jezt durch eine Begebenheit unterbrochen wurden, die wir im folgenden Kapitel hören werden.

2. Kapitel. Sophie vergißt ihren Stand
Zweytes Kapitel.
Sophie vergißt ihren Stand.

Es war tief in der Nacht, das Geräusch des Tanzes schwieg, ein Theil der Anwesenden ruhte von dem ermüdenden teutschen Wirbelreihen aus, und nahmen Erfrischungen, indeß den andern von Wein und Ueberdruß die Augen geschlossen wurden, unter welchen letztern auch der hohe Bräutigam war. Ein Streit mit seinem Gegner im Bretspiel, war eben nach Gewohnheit zu seinem [11] Vortheil von ihm selbst entschieden worden, und ein doppelter Trunk aus dem goldnen Becher hatte seinen Sieg bekrönt, und ihn auf seinen Lorbeern eingewiegt.

Sophie und ihr Vater waren zu tief in ihr Gespräch verwickelt, um sich um sein Schlafen oder Erwachen zu bekümmern, und wahrscheinlich war der Auftritt, der sich ihnen in diesem Augenblicke zeigte, das einzige was sie stören konnte.

Die Stille, welche im Saal seit einer halben Stunde herrschte, ward durch ein fernes Getön von sanftern Instrumenten, als die, welche bisher den wilden Tanz belebt hatten, unterbrochen. – Was ist das, rief Sophie, indem sie ihren Vater ansah. – Der Schall kam näher. Himmelstöne! rief sie aus und schlug in die Hände, sanft wie der Chorgesang der Jungfrauen meines lieben, lieben Klosters! – O selige, selige Tage, die ich da verlebte!

Wer kennt nicht die Macht der Musik über ein ohnedem zur Wehmuth gestimmtes Herz. Thränen traten in Sophiens Augen, und der Anblick, der sich ihr in der nächsten Minute darstellte, vollendete ihre Rührung. Die Flügelthüren flogen auf, eine Schaar junger Mädchen trat herein, und nahte sich mit abgemeßnen Schritten dem Orte, wo Sophie saß. Sie sangen zu dem Ton von [12] Harfen und Flöten ein Lied, welches, wenn es wörtlich auf unsere Zeiten behalten worden wär, wohl schwerlich bey strengen Kunstrichtern sein Glück machen würde, denn Melodie und Text war ganz so, wie man es von den damaligen ungebildeten Zeiten erwarten konnte; doch dünkte die erste der erhabenen Zuhörerin, göttlich, und das andere erschütterte ihr Herz bis in das Innerste, und brachte, vermuthlich zum erstenmal an diesem Tage, Empfindungen in ihm hervor, die sie angenehm nennen konnte.

O du, so sangen die Mädchen, indem sie einen weiten Kreis um ihre Fürstinn zogen, o du, die heute den jungfräulichen Kranz mit der Krone vertauschte, glücklich sey – dir der Wechsel! du trittst aus der Reihe der Jungfrauen, um den ehrwürdigen Namen einer Mutter deines Volks anzunehmen, o sey es mit willigem frohen Herzen! lehre unsern Herrn väterliche Gesinnungen gegen uns, und ewig wollen wir dich die Urheberinn unsers Glücks nennen. Sieh hier einen ganzen Frühling von Blumen mitten in den rauhen Tagen des Winters; sie, der liebste Schmuck der Jungfrauen, und unsere Herzen sind das einige Opfer, das wir dir bringen können. –

Der Boden rund um Sophien ward bey diesen Worten mit Blumen übersät, die Mädchen [13] knieten vor ihrer Fürsten nieder, und indeß eine jede von ihnen strebte, einen Theil ihres Gewands zu küssen, trat die Führerinn mit sittsamer Geberde, vor die gerührte Sophie, setzte ein Knie auf die Erde, und überreichte ihr in einer goldnen Schaale einen Blumenkranz.

Die überraschte Kaiserinn vermochte nicht zu sprechen, sie reichte der Knienden liebreich die Hand, und beugte sich, ganz uneingedenk ihres Standes, tiefer herab, sie zu küssen.

Süßes holdseliges Geschöpf! rief sie, liebe, liebe Kinder! wie habt ihr mich entzückt! Ja, ja! ich will eure Mutter seyn, euer und mein Herr soll durch mich euer Vater werden! wie lauteten die Worte eures Lieds? – o wiederholt sie noch einmahl.

Man machte sich gefaßt, den Befehl zu erfüllen, aber Sophie winkte mit der Hand, ohne Gesang, rief sie, eure Melodie ist entzückend, aber ich will jetzt blos die Worte eures Liedes.

Die Führerin gehorchte und wiederholte, was ihre Gespielinnen gesungen hatten, mit einem Nachdruck, mit einem Anstand, der dem, was sie sagte, noch mehrern Reiz gab, als es durch die Begleitung der Musik erhalten konnte.

Sophie weinte, sie hielt fest die Hand der Rednerinn in der ihrigen. Ja, rief sie, indem sie [14] ihren Vater ansah, ja ich gelobe es euch und diesen unschuldigen Seelen, ich will ihre Mutter seyn, will es gern seyn, will nicht –

Ein Wink des Herzogs warnte sie, nicht zu vergessen, das sie in zahlreicher Versammlung, nicht mit ihm allein sey. – Sophie schwieg, und verwandelte das, was auf ihrer Zunge war, in eine Frage nach dem Namen der Sprecherin. Wie heißt du, mein Kind? sagte sie mit liebreichem Ton, – Ida: antwortete die Gefragte mit niedergeschlagenen Augen – Ida? wiederholte Sophie, ich kannte einst eine Fürstin dieses Namens, bist du vielleicht –

Mein Name ist Ida Münsterinn, erwiederte das Mädchen, indem eine glühende Röthe ihre Wangen überzog, und ich bin die Tochter eines Bildners. –

Die Tochter eines – wie? so schön? so edel? so – wie soll ich es nennen, und nur die Tochter eines –

Mein Vater ist ein sehr ehrlicher Mann, ein treuer Unterthan seines Kaisers.

Außerordentliches Mädchen! Einzige in deiner Art!

O nein, rief Ida, indem sie einige Schritte zurück trat, und auf ihre Gespielinnen zeigte. Wie [15] manche ist unter diesen, die mir es gleich thut, wie manche die mich übertrift?

Wir können hier nicht unterlassen, unsern Lesern zu sagen, daß Ida sich in diesem Urtheil gewaltig irrte. Ihre Gefährtinnen waren alle ganz gute, schöne und artige Geschöpfe, aber keine konnte sich nur auf die entfernteste Art mit ihr vergleichen. – Allen sah man ihre Abkunft, allen sah man es an, daß sie nur zur Feyer dieses Tages über ihren Stand geschmückt waren, indessen Ida bey all ihrem Schmuck nur ihr tägliches Kleid zu tragen, und der erhabenen Dame, mit welcher sie sprach, trotz ihrer demüthigen schüchternen Geberde, an Stande gleich zu seyn schien.

Sophie nahm Idas verdeckte gutherzige Weisung an. Ihr seyd alle meine Kinder, seyd mir alle lieb, rief sie, indem sie beyde Hände nach den Knienden ausstreckte! Ich muß euch belohnen, muß euch ein Zeichen meiner Gnade sehen lassen. Hier, kleine Blondine, und hier du mit den schalkhaften Augen, hier ein Andenken von mir! erinnert euch dabey eurer Mutter, eurer Kaiserin. – Arme, Brust, und Haarlocken wurden bei diesen Worten geplündert, und der kostbare Raub unter die Mädchen ausgetheilt, welche furchtsam zögerten, die Hand nach dem dargebotenen auszustrecken.

[16] Nehmt doch, nehmt! rief Sophie, welche alle Kostbarkeiten, die sie an sich trug, für ihr ausschliessendes Eigenthum hielt, und noch nicht wußte, daß eine Fürstinn weniger über ihren Schmuck gebieten darf, als die Geringste ihrer Damen. Nehmt gute Kinder, und erinnert euch meiner!

Sophie war in einem fröhlichen Rausche, aus welchem sie durch die Fürstin von Ratibor geweckt ward, welche ihr etwas in die Ohren flüsterte. – Wenn ich Kaiserinn bin, erwiederte Sophie, so will ich mit dem Meinigen thun was mir beliebt! – Es erfolgte noch eine Einwendung von der Fürstinn, und Sophie rief, indem sie eine goldene Kette von ihrem Halse losmachte, sie wolle sich wenigstens nicht das Eigenthumsrecht dieses ihres geliebtesten Schmucks streitig machen lassen. Hier, Ida, rief sie, es ist ein Geschenk meiner Pathe der Gräfinn von Würtemberg, kein Eigenthum der Krone.

Ida verbeugte sich. Ich trage bereits mehr Schmuck als meinem Stande zukommt, sagte sie, indem sie sich mit einer Art von Beschämung betrachtete. Wird es zu kühn von mir seyn, wenn ich die Gabe meiner Kaiserinn ausschlage, und um ein Gnadengeschenk nach meiner eignen Wahl bitte?

Fordre was du willst, rief Sophie, wer sollte dich vergebens bitten lassen.

[17] O, rief Ida, eine von den glänzenden Locken, die auf diesem Busen spielen, welch ein Geschenk für mich! sie würde mir der schönste Schmuck, das größte Ehrenzeichen seyn! sie würde –

Schwärmerin! rief Sophie! und schnitt eine Locke ihres goldnen Haars mit einer solchen Heftigkeit ab, daß die Spitze der Scheere in ihren Busen fuhr, und ihr Gewand mit Blut färbte.

Ida war kühn genug die erste zu seyn mit ihrem Schleier das Blut zu trocknen. Es erhob sich ein Geschrey, die Kaiserin sey verwundet, ungeachtet Schmerz und Wunde nicht viel mehr sagen wollte als ein Nadelstich. Man drängte sich herbey nach dem mächtigen Schaden zu sehen. Die Kaiserin war erschrockener durch den Lärm, den man um sie machte, als durch den unbedeutenden Unfall! die Fürstin von Ratibor entließ die zitternde Ida nebst ihren Gespielen mit oberhofmeisterlicher Strenge, und – man gieng auseinander.

3. Kapitel. Ein Gespräch im Brautgemach
Drittes Kapitel.
Ein Gespräch im Brautgemach.

Schon die erste Erscheinung der Mädchen hatte die ganze Versammlung herbey gezogen, und selbst den schlafenden Kaiser erweckt. Sophie hatte bey allen ihren Handlungen tausend Zeugen, tausend [18] strenge Beurtheiler gehabt. Der letzte Zufall vermehrte das tadelnde Geflüster. Der Kaiser sah finster, Herzog Johann bestürzt aus, und man sagt, daß die Neuvermählte noch vorm Schlafengehen eine sehr ernsthafte Verhaltung von der Fürstin von Ratibor habe aufhören müssen. Diese Dame war schon darüber aufgebracht, daß sie keine Zuhörerin von dem Gespräch hatte seyn dürfen, welches Sophie mit ihrem Vater hielt. Ein Wink der jungen Kaiserin hatte sie entfernt, und die alte Dame hatte vergebens vorgewandt, daß sie gemessenen Befehl habe, ihr nie von der Seite zu gehen. Der Verdruß über diese Sache gieng in die Vorlesung über, welche sie ihrer Gebieterin über die Sitten ihres neuen Standes hielt, und ihre Rührung bey der Erscheinung der jungen Mädchens, ihre ausschweifende Freude über eine so geringe Sache, ihre Herablassung gegen diese gemeinen Geschöpfe, ihre Gespräche mit Ida, ihre Geschenke, und vor allen, die letzte Begebenheit mit der Haarlocke, wurden auf so beissende Art vorgestellt, daß Sophie beschämt da saß und gutherzig genug war, einzugestehen, sie sey zu weit gegangen, sie wisse noch nicht recht was einer Kaiserin zieme, habe noch zu viel von der Einfalt des Klosters an sich, und – müsse sich bessern.

Sophie ward in das kaiserliche Schlafzimmer geführt, um – die Lektion, die sie von ihrer Oberhofmeisterin [19] bekommen hatte, von ihrem neuen Gemahl zum zweytenmal zu hören. Seine Majestät hielten sich besonders bey den Geschenken auf, welche die unwissende Kaiserinn so freygebig von dem zur Krone gehörigen Schmuck hätte austheilen wollen, und die durch Vorsicht der Fürstin von Ratibor alle wieder zur Stelle waren. – Ich glaube, sagte Wenzel, indem er die Juwelen in ihrem schimmernden Gehäuse musterte, ihr wäret im Stande gewesen, den Trauungsring auch hinzugeben. O nein, sagte Sophie, den muß ich behalten, um mich immer an meine Pflicht zu erinnern. Wenzel war zu stumpfsinnig um den Stachel in diesen Worten zu fühlen, aber die Neuvermählte erschrack über das was sie gesagt hatte; sie fürchtete die Frage: ob sie eine solche Erinnerung an ihre Pflicht nöthig habe, und eilte, um sie zu verhüten, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Sie war von jenen gutherzigen Seelen, welche auf jede kleine Wunde, die sie wider Willen gemacht haben, sogleich lindernden Balsam legen, und jeden Stich ihres Witzes mit einer verbindlichen Rede heilen. Bin nicht auch ich beschenkt worden? sagte sie, indem sie zu Idas Blumenkranz hinhüpfte, den sie in seiner Schale auf einer Tafel stehen sah. Doch nein, fuhr sie fort, das liebe Geschenk ist nicht mein, ich lege es meinem Kaiser zu Füßen.

[20] Wenzel hätte noch weniger Mensch seyn müssen als er war, wenn ihn die holde Geberde, mit welcher ihm die blühende Sophie ihren Kranz überreichte, nicht gerührt hätte. Er drückte sie an seine Brust, nannte sie ein gutes Weib, welches eine seiner größten Schmeicheleyen war, und ließ sie aus seinen Armen, um die Gabe, welche für ihn keinen Reiz hatte, an ihren ersten Ort zu legen.

Was ist das? rief er voll Bestürzung, als er die goldne Schale gewahr ward, in welcher Ida ihren Kranz überreicht hatte, und die Sophie kaum bemerkt hatte. – Man hat mir mein Blumengeschenk auf diese Art überreicht, erwiederte sie. Und dieses seidene Tuch? fuhr er fort. Sophie meynte, es sey yermuthlich darum da, damit die Feuchtigkeit der Blumen dem Glanz ihres Behältnisses keinen Schaden thun möchte.

Wenzel schüttelte den Kopf, indem er das Tuch hinweg nahm, und meynte, diese Art von Geschenken sey ihm schon bekannt. Seht ihr, fuhr er fort, indem ihm nach hinweggenommener Hülle der Glanz von einer guten Anzahl goldner Schilde 1 lieblich entgegen blinkte, seht ihr? das wußte ich wohl, daß man es nicht wagen würde, einer Kaiserin ein so elendes Geschenk, wie einen Blumenkranz, anzubiethen, laßt uns zählen.

[21] Wenzel zählte, und Sophie trat indessen an ein Fenster, um sich die Thränen zu trocknen. Sie fühlte – sie wußte nicht was. Ihr Herz war so gepreßt als wollte es zerspringen, sie öffnete das Fenster um Luft zu schöpfen, o Gott, seufzte sie, gieb mir Kraft die lange schwere Rolle zu spielen, die ich auf mir habe. Solche Gesinnungen, und ein Kaiser? ein Kaiser? mein Gemahl! ein solcher Mann?

Es sind richtig dreihundert! rief Wenzel. Wie hieß das Mädchen, das sie euch brachte?

Ida Münsterin, erwiederte Sophie mit einer Stimme, welche beynahe ihre Thränen verrathen hätte.

Ida Münsterin, wiederholte er, so so. Aber kommt, meine Liebe, wie steht ihr so in der kalten Nachtluft? doch – ihr habt geweint? was ist euch?

O es ist entsetzlich, rief Sophie mit zusammengeschlagenen Händen, entsetzlich, sich von seinen Unterthanen beschenken zu lassen, und nicht einmal so viel Macht zu haben, sie belohnen zu dürfen, die Kleinigkeiten, welche ich den gutherzigen Geschöpfen gab, wurden ihnen entrissen, und ich soll behalten was sie mir gaben.

Ihr irrt, erwiederte Wenzel, das was ihr geben wolltet, war ohne Vergleichung mehr, als ihr erhieltet.

[22] Und mich dünkt, rief Sophie, so müssen Fürsten belohnen.

Und, fuhr er fort, über dieses sind diese Leute dazu da, ihrem Kaiser einen Antheil von dem Ueberfluß zu zollen, den sie unter seinem Schutz erwerben

O, sprach Sophie, laßt euch von euren Fürsten, von euren Edlen beschenken. Aber diese armen Leute, diese Künstler und Handwerker die –

Noch einmal, sprach der Kaiser, ihr irrt! Eben diese Leute sind es, die uns zollen können und sollen. Der Adel ist arm in Vergleichung mit ihnen; Fleiß und Arbeitsamkeit leiten Schätze in ihren Schooß, welche jene durch Krieg und Räubereyen nimmer erbeuten.

Wenzel hatte recht, die Beschaffenheit der Stände war zu den damaligen Zeiten so wie er sagte, aber Sophie konnte sich in diese Dinge nicht finden, und fuhr fort zu weinen, vielleicht aus Verdruß über ein Geschenk, das sie nicht vergelten durfte, vielleicht auch am meisten über den ganzen Umfang ihrer unglücklichen Lage.

Der Kaiser rufte seine Kammerdiener ihn vollends zu entkleiden und Sophiens Damen traten herein, sie zu Bette zu bringen.

[23]
4. Kapitel. Fürstenglück und Fürstengnade
Viertes Kapitel.
Fürstenglück und Fürstengnade.

Sophie war nicht glücklich genug, um über ihren neuen Stand, gleich andern Neuvermählten, jeden andern Gedanken zu vergessen. Der Auftritt mit dem Blumenmädchen, der Einzige auf ihrem ganzen Hochzeitfeste, der ihr Freude machte, hatte ihr des Abends zuletzt im Sinn geschwebt, und er war wieder einer der ersten Gedanken, als sie am Morgen erwachte Sie sandte nach Ida und ließ sie vor sich fordern. Ida war krank. Die Kaiserin schickte noch einmal, um, wenn sie ja nicht bey Hofe erscheinen könnte, von ihr die Namen ihrer gestrigen Gespielinnen zu erfahren, welche nicht krank waren, und auf Sophiens ersten Wink sich da einfunden, wo man ihre Gegenwart verlangte.

Wenzels großmüthige Gemahlin konnte den Gedanken nicht ertragen, von Geringern, von irgend jemand unerwiederte Geschenke anzunehmen; sie begleitete den liebreichen Dank, damit sie ihnen ihre gestrige Erscheinung belohnte, mit Gaben, die man nicht zurückfordern durfte, weil sie nicht von den Schätzen genommen wurden, welche zur Krone gehörten, sondern von den Kostbarkeiten, welche Sophie noch als Prinzessin besaß. Die Fürstin von Ratibor nannte Dank und Geschenke überflüssig, [24] und fand die Unterredung in welche sich ihre Gebieterinn mit diesen einfältigen Kindern einließ, standswidrig. Die Benennung einfältig, mit welcher sie die guten Geschöpfe beehrte, war nicht ganz übel angebracht. Keine einige Ida war unter dem ganzen Haufen, sie wußten nichts als ihr Lied zu singen, und Sophiens Fragen mit äußerster Blödigkeit zu beantworten. Die Kaiserin erkundigte sich nach Ida, von welcher sie nicht begreiffen konnte, wie sie unter einem Haufen von zwanzig solchen Mädchen, bey ähnlichem Stande, ähnlicher Erziehung das werden konnte, was sie war. Aus den Antworten der Gefragten blickte theils heimlicher Neid, theils Verachtung von Verdiensten hervor, die sie nicht erreichen konnten, und die Fragerin wußte am Ende doch so viel, daß Idas Eltern sehr reich und ganz in diese einige Tochter verliebt waren, daß sie zu schön, zu verdienstvoll war, um von ihren Gespielen geliebt zu werden, und daß Liebe zur Einsamkeit, Bewußtseyn ihrer Vorzüge, oder Stolz, wie man es nannte, sie nur selten in den Zirkel kommen ließen, in welchem sie gestern eine so hervorstechende Rolle gespielt hatte.

Der allerhöchste Beyfall der Kaiserin, mit welchem das Bürgermädchen beehrt wurde, wär schon hinlänglich gewesen, den Beyfall des ganzen Hofs nach sich zu ziehen, aber auch ohne Rücksicht auf denselben wurde Idas Name überall genannt. Die [25] jungen Herren des Hofs vermochten die Reize, mit welchen sie erschien, nicht zu vergessen, sie erkundigten sich nach jedem kleinen Umstande, der sie betraf, umschlichen des Haus ihres Vaters, fragten nach den Orten, wo man sie sehen könne, bewunderten, sie nie zuvor gesehen zu haben, und beklagten ihren gemeinen Stand. Einer von ihnen, der junge Hermann von Unna, ein westphälischer Edelmann, nannte sie nicht, fragte nicht nach ihr, beklagte und bewunderte nichts mit lauten Worten, das sie angieng, sondern begnügte sich, heimlich an sie zu denken, und hatte, ehe die andern die tausendfältigen Streitigkeiten über sie zu Ende bringen konnten, in aller Stille die Kirche ausfindig gemacht, in welcher sie täglich Messe zu hören pflegte.

Herrmann war erst achtzehn Jahr, war frühzeitig an Wenzels Hof gekommen, eine Schule, welche eben nicht die beste war. Seine Grundsätze über Liebe, Tugend und Schicklichkeit konnten wahrscheinlich nicht die strengsten seyn, und er machte sich also wenig Bedenken über eine angehende Leidenschaft für ein Mädchen, an welches er bey ihrem niedrigen Stande nie mit Ehren denken konnte. – Er war der Liebling des Kaisers, hatte ihm seit seinem Knabenalter als Page aufgewartet, war Vertrauter und Unterhändler in mancher Begebenheit gewesen, wo Wenzel bewies, daß er [26] bey der Liebe nicht auf Stand sah, und ohne Rücksicht auf denselben glücklich zu seyn wußte. Wo hätte Herrmann bey solchen Beyspielen Gesinnungen hernehmen sollen, welche seiner Herkunft und Idas Tugend geziemt hätten? doch müssen wir ihm zum Ruhme nachsagen, daß er sich keines sträflichen Gedankens bewußt war, er hieng seiner Liebe nach, ohne weiter zu bedenken was daraus werden sollte.

Es war unmöglich, so sehr der Jüngling auch darnach strebte, Zutritt in dem Hause des alten Münsters zu erhalten. Immer waren seine Thüren vor denjenigen verschlossen, welche nicht in Geschäften zu ihm kamen, und erdichtete Geschäfte zu enträthseln war er schlau genug. Hermann mußte also zufrieden seyn, das Mädchen, das er bewunderte, bey ihrer täglichen Andacht zu beobachten, die viel zu tief, viel zu herzlich war, als daß sie ihr nur einen Blick auf ihren Bemerker hätte verstatten sollen. Ueberdieses verhüllte sie, so oft sie in die Kirche gieng, immer ein dichter Schleyer, oder ein Regentuch, welches nicht angelegt wurde, um mehr anzulocken als abzuschrecken, sondern das ganz so rauh und ungekünstelt war, wie es zu der schlechten bürgerlichen Kleidung paßte, die Ida in den Wochentagen trug.

Nur des Sonntags, wenn der Vater mit der Wehr an der Seite und dem sammtnen Pelz mit [27] goldnen Schnüren zur Kirche gieng, ließ auch Ida sich an der Seite der hochgehaupten Mutter mit offenem Gesicht sehen, und verbreitete, wie Herrmannen dünkte, neues Licht in dem Tempel. Aber dieses Licht glänzte nicht für ihn, und ach was hätte er für einen einigen der zärtlichen andächtigen Blicke gegeben, welche sie an dem Bild einer Ursula oder Maria verschwendete!

Idas Name, den man in der ersten Woche nach Allerheiligen bey Hofe so fleißig nannte, war indessen daselbst so gänzlich vergessen, daß man sich gegen Weihnachten kaum mehr auf denselben besinnen konnte; selbst Sophie dachte nicht mehr an sie; das Feuer der Zuneigung gegen sie war anfangs zu heftig, als daß es lange hätte dauern sollen, Ida versäumte es zu nähren, sie ließ sich nach den ersten genossenen Gnadenbezeugungen nicht wieder sehen, um neue einzufordern, und wahrscheinlich würden dieselben auch ohne diesen Fehler nach und nach sparsamer gekommen seyn. Sophie war ein Weib, war – eine Fürstin. Die ersten zärtlichen Gefühle für Ida waren im Grunde nichts mehr, als das, was eine jede junge unerfahrne Person gegen diejenigen empfindet, welche sie aus einem Gewühl von unangenehmem Empfindungen herausreissen, und sie Freude oder etwas der Freude ähnliches erfahren lassen.

[28] Ueberdieses hatte Sophie täglich neue Gelegenheiten zu Gedanken, die sie so ganz beschäftigten, daß ihr kein Platz für etwas anderes überblieb. Mit jedem Tage entdeckte sie neue Züge der Unliebenswürdigkeit an ihrem Gemahl, machte sie neue Erfahrungen von der Trostlosigkeit ihres Zustandes, lernte sie neue Personen kennen, welche ihr ihre Lage erschwerten. Wenig Wochen nach der Vermählung erschien eine Dame bey Hofe, welche ihr unter dem Namen der Frau vom Bade vorgestellt wurde; Sophie fand an ihr eine so gemeine unbedeutende Person, daß sie nie wieder an sie gedacht haben würde, wenn sie sie nicht am nämlichen Tage bey der Abendtafel an der Seite ihres Gemahls wieder gesehen, und aus dem vertraulichen Tone, welcher unter beiden herrschte, gemerkt hätte, daß hier eine alte Bekanntschaft statt finden müsse.

Sophie war in den Landen ihres Vaters, in einem Kloster, in gänzlicher Unbekanntschaft mit der Geschichte ihrer Zeiten erzogen worden. Wenzels Begebenheiten mit der schönen Bademagd, welche in den jetzigen, so wie in den damaligen Zeiten jedes Kind zu erzählen wußte, war ihr Abentheuer aus einer andern Welt. Wahrscheinlich bestrebte sich niemand sie, als sie Kaiserin ward, mit den Ausschweifungen ihres Gemahls zu unterhalten, und hätte man es auch gethan, so wär sie [29] vielleicht gutherzig genug gewesen, wenigstens die Liebschaft mit Susannen, unter die ganz vergangne Dinge zu rechnen.

Man durfte ja die sogenannte Frau vom Bade nur sehen, um sich hiervon zu überzeugen. Dieser plumpe unbeholfne Körper, dieses aufgeschwollne Gesicht, in welchem nichts gefallen konnte als ein paar Reihen weisser Zähne, diese frechen üppigen Augen, diese feuerrothen Wangen, sollten einen Kaiser, den Gemahl einer Sophie fesseln können? unmöglich!

Wenzel nahm sich selbst die Mühe über der Tafel seine und Susannens Geschichte mit Auslassung verschiedener Umstände zu erzählen, und Sophie sah nunmehr in der vorzüglichen Achtung, mit welcher der Dame begegnet ward, nichts als eine etwas übertriebene oder ungeschickt geäußerte Dankbarkeit, die sie mit ihrer gewöhnlichen Gutherzigkeit übersahe; sie ließ sich sogar so weit herab, der sich über Wenzels Lob aufblähenden Susanne, einige Verbindlichkeiten zu sagen, und nur erst nach einiger Zeit, als Wenzels Vorliebe und dieses Weibes Frechheit zu sehr in die Augen fiel, um verkannt zu werden, nur erst denn konnte sie sich überzeugen, daß zu allen ihren vielfachen Leiden auch noch dieses käme, eine unwürdige Nebenbuhlerin zu haben.

Die Einsamkeit war oft Zeuge ihrer Thränen, und die Fürstin von Ratibor, die ihre Gebieterin [30] einst auf diese Art fand, nutzte diese Gelegenheit, sich in das Vertrauen Sophiens einzuschleichen, welches sie bisher auf keine Weise hatte erlangen können.

Sophie sehnte sich, ihre Klagen in irgend einen freundschaftlichen Busen auszuschütten. Der einige Theilhaber ihrer innersten Gedanken, ihr Vater, hatte auf diese sehr deutlichen Winke seines kaiserlichen Schwiegersohns Prag schon in den ersten Tagen nach der Vermählung verlassen, und seine unglückliche Tochter war also mit ihrem Kummer ganz sich selbst überlassen. Sophie umarmte die fragende Oberhofmeisterin zum erstenmal in ihrem Leben und obgleich diese Dame geflissen schien die Sache, wovon die Rede war, mehr zu erläutern und auseinander zu setzen, als die Traurende zu trösten, so fand diese doch schon darin einen Trost, daß sie von dem, was sie bekümmerte, sprechen und ihrem Unwillen, ihrer Verachtung gegen ihre Beleidiger freyen Lauf lassen konnte.

Von diesem Augenblick fieng die Fürstin von Ratibor an ihre Gebieterin unumschränkt zu beherrschen, erhöhte und erniedrigte alles, was sie wollte, schrieb Sophien vor, was sie lieben und hassen sollte, und daß also an Ida bey Hofe nicht mehr gedacht ward, nicht mehr an sie gedacht werden durfte, wenn es der Kaiserin auch beliebt hätte sich ihrer zu erinnern, das leidet keinen Zweifel.

[31]
5. Kapitel. Seltsame Art, einen Liebhaber Zutritt
Fünftes Kapitel.
Seltsame Art, einen Liebhaber Zutritt im Hause der Geliebten zu verschaffen.

Aber Herrmann dachte unaufhörlich an das geliebte Mädchen. Die Schwierigkeiten, die er fand, sie zu sprechen, oder nur von ihr bemerkt zu werden, gaben seinen Wünschen neues Feuer, und erhöhten seine Meynung von ihr. Ihr geringer Stand, der ihm anfangs so gleichgültig gewesen war, fieng an ihn zu beunruhigen, er wünschte sie zu sich erheben, oder sich zu ihr erniedrigen zu können, tausend romantische Einfälle dieses möglich zu machen schwärmten in seinem Kopfe, denn obgleich damals noch kein Roman existirte, als etwa der Theuerdank, so fehlte es doch auch zu jenen Zeiten in keinem Jünglingsgehirn an selbst erfundenen und erträumten Abentheuern, die den, der sich mit denselben abgab, so gut amüsirten, als das, was wir aus unserer heutigen Modelektür lernen.

Ida zu sich zu erheben, sich ehrlich um sie zu bewerben, und sie zu seiner rechtmäßigen Gemahlin zu machen, war eine Unmöglichkeit. Zwar die Einwilligung des Kaisers zu einer Mißheirath zu erlangen, wär eben keine große Sache gewesen, denn Wenzel dachte in diesen, wie in allen Dingen sehr bequem, aber Herrmann hatte Anverwandte, [32] welche nicht so nachsichtsvoll waren, er war arm, der Stand eines Kammerjunkers, den er seit einem halben Jahre rühmlichst bekleidete, war mit keinen großen Einkünften versehen. Idas Eltern waren zwar reich – aber, – genug Herrmann fieng an das andere Mittel sich glücklich zu machen, für bequemer zu halten. Er wollte sich zu ihr erniedrigen, wollte nicht mehr seyn, als sie war, und Stand, Verwandte, und alle künftige Hofnungen, ihr zu Liebe, aufopfern.

Es ist ungewiß, was für Schritte er zu Ausführung dieses Entschlusses that; vielleicht suchte er sich in dem Hause des alten Münsters als Lehrling einzuschleichen, aber dieser schlaue Alte mußte sich dieses Gesicht, das sich ihm bereits unter so mancherley Vorwänden gezeigt hatte, gemerkt haben, oder er hatte andere Ursach zu Verdacht geschöpft, genug Herrmann mußte abgewiesen worden seyn, denn die Geschichte stellt uns ihn bald nach der Zeit, da diese Versuche gemacht worden seyn mochten, in eben dem trostlosen Zustande als im Anfang seiner Liebe vor.

Herrmann war Wenzels Liebling und Vertrauter; bleich und abgehärmt gieng er vor den Augen seines Herrn herum, und jeder seiner Blicke schien zu flehen, man möchte doch nach der Ursach seiner Leiden fragen, und ihm helfen. Aber [33] Wenzel fragte nicht, er war keiner von jenen Fürsten, welche die Wünsche ihrer Favoriten, auf Unkosten tausend anderer befriedigen, er wußte nicht einmal, daß Herrmann welche hatte, er gehörte zu jenen spiegelglatten Seelen, die von allem, was sie umgiebt, nur einen vorübergehenden Eindruck annehmen. Man konnte vor seinen Augen leiden, ohne daß er es fühlte, sterben, ohne daß er es gewahr ward, und wieder lebendig werden, ohne daß er sich darüber wunderte.

Diese Fühllosigkeit gegen das Herzensweh eines achtzehnjährigen Kammerjunkers, hatte nun freylich wenig zu sagen, aber er war im Großen eben derjenige, der er im Kleinen war, und – doch zur Fortsetzung meiner Geschichte.

Herrmann gehörte zu den Glücklichen, welchen der Zufall oft ehe sie es sich versehen die Erfüllung ihres Wunsches in die Hände wirft, welche sich auf keine Art erkünsteln ließ. Der Kaiser sahe und verstand nichts von des Jünglings erbärmlichen Blicken, mit welchen er absichtlich vor ihm herumgieng, aber ohne sie zu sehen, ohne sie zu verstehen, that er einen Schritt zu Herrmanns geglaubten Besten, der sich nicht besser hätte wünschen können.

Herrmann, sagte er eines Tages zu ihm, was soll ich von dir denken? bist du blind, oder willst du den Unmuth deines Herrn nicht sehen? du [34] hattest doch sonst immer eine Frage bereit, was mir fehle!

Herrmann verbeugte sich, ohne zu antworten; was hätte er sagen sollen? wie konnte man auf einem Gesicht, wie Wenzels, Spuren des Unmuths oder irgend eines andern Gefühls erkennen? oder heimlichen Verdruß aus dem Betragen desjenigen schliessen, dessen Sitten nie sanft oder einnehmend waren? die Forderung des Kaisers war höchst unbillig, und ließ sich nur mit Stillschweigen erwiedern.

Ja, Herrmann, fuhr Wenzel fort, du siehst mich in der größten Verlegenheit, und du hast mir schon aus so vielen seltsamen Händen geholfen, das ich glaube du wirst auch jetzt etwas ausführen können, das mir wohl thut.

Herrmann verbeugte sich wieder, doch mit einem Anstand von frohem Selbstgefühl, denn die Worte des Kaisers brachten ihm gewisse Begebenheiten in den Sinn, bey welchen er in der That eine Rolle gespielt hatte, die ihm Hofnung auf künftige, bisher vergebens erwartete, Belohnung einflößen konnte.

Du siehst, fieng der Kaiser von neuem an, du siehst mich in dem schrecklichen Geldmangel, der sich denken läßt. Die Aussteuer meines Weibes ist hin, ist auf die Unkosten bey der Hochzeit gegangen; du [35] weißt, ich habe mich nicht schimpfen lassen. Lumpichte vierzigtausend Gulden! sie sind verzehrt, und ich habe mit ihnen eine verdrüßliche Sittenrichterin in den Kauf bekommen, welche mir bleibt, nachdem das, was mir ihre Person wünschenswerth machte, nicht mehr vorhanden ist.

Herrmann kreuzte sich. Zwar war er schon lang ein Zeuge von den sinnlosen Verschwendungen seines Herrn und seiner Blindheit gegen die Betrügereyen derer, die ihn umgeben, gewesen; aber vierzigtausend Gulden, die ganze Aussteuer einer Prinzessin, die man reich nannte, eine Summe, mit welcher der König von Engelland seine Tochter vor kurzem zu großer Zufriedenheit seines Schwiegersohns ausgestattet hatte, das gieng über Herrmanns Begriffe, und hätte Wenzel nicht bald darauf die sogenannte Frau vom Bade, als eine Ursach ungewöhnlicher Ausgaben, genannt, so hätte er sich gar nicht in diese Dinge finden können.

Herrmann kannte Susannen, er hatte von ihrer Wuth bey Wenzels Vermählung mit Sophien gehört, er wußte, daß sie frech genug gewesen war, ihrem Geliebten zu drohen, durch Bekanntmachung von mancherley Sophien und ihrem Vater verborgenen Dingen, die ganze Sache rückgängig zu machen, und es kam ihm also nicht außerordentlich vor, daß der Kaiser ihre Verschwiegenheit durch ansehnliche Summen hatte erkaufen müssen, welche er [36] sehr sinnreich mit auf die Hochzeitunkosten rechnete.

Was ist zu thun! fuhr Wenzel fort, ich bin darum nicht arm, weil ich kein Geld in meinen Kasten habe; es ist in den Kasten meiner Unterthanen, und man muß darauf sinnen, wie es in die meinige zu leiten ist. Da ist der alte Münster, der der Kaiserin an Allerheiligen das artige Geschenk machte, er ist ein reicher Mann, man sagt mir, er wär im Stande seine Tochter wohl so gut auszustatten, als der Herzog von Baiern die seinige, und du siehst also wohl, daß er mir helfen kann und muß. Geh' zu ihm! Er soll mir tausend goldne Schilde borgen! ein Fürst hat allezeit Mittel sich seiner Schulden zu entledigen; du kannst ihm zum Anfang die Erlaubniß ankündigen, die einige andre reiche Handwerker so lang vergeblich gesucht haben, des Sontags, gleich den Edeln, eine goldne Kette um den Hals zu tragen. –

Herrmann stand wie versteinert: die Freude eine Gelegenheit zu haben in Idas Haus zu gehen, ihren Vater in Geschäften des Kaisers zu sprechen, ihm eine Ehre anzukündigen, die ihn so sehr vor allen andern seines Standes auszeichnen mußte, verschlang jeden andern Gedanken, und es fiel ihm erst, als er schon an Münsters Hausthür stand, ein, ob er ihm auch wohl mit seinem Gewerbe angenehm seyn würde? ob das kaiserliche Zutrauen, [37] dessen oftmalige Erneuerung in ähnlichen Fällen Herrmann voraus sah, nicht den Wohlstand des Hauses, das ihm so lieb war, zerstören, und Ida mit der Zeit nebst ihren Vater in Armuth und Elend stürzen könne.

6. Kapitel. Bürgerstolz und Bürgerreichthum
Sechstes Kapitel.
Bürgerstolz und Bürgerreichthum.

Während der Jüngling einige flüchtige Betrachtungen von dieser Art anstellte, hatte er schon zweymal an Münsters Hausthüre geklopft; ein alter Diener öffnete sie. Herrmanns Gesicht gehörte unter diejenigen, welchen Idas Vater den Zutritt in seinem Hause nicht zu gestatten pflegte. Jung, schön, in allen Glanz des Hofs gekleidet, was für einen Anblick für denjenigen, der in Abwesenheit seines Herrn, der Ehrenhüter des Hauses war! auch dünkte es dem Knechte des alten Münsters, diese zierliche Figur mehr gesehen und abgewiesen zu haben, welches bey den mannichfachen vergeblichen Versuchen, welche Herrmann seit einiger Zeit gemacht hatte, Zutritt in Idas Wohnung zu bekommen, wohl möglich seyn konnte.

Ungestüm ward die Thür zugeschlagen, und ehe noch der Klopfende andeuten konnte, wen er zu sehen verlangte, tönte ihm die rauhe Stimme entgegen: der Herr sey ausgegangen.

[38] Und die Frau? fragte der junge Höfling mit lieblichem Accent. Die Antwort würde vielleicht die nämliche gewesen seyn, wenn nicht ein glückliches Ungefähr Idas Mutter eben über den Flur getragen, und ihr die Nachfrage nach ihr, zu Ohren gebracht hätte.

Herrmann hörte innerhalb der Thür einen kleinen Wortwechsel zwischen der Frau und dem Knechte, er klopfte noch einmal, und ihm ward aufgethan. Idas Mutter hatte den unerbittlichen Thorwächter vertrieben, sie selbst öffnete die Pforte, und der Anblick des Hofjunkers nöthigte ihr eine tiefe Verbeugung ab. Wer seyd ihr, Herr Ritter? stammelte sie mit einem kleinen Erröthen.

Mein Name thut wenig zur Sache, erwiederte Herrmann mit einigem Unwillen, aber mein Gewerbe muß mir überall Zutritt verschaffen; ich komme auf Befehl des Kaisers.

Des Kaisers? wiederholte sie, doch im Guten? – Doch Gott sey Dank, ich und die Meinigen sind uns keines Vergehns bewußt, und was sich mit Geld abkaufen läßt – Geht herein, Herr Ritter, ich muß nach meinen Mägden sehen, und gleich bin ich wieder bey euch.

Herrmann ward in ein Unterzimmer gelassen, wo das erste, was ihm in die Augen fiel, eine holdselige weibliche Figur war, die er augenblicklich für Ida gehalten haben würde, wenn sie ihm nicht [39] unendlich schöner geschienen hätte, als er sie je sah, und doch gehörten wenig Minuten dazu ihn zu überzeugen, daß sie es wirklich sey. Herrmann hatte das junge Mädchen bisher nicht anders, als in der dichten Kirchenhülle, oder in dem steifen Staate gesehen, welcher damals Mode war. Die hohen Kragen, die dickgefalteten Kleider, und der gothische Kopfputz ließen der lieblichen Dirne noch allemal Reiz genug übrig, vor allen ihren eben so geschmückten Zeitverwandtinnen hervorzustechen, aber ganz ein anderes war es doch immer, sie im häuslichen Gewande ohne weitern Schmuck, als einen kleinen Schleier auf ihren schönen Locken zu erblicken.

Herrmann stand wie versteinert, und Ida an ihrem Spinnrocken blickte kaum auf, den Eintretenden zu betrachten. Es war in den damaligen Zeiten die Sitte der Jungfrauen, ihren neugierigen Blicken zu wehren.

Der Hofjunker war beym Eintritt von der Mutter gebeten worden, sich zu setzen, und sich die Zeit nicht lang werden zu lassen, aber so wohl er das letzte, bey Idas Anblick, der ihm alle Langeweile benahm, beobachtete, so wenig dachte er an das erste; er blieb auf der Stelle stehen, wo er war, und seine Augen verschlangen die schöne Spinnerinn, welche wohl ein bis zweymal den Mund aufthat, als wollte sie den Jüngling an die Bitte ihrer Mutter erinnern, aber ihn schnell wieder schloß, [40] als zweifelte sie, ob es ihr in Abwesenheit ihrer Eltern ziemte, mit einem Fremden, mit solch einem Fremden zu sprechen.

Liebe Jungfrauen des achtzehenden Jahrhunderts, es war gar eine seltsame Sache um den jungfräulichen Wohlstand zu Kaiser Wenzels Zeiten, und wenn ihr etwa glauben sollet, als sey Schüchternheit auch damals nur die Sitte geringer Mädchen gewesen, so erinnert euch nur, daß Ida wie ein Fräulein erzogen war, und sich sehr wohl nach dem, was man sie gelehrt hatte, zu halten wußte. Auch hoffe ich, ihr werdet ihr Betragen nicht Einfalt oder Blödigkeit nennen, wenn ihr zurücksinnt, mit wie viel Freymüthigkeit und Anstand sie am Montag nach Allerheiligen erschien, und mit jedem ihrer Worte, jedem ihrer Blicke nicht allein das Herz Sophiens, sondern tausend andere Herzen fesselte. Höret weiter:

Herrmanns Aufführung wird nicht weniger seltsam in euren Augen erscheinen. – Die Spinnerin verlor die Spindel, und der junge Herr, an statt dieselbe aufzuheben um der Atmosphäre des Mädchens näher zu kommen, oder Gelegenheit zum Anfang eines Gesprächs zu finden, blieb stehen, und ließ es ruhig zu, daß sie selbst sich beugte, um ihr Handwerkszeug von neuem zu fassen.

Ida, welche diesen Fall nicht aus Koketterie veranlaßt hatte, glühte vor Beschämung über ihr [41] Versehen, und fieng an das Rädchen hurtiger zu drehen, um den etwanigen Vorwurf der Unschicklichkeit in dem Herzen des Fremden hinweg zu tilgen.

Es ist schwer zu errathen, ob irgend ein Zufall den Liebenden und die Geliebte näher zusammen gebracht haben würde, da sie diesen so unachtsam vorbeygehen ließen, aber alle Möglichkeit dazu ward in diesem Augenblick durch die Ankunft der Mutter vereitelt.

Und was bringt einen Gesandten des Kaisers in mein schlechtes Haus? fragte die Matrone, indem sie Herrmannen nochmals zum Sitzen nöthigte, und sittig vor ihm stehen blieb. – Der Kammerjunker stockte, erröthete, welches jetzt bei Kammerjunkern etwas seltnes ist, und fand, daß es nicht ohne Schwierigkeit sey, einen Auftrag, wie der, mit welchem Kaiser Wenzel ihn beehrt hatte, auszurichten. Auch sagt die Geschichte nicht, wie er sich endlich dessen entledigte, sondern sie führt uns nur auf die Würkung, die er auf das Gemüth der Münsterin that. Sie lächelte, und winkte mit einem bedeutenden Blick auf Ida; Kind, sagte sie, das bedeutete mir mein Traum, ich fand in Abwesenheit des Vaters Rosen in unserm Garten, Rosen bedeuten Ehre!

Mit diesen Worten war die gutherzige Frau nach einen großen Seulenschranke gegangen, den sie mit Geräusch öffnete, und mit einem Kästchen [42] von schwarzem Ebenholze zurückkehrte. Gut, sagte sie, indem sie sich an Herrmanns Seite setzte und das kleine Behältniß auf dem Tische ausleerte, gut daß mein Mann nicht zu Hause ist, und mir die Ehre hinwegnimmt, einem so großen Herrn zu dienen. Hier, Herr Ritter, nehmt so viel ihr wollt, nehmt alles, nehmt es ungezählt, nur diese Kette und diesen Ring nehme ich hinweg, sie gehören meiner Tochter, und, fuhr sie fort, und grüßt unsern Herrn den Kaiser schönstens von mir, und wir liebten ihn alle, seit er uns eine so gute Kaiserin gegeben hätte. Durch sie, hofften wir, sollte manches besser werden.

Herrmann erstaunte über die Bereitwilligkeit, mit welcher dieser Frau, wie er meynte, ihren ganzen Schatz dem Vergnügen aufopferte, einem Herrn, wie Wenzel, gedient zu haben. Er sah sie an, sprach etwas von sicherer Wiedererstattung, an welcher er doch selbst nicht glaubte, und trat endlich mit dem Auftrag hervor, den ihm der Kaiser vor den alten Münster zur Belohnung (vielleicht zur einigen Erstattung) für das Darlehn gegeben hatte. Wer soll nun, fragte Herrmann, das Recht haben, mit einer goldnen Kette zu prangen, derjenige, dem der Kaiser es zudachte, oder die gutherzige Frau, welche so bereitwillig ist ihm zu dienen?

Mein Mann ist so hochmüthig nicht, sprach die Münsterinn lächelnd, und ich? freylich mir sollte [43] so ein Vorzug vor meines gleichen ganz wohl thun, aber wenn mich der Kaiser belohnen will, so will ich ihn schon einmal um etwas anders bitten, das er mir nicht abschlagen muß, wenn er dankbar seyn will.

Herrmann versicherte, er getraute sich alles für sie beym Kaiser zu erlangen was sie wünschte, und er glaubte ihr die Freyheit zusichern zu können, jeden Schmuck öffentlich tragen zu dürfen, den sie wünschte, ohne daß ihr darum für die Zukunft eine freye Bitte abgeschlagen werden sollte. – Der junge Mensch, der einen Theil der Liebe für die Tochter auf die Mutter übertrug, sprach mit einem Feuer, das der klugen Münsterinn ein neues Lächeln abnöthigte. Es freut mich, sagte sie, daß ihr so viel bey eurem Herrn geltet, auch danke ich für die Erlaubniß die Kostbarkeiten zu tragen, die ich habe; allenfalls kann ich mich auch im Hause damit schmücken, wenn mir das Freude macht. Aber wie ist das, hat euch der Kaiser, bey dem ihr so viel zu sagen habt, nie erlaubt mit goldnen Ketten zu prangen? Mich dünkt ich habe euch oft in der Kirche und anderwo gesehen, aber nie mit so etwas um euren Hals; und ihr seyd doch ein Edler!

Herrmann erröthete, denn er wußte die Ursach dieses Mangels, der seinen Grund in seinem wenigen Vermögen, und Wenzels schlechter Freygebigkeit hatte, sehr wohl.

[44] Wie wär es, fuhr die Münsterin fort, wenn ich einmal thät als ob ich Kaiser wär, und euch eine Kette zu tragen erlaubte? Ida, willigst du ein? – die Mutter hielt bey diesen Worten die Kette in die Höhe, von welcher sie vor einem Augenblick sagte, daß sie ihrer Tochter gehöre. Ida verbeugte sich. Nun so steh auf, fuhr die Mutter fort, und lege dem Ritter selbst das Geschenk an, das ich ihm von dem Deinigen gebe.

Ida erröthete, zögerte, und erhub sich endlich auf wiederholtem Befehl ihrer Mutter, gieng zitternd auf Herrmann zu, nahm die Kette aus den Händen der Matrone, warf sie um den Hals des Jünglings, und eilte nach ihren Rocken zurück, ohne auf den zu achten, der halb ausser sich ihr nachsah, und die Arme nach ihr ausstreckte.

Eine große Pause erhub sich nach dieser Begebenheit. Ida saß mit niedergeschlagenem Auge und glühendem Gesicht an ihrem Rocken ohne zu spinnen, Herrmann heftete seine Augen mit einem Blick auf sie, welcher sich nicht beschreiben läßt, und die Münsterin saß an ihrem Stuhl zurück gelehnt und sah dem allen mit einem scharfen beobachtenden Blick zu, der schwer zu erklären war.

Eben hatte sie die lange Stille durch die Frage an den jungen Menschen unterbrochen, ob er nicht Ritter Herrmann von Unna sey, und dieser war eben im Begriff zu bejahen, und wiederum [45] zu fragen, woher man ihn kenne? als die Münsterinn den Fußtritt ihres Mannes im steinernen Vorhaus vernahm, und ihren Beysitzer bat, Idas Geschenk in sein Wamms zu knüpfen. Er gehorchte ohne nach der Ursach zu fragen, und Münster trat ein. Ein alternder Mann von stattlichem Ansehen, als sein Stand mit sich brachte, ein stolzer Blick in seinem Auge zeigte den reichen Bürger an, der sich den Edeln gleich hielt, und eine gewisse Gutmüthigkeit in seinen Zügen, machte, daß man ihm diesen Blick nicht übelnehmen konnte. Die Anwesenheit des Kammerjunkers schien ihn zu befremden, er sah seine Frau mit einer Miene voll Unwillen an, befahl Ida das Zimmer zu verlassen, und fragte Herrmann nach seinen Begehren.

Der Name des Kaisers machte ihn etwas milder, und das Gewerbe, das derselbe seinem Vertrauten an ihn aufgetragen hatte, nöthigte ihm ein Lächeln ab. Es ist gut, sagte er, nachdem man ihm alles, ausser den Umstand mit Idas Geschenk, entdeckt hatte, es ist gut, daß mein Weib meine Stelle vertreten hat, das nächstemal, daß der Kaiser meiner nöthig hat, und ich vermuthe, dies wird bald geschehen, wird die Reihe an mir seyn: wir sind verbunden, unserm Herrn mit Gut und Blut zu dienen. In einer von Sr. Majestät treuen Reichsstädten fand ich Schutz und Brodt, als ich arm und vertrieben war, in seinen Landen erwarb [46] ich einen Theil dessen, was ich habe, und ihm gebührt ohne Zweifel ein Theil des meinigen; also, Herr Ritter, so oft ihr wollt im Namen eures Herrn, in dem Eurigen aber – nie.

Herrmann wollte nach dieser Erklärung das Gespräch von neuem anspinnen, aber die Antworten fielen kurz aus, er sprach von Wiederkommen, und fügte einige übel angebrachte Schmeicheleyen für den alten Münster hinzu, aber man übergieng es mit Stillschweigen, und – er entfernte sich. Was sollte er hier? die, welche ihn so mächtig anzog, die geliebte Ida, war ja nicht mehr gegenwärtig, und ihre vorher so freundliche Mutter, hatte seit der Erscheinung ihres Mannes sich so ganz verändert, daß er sie nicht mehr kannte.

Der Kammerjunker gieng langsam nach Hause, und rekapitulirte, was ihm begegnet war. Idas Anblick, die Freundlichkeit ihrer Mutter, das Geschenk, das sie ihm auf so gute Art von der Hand des geliebten Mädchens zu verschaffen wußte, und eine Menge anderer Dinge, welche vorgefallen waren entzückten ihn, liessen ihm Hofnungen fassen, die er sich selbst nicht zu erklären wußte, und machten, daß er die Hauptsache, den glücklich ausgerichteten Auftrag seines Herrn ganz aus der Acht ließ.

Erst als er die Schätze der gutherzigen Münsterinn, deren Gewicht er in der Freude seines Herzens nicht gemerkt hatte, in seinen Taschen fühlte, [47] alsdenn erst erinnerte er sich was er zu thun habe, und eilte zu seinem Herrn ihm Nachricht zu geben.

Wenzel war niemals zufrieden, und fand also auch hier Ursach zum Verdruß. Die Gaben der großmüthigen Bürgerinn reichten nicht ganz an die Summe, die er verlangt hatte, und dennoch ließ ihre Bereitwilligkeit zu geben es ihm bereuen, daß er nicht mehr gefordert hatte. Münsters Reichthum war in seinen Augen unerschöpflich, und er sann darauf ihm nächstens wieder zuzusprechen.

Sein Vertrauter hörte wenig von dem, was er ihm hierüber sagte, er sehnte sich nach Hause, um seine Abentheuer nochmals zu überlegen, und seine Augen an Idas goldner Kette zu weiden, ein Kleinod von ziemlichem Werth, an welchem er nichts auszusetzen hatte, als daß das Schaustück, das daran hieng, nicht mit Idas schönem Gesicht geziert war, ihm nichts als einen alten bärtigen Grafen von Würtemberg vorstellte, der ihn wenig interessirte. – –

Herrmann mußte über die Gedanken an die Schönheit der Tochter und die Güte der Mutter ganz die Strenge des Vaters vergessen haben, denn des andern Tages mit dem frühesten Morgen trugen ihn seine Füße vor Münsters Pforte, und er war sehr befremdet, abgewiesen zu werden. Man sagte ihm, weder Herr noch Frau seyen gegenwärtig, [48] man vermuthe überdieses heute keine Befehle von Sr. Majestät, und andere Angelegenheiten könne und werde der Herr Ritter in diesem Hause nicht haben.

Aehnliche Versuche liefen in der Folge auf ähnliche Art ab, und Herrmann fing an im Ernste zu wünschen, der Kaiser möge wieder Geldmangel haben, und seine Zuflucht zu Münsters Goldquelle nehmen müssen. – Aber Wenzel war empfindrisch genug andre Brünnlein zu entdecken, aus welchen ihm die Schätze, die er brauchte, noch häufiger zufliessen mußten. Er machte Edle zu Grafen, und Grafen zu Reichsfürsten, und ließ sich für diese Promotionen von jedem nach Standesgebühr und Würden zahlen. Ein anderer Erwerbszweig war für ihn, die Erschaffung neuer Richter und Beisitzer jenes fürchterlichen Gerichts, durch dessen eisernen Arm zu den damaligen Zeiten die Gerechtigkeit im Verborgenen geübt wurde. Zwar hatte der Kaiser eigentlich kein Recht zu Vergebung solcher Stellen, zwar war die Uebung dieser Art der heimlichen Gerechtigkeit an ein einiges Land, an Westphalen gebunden, aber daran kehrte sich Wenzel nicht, er schaltete mit allem was ihm nicht zukam, als mit seinem Eigenthum, und freute sich des Vortheils, der ihm daraus zufloß.

[49]
7. Kapitel. Unglück bringt uns oft dem Glücke näher
Siebentes Kapitel.
Unglück bringt uns oft dem Glücke näher.

Graf Viktor von Mayland lebte in heimlicher Fehde mit einem Fürsten aus dem Hause Visconti. Der Grund ihrer Streitigkeiten und die Ursach, warum beide sich nur heimlich zu schaden suchten, sind Dinge, welche hieher nicht gehören. Ehrgeiz und Rache trieben den Grafen an Wenzels Hof, er bot ihm hundert tausend Gulden, eine für die damaligen Zeiten ungeheure Summe, wenn ihm der Kaiser den herzoglichen Titel gewähren wollte. Der Kaiser war taub gegen die Vorstellung seiner Fürsten, Graf Viktors Bitte abzuschlagen, er hörte nur seinen Eigennutz, er gab, ganz wider die Reichsverfassung, dem Grafen was er öffentlich verlangte, und versagte ihm, wie die Sage berichtet, auch das nicht, warum er heimlich bat, das Recht in seinen Landen ein Freygericht zu stiften, das ist, wider jeden den er haßte, und einen Schein des Verbrechens ausbringen konnte, tausend heimliche Henker zu bewafnen, die ihn richten konnten, wo sie ihn fanden, ohne daß jemand sein Blut rächen durfte.

Dieser letzte Theil von Graf Viktors Gesuch liegt zu sehr in Dunkelheit gehüllt, als daß sich etwas zuverläßiges davon sagen ließ, aber so viel ist gewiß, daß er alles erhielt, was er verlangte, und [50] des Kaisers Willfährigkeit noch großmüthiger bezahlte, als er versprochen hatte.

Jetzt waren, nach Wenzels Meynung, unerschöpfliche Schätze in seinen Händen. Ganz Prag erschallte von dem Getümmel der Freude, tausend schwelgerische Feste wurden gefeyert, zu denen Herzog Viktors Erhöhung die Veranlassung seyn mußte. Die Unterthanen, so sehr sie auch die Ausschweifungen ihres Kaisers tadelten, bildeten sich doch im Stillen ihm nach. Wenzels Verschwendung gab auch andern Mittel zum Wohlleben in die Hände, und der Rausch, von welchem bei Hofe alles taumelte, verbreitete sich in die entferntesten Quartiere der Stadt.

In einer von denen in dieser Epoche durchschwelgten Nächten, war es, da im östlichen Theil der Stadt jene schreckliche Feuersbrunst ausbrach, von welcher noch einige der ältesten Chroniken gedenken. Mitternacht war bereits vorbey, der Kaiser und sein Zechgeselle, der Fürst von Ratibor, schenkten eben den Pokal ein, der den letzten Ueberrest ihres Bewußtseyns ersäufen sollte, indessen um und neben ihnen bereits alle diejenigen ohne Verstand lagen, die den Wettstreit der Schwelgerey mit ihnen begonnen hatten. Lallend und mit wildem Gelächter erzählten sie einander, wie einer ihrer Gefährten nach dem andern, von Wein übermocht, dahingesunken [51] war, stritten, zuweilen fast bis zur Thätlichkeit, über die Ordnung, in welcher dies geschehen war, und über den Augenblick, in welchem sie das Schicksal der andern treffen würde.

Mittlerweile hatte der jüngere, kleinere und bessere Theil der Gesellschaft nur aus dem Becher der Freude getrunken, und ergötzte sich mit dem edlern Vergnügen des Tanzes. Herrmann war mitten in dem jugendlichen frölichen Zirkel. Nachdem er lange unter dem Trupp lachender Jünglinge und Mädchen allein traurig gesessen, bald sich an ein Fenster gestellt hatte, wo er die Gegend von Idas Wohnung sehen konnte, bald sich unmuthig hinweg gewandt, und den tausendmal vergeblich gefaßten Entschluß erneuert hatte, das reizende Bürgermädchen zu vergessen, so fieng er endlich an seine Zuflucht zu dem gefährlichen Gegengift des Kummers, dem Trunke, zu nehmen. Er war zu edel, sich um sein Bewustseyn zu trinken, aber doch hatte er endlich den Becher oft genug geleert um froh zu seyn, und in jedem Mädchen, das an seiner Hand die bunten Reihen hinabschwebte, eine Ida zu sehen.

Mitten in dem frohen Taumel, in welchem er und alle seine Gefährten sich befanden, wurden sie durch ein ungewohntes Geschrey erschüttert. Es ist die Schildwacht, sagte eine liebliche Blondine zu dem schönen Herrmann, und drückte seinen Arm fester an ihr Herz; sie verkündigt den Tag, laß uns [52] die fliehenden Stunden nicht versäumen! Die Schildwachen, vielleicht die einigen ganz nüchternen Männer in der Gegend des Schlosses, verdoppelten ihr Rufen. Die Musik schwieg, man horchte. Es ist Feuer! riefen einige Stimmen. Feuer! riefen die andern, und der ganze Schwarm der Tänzer wickelte sich in einen Knäuel zusammen, und stürzte nach den Thüren und den Fenstern, um theils zu fliehen ehe man wußte wo die Gefahr war, theils zu forschen, wo sie sey.

Herrmann war unter den letzten. Er flog an das Fenster, wo er diesen Abend so oft gestanden hatte, und sahe den hohen Schloßberg hinab in die weite Ferne hinaus. Die ganze östliche Gegend des Himmels schwamm in Feuer. Plötzlich stieg der Gedanke an Ida in seiner Seele auf, der Taumel der Selbstvergessenheit verschwand. Er rief den Namen seines Mädchens aus, schleuderte die holde Blondine, welche noch an seinem Arm hieng, von sich, und wandte sich halb ausser sich um, das Zimmer zu verlassen. Er arbeitete sich durch das drückende Gedränge, welches das Fenster und die Thüren besetzt hielt, stieß zu Boden was sich ihm widersetzte, und erreichte endlich die Gasse.

Ohne sich der Dauer des Weges bis zu Münsters Hause, oder der Art, wie er ihn zurück gelegt hatte, bewußt zu seyn, langte er daselbst an, und – doch man erspare mir die Beschreibung des [53] schrecklichen Schauspiels, welches sich Hermann hier gezeigt haben würde, wenn er für irgend etwas, als die Gefahr seines Mädchens, Sinn gehabt hätte.

Wahrscheinlich war man das Unglück in dem Viertel der Stadt, welches von demselben betroffen wurde, später gewahr geworden, als es die nüchterne Schildwache auf dem hohen Schloßberge ausgerufen hatte. Ein Theil der unglücklichen Bewohner dieser Gegend hatte im schwelgerischen Rausche von Festen, die auch hier gefeyert wurden, der andere in jenem tiefen Schlafe gelegen, in welchen die Arbeitsamkeit ihre Freunde einwiegt.

Die Bewohner des Münsterschen Hauses waren unter den letztern gewesen, bey ihnen wußte man nichts von üppigen Lustbarkeiten, sondern widmete einen Wochentag wie den andern dem Fleiße und die Nächte der Ruhe. Es war die Nacht vor Kreuzerhöhung, da sich diese fürchterliche Begebenheit zutrug, und eine solche Nacht zu durchschwärmen, würde bey dieser frommen Familie doppelt strafbar gewesen seyn.

Der halbentseelte Herrmann fand den alten Münster und seine Frau mit gerungenen Händen bey ihrem brennenden Hause stehen, und nach ihrer Ida rufen, mit Mühe hatten die unglücklichen Eltern ihr eigenes Leben gerettet, der Vater, welcher in die Gluth zu rückgekehrt war, und seine Tochter vergebens auf ihrem Zimmer gesucht hatte, fühlte [54] nicht die Schmerzen seines bey dieser Gelegenheit schwer beschädigten Arms, und die Mutter schien alle Augenblick im Begriffe zu seyn, sich ins Feuer zu stürzen, um die Verlorne zu suchen, oder mit ihr zu sterben.

Ida? rief Herrmann, als er die Klagen der Eltern hörte, Ida ist verloren? ha! ich muß sie suchen, sie retten! Diese Worte waren kaum geendigt, als er eine Leiter ergriff, und sie an dem Theile des halb zerstörten Hauses anlegte, den ihm die Mutter mit dem Finger zeigte; die lodernde Gluth hatte sich von dieser Ecke gewendet; über glimmende Balken und glühende Steine klimmte Herrmann zu der Kammer seines Mädchens. Der dicke Rauch verbarg ihn dem Auge der Schauenden. Idas Eltern konnten den Retter ihrer Tochter nicht mehr sehen. Auch er ist dahin! schrie die Mutter, und rang die Hände, aber in dem Augenblicke kam er wieder hervor, drängte sich tiefer in die rauchenden Trümmern, verschwand nochmals, zeigte sich wieder, fieng an die Leiter hinabzuklimmen, stürzte sich einigen, die ihm zu Hülfe kamen, in die Arme, und blieb ohnmächtig liegen.

Leer? rief die herbeydringende Mutter, er kommt leer? Ach Gott, wo ist meine Tochter!

Indessen die Mutter über Ida jammerte, beschäftigte sich der Vater mit dem heldenmüthigen Jünglinge, der sein Leben vergeblich gewagt hatte. [55] Der Rauch hatte ihn auf seinen wiederholten Bemühungen um die, die er liebte, fast erstickt, Angst und Anstrengung seine Kräfte aufgezehrt, seine Ohnmacht war dem Tode ähnlich, und nur die Schmerzen der Beschädigungen, die er erlitten hatte, konnten ihn endlich erwecken.

Mit der zunehmenden Gluth mehrte sich auch die Anzahl der herbeydringenden Menge, der Tag war angebrochen, die Schwelger und Schläfer von Prag wurden wach, und man fieng an ernstlich auf Rettung zu denken, die nun fast zu spät kam.

Idas Eltern verliessen die Gegend des Schreckens, wo sie alles verloren zu haben glaubten, und begaben sich nach einem kleinen Hause, welches von den Flammen verschont geblieben war, und welches ihnen gleichfals zugehörte. Idas unglücklicher Retter ließ sich auf ihre Bitte von seinen Leuten an den nemlichen Ort bringen, weil die Mutter schwur, sie könne seine Wartung niemand als sich selbst anvertrauen.

Sie hatten den Weg dahin noch nicht halb zurück gelegt, als aus den immer mehr zuströmenden Gedränge, ein Mädchen, als Ida, sich in ihre Arme stürzte.

Es ist unmöglich die Wirkung zu beschreiben, die die Erscheinung der Verlornen bey den dreyen, die sie so unaussprechlich liebten, anrichtete; der schwache Herrmann ward von neuem ohnmächtig, [56] und der Mutter gieng es nicht besser. Nur der Vater hatte Besonnenheit genug, die Tochter, die weinend in seinen Armen lag, um die Möglichkeit, um die Art ihrer Rettung zu fragen.

Rettung? rief Ida, Gott sey Dank, daß ihr gerettet seyd, ich habe nichts von Gefahr gewußt, nichts davon geträumt, bis ich von dem Unglück hörte, daß sich in unserer Gegend zugetragen habe, und halb sinnlos herbeyeilte, euch gerettet zu sehen, oder mit euch zu sterben.

Jetzt erst besann sich der Vater, daß Ida noch des vorigen Abends spät um Erlaubniß gebeten hatte, nebst ihrer Magd, die Metten in der entfernten Marienkirche zu besuchen, welche gleich nach Mitternacht angieng, und mit Anbruch des Tages endigte; dort hatte das Gerücht von dem Unglück ihrer Eltern das fromme Mädchen getroffen; und der gute Engel, der sie vor ihrem eigenen Verderben vorüberführte, brauchte sie nunmehr zum Mittel, auch die andern zu trösten, und sie mitten im Unglück den höchsten Grad von Freude fühlen zu lassen.

Herrmann war zu sich selbst gekommen, man stellte ihm die lebende Ida vor, die ihm ganz so dankte, wie das, was er für sie gethan hatte, es verdiente. Er blieb in dem Hause ihrer Eltern, sie ward seine Wärterin, und ob seine Liebe dadurch genährt, und die ihrige angefacht wurde, läßt sich denken.

[57]
8. Kapitel. Herrmann bekommt Räthsel zu hören
Achtes Kapitel.
Herrmann bekommt Räthsel zu hören.

Herrmanns Wiedergenesung und der Wohlstand brachten ihn aus Münsters Hause. Er erschien wieder vor dem Kaiser, der sich wenig um ihn bekümmert hatte, und ihn jetzt über sein Abentheuer mit dem Bürgermädchen höhnte. Dem Beyspiel des Herrn folgten die Diener, und Herrmanns und Idas Liebe ward das Märchen vieler Tage. Nur Sophie war edel genug Herrmann nicht zu höhnen, ihn nicht wegen dessen, was er für das schöne Bürgermädchen gethan hatte, zu verachten. Ein Funke von jener schnell gefaßten Zuneigung für Ida, welchen andere Gedanken und die Fürstin von Ratibor eben so schnell unterdrückt hatten, glimmte noch in ihrem Herzen, sie hörte von dem Unglück ihrer Eltern mit Rührung, freute sich der Rettung des jungen Mädchens, und trug Herrmannen auf, der herabgekommenen Familie ein Geschenk zu überbringen, welches nach dem wenigen, was Sophie in Händen hatte, ansehnlich genug war. Herrmann war entzückt seine geheimen Wünsche erfüllt zu sehen; Idas gestürztes Glück nagte an seinem Herzen, er sah das Kleinod, das er von ihr in ihren bessern Tagen erhielt, mit Wehmuth an, hielt es für Pflicht es ihr jetzt zurück zu geben, und da ihm[58] dieses unmöglich war, so beraubte er sich alles dessen, was er von einiger Kostbarkeit hatte, und dessen sehr wenig war, um ihr den Werth dessen, was sie gab, nur einigermaßen zu ersetzen. Er legte es zu dem Geschenke der Kaiserin, um ihm unter diesen erhabenen Namen eine willige Aufnahme zu verschaffen. Der besorgte Jüngling hatte noch andere Gedanken. Er erinnerte sich an das Darlehn der Münsterin, er wußte, daß der Kaiser noch viel von Herzog Viktors Geldern übrig hatte, und er war kühn genug, ihn an die Erstattung des Geborgten zu erinnern; eine Freiheit, welche sehr übel aufgenommen wurde, und vielleicht den ersten Grund zu Wenzels Kaltsinn gegen seinen ehemaligen Liebling legte.

Hat man euch aufgefordert, dieser armseligen Kleinigkeit gegen mich zu gedenken? fragte der Kaiser mit finsterm Blicke. Nein, sagte Herrmann, im Gegentheil hab ich alle Ursach zu glauben, daß die gutherzige Münsterin die Absicht hatte ihrem Herrn nicht ein Darlehn, sondern ein Geschenk zu geben; aber diese Großmuth, ist sie nicht die größte Aufforderung – – Und, fiel ihm Wenzel ins Wort, sagtet ihr mir nicht von einer freien Bitte, welche sich das Weib, als sie mir das Geschenk sandte, vorbehielt. Herrmann bejahte. Nun gut, fuhr der Kaiser fort, so wollen wir warten bis sie mit dieser Bitte einkömmt, und bey meinem kaiserlichen Worte, es soll ihr nichts –

[59] Abgeschlagen werden, wollte er sagen, aber die Furcht, sich zu etwas verbindlich zu machen, das er vielleicht keine Lust haben mochte zu halten, hieß ihn abbrechen, und ein halb unwilliger Wink mit der Hand deutete dem Jünglinge an sich zu entfernen.

Herrmann machte sich auf den Weg nach Münsters kleinem Haust, er trauerte, daß er seine und Sophiens Gaben nicht auf die Art hatte vermehren können, wie er wünschte. Wär er Kaiser gewesen, keine Summen hätten ihn zu groß gedünkt, die Gutwilligkeit der ehrlichen Münster in zu vergelten.

Er fand Idas Vater diesmal allein. Bekümmert, daß sein Opfer nicht so groß war als er gehofft hatte, legte er ihm das vor, was er ihm im Namen der Kaiserin zu liefern hatte. – Münster sah nachdenkend vor sich nieder, und Thränen kamen in seine Augen! Sie ist eine edle Frau, sagte er, eine wahre Mutter des Volks; das was sie an mir thun will, thut sie an tausend Unglücklichen, sie entzieht sich das wenige, was ihr Wenzels Geiz überläßt, um andern zu helfen. O daß ihr Einfluß auf unsern Herrn nicht so groß ist, als wir hofften! – und doch spürt man in manchen Stücken Linderung, und das Land haßt ihn weniger, um des Engels willen, den er ihm zur Fürstin gab.

Herrmanns Herz war noch voll Erbitterung gegen den Kaiser, und er konnte sich nicht entbrechen, dem alten Münster den ganzen Auftritt zu [60] erzählen, den er diesen Tag mit ihm gehabt hatte.

Ihr habt übel gethan, sagte der Alte. Wer Kaiser Wenzeln etwas leihet, gedenkt gewiß nicht an die Erstattung, und was meines Weibes freye Bitte anbelangt, so wollte ich, daß ihr euch nicht damit einliesset; die Weiber haben zuweilen wunderliche Einfälle, und sollte sie eine Sache fordern, die dem Kaiser kein Geld kostet, und die er ihr also bewilligte, so könnte ihr das erlangte vielleicht mehr Schaden als Vortheil bringen.

Herrmann ließ den letzten Theil dieser Rede unbeantwortet, und schwur, er würde nicht ruhen bis das Darlehn, das er aus den Händen der gutherzigen Frau für den Kaiser erhalten hätte, ersetzt sey. Ich sehe mich selbst als ihren Schuldner an, rief er, und o Gott, daß ich nur gleich jetzt, gleich jetzt thun könnte was mir zukommt. O Himmel! nur einen Theil, nur einen kleinen Theil der Güter, die du mir vielleicht in der Zukunft zugedacht hast, gern thät ich auf das Ganze Verzicht, wenn ich nur jetzt, nur jetzt! –

Junger Herr, sagte Münster nach einigem Nachdenken, ihr macht euch da ganz unnöthige Sorge, und ich finde es für gut, um euer Herz nur ein wenig zu beruhigen, euch ein Geheimniß zu entdecken, daß selbst den Weibern nicht ganz bekannt ist. Ich bin nicht so arm als ihr denkt, so wie ich auch [61] nie so reich war als mich die Welt vielleicht ausgeschrien hat. Ich wußte das Gerücht, das meine Feinde von meinen Schätzen ausgebreitet hatten, ich hatte es lange erwartet, daß der Kaiser anfangen würde, Versuche zu machen, sie in seine Kasse zu leiten. Mit Bereitwilligkeit hätte ich ihn eingeschläfert, hätte seine Forderungen befriedigt, so lange ich es ohne Schaden hätte thun können, und wär es zu arg geworden, so hätte ich auch dafür Mittel gewußt. Freylich, mit Borgen fängt man an, und mit Rauben hört man auf, ich weiß, wie es andern gegangen ist. An einem ehrlichen Mann kann man bald Ursach finden ihn um das Seinige zu bringen; hätte ich so etwas von weiten gemerkt, so hätte ich zusammen genommen, was ich in diesem kleinen Hause vergraben habe, und wär mit den Meinen davon gegangen; er hätte denn das große Haus, das jetzt abgebrannt ist, und das ich nicht wieder aufbauen werde, ob ich es wohl könnte, zur Schadloshaltung für den Verlust eines ehrlichen treuen Bürgers, behalten mögen.

Herrmann hörte dem Alten mit Verwunderung zu, welcher folgendermaßen fort fuhr. Daß ich hier etwas Geld vergraben habe, weiß meine Frau, aber wie viel, das taugt ihr nicht zu wissen. Weib, bleibt immer Weib, ein eitles aufgeblasenes Ding, wenn ihm das Glück die Flügel wachsen läßt, und nur folgsam und demüthig wenn – [62] Und Ida? unterbrach ihn der Jüngling, den die unbilligen Lästerungen wider das Geschlecht seines Mädchens kränkten.

Mit Ida hat es freilich eine andere Bewandniß, fuhr Münster fort, und schien bey Nennung ihres Namens in ein tiefes Nachsinnen zu gerathen. – Weil wir einmal von ihr reden, fieng er nach einer Weile von neuem an, so muß ich euch bitten, daß ihr euch nicht wundert, wenn ihr sie inskünftige selten oder nie zu sehen bekommt. Daß ihr sie liebt, daß ihr ihr eure Liebe auf die edelste Art bewiesen habt, weiß ich, aber – ihr dürft nicht an sie denken! – Ich hoffe, ihr werdet keine Unmöglichkeiten verlangen.

Herrmann wiederholte das Wort Unmöglichkeit mit einem Tone, der ganz der Abdruck des Entsetzens war, welches ihn befiel, als er das Glück seiner Liebe mit diesem fürchterlichen Namen benennen hörte. Zwar wußte er hier selbst nicht, was er hoffen konnte und sollte, doch hoffte er, und zitterte, wenn man das schwankende Gebäude seiner dunkeln ungewissen Erwartungen antastete.

Meine Leser erlauben mir ein Gespräch zu übergehen, das sich hier zwischen dem Bürger und dem jungen Höflinge erhub, und dessen Inhalt sie errathen können.

Der Alte sprach ernstlich mit dem Jünglinge über das Kapitel von seiner Leidenschaft, dieser vertheidigte [63] sie mit Gründen, welche nicht ganz unwichtig waren, er betheuerte, er sey bereit entweder Geburt, Stand und alle Hoffnungen um Idas willen aufzugeben, oder die kühnsten Schritte zu thun, um sich durch Tapferkeit (in den damaligen Zeiten das sicherste Mittel der Erhebung) hoch genug zu schwingen, daß die Welt es nicht wagen dürfe, wider die Verbindung mit einer Person niedrigen Standes etwas einzuwenden.

Das Urtheil der Welt ist's gar nicht, was ich hierbey in Erwägung ziehe, sagte Münster, es dürfte vielleicht anders ausfallen als ihr denkt; aber – genug, ich kann euch nicht alles entdecken, es giebt hier gewisse Umstände, die – kurz ich muß darauf bestehen, daß ihr Ida nicht zu sehen strebt, und alle Mittel anwendet, eine unglückliche Leidenschaft zu tödten, welche sich endlich auch in das Herz des Mädchens einschleichen, auch sie unglücklich machen könnte.

Herrmann tappte hier im Dunkeln. Münsters abgebrochene Winke waren ihm ganz unerklärlich, und er war geneigt alles für künstliche Verschleyerung eines hartnäckigen Widerwillens gegen seine Person anzunehmen, dessen Grund Münster nicht anzugeben wußte, und also seine Zuflucht zu Räthseln nehmen müsse.

[64] Ein treuherziger Händedruck des Alten versicherte Herrmann vom Gegentheil. Nein, junger Herr, sagte er, ich liebe euch, liebte euch damahls schon, als ich alle eure Bemühungen, Zutritt in meinem Hause zu bekommen, vereitelte, und jetzt da die Dankbarkeit mich an euch fesselt, urtheilet was ich jetzt für euch fühlen muß?

Herrmann nahm die Versicherung des Alten kaltsinnig auf, er verließ ihn und faßte den festen Entschluß, Münsters Haus nicht mehr zu besuchen, und doch war er immer, ohne sich dessen bewußt zu seyn, nach demselben hingezogen. Es blieb doch immer eine Möglichkeit für ihn, Ida oder ihre freundliche Mutter einmahl zu sehen, auch fühlte er selbst für den harten Vater eine Zuneigung, welche es ihm unangenehm machte, seine Gesellschaft lange zu missen.

Sonderbar war es, daß ein am Hofe herangewachsener Jüngling Geschmack an dem Umgange eines gemeinen Bürgers finden konnte; aber dieser Bürger war ein edler wohldenkender nüchterner Mann, und der Jüngling, der so gern um ihn war besaß Verstand und Tugend genug, um den Ton, der in seinen Reden und Thaten herrschte, den Sitten an Wenzels schwelgerischen Hofe weit vorzuziehen, und es sich oft im Stillen zu sagen, er fühle sich besser, dem Laster gehäßiger, der Tugend [65] geneigter, seit er den redlichen Münster kennen lernte.

Gefühle von dieser Art waren indessen nicht hinreichend den jungen Hofmann von jedem Schritte abzuschrecken, der seinem treuherzigen Freunde misfallen konnte, er sann ernstlich darauf, sich eine geheime Unterredung mit Ida oder mit der Mutter zu verschaffen, und das letzte gelang ihm.

Er fand diese gute Frau ihm noch so geneigt wie jemals, sie vereinigte ihre Klagen über den Eigensinn ihres Mannes mit den Seinigen, versicherte ihm Dinge von Wichtigkeit zu sagen zu haben, und benennte ihm einen Abend, wo er in Abwesenheit ihres eifersüchtigen Hüters, nicht allein sie, sondern auch Ida zu sehen bekommen sollte.

Herrmann stellte sich pünktlich ein. Eine verschwiegene Magd sagte ihm, der Herr sey noch nicht ausgegangen, und bat ihn bis zu seinem Abschied in ein kleines Kabinett zu treten, welches nahe genug an dem untern Saale lag, um ihn einige Fragmente von einer Unterredung hören zu lassen, die zwischen Idas Eltern vorfiel und die wir unsern Lesern mittheilen wollen.

Und nach allem diesen, fieng der alte Münster an, als es Herrmannen zuerst einfiel das Ohr an die Thür zu legen, nach allem diesem hältst du mich noch für einen Hasser des jungen Menschen? Glaube mir, alles was ich eingestehen kann, ist, [66] ich liebe ihn einige Grade weniger als Idas Glück; dieses, dieses ist mein einiges Augenmerk!

Auch das Meinige, erwiederte die Frau mit mürrischer Stimme.

Und doch, fuhr Münster fort, erwählst du die widrigsten Mittel deinen Entzweck zu erreichen?

Die besten! versetzte sie. Das Mädchen muß aus der Dunkelheit hervor, wenn ich nicht ewig das bereuen soll, was ich gethan habe.

Ja, das soll sie, sprach der Alte, aber nicht durch Herrmann; laß uns doch den geradesten, den kürzesten Weg wählen! Was kann sie von einem Jünglinge hoffen, der sein Glück noch nicht gemacht hat? dem sie vielleicht Jahre lang in die Fremde nachsehen muß, der zu einem Hause gehört welches – –

Nun gut, rief die Münsterinn, so bewillige meinen zweyten Vorschlag.

Frau, erwiederte der Mann, ich bitte dich, gieb die unglücklichen Gedanken auf, was soll Ida an einem Hofe wie Wenzels? Denke, was uns dein Einfall das junge Mädchen an Allerheiligen mit deinem prangenden Geschenke hervortreten zu lassen, schon für Unruhe gemacht hat, willst du noch weiter gehen? – O daß ich dir die närrisch ausgesonnene Feyerlichkeit gestattete! Es ist undankbare Mühe den Großen zu opfern, sie vergessen [67] diejenigen nur gar zu bald, welche ihnen Freude machten.

Welches nicht geschehen seyn würde, sagte die Frau, wenn Ida des andern Tages auf Befehl der Kaiserin bey Hofe erschienen wär, wenn sie sich nicht auf deinem Befehl hätte krank stellen müssen.

O wenn die Kaiserin eine festere Neigung für sie gefaßt hätte, als Damen ihres gleichen pflegen, so würde es bey einer Einladung nicht geblieben seyn. Welches ist besser, jetzt von ihr vergessen zu seyn, oder nach einigen glänzenden bey Hof zugebrachten Wochen oder Tagen dieses Schicksal erfahren, und gehaßt, verlacht, und beneidet, in ihre Dunkelheit zurückkehren zu müssen?

Die Münsterin schwieg.

Siehst du ein, fragte der Alte, daß dein Anschlag thöricht war? daß er seines Entzwecks verfehlen mußte? und daß es mit dem zweyten eben so gehen wird?

Er war nicht thöricht, verfehlte seinen Entzweck nicht, rief die Frau; ich wußte, daß Ida Aufsehen erregen, daß sie wenigstens ein Herz würklich fesseln mußte, und es geschah. Der gute liebenswürdige Herrmann ward von ihr besiegt, er ist es, durch dessen Hand sie das Schicksal hervorziehen will, und er soll sie haben, soll einst ihr Glück mit ihr theilen.

[68] Soll ich dir zum zweytenmahl die Unmöglichkeit vorstellen, welche bey ihm stärker als bey einem andern ist?

Thue es nicht, du richtest nichts aus.

Hartnäckiger Weiberkopf! – Willst du mir auch nicht wenigstens versprechen, deine neuen Chimären aufzugeben, und alles mir zu überlassen?

Idas Schicksal geht mich näher an als dich und –

Nur dies, nur dies nicht, Marie, du weißt, wie ich sie liebe, und welcher Triumpf es für mich seyn wird – –

Idas Eintritt verhinderte die Fortsetzung des Gesprächs. Der alte Münster erklärte, er würde diesen Abend zu Hause bleiben, und dem jungen Mädchen ward befohlen statt des Spinnrockens die Harfe zu nehmen, und die Geister des Unmuths von ihren Eltern zu verjagen.

Es war billig, daß Herrmann doch einige Schadloshaltung für eine fehlgeschlagene Hoffnung erhielt; das Vergnügen Ida singen, spielen und sprechen zu hören, ließ es ihn vergessen, daß er sie nicht zu sehen bekam, und die Vertraute, welche endlich eintrat, ihm zu sagen, daß er heute vergebens gekommen sey, und daß er sich hinweg begeben möge, erschien ihm viel zu zeitig. Mit Unwillen verließ er sein dunkles Behältniß, und ging gedankenvoll nach Hause.

[69]
9. Kapitel. Der Ritter von der treuen Minne
Neuntes Kapitel.
Der Ritter von der treuen Minne.

Die Geschichte sagt nicht, ob nach diesem ersten vereitelten Plan zu einer geheimen Zusammenkunft keine weiteren entworfen oder ob sie alle durch Münsters Klugheit zerstört wurden, gewiß ists, daß Herrmann weder Mutter noch Tochter in dieser Zeit zu sehen bekam, auch dauerte die Anwesenheit des Jünglings an dem Orte, wo sein Mädchen lebte, noch zu kurze Zeit, als daß sich eine so schwere Sache als die Berückung eines wachsamen Vaters darinn hätte ausführen lassen.

Herrmann merkte mit jedem neuen Tage vermehrte Kaltsinnigkeit in dem Auge des Herrn, dessen Liebling er ehemals war. Wenzel sagte eines Tages sehr sinnreich zu Susannen: der Pursche säh aus wie ein lebendiger Mahnbrief aus dem Münsterschen Hause, und ob eine Phisiognomie, welche Dinge von dieser Art ausdrückte, seiner Majestät gefallen konnte, läßt sich denken.

Wenzel irrte indessen. Münster hatte es seinem jungen Freunde so oft versichert, daß er die Rückgabe des Darlehns weder wünschte noch erwarte, als daß dieser noch einen Gedanken hätte haben sollen, seinen Herrn an diese verdrüßliche Sache zu erinnern. Hätte der Kaiser sich besser [70] auf die Gesichtskunde verstanden, so würde er in Herrmanns Gesicht ganz andere Dinge gefunden haben. Heimlicher Gram, Ueberdruß und Eckel in allem was ihn umgab, und Sehnsucht nach einer heitern Zukunft lag in seinen Zügen, freilich also übrig genug, einem Herrn zu mißfallen, welcher allein das Recht haben wollte unzufrieden zu seyn!

Der junge Mensch las seinen Fall, las, denn er kannte seinen Herrn, Gefängniß und Tod in Wenzels Blicken, und fieng an ernstlich an seine Entfernung zu denken; ein Entschluß, welchen der alte Münster, der jeden Gedanken des jungen Menschen erfuhr, mit allen Kräften unterstützte.

Es freut mich, sagte er, daß ihr selbst auf das kommt, was ich euch gern längst gerathen hätte. Was soll endlich hier aus euch werden! Ihr verträumt eure schönsten Jahre in Müßiggange und verliert Zeit und Kräfte zum Guten. Hinaus, junger Mensch, hinaus in die weite Welt, dort winken euch Glück und Ehre! Geht in den Dienst irgend eines großen Herrn, die Welt wird nicht von lauter Wenzeln beherrscht. Noch haben wir Herzoge von Oesterreich und Braunschweig, noch lebt ein König Siegmund in Ungarn, alles Fürsten, die ihrem Stande einige Ehre machen, wählt euch einen Herrn, und rechnet auf die Unterstützung dessen, den ihr mehrmals Vater nenntet. Ihr werdet euch doch nicht schämen, durch einen reichen[71] Bürger die Mängel eures Glücks verbessern zu lassen? so stolz seyd ihr doch wohl noch nicht!

Und was ich euch noch rathen wollte, fuhr er fort, als er sahe, daß Herrmann ihn unterbrechen wollte, denkt vor allen Dingen darauf, den Namen würklich zu erhalten, den man euch jetzt schon nach dem Hoftone geben muß. Laßt euch das Ritterschwerd umgürten, es dünkt mich im Grunde lächerlich, einen Kammerjunker Ritter zu nennen, der kein anders Gewehr trägt, als den kleinen goldnen Degen, den er oft aus Irrthum auf die rechte Hüfte schnallt. – Ihr freylich, setzte er hinzu, als er sah, daß sich auf des Jünglings Stirne ein kleiner Unwille zusammen zog, ihr seyd kein solcher, man kennt euren Muth und eure Waffenerfahrenheit, aber ihr müßt auch nun endlich einmahl aus der Reihe verzärtelter Jünglinge heraustreten, deren Gesellschaft euch keine Ehre bringt.

Herrmann gehorchte seinem Freunde, er bat bey Kaiser Wenzeln um Helm und Schild, und dieser, dessen Unwille gegen seinen ehemahligen Liebling noch nicht hoch genug gestiegen war, um ihm Leben und Ehre zu misgönnen, war froh ihn vom Hofe los zu werden, und gab ihm was er bat.

Münster, Herrmanns Orakel, hatte ihm gerathen, sich in irgend einen von den damahligen zahlreichen Orden, welche überall ihre Mitglieder hatten, aufnehmen zu lassen, und der junge Mensch wählte, [72] mit Rücksicht auf seinen Zustand, den Orden der treuen oder wie man ihm schon damahls sehr nachdenklich nannte, den Orden der alten Minne.

Der treuherzige Bürger lächelte ein wenig, als er den jungen Ritter mit dem Abzeichen seines Ordens, einem unter der Rüstung hervorschwellenden rosenfarbnen Ermel auftreten sahe, und meynte, er hätte gewünscht, Herrmann möchte sich zu einer Gesellschaft von ehrwürdigerm Ansehen entschliessen! eine Einwendung, die dieser, der nichts ernsteres, nichts ehrwürdigers kannte als eine Liebe, mit Stillschweigen überging.

Der neue Held hatte gehoft, wenigstens am Abend seines Ehrentages Ida zu sehen, aber er ward bald inne, das er dieses Glück nicht ehe als höchstens auf den Tag seiner Abreise von Prag erwarten dürfe, diesen so sehr als möglich zu beschleunigen, war des alten Münsters eifriges Bestreben. Es ward ihm schwer, täglich das Zureden seiner Frau und das Bitten des jungen Menschen zu erdulden, ohne ihnen das gewähren zu dürfen, was beyde suchten; die jungen Leute sollten und durften sich seinem Vorsatz nach nicht mehr sehen, und es war also am besten, daß Herrmann entfernt ward.

Idas Mutter hätte so gern noch einmahl den jungen Ritter gesprochen um durch ihn einen Anschlag auszuführen, der ihn schon lange im Sinne lag, und von welchem wir im vorhergehenden schon [73] einige Winke bekommen haben, aber eben dieses wollte Münster verhüten, eben darum drang er auf Herrmanns Entfernung, und es war also keine Möglichkeit hierinn zum Zwecke zu kommen.

Es war den letzten Abend vor Herrmanns Abreise als Münster sich mit der Bitte an ihn wendete, er möchte ihm doch einige nähere Nachricht von der Art, wie er an Wenzels Hof gekommen sey, mittheilen, und der Jüngling war seinem bejahrten Freunde zu viel schuldig, um ihm sein Gesuch abzuschlagen, aber, setzte er hinzu, darf ich meiner Einwilligung auch eine Bitte anhängen? – Ich finde so viel außerordentliches in euch und in eurem ganze Hause. – Diese Ida mit allen ihren Vollkommenheiten, ein Mädchen ohne Stand und Herkunft? Ihr, mit euren edeln Gesinnungen, dergleichen ich unter allen Großen des Hofs nicht fand, ein gemeiner Bürger? – Unmöglich!

Ihr erzeigt unserm Stande viel Ehre, erwiederte der Alte mit einem höhnischen Blicke, vielleicht hat der Bürgerstand heut zu Tage mehr wirkliche Edle aufzuweisen, als der Eurige; doch weil ihr mich nun so gar außerordentlich findet, so wisset, ich bin in meinen jüngern Jahren ein Kriegsmann gewesen, habe lang an den Höfen großer Fürsten und Herrn gelebt, habe große Reisen nach England und Italien gethan, und dort die Meisterstücke der Kunst, die ich jetzo treibe,[74] kennen gelernt. Das Schwerd machte mich nicht reich, ich ward sein müde, ich suchte die Kunst hervor, die ich in jüngern Jahren lernte, und sie nährte mich und machte das aus mir was ich jetzt bin, ein freyer Mann der keines Fürsten Gnade zu achten braucht; dahingegen mich das Schwerd immer dienstbar ließ. Ich war unter den Burgmännern eines Fürsten, der mir nach tausend Diensten, die ich ihm erwiesen hatte, eine Gefälligkeit versagte, die nur mir wichtig, ihm eine Kleinigkeit war. Ich liebte ein junges schönes Weib unter den Dienerinnen seiner Gemahlinn, sie war leibeigen, ich bat um ihre Freyheit, um ihr meine Hand geben zu dürfen; man wies mich zurück. Es ereignete sich eine Begebenheit, die es mir und Marien leicht machte, davon zu kommen, ich muß gestehen, es gieng dabey nicht alles so zu, wie es sollte, aber wozu kann uns nicht Weiberliebe bereden!

Wir fanden Zuflucht in Nürnberg. Unser ehemaliger Herr war ein geschworner Feind der Reichsstädte, und ward von ihnen nicht minder gehaßt, es diente uns hier zur Empfehlung, ihm entflohen zu seyn. Man gab mir das Bürgerrecht. Ich fieng an zu arbeiten; man fand das was ich lieferte außerordentlich, ich ward berühmt, Reichthümer flogen mir zu, ich war glücklich und würde es noch seyn, wenn mich nicht der hochfliegende [75] Sinn meines Weibes hieher gebracht hätte, ihr zu Liebe mußte ich Arbeit annehmen, welche mir hier angeboten wurde, und die ich aus Liebe zu der Stadt, die mich zuerst aufnahm und aus andern Ursachen, lieber ausgeschlagen hätte. Doch, dies sind Dinge welche nicht hieher gehören, – ich bitte, fangt eure Geschichte an, welche vermuthlich merkwürdiger seyn wird, als die meinige.

10. Kapitel. Herrmanns Geschichte
Zehntes Kapitel.
Herrmanns Geschichte.

Merkwürdig genug würde das seyn, was ich euch zu erzählen habe, fieng Herrmann an, wenn ich von Vätern und Grosvätern anfangen und euch den eigentlichen Grund der Abhängigkeit, in welcher ich leben muß, vorlegen wollte. Ich bin arm, muß entweder der Diener eines schlechten Fürsten bleiben, oder ein Mönch werden, oder Verbindlichkeiten von denenjenigen annehmen, denen ich lieber selbst welche auflegen möchte. Verzeiht mir, Vater Münster, verdenkt es mir nicht, daß ich lieber unsere Rollen umkehren, lieber euch Wohlthaten erzeigen, als welche von euch annehmen möchte.

[76] Der alte Münster verstand wohl, worauf dieses ging; der junge Mensch hatte diesen Abend die Geschenke, welche die Kaiserin vor einiger Zeit durch ihn an dieses Haus schickte und die er in der Stille mit dem wenigen was er besaß vermehrt hatte, als einen Nehr und Wehrpfennig von dem gutherzigen Bürger annehmen müssen, und die Art, mit welcher dieses nicht unwichtige Geschenk gegeben wurde, war so edel, so dringend, daß die Verweigerung unmöglich, aber die aufgelegte Verbindlichkeit für Herrmann auch desto lastender ward.

Meine Väter, fuhr der Erzähler fort, indem er den Händedruck des Alten, die einige Beantwortung seiner vorigen Rede erwiederte, meine Väter haben gesündigt und ich muß dafür leiden. Mein Grosvater, der jüngere Sohn seines Hauses, veruneinigte sich mit seinem ältern Bruder den jetzt regierenden Grafen von Unna; mein Vater zog durch den Antheil, den er und seine ältern Söhne an den Händeln der Martinsritter mit dem Grafen von Würtemberg nahmen, den Haß seines ehrwürdigen Oheims noch mehr auf sich, und ich, der damahls noch in den ersten Kinderjahren war, mußte Theil an der Strafe nehmen, ohne Theil an der Versündigung gehabt zu haben.

Münster stieß bey dem Namen des Grafen von Würtemberg einen tiefen Seufzer aus, und Herrmann fuhr fort.

[77] Ich weiß nicht, ob euch die Begebenheit Graf Eberhards zu Wisbaden bekannt ist, und will euch also einen kleinen Begriff davon machen.

Es ist unnöthig, fiel Münster mit einigem Unwillen ein. Ich kenne den Grafen von Würtemberg und die ganze Geschichte besser als ihr. Die Martinsritter wußten, daß er zu Wisbaden lebte, aus Verlangen nach einer guten Beute, vielleicht auch aus andern Ursachen, belagerten sie ihn, und würden ihn mit seinem ganzen Hause in ihre Gewalt bekommen haben, wenn er sich nicht durch den engen Weg bey den Weinbergen gerettet hätte.

Diese unglückliche und unrühmliche Expedition, fing Herrmann von neuem an, kostete meinem Vater und einem meiner Brüder das Leben, brandmarkte ihren Namen mit Schande, und zog ihnen den unversöhnlichen Haß des Hauptes unserer Familie zu. Der alte Graf von Unna zog mit Einwilligung des Kaisers den größten Theil unserer Familiengüter ein, und drohte uns mit dem Arm des heimlichen Gerichts, dessen Oberrichter er in unsern Gegenden war, zu verfolgen, dafern sich jemand unter uns fände, der die begangene That rechtfertigen, oder die Strafe für zu streng erklären würde.

Ich verstand damals von diesen Dingen nichts, so viel ich auch davon zu hören bekam; nur die Würkungen davon wurden mir mit jedem Tage merklicher

[78] Ich war der jüngste unter einer Menge von Geschwistern, welche größtentheils meine Väter und Mütter hätten seyn können, und die auch diese Stelle bey mir vertreten sollten. Bernd der älteste und das nunmehrige Haupt der jüngern Linie von Unna ward von seinen Geschwistern mit einer scheuen Ehrfurcht angesehen, und Liebe zu ihm oder Familienstolz bewegte die meisten von ihnen den geistlichen Stand anzunehmen, damit er im Stande seyn möchte den Namen seines Hauses mit einigem Glanze zu behaupten. Daher kommt es, daß ich euch mit geistlichen Geschöpfen aller Art aus meiner Familie dienen kann, es giebt da Domherrn, Aebtißinnen, geistliche Ritter, Klosterjungfern so viel ihr wollt, und es würde auch wenigstens einen Mönch unter uns geben, wenn ich meinen Geschmack nach dem Willen der andern hätte bequemen wollen. Mir war die Ehre zugedacht, in dem Kloster zu Korf Profeß zu thun. Um mich desto eher zu diesem Glück zu befördern, hatte man mit ziemlichen Kosten eine Dispensation vom heiligen Vater ausgewürkt, in welcher geschrieben standt: Junker Herrmann von Unna, sollte wegen seiner frühzeitigen Klugheit und Frömmigkeit, und den außerordentlichen Spuren eines göttlichen Berufs, bereits in seinem dreyzehnten Jahre die Erlaubniß haben, die Welt zu verlassen, und das Leben der Engel anzufangen.

[79] Unsere Familie mußte besonders gesegnet an solchen Wundern der Heiligkeit seyn, denn zwo Schwestern von mir, welche einige Jahre vor mir voraus hatten, waren vor kurzen auf ähnliche Art begnadigt worden, aber ich war bey ihrer Einkleidung gegenwärtig, und sie genossen des Vorzugs, den man ihnen gönnte, auf so trübselige Art, daß ich meinen innern Beruf, meine frühzeitige Klugheit und Frömmigkeit anfieng zu bezweifeln, und mich scheute Gebrauch von einer Ehre zu machen, die man mir so unverdient zutheilte.

Arme Agnes! arme Petronelle! dachte ich, als ich eines Morgens das Kloster verließ, um es nie wieder zu betreten, o daß ich euch so von dem Leben der Engel auf Erden befreyen könnte, wie ich ihm jetzt entsage? Lebt wohl ihr Heiligen, lebt wohl ihr Gräber und all' ihr schallenden Klostergewölber, vielleicht in einem halben Jahrhunderte sehen wir uns wieder!

Immer war mein Geist munter und thätig gewesen, schon als achtjähriger Knabe freute ich mich, heimlich das Schwerd meines ältern Bruders schwingen zu können, und von seinen Knechten auf seine Rosse gesetzt zu werden, jetzt da ich heran wuchs, da ich begann stärkere Begierde nach dem zu fühlen was in der Kindheit mein Spielwerk war, jetzt sollte ich mich dem Müßiggange des Klosters [80] widmen? – Nie hatte mir dies in den Sinn gewollt, immer hatte ich mich nur darum verstellt um einmahl desto sicherer entfliehen zu können, und meine Maasregeln waren mit Hülfe eines vertrauten Dieners meines Bruders so klüglich genommen, daß ich sicher über die Gränze und sicher an den Ort kam, den ich mir zu meinem Aufenthalte gewählt hatte.

Der Hof des Kaisers war es, wo ich sicher zu seyn glaubte. Ich hatte einmal gehört, ein Kaiser sey ein Schützer aller Bedrängten, und ich, der ich mich für den Bedrängtesten von allen Sterblichen hielt, stellte mich seiner Majestät mit so viel Freymüthigkeit und Zuversicht vor, als ob das, was ich suchte, nicht Gnade, sondern ungezweifeltes Recht sey; ich glaube, es war es auch, aber wußte Wenzel wohl etwas von den Rechten der unterdrückten Menschheit? – Doch mir war unbekannt, wieviel Gefahr derjenige lief, der Recht oder Gnade bey ihm suchte; mein guter Engel führte mich gerade in einer Stunde zu ihm, wo er geneigt war, Menschen zu beglücken, und dergleichen Stunden hat doch auch der ärgste Tyrann je zuweilen.

Ich ward unter Wenzels Edelknaben aufgenommen. Die Dankbarkeit für seine Gnade, die ich auf die unbefangenste Art äußerte, meine Munterkeit und froher Muth nahmen ihn ein; ich [81] mußte in seinem Zimmer schlafen, mußte Tag und Nacht der Ausrichter seiner geheimen Geschäfte seyn, und die Unverdrossenheit, mit welcher ich dieses that, setzte mich immer fester in seiner Gunst. Es war unmöglich, daß Wenzel nicht zuweilen in den Augen derjenigen, die ihm dienten, unter der Larve der Schmeicheley heimliche Misbilligung seiner Thaten bemerken sollte, bey mir konnte er nichts dergleichen gewahr werden, denn mich dünkte, alles sey recht, was ein Kaiser that. Dieses machte, daß er mich unabläßig um sich haben wollte, und ich ward auf diese Art nach und nach in allen Geheimnissen seiner Schwelgereyen eingeweiht.

Armer, armer Jüngling! rief der alte Münster, was für eine Schule für dein Herz!

Nicht gefährlich, ich versichre euch, ich war zu jung, um eine Neigung zu dem zu fühlen, was ich an meinem Herrn sah, ich dachte, diese Dinge ziemten nur ihm, und ich sehnte mich so wenig seine Pokale zu leeren, oder seine Dirnen zu küssen, als mit den Enten im Teiche zu baden.

Auf der andern Seite schützte mich Begierde zum Waffen und unabläßige Beschäftigung vor bösen Eindrücken. Die Stunden, welche Wenzel verschlief, oder wachend verträumte, und in welchen selbst ich ihm nicht angenehm war, brachte ich beym alten Herrmann von Hertingshausen, des [82] Kaisers Waffenmeister zu, der mich schon um des Namens willen, den ich mit ihm gemein hatte, liebte, und weder Mühe noch Kosten sparte, schon da, als ich noch ein Page hieß, einen Ritter aus mir zu bilden.

Ich bildete mir nicht wenig auf meine erlangten Geschicklichkeiten ein, alle meine jungen Gefärten, selbst Kunzmann, der Sohn des alten Hertingshausen, haßten mich um des Stolzes willen, mit welchem ich meine Vorzüge zur Schau trug, und ein Degen, den mir der Kaiser zu tragen vergönnte, und der mich vollends vor allen Jünglingen meines Alters auszeichnete, brachte ihren Neid auf den höchsten Gipfel, man nannte mich nur den wehrhaften Edelknaben, und ich prangte mit diesem Titel, ungeachtet man ihn zu meiner Verspottung ersonnen hatte.

Die Begierde es in ritterlichen Uebungen immer weiter zu bringen und meinem Herrn treu zu dienen, beschäftigte meine ganze Seele, alles übrige achtete ich nicht. Man wußte, daß ich Wenzels Liebling war, und scheute sich also, mir, der ich meinem Herrn nichts verschwieg, etwas von demjenigen hören zu lassen, wovon ganz Prag, wovon das ganze Land voll war, von dem Abscheu, mit welchem man Wenzels Ausschweifungen anzusehen begunte. Nicht jedermann hatte den Glauben [83] meines einfältigen Herzens, einem Fürsten seyen Dinge erlaubt, welche an jedem andern bestraft werden müßten, man haßte, man verachtete ihn und sann darauf seiner los zu werden.

Erst spät wurde der träge, fast nie seiner selbst bewußte Kaiser dessen inne. Es war, als er endlich aufmerksam ward, bereits so weit gekommen, daß er sich in Prag nicht mehr sicher halten konnte, und sich einst in einer Nacht mit einem kleinen Ausschuß seiner treusten Leute, unter welchen ich freilich nicht fehlen durfte, nach einem wenig Stunden von Prag erbauten Schlosse floh, das er Kunradsburg genannt, und in Rücksicht auf den Fall, der sich jetzt zutrug, stark befestigt hatte.

Hier erst war es, wo ich die Ursach unserer schleunigen Flucht erfuhr. Ich erstaunte zu hören, daß auch ein Kaiser von Gefahren bedroht werden könnte, und fand bey meinen gränzenlosen Begriffen von den Vorrechten der Majestät die Sache so entsetzlich, daß ich Wenzeln, der sich herabließ, mich selbst von der Lage seiner Sachen zu unterrichten, feyerlich schwur, ihn mit meinem guten Schwerdte bis auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen.

Wenzel lachte, und gab mir einen gutgemeinten Schimpfnahmen, mit welchem er mich oft beehrte. Wenn es so weit kommen sollte, daß du mein einiger Vertheidiger wärst, sagte er, so müste [84] es schlimm genug mit mir stehen. Laß dein Schwerd in seiner Scheide, laß deine Fäuste ruhen, und gebrauche deine Ohren, lausche wo du zween heimlich mit einander reden siehst, stelle dich schlafend wenn andere wachen, schimpf und schmähe auf mich, gieb vor, ich habe dich geschlagen, du hassest mich, du wünschest meinen Tod, und man wird dir trauen, du wirst alles erfahren, mir alles entdecken, und wir werden sicher seyn.

Ich fand die Rathschläge meines Herrn meinen Gesinnungen so zuwider, verließ mich so fest auf die Macht meines Schwerds, daß ich jede Gelegenheit ihm auf andere Art zu dienen aus der Acht ließ, und da wir uns nur vor heimlich schleichender List zu fürchten hatten, immer nur auf offenbare Gewalt lauerte.

Die Erbitterung des Volks gegen Wenzeln wuchs. Bald nach seinem Abzug nach Kunradsburg waren drei der vornehmsten unter den Misvergnügten auf seinem Befehl öffentlich hingerichtet worden, und am nämlichen Tage hatte man meinen treuen Lehrmeister, den alten Hertingshausen, auf dem Wege von Kunradsburg nach Prag ermordet gefunden, in der Rinde des Baums, an welchem der Edle gefallen war, stacken zwey Messer, welche mit seinem Blut gefärbt waren, und über denselben waren die Worte mit grober unleserlicher [85] Schrift eingehauen 2: Wegen Hochverraths gerichtet von den Freyschöpfen. Jedermann wußte, wer der Urheber dieser That war, nur ich wußte es nicht. Ich lief hinaus, um den Leichnam meines alten Freundes mit meinen Thränen zu netzen, aber man hatte ihn schon dem neugierigen Volk aus den Augen geschaft. Kunzmann, der Sohn des Ermordeten, begegnete mir: siehe, schrie er mir mit einem Blick voll Verzweiflung zu, dies sind die Thaten deines lieben Herrn, dem du so treulich dienst!

Ich war kühn genug, vor den Kaiser zu treten, und ihm das, was mir Kunzmann gesagt hatte, vorzuhalten. Wenzels Zaghaftigkeit war so groß, daß er sich zur Rechtfertigung gegen seinen Diener herab ließ, und ich, der ich jedem glaubte, war leicht zu überzeugen. Du siehst ja, sagte er, daß nicht ich, sondern die Diener des heimlichen Gerichts die Thäter sind. Ob Hertingshausen ein Hochverräther war, das weis ich nicht, aber du siehst wohl aus seinem Exempel, wie auch die geheimsten Verbrechen von der göttlichen Rache verfolgt werden.

Ich glaubte blindlings, was Wenzel sagte, [86] und versprach auch Kunzmann es glauben zu machen. – Des andern Abends als ich in der Dunkelheit durch eines der Vestungsgewölbe ging, bekam ich einen wüthenden Stoß in die Seite, ohne den zu sehen, der mir ihn gab, doch dünkte mich die Stimme, die ich hörte, Kunzmanns zu seyn. Verdammter Klätscher! rief sie mir zu, um deinet willen muß ich fliehen! Ich war zu Boden gefallen, rafte mich auf, sah niemand, sann den Worten nach, die ich gehört hatte, konnte sie nicht begreifen, vergaß sie, und bekümmerte mich wenig drum, als man des nächsten Tages Kunzmann, den ich nie sonderlich geliebt hatte, unter den Edelknaben mißte. Noch vielweniger kam mir es in den Sinn, daß ich seinen Namen unvorsichtig vor dem Kaiser genannt, ihm dessen Verfolgung zugezogen, und dadurch seine Flucht veranlaßt hatte. – –

Die Beyspiele der kaiserlichen Rache machten, daß man noch behutsamer ward, als zuvor. Wenzel ward heimlich gehaßt, und öffentlich geschmeichelt, mich fürchtete man, und verbarg jeden verdächtigen Schein vor meinen Augen, und so geschah es, daß der Herr und Diener wieder in ihre ehemalige Sicherheit gewiegt wurden.

Wenzel getraute sich noch nicht wieder nach Prag, aber er fand in den Gegenden von Kunradsburg so viel Gelegenheit seinen Lieblingsneigungen nachzuhängen, daß er sich nicht von diesem [87] Orte, der wahrlich zu schön für einen sinnlosen Schwelger war, hinweg sehnte.

Es gab unterschiedliche Klosterherren in unserm Bezirk, welche sich so gut in des Kaisers Weisen zu finden wußten, daß sie sehr fleißig von ihm auf alle Pokale eingeladen wurden, und ihn eben so oft auf ähnliche Art bewirtheten. Wenzel war eben kein sonderlicher Freund der Geistlichkeit, aber ihr Wein war gut, und mehr brauchte es nicht, allen heimlichen Groll gegen sie aufzuheben, und ihn zu veranlassen, mit ihnen wie ein Bruder zu leben.

Auf einem dieser Gelage zu Kloster Braunau war es, daß ihm seine Feinde, vermuthlich mit Hülfe seiner freundlichen Wirthe, überfielen, und ihn gefangen nach Prag führten. Ich war nicht gegenwärtig, meine zunehmenden Jahre machten, daß ich des Kaisers Ausschweifungen nicht mehr mit der kindischen Einfalt, wie vormals, ansehen konnte, sein Anblick, wenn er berauscht war, war mir abscheulich, und die Gesellschaft von einem Dutzend trunkner Mönche gab denen Auftritten, welche alsdenn erfolgten, einen so häßlichen Zusatz, daß ich, der ich dergleichen oft genug hatte ansehen müssen, froh war, daß ich mich diesmal von der Mitreise nach Braunau hatte losmachen und an dessen statt einen Ritt auf die Jagd thun können. Das Geschrey von des Kaisers Gefangenschaft [88] kam mir bey meiner Rückkunft entgegen. Mein Eifer für meinen Herrn erwachte, Liebe und Dankbarkeit rissen mich zur Rettung desjenigen hin, welcher keins von beyden verdiente; ich lenkte mein Roß nach der Stadt, ich hofte, die Schaar, welche Wenzeln entführt hatte, noch zu ereilen, und versprach mir Wunderdinge von meiner Tapferkeit. Auf dem Wege nach Prag, so wie in der Stadt selbst, war alles stille.

Ich sank unter dem Thor athemlos vom Pferde, man erquickte mich, und fragte, was mir fehle, ich sprach laut von der Gefangenschaft meines Herrn, und fragte, wo er sey. Um Gottes willen schweiget, sagte einer von der Wache, Gott sey Dank, wir haben ihn, und ich denke, ihr werdet nicht der einzige seyn, den dieses nicht freuen solle; aber es darf jetzt noch nichts davon auskommen, er hat zu viel Anhänger unter dem Pöbel.

Mehr brauchte ich nicht zu wissen; ich riß mich loß, entrann in die Straßen der Stadt, rief Wenzels Gefangenschaft und meinen Wunsch ihn zu befreyen aus, und ehe man mir wehren konnte, hatte ich einen Trupp vom Pöbel hinter mir, welche mich vor dem Thurm, in welchen man den Kaiser gebracht hatte, begleiteten, und schwuren, sie wollten ihren gütigen gelinden Herrn, den Schüzer der Freyheit des Volkes retten oder sterben.

[89] Gewiß hatte Niemand mehr Ursach mit Wenzeln zufrieden zu seyn, als der niedrigste Theil seiner Unterthanen; ihre Armuth schützte sie für den Erpressungen, die die Reichen erfahren mußten, er gestattete ihnen alle Freyheit, und scheute sich nicht dem Niedrigsten, wenn es die Gelegenheit gab, ein volles Glas zuzutrinken; auch wußte er ihnen auf Unkosten der Reichen wohlfeil Brod zu verschaffen, ohne daß er Schaden davon hatte.

Diese Thaten wurden auf unserm Zuge nach Wenzels Gefängniß himmelan erhoben, und der Angriff mit solchem Ernst gethan, daß nur etwas mehr Nachdruck und ein besserer Führer nöthig gewesen wär, um völlig zu siegen; aber – wir wurden bald aus einander getrieben, und der ganze Vortheil, den ich von meiner Unternehmung hatte, war, daß ich nun die Gefangenschaft mit meinem Herrn theilen konnte.

Auch dieses war mir Trost. Ich hofte nichts gewissers als zu ihm gebracht zu werden, und aus seinem Munde das Lob meiner Treue zu hören; aber meine Erwartung ward getäuscht, man warf mich in ein häßliches Gefängniß, welches ich nicht ehe verließ, als bis der Kaiser das seinige ohne meine Hülfe verlassen hatte. Ein Umstand, der mich in dem Innersten meiner Seele kränkte. Der Einfall sich unter dem Vorwand des Badens in dem Fluß hinaus zu stehlen, sich durch Schwimmen, [90] oder vermittelst eines Kahns zu retten, war ja so leicht, so natürlich, warum hatte ich ihn doch nicht gehabt! Ich misgönnte Susannen die Rolle, die sie bey dieser merkwürdigen Entkommung gespielt hatte, und ärgerte mich, daß jemand meinem Herrn beßre Dienste leisten sollte als ich. – Auch ich ward nunmehr frey, man fieng entweder von neuem an sich vor Wenzeln zu fürchten, und getraute sich nicht seine Diener weiter zu beleidigen, oder man hielt meine Person für zu unwichtig, mich, nachdem er los war, noch länger zu halten.

Ich eilte nach Kunradsburg, entdeckte meinem Herrn, was ich gethan hatte, und was mir wiederfahren war, aber statt des erwarteten Lobes über meine That, oder wenigstens Mitleids wegen meines Unglücks, bekam ich finstre Mienen und Scheltworte. Meine Ungeschicklichkeit war die einige Ursach meines Unfalls, ich hätte die Sache so klug anfangen sollen wie Susanne, ich sollte mich schämen von einem Weibe übertroffen zu werden, und was der schimpflichen Reden mehr waren.

Ich brannte vor Verlangen, die Heldinn Susanne zu sehen, welche hier durchgängig genannt und gefeyert wurde. Auch hier betrog mich meine Erwartung, ich sahe eine plumpe ungeschickte Kreatur, anstatt der Schönheit, wozu die Liebe des Kaisers und die Schmeicheleien der Hofleute sie [91] machten, und erfuhr, daß ihr ganzes Verdienst um Wenzels Leben in ein paar Armen bestand, welchen es nicht an Stärke zum Rudern gebrach.

Ich konnte meine Geringschätzung dieses Weibes nicht bergen, und verlor dadurch sehr viel in der Gnade meines Herrn, auch beliebte es ihm zuweilen gar eifersüchtig auf mich zu seyn. Ich war ein schlanker Junge von sechszehn Jahren, und die Bademagd hatte es einesmals sich einfallen lassen, mich schön zu nennen; Dinge, welche mir verachteten Unwillen abnöthigten und mein Herz mehr als zur Hälfte von meinem Herrn abwandte.

Der Kaiser konnte mich jetzt so wohl entbehren, daß ich ganze Tage in den Wäldern auf der Jagd zubringen durfte, ohne sonderlich vermißt zu werden. An einem von diesen Tagen war es, daß Wenzel zum zweitenmal in die Hände seiner Feinde kam. Ich hütete mich wohl, diesesmal meine vorige alberne Rolle, zu spielen. Die Rettung des Kaisers war in meinem Herzen beschlossen, aber nicht Liebe und Dankbarkeit, sondern Ehrgeiz war es, was mich dazu antrieb; ich wollte das Andenken eines mislungenen Versuchs verlöschen, und den Schimpf von mir wälzen, daß ein Weib mehr vermocht habe als ich, es war mir unausstehlich, mit Wenzels unwürdiger Geliebten auf die entfernteste Art verglichen zu werden, daher ich auch jede [92] Art der Rettung verwarf, welche mit ihrer Geschichte einige Aehnlichkeit hatte.

Und doch wollte es das Schicksal, daß ich sie endlich kopiren mußte. Alle Anschläge, Wenzeln aus dem Prager Thurm zu bringen, verunglückten; es ergab sich, daß ich lange Zeit, Mühe, List und Bestechung verschwendet hatte, ihn aus diesem Kerker zu bringen, als er schon nach Krumlau gebracht war, und auch hier war alles was ich versuchte vergebens, bis ich mich zu dem Susannens Mittel entschloß, welches ich vermeiden wollte.

Ich gewann einen Fischer, wir ruderten des Nachts unter die Fenster seines Kerkers, welche zum Glück nicht vergittert waren, meine Stimme machte ihm kund, daß seine Rettung vor der Thür sey. Es war ein großes Netz aufs Wasser gespannt, und seine Majestät ersucht, sich hinein zu stürzen; wir mußten verschiedene Nächte unsere Operation erneuern, ehe sich der träge Wenzel entschließen konnte einen so gewaltsamen Sprung zu thun. Des dritten Abends kam uns der Wein zu Hülfe, und ich weiß noch bis diese Stunde nicht ob freyer Wille oder die Dünste seines Lieblingsgetränks ihn in unsere Arme stürzten, genug er war gerettet, und klagte, anstatt uns zu danken, über den schweren Fall, den er gethan habe, versagte dem Fischer die Belohnung, die ich ihm [93] versprochen hatte, und würde gewiß durch ihn seinen Feinden wieder ausgeliefert worden seyn, wenn ich nicht unsern geizigen Führer durch einige kleine Geschenke für den gegenwärtigen Augenblick befriedigt, und ihm gesagt hätte, er möchte sich in Ansehung der Zukunft nicht auf den Kaiser, sondern auf mich verlassen.

Wenzel achtete nicht auf die Beschimpfung, welche darinn lag, daß durch dieses Erbieten unser Führer so gleich gestillt wurde, schien es nicht zu fühlen, daß das Wort seines Dieners mehr galt als das seinige. Er rieb seinen Wanst und seine Lenden, und murrte über die Schmerzen des Falles bis ans gegenseitige Ufer.

Ich lieferte ihn in Susannens Hände, welche ihn öhlte und salbte bis an den dritten Tag, da er wieder genaß, und nun erst sich gefallen ließ, mir eine Art von Dank für das, was ich für ihn gewagt hatte, wiederfahren zu lassen. – –

Herrmann, sagte er, ich bin mit dir zufrieden, du bist klug genug gewesen, mit deinem Netze den größten Fisch im ganzen Reiche zu fangen, wirst du dein Handwerk fortsetzen, wirst du dein Netz weiter ausspannen und auch meine Feinde damit zu bestricken wissen, so will ich dich mit Reichthümern überschütten, und du sollst des Fischens nicht mehr bedürfen.

[94] Ich verstand, was seine Majestät mit ihrer Bildersprache sagen wollten, ich bat um Bedenkzeit, und gestand, daß ich im Grunde mehr Geschick zu ofner Fehde, als zu heimlicher List in mir fühlte.

Das Glück war indessen auf meiner Seite. Es fehlte uns nicht an Ueberläufern aus Prag, wir erfuhren, daß man anfieng, ernstliche Anschläge auf Kunradsburg zu machen, da es nicht wahrscheinlich war, daß Wenzel nach dem, was er erfahren hatte, sich noch einmal ausser seinem Schlosse würde betreten lassen. Es war zu vermuthen, daß man bereits auf einen neuen Kaiser bedacht war, und daß der Tag, an welchem Wenzel zum drittenmal in die Hände seiner Feinde fallen würde, zum Tage seines Todes bestimmt sey. Prag ward stark bevestigt, um es nicht wider uns (deren Macht man nicht sehr fürchtete) sondern wider manche andere Hände zu vertheidigen, welche sich nach Wenzels Tode nach der Krone ausstrecken würden. Täglich rückte neue Mannschaft in die Stadt, und wir hatten Nachricht, daß man in kurzem eine ansehnliche Verstärkung aus Ungarn vom König Siegmund erwartete.

König Siegmund war Wenzels Bruder, er hatte nach des Kaisers Tode das nächste Recht zur böhmischen Krone, aber ob dieses gleich ein Grund für den ausgearteten Kaiser war, ihn zu [95] hassen, so war doch jener viel zu edel, diesen Haß durch Anschläge auf seines Bruders Leben, oder durch Begierde nach seinem Throne zu verdienen, und er hatte wahrscheinlich sich nur darum entschlossen Wenzels misvergnügen Unterthanen Hülfe zu schicken, damit man im Stande seyn möchte, seinen Ausschweifungen ein wenig Einhalt zu thun, und ihm die Bedingungen vorzuschreiben, unter welchen er den Thron vom neuem besteigen sollte, wie böse es die Böhmen mit ihrem Herrn im Sinne hatten, das war ihm wahrscheinlich unbekannt.

Ich hatte genug von dem König von Ungarn gehört, um diese Meynung von ihm zu fassen, und es gelang mir auch meinem Herrn dieselbe beyzubringen. Er entschloß sich an seinen Bruder zu schreiben, und ihn um Hülfe zu bitten.

»Auch du, so schrieb er, auch du bist wider mich? – O denke an unsern Vater zurück; suche das nicht an dich zu reißen, was er mir zutheilte, brauche deine Macht nicht zu Unterstützung meiner Feinde, nein zu Rettung eines unglücklichen Bruders.«

Kaiser Wenzels Hof war jetzt so verlassen, so arm an würdigen Männern, daß die Ueberbringung eines Briefs von solcher Wichtigkeit, mir, einem siebzehnjährigen Edelknaben aufgetragen ward, doch dünkt mich, ein anderer hätte schwerlich [96] seinen Auftrag so gut ausrichten können als ich; mein mündlicher Vortrag ersetzte das, was dem Briefe mangelte, und die Treue für meinen Herrn, welche aus jeden meiner Worte sprach, nahm Siegmunden für Wenzels böse Sache ein. Ein Herr, der solche Diener hat, sagte er, kann nicht ganz der verworfene Mensch seyn, zu den Wenzeln das Gerücht macht.

Die Bitte des Kaisers ward gewährt. König Siegmund prüfte mich, und ich fand Gnade vor seinen Augen, nur meine Jugend hinderte es, daß er mir nicht das Kommando über die Völker auftrug, welche er seinem Bruder schickte. Ich ward dem Anführer, einem vornehmen versuchten Kriegsmanne, besonders empfohlen, und dieser war herablassend genug, meine Meynung über die Ausführung unsers Anschlags zu hören, und sie seines Beyfalls zu würdigen.

Die Prager hatten Hülfsvölker von König Siegmund erwartet; als solche stellten wir uns ein, und wir befanden uns schon mitten in der Stadt, als wir uns erst als Feinde kund gaben. Die Eroberung des Schlosses Wischerad, war nach der Meynung unsers Führers, das vornehmste, auf was wir zu denken hatten. Es kostete Blut, aber endlich sahen wir uns doch Meister von dieser Festung, und Kaiser Wenzel, der von jedem unserer [97] Schritte Nachricht hatte, war nahe genug, um auf unserm ersten Wink Besitz davon zu nehmen.

Er zeigte sich unter einer ansehnlichen Bedeckung dem Volke von der Zinne der Festung, er hatte sich diesen Tag den Genuß des Weins versagt, und war also nüchtern genug, mit Nachdruck zu ihnen zu reden. Man huldigte ihm von neuem. Es ward eine allgemeine Verzeihung ausgerufen, und zur Bestätigung derselben alle Große der Stadt zum kaiserlichen Mahle eingeladen. – Mein Herz hüpfte bey der Vorstellung eines solchen Friedensfests; ich fand Wenzeln zum erstenmale in meinem Leben groß, seines Standes würdig, weil er so bereitwillig war, seinen Feinden zu verzeihen. Ich sank zu seinen Füßen, als wollte ich ihm für die Gnade danken, die er andern erzeigte; immer hatte ich mich vor den Scenen der Grausamkeit gescheut, welchen ich entgegen sah, wenn Prag wieder in Wenzels Hände kommen sollte, es entzückte mich, so angenehm getäuscht zu seyn.

Der Kaiser stieß mich ungestüm von sich, und nannte mich einen läppischen Jungen. Ich konnte mir es nicht erklären, was ihm die Aeußerung meiner Empfindungen so widrig machte, bis am Ende des Gastmahls, auf welches ich mich so gefreut hatte. Freilich konnte Wenzel den Dank nicht anders als mit Unwillen von mir annehmen, den er so schlecht verdiente!

[98] Man saß in tiefen Frieden bey der Tafel. Der Wein begunte die Herzen fröhlich zu machen. Die ehrlichen Prager sagten auf Anforderung ihres neugehuldigten Herrn, was sie in seiner künftigen Regierung abgestellt zu sehen wünschten. Wenzel versprach alles, und die getäuschten Männer gelobten ihm auf diese Bedingung die unbegränzte Liebe, die ewige Treue seines Volks.

Der Kaiser ergriff den Pokal und trank zur Bestätigung des Friedensbunds, die Männer thaten Bescheid; aber ach, dies war das Signal zu ihrem Tode. Zwanzig Schwerdter fuhren hinter ihnen aus der Scheide, der größte Theil von ihnen fiel, ehe er Gefahr ahndete, und Ströme von Blut quollen unter den verschütteten Wein.

Es ist unmöglich meine Empfindungen bei diesem Anblicke zu beschreiben. Das Entsetzen machte mich Anfangs unbeweglich; mein erster Gedanke, als ich mich wieder besinnen konnte, war, Wenzeln um Gnade für diese Unglücklichen zu bitten; der zweyte ihnen mit meinem Schwerd an die Seite zu treten, und da mir die Fruchtlosigkeit beider Rettungsmittel in die Augen leuchtete, da in dem nemlichen Augenblick der Mordstahl einen guten achtzigjahrigen Greis, den ich immer wegen seines frommen redlichen Heiligengesichts geliebt hatte, an meiner Seite traf, ohne daß meine ausgebreiteten [99] Arme ihn schützen konnten, da sank auch ich ohne Empfindung zu Boden; der Sturm meiner Gefühle, die Ueberraschung, das Entsetzen war zu groß, ich war jung, hatte wohl Feindes Blut, aber nie das Blut der sichern Unschuld bey einem Freudenmahle fließen sehen; tadelt meine Schwachheit nicht, ich mußte unterliegen!

O mit euren übel angebrachten Entschuldigungen! schrie Münster, was wird wohl in der Welt Lob verdienen, wenn hier Tadel statt finden kann!

Und doch tadelte man mich, fuhr Herrmann fort. Wenzel nannte mich einen weibischen Gecken, der kein Blut sehen könnte, und verbot mir auf drey Tage den Hof. – Ich sehnte mich nicht diese Mördergrube wieder zu besuchen, mein Herz war gänzlich von meinem Herrn abgewandt, und ich entdeckte dem Führer der ungarischen Völker, welcher der eine war, der mich in meiner Verbannung besuchte, den Wunsch, in die Dienste seines Königs aufgenommen zu werden.

Der tapfre Krieger, der mich liebte, rieth mir vor der Hand zu bleiben wo ich sey. Ihr seht den gestrigen Auftritt, sagte er, mit zu strengen Augen an, Staatsursachen rechtfertigen manches, das den Anschein des Unrechts hat, es war dem Kaiser allerdings nicht zu rathen, die Rebellen ganz ungestraft zu lassen.

[100] Ich beantwortete eine lange Apologie, die mein Freund hier einer unverantwortlichen That machte, mit Stillschweigen; ich sahe wohl, daß die Welt, daß auch der bessere Theil derselben, über gewisse Dinge ganz anders denke, als die unerfahrne Unschuld.

Es gelang dem Redner, vermittelst der Gewalt die er über mein Herz hatte, mich zu bereden, Wenzeln eine Sache zu verzeihen, die ich nicht zu beurtheilen im Stande sey, seine Gnade anzunehmen, wenn er sie mir so wie zuvor gönnen wollte, die Macht, die ich ohnstreitig über ihn habe, zu gebrauchen, und mich durch eine unzeitige Entfernung nicht um die Belohnung zu bringen, welche er mir für meine geleisteten Dienste schuldig sey.

Ich erschien nach Endigung des gesetzten Termins, den ich gern verlängert gesehen hätte, wieder bey Hofe. Das auszeichnete Wohlwollen, mit welchem mir der Kaiser begegnete, fesselte mich von neuem, und die Urtheile, welche über die Getödteten gefällt wurden, brachten es endlich dahin, daß ich mich entschloß, vor dem Andenken an den Auftritt jener entsetzlichen Nacht meine Seele zu verschliessen, damit mein Glaube, den Hingerichteten sey recht geschehen, nicht wankend gemacht werde.

Wenzel schien jetzt eine neue Epoche seines Lebens anfangen und sich ernstlich bessern zu wollen.[101] Es gab ganze Tage, in welchen er nüchtern war, sein Zechgenosse, der Fürst von Ratibor, den das Volk haßte, blieb zu Kunradsburg, weder Susanne, noch die andern feilen Dirnen kamen zum Vorschein, und man sprach von einer Vermählung mit Sophien, der Tochter des Herzogs von Bayern.

Das ganze Land jauchzte über diesen letzten Entschluß, und jedermann behauptete, eine tugendhafte Gemahlin werde Wenzeln völlig bessern. Auch ich fühlte mich, so wie jeder andere, von neuer Hofnung belebt, von neuem zu meinem Herrn hingezogen. Ich sah einem ganz veränderten Leben an dem Hofe, der mir vor kurzem anfieng so verhaßt zu werden, entge gen, und schwur, ihn nie zu verlassen, ein Gelübde, das ich mit gutem Gewissen brechen kann, da meine Hoffnung so getäuscht ward.

Sophie, die reizende tugendhafte Sophie, ist nun unsre Kaiserin, aber wie schwach sind die Spuren der Besserung, die sie bewirken sollte? – Schon am Vermählungsfeste kam der Fürst von Ratibor, und mit ihm die alten Auftritte der Schwelgerey wieder zum Vorschein. – Hinter ihm her schlich die verworfene Susanne. Wenzel begieng die unbegreifliche Frechheit sie seiner Gemahlin vor die Augen zu bringen. – O Münster, ich könnte euch Auftritte erzählen! – Die unglückliche Sophie!

[102] Doch wo denke ich hin? ich erzähle meine Geschichte, und nicht die ihrige! – Auch ist die meinige nunmehr zu Ende. Die wichtigste Begebenheit meines Lebens, Idas Erscheinung! meine Liebe zu ihr, mein Unglück! Die Nothwendigkeit sie und den Hof zu verlassen! O Vater, ihr wißt dieses alles! Laßt mich aufhören!

Ihr habt vergessen, sprach Münster, der Belohnung zu gedenken, die euch euer Herr für eure Dienste schuldig war, und die ihr nach dem Rathe eures ungarschen Freundes, hier abwarten solltet.

Der höhnische Blick, mit dem ihr dieses sagt, erwiederte Herrmann, bezeichnet die Meinung eurer Worte. – Ich erinnere mich wohl, daß mir einst in einem Rausch von Wein und Dankbarkeit, das erste erledigte große Reichslehn versprochen ward; ein Versprechen, dessen Sinn, wenn ich es mit meiner Person zusammen dachte, ich nicht recht einsehen konnte. Wenzel mochte damit sagen wollen, was ihm beliebte, so dünkte es mich auf alle Fälle zu groß; ich lehnte es mit vieler Demuth ab, und bat um eine anständige Stelle bey der Armee. Mir ward anstatt des Gebetenen, eine erledigte Kammerjunkerstelle zu Theil, der Anfang, und vermuthlich auch das Ende alles dessen, was ich hier zu erwarten habe. Zwar ich irre, ist das Ritterschwerd und die Erlaubniß mein Glück zu suchen, wo ich will, für nichts zu rechnen? –

[103] Eine lange Pause folgte hierauf. Münster und sein junger Freund schienen ganz in Gedanken verloren zu seyn. Herrmann riß sich endlich aus seinem schwermüthigen Nachdenken empor, und legte seinem treuherzigen Rathgeber seinen Entschluß vor, in Königs Siegmunds Dienste zu gehen, dem er nicht unbekannt sey, und an dessen Hofe er den Ungarschen Heerführer zum Freunde habe, dessen wir im Vorhergehenden gedacht haben, und von dem Herrmann selbst noch nicht wußte, daß er einer der Größten des Reichs war.

Der alte Münster billigte diesen Plan, versprach, ihm einen von seinen treuesten Knechten mitzugeben, welcher auch ehemahl unter König Siegmunden Kriegsdienste gethan habe, und man trennte sich für diesen Abend.

11. Kapitel. Ein heisser und ein kalter Abschied
Eilftes Kapitel.
Ein heisser und ein kalter Abschied.

Der Tag des Abschieds brach an. Herrmann hatte sich bereits alle der lästigen Cerimonienbesuche entledigt, welche seine Entfernung nöthig machte. Nur ein Weg, der schwerste von allen, stand ihm noch bevor. Der Weg nach Münsters Hause. Er sollte sich von dem treuherzigen Alten trennen, sollte Ida – der Vater hatte es ihm versprochen[104] – noch einmal sehen, und den ersten und letzten Kuß auf ihre Wangen drücken, was für Gedanken für den liebenden Jüngling.

In halben Taumel langte er am Orte seiner Bestimmung an. Münster empfieng ihn an der Thür, und führte ihn, unter inständigem Bitten sich zu fassen, und der Weiber zu schonen, in das Unterzimmer. Ida war das erste, was sich ihm zeigte. Er nahte sich ihr mit Schüchternheit. Ihre Blässe, und die von Weinen getrübten Augen, wollten ihn fast bereden, daß dem holden Mädchen das Wort Trennung so schrecklich lautete, als wie ihm. – Man stand eine Weile, ohne zu sprechen, von der einen Seite mit zur Erde gesenktem Blick, von der andern mit Augen, welche jeden Zug des geliebten Gegenstandes zu verschlingen schienen, um ihn sich immer vergegenwärtigen zu können.

Kinder, rief Münster endlich, ihr brecht mir das Herz. Dieses Zögern vermehrt eure Quaal! Umarmt euch, und denn das Lebewohl!

Herrmann nahte sich, Idas Wangen zu küssen, sie duldete es mit aller Zurückhaltung, die den Jungfrauen ihrer Zeit eingeprägt ward. Sein Arm erkühnte sich ihren Nacken zu umschlingen und unwillkührlich öffneten sich die ihrigen, sie drückte ihn an ihre Brust, und ein: O lebe wohl! lebe wohl, mein Herrmann! stürzte aus ihrem Munde. Der Vater drohte mit dem Finger. Ida macht sich von [105] dem Jünglinge los, gab ihm noch einen Blick, und verließ mit glühendem Gesicht das Zimmer.

Münster sprach viel mit Herrmann, nachdem das geliebte Mädchen verschwunden war, ohne von ihm verstanden zu werden. Es war schlechterdings nichts mit ihm anzufangen. Der Alte schwieg endlich, und der junge Mensch hatte sich nach einer Weile hinlänglich erholt um zu fragen, ob er nicht auch Idas gute Mutter zum Abschiede würde zu sehen bekommen? – Münster bejahte die Frage, und nach einiger Zeit trat die Matrone herein. Mit Willen hatte sie gezögert, um vielleicht noch am Ende einen Theil desjenigen, was sie auf dem Herzen hatte, ausrichten zu können. Auf ihrem Gesichte war mehr Unruh und Erwartung als Betrübniß abgebildet, und sie schien die Bewegungen ihres Mannes ängstlich zu bewachen, ob sie ihm nicht vielleicht einen Augenblick abstehlen und Herrmann einige geflügelte Worte sagen könnte. – O daß ihr, flüsterte sie ihm in einer Minute zu, da sich der Alte nach dem Fenster gewendet hatte, o daß ihr nie wieder Gelegenheit suchtet mich heimlich zu sprechen, ich hatte euch so viel zu sagen! –

Münster drehte sich um, eine gleichgültige Anmerkung zu machen, und das Gesprüch ward sehr schläfrig fortgesetzt. Herrmann eilte nicht Abschied zu nehmen, der Gedanke, vielleicht doch noch etwas von den Geheimnissen der Münsterin zu erfahren, [106] hielt ihn zurück. – Münster ward, wahrscheinlich auf Veranlassung seiner Frau, hinausgerufen. O Herr Ritter, rief sie in dem nemlichen Augenblicke da er die Thür schloß, daß ihr jetzt schon reisen mußtet! Nur noch einen Tag, ich bitte euch! Ich habe ein Gesuch beym Kaiser, ein Gesuch für Ida! Ihr müßt es unterstützen, ihm wenigstens erinnern, daß er mir noch die Gewährung einer Bitte schuldig ist.

Sie wollte noch mehr sagen, aber in dem nemlichen Augenblicke trat ihr Mann wieder herein, und obgleich Herrmann noch drey Stunden verweilte, so wich er doch nicht einen Schritt von der Stelle, und Herrmanns Neugierde blieb unbefriedigt.

Ihr versprachet mir, sagte der Jüngling, indem er aufstand sich zu entfernen, ihr versprachet, Vater Münster, mir einen treuen Knecht zur Begleitung mit zugeben; ich habe in dieser Erwartung meine Leute abgedankt, und wünschte sehr meinen künftigen Diener zu sehen?

Münster gieng nach der Thür, um den alten Andreas zu rufen. – Ida ist nicht unsere Tochter, flüsterte die Münsterin indessen, ich bin nur ihre Amme, beleidigte Liebe und Furcht sie in den Händen einer bösen Stiefmutter zu lassen, bewegten mich. –

Der Alte kam zurück, ohne daß die Frau ausreden konnte. Bald darauf erschien der Knecht, gelobte [107] seinem jungen Herrn treu zu seyn, und erhielt von ihm das Versprechen, er wollte ihn auf diese Bedingung nie von sich lassen, und ihn Theil an dem Glücke nehmen lassen, das ihm der Himmel etwa möchte beschieden haben; eine Versicherung, die der junge Ritter gewiß mit mehr Herzlichkeit würde gegeben haben, wenn er im Stande gewesen wär, das treuherzige Gesicht seines neuen Dieners, und das Feuer, mit welchem er ihm sein Gelübte ablegte, zu beachten; aber hiezu war er gegenwärtig ganz ungeschickt. Er hatte keinen Sinn als für die ausserordentliche Nachricht, die er eben aus dem Munde der Münsterin gehört hatte, keinen Wunsch, als mehr hiervon zu wissen, wenigstens den Namen der Eltern seiner Ida zu erfahren.

Er setzte alle seine Hoffnung auf die letzte Umarmung der Mutter; die gute Frau machte sie sehr lang, und drückte ihn fest an ihre Brust, indem sie ihm ins Ohr sagte: sie ist die Tochter des Grafen –

O was macht ihr! rief Münster, indem er sie lächelnd trennte, glaubt ihr denn, junger Herr, daß mich Liebkosungen von dieser Art nicht eifersichtig machen könnten.

Herrmann war verdrüßlich, und beantwortete die Rede des Alten mit etwas Unwillen, auch in Münsters Blicken lag ein wenig Kaltsinn und Mißvergnügen; es war fast unmöglich, daß ein so schlauer Mann nicht etwas von den Dingen hätte ahnden [108] sollen, die hinter seinen Rücken vorgenommen wurden.

So trennte man sich, und das Gewirr von Erstaunen, Unwillen und fehlgeschlagner Hoffnung, machte, daß die Bedrübniß gar nicht an die Reihe kam, und daß bey der Trennung, die man sich so thränenvoll gedacht hatte, kein Auge naß gemacht wurde.

12. Kapitel. Vernichtete und von neuem entworfne Plane
Zwölftes Kapitel.
Vernichtete und von neuem entworfne Plane.

Herrmann schwang sich auf sein bereit stehendes Pferd und sprengte zum Stadtthor hinaus, sein Geist war auf so mannichfache Art beschäftigt, daß er den Weg nicht bemerkte, den er hinter sich legte, nicht gewahr ward, daß der Abend hereinbrach, und nichts von den Fragen des alten Andreas vernahm, wo man Nachtherberge nehmen wollte. Idas Umarmung, die ihm so deutlich sagte, daß sie ihn liebte, die Nachricht von ihrem Stande, der seinem Ehrgeiz so angemessen war, die Ungewißheit, wer sie eigentlich sey, was für Aufgaben zum tiefsten Nachsinnen! Er vergaß über diesen Dingen denjenigen Punkt ganz und gar, der ohnstreitig der Münsterin das wichtigste war, und sie wahrscheinlich allein bewogen hatte, ihm das übrige zu entdecken, [109] er vergaß das Gesuch der ehrlichen Bürgerin beym Kaiser, das er mit seiner Vorbitte unterstützen, um dessen Willen er nur noch einen einigen Tag zu Prag bleiben sollte.

Ich weiß nicht, welcher Gedanke ihm die Erinnerung an die vergessene Sache noch endlich herbey führte; genug, auf einmahl fuhr sie wie ein Blitzstrahl durch seine Seele, er besann sich wo er war, sah die hereinbrechende Nacht, sah Prag in weiter Ferne hinter sich liegen, und schalt auf seine Unachtsamkeit.

Wir müssen augenblicklich zurückkehren, rief er seinem Diener zu, indem er sein Pferd umlenkte, ich habe was nothwendiges vergessen, habe ein wichtiges Geschäft beym Kaiser, habe –

Andreas hatte diesen Tag über schon etliche mal Zweifel wegen des gesunden Verstandes seines neuen Herrn gehabt, und diese wurden in diesem Augenblick durch die Heftigkeit, mit welcher Herrmann sprach, durch den Inhalt seiner Rede, und durch seinen verstörten Blick fast zur Gewißheit gemacht.

Mitlerweile stieß der Ritter der treuen Minne sein Roß an, und nahm den Weg, den er eben gekommen war, mit solcher Eile von neuem vor sich, daß Andreas ihn aus den Augen verlor, ehe er sich noch recht besonnen hatte, was für seinen unglücklichen Herrn zu thun seyn möchte.

[110] Ihm nachzueilen war jetzt das nothwendigste. Zum Glück war es nicht in die Weite des zurückgelegten Weges, sondern nur ein benachbartes Gebüsch, was ihn seinen Augen entzogen hatte, er erblickte ihn bald von neuem, und setzte die Reise dicht hinter ihm, oder vielmehr, um immer ein wachendes Auge auf seine Handlungen zu haben, fast an seiner Seite fort.

Die Geschichte meldet nicht, wenn Herrmann Prag erreichte, und wenn Andreas von der schlechten Meynung, die er von ihm hatte, zurück kam, das erste geschah vermuthlich sehr bald, und das andere sehr spät. – Es kam alles zusammen die Unruhe des jungen Ritters zu verlängern und zu vermehren. Diesen Abend, oder vielmehr diese Nacht noch nach Hofe zu gehen war unmöglich. Die erste Nachricht, welche er am Morgen erhielt, war, der Kaiser sey des vorigen Abends nach Kunradsburg abgegangen. Er eilte dahin, um nach Krumlau gewiesen zu werden. Er fand ihn nicht; man wies ihn an den dritten und vierten Ort, und als er endlich nach vielen Tagen wieder zu Kunradsburg angelangt, Wenzeln wirklich daselbst getroffen, und sich überzeugt hatte, daß der Kaiser wohl diesen Ort alle die Zeit über nicht möge verlassen haben, so ward ihn der Zutritt zu denjenigen, den er sonst alle Stunden ungefordert sehen konnte, so schwer gemacht, daß er die Sache [111] völlig aufgab, und sich begnügte, einen seiner ehemaligen Freunde bey Hofe, der sich endlich von ihm sprechen ließ, sein Gewerbe aufzutragen. Der Höfling versprach die pünktlichste Ausrichtung, und vergaß die Sache im nächsten Augenblicke.

Herrmann setzte seine Reise nach Ungarn fort, er fieng an mit den seltsamen Dingen, welche sein Gemüth anfangs so sehr verwirrten, bekannt zu werden, und für andere Gegenstände Gefühl zu haben. Andreas begunnte zu merken, daß sein Herr wirklich Verstand wie andere Menschen, und ein Herz wie ein Engel habe. Seine Milde, seine Herablassung nahm den alten Knecht gänzlich für ihn ein, er hätte sein Leben für ihn aufgeopfert, und Herrmann konnte mit Recht hoffen, daß er ihm geringere Opfer nicht versagen würde.

Der junge Ritter wußte, daß Andreas lange im Hause des alten Münsters gelebt hatte, es war Möglichkeit, daß er etwas vor Idas Herkommen wußte, und er sparte keine Mühe ihn zu Eröffnung alles dessen, was ihm bekannt war, zu bewegen, aber der Alte hatte entweder nichts zu entdecken, oder Münster war zu schlau gewesen ihm einen Diener mitzugeben, der nicht im Stande gewesen seyn sollte, die Geheimnisse des alten Herrn vor dem neuen zu verbergen.

[112] Der nemliche Unmuth, welcher den Ritter bey dieser Fehlschlagung seiner Hofnungen befiel, herrschte auch zu Prag in dem Münsterschen Hause. Münster war unzufrieden mit seiner Frau und vermißte den Umgang seines jungen Freundes, ob er gleich auch gegen ihn einen kleinen Unwillen in seinem Herzen hegte; Ida weinte über ihren Herrmann und durfte ihre Thränen niemand als ihrer so genannten Mutter sehen lassen, diese wartete täglich, nach Hofe berufen und um ihr Begehren befragt zu werden, und – wartete vergebens. Er muß mich vergessen haben, rief sie in der Fülle ihres Unmuths aus, muß abgereist seyn ohne meinen Auftrag auszurichten. – Gleichwohl hat man ihn den Tag nach dem Abschiede von uns noch hier geseben. Er ist in Kunradsburg gewesen, wo der Kaiser sich jetzt aufhält. – Nun nun! wenn Wenzel zurückkehrt! Geduld, Zweiflerinn! es wird noch alles gut werden.

Aber Wenzel kehrte zurück, und die ehrliche Bürgerinn ward nicht nach Hofe gefordert! – Tage, Wochen, und Monate vergingen, und sie entschloß sich endlich zu dem Mittel ihre Zuflucht zu nehmen, durch welches man ungezweifelt nicht allein Zutritt bey Wenzeln erhalten, sondern auch überzeugt seyn konnte, ihm angenehm zu seyn und alles von ihm zu erlangen was man wünschte.

[113] Die Münsterinn legte eines Morgens in Abwesenheit ihres Mannes ihre festlichsten Kleider an, langte aus dem heimlichen Schatze, den auch sie gleich ihrem Manne in ihrer jetzigen kleinen Wohnung vergraben hatte, zweyhundert goldne Schilde die Hälfte des ganzen, besonn sich ein wenig, ob sie wohl mit so einer Wenigkeit vor dem geizigen Kaiser erscheinen dürfe, ob sie nicht das Ganze aufopfern müsse um glücklich zu seyn, vermehrte endlich die Summe noch mit funfzig ihrer ersparten Goldstücke und machte sich auf den Weg.

Die Art, mit welcher sie ihre Gabe bey Wenzeln anbrachte, und das was sie bey ihm suchte, steht in unserer Geschichte nicht umständlich verzeichnet, doch ergiebt sich das letzte aus den Folgen, und was das erste anbelangt, so ist bekannt, daß man wenig Nachsinnen brauchte um Wenzeln mit Schonung seiner Delicatesse eine Bezahlung einer geforderten Gnade beyzubringen.

Ida sah ihre Mutter ausgehen und wiederkommen. Ihre festliche Kleidung, ihre gedankenvolle zweifelnde Miene bey dem ersten, und ihr triumphirender Blick bey dem andern, fiel ihr auf, aber sie fragte nicht: andere Gedanken, Gedanken an ihren Herrmann beschäftigten sie zu sehr um ihr Neugier für etwas anderes überzulassen.

Wirst du nie aufhören zu weinen, fragte die Mutter, als sie des Nachmittags bey der Arbeit [114] saßen. Mädchen, Mädchen! die Einsamkeit nährt deinen Kummer, ich muß dich herausreißen, oder mir es gefallen lassen dich auf ewig zu verlieren.

Laßt mir meine liebe Einsamkeit, rief Ida, indem sie mit der einen Hand ihre Thränen trocknete, mit der andern die Hand ihrer Mutter an ihre Brust drückte. Welche Gesellschaft sollte ich dieser ruhigen Stille, der Freundin meines Grams, vorziehen?

Je nun, sprach die Mutter, freylich nicht die Gesellschaft unserer Jungfern, die sich so gern deine Gespielinnen nennen, aber wenn ich dich in eine Sphäre bringen könnte, wo alles was schön und groß ist dich umglänzte, und wo du doch überall als die schönste hervorstrahltest, nicht wahr, Ida, da würde dir wohl seyn, da würdest du nicht mehr so viel an deinen Herrmann denken, oder thätest du es, so würde es nur mit froher Hoffnung, nie mit Thränen geschehen?

Ich sehne mich nicht nach Unmöglichkeiten, Mutter; ich begehre nur in eurem Hause zu glänzen, wenn ihr es so nennen wollt.

Und wenn deine Bestimmung der Hof wär?

Ich danke Gott, daß er es nicht ist.

Wenn die Kaiserinn dich unter ihre Frauenzimmer aufnähme?

[115] O die unvergleichliche Dame! rief Ida, indem sie Sophiens seidne Locke küßte, die sie noch immer an einer goldnen Schnur am Halse trug. Ja ihr zu dienen, sie täglich zu sehen, von ihr geliebt zu werden, das wär etwas –

Das du dir wünschtest? – Nun so freue dich: deine Wünsche sind erfüllt. Du wirst die Dunkelheit, die sich schlechter für dich schickt als du meinst, vielleicht morgen verlassen, man wird dich nach Hofe fordern, du wirst eine Gespielinn der edelsten Jungfrauen dieses Landes seyn, und du hast nun nichts weiter zu thun, als dich ihnen gleich zu achten, es gänzlich zu vergessen, daß du bisher unsre Tochter genannt wurdest.

Mutter, schrie das Mädchen, indem sie von ihrem Sitz aufsprang, euch vergessen? meine Herkunft vergessen? mich in eine Sphäre mischen, in welche ich nicht gehöre? – Ihr versucht mich? nein, so eitel, so pflichtvergessen ist Ida nicht. Ihr müßt mir nicht jede kleine Aeußerung meiner Gedanken so übel auslegen. Ich liebe die Kaiserinn weit weniger als euch, möchte ihre Gesellschaft nicht für die Eurige vertauschen. Zärtlich schmiegte sich das liebliche Mädchen bey diesen Worten an den Hals ihrer so genannten Mutter, welche in Thränen ausbrach, sie fester an sich drückte, und schluchzend betheuerte, sie verdiene die Liebe ihrer Ida nicht; ein Ausdruck, welcher dem jungen Mädchen [116] sehr anstößig war, weil sie ihn nicht so gut verstand als der Leser.

13. Kapitel. Wer spricht am klügsten, der Mann oder die Frau
Dreyzehntes Kapitel.
Wer spricht am klügsten, der Mann oder die Frau?

Der alte Münster kam des andern Tages gegen Mittag ganz athemlos nach Hause! bleich und entstellt warf er sich auf seinen Stuhl, und schien lange Zeit nichts von dem Fragen seiner Frau, was ihm fehle, zu verstehen.

O Marie! rief er endlich, solch eine Zeitung! du wirst erstaunen, und bist du klug, dich so beunruhigen wie ich, wenn du sie hörest! – Ich komme von Hofe. Ich ward vorgefordert. Man hat mit mir von Ida gesprochen, man verlangt sie unter das Frauenzimmer der Kaiserin.

Und das ist die schreckliche Zeitung? – –

Weis Gott, was die Ursach dieser so genannten Gnade ist! Man sprach viel von Idas Schönheit, von dem Ruf ihrer Tugend. Ich halte nichts von den Mädchen, welche so im Rufe sind, sollte es auch wegen ihrer guten Eigenschaften seyn! – Ach Frau, Frau! dein unüberlegter Einfall, sie an Allerheiligen so öffentlich zur Schau zu stellen!

[117] Aber ich bitte dich, was soll endlich aus der Dunkelheit werden, in die du sie einkerkern willst? – Ist sie deine Tochter, willst du sie für irgend einen ehrlichen Bürger unsers gleichen aufheben? oder soll ein Ritter ihres Standes kommen, und sie unter deinen Schlössern und Riegeln aufsuchen? – Den guten Herrmann von Unna hast du verjagt, würdest du es einem andern besser machen? – Sollten wir nie darauf denken ihr das wieder zu geben, was wir ihr raubten?

Wir, Maria? – Wir? Ich weiß wohl wer es that, du handeltest, ich rieth ab, und ach leider, ich willigte endlich nur ein um dich nicht zu verlieren. Du weist wohl, wie du mir das Kind aus den Armen rissest, als ich einesmahls darauf bestand, es dem Grafen wieder zu bringen. Entweder mich und das Kind; riefst du, oder keins von beyden! Wo sie ist, bleibe ich auch, ich kann sie nicht allein in den Händen der neuen Gräfinn lassen!

Ida hatte einen Vater, er würde sie geschützt haben!

Alle diese Vorwürfe sind zu spät, ich mache mir sie vielleicht nur gar zu oft selbst, alles was wir jetzt zu thun haben, ist Vergütung dessen, was wir raubten. – Und doch, was sage ich! – Vergütung? Wem sind wir Vergütung schuldig, [118] dem Grafen, der Ida bey den Kindern seiner neuen Gemahlin vielleicht nicht einmal vermißte, oder ihr, die wir zu einem Stande herabzogen, für den sie nicht gebohren ist? – Graf Eberhardt mag meinetwegen immer einmahl erfahren, daß Ida, sein verlohrnes Kind noch lebt, aber freuen wird es mich, wenn dies nicht eher geschieht, bis wir ihr, ohne seine Hülfe, ohne seinen erlauchten Namen, ein Glück verschaft haben, das ihrem Stande gemäß ist! – O daß du meine Anschläge mit dem Ritter von Unna vereiteltest. –

Hast du vergessen, was Herrmanns Familie Graf Eberhardten für Schimpf erzeigte? Der alte Berndt von Unna war einer der Anführer der Martinsritter. Nie wird der Graf ihm oder den seinigen die Händel bey Wisbaden verzeihen? –

Brauchten wir Graf Eberhardts Einwilligung zu Idas Glück? Genug wenn sie wieder in die Sphäre kam, in welche sie gehörte, das andere konnte sich geben. Unser Reichthum hätte Herrmanns Mangel am Vermögen ersetzt, seine Tupferkeit hätte ihn empor gehoben, und alle meine Wünsche wären erfüllt gewesen. Aber leider hast du nun meine schönen Hoffnungen vernichtet; Herrmann ist fort und ich muß meine Plane von neuem entwerfen. –

Deine Plane? – Höre die Meinigen, Marie! Laß uns den offenen geraden Weg der [119] Redlichkeit gehen, er ist der sicherste. Laß uns die Zeit abwarten, wenn Graf Eberhart seine Händel mit den Reichsstädten abgethan hat! es kann nun nicht lang mehr anstehen. Dann wird er ruhig auf seiner Burg sitzen und Muse haben, die Entdeckung zu genießen, die ich ihm machen will. Ich trete denn mit Ida und allen Beweisen ihrer Geburt den Weg an, ich stelle mich vor ihm, und sage; hier, Herr, ist eure Tochter; diese und diese Ursachen bewegten uns, sie euch zu rauben. Wir haben gefehlt, aber seht hier die Ersetzung des Geraubten, Eure kleine kränkliche, in der traurigen Verfassung, in welcher ihr damals waret, tausend Unfällen ausgesetzte Tochter geben wir euch erwachsen, schön und wohlerzogen zurück. – Wie meinst du Marie, wird Idas Anblick uns nicht Verzeihung erwerben? –

Verzeihung für das, wofür uns im Grunde Dank geziemte? Doch was soll dieser Streit über das, was geschah, und was hätte geschehen sollen, wir wissen was nun geschehen wird. Ida kommt nach Hofe. Bleibt Herrmann ihr in der Ferne getreu, so findet er sie hier wieder; geschieht dies nicht, so kann ihr ihre Schönheit andere Herzen erobern, und sie ihrer Herkunft gemäß erheben, ohne daß wir einer Demüthigung vor Graf Eberhardten nöthig haben. –

[120] Frau, Frau; rief Münster; indem er Marien steif ansah, mir geht ein schreckliches Licht auf. Sollte es möglich seyn? solltest du Theil an der Begebenheit haben, die mir so viel Kummer macht? Soltest du durch Weiberlist Idas Berufung nach Hofe bewirkt haben? –

Und wenns so wär, was hätte ich damit gesündigt? –

Diesem Winke folgten tiefere Nachforschungen, diesen das freye Geständniß aller Schritte, welche die Frau zu Ausführung ihrer Plane gethan hatte, und diesem – ein Ungewitter, wie wohl in Mariens friedlichem Ehestande noch nie eines über sie losgebrochen war.

Es dauerte lange, ehe die Frau durch Thränen, Bitten und wahre oder erkünstelte Reue über das, was sie that, und was nunmehr unwiederruflich war, den ergrimmten Münster besänftigte, und alles was sie erlangte, war am Ende doch nicht mehr, als daß er sein erstes Wüthen in bittere Vorwürfe, und in Vorstellungen verwandelte, was aus ihrem unüberlegten Schritte erfolgen würde.

Ich weis nicht, sagte er, ob du so thörigt gewesen bist, Winke von Idas wirklichem Stande zu geben, aber so viel versichere ich dich, man wird sie nie für das erkennen, was sie ist, wenn ihr Vater sie nicht öffentlich seine Tochter [121] nennt; spielt sie denn auf der andern Seite ihre Rolle bey Hofe als ein Bürgermädchen, so wird sie ihrer Schönheit und Tugend zum Trotz gehaßt und verleumdet, und wenn auch die Gnade ihrer Fürstinn ihr zu Theil werden sollte, doch verachtet werden. Der Neid ihrer Gespielinnen wird sie von der Stufe drängen, auf welche du sie ohne Schutz gestellt hast. Die zügellosen Sitten an Wenzels Hofe werden ihre Unschuld, oder wenigstens ihren guten Namen vergiften, und – höre die Strafe deiner Thorheit, die dir in kurzem bevorsteht, und die dich wahrscheinlich am empfindlichsten kränken wird: du wirst das Vergnügen deinen Abgott, deine Ida zu sehen oder wenigstens eine nahe Zeugin ihres so genannten Glücks zu seyn, nicht lang genießen. Man spricht stark von einer Reise des Kaisers nach Westphalen, seine Gemahlin wird ihn begleiten, und Ida wird nicht zurück bleiben; es müßte denn seyn, daß sie um diese Zeit schon ihre schimmernde Rolle ausgespielt, und beschimpft und verachtet in unser Haus zurück geschickt worden wär, welches freylich wohl seyn könnte.

[122]
14. Kapitel. Hofscenen
Vierzehntes Kapitel.
Hofscenen.

Die Münsterin brach in Thränen aus. Ihr Mann hatte recht; die letzte Vorstellung rührte sie am meisten. Ida nicht mehr zu sehen, welch ein Gedanke! Gern hätte sie zurück genommen, was sie gethan hatte, um nur nicht die Trennung von derjenigen erfahren zu müssen, welche sie über alles liebte, aber – es war nunmehr zu spät. – Ida ward noch diesen Abend zur Kaiserinn gerufen, und bedeutet, sie müsse sich entschließen, das Haus ihrer Eltern zu verlassen, und das Hofleben zu versuchen.

Es ist unmöglich die Verfassung des jungen Mädchens bey einem Antrage zu beschreiben, der ihr so unerwartet kam, (denn die Reden ihrer Mutter dünkten ihr nur Scherz zu seyn) dessen Grund sie nicht einsehen und von welchem sie sich selbst nicht erklären konnte, ob er ihr Freude oder Kummer machte. – Allerdings war etwas in ihr, das ihr sagte, sie sey nicht für die Sphäre geboren, in welcher sie bisher gelebt hatte; aber doch war auch so vieles, das ihr in ihrer bisherigen Lage gefiel. Sie sollte die ruhige Stille, die sie liebte, die ihrem sanften Charakter so angemessen war, mit dem Geräusch der großen Welt vertauschen, [123] sollte Eltern verlassen, um unter Fremden zu leben? – Münster sah ihren Kampf und beklagte sie. Ihre sogenannte Mutter drückte sie fest an ihr Herz, sprach vom Glück, Schicksal, Trennung, und tausend Dingen, deren Sinn das Mädchen nicht einsehen konnte, weil man nicht für gut fand, ihr den kleinsten Wink von demjenigen zu geben, was sie doch so nahe anging. – Vielleicht würde die Münsterinn jetzt bey dem Eintritt einer der wichtigsten Epochen ihres Lebens kein Bedenken getragen haben, ihr alle Geheimnisse zu entdecken, aber Münster verbot es ihr, und sie mußte sich entschließen, nach so vielen eigenmächtig gethanen Schritten doch in einem Stücke zu gehorchen. – Die Kenntniß ihrer Herkunft nützt ihr nichts, sagte er, sie wird ohne dieselbe weit weniger Versuchung haben, von der Demuth, der Bescheidenheit, der löblichen Zurückhaltung abzuweichen, die ihr zukommen, und die noch das einige sind, was sie auf dem schlüpfrigen Wege, den sie antritt, aufrecht erhalten können. Auch mag sie immer glauben, daß man sie aus eigner Bewegung nach Hofe fordert; dieses kann ihr auf der andern Seite einen kleinen Stolz einflößen, der sie veranlassen wird, nie die gute Meynung zu verscherzen, welche man jetzt von ihr zu haben scheint, auch könnte es vielleicht seyn, gute Marie, daß sie dir es in der Folge nicht sehr [124] danken würde, daß du unvorsichtig genug warest, ihr ihren gefährlichen Posten zu erkaufen, und es ist dir doch wohl daran gelegen, in den Augen der verständigen Ida nicht zu verlieren.

Der Mann sprach wie ein Orakel, man folgte ihm diesmahl, und das junge Mädchen ward mit allgemeinen guten Lehren abgefertigt, welche in nicht viel mehrern bestanden, als darinn, sie sollte immer ihrem redlichen truglosen Herzen gemäß handeln, und sich in zweifelhaften Fällen des Raths ihrer Eltern bedienen. Münster war der altmodischen Meynung, daß der gerade Weg nie trügen könne.

Die Geschichte meldet nichts umständliches von Idas Aufnahme bey Hofe, nur dies sagt sie, daß sie die Kaiserinn, für welche sie eine so große Ergebenheit in ihrem Herzen fühlte, bey weitem nicht so hold und gnädig fand, als da sie sie an Allerheiligen zum erstenmahl sahe.

Diese Erscheinung war etwas sehr natürliches; Sophie, so kurze Zeit auch seit ihrem Leben am Hofe verflossen seyn mochte, war jetzt nicht mehr die junge unerfahrne Prinzeßinn, die beym ersten Schritt aus dem Kloster in die Welt von jedem neuen Gegenstande heftig gerührt wurde, und ihre Gefühle ohne lange Ueberlegung, ohne Zurückhaltung äusserte. Auch hatte ihr die Fürstinn von Ratibor ein gewisses Bewustseyn ihrer Hoheit eingeflößt, [125] welches sie hinderte ganz so liebenswürdig zu seyn, als sie konnte, sie war eine majestätische Fürstinn, aber für den, der ihr gleichgültig war, keine einnehmende Frau, und gleichgültig war ihr Ida für den gegenwärtigen Augenblick. – Der ehemahlige Eindruck war gänzlich verschwunden, sie sah in Ida nichts als das gemeine Bürgermädchen, welches sich erkühnte, schöner und einnehmender zu seyn, als ihr Stand mit sich brachte. Auch verlor Ida dadurch unendlich viel, daß sie Sophien aufgedrungen ward. Der Kaiser hatte mit seiner gewöhnlichen heroischen Art seiner Gemahlinn erklärt, daß er wünsche die junge Münsterinn unter ihrem Frauenzimmer zu sehen. Sophie hatte, wie sie denn manchmal pflegte, gefragt, warum? und Wenzel hatte sich wohl gehütet zu antworten, weil mir die Mutter zweyhundert und funfzig goldne Schilde dafür gezahlt hat, sondern er hatte ganz kaltsinnig seinen Willen, und die Schönheit des jungen Mädchens zur Ursach angeführt; eine Erklärung, welche von Sophien mit Stillschweigen und von ihrer Oberhofmeisterinn mit einem höhnischen Seitenblick auf ihre Gebieterinn beantwortet wurde.

Soll ich Ew. Majestät zur glänzenden Verwahrung ihrer Hofstatt glückwünschen? fragt die Fürstinn von Ratibor als sie mit Sophien allein war. Die Kaiserinn schwieg. – Nun wahrhaftig, [126] fuhr die Fürstinn fort, wenn wir die gemeinen Bürgerdirnen unter unsere Fräuleins aufnehmen wollen, so wird unser Hof bald allen andern zum Muster dienen können! – Doch jedes Ding hat seine Ursach. Die Münsterinn wird für schön gehalten wie ich höre, und Susanne wird alle Tage häßlicher. Ein kleiner Tausch, ein Wechsel ist ja wohl dem Herrn des deutschen Reichs erlaubt.

Man hört aus dieser Probe, daß die Oberhofmeisterinn Erlaubniß hatte, sehr frey mit Sophien zu sprechen, sie war die einige Vertraute von Wenzels unglücklicher Gemahlin und dieses gab ihr ein Recht, zu sagen was sie wollte. Sie fuhr in ihrer giftigen Rede fort, und fand so viel Eingang bey der Kaiserin, daß es Wunder war, wie Ida noch so empfangen werden konnte, als sie empfangen ward.

Das junge Mädchen merkte indessen wohl, daß sie hier andere Blicke würde ertragen lernen müssen, als sie gewohnt war, doch beredete sie sich, dies sey Hofton, und rechnete das, was ihr von dieser Art mehr als andern zu Theil ward, sehr demüthig auf ihren niedrigen Stand. Zuweilen fiel es ihr denn auch wohl ein, warum man sie aus ihrer Dunkelheit hervorgezogen habe, wenn man ihr nicht besser begegnen wollte, doch half [127] ihr die fromme Einfalt ihres Herzens alles zum besten erklären, und alles ertragen.

Aller Augen waren indessen auf das junge Bürgermädchen gerichtet, ungeachtet alle sich stellten sie zu übersehen. Die Männer flüsterten sich hinter ihrem Rücken zu; sie ist schön, sehr schön, und die Damen spähten mit Adleraugen nach Fehlern an derjenigen, welche so widerrechtlich in ihre glänzende Reihe eingeschoben wurde.

Keine von allen Frauen des Hofs war aufmerksamer auf Ida als die Fürstinn von Ratibor, sie lauerte auf Gelegenheit die Meynung, die sie Sophien von ihr beygebracht hatte, zu bestätigen. Vergebliche Mühe! Die junge Münsterinn, wie man sie hier nannte, ging still und ruhig ihren Weg vor sich hin, ahndete nicht einmahl, daß sie bemerkt wurde, und handelte doch so, daß sie die Augen der ganzen Welt zum Zeugen haben konnte. Sie füllte ihren Platz bey Hofe aus, wenn es ihr ziemte, brachte die übrige Zeit mit ihrem Mädchen auf ihrem Zimmer zu, ging täglich in die Kirche, besuchte ihre Eltern an den Tagen da es ihr erlaubt war, und führte sich, wenn Spiel oder Tanz bey Hofe war, so anständig auf, daß alle Pfeile der Verläumdung von ihr abprallten. Dazu kam auch noch, daß der Kaiser gar keine Notiz von ihr nahm, und dadurch die Winke der [128] Fürstin von Ratibor, die sie Sophien des Abends von Idas Aufnahme gab, völlig Lügen strafte. Wenzel war wie bekannt, kein Feind der Weiber, aber die Schönheit der Dirnen, welche ihm gefielen brauchte von keinem so hohen Styl wie Idas Reize zu seyn; Susannens Person war so ohngefehr das Model von dem, was ihn fesseln konnte.

Da die Oberhofmeisterinn nichts schlimmers von dem jungen Mädchen zu sagen wußte, so schwieg sie gar. Sophie hörte nichts böses mehr von Ida, und da sie sie täglich in ihrer vollen Liebenswürdigkeit vor sich sah, so fing sie von neuem an ihr gewogen zu werden. Sie stach so gar sehr vor den andern Fräuleins hervor, welche sie zu bescheiden war, ihre Gespielinnen zu nennen, und die doch immer ihrer stolzen verächtlichen Blicke ungeachtet nur wie ihre Dienerinnen neben ihr standen. Es war in diesen jungen Personen ein unabläßiges Streben einander zu verdunkeln, ein Haschen nach Blicken der Aufmerksamkeit, ein Ringen nach einem Lächeln ihrer Fürstinn, und dieses ließ sie neben der holden unbefangenen Ida in einem unendlich nachtheiligen Lichte erscheinen.

Es war zum Anfange schon genug, daß Herrmanns Geliebte nicht mehr von ihrer Gebieterinn verächtlich übersehen, daß sie mit einigem Wohlwollen [129] angeblickt wurde, es war nur ein kleiner Zufall nöthig, dieses Wohlwollen in Gewogenheit zu verwandeln.

Sophie hatte eines Tages Langeweile, wie es, wenn man es recht bedenkt, Fürstinnen in ihrer Lage oft begegnen muß. Es ist unbekannt, wie sie sich an den Tagen, an welchen sie keine Langeweile hatte, zu beschäftigen pflegte; aber so viel ist gewiß, daß an diesem alle gewöhnliche Artikel der Unterhaltung ausgegangen waren. So gar von Susannen gab es nichts zu sprechen, denn der Kaiser hatte jetzt, da sich einige Hoffnung zeigte, seine Gemahlinn würde ihn mit einem Erben beschenken, sich von seinen Räthen bereden lassen, diesen Stein des Anstoßes auf einige Zeit nach Kunradsburg zu schaffen. Die Kaiserinn durfte jetzt schlechterdings keinen Anlaß zu Verdruß und Aergerniß bekommen, es hing zuviel davon ab, daß der schwankende Thron des schwelgerischen Wenzels durch einen Reichsnachfolger befestiget wurde.

An diesem Abende also, der so ganz leer an Zeitvertreib war, fiel es der Kaiserinn ein, ihre Jungfrauen aufzufordern, und einen Preis für diejenige aufzusetzen, welche irgend ein Mittel ausfündig machen könnte, ihr die schleichenden Stunden angenehm zu vertreiben.

[130] Augenblicklich kam alles in Bewegung, jede der jungen Damen wollte ihre Geschicklichkeit zeigen. Die Sängerinnen, die Tänzerinnen, die Märchenerzählerinnen drängten sich herbey, und thaten ihr Werk so gut sie konnten, aber entweder sie verstanden ihre Künste schlecht, oder der Geist des Unmuths, der Sophien quälte, war so hartnäckig, daß er keiner Beschwörung weichen wollte. – O schweiget, schweiget! rief die Kaiserinn, hört auf, ich bitte euch! Was für Töne! was für Schritte! welche langweilige Tiraden! wie unglücklich bin ich solche ungeschickte Geschöpfe an meinem Hofe zu haben!

O ihre Majestät klagen nicht, rief die boshafte Ratibor. Hier ist ja noch die Münsterinn übrig, sie steht so müßig und unbesorgt da, als ob die Bedienung ihrer Fürstinn sie nichts angienge, und doch zweifle ich nicht, sie wär im Stande alle unsere Fräulein mit ihren Talenten zu verdunkeln. Kommt her, Jungfer, fuhr sie in ihrem höhnischen Tone fort, sprecht, was für Künste versteht ihr die Kaiserinn zu unterhalten? Ihr müßt nicht glauben, daß man um nichts und wieder nichts, eine solche Stelle wie die eurige einnimmt.

Ohne Zweifel war es die Absicht der heimtükischen Oberhofmeisterinn, Ida durch eine unvorhergesehene[131] Aufforderung, durch eine Aufforderung in diesem Tone, so aus der Fassung zu bringen, daß sie, sie möchte auch können was sie wolle, mit Schande bestehen müße. – Ihr Anschlag verunglückte. Ich spiele ein wenig die Harfe, sagte Ida mit einer freymüthigen Verbeugung, und ich würde schon um Erlaubniß gebeten haben sie zu holen, wenn ich es hätte wagen dürfen, Geschicktern als ich vorzugreifen, oder wenn ich hoffen könnte. – –

O hole, hole sie, mein Kind! rief Sophie, ich liebe sie, die Harfe! Ida entfernte sich, und die Fürstinn von Ratibor erwähnte indessen gegen die Kaiserinn, daß sie nächstens ihre Tochter aus dem Kloster erwarte, welche, wie man ihr sage, die Harfe meisterhaft spiele.

Ida trat indessen mit ihrem Instrument herein, stellte sich Sophien zur Seite, griff einige vorläufige Accorde, welche die Meisterinn bezeichneten, und begann – o ihr Genien der Harmonien, welcher unter euch gab ihr den Gedanken ein – begann das Lied, das auf die Kaiserinn an ihrem Vermählungsfeste so eine wundernswürdige Wirkung that. – Sophie athmete kaum, sie heftete ihr Auge fest auf ihre reizende Harfnerinn, die mit ihrem unschuldigen Engelsblick da stand, als ob sie nichts sähe als ihre Saiten, und bald darauf ihr schönes Auge erhob, um den Worten, die sie [132] ihrer entzückten Zuhörerinn sang, doppelten Nachdruck zu geben. – Das Lied war zu Ende, Sophie saß noch mit starr auf sie geheftetem Blick, als spähte sie dem letzten Ton der Harmonie nach, da trat das liebliche Mädchen näher, setzte ein Knie auf die Erde, nahm den Blumenkranz von ihrem Haar, und legte ihn, wie es die Worte des Gesanges heischten, zu Sophiens Füßen. –

Himmlisches Mädchen! Zauberinn! rief Sophie, indem sie die Arme um Idas Nacken schlug, und sie küßte. Welche Empfindungen hast du in meine Seele zurück gerufen! – Steh auf, mein Kind, sagte sie nach einer Weile, als sie die Blicke ihrer Aufmerkerinn, der Ratibor, fest auf sich gerichtet sah, steh auf, du hast deine Sachen gut gemacht! – Der Blick und der Ton der Kaiserinn bey diesen Worten war nicht ganz so gnädig als ihre Umarmung. Ida erkühnte sich noch einmahl, die dargebotne Hand zu küssen, und trat auf die Seite.

Und wär Ida die ausgelernteste Seelenkennerinn gewesen, so hätte sie nichts wirksameres ersinnen können, das Herz der Kaiserinn völlig zu erobern, als das Lied das sie sang. Sophiens Empfindungen bey der Erscheinung der jungen Mädchen an ihrem Hochzeitfeste musten entzückend gewesen seyn, da schon die bloße Erinnerung an diesen Auftritt sie so bezaubern konnte. Doch [133] Dinge von dieser Art sind nichts ungewöhnliches; für wem giebt es nicht gewisse Töne, gewisse Winke, welche ihm den oder jenen Auftritt seines Lebens dermaßen vergegenwärtigen können, daß er alles, was er damals fühlte, von neuem zu erfahren glaubt, und, ist die Erinnerung von angenehmer Art, durch einen unwiderstehlichen Zug zu demjenigen hingerissen wird, der sie hervorbrachte?

Sophie war aufgestanden, und trocknete am Fenster ihre Augen. Die Fräuleins musterten die ruhig an ihre Harfe gelehnte Ida mit neidischen Blicken, und die Oberhofmeisterinn merkte an, daß es sehr spät sey, daß Ihro Majestät der Ruhe bedürften, und daß man sich entfernen müsse. Sophie jahte es, und man gehorchte.

15. Kapitel. Volles Licht des Hofglücks
Funfzehntes Kapitel.
Volles Licht des Hofglücks.

Ohne Zweifel hätte die Fürstinn von Ratibor es gerne gesehen, wenn die junge Harfenspielerinn das Zimmer ihrer Gebieterinn auf jene Art hätte verlassen müssen, wie eine ihrer Kunstverwandtinnen in unsern Zeiten, aber entweder war es etwas leichteres vor einer Kaiserinn als vor einer [134] Königinn von Frankreich zu spielen, oder Ida war ihres Instruments mächtig, und der Gegenwart einer Monarchinn gewohnt genug, um weder von dem einen noch dem andern bis zur Ohnmacht angegriffen zu werden, und sie entfernte sich also nebst den andern ruhig mit ihrer gewohnten guten Art.

Was für ein kaltes phlegmatisches Geschöpf ist dieses Mädchen! rief die Ratibor, als sie mit ihrer Fürstinn allein war. Welche andere würde nicht durch so viele Gnadenbezeugungen bis in das Innerste der Seele gerührt worden seyn, und diese –

Ich sahe Thränen in ihren Augen; sagte Sophie.

O dann, wenn sie weinen kann! erwiederte die Oberhofmeisterinn.

Ich bitte euch, Ratibor, sprach die Kaiserinn mit ungewöhnlich finsterm Blicke, verbittert mir nicht alles was mir Freude macht!

Eine Aeußerung von dieser Art wär schon hinlänglich gewesen den Haß bey Idas Feindinn auf das höchste zu treiben, aber es stand ihr auf den andern Tag noch ein kleiner Nachtisch für ihren Neid bevor.

Ida ward in Sophiens Schlafzimmer gerufen. Liebe Münsterinn, sagte die gnädige Dame, ihr habt mir in der That gestern eine angenehme [135] Stunde gemacht. Ich vergaß alles über euren hinreißenden Spiel; auch das, daß ich einen Preis aufgesetzt hatte, der ohne Zweifel euch zukommt, und den ich euch noch schuldig bin. Er sey dieses Band, das euch zu meiner nähern Bedienung berechtigt, denn mit Kleinoden, setzte sie lächelnd hinzu, darf man doch bey euch nicht kommen, ihr habt mir schon einmahl etwas dergleichen abgeschlagen.

Ida empfieng kniend das kaiserliche Geschenk, und die Fürstinn von Ratibor bekam Befehl, es ihr anzulegen; es war ein Band von himmelblauen Sammt, welches von der rechten Schulter auf die linke Hüfte in einer großen Schleife gebunden ward, und das nur die ersten Staatsfräuleins der Kaiserinn tragen durften.

Ida war erstaunt, bestürzt von diesem Uebermaas von Gnade, und doch getrauen wir uns zu sagen, daß sie den ganzen Umfang derselben bey weitem nicht so stark fühlte, als die Fürstinn von Ratibor. Das Mädchen war in jenem glücklichen Alter, in welchem uns der Unterschied zwischen Gnadenbändern und Sternen, und zwischen einem leicht geknüpften Band im lockigten Haar, oder einer frischgepflückten Morgenrose, noch nicht so gar groß dünkt, wo wir nichts weiter sehen, als daß beyde zur Zierde dienen. – Doch bekam Sophiens Geschenk durch die Hand der geliebten [136] angebeteten Geberinn einen hohen Werth in Idas Augen, und sie dankte mit unverstellter Rührung. Die Fürstinn von Ratibor machte ohngefehr so eine Miene, wie weiland der persische Hofmann, als er dem ebräischen Weisen die Kennzeichen der königlichen Gnade anlegen mußte, doch verlor sich am Ende ihr hämischer Blick in jenes bitter süße Lächeln, welches freylich eine so unschuldige Seele wie Idas nicht zu entziffern wußte. – Ida verbeugte sich, nachdem sie ihre Danksagung bey der Kaiserinn abgelegt hatte, mit der ihr eigenen Holdseeligkeit gegen die Fürstinn von Ratibor, und ward von ihr mit einer gnädigen Umarmung beehrt. –

Sie ist doch mit alledem ein reizendes Geschöpf, diese Münsterinn, sprach die Fürstinn zu Sophien, indem sich Ida entfernte, schade, daß sie nur ein Bürgermädchen ist!

Die Blicke aller Fräuleins waren neidisch auf Idas blaues Band gerichtet; ein Ehrenzeichen, welches nur drey oder viere von ihnen zu tragen gewürdigt waren, aber das junge Mädchen bemerkte nichts davon, begegnete ihnen mit ihrer gewöhnlichen Ehrerbietung, ohne über den empfangenen Vorzug einen Stolz zu äußern, und harrte unruhig dem Abend entgegen, an welchem es ihr erlaubt war, ihre Eltern zu besuchen. Sie wollte sich ihnen in ihrem Schmucke zeigen, sie wußte, [137] daß sie, daß wenigstens die Mutter, durch die Ehre, die ihr wiederfuhr, erfreut werden würde.

Sie hatte recht, nur die Mutter war es, welche sich freute. Münster sah trüb und gedankenvoll aus, und wiederholte seine Ermahnungen an das junge Mädchen, behutsam und immer ihren Grundsätzen treu zu seyn.

Von dem Tage an, da Ida das erste Gnadenzeichen von ihrer Fürstinn erhielt, schien sich ihr Ansehen fast stündlich zu vermehren, sie hatte öfter die Aufwartung bey Sophien als ihre Gespielinnen, weil sich diese von niemand lieber bedienen ließ, als von ihr. Kein Abend vergieng, da sie nicht mit ihrer Harfe im Kabinet der Kaiserinn erscheinen mußte, und alle ihre kleinen Talente wurden hervorgesucht, um ihre Gebieterinn zu unterhalten. Ob Ida darum glücklicher war, läßt sich schwer bestimmen; sie beredete sich, sie sey es, weil man sie zum Glück einer dritten Person für nöthig hielt, aber im Grunde vermißte sie wohl bey dem unaufhörlichen Zwange, in welchem sie lebte, die ruhigen Stunden, die sie anfangs auf ihrem einsamen Zimmer zubrachte, und so manchen heitern Abend, da sie ihre Eltern sehen, und sich in ihre ehemahlige Lage zurückträumen konnte; Augenblicke, welche jetzt immer seltner wurden.

[138] Auch fehlte es ihr jetzt, da sie fast beständig um die Monarchinn war, nicht an mancherley andern kleinen Leiden, Sophie war nicht allemahl heiter, sprach nicht allemal liebe Münsterinn, wenn sie mit ihr redete. Spuren von neckender Verläumdung zeigten sich immer, ob sie gleich wenig zu sagen hatten. Bald war Ida an Orten gesehen worden, wo Sophiens Fräuleins nicht hingehen durften, bald hatte sie in der Kirche gelacht, bald unehrerbietig von der oder jener alten Ehrendame gesprochen, oder beym Tanze zu frey mit einem Ritter gescherzt; Anklagen, welche die Unschuld des Mädchens allemal so schnell vernichten konnte, daß sie ihr selten mehr als einige trübe Minuten machten, denn Sophiens Gnade kehrte allemahl nach solchen überstandenen Stürmen mit verdoppeltem Glanze zurück, und die Oberhofmeisterinn lächelte lieblicher als jemahls.

Die Fürstinn von Ratibor hatte gehoft, Ida würde das gewöhnliche Hofglück erfahren, ihr Ansehen würde so schnell und mit so leichten Mitteln zu vernichten seyn, als es entstanden war; jetzt, da diese Hofnung getäuscht ward, zählte sie auf noch ein wirksames Mittel ihre Absichten zu erreichen, auf die Erscheinung einer neuen Person. Das Neue pflegt ja immer das Alte zu verdrängen, und Ida genoß schon über einen Monat die Gnade der Kaiserinn.

[139] Die Tochter der Fürstinn von Ratibor, die junge Imago wurde bey Hofe erwartet, sie war im Kloster erzogen worden, man sagte Wunderdinge von ihren Vollkommenheiten, und ihre leichtgläubige Mutter ermangelte nicht, gewaltig in die Posaune zu stoßen, und alles auszubreiten, was die Klosterfrauen von dem jungen Fräulein überschrieben. – Sie triumphirte in den Gedanken die verhaßte Münsterinn bald durch ihren Liebling verdunkelt zu sehen. Fast war ihr der Sieg über ein so gemeines Mädchen zu klein, und sie sann auf Mittel, sich noch mehr Genugthuung für den Verdruß, den sie bisher erlitten hatte, zu verschaffen.

Imago erschien, und da der Eindruck, den sie auf ihre Mutter machte, nicht sonderlich war, so läßt sich errathen, daß sie bey Hofe noch weniger Aufsehen verursachte. Sie ward vorgestellt, ganz gnädig aufgenommen, erhielt das blaue Band, welches Ida nur durch ihre Verdienste erwerben konnte, wegen ihres Standes auf den ersten Anblick, und ob gleich ihr Auge sich nach mehreren auszeichnenden Gnadenbeweisen umzusehen schien, so war doch dieses für diesmahl alles was ihr zu Theil ward. Sie konnte ruhig in die Reihe ihrer nunmehrigen Gespielinnen treten, ohne daß den ganzen Abend wieder nach ihr gefragt wurde. Doch ging des andern Tages bey Hofe die Rede, die [140] junge Prinzeßinn von Ratibor sey recht schön, gewiß recht schön, und auch artig, und überdies, wie es schien, von recht gutem Gemüth; Dinge, die man so oft sagte, und sich sie mit so vielem Eifer versicherte, als ob man vermuthete, es könnten Zweifel dawider gemacht werden.

Die Fürstinn von Ratibor sahe ihre Plane abermahls verunglücken, sie hatte eben nicht willens ihre Imago lange im Dienste der Kaiserinn zu lassen, in welchem sie das Unglück hatte, einer Bürgerinn an die Seite gestellt zu werden; man dachte auf ihre Vermälung. Man erwartete einen jungen italiänischen Prinzen bey Hofe, die Prinzeßinn von Ratibor war nicht häßlich, ihre Eltern waren im Stande sie ganz artig auszustatten, und es ließ sich hoffen, daß man wohl hier durch Hülfe geschickter Mittelspersonen eine Heyrath stiften könnte. Um bis dahin die Zeit nicht müßig zuzubringen, beschäftigte man sich von Seiten der Fürstinn von Ratibor, den Vorrath von Imagos Talenten zu untersuchen, und zu sehen, ob sie etwa von besserm Gehalt wären, als ihre Schönheit. Die junge Dame mochte in der That im Stande gewesen seyn, in einem Kloster, mit dem was sie konnte, etwas ausserordentliches vorzustellen, aber in der Welt – taugten alle ihre erworbenen Geschicklichkeiten weniger als nichts, es fand sich so vieles, das ganz hinweggeworfen, so vieles, das [141] erst ein wenig aufgestutzt werden mußte, um einiges Aufsehen zu machen, und ach, noch so unendlich mehr, welches ganz fehlte und nun erst nachgeholt werden mußte. Das arme kleine Geschöpf ward genöthigt sich der Quaal des mühsamen Lernens, welche sie überstanden zu haben glaubte, von neuem zu unterwerfen, um nur eine erträgliche Figur zu machen. Die wenige Munterkeit, welche sie noch etwa besaß, und die vielleicht, wohl angewendet, hätte liebenswürdig machen können, ging über dieser Anstrengung verloren; sie ward in ihrem Hause mürrisch und ungestüm, bey Hofe eine Träumerinn, und bald kam die gewöhnliche Frucht vergeblicher schmerzhafter Bemühungen nach unerreichbaren Vollkommenheiten, der Neid zum Vorschein, und machte sie, die sonst wohl in ihrer Sphäre hätte gefallen können, zur unerträglichsten aller Kreaturen.

Die Fürstinn von Ratibor bemerkte diese Dinge mit Betrübnis, sie zitterte, wenn man ihre Tochter ansah, zitterte, wenn sie angeredet ward, und suchte alle Gelegenheit zu vermeiden, Imagos ehedem gerühmte Vollkommenheiten wieder ins Andenken zu bringen. Gleich in den ersten Tagen ihrer Erscheinung bey Hofe hatte es die Gelegenheit gegeben, vom Harfenspiel zu reden. Sophie hatte sich erinnert, daß einst die Geschicklichkeit der Prinzeßinn auf diesem Instrumente dem Zauberspiel [142] ihrer Ida an die Seite gesetzt wurde, sie forderte Proben; die jungen Künstlerinnen mußten certiren, und die Sache fiel so sehr zu Imagos Beschämung aus, daß ihre Mutter wünschte geschwiegen zu haben und sich und ihre Tochter nur hinter dem Ausspruch retten konnte, es käm Prinzeßinnen nicht zu, solche Kleinigkeiten mit der Application zu treiben, wie Personen, welche vielleicht Profeßion davon machen wollten.

Ida war betreten, theils über den Wink, der sie zur Tonkünstlerinn von Profeßion machen wollte, welches in den damaligen Zeiten kein kleiner Schimpf war, theils weil sie wider Willen etwas beygetragen hatte, eine junge Person zu demüthigen, welche sie nie beleidigt hatte; man hätte sie in diesem Augenblicke nach ihrer niedergeschlagenen Miene für die Ueberwundene halten sollen, und sie war nicht im Stande, den Beyfall, der ihr zu Theil ward, mit frohen Herzen zu genießen. – Sie war nach der Hand zurückhaltender mit ihren Geschicklichkeiten, und da es der Prinzeßin von Ratibor nie wieder einfiel sich neben sie zu stellen, so lebte man auf einen ganz artigen Fuß mit einander.

Es war zu verwundern; man hätte denken sollen, die vielen fehlgeschlagenen Versuche der Fürstinn von Ratibor die junge Münsterinn zu verdunkeln, mußten nach dem Charakter, der ihr eigen war, den bittersten Haß gegen Ida nach [143] sich gezogen haben aber es ereignete sich das Gegentheil. Sie schien ihr gewogen zu werden, sie gestattete ihrer Tochter mit ihr zu sprechen, lud sie zuweilen in ihren Pallast ein, und trat endlich mit dem Antrage hervor, Imagos Lehrmeisterinn in der Tonkunst zu werden; ein Zumuthen, welches Ida mit soviel Herzlichkeit annahm, als sie ein ihr vorläufig angebotnes sehr kostbares Geschenk für diese Bemühung ausschlug und alle künftige Erbietungen von dieser Art verbat.

Ida war also, so oft es die Aufwartung bey Hofe erlaubte, in dem Hause der Fürstinn von Ratibor, – sie suchte Imagos Talente auszubilden, künstelte zuweilen an ihrem verschobenen Charakter, suchte Gefühle in ihr zu erwecken, welche ihrem Stande angemessen waren – aber – nicht aus jedem Holze läßt sich ein Götterbild schnützen. – Imago blieb was sie war, und gab Ida zu verstehen, daß sie sie lieber unter dem Namen der Freundinn als der Lehrerinn um sich dulden möchte.

Die jungen Mädchen wurden vertraut, es gab Stunden, wo man den Unterscheid des Stands ganz zu vergessen schien; sie spazierten, sie spielten, sie badeten mit einander und zuweilen geschahe es, daß sie sogar auf einem Lager ruhten. Die alte Münsterinn freute sich dieser Ehre, wenn [144] Ida bey ihren Besuchen ihr zuweilen davon erzählte, aber ihr Mann schüttelte den Kopf und erzählte die Fabel von der irdenen und ehernen Schale, welche er einmahl von einem Mönche gelernt hatte; – Vertraulichkeiten von dieser Art, sagte er, haben ihre eigenen Folgen, man entdeckt sich einander zu treuherzig, und hat oft in der Folge Ursach es zu bereuen. Es sollte mich wundern, wenn die Prinzeßinn noch nie Versuche gemacht hätte, deine kleinen Geheimnisse auszuspähen. –

Geheimnisse mein Vater? rief die lächelnde Ida, ich habe keine!

Münster drohte mit dem Finger, und nannte den Namen Herrmann.

Es ist wahr, erwiederte Ida mit Erröthen, Imago hat etliche mahl mit mir über diesen Namen gescherzt, ich muß ihn im Traum genannt haben, denn wachend erwähne ich ihn nie.

Ich wollte du thätst es auch nicht im Traum, sprach Münster, der sich nicht enthalten konnte über die unschuldige Antwort des Mädchens zu lachen.

Und dann, fuhr Ida fort, jetzt fällt mir noch etwas ein, welches die Prinzeßinn that, und das mir nicht ganz lieb war. Ihr wißt doch das kostbare Geschenk meiner Kaiserinn, ihre Locke; ich habe sie, seit ich bey Hofe bin, [145] nicht öffentlich getragen; ein solcher Schmuck würde mir ein prahlerisches Ansehen gegeben haben, aber mich gänzlich von diesem lieben Kleinod zu trennen war unmöglich, es kommt nie aus meinem Busen, wird nie abgelegt als wenn ich bade. Bey einer solchen Gelegenheit sahe es die Prinzeßinn, und hatte mir es, ich weis nicht aus welcher Neckerey, heimlich entwendet. – Ich leugne nicht, es entstand ein kleiner Streit unter uns, sie wollte mir es nicht gestehen, bis ich die goldne Schnur an ihrem Halse sah, und damit die Locke aus ihrem Busen hervorzog, noch hielt sie sie scherzend fest, und wollte mir sie nicht ehe überlassen, bis ich ihr die Geschichte, wie ich zu diesem Geschenk kam, umständlich erzählt hatte; sie schien schon von dem ganzen Vorgang durch ihre Mutter unterrichtet zu seyn, welche, wie ihr wißt, bey dieser Gelegenheit gegenwärtig war, und drang nur in mich zu wissen, was ich mit diesem seltsamen Schmuck mache; ich lachte und machte einen Scherz daraus. Ich glaube, sagte ich, die Kaiserinn wird mich immer lieben, so lange ich einen Theil von ihrem Selbst auf meinem Herzen trage.

Das war eine sehr wunderliche Rede, sprach Münster mit Kopfschütteln, und ich bitte dich nochmals, mein Kind, sey behutsam, und hüte [146] dich für allzugroßer Vertraulichkeit mit Personen, welche es, wie ich gewiß glaube, im Grunde böse mit dir meynen.

16. Kapitel. Ein seltsames Gnadenschreiben
Sechszehntes Kapitel.
Ein seltsames Gnadenschreiben.

Der junge Prinz, auf den man für die Prinzeßinn von Ratibor die Augen geworfen hatte, erschien. Es war ein reicher Herr von den größten Hoffnungen aus dem Hause Viskonti. Vorläufige Unterhandlungen waren schon getroffen, man hatte ihm von Imagos Schönheit mit den gewöhnlichen Vergrösserungen gesprochen, er brannte vor Verlangen sie zu sehen, er ward ihr vorgestellt, und wahrscheinlich machte er einen größern Eindruck auf sie, als sie auf ihn, denn – er sah sie an Idas Seite. Welches Mädchen hätte neben dieser auf Eroberungen Anspruch machen können! und was hatte die Prinzeßinn von Ratibor, sie, die den meisten andern Schönheiten nachstehen muste, was hatte sie denn zu erwarten. Er wandte kein Auge von Ida, und selbst nachdem man ihm von dem geringen Stande derjenigen, welche seine Aufmerksamkeit zu reizen schien, Nachricht [147] gegeben hatte, welches unvorzüglich geschah, selbst dann konnte er sich noch nicht überwinden, seiner bestimmten Braut etwas mehr als etliche Seitenblicke zu gönnen, indessen er fortfuhr, sich in Idas Anschauen zu vertiefen, welche hiedurch so aus aller Fassung gebracht wurde, daß sie sich entfernen mußte.

Ida ward nicht mehr in den Pallast der Fürstinn von Ratibor gefordert, und Imago schien, wenn sie sie bey Hofe traf, ihre alte Freundinn nicht mehr zu kennen. Der Prinz besuchte den Pallast der Fürstinn von Ratibor oft, ohne diejenige wieder zu finden, welche er eigentlich daselbst suchte, er sah Ida bey Hofe, und brauchte eben so wenig Vorsicht die Bewunderung, mit welcher er sie betrachtete, zu verbergen, als bey ihrem ersten Anblick. Man sagte ihm zu wiederholten mahlen, dies bewunderte Mädchen nenne sich Ida Münsterinn, aber der Name schien nicht die Würkung zu haben, die man erwartete; er fuhr fort zu schauen, und Gelegenheit zu suchen diese außerordentliche Person auch zum Sprechen zu bringen. Das letzte mislang. Ida floh ihn auf alle mögliche Art, weil sie seine Liebe merkte, die Anträge eines Prinzen nicht anhören, ihre Freundinn nicht ausstechen, und Herrmann nicht vergessen mochte. – Der junge Italiäner hielt sich nur so lange zu Prag auf, als er Zeit brauchte, sich zu überzeugen, daß er nichts von derjenigen, die er liebte, zu [148] hoffen hatte. Er vergas in der Eil von der Prinzeßinn von Ratibor Abschied zu nehmen, und hatte überhaupt während seinen ganzen Aufenthalt an Wenzels Hofe, nicht ein Wort von der Ehre gedacht, welche man ihn daselbst zutheilen wollte.

So war denn die gute Imago sammt ihrer ehrgeizigen Mutter abermahl getäuscht. Man war so weit gegangen unter der Hand schon die Glückwünsche des Hofs zu der bevorstehenden Vermählung anzunehmen, und die Beschämung, zurück gesetzt zu seyn, war also nicht gering.

Alle Schuld der fehlgeschlagenen Hoffnung ward auf die unschuldige Ida geschoben, welche weiter nichts verbrochen hatte, als das sie schöner war als Imago, als die meisten ihrer Gespielinnen. Die Oberhofmeisterinn und ihre Tochter vermochten die Wuth, die in ihren Herzen kochte, fast nicht mehr zu bergen, und Ida würde schreckliche Dinge geahndet haben, wenn ein Verdacht in ihr unbefangnes trugloses Herz hätte kommen können.

Ihre sogenannten Eltern dachten in diesem Stücke anders. Beyde hielten es nicht für gut das junge Mädchen furchtsam zu machen, aber ihr gefahrvoller Stand war oft bis tief in die Nacht der Gegenstand ihrer ängstlichen Berathschlagungen, und jedes beschloß in der Stille seine Maasregeln zu nehmen, damit das Leben [149] und die Ehre derjenigen, welche ihnen so theuer war, auf alle Art sicher gestellt würde.

Die alte Münsterinn war in diesem Stück noch weit ängstlicher und sorgsamer als ihr Mann. Der Fürst von Ratibor und sein ganzes hohes Haus war bey ihr in sehr schlechtem Kredit, sie wußte hundert Geschichten zu erzählen, von welchen immer eine schrecklicher als die andere war, und welche alle bewiesen, daß diejenigen, welche das Unglück hatten, ihm oder den seinigen zu mißfallen, sich aus der Welt verloren, ohne daß man genau zu sagen wußte, wohin sie gekommen waren; wie leicht war es, daß die unglückliche Ida auf ähnliche Art verloren ging, und welche Sicherheit konnte der besorgten Matrone, die den Mutternamen bey dem jungen Mädchen führte, wohl gross genug seyn, ihr Leben zu schützen.

Es ist zu glauben, daß alle die Dinge, mit welchen sich die alte Münsterinn quälte, in die Reihe der Gespenstermärchen gehörten, welche zu den damahligen Zeiten sehr Mode waren, aber leider haben erdichtete Schreckbilder einen eben so großen Einfluß auf schwache Gemüther als Wahrheiten, und sie haben vor den letzten noch das zum Voraus, daß man um ihnen zu entfliehen meistens Mittel wählt, die so seltsam ersonnen sind, daß sie uns würklichem Unglück entgegen führen.

[150] Und die Besorgnisse im münsterschen Hause zu vermehren, entstand das Gerücht, welches bald darauf von Idas Mund bestätigt wurde, daß die Reise des Kaisers nach Westphalen, von welcher so lang gesprochen worden war, in wenig Wochen vor sich gehen, und daß also Ida, wenn sie dem Hofe folgte, bald ganz hülflos der Bosheit ihrer Feinde überlassen seyn würde.

Münsters erster Gedanke auf diese Nachricht war seine so genannte Tochter wieder in sein Haus zu nehmen; seine Frau stimmte diesmahl aus vollem Herzen ein, und Ida, welche nie einen andern Willen hatte, als diejenigen, welche sie ihre Eltern nannte, widersprach nicht.

Der Antrag ward gethan. Aber die Kaiserinn hatte sich so an ihre reizende Gesellschafterinn gewöhnt, daß an keine Trennung zu denken war, und daß die Bitte des alten Münsters, die er in Person vortrug, abgeschlagen ward. Ich danke euch, guter Alter, sprach Sophie mit ihrer gewöhnlichen Herablassung, ich danke euch, daß ihr mir eure Tochter so lang gönntet, aber wollt ihr sie jetzt von mir nehmen, so ist das vergangene kaum dankenswerth, den es nahen sich mir jetzt Stunden, in welchen ich die liebreiche Wartung, und die heitere Unterhaltung des guten Mädchens doppelt nöthig habe, sie muß mir die Geister des Unmuths hinwegschwatzen und spielen; oder [151] gönnt ihr ihr nicht die Ehre, eurem künftigen Herrn die ersten Wiegenlieder zu singen?

Dieses hies den alten Münster auf seiner schwachen Seite angreifen. Es verstand sich, daß an Idas Rückkehr in sein Haus nicht mehr gedacht wurde, da aber nichts im Stande war seine Besorgniß um sie, wenn er nicht täglich von ihr hören konnte, zu heben, so faßte er einen Entschluß, den wir in der Folge sehen werden; seine Frau faßte in der Stille auch den ihrigen, setzte ihre noch übrigen hundert und funfzig goldne Schilde daran ihn auszuführen, und ging dabey mit ihrer gewöhnlichen Voreiligkeit zu Werke.

Der Tag der Abreise nahte heran, aber es ereigneten sich Umstände, welche weder die Geschichte noch die Sage 3 deutlich benennt, die Wenzeln nöthigten, noch einige Zeit in Prag zurück zu bleiben, und seine Gemahlinn nebst ihrer Hofstatt allein abgehen zu lassen.

Der ganze Hof war zur Abschiedsaudienz im Vorgemach des Kaisers versammelt, als sich eine Sache zutrug, welche jedermann, und diejenige, welche sie unmittelbar betraf, in das größte Erstaunen setzte. Schon hatte Wenzel mit den Vornehmsten von Sophiens Hofstatt gesprochen, und [152] der geringere Theil derselben sollte wie gewöhnlich auf allgemeine Art entlassen werden, als Ida aus dem Haufen ihrer jungen Gespielinnen hervorgerufen und bedeutet wurde von den Kaiser zu treten.

Seyd ihr Ida Münsterinn? fragte er.

Das Mädchen antwortete mit einer bejahenden Verbeugung.

Ein Wink des Kaisers befahl einem hinter ihm stehenden Geheimschreiber, ihr ein grosses Pergament mit dem kaiserlichen Siegel zu überreichen.

Ida ward bestürzt.

Ihr könnt dieses Geschenk, sagte Wenzel, nicht so außerordentlich finden, als es mir selbst vorkommt, aber man hat es für gut gefunden es für euch bey mir zu suchen, und ich bin ein zu liebreicher Vater meiner Unterthanen, um auch dem geringsten von ihnen eine mögliche Bitte zu versagen. Geht, und seyd meiner kaiserlichen Gnade versichert.

Ida trat voll Verwirrung zurück. Jedermann drängte sich um sie, jeder wollte den Inhalt dieses räthselhaften Blattes wissen, aber sie eilte zu der Kaiserinn es ihr zu überreichen, welche es einem Kammerherrn gab, der es zu allgemeinem Erstaunen folgendermaßen vorlas:

»Wir Wenzeslaus etc. nehmen dich Ida Münsterinn in unsern kaiserlichen Schutz, so daß wir dein Leben und deine Ehre von der Hand [153] dessen fordern, auf welchen der kleinste Schein des Verdachts beruht, sie angetastet zu haben, auch begnadigen wir dich mit dem Vorrechte, daß keiner über dein Leben und Tod zu sprechen habe, als wir, auch keiner dich wegen irgend einer Anschuldigung belangen könne, als vor unsern unmittelbaren Gericht, oder vor denen welche unter Königsbann an unserer Stelle sitzen. etc.«

Wer verkennt hier wohl die Hand der gutherzigen, der voreiligen Münsterinn, sie hatte nichts unterlassen wollen, die geliebte Ida sicher zu stellen, und hatte also für das beste gehalten, ihr den unmittelbaren kaiserlichen Schutz zu erkaufen. Wenzel, welcher immer bereit war das zu thun was man auf diese Art von ihm bat, hatte – (vielleicht im halben Rausche) eine Schrift ausfertigen lassen, welche jedermann ein Räthsel seyn mußte, und die im Grunde derjenigen, welcher sie zum Besten gereichen sollte, mehr Nachtheil als Nutzen brachte.

Jedermann sahe sich nach Verlesung dieses Schreibens mit verwunderungsvollen Augen an, einige verächtliche Seitenblicke fielen auf Ida, und alle kamen darinn überein, es müste eine ausserordentliche Bewandnis mit diesem Mädchen haben. Ordentlicher Weise brauche die Unschuld keinen andern Schutz als sich selbst; so viel man wisse, habe noch niemand es sich einfallen lassen, [154] verdächtige Anschläge auf Ida zu machen, oder sie vor irgend einem Gericht zu belangen, dieses müsse vorborgene Bewandnisse haben, und was der seltsamen Reden mehr waren.

Ida stand voll Bestürzung da, sie fühlte, daß diese seltsame Begebenheit einen verdächtigen Schein auf sie warf, ungeachtet sie von allen dem, was darüber gesprochen wurde, nichts vernahm, sie nahte sich der Kaiserinn, und bat um Erlaubnis, dieses ausserordentliche Gnadenschreiben dem Monarchen in Demuth zurückgeben zu dürfen. Ich fordere, sagte sie, keine andere Sicherheit als die ein jeder in dem Schutz eines guten Fürsten findet, keine andern Vorrechte als die mir die Gnade meiner Kaiserinn gewährt.

Nein, nein, rief Sophie, die die ganze Sache aus einem andern Gesichtspunkte ansah als die andern, mit einem kleinen Lachen, nein, nein Ida, dieses Schreiben will ich zu deinem Besten verwahren; und wenn es weiter keinen Nutzen hat, so wird es einst deinen Enkeln sagen, daß du ein würdiger Gegenstand der besondern Vorsorge deines Fürsten warest.

Diese Begebenheit ward ein Gegenstand des allgemeinen Gesprächs, sie kam vor Münsters Ohren, ehe Ida noch Gelegenheit hatte, ihn selbst davon zu benachrichtigen. Er errieth den Ursprung derselben ohne Mühe, und hielt mit seiner [155] Frau ein sehr ernsthaftes Gespräch über die seltsamen Dinge, die sie die Neigung für ihren Liebling begehen machte. Die Münsterinn betheuerte, daß sie nichts bey dem Kaiser gesucht habe, als sein besonderes Ansehen auf Idas Bestes, ohne eben darüber eine schriftliche Ausfertigung, ein Schreiben in Gestalt eines eisernen Briefs zu fordern. – Münster, welcher seine Frau selten auf einer Lügen ertappt hatte, glaubte ihr, und das Ganze mußte also einer von den Streichen seyn, wie Wenzel sie zuweilen im Rausche beging, wenn man es nicht lieber einen sonderbaren Zug des Schicksals nennen will, eine von ihm ausgezeichnete Person außerordentlichen Begebenheiten entgegen zu führen.

17. Kapitel. Ein fürchterliches Ungewitter
Siebzehntes Kapitel.
Ein fürchterliches Ungewitter.

Ida letzte sich mit ihren Eltern. Die Mutter schwamm in Thränen, aber der Vater war getrost, und sprach von baldigem Wiedersehen.

Der Abschied war auf allen Seiten vorbey, die Reise ward angetreten, aber, verzeihet meine Leser, wenn ich von dieser Gegend meiner Geschichte bis auf einen gewissen Zeitpunkt, so wohl was Zeit [156] als was den Ort betrift, unbestimmt reden muß, die Mängel meiner Urkunden sind Ursach an meiner Ungewißheit.

Die Kaiserinn hatte den Ort, an welchen für diesmahl ihre Reise gieng, in einer Zeit erreicht, die ich nicht nahmhaft zu machen weis, sie sah ihrer Niederkunft täglich entgegen. Den Kaiser hielt Krankheit oder etwas anders ab, nicht so wie ihm zukam, bey dieser großen Begebenheit gegenwärtig zu seyn, doch hatte er Sorge getragen, alles zu bestimmen wie es in seiner Abwesenheit bey der Erscheinung des jungen Thronerben sollte gehalten werden. Die Böhmen murrten, daß man durch eine unzeitige Reise sie um das Glück gebracht hatte, ihren künftigen Beherrscher in seinem Lande zum erstenmahl weinen zu hören; um sie zu trösten, ward ein engerer Ausschuß ihrer Vornehmsten ausgesandt, ihrer Monarchinn beym Wochenbette aufzuwarten, und als Zeugen bey Aufnahme des jungen Herrleins (ein Prinz mußte erscheinen) in den Schooß der Christenheit gegenwärtig zu seyn. Von Fürsten und Herren war zu dieser feyerlichen Handlung niemand erbeten, als der Herzog von Bayern, der Vater der erhabenen Kindbetterinn, und der Graf von Würtemberg, ihr Pathe.

[157] Sie so wohl als die treuen Böhmen erschienen zu rechter Zeit, und es fehlte niemand mehr zu Feyerung des großen Festes, als – die Hauptperson, er, um dessen willen alle zugegen waren, Kaiser Wenzels künftiger Erbe. –

Der gewünschte Tag verzog sich von einer Zeit zur andern, die Kaiserinn war kränklich, ihre Schwäche verwandelte sich in Krankheit, in gefährliche Krankheit, sie war dem Tode nahe, das ganze Land schrie um ihre Rettung zum Himmel, und – endlich erschien eine todte Prinzeßinn!

Ich weiß nicht, ob es in den damaligen Zeiten etwas unerhörtes war, auf diese Art in seinen liebsten Hoffnungen getäuscht zu werden, oder ob wenigstens Fürsten dieses niemals wiederfuhr; genug, diese traurige Begebenheit verbreitete ein solches Schrecken über alle, welche nah und fern davon hörten, als wenn nie zuvor auf diesem Erdenrund etwas ähnliches geschehen wär. Die Personen, welche hieran Antheil nahmen, und wer nahm nicht an allem Antheil, was die geliebte Sophie betraf, theilten sich in zween Haufen, davon der eine sich mit den Vorzeichen, der andere mit den Ursachen dieser großen Begebenheit beschäftigte, indessen nur wenige an das wichtigste, an die Folgen derselben dachten.

Die Lehre von den Vorzeichen war damahls einer der wichtigsten Glaubensartikel, und ich [158] hätte niemand rathen wollen, denen zu widersprechen, welche alle, seit zehn Jahren erschienene Kometen, Himmelszeichen, und gewöhnliche Naturprodukte, auf Sophiens todtgeborne Prinzeßinn deuteten. Diejenigen, welche sich bestrebten die Ursach von der fehlgeschlagenen Hoffnung eines ganzen Volks zu ergründen, verstanden noch weniger Scherz als ihre Gesellen von der ersten Ordnung, und es würde bey ihnen Hochverrath gewesen seyn, wenn man hätte muthmaßen wollen, daß die unzeitige Reise, oder die unwissenden Aerzte der hohen Kindbetterinn, hier wohl einigen Einfluß haben möchten, oder daß das letzte Aergerniß der Kaiserinn könne geschadet haben, als sie durch dienstfertige Briefe aus Prag erfuhr, daß die Susanne, von welcher man ihr beredet hatte, sie sey gänzlich abgethan, wieder erschienen sey, ihren Platz an Wenzels Seite öffentlich behaupte, in den kaiserlichen Zimmern als in den ihrigen hause, und keine geringen Hoffnungen auf Sophiens Tod baue, welcher bey ihrer Niederkunft wohl erfolgen könne.

Dinge von dieser Art waren nichts in den Augen unserer Klügler, ihre Nachforschungen gingen weiter. Zauberey, Zauberey war es, was das Land um seine Hoffnungen gebracht hatte, hier mußte der Arm der Gerechtigkeit schleunig Einhalt thun, daß das Uebel nicht weiter ging, und [159] sich vielleicht gar an Sophiens geheiligter Person vergriffe, welche immer noch zwischen Tod und Leben schwebte. Das ganze Frauenzimmer der Kaiserinn ward eingezogen, selbst die Fürstinn von Ratibor nicht ausgenommen, nur Ida blieb in dem ruhigen Besitz ihres Zimmers, und hatte über nichts zu klagen, als daß man ihr nicht verstattete ihre geliebte Gebieterinn in ihrer Schwachheit zu warten, welche ihren Namen alle Stunden nannte, und behauptete, sie könnte ohne ihre Ida weder leben noch sterben.

Die Untersuchung ging schnell und streng vor sich. Der Herzog von Bayern und der Graf von Würtemberg, die Vorsitzer des Gerichts, waren der erhabnen Leidenden viel zu sehr ergeben, waren viel zu gute Christen, als daß sie da mit Schonung hätten verfahren sollen, wo man Zauberey ahndete. Doch, so streng auch die Untersuchung seyn mochte, so wurden doch alle beschuldigte Damen auf das erste Verhör losgesprochen, und selbst die Fürstinn von Ratibor bekam nicht den kleinsten Verweis, daß sie so schlecht für das Wohl ihrer Kaiserinn gewacht hatte, ihr einen Brief mit den obengemeldeten in die Hände kommen zu lassen; man wußte von diesem Briefe, wußte, daß Sophie nach Lesung desselben ohnmächtig geworden, mit Konvulsionen und heftigem Frost zu sich [160] selbst gekommen, und von da an, bis zu dem Augenblick ihrer Niederkunft, bis auf den gegenwärtigen Augenblick dem Tode nahe gewesen war, aber mein Gott, davon war ja die Rede nicht. Die Untersuchung ging auf übernatürliche Künste, welche Sophien und ihr Kind ums Leben gebracht haben sollen, und hievon fanden sich bey dem unschuldigen Frauenzimmer nicht die kleinsten Spuren.

Ida beklagte ihre unglücklichen Mitschwestern, auch nur in den entferntesten Verdacht solcher Dinge, an welche sie mit allen ihren Zeitverwandten von ganzem Herzen glaubte, gekommen zu seyn; sie meynte, sie hätte einen solchen Verdacht nicht überleben können. Sie prieß sich glücklich allein ausgenommen worden zu seyn, und hofte, da sie hörte, daß die Fürstinn von Ratibor und die andern wieder los seyen, und bey der Kaiserin die Aufwartung gehabt hätten, auch sie würde nun die geliebte Sophie wieder zu sehen bekommen.

Sie hatte sich eines Morgens völlig ankleiden lassen, um, wenn sie nach Hofe berufen würde, fertig zu seyn, als ihr Mädchen mit einem Gesicht herein trat, welches der lebendige Abdruck des Entsetzens und der Verzweiflung war, sie trug einen Zettel in der Hand, den sie ihrer Gebieterinn schien überreichen zu wollen, aber ehe sie sich ihr nähern konnte, sank sie ohnmächtig zu Boden. [161] Ida sprang zu, ihr zu helfen, allein als sie ihren Namen auf dem auf der Erde liegenden Zettel erblickte, so überwand die Neugier das Mitleid, und sie las folgendes; doch nein sie las nicht zu Ende, schon bey der zweyten Zeile vergiengen ihr die Gedanken, und sie sank an der Seite ihrer Dienerinn nieder.

Urtheile, lieber Leser, ob sie Ursach hatte sich zu entsetzen.

»An Ida Münsterinn.

Ida! Ida! Zauberinn! Mörderinn! Hochverrätherinn! erscheine! Wir die heimlichen Rächer Gottes, laden dich, binnen drei Tagen vor Gottes Gericht! – Erscheine! erscheine!«

Was ist das? rief Ida, als sie auf die Bemühung ihrer andern Dienerinnen, welche herzugelaufen waren, sich wieder erholte. Habe ich recht gesehen? reicht mir das Blatt noch einmal. – Sie überlas die schrecklichen Zeilen von neuem, ließ die Hände sinken, und lehnte sich todtenbleich an ihren Stuhl zurück. –

Indessen erzählten die Mägde, wie sie das Pergament diesen Morgen an der großen Pforte, welche zu den Zimmern ihrer Gebieterinn führte, angeheftet gefunden, wie sie aber, weil sie es nicht lesen können, es nicht geachtet hätten, bis das herzulaufende Volk sie von dem Inhalte benachrichtigt, [162] und ihnen unter Bedrohung geboten, es abzunehmen, und es ihrer Gebieterinn zu bringen.

Ida hörte fast leblos vor Entsetzen zu, ohne genau zu wissen was sie hörte. Wär sie mehr bey sich selbst gewesen, sie würde in dem Ton, in den Blicken der Erzählerinnen, einen Unwillen, eine Verachtung gelesen haben, der ihr bey denen, welche sie umgaben, und von welchen sie durchgängig angebetet wurde, etwas ganz neues seyn mußte.

Gott! was habe ich gethan? und was soll ich thun? schrie Ida mit gerungenen Händen!

Was ihr gethan habt, mögt ihr am besten wissen, sprachen die Weiber, und was ihr thun sollt, darin können wir euch nicht rathen; wir müssen euch verlassen, damit nicht auch uns die Rache Gottes verfolge!

Willst du auch von mir gehen? fragte Ida das Mädchen, welche ihr den Zettel zuerst überreicht hatte, und die jetzt vor ihr auf den Knien lag und ihren Schoos mit Thränen netzte.

Sagt mir, was ich für euch thun kann, erwiederte sie, und ich will nicht gehen.

Eile zu der Fürstinn von Ratibor, sprach Ida, und sage ihr – sage ihr nur – ich weis nicht! – Genug du wirst ihr schon alles alles, meine ganze Lage entdecken, sie soll mir Rath geben! [163] Gott weis, wie ich zu diesem Unglück komme!

Das Mädchen ging und kehrte in kurzer Zeit zu der ängstlich harrenden Ida mit der Antwort zurück, die Fürstin lasse ihr versichern, daß sie sie nicht kenne.

Die Gesandtschaft ward an einige andere Damen der Kaiserinn eben so vergeblich abgefertigt. Ida erinnerte sich an den Herzog von Bayern, und an den Grafen von Würtemberg, welche ihr immer mit auszeichnender Achtung begegnet hatten. Sie sandte zu ihnen und erhielt die Antwort, sie möge Trost bey Gott suchen, wenn ihr Gewissen rein sey, und was den Rath anbeträfe, so wär der einige, den man ihr geben könne, daß sie sich ja nicht weigere, auf die erhaltene Ladung zu erscheinen, weil ihr Leben doch auf alle Fälle verwirkt sey.

Erscheinen? rief Ida, wo soll ich erscheinen? Hast du nicht gefragt, wo der Ort des heimlichen Gerichts ist?

Die Dienerinn schwieg.

Mein Leben verwirkt! schrie die Unglückliche nach einem langen schrecklichen Stillschweigen. – Gott was habe ich denn gethan? ich bin ja unschuldig! – Gott gebe, daß ihr es seyd! schluchzte das Mädchen.

[164]

Ja bey Gott das bin ich! rief Ida und sank auf die Knie, ich schwöre es bey dem der ewig lebt!

Sie lag lang mit verhülltem Gesicht auf ihren Knien und schien zu beten, endlich rafte sie sich auf. – Was sagte der Graf von Würtemberg? rief sie, ich sollte Trost bey Gott suchen? O Gott hat mich schon getröstet, und er wird mich noch mehr trösten, trösten durch den Mund seines Dieners. Gieb mir meinen Schleyer, ich will in die Kirche, ich will beichten. Der ehrwürdige Pater Johann wird mir sagen, was ich thun soll.

Wollt ihr es wagen? fragte das Mädchen. Das Volk ist aufgebracht wider euch, es könnte euch ein Unglück – Gieb mir den Schleyer, rief Ida, ich wage alles, ich habe nichts auf der Welt zu verlieren. – Es ist wohl nicht nöthig euch zu begleiten? fragte die Dirne – Thue was dich recht dünkt, erwiederte Ida. –

Ida trat ihren Weg an, ohne sich umzusehen; sie hüllte sich dicht in ihren Schleyer, um nicht erkannt zu werden. Hier und da tönte ihr ihr Name mit Verwünschungen begleitet in die Ohren. Das Volk schien mehr von ihren Beschuldigungen zu wissen, als sie selbst. Die Namen Zauberinn, Mörderinn, Hochverrätherinn, schwebten ihr bisher ohne weitern Zusammenhang [165] vor, jetzt erst erfuhr sie aus einigen abgerissenen Reden der vor ihr übergehenden, daß sie die Unthaten, die man ihr Schuld gab, an ihrer besten Freundinn, an der angebeteten Sophie, sollte verübt haben. Es fehlte unterschiedliche mahl wenig, daß sie nicht zu Boden sank, sie wankte und mußte sich an den Mauern fest halten.

Endlich kam sie in die Kirche, wo sie bey ihrem einigen noch übrigen Freunde, ihrem Beichtvater, Rath und Trost holen wollte. Es war schon weit gegen den Abend, sie ging durch die dämmernden Hallen des Gewölbes, setzte sich in eine dunkle Nische, und erwartete den ehrwürdigen Pater Johann, von welchem die Geschichte nicht sagt, ob er der berühmte Beichtiger Sophiens, der heilige Johannes Nepomucenus, der noch jetzt in allen Landen wegen seiner schweigenden Zunge, hoch belobt ist, gewesen seyn mag. So viel ist gewiß, daß Sankt Nepomuk sich schwerlich in jener großen Prüfung stiller verhalten konnte, als dieser bey der Herzenserleichterung dieser bedrängten Sünderinn, oder vielmehr, dieser unschuldigen Heiligen.

Ida hatte ihr ganzes Herz vor ihm ausgeschüttet, hatte vor ihm geweint, geseufzt, um Rath gefleht, und noch schwieg er. – Die Trostlose flehte nur um ein Wort aus seinem heiligen Munde. – Geht hin, sagte er nach einer langen [166] Pause, reiniget euch von eurer Missethat, und dann will ich euch von euren Sünden lossprechen.

Aber was soll ich thun? Ich bin vor Gericht gefordert, ich weis nicht von wem! Ich soll mich stellen, ich weis nicht wo? was soll ich thun?

Erscheinen!

Und wer werden meine Richter seyn?

Die furchtbaren Unbekannten, die im Verborgenen richten!

Und wo ist ihr Gerichtsstuhl?

Ueberall und nirgends!

Ida badete sich in Thränen, sie vermochte an den Mann mit dem eisernen Herzen keine Frage mehr zu thun. – Er stand auf, sich zu entfernen. – Erbarmet euch! erbarmet euch! rief das Mädchen, indem sie sein Gewand fest hielt. Es ist Nacht, verschaffet mir Zuflucht in diesem Kloster, oder gebt mir einen Begleiter zu, der mich sicher nach Hause bringe.

Die heiligen Frauen werden euch nicht aufnehmen, und niemand wird euch begleiten wollen.

Die Unglückliche verhüllte ihr Gesicht in ihren Schleyer, und fieng von neuem an zu weinen; als sie sich wieder umsah, war sie allein. Die große Ampel war in der Höhe des Kirchengewölbes aufgehangen und verbreitete ein sparsames Licht. Sie stand auf, wankte durch die düstern Hallen, wallte durch die dunkeln [167] Gassen der Stadt, und kam endlich an ihrer Wohnung an. Sie weinte nicht mehr, eine Art von Härte, von dumpfer Fühllosigkeit hatte sich ihrer bemächtigt. Sie rief ihren Mädchen, die Kerzen anzuzünden, niemand antwortete. Sie ging hinaus in die Vorsäle, in die Kammern ihrer Dienerinnen, alles war leer. – So bin ich denn ganz ganz verlassen? schrie sie und kehrte mit gerungenen Händen auf ihr Zimmer zurück. – Gott, womit habe ich das verdient! ist denn Beschuldigung soviel als erwiesenes Verbrechen? – Sollte ich vielleicht wirklich schuldig seyn? – Man sagt ja, es sey möglich ohne sein Wissen zu sündigen. – Ja ja! es ist so, ich bin eine Verbrecherinn, denn jedermann hält mich dafür, und der heilige Vater Johann hat mir die Absolution versagt.

Ida war in jenem schrecklichen Zustande, der nur einen Schritt von Verwirrung und Verzweiflung entfernt ist; da erhob sich ein Geräusch in ihrem Vorgemach, die Thür ging auf. Ida! rief eine bekannte Stimme.

Wer ists? wer ruft? antwortete sie in holem Tone.

Ida! meine arme unglückliche Ida! rief die Stimme von neuem mit dem zärtlichsten Accente.

Ida richtete sich von der Erde auf. Die Gestalt, die sie jetzt bey einer dunkeln Leuchte, welche sie trug, erkennen konnte, kam näher.

[168] Wer bist du? fragte Ida, bist du einer von den furchtbaren Unbekannten, die im Verborgenen richten?

Kennst du mich, kennst du deinen Vater nicht mehr? rief der Ankommende, der jetzt die Leuchte heller machte, den Mantel von sich warf, und die Unglückliche in seine Arme schloß.

Vater! Retter! Engel von Gott gesandt! stammelte sie und sank leblos an seinen Busen.

18. Kapitel. Münster tröstet, so gut er vermag
Achtzehntes Kapitel.
Münster tröstet, so gut er vermag.

Kennt die Menschheit wohl eine herrlicher größere Empfindung als jene, die die Seele bey Erscheinung eines Freundes im tiefsten Abgrunde des Elends durchschaut? – Idas Herz war zu eng dieses Gefühl zu fassen, es wollte brechen! Man denke, was sie diesen Tag über erfahren hatte, man denke sich die Ueberraschung, sich in dem Augenblick, da sie sich von allen verlassen glaubte, in den Armen eines Vaters zu sehen.

Ist es möglich? rief sie, als sie vermögend war zusammenhängend zu sprechen, ist es möglich? – nein! mich täuscht ein Traum! – mein Vater hier? in solch einem Augenblicke?

[169] Und konnte denn Ida denken, fragte Münster, daß der, den sie Vater nennt, sie einen Augenblick in verdächtigen Händen allein lassen könne? Ich habe die Reise mit dir zugleich angetreten, bin dir überall gefolgt, habe alle deine Schritte bemerkt, wollte mich nicht melden, um einmahl zu sehen, wie du handeln würdest, wenn du dir ganz allein überlassen wärest. – Ich war fest entschlossen, dich eben so unbemerkt wieder nach Prag zu begleiten, und es würde geschehen seyn, wenn dich nicht dieser unvermuthete Schlag getroffen hätte.

O Gott, rief Ida, ein Schlag, den ich nicht überleben werde!

Nicht überleben? – Eine schöne Vertheidigung deiner Unschuld! – Nein, Ida, du wirst leben, du mußt leben, um deine Ankläger zu beschämen, die dich gern als eine Verbrecherinn sterben sähen!

Wer sind meine Ankläger?

Weis ich es. Ich habe diesen ganzen Tag, so bald die schreckliche Zeitung ausbrach, du seyst vor das heimliche Gericht geladen, hier und da unter dem Volk gelauscht, um etwas zu erfahren, und das zuverläßigste was ich weis, ist, daß beym Verhör des kaiserlichen Frauenzimmers, die Fürstinn von Ratibor, ihre Schuldlosigkeit an dem unglücklichen Wochenbette der [170] Kaiserinn nicht besser als durch deine Anklage zu beweisen geglaubt hat. – Ihre Aussage hat gelautet: sie bürge mit dem fürchterlichen Eide für sich und alle gegenwärtigen Damen, aber es fehle noch eine Person von Sophiens Frauenzimmer, und wenn der Anschein nicht trüge, so müsse diese die Schuldige seyn.

Man forderte die Ursachen ihres Verdachts wider dich, die Fürstinn sagte, was man mir nicht wieder zu sagen wußte. Du sollst vorgefordert werden, und die Richter zürnten, daß dieses nicht sogleich geschehen, daß du allein von dem, was sich die übrigen hatten gefallen lassen müssen, ausgeschlossen worden wärest.

Ein bedenkliches Achselzucken beantwortete dieses. Die Geschichte von dem unglücklichen Freybriefe, den dir der Kaiser auf Veranlassung meines unvorsichtigen Weibes gab, ward der Länge nach erzählt, und mit Erklärungen versehen, die man sich denken kann. Die Richter sahen einander an. Brauchen wir einen weitern Beweis wider die Verbrecherinn? fragten sie, warum suchte sie außerordentlichen Schutz, wenn sie unschuldig war? warum machte sie es unmöglich, sie vor den gewöhnlichen Gerichtsstühlen zu belangen, wenn sie sich nicht geheimer Unthaten bewußt war, welche an den Tag kommen und sie in die Hände der Gerechtigkeit bringen konnten? [171] Aber soll sie darum ungestraft bleiben? und welch ein Mittel ist übrig, sich ihrer zu bemächtigen? –

Meine Nachrichten hören hier auf, ich weis nicht was hierauf weiter vorging, nur dieses sagte man mir, daß die Versammlung erst um Mitternacht auseinander gegangen sey, nach dem alle sich durch einen feyerlichen Eid verbunden hätten, dein nicht zu schonen.

Ida verbarg sich an dem Busen ihres Vaters und weinte. Fahret nur fort, fahret fort, schluchzte sie, tödtet mich ganz mit der fürchterlichen Erzählung meines Unglücks!

Mein Kind, sagte Münster mit tröstendem Ton, es ist nöthig, daß du alles wissest; wie soll dir sonst geholfen werden?

Und des Freybriefs ungeachtet, rief sie, bin ich doch vor Gericht, ach unschuldig vor Gericht gefordert?

Für kein weltliches, erwiederte er, für das große Gericht Gottes. Getraust du dich nicht vor Gottes Gericht in deiner Unschuld zu stehen?

O wenn er, wenn er mein Richter ist! rief Ida mit gefaltenen Händen, und einem Blick in welchem der Himmel war.

Nun, sprach Münster, mit diesem getrosten Muthe geh an dein Schicksal, du bist unschuldig, es kann nicht schrecklich seyn. Die Unbekannten, [172] die im Namen Gottes richten, sind deine Richter; sie waren die einigen, vor denen man dich belangen konnte, hast du die Worte in deinem Freybriefe vergessen, daß du nur vor dem Kaiser unmittelbar oder vor denen, welche an seine Stelle unter Königsbann richten, anklagt werden kannst?

Ich habe sie nicht verstanden, sagte die niedergeschlagene Ida, welche wenig Trost in ihres Vaters Reden fand.

Glaubst du, daß Männer, welche den fürchterlichsten Eid geschworen haben recht zu richten, deine Unschuld verkennen werden? fragte Münster weiter.

Ich glaube alles was ihr wollt, sprach sie mit kaum hörbarer Stimme, aber so viel weis ich, ich werde sterben, wenn ich allein vor diesem furchtbaren Richter erscheinen soll.

Das sollst du nicht, ich werde dich begleiten.

Und wohin? wo ist ihr Gerichtsstuhl? Ueberall und nirgends, sagte Pater Johann, was heißt das?

Niemand hat noch die Stelle gesehen, wo sie richteten, sprach Münster, ausser sie selbst und die Beklagten, aber wenn du erscheinen sollst, so muß man dir auch Mittel zeigen, wie du deine Richter finden kannst, diese Mittel auszuspähen soll mein Werk an diesen beyden Tagen seyn.

[173] Und wen wollt ihr fragen, wenn keiner aus dieser geheimnißvollen Gesellschaft euch bekannt ist?

Das weis Gott! ich kenne keinen von ihnen, nur so viel weis ich, sie wandeln mitten unter uns in tausendfachen Gestalten, ohne daß wir sie kennen, gehen an unserer Seite, speisen an unserm Tisch, und wir wissen es nicht, meine Stimme wird doch einen von ihnen erreichen, der mir sagt was ich thun soll? –

Gespräche von dieser Art dauerten bis an den Morgen. Ida saß vor ihrem Vater bald in Totenblässe gehüllt, bald mit glühenden Wangen, und Augen, in welchen das verzehrende Feuer des Fiebers funkelte. Der alte zitterte für ihr Leben, er nöthigte ihr einen kleinen Becher Wein auf, welchen er heimlich mit dem Saft einiger beruhigenden Kräuter vermischte. Ida entschlief, Münster trug sie leise auf ein Ruhebette, verschloß ihre Thür und ging, ehe der Tag völlig anbrach, seine großen Erkundigungen anzustellen.

19. Kapitel. Ida in den Händen der furchtbaren Unbekannten
Neunzehntes Kapitel.
Ida in den Händen der furchtbaren Unbekannten.

Ida verschlief diesen ganzen Tag, der heilsame Schlaftrunk hatte kräftig gewürkt, sie war eben erst erwacht, als ihr Vater in der Abendämmerung [174] wieder kam. Er nöthigte sie etwas Speise zu nehmen, die er mit sich gebracht hatte, sie schien durch den Schlaf und das was sie genossen hatte, ein wenig erquickt zu seyn, und er fand sie ruhig genug, das Resultat seiner Erkundigungen zu hören.

Wir sind, sagte er, in einem Lande, in welchem der eigentliche Sitz der heimlichen Gerechtigkeit ist. Nachrichten von dem nothwendigsten zu erhalten, ist hier nicht so schwer als wir dachten. Vorladungen von dieser Art, wie die deinige, sind hier nichts ungewöhnliches; auch hat man Exempel genug von solchen, welche den heimlichen Rächern entgangen, oder von ihnen losgesprochen wurden, eine besondere Ehre haftet auf denen, welche sie unschuldig fanden. Man hatte mir eine sonderbare Geschichte eines hiesigen Edeln, eines Konrads 4 von Langen erzählt, nach welchem noch bis diese Stunde die heimliche Gerechtigkeit beyde Arme ausgestreckt hat, ohne sich seiner bemächtigen zu können.

Und stünd nicht auch mir die Flucht offen? fragte Ida. – Du kannst, darfst, und wirst nicht fliehen, sprach Münster, denn du bist unschuldig, ob Konrad es ist, weis ich nicht, und [175] wir wollen ihm denn thun lassen was ihm recht dünkt.

Ich gedachte seiner nur darum, weil mir bey Erzählung seiner Geschichte in den Sinn kam, ihn oder einen von seinen Leuten aufzusuchen, und auf die Art zu erfahren, was wir wissen müssen. Ich fand auf Nachweisung seinen Hausmeister, und o Glück, ich entdeckte in ihm meinen alten Waffengenossen, Walter, der, als wir die Berner überrumpelten, seine linke Hand verlor, und nicht länger dienen konnte. Er sagte mir der Dinge viel, und doch stockte er oft auf eine so seltsame Art, kehrte hier und da so schleunig um, daß ich nicht recht wußte, wie ich mit ihm dran war. Ritter und Knecht, Edle und Bürger, sprach er, sind in den Diensten des geheimen Gerichts. Sollte er vielleicht selbst? – doch dieses gehört nicht hieher. Er sagte mir die gewöhnliche Art, vor die Stühle des heimlichen Gerichts zu gelangen, wär durch Gewalt. Selten erschienen die Vorgeladenen auf die erste Forderung, und die, welche die zweyte und dritte abwarteten, nähm man hinweg, wo man sie fände und stellte sie vor die Unbekannten. Diejenigen, welche auf die erste Ladung erschienen, so wie meine Ida erscheinen wird, hätten den Vortheil, daß man grosse Muthmassung zu fassen pflegte, daß sie [176] unschuldig seyen, und gelinder mit ihnen verführe als mit andern. Sehr selten begäbe sich aber dieser Fall, und das einige Mittel wie Personen von dieser Art zur Gerichtsstätte kommen können, sey, sich drey Viertelstunden nach Mitternacht auf den nächsten Platz zu begeben, auf welchem vier Wege sich scheideten, da sich denn allemahl einer fänd, welcher sie mit verbundenen Augen vor die Richter führe.

Ich war so froh, so viel zu erfahren; sprach, du würdest dich auf die Art stellen und ich wolle dich begteiten. Walter sah mich scharf an. Bist du einer von ihnen? fragte er. – Ich wußte nicht was er wollte und antwortete nicht. Er faßte mich noch genauer ins Auge und sagte einige Worte zu mir, welche weder Verstand noch Zusammenhang hatten. Ich schwieg abermahls. Nun gut, sagte er nach einer Weile, begleite sie oder begleite sie nicht, es kommt drauf an, ob man es dir gestatten wird, auf allen Fall aber kannst du sicher seyn, daß sie auch ohne dich sicher an Ort und Stelle kommen wird! das weitere hängt von ihrer Unschuld ab.

Ich weis nicht, was für Beruhigung in Münsters räthselhafter Erzählung lag, genug, Ida fand sich nach Anhörung derselben etwas getröstet. Sie konnte gelaßner von ihrem Schicksal sprechen, konnte Entschliessungen fassen, und vermochte über [177] die Dunkelheit hinaus zu blicken, die sich vor ihr ausbreitete. Daß sie diese schreckliche Dinge überstehen, sich gerechtfertigt sehen, wieder solche Tage verleben könne, dünkte ihr nicht mehr unmöglich, und Münster bemühte sich, jede ihrer Hofnungen zu stärken, keine, auch die schwankenste nicht, anzutasten.

Vielleicht, daß würklich einige Winke in dem, was sie gehört hatte, Grund zu Hoffnungen darboten, vielleicht auch daß es ihr so ging wie den meisten Unglücklichen, welche nur von dem ersten Sturm zu Boden geworfen werden, und sich in der Folge, wenn ihnen das Schreckbild bekannter wird, besser fassen lernen! – Oder giebt es vielleicht gute Geister, die ihren Erwählten zur Stunde des tiefsten Schmerzens einen Tropfen himmlischen Trostes in den Leidensbecher mischen!

Dem sey wie ihm wolle; genug, Ida war ruhig, und schlief diese Nacht an der Seite des sie bewachenden Vaters den sanften unerkünstelten Schlummer der Unschuld. Auch der drauf folgende Tag, der letzte vor der entscheidenden Nacht, ging leidlich vorüber, nur gegen den Abend fing das unglückliche Mädchen an unruhig zu werden. Es war in den damahligen Zeiten Sitte, da Trost zu suchen, wo man ihn jetzt nicht mehr zu finden weis. Münster schlug einen Kirchgang vor. Gern willigte Ida ein; man besuchte ein [178] Gotteshaus, welches von Pater Johannes Klosterkirche weit entfernt war, und kehrte getröstet zurück. Eine sparsame Mahlzeit von dem, was die Vorsorge des Alten verschaft hatte, und ein Trunk Wein labte die Ermatteten. Sie waren so ruhig als vielleicht keiner ihrer Feinde geglaubt, keiner ihnen gegönnt hätte. So gar ein gewisser Grad von Fröhlichkeit fand in der Unterhaltung der beyden Leidenden statt. – Gott! rief Ida mit einem lächelnden gen Himmel gewandten Blicke, ich habe dich um Gelegenheit meine Unschuld zu beweisen angefleht; ohne zu bedenken, daß sie schon in meinen Händen ist. Walter sagte, man sey geneigt, die Unschuld dererjenigen zu muthmasen, welche sich auf die erste Vorladung stellten. Ich komme, ich komme meine Richter, so bald ihr mich ruft! Meine Willigkeit meine Freudigkeit wird euch eine Bestätigung dessen seyn, was ich euch antworten will, ach ihr werdet mich lossprechen, sobald ihr mich erblicket!

Münster nährte diese glückliche Laune so viel er vermochte. Die Zeit verstrich, die Mitternachtsstunde schlug, beyde hörten es ohne einander zu mahnen. Das Gespräch ward kalt, man schwieg endlich gar. – Wie mein Herz schlägt, sprach Ida, und legte die Hand auf die Brust. – Was mag die Uhr seyn? – Wenn der Mond gerad über dem Thurme steht, ists eine halbe [179] Stunde nach Mitternacht, antwortete Münster, welcher ans Fenster getreten war.

Ida ging unruhig auf und ab. Wie steht der Mond? fragte sie nach einer Weile. – Er steht – ich wollte, du nähmst deinen Schleyer, und wir gingen, erwiederte er. – O Gott! Gott! rief sie und sank auf die Knie. Jetzt schon? Jetzt? –

Sie betete im stillen, und Münster begleitete ihre Seufzer mit den seinigen. Sie stand auf! wir wollen gehen, sprach sie, indem sie sich verhüllte.

Schweigend wallten sie durch manche lange Straße. Idas Knie zitterten vor Frost, indeß ihre Wangen mit dem höchsten Purpur glühten.

Dort jener Platz! stammelte sie, nicht wahr, dort, mein Vater? – Jetzt standen sie an der großen Thür der Bartholomäuskirche. Vier tiefe Straßen zogen sich von da nach den äußersten Enden der Stadt hinab, der Platz um sie her war hell vom Mondlicht, auf der Ferne ruhte tiefes Dunkel. Da kam aus der Dämmerung gegen sie ein Mann herauf, den die täuschende Nacht und Idas Angst zum Riesen vergrößerte. Ein schwarzes Gewand verhüllte ihn um und um, nur die Augen waren sichtbar. Er nahte sich langsam. Wer seyd ihr? murmelte er mit unkenntlicher Stimme. Ida Münsterinn und ihr Vater, war die Antwort.

[180] Die erste suche ich, der andere kann sich entfernen.

Ich entferne mich nicht, ich begleite sie auf jedem ihrer Schritte.

Begleitest du sie? – wir wollen sehen! Wie nennst du diese vier Straßen, auf welche ich deute? Jene im Mondglanze nenne ich 5 Feuer, die dort in der Dämmerung, Eisen, und die beyden übrigen, wie heißen sie?

Münster erstaunte vor dem Unsinn, den er hörte. –

Nun so geh, rief der Vermummte, du taugst nicht für uns!

Euch verlassen, Vater? euch verlassen? schluchzte Ida. – Der Unbekannte riß sie aus seinen Armen, und stieß ihn mit einiger Heftigkeit zurück. – Geh doch nur, sprach er mit einer Stimme, die zu sanft für die Handlung war, welche sie begleitete, du kannst mir das Mädchen sicher anvertrauen.

Was war das für eine Stimme? rief Münster, indem er sich unter das Kirchthor setzte. Mich dünkt, ich soll sie kennen. – Ida ward indessen von ihrem Führer fortgerissen, der sich noch einige [181] mahl nach Münstern umsah, ihm winkte sich zu entfernen, und bald darauf aus seinen Augen verschwand.

20. Kapitel. Ida erzählt
Zwanzigstes Kapitel.
Ida erzählt.

Lieber Leser, gern erlauben wir dir, die unschuldig Verklagte vor Gericht zu begleiten, aber dürfen wir es wagen dich an einen Ort zu führen, den noch kein profanes Auge sah? Setze dich lieber mit dem ehrlichen Vater Münster unter das Thor der Bartholomäuskirche, siehe, der Mond ist untergegangen, die Morgenröthe dämmert dort hervor, wir müssen bald etwas von Ida hören.

Münster war so gewiß von der Unschuld seiner so genannten Tochter überzeugt, als du und ich es nimmermehr seyn können – Walter hatte ihn des vorigen Tages versichert, daß er Ida nimmermehr wiedersehen würde, wenn sie schuldig befunden würde, weil die Rächer Gottes Urtheil und Vollziehung unmittelbar zu verbinden pflegten, aber, setzte er hinzu, glaube auch im Gegentheile, daß, wenn nur etwas ist, das ihre Unschuld zu erweisen scheint, sie dir von dem, dem du sie des Nachts überliefertest, am Morgen sicher wieder zugeführt werden wird.

[182] Münsters Zutrauen in Idas Unschuld, in Walters Worte, und in die Gerechtigkeit der heimlichen Richter war gleich groß, er wartete ruhig bis zur Morgenstunde, und durfte nicht lange warten, denn ehe noch die Bewohner der umliegenden Häuser erwachten, lag Ida schon wieder in seinen Armen.

Du bist mein? bist wieder mein? rief er, bist unschuldig?

Das bin ich, bey Gott meinem Richter sey es geschworen, obgleich noch niemand mich dafür erkennen will. – Ach eure Ida ist euch nur auf kurze Zeit wieder geschenkt. Das Rachschwerd hängt noch an einem dünnen Faden über meinem Haupte. Ich soll mich entschuldigen! Gott wie kann ich es, da aller Anschein wider mich ist!

Ida vermochte vor Thränen nicht weiter zu reden, man trat den Weg nach Hause stillschweigend an. – Das Mädchen setzte sich athemlos nieder, stützte sich auf den Arm und trocknete die Thränen unter dem Schleyer.

Erzähle mir, mein Kind, ich bitte dich, sage mir alles, rief der Alte mit bittendem Blick.

Daß muß ich auch, erwiederte sie, denn ich werde nicht lange bey euch seyn, man hat mir aus besonderer Gnade vergönnt, bis zu Austrag meiner Sache, meinen Aufenthalt bey den Ursulinerinnen zu nehmen, und ich vermuthe, man [183] wird mich bald abholen. – Trauret nicht mein theurer Vater, es ist euch erlaubt, mich dort zu besuchen, ich habe darum gebeten.

Münster drückte ihre Hand, und bat sie, ihre Erzählung anzufangen.

Wie soll ich euch beschreiben, sprach sie, wie mir zu Muthe war, als mich mein Führer von euch riß? Ich glaubte zu sterben. Und doch wars, als wenn ein gewisses etwas mir Trost zuflüsterte, der Vermummte, ihr habt es selbst gesehen, hatte nichts menschenfeindliches und grausames in seinem Betragen; seine Stimme war sanft, ich sah beym Mondenlicht in seinem Auge eine Thräne blinken, und was mir ganz besondere Gedanken machte, als er mich so dahin führte, so ward ich gewahr, daß ihm die linke Hand fehle. Sollte es etwa euer Freund, der treuherzige Walter gewesen seyn?

O Walter! Walter! rief Münster, gewiß er war es, denn jetzt besinne ich mich auch auf seine Stimme.

Mir war dies tröstlich, fuhr Ida fort, so war ich doch nicht ganz unter Unbekannten, und ihr hattet mir immer so viel gutes von diesem Walter, diesem alten Helden erzählt, daß ich mich an seinem Arm sicher dünkte. Wir hatten uns etwa eine Straße lang entfernt, als er mir eine dicke Hülle über das Gesicht warf, welche mir es [184] unmöglich machte den Weg, den wir nahmen, zu unterscheiden; er dauerte lang, gieng über Stock und Stein, Berg auf, Berg ab, durch Gegenden wo mich frische Feldluft anhauchte, und durch weite schallende Gewölbe. Wir stiegen endlich dreyßig Stufen hinab, die ich, ich weis nicht warum sorgfältig zählte, meine Hülle ward mir abgenommen, und ich sah mich in einem düstern dämmernden Orte, wo ich anfangs nichts unterscheiden konnte. Mein Führer erlaubte mir, mich, weil ich sehr ermüdet war, auf einen Stein zu setzen. Mein Gesicht gewöhnte sich nach und nach an die Helligkeit des Orts, ich sah, daß ich an dem Eingang zu einem weiten Platze saß, von dem ich nicht weiß, ob ich ihn Gebäude oder freye Gegend nennen soll, denn rund um her, so weit meine Augen reichten, erblickte ich hohe Mauern, und über mir den gestirnten Himmel. In der Ferne webten bey dem Schimmer einiger Kerzen, welche den weiten Ort, so zahlreich sie auch waren, nur schwach erleuchteten, dunkle menschliche Gestalten, deren einige sich nahten, und sich zu meinem Führer gesellten; sie waren alle vermummt wie er, auch fand unter ihnen keine andere Unterredung als mit Zeichen und halben Worten statt, die Stille rund um her war bey der Versammlung, die mich immer größer dünkte, und sich meinen Augen bis in die Hunderte vermehrte, unbegreiflich;[185] von meiner Seite ward sie durch nichts als Weinen und Schluchzen unterbrochen.

Auf einmal hörte ich den dumpfen Schall einer Glocke, sie ward dreymal angeschlagen, und mir bebte das Herz bey dem fürchterlichen Laut. Der Schauplatz ward heller, ich erblickte rund umher auf schwarzbekleideten Stühlen eine zahllose Menge schwarzvermummter Gestalten, von welchen mir mein Führer sagte, daß sie meine Richter wären. Ihr werdet diesen Augenblick gefordert werden, sagte er heimlich, bereitet euch, wenn ihr unschuldig seyd, mit gutem Muth hervor zu treten. – Legt den Schleyer ab, flüsterte er nach einer Weile, ihr müßt mit offenem Gesicht erscheinen.

Er hatte noch nicht ganz ausgeredet, als eine Stimme mit gräßlichem Ton zu rufen begann:

Ida Münsterinn! Ida! Ida! Zauberinn! Mörderinn! Hochverrätherinn! erscheine! wir die heimlichen Rächer des unsichtbaren Gottes, laden dich vor Gottes Gericht! Erscheine! erscheine!

Man kann sich nichts entsetzlichers denken, als die Wiederholung der Worte, die mir hier nicht zum ersten mahle vorkamen. Mein Herz empörte sich, daß Bewustseyn meiner Unschuld hob mich hoch empor. Ich stand aufgerichtet und schaute kühn in die Versammlung, ohne einen Fuß zu regen. Ich kann auf keine solche Ladung erscheinen, rief ich mit einer Stimme, welche die Heftigkeit des [186] Affekts stärkte. Mein Name ist Ida, aber ich bin keine Verbrecherinn!

Tritt hervor, rief der, welchen ich vor dem Oberrichter halten mußte, vom Thron herab, und höre, was die Kläger klagen und die Zeugen wider dich zeugen.

Ich trat hervor und sank auf meine Knie. Ich schwöre bey dem der ewig lebt, rief ich mit starker Stimme, daß ich keine Zauberinn, keine Mörderinn, keine Hochverrätherinn bin, daß es falsch sey, was diese Kläger klagen, und die Zeugen zeugen!

Das Gericht hub an, aber, o mein Vater, wie soll ich euch erzählen, was mir aufgebürdet wurde! Ists möglich, daß man die geringsten Kleinigkeiten zu Verbrechen, oder wenigstens zu Kennzeichen des Verbrechens machen kann?

Die Locke meiner geliebten Kaiserinn war das erste, wessen gedacht ward, ach ich mußte sie hingeben, die goldne Schnur ist leer! – Daß man dieses geliebte Andenken in meinem Busen fand, war einer der Hauptbeweise wider mich. Es klebte Blut an meinem Schleyer, ihr wißt, daß ich gestern Abend in der Dunkelheit mir die Wange verletzte, dieses mußte der mit dem Blut der Kaiserinn gefärbte Schleyer seyn, den ich an ihrem Vermählungsfeste brauchte die kleine Wunde, die sie sich von ohngefehr gab, zu trocknen.[187] Man fragte mich, aus was für Absicht ich diese Dinge an mir trüge? Ob ich nicht einst zu einer Freundinn gesagt habe, so lange Sophiens Locke auf meinem Herzen ruhte, müsse mir die Kaiserinn hold seyn? Ob ich nicht das Herz dieser Dame dermassen bezaubert hätte, daß sie keinen Tag ohne mich und mein Harfenspiel seyn könne; daß sie noch jetzt in ihrer Krankheit bekannt habe, sie könne ohne mich weder leben noch sterben?

Hat sie dieses gesagt? rief ich im Ton des Entzückens, o die unvergleichliche Dame! o daß ich sie nur noch einmahl sehen, daß ich, wenn ich sterben muß, nur zu ihren Füßen sterben könnte! Man gebot mir zu schweigen, und das Fragen dauerte fort. Woher die Reichthümer meiner Eltern kämen, nachdem sie durch den Brand wie bekannt um all' ihre Habe gekommen wären? Durch welche zauberische Mittel ich erfahren habe, daß dieses verheerende Feuer auskommen werde, und warum ich so gottlos gewesen, die Stadt nicht zu warnen, ja nicht einmahl auch meine Eltern zu retten, sondern boshafter Weise euch verlassen habe, und nur allein dem Unglück aus dem Wege gegangen seye. Wohin der Herrmann von Unna gekommen, den ich durch meine Zaubereyen in mich verliebt gemacht, denn des Verstandes beraubt habe, so daß er drey Tage lang [188] sinnlos im Lande herumgelaufen, und dann wahrscheinlich durch mich getödet wär.

Herrmanns Erwehnung machte, daß ich ohne Besinnung zur Erde sank, man erquickte mich, und ich fing an laut über Herrmanns Tod zu klagen; o Gott, wenn es wahr, wenn Herrmann tod seyn sollte!

Ida brach in Thränen aus, und es dauerte lang, ehe Münster sie durch die Versicherung: Herrmann habe ihm kürzlich geschrieben, zufrieden sprechen konnte.

Die Anklagen, fuhr Ida fort, wurden immer entsetzlicher. Auch der italiänische Prinz, welcher der Prinzeßinn von Ratibor untreu ward, und den ich durch Zauberkünste in mein Netz gezogen haben sollte, kam an die Reihe, und zuletzt das schrecklichste von Allen, die unglückliche Niederkunft der Kaiserinn, und die Gefahr, in welcher sie noch jetzt schwebt.

Gott weis, was ich auf alle diese Dinge sagte, aber ich, die ich mich für so schwach, so verzagt hielt, fühlte übernatürliche Stärke, ich schwieg auf keinen dieser Artikel, ich sprach wenig und mit Bescheidenheit, aber was ich sprach, mußte Nachdruck haben, denn ich brachte meine Kläger verschiedenemahl zum Schweigen. Der Himmel über uns fing an zu dämmern, die Hähne krähten [189] in der Ferne und verkündigten den Tag, und auf einmahl erhub sich die ganze Versammlung.

Ida, rief der Richter vom Throne, noch immer droht dir das Schwerd, wofern du nicht binnen ein und zwanzig Tagen unumstößliche Beweise deiner Unschuld darlegst; deine Bereitwilligkeit auf die erste Ladung zu erscheinen, macht, daß wir dich jetzt in Frieden ziehen lassen, aber denke auf keine Flucht, unser Auge und unser Arm ist überall, wie die Gegenwart des Allsehenden!

Ich warf mich vor dem Thron nieder und bat um Zuflucht in einem Nonnenkloster, meine Bitte ward mir gewährt, und mir auch noch überdies wegen meines Geschlechts und meiner Jugend eine ausserordentliche Begnadigung zugesprochen, welche mir nicht genannt ward.

Man verhüllte mich von neuem und führte mich ab, ich bat unterwegens meinen Führer, er möchte für mich bitten, daß ich zu den Ursulinerinnen, die ich immer gern zu besuchen pflegte, geschickt würde, und euch daselbst sehen dürfte, und er versicherte mich, daß er mir dieses für sich selbst versprechen könne, weil man ihm Dinge von dieser Art ganz zu überlassen pflegte. Ich wollte noch mehr mit ihm sprechen, aber er ward wieder so stumm wie des vorigen Abends; an der Ecke der Strasse verließ er mich, vermuthlich um nicht von euch beym Tageslicht [190] erkannt zu werden und zeigte mir euch von weitem wie ihr meiner, unter dem Bartholomäusthore wartetet.

O Ida, rief Münster, als sie endete, sey getrost! mich dünkt deine Sache geht gut, und über dieses hoffe ich heute noch einen andern Schritt zu deiner Rettung zu thun, den mir bisher die Abwesenheit der Person, auf welche ich hoffe, unmöglich machte. Ich wandte mich am Morgen deiner Anklage, ehe ich dich noch gesehen hatte, an den Grafen von Würtemberg, ich hatte ihm wichtige Dinge zu sagen, welche dir würden genützt haben, aber man wieß mich zurück, unter dem Vorwand, er wär verreist und würde unter dreyen Tagen nicht wieder kommen; diese drey Tage sind vorbey und ich eile unmittelbar, nachdem man dich zu den Nonnen gebracht hat, zu ihm.

O vergebliche Mühe! rief das Mädchen, auch ich wandte mich an ihn, weil er sich immer vorzüglich gnädig gegen mich erzeigt hat, aber auch er wies mich zurück. Er ist vielleicht auch nicht einmahl würklich abwesend gewesen, hat nur keine Vorbitte für mich hören, euch nur darum nicht sehen wollen, weil ihr mein Vater seyd!

Du sagtest, er habe sich gnädig gegen dich erwiesen? fragte Münster nach einem tiefen Stillschweigen, was that er dir, das den Namen Gnade verdient?

[191] O ihr wißt ja, daß man das kleinste Lächeln der Grossen Gnade nennen muß, und zu der Zeit, da alles mir lachte, pflegte auch er mir zu lächeln. Ich erinnere mich noch, als er mich das erstemahl im Kabinet der Kaiserinn sahe, daß er mich vor allen andern auszeichnete, sich mir mit einer Achtung näherte, welche mich würklich beschämte, und als die Ratibor, wie gewöhnlich, gleich mit meinem Namen, ach diesem theuren Namen, den ich immer für meine Ehre halten werde, hervortrat, um meinen Bürgerstand nicht in Vergessenheit zu bringen, so schien der Graf dadurch nur desto aufmerksamer zu werden. Münsterinn? wiederholte er, Ida Münsterinn? – Der Name Ida ist Musik in meinen Ohren, er erinnert mich an meine, ach längst verstorbene Gemahlin. Die Oberhofmeisterinn trat mit der Bemerkung hervor, man sähe den Stolz meiner Eltern schon daraus, das sie mir einen fürstlichen Namen gegeben hätten, aber der Graf kehrte sich hieran nicht, er zog mich zu sich und küßte mich liebreich auf die Wange. Es ist mir lieb, sagte er lächelnd, daß du ein Bürgermädchen bist, bey einer Dame dürfte ich keine solche Aeusserung meines Wohlgefallens wagen. Die Prinzeßinn von Ratibor, die neben mir stand, sah mich verächtlich an, und ihr Blick [192] sagte mir, daß sie die Rede des alten Grafen mir für schimpflich hielt, aber ich war zu einfältig, zu gemein, um dieses zu finden, ich küßte die Hand des ehrwürdigen Greises, und erhielt zu meiner Beschämung noch einen Kuß auf die Stirne. – Von der Zeit an fragte er immer nach mir, nennte mich seine Ida, fragte nach meinen Eltern, sagte, es sey einmahl ein Münster, ein braver Mann in seinen Diensten gewesen, und was der kleinen Verbindlichkeiten mehr waren, welche der Geringe dem Großen so hoch anrechnet. – Ich dachte oft an ihm einen würklichen Gönner zu haben, aber freylich, jetzt in meiner Bedrängniß habe ichs erfahren, daß ich mich irrte.

Münster schwieg auf Idas Reden, auch hatte er keine Zeit zu langen Erwiederungen gehabt, denn in dem Augenblicke kam man das junge Mädchen in das Kloster, das sie sich gewählt hatte, abzuholen. Vater und Tochter nahmen treuherzigen Abschied, und versprachen sich einander bald wieder zu sehen.

21. Kapitel. Nie ist die Unschuld ohne Freunde
Ein und zwanzigstes Kapitel.
Nie ist die Unschuld ohne Freunde.

Münster erschien gleich des andern Tages an dem Sprachgitter der Ursulinerinnen. Ich habe [193] dir seltsame Dinge zu erzählen, sprach er zu Ida, lies dieses Blatt, dergleichen man heute fast an allen öffentlichen Gebäuden angeheftet sieht.

Ida las: »Wir die heimlichen Richter des Verbrechens und die Retter der Unschuld wenden uns gegen die vier Enden der Erde, und rufen: Ist jemand, welcher es wagt, die verklagte Ida zu vertheidigen, der komme!«

Gott! Gott! schrie Ida und hielt den Zettel in den gefalteten Händen in die Höhe, ich fühle es, du verlässest mich nicht ganz! du wirst mich retten!

Ich war bey meinem Freund Walter, fuhr Münster fort, und zeigte ihm dieses Blatt, er lächelte und versicherte, dies sey eine ausserordentliche Gnade, deren du dich zu rühmen habest, es sey fast unerhört, daß man einem auf diese Art Beklagten, einen Vertheidiger zugelassen, vielweniger daß man die ganze Welt gleichsam zu seiner Rettung aufgefordert habe. Ich sagte ihm meinen Entschluß, auf diese Forderung zu erscheinen und die Beweise deiner Unschuld auf mich zu nehmen, aber er schüttelte den Kopf: wäret ihr, sagte er, einer von den Beysitzern des heimlichen Gerichts und könntet auftreten und sagen: Ich schwöre, unsern fürchterlichen Eid, meine Tochter ist unschuldig, so möchte dies wohl von grossem Gewicht, möchte wohl nicht viel geringer als völlige [194] Lossprechung seyn, aber ausserdem gilt euer Wort so viel als nichts. Weder Vater, noch Gatte noch Bruder, noch einiger anderer Verwandter, dafern er ein Profaner ist, darf im heimlichen Gericht die Vertheidigung des Beklagten führen, sondern in den wenigen Fällen, da Vertheidigung zugelassen wird, muß ein Fremder erscheinen und die Sache des Verbrechers führen, und um die Erscheinung eines solchen möglich zu machen, wird die Zeit des zweyten Gerichts, wie eurer Tochter wiederfuhr, auf ein und zwanzig Tage verschoben. – Wiederfuhr? fragte ich, du sprichst von der Sache, als wenn du gegenwärtig gewesen wärest; sollte ich mich würklich nicht geirrt haben, solltest du würklich. –

Walter unterbrach mich mit Unwillen ohne meine Frage zu beantworten, er trieb mich von sich und bat mich nie wieder zu kommen, wenn ich auf diese Art mit ihm sprechen wollte.

Von ihm ging ich zu dem Grafen von Würtemberg, es ging mir wie du vermuthet hattest. Ich ward abgewiesen, und noch muß ich, ich muß mit ihm sprechen. Es ist mir ein Mittel eingefallen, durch welches ich Zutritt bey ihm erlangen könnte. Du weißt die goldne Kette, die ich dir an deinem zehnten Geburtstage schenkte, ich habe sie – er gab – ich – genug, es hat eine gewisse Bewandniß mit diesem Kleinod, und ich[195] glaube, ich werde nicht wieder abgewiesen werden, wenn ich ihm dasselbe zuschicke, und ihn dabey an gewisse Dinge erinnern lasse. – Wolltest du mir wohl diesen Schmuck, der dir jetzt sehr entbehrlich ist, überlassen? er soll dir herrlicher als du denkst ersetzt werden. – Wie? du erschrickst? – solltest du dieses wichtige Kleinod verloren haben? – sollte etwa bey jenem Brande, der uns um unser Vermögen brachte? – Doch nein! deine Mutter versicherte mich, als ich einst ernstlich darnach fragte, es sey gerettet, du habest es bey deinem damahligen Kirchgange getragen! – Sprich Ida? was soll ich denken? – Ich versichere dich, die Sache ist keine Kleinigkeit!

Mein Vater, rief die erschrockene Ida, ich – meine Mutter – genug die Kette ist nicht mehr in meinen Händen! – Herrmann von Unna bekam sie einst, als er – –

Unvorsichtiges Mädchen! schrie Münster, du hast dein Glück aus den Händen gegeben. – Und mein Weib! – Gott wie konnte sie? – Herrmann hat das Kleinod? – o daß ich ihn zu finden, es ihm zu entreissen wüßte, es wär im Stande jetzt dein Leben zu retten!

Münster tobte noch eine Weile auf diese Art. Ida bat, fragte, suchte ihn zu besänftigen, aber umsonst! Sie bot ihm einen Ring, den sie mit der Kette zugleich von ihm erhielt, er stieß [196] ihn von sich, und sagte, er sey ohne seine Gefährtinn die Kette ohne Nutzen. Ida weinte und bat um Erklärung dieser räthselhaften Dinge, er riß sich von ihr loß, und verließ sie das erstemahl in seinem Leben mit allen Merkmahlen des Unwillens. –

Da Ida sich nicht vorstellen konnte, was der Verlust einer solchen Kleinigkeit, als ihrer ernsten Seele ein Stück weiblichen Schmuckes war, auf sich haben könne, so schlug sie es bald aus dem Sinne, und trauerte nur über den Unwillen ihres Vaters, den sie doch bey seinem nächsten Besuche schnell zu heben dachte; sie wußte, wie sehr sie von ihm geliebt ward, wie viel ihre Bitten, ihre Thränen über ihn vermochten. – Aber vergebens sah sie ihm diesen und die beyden folgenden Tage entgegen. Sie ward unruhig, sie erhielt bey der Oberinn des Klosters, welche ihr geneigt war, die Vergünstigung nach ihm in seiner bisherigen Wohnung fragen zu lassen. – Seine Zimmer waren verschlossen, niemand hatte ihn gesehen. Man schickte zu Waltern; die Antwort war, er habe ihn das letzte mahl ein wenig unfreundlich von sich gewiesen, und dies müsse ihn beleidigt haben, er sey seit dem nicht wieder gekommen. –

Was für Nachrichten für Ida! brauchte sie wohl noch neuen Stoff zur Bekümmerniß? – Von den ein und zwanzig Tagen bis zu dem nächsten [197] Vorbescheid vor den furchtbaren Gericht waren bereits viere vergangen, die übrigen verschlichen unter tausenderley Beängstigungen bis auf einen, und in diesem Einen sollte sie nun herbeyschaffen, was sie in so vielen nicht vermocht hatte, sollte unumstößliche Beweise ihrer Unschuld darlegen oder sterben! Schrecklicher Zustand des armen Mädchens! Es schien als wenn alles, worauf sie einigen Trost baute, vernichtet werden sollte. Sie hörte von der Wiedergenesung der Kaiserinn, sie konnte denken, daß diese von ihrem Unglück nichts, oder nur unvollkommen wissen würde, sie konnte hoffen, daß, wüßte sie dasselbe, sie alles für sie thun würde; aber so sinnreich auch die Nonnen, ihre Freundinnen, waren, Mittel zu erdenken, vor die Monarchinn zu kommen, so schlug doch alles fehl, und da am Ende der letzte entscheidende Tag anbrach, da sie sich überzeugen mußte, daß für sie in der Hauptsache nichts mehr zu thun sey, als ihrer Unschuld zu trauen, so quälte sie noch die Sorge, wie sie vor das Gericht kommen sollte, das ihr in der künftigen Nacht bevorstand. – Auszubleiben war wider ihre Ehre und ihre Grundsätze, allein, ohne Führer sich an dem bestimmten Orte einzustellen, unanständig und gefährlich. Was sollte sie thun? Man ging im Kloster ernstlich darüber [198] zu Rathe, und die gutherzige Oberinn erlaubte, daß der alte Walter herbey gerufen und gebeten wurde, diese Nacht bey der Tochter seines Freundes Vaterstelle zu vertreten.

Der Greis gerieth bey diesem Anmuthen in die augenscheinlichste Verwirrung, er veränderte die Farbe, wollte reden, stammelte, stampfte endlich voll Unwillen mit dem Fuß, und schrie, man sollte aufhören ihn mit unmöglichen Dingen zu quälen. Mit diesen Worten verschwand er, und hinterließ Ida und die Klosterjungfern in der äußersten Bestürzung.

Unter Weinen und Beten kam die Nacht heran. Man hatte Ida allein gelassen, und bey der Domina ward großer Rath gepflogen. Es ist unmöglich, sagte die gutherzige Alte, das Mädchen ihrem Schicksale zu überlassen. Ich wollte es wagen auf das Bild der heiligen Jungfrau zu schwören, daß sie unschuldig ist, daß sie für unschuldig erkannt werden wird; sollten wir denn so grausam seyn, sie einem Verderben anderer Art entgegen gehen zu lassen? Sie ist schön, wie ihr und ich in unsern bessern Jahren; wenn es in der Welt noch so zugeht wie zu meiner Zeit, so droht ihr auf dem kleinsten Wege unausbleibliche Gefahr, sie wird irgend einem laurenden jungen Wüstlinge in die Hände fallen, und für unser Kloster verloren seyn, welches doch, es gehe wie es [199] wolle, einst ihre Zuflucht werden wird, was sollen wir thun Schwestern? was sollen wir thun? Wärs wohl Verletzung unserer heiligen Regel, sie bis an den Ort ihrer Bestimmung zu begleiten? Ich nebst den vier ältesten aus der Schwesterschaft übernehme dies Werk, und –

Es war der heiligen Frau unmöglich zu enden, ein lauter Beyfall unterbrach ihre Worte. Die Liebe zu der holdseeligen Ida, die sie, ich weis selbst nicht warum, als eine künftige Mitschwester ansahen, oder das Verlangen, einmahl den Fuß aus den ängstlichen Klostermauren zu setzen, machte, daß man sich, (ein seltner Streit unter alternden Jungfern) um den Vorzug der Jahre stritt, und daß die Domina, um Friede zu erhalten, genöthigt war, dem ältern Theil ihrer Fräuleins, aus welchen ihr Rath bestand, ohne Ausschluß einer einigen, die Bestehung dieses Abentheuers zu gestatten. – Eine allgemeine Freude erhob sich unter ihnen, und es ward augenblicklich eine Gesandtschaft an die angstvolle Ida abgeschickt, ihr den Schluß des Konvents kund zu thun.

Sie war entzückt über die außerordentliche Probe der Achtung, die sie erhielt, die lebhafteste Dankbarkeit durchströmte ihr Herz, und es schwebte ein Gelübde auf ihren Lippen, welches mit lauter Freude von den Nonnen, welche schon darauf rechneten, würde aufgenommen worden seyn, und [200] das nur durch Dazwischenkunft irgend eines Zufalls konnte zurück gehalten werden. Die Mitternachtsstunde schlug, der Weg nach dem Bartholomäuskirchhofe war weit, man durfte sich nicht aufhalten, so gar die feyerliche Einsegnung in der Klosterkirche, die man zu diesem großen Schritte für nöthig gehalten hatte, und die gewiß in dem Herzen der frommen Ida irgend ein unglückliches Angelöbnis hätte hervorlocken können, mußte unterbleiben. Man nahm eilig die Schleyer, visitirte in der Geschwindigkeit ein wenig die Zellen der jüngern Nonnen, damit keine sich unter der Hand der Vorrechte der ältern theilhaftig machte, wallte die langen schallenden Klostergänge hindurch, öfnete das Thor und that mit Herzklopfen den Schritt aus den geheiligten Mauern in die Welt.

Auch Idas Herz klopfte, sie ging mit ihren ehrwürdigen Begleiterinnen in dämmernden Sternenlichte den Weg, den sie schon einmahl an der Hand ihres Vaters gegangen war. Die Domina, an deren Seite sie wandelte, überhäufte sie mit Tröstungen und frommen Betrachtungen, aber das Stillschweigen, unter welchen ehemals Münster diesen traurigen Gang mit ihr that, war ihrem Zustande angemeßner, und sie hätte viel darum gegeben, auch jetzt still und ungestört weinen zu dürfen.

[201] Endlich langte man an dem Ort der Bestimmung an. Ihr vermummter Führer, der ihrer bereits wartete, stutzte, sie in so großer Begleitung kommen zu sehen; doch schien die Gegenwart der heiligen Frauen einen vortheilhaften Eindruck auf ihn zu machen; er beugte sich tief vor ihnen, ließ der weinenden Ida Zeit, sich mit ihnen zu letzen, bot ihr dann freundlich den rechten Arm, und entfernte sich langsam unter öfterm Zurücksehen nach den Nonnen, welche ihn neugierig mit den Augen verfolgten. – Als sie um eine Ecke kamen und ihr Begleiter ihr die dichte Hülle überwarf, vermißte sie abermahls seine linke Hand. Ach rief sie, warum wollt ihr mir doch verbergen, daß ihr Walter seyd! es würde mir so tröstlich seyn, es zu wissen, daß ich an der Hand eines Bekannten, eines wackern redlichen Mannes gehe! – Ein unverständliches Murmeln, in welchem Ida nur den Ton des Unwillens unterscheiden konnte, beantwortete diese Rede. Beyde schwiegen, und man kam, wie ihr dünkte, weit eher als das vorige mahl an Ort und Stelle.

Auch kam ihr der Ort, wohin man sie brachte, anders vor als vorhin, die Decke, der funkelnde Sternhimmel, war die nehmliche, aber den Umkreis bezogen nicht hohe ängstliche Mauren, sondern das Auge hatte, von allen Seiten, so viel die falbe Dämmerung erlaubte, eine freye Aussicht, [202] die nur von der Seite, woher Ida kam, durch dichte Gesträuche und auf der entgegen gesetzten vermuthlich auf eben die Art begränzt war, unter ihren Füßen fühlte Ida weichen Rasen, und es ward ihr aus einigen Umständen wahr scheinlich, daß sie sich in einer ausgeholzten Gegend eines ihr wohlbekannten Waldes befand; welches wohl seyn konnte, denn ein jeder Ort mochte (wie einige alte Schriften sagen) zu Hegung des Vehmgerichts taugen, wenn er nur heimlich und hehr war.

Die Versammlung an diesem Orte war so zahlreich als das erstemahl, aber die Erleuchtung schwächer, und die Stille wo möglich noch schauerlicher. Das Zeichen mit der Glocke ward gegeben. Die Stimme, welche Ida schon einmahl gehört hatte, erhub sich und rief:

»Wir, die Diener des unsichtbaren Gottes, der im Verborgenen richtet, wendet uns gegen die vier Enden der Erden, und rufen dir, Vertheidiger der angeklagten Ida! Erscheine!« –

Der Ruf ward dreymahl wiederholt, der Schauplatz ward heller, und Ida wollte ungefordert hervortreten. Ihr werdet heute nicht zu sprechen haben, flüsterte ihr Führer, haltet euch ruhig.

Ida sah die Versammlung der fürchterlichen Unbekannten mit frohem Muthe an, ein Gefühl von Freude und Hoffnung durchströmte ihr Herz, [203] welches zum unaussprechlichen Entzücken ward, als sich auf dem dritten Ruf eine Gestalt hervorthat, die, ungeachtet sie vermummt war, wie die andern, doch ein gewisses Etwas an sich hatte, das ihr in Idas Augen den Vorzug vor jedem der Anwesenden gab.

Der Vertheidiger der Unschuld ging langsam vorwärts und stellte sich vor den Thron des Richters. Hier! rief er, hier bin ich, tödtet mich, wenn Ida schuldig ist!

Die Hegung des Gerichts hub an. Die Fragen, welche Ida schon einmahl gehört hatte, wurden wiederholt, aber sie hörte sie nicht mit dem Schrecken wie das erstemahl, der Unbekannte wußte auf jede derselben zu antworten, und ihren Gedanken nach war ihre Unschuld völlig erwiesen, aber die Richter waren schwerer zu befriedigen. Die in jenen finstern Zeiten des Aberglaubens so verdächtige Geschichte mit der Locke blieb doch einmahl wahr, die unüberlegten Worte, welche sie zur Prinzeßinn von Ratibor gesagt hatte, waren nicht zu leugnen und zeugten wider sie. Noch war die Kaiserinn nicht völlig genesen, und Herrmann von Unna, den man hier für todt hielt, und, ich weis nicht warum, Ida seine Mörderinn nannte, war, wie man versicherte, nirgend zu finden.

[204] Der Retter der Unschuld bat, man möchte die Genesung Sophiens abwarten, und dann sie über Idas Leben entscheiden lassen, da sie, wenn Ida schuldig sey, die heftigste Beleidigung von ihr erlitten habe, und gewiß mehrere Umstände als man hier wisse, werde angeben können; aber man verwarf diese Bitte. Er erbot sich die andere Anklage wegen Herrmanns Ermordung auf der Stelle zu zernichten, aber man hies ihn schweigen, und verwieß ihn vornehmlich auf den Beweis, daß Ida keine Zauberinn sey, als welcher hier den Grund und die Hauptsache des Ganzen ausmache. – Idas Vertheidiger fühlte, wie schwer, wie unmöglich ein Beweis von dieser Art sey, er verfiel in ein dumpfes Stillschweigen, welches der Beklagten ein Vorbote des Todes war.

Nun denn, rief er endlich, ich weis, was ich übernommen habe, ich weiß, daß in diesem Gericht keiner den Beklagten vertheidigen darf, ohne wenn jener schuldig befunden wird mit ihm gleiche Strafe übernehmen zu müssen. Hier bin ich, tödtet mich denn, wenn für sie keine Rettung ist. Aber ich rufe Himmel und Erde zu Zeugen, sie ist unschuldig! und zittert! ihr Blut wird nicht ungerochen bleiben, sie ist nicht die Tochter eines geringen unbekannten Bürgers, sie ist eine Fürsten Tochter!

[205] Unter den Anwesenden erhub sich ein Geflüster, die meisten riefen, dieses sey eine Erdichtung, um den Prozeß der Beklagten ins Weite zu ziehen, sie schwuren, man dürfe ihn nicht in Freyheit lassen, bis er seine Aussage erwiesen habe. Man bemächtigte sich seiner. Ida schrie: sie tödten ihn! vor ihren Augen schwamm die ganze Versammlung in einem düstern Nebel, die Lichter verloschen, ein fürchterliches Getöß umsaußte ihre Ohren, und sie sank ohne Empfindung nieder.

22. Kapitel. Die Sonne scheint für Idas mäßige Wünsche
Zwey und zwanzigstes Kapitel.
Die Sonne scheint für Idas mäßige Wünsche fast zu hell.

Ida fieng an sich zu erholen, die Begebenheiten der vergangenen Nacht dünkten ihr ein Traum zu seyn. Sie sah um sich her, der Tag war angebrochen, und sie lag unter dem großen noch geschlossenen Thor der Bartholomäus Kirche. Sie richtete sich auf, sie wollte aufstehen, aber sie vermochte es nicht; da kam aus einer der Straßen, die sich hier scheideten, ein Mann gegen sie daher, den sie schon in der Ferne für Waltern erkannte, sie breitete die Arme nach ihm aus und nannte, so laut sie konnte, [206] seinen Namen. Er nahte sich ihr mit Eile. – Kommt, sagte er, daß ich euch wieder zu euren Nonnen bringe, doch – ich vergesse zu fragen, wie ihr hieher kommt? – Habt ihr die Vorgänge voriger Nacht vergessen? stammelte Ida, welche jetzt vermögend war sich völlig zu besinnen, mich dünkt, ihr waret sowohl gegenwärtig als ich.

Was soll das unnütze Reden, erwiederte er mit verdrüßlichem Ton. Kommt, ehe man euch hier antrift!

Gott! schrie Ida, Gott! was soll aus mit werden? sprecht, was habe ich nun zu thun? ihr wißt, daß auch meine letzte Hoffnung vernichtet ist.

Walter schwieg, und besann sich erst nach einer Weile, daß er fragen müsse, was sie meyne, wenn er seine Rolle gut spielen wolle.

Ida drang in ihn, sich ihrer zu erbarmen, sich nicht gegen sie zu verstellen, weil es ihm nie gelingen würde, sie zu überreden, daß er nicht alles wisse, und ihr am besten rathen könne. – Walter ward unwillig. Sie führte die fehlende linke Hand, und er seine Kleidung, die mit der eines Vermummten keine Aehnlichkeit hatte, zum Beweis des Behaupteten an. Ida, welcher wichtigere Sorgen auf dem Herzen lagen, schwieg endlich, und man langte vor dem Kloster an.

Es sey mir erlaubt, die Art des Empfangs bey den Ursulinerinnen, welche hoften, das unglückliche [207] Mädchen ganz gerechtfertigt wieder zu sehen, mit Stillschweigen zu übergehen. – Sie waren anfangs entrüstet, daß man derjenigen, die durch die Ehre, die sie ihr in voriger Nacht erzeigten, schon in einem vortheilhaften Lichte hätte erscheinen sollen nicht besser begegnet hatte, nach und nach schlichen sich Zweifel ein, ob Ida auch wirklich so unschuldig sey, als man sie im Kloster glaubte. Man fing an, sie zu vernachläßigen, man tröstete sie nicht mehr, sprach ihr nicht mehr in ihrer Einsamkeit zu, und es gerieth bald dahin, daß der alte Walter, welcher sie täglich am Sprachgitter besuchte, ihr einiger Trost war.

Ida wußte nicht, was sie von ihrem eignen Schicksale halten sollte, sie hatte Ursach, zu den größten Besorgnissen, und gleichwohl lag ihr das Ergehen desjenigen der sich im Gericht zu ihrem Vertheidiger aufgeworfen hatte, weit mehr am Herzen.

Meynt ihr nicht, fragte sie Waltern, daß es mein Vater ist?

Er zuckte die Achseln.

Wer wär es sonst? Wer könnte es seyn?

Ich weis nicht!

O Walter, ich beschwöre euch, ihr wißt es, sagt mir alles.

[208] Wollt ihr mich mit eurem Geschwätz von euch treiben?

So nehmt euch wenigstens meines Retters an, wenn ihr könnt, und forscht nach dem Aufenthalte meines Vaters.

Eures Vaters? kennt ihr ihn?

Ida sah ihn mit verwunderten Augen an, und wiederholte seine Frage.

Walter that noch einige, und als er aus ihren Antworten merkte, daß sie das Bekenntnis des Unbekannten von ihrer Geburt nicht verstanden habe, sich noch bis jetzt für Münsters Tochter hielt, so verfiel er wieder in sein geheimnißvolles Stillschweigen.

Ida weinte über die Härte des Alten, und dieser bat sie endlich ruhig zu seyn und alles zu hoffen. Vielleicht, setzte er hinzu, daß sich euer Schicksal in kurzem ändert.

Sehet, sagte er, als er eines Morgens zu ihr kam, sehet hier die Erfüllung meiner Weissagung. Ida hatte die Schriften der heimlichen Rächer schon zu oft gesehen, um den Zettel, den er ihr darbot, nicht sogleich zu kennen. Sie zitterte, ungeachtet der vortheilhaften Art, mit welcher er ihr ihn ankündigte, ihn zu lesen. Walter that es an ihrer Statt. Er enthielt, – Leser stelle dir das Entzücken der Unglücklichen vor – enthielt eine feyerliche Bekanntmachung ihrer Unschuld, [209] und völlige Lossprechung von allen Anklagen. Die Freude that die Würkung auf sie, welche der Schmerz schon so oft gehabt hatte. Sie kam wieder zu sich selbst um die Frage, ob dies wahr, ob es würklich möglich sey, tausendmahl zu wiederholen. Das frohe Gerücht breitete sich aus, die Nonnen eilten herbey, und Glückwünschungen, Freundschaftsversicherungen, und Bitten sie nie zu verlassen, immer eine Bewohnerinn ihres friedlichen Hauses zu bleiben, strömten auf sie zu. Ida erinnerte sich wohl, daß man ihr in den letzten Tagen oft und deutlich genug hatte zu verstehen gegeben, daß ihr Aufenthalt in diesem Kloster bey ihrer unerwiesenen Unschuld nicht lang würde dauern können, aber sie war zu glücklich um es jetzt zu ahnden; sie beantwortete die Höflichkeiten der Klosterfrauen mit ihrer gewöhnlichen Treuherzigkeit, ob sie gleich Bedenken trug, sich zum beständigen Aufenthalt an einem Orte anheischig zu machen, wo man so leicht von einem Aeussersten aufs andere fiel.

Sie konnte sich aus dem Gewirr, das sie umgab, noch nicht herausfinden, als man ihr sagte, es warte an der Klosterpforte ein Wagen, der Befehl habe, sie zum Grafen von Würtemberg zu bringen.

Ida konnte hoffen, daß so bald ihre Lossprechung kund werden würde, die alte Freundschaft [210] in den Herzen aller derer erwachen würde, welche sie bisher verlassen hatten, und es schmeichelte ihr, daß der Graf von Würtemberg, den sie immer geschätzt hatte, einer von den ersten war, welche sich ihrer wiederum erinnerten.

Sie floh in den Wagen, den er ihr sandte, sie vertiefte sich unterwegs in tausend angenehmen Träumen, hoffte bey ihm ihren Vater und ihren unbekannten Retter zu finden, durch ihn wieder bey der geliebten Kaiserinn eingeführt zu werden, und was hofft nicht eine junge Person alles, welche das kleinste Lächeln des Glücks für ein Unterpfand seiner größten Gunstbezeugungen anzunehmen geneigt ist.

Auch hatte es das Ansehen, als ob Ida von ihren Erwartungen nicht sehr getäuscht werden würde. Sie langte an, der alte Graf von Würtemberg eilte ihr selbst entgegen, und schloß sie mit einem Feuer in seine Arme, welches ihr befremdend vorgekommen seyn müßte, wenn sie in ihrer gegenwärtigen Verfassung Raum zum Ueberlegen gehabt hätte. Der Graf führte sie durch eine Reihe glänzender Hofleute, die sich vor ihr bis zur Erde beugten in sein Kabinet. Ida! Ida! rief er, und schloß sie in seine Arme, o mein weissagendes Herz, wie wahr hast du gesprochen! – Das schüchterne Mädchen fand die immer von neuem angehenden Liebkosungen von einem Fremden [211] zu groß, sie wand sich aus seinen Armen, und umfaßte seine Knie.

Gnädiger Herr, rief sie, die Herablassung, mit der sie mir begegnen, die Güte, mit welcher sie sich über mein Glück freuen, läßt mich hoffen, daß sie sich nicht weigern werden, es vollkommen zu machen. Ich wünschte meinen Retter zu sehen, um ihm danken zu können, meinen Vater wieder zu sehen, den ich verloren habe, der erste kann, denke ich, nicht weit seyn, und den andern ausfindig zu machen kann einem Fürsten, dessen Auge, dessen Arme so weit reichen, nicht schwer werden.

Deinen Retter? deinen Vater? fragte der Graf, siehe hier beydes in einer Person. Ida sah sich um, und sah, daß sie mit dem Grafen allein war, der sie von neuem in seine Arme schloß. – Sie betrachtete ihn mit verwundernden Augen und getraute sich nicht, seine Liebkosungen zu erwiedern. – Du glaubst mir nicht? dein Herz hat keine Stimme für mich? fuhr er fort. Ich bin dein Vater, sage ich dir! Sieh dieses Kleinod, das dich mir kenntlich machte. Ida erblickte in des Grafen Händen die Kette, welche sie Herrmann ehemals schenkte, und das Andenken an den geliebten Jüngling verdunkelte die Vorstellung von dem, was sie hörte, und das sie ohnedem noch nicht recht begreifen konnte, gänzlich.

[212] Der Graf sah ihre Bestürzung; du zweifelst? rief er, ich muß dich überführen, er gab ein Zeichen, eine Nebenthür that sich auf, und der alte Münster trat herein. Weder er noch der Graf waren vermögend, ein Wort vorzubringen, denn Ida sprang auf den ersten Anblick des redlichen Greises auf, und floh in seine Arme, o mein Vater! schrie sie, ists möglich, daß ich euch wieder habe? – Nein, Gräfinn, sprach Münster, indem er ihre Hand ergriff und sie zu dem Grafen führte, der mit einigem Unwillen in seinen Blicken auf der Seite stand, nein, diese Ehre ist für mich zu groß, ihr seyd die Tochter dieses Fürsten, ich war nur euer Erzieher, und wenn ich es recht sagen soll, ehemals euer Räuber. Hier, gnädiger Herr, fuhr er fort, indem er Idas linke Hand in des Grafen Rechte legte, hier seht ihr noch einen Beweis von der Wahrheit meiner Aussage. Diese Hand trägt noch das Maal, welches die Gräfinn mit auf die Welt brachte, und dieser Ring ist euch die lebhafteste Erinnerung an eure Gemahlinn, die bey der Geburt dieser Tochter das Leben einbüßte. O ich brauche keinen Beweis, rief der Graf, als mein eigen Herz und diese Züge, die meiner verstorbenen Ida so unaussprechlich gleichen, daß ich nicht weis, wie ich sie so lang verkennen konnte. Doch, ich bin immer durch eine unwiderstehliche Sympathie zu dir hingerissen [213] worden; Ida, du weists, wie mich gleich Anfangs dein bloßer Name erschütterte, wie ich dich immer, deinen Feinden zum Trotz, vor allen andern auszeichnete.

Idas Erstaunen fing an sich in Freude zu verwandeln, ihr Herz sprach für Graf Eberhardten wie das Seinige für sie, sie sank in seine Arme, sie schlang ihre Linke um seinen Nacken, indem sie die Rechte nach Münstern ausstreckte, der ihr zu theuer war, als daß irgend jemand ihm den Vorrang in ihrem Herzen hätte streitig machen können. – Auf die ersten Entzückungen der Freude folgten Erklärungen, nach denen meine Leser vielleicht so begierig seyn werden als Ida, aber wie verwirrt sind die Erläuterungen, die man in dem Gewirr mannichfaltiger Leidenschaften ertheilt und anhört! Wir müssen einen ruhigern Zeitpunkt wählen, dir, mein Leser, das Ganze dieser verwickelten Begebenheit mitzutheilen.

Ida sah mit bekümmertem Herzen, daß Münster bey weitem nicht in dem Ansehen bey dem Grafen war als bey ihr. Graf Eberhardt sah in ihm den ehemaligen Räuber seiner Tochter, sie, ihren Erzieher, ihren treuen Rathgeber, ihren Tröster zu der Zeit, da jeder mann sie verließ. Der Graf mißgönnte dem Alten jede Liebkosung, die sie ihm erwieß, und sie konnte nicht vergessen, daß sie ihn so lang hatte Vater nennen dürfen. [214] Sonderbar! ich weiß gewiß, daß manche meiner Leserinnen es nicht werden begreifen können, daß das Vergnügen, eines Fürsten Tochter zu seyn, nicht das Gefühl der Dankbarkeit und jede andere Empfindung bey Ida verdrängte; freylich war dies ein Beweis, daß sie nicht nach den Grundsätzen der großen Welt erzogen worden war.

In Idas Herzen lebte noch ein unerfüllter Wunsch, der ihr die Freude über die väterliche Zärtlichkeit des Grafen verbitterte. Sie hatte schon mehrmahl nach ihrem Vorsprecher vor dem heimlichen Gerichte gefragt und ihn zu sehen gewünscht, sie hatte ihn ihren Retter genannt und die lebhafteste Dankbarkeit gegen ihn geäußert, und allemahl hatte sie der Graf versichert, sie habe ihre Rettung niemand als ihm zu danken, welches sie zwar nach dem, was man ihr sagte, und was meine Leser mit der Zeit auch erfahren sollen, glaubte, aber doch allemal mit ihren Fragen auf den großmüthigen Unbekannten zurückkam, der doch ohne Zweifel durch seine Vorsprache den ersten Grund zu ihrer Rettung gelegt hatte. – Man hatte keine Lust, diese Frage deutlich zu beantworten, Ida schwieg und suchte ihren Verdruß zu verbergen, um die Liebe ihres neuen Vaters nicht mit Undank zu belohnen. Münster, welcher auf Idas Bitte in dem Zimmer des Grafen bleiben durfte, war zurückhaltend um keine Eifersucht zu erregen, [215] und Graf Eberhardt fand jede Liebkosung seiner Tochter kalt gegen dasjenige, was er erwartet hatte. – So ging man am Abend auseinander, froh über entflohnes Unglück und neugewonnene Freuden, und doch mit einem kleinen Dorn im Herzen, der auch bey dem größten Entzücken der Erde nie ganz fehlt.

23. Kapitel. Ein verdächtiger Besuch
Drey und zwanzigstes Kapitel.
Ein verdächtiger Besuch.

Ida bekam Befehl, den Pallast ihres Vaters nicht wieder zu verlassen, man wies ihr Zimmer an, und sie wahr froh, endlich nach einem Tage voll der seltsamsten Veränderungen, zur Ruhe und zum Nachdenken zu kommen. Sie entließ die Frauen, die man ihr zugab, sehr bald, und warf sich angekleidet auf einen Sessel, um die Geschichte des Tages von neuem zu überlegen. – Ein leises Klopfen an der Thür weckte sie aus ihrem Tiefsinn. Eine Mannsperson trat schnell herein. Sie erschrack, wollte fliehen, wollte nach ihren Leuten rufen, aber der Kommende fiel auf die Knie, faßte sie bey ihrem Gewand und bat mit einem Tone, der ihr Innerstes durchdrang, sich nicht zu übereilen. Was [216] ist das für eine Stimme? schrie Ida, und dies Gesicht? – O Herrmann! Herrmann!

Ja ich bin es, Gräfinn! sprach er. Ich bin genöthigt, zudringlich, verwegen zu seyn. Ich muß mit euch sprechen, und jetzt oder niemahls. Mit diesen Worten stand er auf, verschloß leise die Thür, und nahte sich der bleichen Ida von neuem, welche halb außer sich vor Entsetzen und Freude an das Getäfel gelehnt da stand, und nicht wußte, was sie thun sollte.

Ein Mädchen mit dem gehörigen Ceremoniel der Tugend bekannt, würde bey Herrmanns Handlungen Zorn gefühlt oder affektirt haben. Ein Liebhaber in der einsamen Mitternachtsstunde, bey verschlossenen Thüren, war in der That eine bedenkliche Sache, konnte auch dem entscheidensten guten Ruf einen Flecken anhängen. Ida dachte in der ersten freudigen Bestürzung nicht an das was ihr zukam, sie beugte sich zu Herrmann, der ihre Knie von neuem umfaßte, herab, sie breitete ihre Arme gegen ihn aus und zog sie schnell mit Erröthen zurück, um ihren Fehler wieder gut zu machen. Herrmann kannte seinen Vortheil zu gut, um es bey dem Anfange dessen zu lassen, was ihm zugedacht war, er erkühnte sich, sie in seine Arme zu schließen; sie wand sich mit Unwillen von ihm los, und eilte nach einer Nebenthür, von welcher sie glaubte, daß sie in das Kabinet ihrer [217] Frauen führe, er folgte ihr, und beyde sahen sich auf einem Altan, welcher keinen weitern Ausgang hatte. –

Ich beschwöre euch, Gräfinn, rief jetzt Herrmann von neuem, treibt mich nicht zur Verzweiflung, ich muß mit euch sprechen, und ich hoffe, ihr trauet mir zu, ich würde mich nicht so zur Unzeit bey euch eindrängen, wenn ich irgend ein anders Mittel säh, euch vor einer langen, ach vielleicht ewigen Trennung das zu sagen, was ihr wissen müßt. Ewige Trennung? wiederholte Ida mit zur Erde gesenktem Blick. Ja ewige Trennung von dem, den ihr ehemals nicht mit ungünstigen Augen ansahet! rief der Jüngling. Hat euer hoher Stand eure Gesinnungen so schnell ändern können? –

Herrmann, rief Ida mit dem Ausdruck des höchsten Affekts, ihr kennt mich nicht! mich ändern? gegen den ändern, der mich, als ich so weit unter ihm war, so – – so heiß, so zärtlich liebte, ersetzte der Jüngling ihre abgebrochenen Worte, und der euch, wenn ihr Königinn der ganzen Welt wäret, nie anders lieben könnte als damahls Ida Münsterinn von ihm geliebt wurde, und als –

Haltet ein, unterbrach ihn Ida mit einem etwas ernstern Blick als bisher, ihr sehet, daß es meine Ehre erfordert, daß euer nächtlicher [218] Besuch so kurz werde als möglich, brechet also von diesen Dingen ab, und saget mir eilig, was ihr zu sagen habt.

Herrmann gelobte Gehorsam, man nahm Platz auf den Altan, der eine liebliche Aussicht in einen einsamen vom Mond beglänzten Garten hatte, und der Jüngling hub an, sich über das zu erklären, was er auf dem Herzen hatte. – Ich muß euch, sagte er, warnen, eurem gegenwärtigen Glücke nicht zu viel zu trauen; ihr seht, was mir widerfuhr, als ich in jenem nächtlichen Gericht eure Sache führte, damals –

Wie? schrie Ida, ihr, ihr waret es, der sein Leben für mich wagte? mich zu retten strebte, als ich von allen verlassen war? O Gott, werde ich jemahls im Stande seyn? – Nein das ist zu viel! Thränen strömten aus ihren Augen, ihre Hände waren gen Himmel gefaltet, und ein Blick fiel auf Herrmann, welcher ihm alles sagte was ihr Herz empfand.

Also wisset ihr nicht? man sagte euch nicht? stammelte er – Ja, in diesem Zuge erkenne ich den Grafen, und ihr sehet was wir, was ich, will ich sagen, von ihm zu erwarten habe.

Ihr müßt mir alles alles entdecken, rief Ida, vom ersten Anfange, von unserer Trennung an, die Nacht ist lang, wir sind allein, niemand wird uns stören.

[219] Ida schien ganz vergessen zu haben, was sie vor einem Augenblicke sagte, daß ihre Ehre die Abkürzung des nächtlichen Besuchs erfordere, und Herrmann fiel es noch viel weniger ein, daran zu denken.

Wie ich mich bey jenem Abschied aus Münsters Hause von euch, oder vielmehr, ihr euch von mir loßrisset, fing er an, das könnet ihr noch nicht vergessen haben, so heftig mich auch die Trennung von allem, was ich liebte, erschütterte, so stand mir doch bey dem Abschiede von eurer sogenannten Mutter noch ein Sturm bevor, welcher diesen beynahe übertraf. Gott, ich bekam von ihr die ersten Winke von dem, was auch ihr nunmehr, was die ganze Welt weis, daß ihr das Gepräge des höchsten Standes nicht umsonst an euch tragt, daß ihr das wirklich seyd, wofür euch jeder halten muß, die Tochter eines Fürsten. Eile und die Gegenwart des alten Münsters, der mich und seine Frau bewachte, verursachte, daß ich den Namen des Glücklichen nicht verstand, der euch seine Tochter nennt, und mich auf diese Art in größerer Ungewißheit als je befand, was ich dereinst für meine Liebe zu hoffen hätte; denn, ihr müßt mir verzeihen, so hoch ihr auch durch diese Entdeckung über mich erhoben wurdet, so traute ich doch auf meinen Muth und mein gutes [220] Schwerd, welches mich schon, wie ich dachte, dereinst noch dahin bringen könnte mein Auge nach der Tochter eines Fürsten erheben zu dürfen. Große unabsehliche Plane über diesen Gegenstand durchkreuzten mein Gehirn, meine Gedanken verwirrten sich, ich vergas alles andere und besann mich erst spät auf die Bitte, welche eure Amme, die gutherzige Münsterinn, beym Abschiede an mich gethan, noch einen Tag zu Prag zu verziehen, um ein Gesuch, das sie euretwegen an den Kaiser wollte gelangen lassen, bey ihm zu unterstützen. Ich eilte nach Prag zurück, von da nach Kunradsburg und an verschiedene andere Orte, an welche man mich, um meiner zu spotten, hinwies. Nirgend fand ich den Kaiser, und überall erregte meine Wiedererscheinung, nachdem ich schon förmlich entlassen worden war, Neugier, und die Besorgnis, in der man mich sah, spöttische Anmerkungen. Ich war in der That ausser mir, einen Auftrag, der euch betraf, nicht besser und schleuniger ausrichten zu können, er konnte sich auf die Bekanntmachung eurer Geburt beziehen, konnte Eile haben, ich wußte nicht was ich thun sollte, und mein seltsames Betragen legte vielleicht den Grund zu dem wunderbaren Gerüchte, ich habe meinen Verstand verloren, welches mir in dem heimlichen Gerichte, da man es [221] zur Anklage wider euch machte, zum erstenmahl zu Ohren kam.

Ich hatte, wie ich meynte, noch einen Freund bey Hofe, den ich endlich zu sprechen bekam, und der mich beredete mich zu entfernen, weil ich hier meines Lebens nicht sicher sey, und ich mich in der Ausrichtung meines Geschäfts auf ihn wie auf mich selbst verlassen könnte. – Wie ich nachmahls erfuhr, erschreckte man mich nur darum vom Hofe hinweg, weil der Kaiser meine Anwesenheit, die man ihm verhelte, endlich erfahren, und mich zu sprechen gewünscht hatte. Schon lange beneidete man mir die armseeligen Ueberbleibsel der Gunst, die er mir ehemals schenkte, man besorgte, ich möchte wieder meine ehemalige Stelle bey ihm behaupten, wenn ich ihm von neuem vor Augen käme, man verjagte mich unter dem Vorwand als werde mir nach dem Leben getrachtet, und breitete um seine Nachfragen nach mir zu stillen das Gerücht von meinem Tode aus, welches überall, und wie ihr wißt, auch selbst bey den allwissenden heimlichen Richtern für Wahrheit genommen wurde.

Ich setzte indessen meinen Weg nach König Siegmunden fort, ich fand bey ihm meinen alten Freund, Nicolaus Gara, unter dessen Kommando ich einst wider die rebellischen Prager gedient hatte, dessen hohen Rang ich erst jetzt kennen lernte, [222] und der mich mit Freuden unter seine Leute aufnahm. Man rüstete sich am ungarischen Hofe zum Türkenkriege. König Siegmund hatte seine von dem Volk angebetete Gemahlinn Maria verloren, mit ihr war der größte Theil der Neigung seiner Unterthanen für ihn gestorben. Er war nicht ausser Verdacht, daß er durch schlechte Begegnung oder wenigstens kalte Liebe den Tod der unglücklichen Königinn verursacht habe; man haßte ihn, machte Spottgedichte auf das üppige Leben an seinem Hofe, nannte ihn den zweyten Wenzel, und er, der all diesen Tadel, wie ich glaubte, höchstens nur halb verdiente, mußte darauf denken die bösen Eindrücke aus den Gemüthern des Volks zu tilgen, und sich durch irgend eine tapfere That bey ihm in Ansehen zu setzen. Ein Zug wieder die Ungläubigen ward für das Würksamste zu Erreichung dieses Endzwecks gehalten, und die Theilnahme an dem Türkenkriege war beschlossen. Welch eine Aussicht für den, dessen Seele nach Ehre und nach dem Besitz einer Ida strebte! Welche Lorbern dachte ich hier einzuerndten: welche Stufen mir zu bauen, um dich, himmlisches Mädchen, erreichen zu können! Kein Fürst sollte, wie ich meynte, Bedenken tragen mich zu seinem Eydam zu wählen, wenn ich mit dem Blut und der Beute der Ungläubigen bedeckt zurückkehrte, und die Stellen an Siegmunds Hofe [223] einnähme, mit welchen meine Eitelkeit, und mein partheischer Freund, der Feldherr Gara mir schmeichelte; – – Hoffnungen, welche vielleicht möchten erfüllt worden seyn, wenn ich geneigt gewesen wär, den Absichten desjenigen, der für alles zu sagen hatte, dieses Nikolaus Gara, in allen die Hand zu bieten.

Wir reisten ab, wir vereinigten uns mit den andern Feinden des Erbfeindes, wir griffen ihn mit Heldenmuth an, thaten Wunder der Tapferkeit, und – siegten doch fast niemahls; ein feindseeliges Geschick wand uns den Sieg fast allemahl in dem Augenblicke, da wir ihn zu erreichen gedachten, aus der Hand.

Mir waren diese Dinge anfangs unbegreiflich. Das Volk schrieb unsere öftern Fehlschlagungen den heimlichen unentsündigten Verbrechen seines Königs zu, der Feldherr stimmte ziemlich laut in diese rebellischen Klagen ein, ich aber hatte mehr als wahrscheinliche Muthmaßungen, das Nikolaus unvermerkt das Glück seines Herrn zu untergraben suchte, und den Feind in der Stille begünstigte um ihm zu schaden. Meine Muthmaßungen wurden nachher zu Wahrscheinlichkeiten, als der Feldherr gegen mich immer mehr mit dem heimlichen Haß gegen seinen Herrn hervortrat, und auch mich von ihm abwendig zu machen suchte.

[224] Er war der älteste Sohn des alten Nikolaus Gara, welchen Siegmund ehemals hinrichten ließ. Haß und Rache gegen den Mörder seines Vaters brütete in seinem Herzen, und Siegmund hätte keinen nachtheiligern Schritt thun können, als daß er dem einen Sohn des Ertödeten alle Gewalt beym Heer übergab, und den andern, den heimtückischen Andreas Gara als Statthalter des Reichs hinterließ; aber Siegmund war offen, grosmuthig und unvorsichtig, mochte gern angethane Beleidigungen vergüten, und gab sich in die Gewalt seiner Feinde, indem er dachte sie zu seinen Freunden umzuschaffen. Mir wurden die bösen Absichten des Feldherrn immer heller. Ich war meinem Herrn dem König mit aller Treue ergeben, ich bezeugte unverstellt den Abscheu, den mir Garas Vorschläge, ihm zum Untergange der Monarchen die Hand zu bieten, einflößten. Ach ich hatte schon vorhin Gelegenheit gehabt den redlichen Charakter des Feldherrn zu bezweifeln; war er es nicht, der ehemahls im Stande war, Wenzels verrätherischer Ermordung der böhmischen Großen das Wort zu reden?

Ich verheelte ihm nichts von der Meynung, die ich von ihm hegte. Meine Aufrichtigkeit brachte mir den Untergang; Gara ward kaltsinnig gegen mich; man bürdete mir ungeschehene Vergehungen auf, ich hörte auf zu steigen, ward nach [225] und nach im Dienste immer einige Stufen tiefer herabsetzt, und erhielt endlich gar die Erlaubnis, mich vom Heer zu entfernen. Da dies nur Erlaubnis nicht Befehl war, so achtete ich es nicht, ich wollte meinem König lieber als der geringste Kriegsknecht dienen als ihn mitten unter seinen Feinden verlassen. O Gott, wie gern hätte ich ihn gewarnt! aber war dies möglich? man bewachte seine und meine Schritte, man hatte mich bey ihm verhaßt gemacht, es war unmöglich, ihn unter vier Augen zu sprechen.

Doch wird es mich immer freuen, daß ich, ehe mich mein Schicksal ganz von ihm riß, noch im Stande war, ihm einen würklichen Dienst zu leisten. – Wir hatten nach Gewohnheit wieder einmahl tapfer wider die Ungläubigen gefochten ohne zu siegen. Wir mußten die Schlacht verlieren, denn Nikolaus Gara wollte es. Der Herzog von Burgund war schon in den Händen der Türken, meinem Könige war das nehmliche Schicksal zugedacht; die seinigen wandten sich verrätherisch hinter ihm ab, und verließen ihn im einzelnen Kampfe mit dem tapfern Achmet! der ihm offenbahr überlegen war. Auch ich sollte auf Befehl des Feldherrn weichen, und einen andern Posten beziehen, aber ich war taub, ich sammelte zwanzig von Siegmunds treusten Ungarn um mich, [226] wir trennten ihn von seinem furchtbaren Gegner, und brachten ihn davon. O daß ich fast in dem nehmlichen Augenblick genöthigt war ihn zu verlassen! die Liebe rufte mich, ich war zu schwach ihrem Ruf zu widerstehen! O Ida, das Gerücht von deiner Gefahr kam mir zu Ohren, ich mußte dich retten, die Liebe zu meinem Könige war gegen die Deinige nichts! Hinterließ ich doch Siegmunden unter der Aufsicht treuer Leute; wer hätte es wagen dürfen öffentlich etwas wider seine geheiligte Person vorzunehmen? Mein Werk wär völlig gethan gewesen, hätte ich ihn vor heimlichen Nachstellungen warnen können, aber er war schwer verwundet, war in den heftigen Anfällen des Fiebers, die Folge seiner Wunden, der Besinnungskraft beraubt, ich trug das, was ich nicht thun konnte, den treuen Dienern auf, die ich um ihn zurückließ, und eilte nach dir, nach dir Ida, die von dem Arme der heimlichen Gerechtigkeit bedroht wurde, die nach Verhältniß des Weges, den ich bis zu dir machen mußte, nur wenig Tage bis zu Entscheidung ihres Schicksals übrig hatte.

Und ich bitte euch, Ritter, unterbrach ihn die Gräfinn, wie konntet ihr in so weiter Ferne Post von meinem Unglück haben?

Eine Sache, erwiederte er, die mir selbst noch bis jetzt nicht ganz deutlich ist, die ich euch [227] aber erklären will, so gut ich sie selbst verstehe. Ihr erinnert euch ohne Zweifel noch des alten Andreas, den mir Vater Münster bey meiner Abreise von Prag zum Knechte gab?

O ja, sagte Ida, es war mehr als eine Person in unserm Hause, – die sich freute, an ihm einen wachsamen Kundschafter der geheimsten Dinge zu verlieren, ich gehörte, wie ihr denken könnt, nicht unter seine Hasser, ich schätzte ihn wegen seiner Treue, ungeachtet ich nicht leugnen kann, daß mir seine anscheinende Einfalt, wie so manchen Zügen von schlauer List, die er oft unversehens blicken ließ, immer so seltsam contrastirte, daß ich nicht recht wußte, was ich aus ihm machen sollte.

Dies waren die Bemerkungen, fuhr Herrmann fort, die ich auch über ihn machte, und zu denen er mir unzählige Gelegenheiten gab. Höret jetzt, auf wie außerordentliche Art er die erste Ursach meiner plötzlichen Erscheinung bey euch, und, wenn es mir zu sagen erlaubt ist, eurer Rettung ward. – Wir rüsteten uns an jenem großen Tage, von welchem ich euch vorhin sagte, zur Schlacht. Andreas, der es sonst ungeachtet seines Alters in Ansehung des Muths und der Unerschrockenheit mit dem Jüngsten aufnahm, war, als er mir die Waffen anlegte, niedergeschlagen und traurig. Herr, sagte er, der Weg, den wir jetzt gehen, kann der Weg zum Tode seyn, ich [228] kann fallen, und wohl mir, wenn ich meinen Tod vor dem Feinde fände, aber im Fall dieses geschieht, so muß ich euch vorher warnen: Wenn die Schlacht vorüber ist, so haltet euch hier nicht lange auf, mir ists als stände es in meines alten Herrn Hause nicht ganz so wie es sollte. Das Leben einer Person, die euch nicht gleichgültig seyn mag, ist in Gefahr. – Ich sah ihn mit unverwandten Augen an, und fragte nach dem Grunde seiner Besorgnisse, er stockte, verbarg sich hinter seine gewohnte einfältige Miene, und schützte schwere Träume vor. – Ungeachtet ich nie auf Dinge dieser Art etwas hielt, so war ich doch schwach genug, bestürzt zu werden, und weiter zu fragen. – Lasts nur gut seyn, sprach Andreas, jetzt müssen wir vor den Feind, bleibe ich, so wißt ihr allenfalls genug, im entgegengesetzten Fall sollt ihr mehr erfahren. –

Wir rückten auf unsere Gegner an, Andreas war einer der ersten, die an meiner Seite fielen, ich ließ ihn aus dem Gedränge tragen, und Rath zu seinen Wunden schaffen. Was in der Schlacht vorfiel, das wißt ihr bereits, aber dieses noch nicht, daß eine der ersten Nachrichten, welche ich erhielt, nachdem ich das Zelt des verwundeten von mir geretteten Königs verlassen hatte, der Tod des ehrlichen Andreas war. Sein Kammerad, der mir die Post brachte, sagte mir, der alte Kriegsknecht [229] hätte noch sterbend den Namen einer gewissen Ida oft genannt, und mich ermahnen lassen, sie zu retten, weil sie in Gefahr sey in die Hände der heimlichen Rächer zu fallen; die Zeit, in welcher ihr noch zu retten wäret, und der Ort eures Aufenthalts wurde mir auf einem mit seltsamen mir unverständlichen Charaktern bezeichneten Blatt, das der Sterbende aus seinem Busen gezogen hatte, angezeigt, und ihr könnt euch wohl vorstellen, mit welcher Eile ich mich, ohne weiter auf den Grund dieser sonderbaren Dinge zu denken, auf den Weg machte. – Die Zeit des Nachdenkens über die Umstände dieser befremdenten Begebenheit kam erst nachher, und von der Auflösung meiner Zweifel kann ich euch nur so viel sagen, daß mir es mehr als wahrscheinlich ist, daß Andreas einer von den heimlich Verbundenen des fürchterlichen Gerichts war, dessen Mitglieder durch die ganze Welt verstreut sind, und die, wie durch ein verborgenes Zauberband verbunden, fast im Augenblicke Nachricht von allem haben, was in den entferntesten Gegenden ihres unsichtbaren Reichs vorgeht. Wie groß die Anzahl der Richter und Beysitzer dieses fürchterlichen Tribunals ist, habt ihr zum Theil gesehen, aber ich habe Ursach zu glauben, daß ihr Anhang unter den Geringen im Volk noch weit ausgebreiteter sey als unter den Großen; diese Art Leute sind die Glieder, welche diese unermeßliche [230] Kette zusammen halten, die verborgenen Triebräder der ungeheuren Maschine, die tausend Augen, mit welchen die Allgegenwärtigen, wie sie sich nennen, alles durchschauen, die Zeugen, welche ihnen die verborgensten Geheimnisse verkünden. Ohne Zweifel war Andreas einer von dieser Klasse, und seine Treue für das Haus seines alten Herrn machte, daß er die Gränzen der heiligen Verschwiegenheit, zu welcher seine Brüderschaft verpflichtet ist, so weit überschritt als er konnte, um mich zu eurer Rettung aufzumahnen.

Ich kam an, ohne genau zu wissen, wie die Gefahr beschaffen sey, welche euch drohte, oder wie man euch helfen könne; indessen war eure Geschichte der Gegenstand des allgemeinen Gesprächs, die Aufforderung euch zu vertheidigen, dafern es möglich sey, stand noch an allen Ecken der Straßen an allen öffentlichen Gebäuden angeschlagen, und ich war bald von allem unterrichtet was ich wissen mußte. Es waren noch zween Tage bis zur letzten Entscheidung eurer Sache, und ich wandte dieselben so an, wie mich ein alter treuherziger Mann, ein gewisser Walter, in dessen Bekanntschaft mich der Zufall brachte, unterrichtete. Ich wollte euch in eurem Kloster sprechen, aber es ward mir widerrathen, weil kein Anwald vor dem heimlichen Gericht zugelassen wird, von dem erweislich ist, daß er binnen Jahrsfrist den entferntesten Umgang [231] mit dem Beklagten gepflogen habe. Ich erfuhr von Waltern, daß es auch an einem Begleiter auf eurem Wege nach dem Orte fehle, von wo ihr von den Unbekannten solltet abgeholt werden, und ob es mir gleich nicht erlaubt war, euch meine Hand zu bieten, so konnte ich mich doch nicht enthalten auf dem Wege, den ihr gehen mußtet, heimlich zu lauschen, damit der einsamen verlassenen Unschuld kein Unglück begegne. Ich sah euch in Begleitung der Klosterfrauen daher kommen, und ich muß gestehen, war etwas, das die Meynung, die ich von euch hegte, erhöhen konnte, so war es diese ehrwürdige Gesellschaft, die durch die Achtung, mit der sie euch begegnete, das redendste Zeugnis von eurer Schuldlosigkeit ablegte. Auch habe ich hernach erfahren, daß diese Handlung der gutherzigen Nonnen einen für euch sehr vortheilhaften Eindruck auf eure Richter machte.

Und dennoch, rief Ida, wollte man dem mächtigen Vertheidiger meiner Urschuld kein Gehör geben? ging so gar so weit, sich seiner Person zu bemächtigen, und dadurch, wie ich meynte, meine Rettung unmöglich zu machen? – O Gott! mir schwanden die Sinnen bey diesem Anblick, und noch jetzt – noch jetzt! –

Wer vermag alle Dinge in den Handlungen der Unbegreiflichen zu enträthseln? unterbrach Herrmann die stockende Ida, auch ich kann, und [232] könnte ich, darf es nicht. – Euch schwanden, wie ihr sagt, die Sinnen, man brachte euch hinweg, und derjenige, welcher euch herbey geführt hatte, legte euch an den Ort nieder, wo er euch aus den Händen der Nonnen empfangen hatte, doch wie ich weis, nicht ohne im Verborgenen für eure Sicherheit zu wachen. Ich ward indessen ins besondere Verhör geführt. Man verfuhr strenge mit mir. Ich hatte euch die Tochter eines Fürsten genannt, und sollte beweisen, ich hatte keine andere Bestätigung meiner Aussage als die Worte der Münsterinn. Der Oberste von den Richtern stand auf und nahte sich mir, er that mit einer Stimme, in welcher die heftigste Rührung nicht zu verkennen war, Fragen an mich, die ich nicht zu beantworten wußte. Man hatte mich, wie es in diesem Fall die Sitte mit sich bringt, entkleidet, und mich mit entblößtem Haupt und Füßen, und am Leibe nur mit einer leinenen Hülle bedeckt, zum Verhör geführt. Meine Kleider waren untersucht worden, und die Kette, welche ich ehedem von euch erhielt, war in den Händen des mich fragenden Oberrichters; auch sie war ein Gegenstand seiner Nachforschungen. Woher ich sie bekommen? ob ich das daran hangende Bild des Grafen Eberhard von Würtemberg kenne? ob ich nicht auch einen ähnlichen Ring habe? ob ich die Beklagte vordem gekannt? ob ich nie an ihrer linken Hand ein Mahl, [233] in Gestalt eines kleinen Kreuzes, bemerkt habe? ob ich nicht auf den Fürsten rathen könne, dessen Tochter sie seyn solle? diese und ähnliche Fragen beantwortete ich kurz und nach der Wahrheit, so gar auch diese: warum ich euch so vertheidige? ob ich euch liebe? euch mit Hoffnung liebe? euch kürzlich gesprochen habe? und was dergleichen mehr war. Man entließ mich endlich und gab mir meine Kleider zurück bis auf das geliebte Kleinod, die Kette, die erste Gabe aus eurer Hand, das wahrscheinliche Mittel eurer Erkennung.

Man bedeutete mich, nicht ohne Erlaubnis aus der Stadt zu weichen, und mich auf die erste Forderung zu stellen, aber – ich ward nicht vorgefordert. – Nur dies erfuhr ich auf eine Art, die ich euch nicht begreiflich machen kann, daß in voriger Nacht nochmahls stilles Gericht über euch gehalten worden, daß der Oberrichter von seinem Stuhl aufgestanden sey, und eure Unschuld mit dem gewöhnlichen fürchterlichen Eyde der Unbekannten beschworen habe, und daß darauf eure förmliche Lossprechung erfolgt sey.

Diesen Morgen ward ich zu den Grafen von Würtemberg gefordert, er empfing mich gnädig, entdeckte mir, daß die junge Person, deren ich mich so treulich angenommen, für seine Tochter erkannt worden sey, und bot mir für das, was ich hierbey gethan hatte, ein Geschenk, welches seiner [234] Großmuth Ehre macht, aber leider waren die damit verbundene Worte sehr ungroßmüthig: daß ich die reizende Ida Münsterinn geliebt habe, so lauteten sie, dieses sey recht gut und meinem Stande sehr angemessen, aber man hoffe, ich würde nunmehr aufhören, an eine Person zu denken, welche das Glück so weit über mich erhoben hätte, und auf die ich überdem als einer aus dem Hause Unna, ein Anverwandter der Wisbadenschen Feinde Graf Eberhards, nun und nimmermehr Ansprüche machen könne. Die Antwort, die ich eurem übermüthigen Vater gab, war den Empfindungen meines Herzens, welche nahe an Wuth gränzten, angemessen, wir schieden im Zorne von einander, sein verächtliches Geschenk ward mir nachgetragen, und ihm wieder zurückgeschickt. Ich würde in keinem Fall ein Geschenk für Idas Leben angenommen haben, und in dem gegenwärtigen? – –

Herrmann war aufgestanden, und maß den Ort, wo sie waren, mit großen Schritten. Ida sah wie ergrimmt er war, auch sie fühlte ihr Theil, wo nicht von Zorn doch von innerer Betrübnis und getraute sich nicht zu sprechen, um ihre Bewegung nicht zu verrathen.

Ritter, fing sie endlich mit zitternder Stimme an, ihr seyd, denke ich, mit eurer Geschichte fertig, der Tag bricht an, wir müssen scheiden, und [235] noch habt ihr mir nichts von dem entdeckt, was euch eigentlich zu mir brachte. Ihr wolltet mich warnen, sagtet ihr, vor einer Gefahr, welche mir bevorsteht, oder – –

O Ida, rief Herrmann, indem er sich ihr mit dem vollen Ausdruck seiner Zärtlichkeit näherte, ahndet ihr nicht bereits aus dem, was ich euch gemeldet habe, Gefahr? Gefahr wenigstens für mich? ewige Trennung von euch? Oder ist euch das Schicksal desjenigen, den, den ihr – mein Schicksal, will ich sagen, ist es euch so ganz gleichgültig? – Doch, fuhr er fort, als Ida sich schüchtern von ihm losmachte, doch ists dieses noch nicht allein, höret was ich heute erfahren habe, und urtheilet was ihr zu thun habt. Als ich von dem Grafen, der euer Vater ist, und es nicht zu seyn verdient, als ich von ihm wegging, so begegnete ich dem ehrlichen Münster. – Ach er war auch streng gegen mich, aber doch wollte ich, daß ihr noch seine Tochter wäret! – Ich erzählte ihm den Auftritt, den ich eben mit dem, welchen ich nicht einmal nennen will, gehabt hatte, wollte ihm auch das vorhergehende erzählen, aber es schien ihm größtentheils schon bekannt zu seyn. Er nahm mich mit in seine Wohnung und befriedigte meine begierigen Nachfragen nach euch, mit der umständlichsten Nachricht von allem was ihm [236] wissend war. Er hatte euch damahls, als er aus eurem Munde erfuhr, daß das Kleinod, welches eure Geburt bestätigen sollte, in meinen Händen sey, in der Absicht so eilig verlassen, mich aufzusuchen und es mir abzufordern. Bald darauf war ihm dies zu weitläuftig vorgekommen, und er hatte ein anderes Mittel zu eurer Rettung gewählt. Worinn dieses bestanden hatte, darüber erklärte er sich nicht deutlich, doch mir ist wahrscheinlich, daß er gesucht habe, in die Zahl der Beysitzer des heimlichen Gerichts aufgenommen zu werden, weil er einmahl von einem Freunde erfahren hatte, ein solcher könne durch einen Eyd auf die Unschuld des Beklagten viel zu dessen Rettung beytragen. Münster wußte nicht, daß es kein leichtes sey, in das fürchterliche Tribunal aufgenommen zu werden, daß hier erst Prüfungen auszustehen, Proben abzulegen und niedere Grade zu durchlaufen waren, ehe man dahin kommen konnte einigen Einfluß zu haben, und daß bis dahin lange Zeit verlaufen müsse, da ihr doch schleunige Rettung bedurftet. Indessen waren die vorläufigen Schritte einmahl gethan, er konnte nicht wieder zurück, man hielt ihn fest, die Hände zu anderweitigen Rettungsmitteln für seine Ida waren ihm gebunden, und er mußte ihr Schicksal der Vorsehung überlassen.

[237] Binnen dieser für ihn so angstvollen Zeit erschien ich, er wußte meine Anwesenheit ohne mich sprechen zu dürfen. Ich legte das Bekenntnis von eurer Geburt ab, von welchem man wußte, daß er bisher für Idas Vater gehalten worden war, ward darüber in Anspruch genommen, er ward vor dem Grafen von Würtemberg gefordert, (der allem Vermuthen nach der Oberrichter des heimlichen Gerichts in diesen Gegenden ist, seine Stimme, seine Gestalt sind mir ungeachtet seiner Vermummung, da ich ihn an dem unbekannten Orte sah, kenntlich geblieben.)

Münsters Aussage klärte eure Herkunft völlig auf. Der Graf ward von der Unschuld seiner Tochter so unwidersprechlich überzeugt, daß er sich getraute sie endlich zu bezeugen. Man beschloß das, was hernachmahls folgte, und ihr waret gerettet. Diese Dinge erfuhr ich mehr von einem Dritten, den ich nicht nennen darf, als von dem verschwiegenen Münster, dessen Gespräch mit mir größtentheils in Ermahnungen bestand, euch zu verlassen, und in Vorstellungen der Unmöglichkeit, jemahls in meiner Liebe glücklich zu seyn. Ihr wißt, sprach er, was ich euch oft über diesen Gegenstand sagte, als ihr mich noch für Idas Vater hieltet, ihr glaubtet mir nicht, und ihr seht nun, daß ich recht hatte. Ob eine Gräfinn von Würtemberg für[238] euch zu hoch sey, will ich nicht untersuchen; aber ihr seht, wie ein hartnäckiger Feind eures Hauses Graf Eberhard ist, er wird euch die Händel bey Wisbaden, so unschuldig ihr an denselben seyd, nie verzeihen, überdieses hat er ganz andre Absichten mit seiner Tochter. – Da er mit gutem Grunde zweifelt, ob ihm seine Absichten auf den höchsten Stuhl im Reiche gelingen möchten, so wünscht er wenigstens, sich mit dem künftigen Besitzer desselben fest zu verbinden. Es wird für wahrscheinlich gehalten, daß Herzog Friedrich von Braunschweig dereinst Kaiser Wenzels Stelle bekleiden könne, und dieser ists, den der Graf von Würtemberg zu seinem Schwiegersohne bestimmt hat. Er hat kürzlich eine Tochter verloren, welcher Herzog Friedrichs Hand zugedacht war, und er ist erfreut, seine wieder gefundene Ida an die Stelle ihrer verstorbenen Schwester einschieben zu können; eine Sache, die er, da sie derselben an Schönheit weit vorgeht, für etwas sehr leichtes hält. Und wolltet ihr, fuhr Münster in seiner Rede an mich fort, wolltet ihr wohl das Glück derjenigen, die ihr liebt, zerstören? ihr den Anspruch auf die höchste Krone der Welt rauben? – Wie ich Münsters Frage beantwortete, gehört nicht hieher, aber erlaubt mir, Gräfinn, daß ich eine ähnliche an euch ergehen lasse. [239] Wolltet ihr wohl eure Hand einem Fürsten geben, der euch nicht kennt, euch, wenn er euch wählt, blos aus Staatsabsichten wählen wird? der von anderer Liebe eingenommen, eure Schwester, die man ihm zudachte, verachtete, zurücksetzte? vielleicht durch Gram zum Tode beförderte? und der, wenn er, durch eure Schönheit geblendet, mehr für euch fühlt als für sie, doch nicht lang anstehen wird, euch Nebenbuhlerinnen zu geben, welche – – – Ein heftiges Klopfen an der äussersten Thür von Idas Zimmer unterbrach hier den Sprechenden. Beyde erschracken. Die Gräfinn eilte hinaus, und, o Entsetzen! ihr Vater war es, der ihr entgegen kam.

Ha; rief er mit einem sonderbaren Blicke, noch so früh, der Tag ist kaum angebrochen, und du bist schon völlig gekleidet?

Mein Vater, ich pflege – pflege früh aufzustehen.

Du bist auf dem Altan gewesen? Wo sind deine Weiber? Man hat dich sprechen hören, pflegst du mit dir selbst zu reden?

Ida war in der äussersten Verlegenheit, sie wußte nicht, was sie sagen sollte, und hätte ihr Vater nur noch eine einige Frage gethan und die Beantwortung erwartet, er hätte alles erfahren, was er nach der Lage der Sachen nicht wissen durfte. [240] Aber zum Glück war er zu heftig, das Examen gelassen fortzusetzen. Er eilte auf den Altan, fand ihn leer, kehrte besänftigt zurück, und bat die zitternde Ida, welche sich nicht getraute ein Auge aufzuschlagen, sie möchte sich inskünftige nicht mehr der kalten Morgenluft aussetzen, noch viel weniger durch ihre sonderbaren Selbstgespräche Anlaß zu seltsamen Nachreden geben. Das frühe Aufstehen, setzte er hinzu, hat dir ein trübes verstörtes Ansehen gegeben. Du hast mir meinen ganzen Plan vereitelt, ich wollte dich heute nach Hofe führen, aber ich sehe wohl, ich muß dir noch einen Tag Zeit gönnen dich zu erholen.

Hier folgte eine zärtliche Umarmung und die Bitte, sich wieder nieder zu legen, weil der Tag noch kaum angebrochen sey, und sie Ruhe vonnöthen habe.

24. Kapitel. Wiedervereinigung zweyer Freundinnen
Vier und zwanzigstes Kapitel.
Wiedervereinigung zweyer Freundinnen.

Ida konnte nicht begreifen, wie es zuging, daß sie so gut aus diesem seltsamen Handel gekommen war. Sie lief auf den Altan, um zu sehen, wo Herrmann hingekommen sey, alles war leer und ihr blieb nichts übrig als die Muthmaßung, daß er einen Sprung in den Garten gewagt habe, um dem Grafen, dessen Stimme er gehört haben mußte, [241] zu entgehen. Sie schaute hinab, alles war still, doch sah sie in der Fern eine Schildwach auf und abgehen, welche ihr vor Herrmanns Entkommen und ihren guten Namen bange machte. Ach, seufzete sie im Zurückkehren, müssen denn die Großen sich überall Zeugen ihrer geheimsten Handlungen hinstellen, damit sie ja nicht unbemerkt, ja nicht ohne Zwang handeln können? – Ach das ruhige Leben in Münsters Hause, und ach der höfischen Einschränkungen, die ich, wie es scheint, hier noch besser werde kennen lernen als an Sophiens Hofe.

Ida gehorchte gern der Anmahnung ihres Vaters sich zur Ruhe zu legen, sie bedurfte sie, sie war müde, gedankenvoll, und ward durch beydes am Schlafe gehindert, sie stand auf, um die Aufwartungen ihrer Leute anzunehmen, bekam diesen Tag niemand zu sehen, der ihr lieb war, selbst den Grafen von Würtemberg nur auf wenige Augenblicke, hatte Langeweile und durfte keine Vergleichung mit ihrem jetzigen und ihrem ehemahligen Stande anstellen um nicht unmuthig zu werden. Nur die Vergleichung zwischen der Lebensgefahr, in der sie vor kurzem schwebte, und ihrer gegenwärtigen Ruhe, den Schimpf und die Verachtung, der sie ausgesetzt war, und ihrer nunmehr geretteten Unschuld machte ihr Freude, und ihr Herz floß von Dank gegen Gott und ihre Retter über. Herrmanns Erzählung gab ihr Stoff zu [242] neuen Betrachtungen, und diese wurden endlich durch das Andenken an die geliebte Kaiserinn verdrängt, welcher sie morgen sollte vorgestellt werden. Sophien wieder zu sehen, sie gerettet, gerechtfertigt wieder zu sehen, ihr alles zu sagen was sie um ihrentwillen gelitten habe, ihre Feinde durch den Glanz ihrer Unschuld, durch den Glanz ihres hohen Standes zu beschämen, was für Vorstellungen! Ida hätte kein Mädchen seyn, was sage ich! hätte kein menschlich Herz im Busen tragen müssen, um hier nicht Freude zu fühlen.

Der erwünschte Tag erschien. Ida ward wie eine Fürstinn geschmückt, sie war schön, und die Züge des ausgestandenen Kummers, welche auf ihrem Gesicht noch nicht ganz verwischt waren, dienten nur dazu, ihr Ansehen desto interessanter zu machen.

Graf Eberhard hatte der Kaiserinn Nachricht gegeben, wen er ihr heute vorstellen wollte, und die Fürstinn von Ratibor, ward dazu erwählt, die junge Gräfinn in dem Staatswagen Sophiens abzuholen und sie von der Ungeduld, mit welcher sie erwartet würde, zu versichern. – Wer kennt nicht die eiserne Stirn der gewöhnlichen Hofkreaturen? Die Fürstinn schien nicht verlegen bey dem Auftrage, den sie an die so sehr von ihr beleidigte Ida ablegen mußte. Alles womit das edle Mädchen sie für die Unverschämtheit belohnte, mir welcher [243] sie ihre eigene Theilnahme an dem unvermutheten Glück der Verstoßenen, die sie vor kurzem nicht kennen wollte, zur Schau legte, war ein mitleidiger Blick, der am Ende ein wenig ins verachtende fiel.

Graf Eberhard war nicht so nachsichtig; der Charakter einer Abgesandten der Kaiserinn, in welchem die Ratibor erschien, machte, daß er sie schonen mußte, aber er sagte ihr genug, um sie an die ganze abscheuliche Rolle zu erinnern, welche sie in Ansehung Idas gespielt hatte, und die niemand besser als ihm bekannt war. Seine Reden voll Kraft und Nachdruck zogen die Augen der Damen, welche nebst ihr gekommen waren, die junge Gräfinn nach Hofe zu führen, mit jenem triumphirenden Blicke auf sie, der noch am ersten im Stande ist höfische Schamlosigkeit nieder zu schlagen. Eine jede dieser Damen pries sich glücklich, Graf Eberhards Tochter nicht geschadet zu haben – eines mehrern konnten sie sich freylich nicht rühmen – indessen die Fürstinn zum erstenmahl in ihrem Leben nicht wußte, wo sie die Augen hinwenden sollte, die sonst so geübt in niederschmetternden Blicken waren.

Ida wurde am Eingange des Zimmers der Kaiserinn vom Herzog von Bayern empfangen: er umarmte sie und machte ihr eine verbindliche Entschuldigung, daß auch er sich in Ansehung ihrer [244] Unschuld habe verblenden lassen. Die Großen haben das Vorrecht, oder glauben es zu haben, daß sie immer mit der kleinsten verbindlichen Rede eine ganze Last von Beleidigungen entsündigen können, und dabey blieb es auch hier. Ueber dieses hatte auch Ida kaum acht auf das, was er sagte, denn ihr Herz wallte nach Sophien zu, welche, noch etwas bleich von der überstandenen Krankheit, im Grunde des Zimmers saß, versuchen wollte aufzustehen, und ihre Arme nach der Kommenden ausbreitete.

Ida stürzte sich zu ihren Füßen. Arme liebe Heilige! holde unschuldige Seele! rief die Kaiserinn und drückte sie an ihren Busen, was hast du um meinet willen gelitten! wie war dirs möglich es zu überstehen? Fluch über die, welche meine Schwachheit nützen konnten, meinen Liebling zu verderben.

Ida netzte die Knie der Monarchinn mit ihren Thränen. Steh auf, edles Mädchen, rief Sophie, überlaß das Knien deinen Beleidigern! O wie leid ist mirs, daß sie jetzt deinem Stande das leisten müssen, was sie schon deiner Unschuld schuldig sind! wie leid, daß du nicht mehr die unbekannte Ida Münsterinn bist, die ich so hoch erheben konnte als ich wollte! Warum that das Glück das für dich, was ich so gern dir allein erweisen möchte? –

[245] Sophien machte die Freude beredt, Ida ward stumm durch dieselbe, wahrscheinlich fühlte sie noch mehr als die Kaiserinn; so wie sie zu lieben, vermochten nur wenige Herzen, auch machte das lebhafteste Andenken an ihre Leiden, und an die glänzende Errettung aus denselben, ihre Gefühle mannichfaltiger und unaussprechlicher.

Die Kaiserinn forderte alle ihre Damen auf, die Gräfinn von Würtemberg zu bewillkommen. Die scheinheilige Ratibor, und ihre Tochter, welcher der Neid auf dem blaßgelben Gesicht saß, machten den Anfang, ihnen folgten die andern mit etwas weniger gezwungenem Anstand, alle versicherten, der reizenden Ida wiederführ nicht mehr als sie verdiente, und alle wollten auf den ersten Anblick etwas Großes in ihr geahndet haben.

Sophie, welche ihren Neid und ihre heimlichen Verfolgungen besser kannte, lächelte verächtlich, und befahl ihnen sich zu entfernen, um mit dem Herzog von Bayern, Graf Eberhardten und seiner schönen Tochter allein zu seyn. –

Die Geschichte sagt nicht, worinn die Gespräche dieser vier Personen bestanden, aber dieses meldet sie, daß die Unterhaltung erst denn ihre volle Anmuth erlangte, als Sophie mit Ida allein war. Wer kennt nicht die Ergießungen zweyer gleichgestimmten Seelen, welche durch Leiden getrennt wurden, und die nun das Fest der Wiedervereinigung [246] feyern! auch merkte Ida wohl, obgleich Sophie das Gegentheil versichern wollte, daß ihre erhabene Freundinn sich mit mehr Huld zu der Gräfinn von Würtemberg als zu der geringen Ida Münsterinn herabließ, und ob ihr diese Entdeckung kränkend oder erfreulich war, läßt sich schwer entscheiden.

Ida war von dem Glück, das sie an Sophiens Seite genoß, so eingenommen, daß sie ihr ganzes Herz vor ihr ausschüttete, ihr keinen ihrer Gedanken verhelte, selbst ihre Liebe zu Herrmann nicht, selbst nicht seinen nächtlichen Besuch; nur in Erzählung dessen, was sie von ihm erfuhr, brauchte sie einige Einschränkung, weil es Dinge betraf, welche nicht durchgängig sie allein angingen, und von denen sie nicht genau wußte, wie sie von der Monarchinn würden aufgenommen werden.

Sophie schwur ihrer Freundinn, ihre Liebe zu Herrmann auf alle Art zu begünstigen, und es ist zu glauben, daß sie, welche vielleicht auch einst gewünscht hätte, wählen zu dürfen, und die das Schicksal zur Gemahlinn eines Wenzels machte, ihr Versprechen so redlich zu halten dachte, daß hierbey für nichts zu sorgen war, als daß sie sich nur zu Erreichung ihres Entzwecks der besten Mittel bedienen möchte. –

Ida vermochte alles über die Kaiserinn! auf ihre Bitte ward auch der alte Münster nach Hofe [247] gefordert und mit Gnadenbezeugungen überhäuft, eine Sache, die bey dem dankvollen Herzen seiner ehemahligen Tochter so etwas natürliches war, daß wir sie kaum erwähnt haben würden, wenn sie uns nicht zu einer Erzählung führte, die wir unsern Lesern nicht länger schuldig bleiben dürfen.

Sophie war so neugierig als sie vielleicht seyn werden, Idas frühe Jugendgeschichte und die Art wie sie aus den Armen ihrer Eltern gerissen wurde, zu erfahren. Münster ward an einem Tage, da er allein mit Ida im Kabinett der Kaiserinn war, aufgefordert, zu erzählen, und er trug vor, was wir im folgenden Kapitel finden werden.

25. Kapitel. Idas Jugendgeschichte
Fünf und zwanzigstes Kapitel.
Idas Jugendgeschichte.

O Gräfinn, rief Münster nach einigem Nachdenken, welch eine Aufforderung für einen Mann, dem eure Gewogenheit und die Gnade seiner Monarchinn so theuer ist, Fehler zu bekennen, welche ihn um beydes bringen könnten, welche euch in so großes Elend stürzten, und die – am Ende durch nichts entschuldigt werden können, als durch verblendete Liebe gegen ein Weib, das so schön wie Eva wohl einen Adam zur Sünde verleiten konnte. Ida, ihr kennt eure [248] gewesene Mutter, und könnet aus den Ueberbleibseln ihrer Schönheit schließen, ob sie in ihrem vier und zwanzigsten Jahre reizend war. Ich liebte Marien, aber der Unterschied unseres Standes machte mein Glück fast unmöglich; auch unter den Niedern des Volks giebt es Misheurathen. Marie war eine Leibeigene und ich einer von den vornehmsten Dienstleuten des Grafen von Würtemberg. Sie war eine Wittwe; der Tod ihres Mannes, und ihres neugebohrnen Kindes erregte Mitleiden und machte, daß man sich der Verlassenen am Hofe des Grafen mit doppelter Gnade annahm, sie kam in die unmittelbaren Dienste der damahligen Gräfinn von Würtemberg, die Gräfinn starb, und Marie mußte ihre Stelle bey der noch nicht entwöhnten Ida vertreten. Schon bey Lebzeiten ihrer Gebieterinn war Maria die Freyheit versprochen worden; der Rang einer Amme in dem gräflichen Hause vermehrte ihre Ansprüche auf diese Gnade, und die Hoffnungen meiner Liebe.

Doch das Glück der Geringern ist in den meisten Fällen ein zu kleiner Gegenstand für die Aufmerksamkeit der Fürsten. Man hätte uns durch ein einiges Wort beseeligen, uns auf Lebenszeit verbinden können, aber man sprach dieses Wort nicht. Man entfernte mich weit von [249] dem Orte meiner Wünsche in den Krieg, und begegnete meiner Geliebten mit einer Härte, welche Haß und Bitterkeit in ihr Herz säete und ihr vielleicht in der Folge einen Schritt erleichterte, den sie ohne anderweitige Veranlassungen wohl nicht würde gethan haben. Die kleine Ida, ein reizendes Geschöpf, das von jedermann bewundert und von seiner Amme fast vergöttert wurde, war noch nicht zwey Jahr, als die verstorbene Gräfinn von Würtemberg bereits vergessen war, und man darauf sann, eine Person an ihre Stelle zu setzen, welche nichts für sich hatte, die Wahl des Grafen zu rechtfertigen, als Schönheit und hohe Geburt.

Sie dachte unedel genug den Charakter einer Gemahlinn Graf Eberhards und den einer Mutter seiner Kinder von einander zu trennen, sie liebte den ersten oder schien ihn zu lieben, und haßte die andern. Marie, welche Mittel gefunden hatte, mir zuweilen heimlich Bothschaft zu thun, ließ mir viel von den Verheerungen sagen, welche die Stiefmutter in dem gräflichen Hause anrichtete: die unerwachsenen Söhne ihres Gemahls wurden in den Krieg geschickt, ohne das was man bey der Art, wie das geschah, auf ihren Stand, ihr Vermögen, oder ihr Alter die geringste Rücksicht nahm, die Töchter wurden an Fürsten verschleudert, welche nur durch ihren Rang auf die Ehre, Graf Eberhards Schwiegersöhne zu seyn, [250] Anspruch machen konnten, und deren Fehler man übersah, weil sie gefällig in Ansehung der Aussteuer der jungen Gräfinnen waren. Eine noch unerwachsene Schwester der kleinen Ida kam durch Verwahrlosung ums Leben, und Marie unterließ nicht, diesen Fall auf die Rechnung der Gräfinn zu schreiben, so wie sie die wachsende Kränklichkeit ihres Pflegekinds der jüngsten ihrer Geschwister, nicht ermangelte geheimen Mitteln schuld zu geben, von welchen sie behauptete, daß sie gebraucht würden, auch diese aus dem Wege zu räumen; Beschuldigungen, welche vielleicht zu streng für diejenige waren, welche sie betrafen, und die ich nur um der geliebten Person willen, welche sich mit diesen Dingen beunruhigte, für wahr halten konnte.

Ich ward von Marien aufgefordert, heimlich nach der Residenz des Grafen zu kommen, und Mittel ersinnen zu helfen, wie die geliebte Ida zu retten, und meine Verbindung mit meiner Geliebten möglich zu machen sey; welches letztere durch die Härte der neuen Gräfinn, und Mariens beständig verschobene, endlich gar gänzlich versagte Freylassung, so sehr erschwert ward.

Die Botschaft meiner Geliebten lenkte meinen Weg nach Wisbaden, woselbst sich der Graf mit seinem ganzen Hause damahls aufhielt. Er brauchte nach den langen, zum Theil für ihn [251] unglücklichen Händeln mit den Reichsstädten, die Ruhe des stillen Orts, und seine Gemahlinn, welche sich schwanger befand, mußte sich auf Anrathen der Aerzte daselbst aufhalten. Ich flog in Mariens Arme, niemand durfte meine Anwesenheit wissen, weil mich die Befehle meines Herrn eigentlich an einem andern Orte hätten zurück halten sollen, allein die Nacht begünstigte unsere Zusammenkünfte, bey welchen wir keine andere Zeugen hatten, als die kleine Ida, um welche man sich, seit die Gräfinn schwanger war, noch weniger als sonst bekümmerte, die man mit ihrer Wärterinn in einem elenden abgesonderten Zimmer fast wie gefangen hielt, und es beyden oft an dem nöthigsten fehlen ließ.

Die zweifelhaften Aussichten für unsere Liebe waren bey weitem nicht der einige Gegenstand der Unterhaltung bey unsern geheimen Berathschlagungen. Idas Schicksal ging Marien weit mehr zu Herzen als ihr eignes. Hoffe nur nicht, sagte sie zu mir, daß ich je daran denken werde, einen von deinen Anschlägen zu unserer Verbindung zu begünstigen, so lang ich wegen dieses Kindes nicht außer Sorgen seyn kann, du mußt uns beyde retten oder auch auf mich Verzicht thun. – Süße leidende Unschuld! setzte sie hinzu, indem sie die [252] kleine Ida, welche auf ihrem Schoosse eingeschlafen war, an ihre Brust drückte, dich verlassen? dich in den Händen dieser Stiefmutter verlassen? daß dieses ohnedem hinwelkende Leben vollends ganz verblühte? die geknickte Blume völlig gebrochen würde? – sieh nur, Trauter, kennst du wohl in dieser bleichen zärtlichen Gestalt die ehemahls so blühende Ida? und gleichwohl genießt sie nichts als was ich ihr selbst bereite; ich muß besorgen, die Luft, die wir hier athmen, ist vergiftet, und der Basiliskenblick der bösen Gräfinn kann das Leben dieses Kindes zerstören, denn mehr als das Anschauen der holden Kleinen würde ich ihr nie gönnen; wenn sie sie auch so sehr suchte als sie sie jetzt von sich stößt.

Liebe und Argwohn machten Marien geschwätzig, sie wußte jeden Tag neue Proben von der Grausamkeit der Stiefmutter anzuführen, und behauptete, wenn die Gräfinn erst selbst Mutter würde, denn müßte alles noch schlimmer gehen, der Graf würde sich noch weniger als jetzt um seine Ida bekümmern, und diese würde ihren künftigen Geschwistern ganz aufgeopfert werden.

Es war nicht schwer Mariens Wünsche zu errathen, ich sollte durch einen kühnen Streich ihr ihre Freyheit, mir ihre Hand, und der kleinen Gräfinn Rettung aus den Gefahren, die sie umgaben, schaffen; eine Forderung, welche bey mir, [253] was das letzte betraf, immer viel Widerspruch fand. Ich liebte die holdseelige Ida, aber ich konnte mich nicht bereden ihre Lage für so gefährlich anzusehen, daß sie zu Verbesserung derselben ihrem Vater entrissen und der Rechte ihrer Geburt beraubt werden dürfte. Ich rechnete viel von Mariens Besorgnissen auf die übergrosse Zärtlichkeit, die sie für ihr Pflegekind, und den eben so übertriebenen Haß, den sie für diejenige fühlte, welche sich in den Platz ihrer angebeteten Gebieterinn, der verstorbenen Gräfinn von Würtemberg gedrängt hatte. Ich hofte, dem Kinde könne auf leichtere Art geholfen werden, und blieb fest bey dem Vorsatze, nie mich zu einem Raube zu verstehen, den ich für den sträflichsten von allen hielt.

Indessen ereignete sich eine Begebenheit, welche mich überwand und Mariens Anschläge zur Würklichkeit brachte, ohne daß es nöthig war die geringsten Anstalten dazu zu machen. Was soll ich sagen? Liebe und Mitleid besiegten, der Anschein einer besondern göttlichen Fügung verblendete mich, Marie war klug genug meine Schwäche zu nützen, und der Schritt ward gethan, welcher mir in der Folge so viel Sorge, Reue und Gewissensbisse, und diesem unglücklichen Kinde so viel Leiden machte, der Schritt, dessen böse Folgen jetzt erst, wie ich hoffe, gänzlich gehoben sind.

[254] Ich hatte meine Wohnung, um desto verborgener zu bleiben, eine reichliche Stunde von dem Schlosse, auf welchem Graf Eberhard zu Wisbaden residirte. Ich machte mich täglich bey eintretender Nacht auf, Marien zu besuchen, und kehrte nach dem Gespräch von einigen Stunden, den seeligsten meines Lebens, zurück, um nicht von dem anbrechenden Tage verrathen zu werden. Mein Weg trug mich allemahl durch ein dichtes Gehölz, welches von den Leuten dieser Gegend für die Wohnung böser Geister gehalten wurde, und das ich also ohne die Kraft der allmächtigen Liebe nie würde haben ohne Schauer betreten können, vornehmlich da mir in demselben sehr oft Dinge begegneten, welche ich mir nicht recht zu erklären wußte.

Gott weis, sagte ich oft zu Marien, was ihr in eurem Walde habt. Dieses bey Tage so öde Gehölz ist zur Nachtzeit durchaus belebt, Stimmen lassen sich hören, Gestalten schleichen auf und ab, und kommen oft so nahe, daß sie mich zu berühren scheinen; aber, Gott sey Dank, sie thun dem friedlichen Wanderer kein Leid, auch lasse ich sie gehen, mache mein Kreuz, und scheine sie nicht zu bemerken.

Eines Abends, da ich Marien, wegen einer Krankheit ihres Pflegekinds, die ihr keine Achtsamkeit [255] für mich überließ, zeitiger als sonst verlassen hatte, begegnete mir etwas, das meine Zweifel in Ansehung des unheimlichen Waldes gänzlich aus dem Wege räumte, und das Signal zu einer Handlung gab, die ausserdem wohl nie würklich geworden seyn möchte.

Es war eine von jenen finstern Nächten des Herbsts, in welchen kein Mond, kein Sternenlicht durch die nebliche Luft zu dringen vermag. Ein feuchter Duft ruhte auf der ganzen Gegend, man ging wie in einer Wolke, und sahe nichts als zuweilen einen hüpfenden schnell auffahrenden Funken, der vielleicht von Irrlichtern, vielleicht von noch etwas schlimmern herrühren mochte.

Ich tappte auf dem so oft gethanen Wege wie ein Unwissender, stieß wider die Bäume an, glitt auf dem morastigen Boden aus, rafte mich auf, tappte von neuem, und verlor den Pfad endlich so gänzlich, das ich, aus Furcht immer tiefer in das Gehölz, vielleicht an gefährliche Oerter zu gerathen, die man mir in der Herberge genannt hatte, mich entschloß den Morgen abzuwarten, und die Nacht auf dem feuchten Boden zuzubringen, den ich so gut ich konnte mit dem abgefallnen Laube bedeckte, das ich in der Dunkelheit zu sammen zu raffen vermochte.

Ich hatte noch keine Stunde auf diese Art geruhet, als ich das Geräuch hörte, welches mir [256] in diesem Walde so oft kalten Schauer gemacht hatte, und das dem entfernten Schritt gewapneter Leute glich. Es kam näher, zertheilte sich, ward still, und erhob sich von neuem. Mich dünkte, ich hörte jetzt einen doppelten Fußtritt, und die Stimme zweyer dieser Wesen, die ich bis hieher für Geister gehalten hatte. Dicht an dem Strauch, hinter welchem ich lag, hielten sie, und ich vernahm zum erstenmahl! daß diese Stimmen, die mir der Wiederschall des Waldes bisher nur immer wie ein holes unartikulirtes Lallen zum Ohre geführt hatte, würkliche Worte zu bilden vermochten: eine Entdeckung, welche mir grosse Zweifel in Ansehung desjenigen beybrachte, was ich bisher von ihnen geglaubt hatte. Immer dachte ich, und ich denke es auch noch, jene stillen Bewohner einer andern Welt müssen andere Mittel haben, einander ihre Gedanken mitzutheilen als menschliche Worte.

Mein Muth fing an zu wachsen! ich strengte mein Gehör an um durch dasselbe den Mangel des Sehens zu ersetzen, welches die undurchdringliche Nacht mir gänzlich verwehrte. – Ich ward bald völlig überzeugt, daß diese Schreckbilder, welche mich bisher so oft geängstigt hatten, Menschen waren wie ich, die sich über die Unbequemlichkeit der Witterung beschwerten, auf die schmähten, welche ihnen zu befehlen hatten, und den Tag herbey wünschten. Schon war ich im Begriff [257] mich ihnen kund zu geben, und durch gemeinschaftliches Gespräch und vielleicht gegenseitige Hülfe die lange Nacht zu vertreiben, und uns unsere Lage zu erleichtern, aber einige Worte, die ich hörte, machten mich neugierig vorher zu wissen mit wem ich zu thun habe, und ich zog mich dichter zusammen um desto bequemer zu lauschen.

Was war das? rief einer von ihnen, es rauschte im Gesträuch! Ist der Mann aus dem Walde schon vorüber? – Einmahl: sagte der andere. Das zweytemahl erscheint es gemeiniglich wenn die Nacht sich vom Tage scheidet. Es thut keinem Menschen leid, fürchte dich nicht, und wenn es jetzt vorbeystriche.

Ich halte, sprach der andere, es ist Hans Herdsmann, der wie das Landvolk spricht, in dieser Gegend erschlagen ward, ich gehe ihm allemahl aus dem Wege, wenn ich ihn ziehen sehe, und bete vor seine arme Seele. Gott tröste ihn, sprach der erste, sein Gewand ist weiß, das Blut, das man ihm aus dem Leibe zapfte, klebt nur an seinem Saume, er mag wohl unschuldig gewesen seyn.

Diese und noch einige Worte der Art machten mir es wahrscheinlich, daß meine Nachbaren von mir sprachen; mein weißer Reutermantel mit den rothen Säumen ward gar zu natürlich bezeichnet, und es nöthigte mir ein heimliches Lachen ab, daß ich hier die Rolle eines Gespenstes bey denen [258] gespielt hatte, welche ich selbst, nicht ohne Schauer, für Geister zu halten gewohnt war.

Mich dünkte, ich hörte etwas, fing der eine an, wie wenn einer in die Faust lacht; es neckt uns hier, wir wollen weiter gehen! – Nicht von der Stelle, rief der andre, du weißt, daß wir die Herrn hier erwarten müßen. – Sind sie wieder auf Wisbaden zugeritten? – Ja, mich wundert nur noch was aus diesen Dingen werden wird –

Bald darauf hörte ich das Geräusch einiger Kommenden. Meine bisherigen Nachbarn mußten abtreten, nachdem sie ihren Herrn unter den Bäumen ein Lager von ihren Mänteln gemacht hatten. Meine neuen Gesellschafter waren allein, und ich hatte Gelegenheit ein Gespräch zu hören, welches interessanter war, als das vorige, und das endlich meine Aufmerksamkeit so ganz hinriß, daß wenig fehlte, ich hätte mich verrathen. Was ich vernahm, war nichts geringers als ein Anschlag auf den Grafen von Würtemberg, den sie in seiner Sicherheit zu Wisbaden zu überrumpeln dachten. Der eine von meinen Nachbarn, der das Haupt einer nicht kleinen Anzahl von räuberischen Rittern zu seyn schien, wie ich aus seinen Reden abnehmen konnte, bekannte seinem Gefährten offenherzig, daß er nicht so wie seine Leute auf die ansehnliche Beute dächte, welche ihnen bey dem reichen [259] Grafen nicht entgehen könne, sondern mehr auf Graf Eberhards schöne Gemahlin, welche ihn ehemahls geliebt habe, seiner müde geworden sey, und bald darauf sich in die Arme des Grafen von Würtemberg geworfen habe.

Ich ward in meinem Gebüsche immer aufmerksamer, denn jetzt hörte ich die Anzahl der Feinde Graf Eberhards, jetzt ihre Nahmen nennen, unter welchen sich auch zwey Herrn von Unna, unsers Herrmanns Vater und Bruder befanden. Der Morgen fing an heranzudämmern; es erschienen mehrere Geharnischte: man ging zu Rathe; die beyden ersten Ritter sagten aus, was sie zu Wisbaden erkundschaftet hatten; der Tag des Ueberfalls ward bestimmt, und, o stellt euch mein Entsetzen vor, es war der, welcher eben jetzt angebrochen war; mein Anschlag, den Grafen zu warnen, den ich währenden Hören faßte, mußte augenblicklich ausgeführt werden, wenn ich dem Unglück das ihm drohte, zuvorkommen, und ihm Zeit gewinnen wollte, auf seine Rettung zu denken.

Ohne mich lang zu besinnen erhob ich mich leise aus meinem Hinterhalt. Ich wollte die Meynung nützen, welche die Knechte von mir hatten, und wovon ich auch in dem Gespräch der Ritter einige Spuren entdeckt hatte. Ich kehrte meinen Mantel um, damit die ganz roth gefärbte innere Seite meine Erscheinung desto schrecklicher machte. [260] Ich ging langsam einen Pfad, welcher dicht bey ihnen vorbey führte; ich merkte, daß man mich ungeachtet der Dämmerung gewahr ward, und daß mein Anblick ein allgemeines Entsetzen verbreitete. Alle schwiegen wie vom Donner der Sprache beraubt, und ich war schon ziemlich entfernt, als ich erst die Worte vernahm: Schon fast Tag, und noch diese Erscheinung? so nahe bey uns? Sein Gewand blutroth? Das bedeutet nichts guts, der Tag wird blutig werden!

Sobald ich ihnen aus den Augen war, verdoppelte ich meine Schritte, und kam fast außer Athem zu Wisbaden an. Ich verlangte mit dem Grafen zu sprechen; man sah mich mit Verwunderung an und brachte meinem Herrn geschwind die Botschaft: Münster, den man in Italien geglaubt habe, sey angelangt, und habe ihm wichtige Dinge vorzutragen.

Graf Eberhard empfing mich, ungeachtet ich unzurückgefordert erschien, gnädig; meine bekannte Treue machte ihm muthmaßen, daß ich nicht ohne Ursach meinen Posten verlassen haben würde. Ohne mich mit den Bewegungsgründen meiner Ankunft in diesen Gegenden aufzuhalten, entdeckte ich gleich, was ich diese Nacht im Walde gehört, den Anschlag der Martinsritter, (diesen Namen hatten sie sich gegeben, weil sie ihrer Sache am [261] Martinsabend waren einig geworden) und die Zeit des Ueberfalls.

Unvorsichtiger Weise erwähnte ich auch das, was der verstoßene Liebhaber der Gräfinn von Würtemberg von dieser seiner ehemahligen Geliebten gesagt hatte, und verderbte damit den ganzen Handel. Die Gräfinn war gegenwärtig; sie schrie über Beschimpfung, gab mein ganzes Anbringen für Fabel aus, die zu Erreichung irgend eines boshaften Entzwecks erdichtet sey, sprach, meine heimliche Anwesenheit sey ihr nicht ganz unbekannt, einige des Gesindes hätten mich schon seit etlichen Tagen in diesen Gegenden gesehen und was der Anklagen weiter waren, welche Graf Eberhardten gegen alles, was ich ihm vorstellte, verblendeten, und mich ins Gefängniß brachten.

Man stelle sich meine Angst vor! – Nicht allein in bösem Verdacht bey meinem lieben Herrn, ins Gefängniß gerathen zu seyn, sondern auch meine guten Absichten vernichtet, ihn, und die ich so sehr liebte, meine Marie und das Kind, das ihr alles war, der größten Gefahr unvorbereitet überlassen zu sehen.

Die Zeit des Ueberfalls erschien; mein Herz schlug stärker. Einigen Trost gab es mir doch, daß ich auf dem Schloßhofe Geräusch von Wagen und Pferden, und Geschrey der hinweg eilenden vernahm, es schien doch, daß man meine Worte [262] nicht gänzlich in den Wind geschlagen habe, war doch möglich, daß die, welche ich liebte, gerettet wurden.

Die Todtenstille, welche hierauf folgte, bestärkte mich in meiner Meynung, und ich hörte es mit ziemlicher Ruhe, als ich um die Abendzeit wildes Waffengetös und alle Anzeichen vernahm, daß die Martinsritter ihrem Vorsatz getreu geblieben waren, und sich eingestellt hatten. Was sie fanden, was sie ausrichteten, war mir unmöglich zu errathen, ich hörte blos Geschrey der Obsiegenden und Unterliegenden, und o Himmel, endlich ward mir fast alle Besonnenheit benommen, als ich Worte vernahm, die mir wahrscheinlich machten, man wollte, um die vorgehabte Frevelthat zu bekrönen, das Schloß beym Abschiede den Flammen übergeben; eine Drohung, die mir das Blut in den Adern zu Eis machte und welche bald darauf durch alle meine Sinne bestätigt ward. Der Rauch drängte sich durch die kleine vergitterte Oefnung im Gewölbe meines Kerkers herein, mein düstrer Aufenthalt ward durch Feuerstrahlen erhellt, ich war gefangen, mußte hier ohne Hülfe verderben, wenn nicht ein Wunder zu meiner Rettung geschah.

Ich hielt mich nicht für heilig genug ein solches vom Himmel zu erwarten, und bediente mich in Ermanglung dessen meiner starken Schultern, welche ich wider die Thür meines Kerkers setzte, [263] und mir dadurch, indem ich sie zersprengte, Luft machte; ein Entschluß, den ich eher hätte fassen können, ohne erst das Aeußerste abzuwarten.

Ich kam aus dem unterirdischen Gange, in welchen die Thür meines Kerkers führte, endlich in einen der Schloßhöfe hinauf. Der eine Flügel des Gebäudes stand in vollen Flammen; unwillkührlich wandten sich meine Augen nach dem andern, in welchen Mariens Kammer lag, und der bis jetzt nur noch erst an einigen Stellen glimmte und rauchte. Wohl mir, sagte ich zu mir selbst, daß sie geborgen ist, ohne Zweifel war sie mit unter denen, welche dem Verderben noch zu rechter Zeit entkamen. Aber ist sie auch geborgen? flüsterte mir der Engel der Liebe zu, und ohne mich weiter zu besinnen, flog ich nach dem Orte, den ich nie mit dem Wunsche betreten hatte wie jetzt, Marien nicht daselbst zu finden.

Alles war öde und stille, jedermann schien geflohen zu seyn. Der Rauch und die Hitze waren fast unausstehlich. Marie wird nicht allein zurückgeblieben seyn, rief in mir die Selbstliebe und der Abscheu vor der Gefahr, die mir hier auf jedem Schritte drohte, aber die Liebe sprach lauter; ich mußte mich unwidersprechlich überzeugen, und eilte die hundert Treppen hinauf, die man bis zu Mariens armseligen Kämmerlein zu steigen hatte. – Nahe am Ende meines mühseligen Weges [264] machte mich das Winseln eines Kindes aufmerksam. Ich verdoppelte meine Schritte. Ich vernahm die Stimme der kleinen Ida deutlicher. Jetzt stand ich an ihrer Thür, die, o Entsetzen, mit einem großen eisernen Riegel von außen versperrt war, ich brach hinein, Marie lag ohnmächtig auf dem Boden, das Fenster war geöfnet, aus welchem sie vermuthlich hatte entfliehen wollen, aber von der Höhe des Sprungs zurück geschreckt worden war, die kleine Ida lag schreyend auf der Erde und schien ihre Amme erwecken zu wollen. Welch ein Anblick! – Doch ich hielt mich nicht mit langen Betrachtungen auf. Marie ward ziemlich ungestüm vom Boden aufgerissen und auf meine Schultern geladen, die kleine Gräfinn schloß ich in meine Arme, und so kam ich, ich weis noch selbst nicht wie, in den Hof hinab, wo ich meine Bürde von mir legte um zu Athem zu kommen. Ein Engel mußte mich auf seinen Fittigen getragen haben, sonst wärs fast unmöglich gewesen, bey der erstickenden Luft, bey dem immer gefährlicher werdenden Wege das zu vollbringen, was ich gethan hatte.

Marie kam zu sich selbst. Wir nützten den ersten Augenblick, da sie zu gehen vermochte, unsere Flucht weiter fortzusetzen, denn so weitläuftig auch der Schloßhof war, so fanden wir doch auch [265] hier keine Sicherheit mehr. Wir entkamen in das Gehölz, den bisherigen Aufenthalt der treulosen Mordbrenner, und hier erst war es, da wir es wagten zu ruhen und uns vor Feuer und Feindesschwerd sicher hielten.

Ich fragte Marien, wie es möglich sey, daß man sie und die kleine Gräfinn allein in dem verlassenen Schlosse habe zurücklassen können. Ich merkte aus ihren Antworten, daß sie von allem was vorgegangen war nichts gewußt hatte, bis die Feuersbrunst sie vor ihr Leben besorgt gemacht, sie vergebens um Hülfe gerufen, vergebens die Thür zu öfnen, vergebens hinab zu springen gesucht hatte und endlich aus Entsetzen ohnmächtig nieder gesunken war.

Die wahre Beschaffenheit der Sache war, wie ich lang nachher erfuhr, diese. – Graf Eberhard von seinem Weibe, Gott weis aus welcher Absicht, getäuscht, glaubte meinen Warnungsworten nicht eher, bis schon, nachdem ich etliche Stunden im Gefängnis gelegen hatte, meine Aussage durch einen Hirten dieser Gegend bestätigt ward. Dieser Mann hatte so wie ich, etwas von dem Anschlage der Martinsritter belauscht, und eilte den Grafen zu warnen. Graf Eberhard eilte, das, was ihm am liebsten war, seine Familie in Sicherbeit zu bringen, indessen er zurückbleiben, seine Leute sammeln, und den Feind erwarten wollte. Der Hirt [266] machte sich anheischig die Fliehenden durch einen geheimen Bergweg zu retten. Der Graf letzte sich mit seiner Gemahlinn, befahl ihr, nichts im Schlosse zu lassen, was gerettet zu werden verdiente, und bezog seinen Posten. Die Gräfinn hatte den Befehl ihres Herrn befolgt, nichts war im Schlosse geblieben, was sie der Rettung würdig schätzte; daß hierunter die Amme und Ida sich nicht befand, daß sie wissentlich oder aus Versehen vergessen ward, ist bey den Gesinnungen ihrer grausamen Stiefmutter so sehr nicht zu verwundern.

Indessen wußte Marie von allen diesen Dingen nichts. Sie bemerkte wohl einigen Auflauf in dem Hofe, in welchen ihre Fenster gingen, sah, daß man Anstalten zu einer Reise machte, aber sie ahndete, es würde eine von den gewöhnlichen Reisen zu den benachbarten Edeln seyn, während welchen sie mit ihrem Pflegkinde immer das glücklichste Leben zu führen pflegte, und denen sie immer mit Freuden entgegen sah. Die Höhe ihrer Wohnung verhinderte sie, zu verstehen, was in der Tiefe gesprochen wurde, so wie auch der abgelegene Hof, in welchen ihre Fenster gingen, sie zu sehr von der Hauptseite des Schlosses entfernte, als daß sie den Anfall der Feinde anders als in der Ferne hatte vernehmen können.

[267] Doch machte sie das, was sie davon hörte, neugierig genug, um sie zu bewegen, den verbotenen Weg aus dem kleinen Revier, das sie bewohnte, versuchen zu wollen, sie fand es ohne sonderliche Befremdung verschlossen; dergleichen pflegte, wenn der Gräfinn die Laune kam, oft zu geschehen, und sie hofte, die Oefnung der Thür und die Erklärung dessen, was sie wissen wollte, von der Magd, welche gewöhnlich das Abendessen zu bringen pflegte. Sie erschien nicht, es ward spät. Marie und die kleine Ida, schon gewohnt, zuweilen ungespeist zu Bette zu gehen, entschliefen, und wurden endlich durch das Getös des Feuers er weckt Sie suchte vergebens zu fliehen. – Furcht und Entsetzen benahmen ihr die Sinne, und sie sah sich jetzt gerettet, durch mich gerettet, ohne weder Gefahr noch Rettung ganz begreifen zu können. – Auf die Erklärungen, die wir uns hierüber machten, folgten Entschließungen für die Zukunft; die Meinigen waren von Mariens ganz verschieden. Ich sann darauf, die kleine Ida wieder in ihres Vaters Hände zu liefern, indessen sie von dem letzten bösen Streiche, den man diesem unglücklichen Kinde gespielt hatte, bis zur Wuth erbittert, mir zuschwur, nie mir wieder einen Blick zu gönnen, wenn ich meine Absicht ausführte. Ob Marie Ursach hiezu hatte, ob es wahr war, daß die kleine Gräfinn [268] wieder in die Hände der Stiefmutter zu bringen und sie zu ermorden, einerley sey, das gebe ich meinen erhabenen Zuhörerinnen zu bedenken; mir wollte es nicht ganz einleuchten. Ich hoffte auf Graf Eberhards Liebe für seine Tochter, und auf seinen Schutz, wenn man ihm die Augen über die bösen Gesinnungen seiner Gemahlinn öfnete? aber Liebe und Unmöglichkeit setzen sich der Ausführung dessen, was ich für recht hielt, entgegen. Ungern wollte ich Mariens Liebe verlieren, und unmöglich war es jetzt zu Graf Eberhardten zu kommen und ihm sein verlornes Kind wiederzugeben. Die Martinsritter machten die Wege noch immer unsicher. Der Haß der Reichsstädte machte, daß der Graf von Würtemberg lang keine bleibende Stätte hatte. Mit Mühe wußte er seine Gemahlinn aus den Händen der Räuber retten, in welche sie aller Vorsicht ungeachtet doch gefallen war Sie fanden endlich Zuflucht bey dem Bischoff von Strasburg, aber dieser war ein Verwandter der Gräfinn von Würtemberg, und wir mochten ihm unsere Ida nicht vertrauen.

Wir hatten indessen bereits Ruhe und Glück gefunden. Ein Auffenthalt von etlichen Tagen in dem Walde, den man in dieser Gegend für eine Wohnung der Geister hielt, hatte uns zu [269] Besitzern eines kleinen Schatzes gemacht, der die Quelle unserer nachmahligen Reichthümer ward. Ich wollte mir und den Meinigen gleich am ersten Tage unserer Ankunft im Walde eine Art von Obdach wider den Regen, der unaufhörlich herabtroff, erbauen, ich grub in die Erde um einige Pfähle einzurammeln, ich stieß auf ein kleines eisernes Behältniß, das mit Geld angefüllt war, und das, wie wir aus einem dabey gelegten Stück Pergament sahen, jenem Hans Herdsmann gehört haben mochte, den man in dieser Gegend für einen Räuber hielt, und als einen solchen vor mehr als zwanzig Jahren in diesem Walde überfallen und erschlagen hatte.

Ich erinnerte mich dieser letzten Umstände aus dem Gespräch der beyden Reuterknechte der Martinsritter, die ich des vorigen Abends hier belauscht hatte, und hielt es nicht für Unrecht der Erbe desjenigen zu seyn, dessen Person ich in den Augen der furchtsamen Krieger eine Zeit lang gespielt hatte.

Unser gefundenes Geld machte, daß es uns, nachdem wir den Wald verlassen konnten, nicht an Zuflucht fehlte. Wir wandten uns nach Nürnberg, wurden als entflohne Unterthanen des Grafen von Würtemberg, wofür uns Mariens Geschwätzigkeit bald bekannt machte, wohl aufgenommen, und durch Gefälligkeiten und Versprechungen [270] fest gehalten. Ich heyrathete meine Geliebte, und mußte ihr, ehe ich ihre Einwilligung erhielt zuschwören, in den nächsten zehn Jahren nicht an Idas Auslieferung zu denken, sondern sie, bis sich die Zeiten für dieses unglückliche Kind besserten, als meine Tochter anzusehen.

Wir richteten unser Hauswesen ein, ich fing an zu arbeiten, ich lieferte Stücke, welche Verwunderung erregten, und meinen Ruf weit ausbreiteten. Ich arbeitete für Kirchen und Klöster, ward endlich nach Prag berufen, wo die Erbauung der Domkirche mich so lange in Arbeit erhielt, bis ich die Stadt gewohnt zu werden, sie lieb zu gewinnen begann und daselbst zu bleiben beschloß. Unsere Ida war indessen herangewachsen, ihre Schönheit und die Erziehung, die wir ihr in Rücksicht auf ihren Stand gegeben hatten, zeichneten sie aus; wir mußten sie eingezogen halten, wenn wir kein Aufsehen erregen wollten. Der Vorwitz meines Weibes machte, daß die Regel, die ich ihr in Ansehung der jungen Gräfinn vorgeschrieben hatte, ein einig mahl überschritten wurde; Ida kam bey eurer Vermählung, gnädige Frau, zum Vorschein, und diese einige Erscheinung ward der Grund alles ihres nachmahligen Unglücks.

Meines höchsten Glückes! rief Ida, indem sie Sophiens Hand zärtlich an ihre Lippen zog.

[271] Marie, fuhr Münster fort, hatte ihre eigene Absichten; sie machte sich Vorwürfe, die geliebte Gräfinn um die Vorrechte ihres Standes gebracht zu haben, aber nie wollte sie einwilligen, daß ich sie wieder in das Haus ihres Vaters brächte, sie wollte sie empor heben ohne seine Hülfe, sie haßte ihn viel zu sehr, konnte ihm seine blinde Liebe gegen Idas Stiefmutter und die Nachläßigkeit gegen sein Kind viel zu wenig verzeihen, als daß sie ihm gönnen sollte Antheil an dem künftigen Glück ihrer Pflegetochter zu haben. Sie hofte auf die Gnade der Kaiserinn, hofte auf den jungen Herrmann von Unna, von welchem sie bald merkte, daß er Ida liebte, und den sie um so viel mehr begünstigte, weil sie wußte, daß sein Haus dem Grafen von Würtemberg zuwider war. Sie machte tausend Entwürfe, that tausend falsche Schritte hinter meinem Rücken, bis sie endlich das Schicksal derjenigen, die sie liebte, so sehr verwickelte, daß die, welche sie glücklich zu machen suchte, beynahe das Opfer ihrer verunglückten Plane geworden wär, wenn nicht ich endlich noch mit meinem Anschlage durchgedrungen hätte. – Ich offenbarte Idas Herkunft ihrem Vater, es war leicht ihm die Augen ihretwegen zu öfnen, Idas Gesicht und andere Merkmahle waren zu kenntlich um von ihm verworfen zu werden, überdieses ist die böse Stiefmutter seit länger als einem Jahre [272] gestorben, der Tod ihrer einigen Tochter, der verschmähten Braut des Herzogs von Braunschweig, zog den ihrigen nach sich, und Graf Eberhards Herz war jetzt leer und frey genug, um diejenige aufzunehmen, die er ehemals vernachläßigte, sie auf Vorspiegelung seines Weibes bisher bald für verloren, bald für Tod hielt und – und welcher er nun verspricht ihr alles zu ersetzen, was sie ehedem durch seine Schuld litte.

Münster stockte beym Ende seiner Erzählung, Ida seufzte, und Sophie versprach, ihre Mutter und Versorgerinn zu seyn, wenn der Graf es an treuer Erfüllung seines Versprechens sollte ermangeln lassen. Das vornehmste, setzte sie hinzu, was wir jetzt zu thun haben, wird seyn, daß wir dich, liebe Ida, so bald als möglich zur Gemahlinn deines Herrmanns machen. O mein Kind, das Leben ist kurz, man kann nicht zu zeitig anfangen glücklich zu seyn! Die Väter sind zuweilen wunderlich, denken eine Tochter überherrlich zu beglücken, wenn sie sie mit irgend einem großen Herrn verbinden, dem es an Liebe, Tugend und Anmuth gebricht, der nichts vor sich hat als sei nen Rang, ach Ida! ich weis Exempel!

Die Kaiserinn seufzte tief bey diesen Worten, und Ida verstand sie vollkommen. Sie dankte ihr für den Eifer, mit welchem sie sich ihrer anzunehmen dachte, und setzte sehr weislich die Bitte hinzu, [273] nichts zu übertreiben, sondern es der Zeit zu überlassen, Dinge möglich zu machen, an welche jetzt schwerlich zu denken seyn würde; eine Vorstellung, welche bey Sophien sehr nöthig war, und die doch gänzlich von ihr in den Wind geschlagen wurde.

26. Kapitel. Schaden durch übergroße Gnade
Sechs und zwanzigstes Kapitel.
Schaden durch übergroße Gnade.

Ida mußte sich auf Befehl der Kaiserinn entfernen. Münster, den sie gern auf jede Art auszeichnete, es gern vor aller Welt sehen ließ, daß sie noch immer kindliche Gesinnungen gegen ihn hege, sich nicht schäme einst seine Tochter geheißen zu haben, begleitete sie nach Hause, und sie brachte daselbst einige der seligsten Stunden ihres Lebens in seiner Gesellschaft zu. Seine Erzählung hatte die heißesten Gefühle der Dankbarkeit in ihrem Herzen rege gemacht, die mancherley Gefahren, aus denen er sie rettete, die mehr als väterliche Zärtlichkeit, mit welcher er sich ihrer annahm als sie ganz verlassen war, die Aufopferung, mit welcher er immer ihr Wohl dem seinigen vorzog, was für Stoff zu Herzensergießungen, die sie auf seine Bitte nie öffentlich wagen, allezeit für die Einsamkeit versparen mußte!

[274] Einige Stunden entflohen ihnen auf diese Art, ohne daß sie es gewahr wurden, und eine ähnliche Zeit würde kaum hinlänglich gewesen seyn, das was sie noch vor sich hatten zu enden, denn eben entdeckte Ida ihrem ehemaligen Vater den Wunsch, diejenige, welche sie so lange Mutter genannt hatte, der sie ebenfalls tausendfachen Dank schuldig war, immer um sich zu haben, und die Hoffnung, die Erfüllung desselben leicht beym Grafen von Würtemberg zu erhalten.

Münster schüttelte den Kopf, er schien die Ehre, welche man seiner Marie zudachte, weder zu wünschen noch zu hoffen, er wollte den Grund seiner Zweifel eben entdecken, als Idas Frauen die Ankunft des Grafen meldeten. Die beyden Sprechenden erhuben sich dem Kommenden in tiefer Ehrfurcht entgegen zu gehen. Der Graf trat ungestüm ein, ein Ungewitter schwebte auf seiner Stirne, er beantwortete Idas Liebkosungen mit Kälte, und befahl ihrem ehrwürdigen Freunde mit einem Winke sich zu entfernen.

Ich wundere mich, rief er nach einem langen unruhig Auf- und Abgehen, ich wundre mich, wie du in deiner jetzigen Lage vergangne Zeiten noch so gar nicht vergessen kannst; du bist die Tochter des Grafen von Würtemberg, nicht dieses Münsters, den du wegen des Unrechts, das er dir angethan hat, hassen und fliehen, ihn nicht mit Liebkosungen [275] überhäufen, nicht Stunden lang in deinem Zimmer dulden, oder dich öffentlich von ihm begleiten lassen solltest.

Mein Vater! Ein so treuer Diener wie Münster, der Retter, der Versorger eurer Tochter, als sie – –

Genug! – Ich höre, daß er die Geschichte deiner Entführung heute in Gegenwart der Kaiserinn erzählt hat, und ich hoffe, du wirst klug genug seyn einzusehen, wie schlecht er an dir handelte, wie sehr er durch diese That, welche alle seine Erdichtungen nicht zu entschuldigen vermögen, an dir und mir handelte. – Ich hätte Recht und Macht ihn zu strafen, aber – um deinetwillen schone ich ihn. Laß dies genug seyn, und reize mich nicht weiter.

Ida, welche nicht an diesen Ton der väterlichen Sprache gewöhnt war, wußte das, was sie hörte, nicht anders als mit Stillschweigen zu erwiedern. – Es erfolgte eine lange Pause, Graf Eberhard setzte seinen Spatziergang fort und fing nach einer Weile das Gespräch von neuem an.

Ich habe, sagte er, heute auf mannichfaltige Art um deinetwillen gelitten. Am Morgen vernahm ich Dinge von dir, welche ich für unglaublich hielt, und am Abend wurde mir bey Hofe über einen gewissen Gegenstand zugesetzt, der meinen Glauben an deine Unschuld wankend machte, und den –

[276] Lieber Vater, sprach Ida mit liebkosendem Ton, nicht diesen geringen Blick, der Unwille hemmt eure Worte, was habe ich gethan? sollte ich wirklich, wirklich so unglücklich seyn, euch Leiden zu machen?

Das thust du, wenn du nicht im Stande bist, die Fragen, welche ich dir jetzt vorlegen will, mit nein zu beantworten – Komm, sage mir, sollte es möglich seyn, daß in jener Nacht, der ersten, nachdem du wußtest, daß ich dein Vater sey, in jener Nacht, da ich dich zur Unzeit wachend fand, du einen Jüngling bey dir gehabt habest, der, als ich erschien, mit Lebensgefahr vom Altan in den Garten hinabsprang, bey der Wache vorbey strich, und von ihr in Zweylichten für Herrmann von Unna erkannt wurde? Du schweigst? – Eine schöne Vertheidigung deiner Unschuld! – Höre die zweyte Frage: Warst du es, welche die Kaiserinn bewog, mich diesen ganzen Abend mit Bitten, mit Vorstellungen wegen der unmöglichen Liebe zu quälen, die zwischen dir und diesem Herrmann, diesem elenden Sprößling eines verworfenen Hauses statt finden soll? – Du weißt die Bitten der Monarchinn sind Befehle, war dir es möglich deinen Vater in eine solche Verlegenheit zu stürzen? – Du schweigst abermahls? – Gut, ich kenne dich nunmehr! Ich weis, was ich zu thun habe, dein Urtheil ist gesprochen!

[277] Der Graf von Würtemberg entfernte sich, und hinterließ seine Tochter in einer Bestürzung, welche durch nichts vermehrt werden konnte, als durch den Befehl, den sie noch diesen Abend erhielt, sich zur Abreise gefaßt zu halten, weil Dinge von Wichtigkeit es nothwendig machten, den Hof eilig zu verlassen.

Ida verstand vollkommen, welches die Bewegungsgründe zu dieser schleunigen Reise waren. Sie sah alle Hofnungen ihrer Liebe wie einen Dampf verschwinden, bedauerte es, sich einer Vorbitterinn vertraut zu haben, welche durch den Eifer, mit welchem sie ihr zu dienen strebte, alles verderbte, bedauerte jeden Schritt, den sie gethan hatte, selbst ihre Liebe zu Herrmann, weil durch sie ein Vater gekränkt wurde, der sie verehrte, dem sie zu gefallen, ihn glücklich zu machen wünschte. Die Trennung vom alten Münster, von der geliebten Kaiserinn, ihr dunkles Schicksal in der Zukunft, was für Aufgaben zu den traurigsten Betrachtungen! sie verlor sich in denselben, überließ ihren Frauen die Zubereitungen zur Reise, dachte an kein zur Ruhe gehen, und war daher des Morgens, als ihr Vater kam sie abzuholen, schon völlig gekleidet, um ihm überall hin zu folgen; ein Umstand, der ihn ohne Rücksicht auf ihre rothgeweinten Augen überredete, daß ihr der Gehorsam gegen seine Befehle nicht allzuschwer ankomme, daß sie Biegsamkeit und Bereitwilligkeit [278] genug habe, um sich ganz so leiten zu lassen, als er wünschte.

Diese Vorstellung, welche, was das letzte betraf, nicht ganz unrichtig war, erwarb ihr einige väterliche Liebkosungen. Graf Eberhard versicherte sie, daß er sie innig liebe, daß er sie glücklich machen wolle, wenn sie sich entschließen könne, gehorsam zu seyn, das ist, ihre liebsten Wünsche seinem Willen aufzuopfern; eine Kleinigkeit, welche, wie er meynte, keine Schwierigkeiten habe.

Sie ward zur Abschiedsaudienz bey der Kaiserinn geführt. Die Worte, welche zwischen Sophie und dem Grafen gewechselt wurden, waren äußerst kalt und ceremoniös, ein Theil von Sophiens Kälte fiel auch auf Ida zurück, nur am Ende erfolgte noch eine so herzliche Umarmung, wie sie von ihr gewohnt war. Undankbares Mädchen! rief sie, du liebst mich nicht, hast nicht Geist genug dich denen zu widersetzen, welche dich von mir reißen wollen! Sprecht, Graf Eberhard, würdet ihr es wohl wagen, mich meiner liebsten Gespielinn zu berauben, wenn sie entschlossen wär, sich nicht von mir trennen zu lassen?

Der Graf kannte seine Tochter genug um zu wissen, was er von ihrem Gehorsam erwarten sollte; er versicherte, Ida dürfe nur sprechen, wenn sie Bedenken trüg ihm zu folgen. – Ida verstand wie man wollte, daß sie antworten sollte, und da sie [279] sich nicht überreden konnte zu heucheln, so schwieg sie, – Sophie gab ihr noch einen kalten Kuß, der Graf drückte ihr die Hand um ihr sein Wohlgefallen über ihre Aufführung zu bezeugen, und beyde entfernten sich von allen Damen der Kaiserinn begleitet, in deren Blicken, so sehr sie auch Betrübnis erkünsteln wollten, die Freude über die Entfernung ihrer Mitbuhlerinn nicht zu verkennen war.

27. Kapitel. Herrmann tritt von neuem auf
Sieben und zwanzigstes Kapitel.
Herrmann tritt von neuem auf.

Die Fürstinn von Ratibor gehörte unter jene vielgeschäftigen Damen, deren es an jedem Hofe giebt, die Theils zu Unterhaltung ihrer Gebieterinnen, theils zu ihrer eigenen Belehrung, die genausten Nachrichten von allem zu haben strebten, was in dem Bezirk ihres Aufenthalts vorgeht. Ida war von jeher ein Gegenstand der besondern Aufmerksamkeit für sie gewesen, und es ist zu glauben, daß sie ihre Hand und ihren allwaltenden Blick nicht von ihr abzog, nachdem sie Gräfinn von Würtemberg geworden war. Sie wußte alles, was in ihrem geheimsten Zimmer vorging, und ihren Nachforschungen hatte also auch der nächtliche Besuch eines Jünglings nicht verborgen bleiben können. Daß Herrmann dieser Jüngling gewesen war, muthmaßte [280] sie nur, aber sie baute kühn auf diese Muthmaßung fort, und hatte, wie zuweilen geschieht, blindlings die Wahrheit getroffen.

Idas guten Namen zu schaden, sie durch vermehrte und verbesserte Erzählung dieser Geschichte bey der Kaiserinn in Ungunst zu bringen, hatte sie schon versucht, aber da diese bereits von der Sache unterrichtet war, so mislungen ihre Streiche auf dieser Seite und sie mußte sie daher auf eine andere wenden. – Sie war es, welche dem Grafen von Würtemberg von dieser durch ihre Noten so anstößigen Geschichte Nachricht gab. Ihre Eingebungen regierten die Aussagen der angehörten Wache, und so bildete sich, durch ihren unermüdeten Fleis, endlich die Erfüllung des Wunsches, nach welcher sie so lang auf tausendfache Art gestrebt hatte, die Entfernung der gehaßten Ida.

Die junge Gräfinn sah wohl, daß ihr Vater und die Ratibor beym Abschiede freundlichere Blicke wechselten, als zuvor, aber sie war zu gutherzig, die Ursach davon zu errathen, zu gutherzig, in der letzten geheimen Unterredung, die noch an der Thür des Audienzzimmers zwischen beyden vorfiel, etwas zu argwohnen, das ihr Herz durchbohrt haben würde, wenn es ihr bekannt gewesen wär.

Die Ratibor ward von dem Grafen, mit Erbietung aller freundlichen Gegendienste, ersucht, ein wachendes Auge auf diesen Herrmann von Unna [281] zu haben (welcher, wie man sagte, noch gestern in der Stadt gesehen worden sey) und dafern man sich seiner bemächtigen könnte, es ihm nach eigenem Belieben unmöglich zu machen fürterhin an Ida zu denken.

Es ist zu glauben, daß Graf Eberhardt die Bosheit derjenigen nicht kannte, welcher er eine solche Vollmacht gab. Es war ihm sicherlich nicht eben um Herrmanns Untergang zu thun, und er hätte ihm vielleicht gern Glück und Leben gegönnt, wenn er ihn nur hundert Meilen weit von derjenigen hätte entfernen können, die nach seinem Willen nie die Seinige werden sollte.

Ein guter Engel wachte indes für Herrmanns Bestes. Die Fürstinn von Ratibor hatte Recht, er war bisher noch immer in der Nähe gewesen um die Schritte seiner Ida auszuspähen, jede Gelegenheit zu belauschen, wo er sie sehen, wo er sie vielleicht gar sprechen könnte. Die unermüdete Aufmerksamkeit war die Ursach, daß er die Entfernung seiner Geliebten augenblicklich erfuhr, und da er nach ihr hier nichts mehr zu suchen hatte, keine Stunde nach ihr zurückblieb, und so allen Verfolgungen entging.

Seine Absicht war, ihr überall zu folgen, in tausendfachen Verkleidungen immer um sie zu seyn, und zu versuchen, ob nicht endlich irgend eine derselben ihm sein Glück, ein Wort, einen Blick von ihr verschaffen könnte. Wahrscheinlich würde er [282] zu seinem und ihrem Nachtheil diesen Plan ausgeführt haben, wenn ihm nicht der Himmel einen Freund zugeführt hätte, der seinen Entschlüßungen eine bessere Richtung gab – Herrmann wußte durch die kleinen Künste, durch welche er alles erfuhr, was Beziehung auf Ida hatte, daß sie die zweyte Nacht nach ihrer Abreise mit ihrem Vater in einem Dorfe übernachten würde, das ihm bekannt war, und nach welchem er durch einen kürzern Weg zu gelangen wußte, als denjenigen, welchen die Reisenden gewöhnlich zu nehmen pflegten. Hier war es, wo er seine Geliebte erwartete, um, wenn ihm ja kein größeres Glück bestimmt war, sie wenigstens aus dem Wagen steigen zu sehen, wenigstens den Laut ihrer Stimme in der Ferne zu vernehmen, und hier war es, wo er seinen alten Freund, den redlichen Münster traf.

Die Geschichte sagt nicht, ob der alte Mann ähnliche Absichten gehabt habe, als wie der Ritter von der treuen Minne, nur dieses versichert sie, daß er die Plane des letzten höchlich getadelt und alle Mühe angewandt habe, ihn auf vernünftigere Gedanken zu bringen. Was wollt ihr machen? rief er, als Herrmann seine offenherzige Beichte abgelegt hatte. Eure Zeit im Müßiggange zubringen? ewig Ritter Herrmann von Unna bleiben, der nie an die Tochter des stolzen Grafen von Würtemberg denken darf? Tausend Gelegenheiten Ruhm zu erwerben [283] versäumen? Euer Leben, eure Ehre, die Ehre eurer Geliebten in Gefahr setzen, wenn man euch entdeckt? und werdet ihr von niemand, und also auch von ihr nicht erkannt, euch Jahrelang mit fruchtlosen Bemühungen um ein Nichts beschäftigen, und es zu spät bereuen, daß ihr einem Schatten nachjagtet, indessen ihr schon Riesenschritte zu eurem wirklichen Glück hättet gethan haben können? – Nein, Ritter, glaubt mir, verlaßt diesen Ort, verlaßt ihn augenblicklich, ehe noch diejenige erscheint, die den Entschluß, den ihr fassen müßt, könnte wankend machen. Geht zu dem Posten zurück, den ihr um Idas willen verlassen habt. König Siegmund war in keinen guten Händen, als euch die Gefahr eurer Geliebten von ihm rief. Die Liebe entschuldiget, was ihr damahls thatet, aber, nichts ist, was euch zu statten komme, wenn ihr nunmehr säumt, eure Pflicht gegen euren Herrn zu erfüllen. Die Gerüchte, welche von ihm gehen, sind sonderbar. Eure Macht ist zwar klein, ihm nützlich zu seyn, aber eure Treue gegen ihn ersetzt alles, ihr seyd vielleicht der einige, der es redlich mit dem unglücklichen Könige meynt, wollt ihr ihm eure Hülfe entziehen?

Der alte Münster wußte noch auf tausenderley Arten Herrmanns Ruhmbegier, seinen Trieb zur Beobachtung seiner Pflichten, seiner Treue für [284] seinen Herrn in Bewegung zu setzen, und sie zur Schutzwehr wieder fruchtlose Liebe und Müßigang zu machen, und es gelang ihm endlich: Herrmann schwur, nie seine Gedanken auf Ida aufzugeben, aber auch nie ihm auf Unkosten seiner andern Pflichten nachzuhängen. Münster versprach ihm dagegen immer ein wachendes Auge auf Ida zu haben, und beyde trennten sich, wie solche Freunde sich trennen.

28. Kapitel. Schach dem König
Acht und zwanzigstes Kapitel.
Schach dem König.

Nie hat wohl ein Mensch seinem Herrn mit mehrerer Treue gedient als dieser Herrmann. Wie er gegen Kaiser Wenzeln gesinnt war, gegen ihn, den niemand liebte, gegen ihn, der die Ergebenheit des gutherzigen Jünglings mit Haß und Undank belohnte, das haben meine Leser im vorhergehenden gesehen. Es gehörte Zeit dazu, ehe er sich überzeugte daß es ihm erlaubt sey, einen andern Herrn zu suchen; und dieser andre Herr, dieser Siegmund hatte bey ihm die nehmlichen Vorrechte seines Vorgängers. Herrmann wurde von ihm verachtet, verkannt, übersehen, dem ohngeachtet war der Gedanke ihm nützlich zu seyn, ihm ohne Rücksicht [285] auf eigenem Vortheil, der hier gar nicht statt fand, dienen zu können, mächtig genug, ihn aus den Armen der Liebe zu reissen, und in ein Land zu führen, wo er, seit Nikolaus Gara ihn haßte, keinen einigen Freund, keinen Beförderer hatte.

Diese Winke, welche ihm der alte Münster von der zweydeutigen Lage seines geliebten Herrn gab, wurden bey Fortsetzung seiner Reise bestättigt. Bald sollte König Siegmund gar nicht von dem Zuge wider die Ungläubigen zurückgekommen, wahrscheinlich in ihren Händen geblieben seyn, bald war er in der Gewalt der noch gefährlichern Widersacher, die er unter seinen eigenen Unterthanen hatte, bald war er gefährlich verwundet, bald gar tod; Gerüchte, welche sich minderten, so bald Herrmann auf ungarischem Grund und Boden kam, und sich gar verloren, als er sich der Hauptstadt näherte. Hier erfuhr der junge Ritter, daß sein Herr, bisher von Krankheit zurückgehalten, nun erst sich dem Sitz der königlichen Hoheit nähere, und daß jedermann sich rüste, ihn königlich zu empfangen.

Es ist nicht König Siegmunds Geschichte, die ich schreibe, und ich werde daher nur so viel von seinen Begebenheiten mit nehmen, als sich unmittelbar an Herrmanns Abentheuer anketten. Nichts daher von dem Einzug des Königs in der Stadt, die er endlich unter dem Zujauchzen des Volks betrat, [286] das ihn bey allen seinen Fehlern liebte; nichts von dem Gedräng der Grossen, das ihn umgab, nichts von denen Entschuldigungen, Vorstellungen und Versprechungen, die von einer und der andern Seite gemacht wurden, um den Grund zum gegenseitigen Einverständnis zu legen. Freylich waren Siegmunds Leichtsinn, Ueppigkeit, Liebe zur Verschwendung, und gelegentliche Grausamkeit, Flecken in seinem Charakter, welche das Misvergnügen Einiger entschuldigen konnte, freylich hatte er aus seinem Türkenzuge weder Sieg noch Beute mit gebracht, dadurch ehemahlige Fehler hätten können ausgetilgt werden; aber man versprach Vergessenheit des Vergangenen, Siegmund versprach es auch, und verschloß die Augen nur gar zu sehr gegen die tausend Spuren von Treulosigkeit und Verrätherey, die er an dem und jenem seiner Fürsten, vornehmlich an den Gebrüdern Gara nicht verkennen konnte

Das Gedräng um den Konig am Abend nach dem Einzug war so groß, daß es Herrmannen, welcher vor Verlangen brannte ihn zu sehen, unmöglich war Zutritt zu bekommen. An wen sollte er sich wenden? Sein ehemaliger Gönner, der Feldherr Nikolaus Gara, haßte ihn, nachdem er auf dem Zuge wider die Türken seine Treue gegen den König unerschütterlich gefunden hatte, und Herrman konnte den nicht lieben, sich nicht überwinden [287] konnte irgend etwas bey dem zu suchen, den er als einen heimlichen Feind seines Herrn kannte.

Der junge Ritter entschloß sich endlich, sich selbst Zutritt zu verschaffen; er drängte sich bey der Abendtafel so dicht hinzu, daß er beynahe des Königs Kleider berührte, Siegmund faßte ihn ins Auge. Der Jüngling hatte keins von den gewöhnlichen Gesichtern, welche man zwanzigmahl sieht, ohne ihre Züge zu behalten, überdas hatte der König ihn zuletzt bey einer Begebenheit gesehen, die sich seinem Gedächtniß zu tief eingeprägt hatte, als daß einer von denen dabey gegenwärtigen, daß derienige, welcher die Hauptrolle dabey spielte, hätte vergessen seyn sollen. –

Siegmund wußte sich anfangs den Zusammenhang seiner Ideen selbst nicht recht zu erklären, er saß nachdenkend, rieb die Stirn, und wandte sich dann zu dem neben ihm sitzenden Andreas Gara. Wie kommt es doch, rief er, daß uns oft bey der Fülle der Freude traurige Erinnerungen umschweben! Einer der schrecklichsten Auftritte meines Lebens geht jetzt vor mir über, liegt mir so deutlich vor Augen, daß ich jede Züge davon machen wollte. Rathet ihr wohl, Andreas, welcher das sey? – Andreas verbeugte sich und schwieg. Doch, fuhr Siegmund fort, ihr könnt das nicht wissen, ihr waret nicht gegenwärtig, euer Bruder war es. O vielleicht hättet ihr [288] mich nicht so treulos verlassen als Nikolaus! – Doch, ich habe versprochen zu vergessen! meine Freunde vergesse ich nie! Ich war allein in der Schlacht, jedermann wandte sich hinter mir ab; Achmets Schwerd stürmte fürchterlich auf mich ein, ich mußte erliegen. Da drängte sich zu mir heran eine ritterliche Schaar mich zu retten. Mein Pferd war unter mir getödtet, mein Helm und mein Schild mir entrissen, nur das Schwerd hielt noch fest in meinen Händen. Der Führer meiner Helfer sprang von seinem Rosse und hob mich hinauf, er reichte mir seinen Schild, und riß den Helm von seinem Haupte, das meinige damit zu decken, ich weis nicht, wie mir geschah, weis nicht, was um mich vorging, aber ein Bild ist mir fest in der Seele geblieben, das Bild meines Retters, dessen Gesicht mir wie das Gesicht eines Engels Gottes entgegen strahlte. Dieses Gesicht ist, das mir jetzt die ganze fürchterliche Scene zurück ruft, ich sehe es in dem Gedränge, das meinen Tisch umringt, es sind die Züge meines alten treuen oft verleumdeten und oft verkannten Dieners Herrmann von Unna. Tritt hervor, tritt hervor, mein Retter! empfange den Dank und die Gnade deines Königs!

Herrmann hatte sich, während Siegmund sprach immer näher gedrängt, um keins der Worte [289] zu verlieren, welche ihm so nahe angingen. Jetzt beym Schluß seiner Rede überfiel ihn ein freudiger Schauer, wie er an jenem Tage diejenigen überfallen wird, die aus dem grossen Kreise mit den Worten werden hervorgerufen werden: Das habt ihr mir gethan!

Herrmann stürzte sich seinem König zu Füßen, küßte seine Hände und badete seine Knie mit seinen Thränen. Welch ein Gefühl von demjenigen, von welchem man sich immer übersehen und verkannt glaubte, dem man tausend Proben der Treue gab, ohne bemerkt zu werden, so vor Tausenden ausgezeichnet, vor einer ganzen Versammlung so geehrt zu werden.

Nachdem der erste Sturm der Freude in dem Herzen des jungen Ritters vorüber war, zog er sich bescheiden unter die aufwartenden Edelleute zurück, aber Siegmund wandte sich oft nach ihm um, und er durfte nicht von seinem Stuhle weichen.

Die stolzen Magnaten, die mit dem Könige zu Tische sassen, schienen bey der vorhergehenden Scene gar nicht gegenwärtig gewesen zu seyn, sie sagten nichts zu dem, was ihr König that, und konnten sich nicht herablassen, dem von ihm so sehr geehrten Jünglinge ein Wort zuzusprechen.

Die Glückwünschungen, welche er erhielt, blieben nur unter den jungen Edelleuten, welche mit ihm bey der Tafel aufwarteten, und er hatte die [290] Freude, manchen unter ihnen zu finden, dessen Gesicht nebst dem treuherzigen Händedruck ihn alter Freund und Spiesgesell nannten. Keine von diesen Erscheinungen war ihm angenehmer als das Gesicht eines Jünglings, den er von Kindheit auf gekannt hatte, ehemals an Kaiser Wenzels Hofe durch Misverstände von ihm getrennt worden war, ihn denn unter König Siegmunds junger Ritterschaft wiedergefunden, und im Türkenkriege so manche tapfere That von ihm gesehen hatte, daß der Gedanke an vergangene Dinge ganz von Liebe und Bewunderung verschlungen ward. Es war der junge Kunzmann von Hertingshausen, welcher Herrmann ehemals, als beyde Jünglinge noch Kaiser Wenzels Edelknaben waren, für den Ursacher seiner Flucht vom Hofe gehalten hatte, wie sich vielleicht meine Leser noch aus der Erzehlung erinnern, welche der Ritter der treuen Minne ehemahls dem alten Münster von seinen Jugendgeschichten machte.

Kunzmann schien schon damahls, als er Herrmann im Türkenkriege wiederfand, allen alten Groll vergessen zu haben, und auch jetzt bewillkommte er ihn, wie man alte Freunde bewillkommt. Es war hier nicht der Ort viel Worte zu machen; ein Händedruck, und die Worte, mein Herrmann! mein Hertingshausen, waren alles was man sich sagen konnte, das übrige wurde für eine verabredete Zusammenkunft auf die künftige Nacht verspart.

[291] König Siegmund hatte sich jetzt lange nicht nach seinem neuen Diener zurückgewandt, ein ernstes Gespräch mit den Gebrüdern Gara hielt ihn fest. Man hatte die Pokale fleißig geleert, aber nicht der Becher der Freude war es, der hier um die Tafel ging, es war der Becher der höllischen Zwietracht. Herrmann hatte schon lang bemerkt, daß die gegen ihn über sitzenden Fürsten seinen Herrn nicht so anblickten, wie es ihnen zukam; verachtender Unwille, oder tückische Schadenfreude war es, was er auf diesen vom feurigen Ungerweine hochroth gefärbten Gesichtern las. Auch misfiel ihm die Unterhaltung, welche zwischen Siegmund und den beyden Garas vorfiel. Sie schienen gänzlich zu vergessen, mit wem sie sprachen. Die Rede war von dem letzten Türkenzuge, man wechselte Vorwürfe, vertheidigte sich mit Hitze, und die Stimme des Feldherrn und seines Bruders erhob sich bald so sehr, daß sie jeden Laut von den Worten des Königs verschlang.

Was ist dies? sprach Herrmann zu Hertingshausen, indem er an seinem Schwerd zuckte, sollen wir diese Beschimpfung unsers Herrn dulden. Das Getümmel an der Tafel ward stärker; jedermann erhub sich von seinem Sessel; hier und da wurden einige Schwerdter blos, und man begunnte so heftig auf den König einzudringen, daß die bösen Absichten, die man wider ihn hatte, nicht mehr [292] zweifelhaft blieben. Herrmanns Schwerd fuhr aus der Scheide, ihm folgte Hertingshausen und die andern Jünglinge. Siegmund ward von seinen Feinden zu Boden gerissen, man erkühnte sich Waffen auf ihn zu zücken, die keinem Rittersmanne ziemen. Herrmann faßte den Andreas Gara, und riß ihn ungestüm von seinem Herrn hinweg, indessen die andern Jünglinge auf ähnliche Art mit dem Feldherrn Nikolaus verfuhren. Der Platz war erstritten, die Person des Königs gedeckt, aber – die Partie war ungleich. Die reisigen Knechte wurden herein gerufen, Siegmunds Retter theils zu Boden geworfen, theils entwafnet, der König auf die unwürdigste Art behandelt, und endlich so wie die, welche fest bey ihm hielten, mit Fesseln belegt.

Nur zwey hatten die Ehre, das Unglück mit ihrem Könige zu theilen, Herrmann und Hertingshausen, die übrigen, meistens weibische Hofjunker, ließen sich leicht durch Drohungen und Versprechen von ihrer Pflicht abziehen, und misgönnten es Siegmunds beyden treuen Dienern nicht, daß sie die nehmliche Begegnung mit ihrem Herrn erfuhren, gleich ihn mishandelt, gleich ihn gefesselt, und auf verdeckten Wagen nach einem Orte geführt wurden, wo die heimtückischen Magnaten hoffen konnten, ganz das Schicksal ihres Herrn in ihrer Macht zu haben, ohne eine Einrede von dem Volke befürchten zu dürfen.

[293]
29. Kapitel. Wenzels Bruder kommt zum Vorschein
Neun und zwanzigstes Kapitel.
Wenzels Bruder kommt zum Vorschein.

Es war der Montag nach Sankt Vitalis Tag, als die Gefangenen auf dem Schlosse Soclos ankamen. Herrman kannte diesen Ort als den Hauptsitz des Hauses der Garas, und er konnte sich vorstellen, was der unglückliche König an einem Orte, wo nichts die Gewalt seiner Feinde einschränkte, zu hoffen habe.

Doch täuschten ihn diesesmahl schrecklicher seine Erwartungen, welche ihm nichts als Beschimpfung und Tod für seinen Herrn in der Ferne zeigten.

Die Begebenheit, welche König Siegmunden hieher brachte, war angelegter Plan; so wollte, so mußte man sich seiner hinterlistig bemächtigen, um ihn vom Throne zu stossen, um einen andern auf denselben zu heben; aber in der Ausführung dieses teuflischen Anschlags hatte man allerdings die Gränzen überschritten, welche man sich vorgeschrieben haben mochte, und man hielt es für gut, nun zu den Regeln der Bescheidenheit und des Wohlstandes zurückzukehren. Die Kräfte des Weins hatten bey jenem unglücklichen Mahle verursacht, daß Siegmunds Feinde es ganz vergaßen, daß der, den sie wie einen Sclaven behandelten, doch gleichwohl ein König war, daß sie sich selbst noch mehr als ihn durch ihre unwürdige Aufführung beschimpften. [294] Der Rausch war ausgeschlafen. Wuth und Rache kochten nach wie vormahls in den Herzen der Garas, aber sie schämten sich eine Rolle fort zu spielen, welche ihnen das Recht entreißen, und es auf die Seite des verhöhnten Sohns Kaiser Karls des vierten wenden mußte.

Dem Könige wurden die Fesseln abgenommen; man gab ihm statt des Kerkers, in den er anfangs geworfen ward, ein wohlverwahrtes Gemach, ging so weit ihn zu fragen, ob er die Aufwartung seiner gefangenen Diener verlange, und ihm auf die Bejahung dieselben ihrer Fesseln entladen zuzuschicken.

Siegmunds Zustand war leidlich, und er wurde noch erträglicher als Nikolaus und Andreas ihr Schloß verließen, weil Reichsgeschäfte sie in die Hauptstadt forderten, und ihrer Mutter die Aufsicht über ihren erhabenen Gefangenen übertrugen.

Es ist unmöglich, daß ich bey dieser Stelle der Geschichte, so wie bey andern vorbeyschlüpfen kann, ich muß meinen Lesern einige Worte von dieser Helena Gara, der Wittwe des Nikolaus, den Siegmund ehemahls ermorden ließ, der Stiefmutter des Feldherrn Nikolaus und des Statthalter Andreas sagen. Sie war eine junge schöne Person von fünf und zwanzig Jahren, welche zu wenig Kummer über den Verlust ihres bejahrten Gemahls gefühlt hatte, um einen dauernden Haß wider seinen [295] Mörder zu fassen. Sie sprach nur von Rache und Blut, so lange es ihre Söhne hörten, schmiegte sich nur in ihre Anschläge, weil sie mußte, und sahe Siegmunds Gefangenschaft auf dem Schlosse Soclos aus Ursachen gern, welche mit den Anschlägen seiner Feinde nichts gemein hatten.

Helena war ein Weib, wie es in den damahligen Zeiten viel gab, ein Wesen aus Ueppigkeit und Herrschsucht zusammen gesetzt. Siegmund war ungeachtet seiner Jahre einer der schönsten Prinzen der damaligen Zeit, er war, seine Widersacher mochten ihn nun nennen wie sie wollten, war ein König; so lange Wenzel lebte, der Bruder eines Kaisers, und starb dieser, oder verlor er den Thron, sein wahrscheinlicher Nachfolger; was für Betrachtungen für die Dame des Schlosses! Hatte sie auch noch eine Wahl? konnte sie noch zweifelhaft seyn, ob sie den ungerechten weitaussehenden Anschlägen ihrer Söhne beytreten, oder sich eines unschuldigen Prinzen annehmen wollte, der ihr das, was sie für ihn thun konnte, auf doppelte Art zu vergelten vermochte?

Helena sah sich schon im Geist als Siegmunds Geliebte, als seine Gemahlinn, als die Besitzerinn des höchsten Throns der Welt, und die ersten Schritte, die Erfüllung ihrer Wünsche einzuleiten, wurden eilig gethan. Sie genoß des [296] unumschränkten Zutrauens ihrer Söhne, sie wußte, daß sie durch das Geschäft, den jungen Ladislaw, auf Siegmunds erledigten Thron zu befestigen, lang würden abwesend gehalten werden, und sie säumte nicht, ihren Operationsplan zu eröfnen.

König Siegmund bekam einen ganzen Flügel des Schlosses zu seiner Bewohnung, seine Hofstatt, welche bisher nur aus Kunzmann und dem Ritter von Unna bestand, wurde vermehrt. Er ward königlich bedient, bekam Erlaubnis, den Garten zu besuchen, und konnte es an nichts abnehmen, daß er ein Gefangner war, als an der Wache, welche seine und seiner Diener Schritte allemahl in einiger Ferne beobachtete.

Siegmund jauchzte über die Veränderung seines Schicksals, welche ihm Anlaß gab, seine Hoffnungen noch mehr zu erweitern. Er forschte nach dem Grunde der glimpflichen Begegnung, die ihm wiederfuhr, und es konnte ihm nicht lang verborgen bleiben, daß er ihn in der Gewogenheit der Fürstinn Gara suchen müsse. – Helenas Bild hing in allen seinen Zimmern, auch hatte sie Siegmund etliche mahl von Fern im Garten gesehen und bewundert.

Weiberschönheit war die Klippe, an welcher er am leichtesten scheiterte, auch war sein Wohlgefallen an den Reizen der Damen mit einer so [297] guten Meynung von seinen eigenen verbunden, daß er sich keine schöne Frau als grausam gegen seine Liebe vorstellen konnte. Wie Helena gegen ihn gesinnt war, das konnte ihm nicht lang verborgen bleiben, ihre Handlungen sprachen für sie. Siegmunds Liebe zur Gemächlichkeit, die er mit seinem Bruder gemein hatte, sein Herz zu sinnlichen Vergnügen, ward täglich auf neue Art geschmeichelt, und seine Dankbarkeit, seine Neigung für die schöne Zauberinn, die so sinnreich war, ihm seine Gefangenschaft angenehm zu machen, wuchs desto mehr, da sie schlau genug war, ihm nie in den Weg zu kommen, ihm die Möglichkeit ihr persönlich zu danken stets vergeblich wünschen zu lassen. Die Gemälde von ihr, und die Lobeserhebungen der Leute, welche sie ihm zugegeben hatte, machten Siegmunds Dankbarkeit zur Liebe, die Begierde sie zu sehen, zur Flamme. Es wurden heimliche Anschläge geschmiedet, Botschaften hin und her geschickt, zufällige Zusammenkünfte veranstaltet, bis endlich ein Verständnis zwischen beyden zu Stande kam, das man für gut hielt, des Wohlstands wegen, mit einem Schleyer zu umhüllen, der aber durchsichtig genug war, allen Bewohnern des Schlosses nichts zu rathen übrig zu lassen.

Kunzmann von Hertingshausen spielte bey diesen Dingen eine große Rolle, er schien zu dem Geschäft, Unterhändler einer verbotenen Liebe zu seyn, [298] einen sonderlichen Beruf zu haben, und er erwarb sich durch seine Talente die gränzenlose Neigung seines Herrn.

Herrmann war in solchen Dingen einfältig, er kannte nur eine Art Liebe, die, welche er für seine Ida fühlte, oder wie sie etwa zwischen Engeln statt finden mag. Verbindungen von anderer Art nannte er verboten, und war nicht schlau genug seinen Widerwillen dafür zu verbergen. Er hatte als Knabe an Kaiser Wenzels Hofe, als er noch geneigt war, alles für Recht zu halten, was sein Herr that, Leichtsinn und Ueppigkeit in ihrer häßlichen Gestalt kennen gelernt, und er trauerte aufrichtig, hier diese Auftritte von einem Fürsten erneuert zu sehen, den er liebte und schätzte, an dem er so ungern eine Familiengleichheit mit seinem schwelgerischen Bruder entdeckte.

König Siegmund war nicht gewohnt Misbilligung seiner Handlungen in den Augen seines Dieners zu lesen. Herrmann ward zurückgesetzt, und der schlaue Bote der Liebe, der gefällige Hertingshausen überall hervorgezogen.

Da Herrmanns Achtung für seinen Herrn zu fallen begunte, so ward der Vorzug, den ein anderer vor ihm erhielt, nicht allzu schmerzhaft von ihm empfunden. Er beneidete Kunzmann sein Glück bey einem Fürsten nicht, den er jetzt, ach wie gern, verlassen hätte. Was soll ich endlich [299] hier in diesem weichlichen müßigen Leben? sagte er zu sich selbst. Ist dies die Art sich empor zu schwingen, sich der Hand einer Gräfinn von Würtemberg würdig zu machen? O fliehe, fliehe Herrmann! hier verträumst du deine Zeit auf strafbarere Art, als die gewesen seyn würde, welche dir Münster in einem so gehäßigen Lichte vorstellte!

30. Kapitel. Von König Siegmunds Beständigkeit
Dreyßigstes Kapitel.
Von König Siegmunds Beständigkeit,
ein kurzes Kapitel.

Alles Ding hat seine Zeit, Liebschaften von dem Gehalt wie die zwischen Siegmund und Helenen sind nie daurend, und wir wären fast geneigt der Dame die Ehre anzuthun, und ihr wenig Erfahrung in diesem Stücke zuzutrauen; wie hätte sie sonst hoffen können, ihren Geliebten ewig zu fesseln? einst noch an seiner Seite die Krone zu tragen? – Liebe und Zutrauen auf ihre allmächtigen Reize mußten sie verblenden; sie mußte nie etwas von den vorigen Geschichten des flatterhaften Stegmunds gehört haben. Ihre gute Meynung von seiner Treue war gränzenlos, er beherrschte sie ganz, und es kam bald dahin, daß er kein Gefangner mehr, daß er unumschränkter Gebieter auf dem Schlosse Soclos war.

[300] Daß Siegmund ins Geheim drauf sann sich einer ihm lästig werdenden Buhlerinn, und seiner Einkerkerung auf einmahl zu entledigen, das kam ihr nicht in den Sinn, und sie ward würklich überrascht, schrecklich überrascht, als sie eines Tages den König, völlig zur Abreise gerüstet, in ihr Zimmer treten sah. Sie stutzte, rieth auf eine Jagdpartie, und bot sich an, wie gewöhnlich, ihren Geliebten bey derselben zu begleiten. – Nein, sagte Siegmund, meine schöne Fürstinn, ich muß euch gänzlich verlassen!

Verlassen? haftet nicht mein Leben für eure Freyheit? – und ist nicht das meinige in Gefahr, wenn ich länger hier verweile? Eure rebellischen Söhne sind von der Güte benachrichtigt, mit welcher ich hier behandelt werde; bald werden sie erscheinen, und mich mit Fesseln belegen, welche nicht so leicht seyn werden wie die Eurigen. –

Ja wohl leicht! Es kostet euch wenig Mühe sie abzuschütteln! –

Helena! Werde ich hier in den Armen der Liebe den Anfang machen können, mich von neuem auf den Thron zu schwingen, von welchem man mich verdrängt hat? Bedenkt, was ihr fordert, bedenkt das Glück, den Ruhm dessen, den ihr liebt!

Helena fiel in ein tiefes Nachdenken, aus welchem sie mit der Frage erwachte; Ob er, wenn [301] das Glück ihn bey seinen Unternehmungen begünstigte, ihrer noch gedenken, Liebe und geschworne Treue nicht vergessen wollte?

Siegmund, welcher nichts auf die Bündigkeit im Rausch der Leidenschaft gethaner Schwüre hielt, schlüpfte bey der Erinnerung an dieselben vorbey, aber er versetzte seine Reden mit so viel Süßigkeiten anderer Art, daß die Fürstinn getäuscht ward – und in seine Entfernung willigte. Sie bat nur um einen, dann nur um zwey, um mehrere Tage, sich mit ihrem Geliebten zu letzen, bis der König, aus Besorgniß, man möchte ihm endlich aus lauter Liebe Zeit und Mittel zur Freyheit gänzlich rauben, heimlich davon ging, und Helenen dadurch den Vortheil verschafte, bey ihren Söhnen ausser Verdacht eines Antheils an seiner Flucht zu bleiben.

31. Kapitel. Etwas von Potiphars Weibe
Ein und dreyßigstes Kapitel.
Etwas von Potiphars Weibe.

Niemand war über die Entfernung aus dem Pallast dieser Circe erfreuter, als Herrmann. Er jauchzte, endlich einmahl dem Müßiggang entrissen zu werden, ohne darum seinen Herrn verlassen zu dürfen, den er jetzt für einen Neubekehrten der Tugend zu halten, ihn wieder zu [302] lieben begann. Seine Täuschung dauerte kurze Zeit. Siegmund lenkte seinen Weg nach dem Grafen Cyly, dem Bruder des Gemahls seiner Schwester, und hier warteten seiner Begebenheiten, welche das Herz seines treuen Dieners von neuem von ihm wenden mußten.

Immer waren die Cylys treue Anhänger Siegmunds gewesen; der eine ward durch das Band der Verwandschaft an ihn gefesselt, und der andere, eben der Graf Peter Cyly, zu welchem jetzt die Reise ging, ward durch einen Zauber von noch stärkerer Art zu ihm hingerissen. Graf Cyly der Jüngere, sonst auch Peter der Einfältige genannt, verdiente diesen letzten Namen vollkommen, er war ein Kind an Verstand, hatte nichts das ihn auszeichnete als seine schöne Gemahlinn Barbara, ehemahls erstes Hoffräulein der Königinn Marie von Ungarn, jetzt, durch König Siegmunds Gnade, die Seinige. Eben diese Barbara war das Mittel ihn in unverletzlicher Treue seines Herrn zu erhalten, von welcher ihn sonst ein jeder, der seine Schwäche zu nützen wußte, hätte losreissen können. Barbara war ihrem Könige von jeher mit besonderer Gewogenheit zugethan, sie behauptete, es sey nur Dankbarkeit, daß er sie mit Peter dem Einfältigen verband, die sie auf jeden [303] Vortheil ihres Wohlthäters aufmerksam machte, und ihr Gemahl glaubte dieses aus ganzem Herzen; aber andere Leute hatten andere Gedanken hierüber, und die Folge wird lehren, welche Meynung die richtigste war. – So viel ist gewiß, daß sie Graf Petern, welcher immer einen Antrieb von außen nöthig hatte, wenn er sich regen sollte, in steter Thätigkeit zu Siegmunds Besten erhielt, da wo seine Schläfrigkeit nichts auszurichten vermochte, selbst handelte, und die Hauptursach war, warum sich König Siegmunds Schritte jetzt lieber nach dem Schlosse ihres Gemahls als nach einem andern Orte lenkten. König Siegmund und seine beyden Knappen, Herrmann und Hertingshausen, wurden mit offenen Armen empfangen, und obgleich Graf Peter mit einfältigem Herzen seine Erscheinung unverhoft, überraschend nannte, so schien doch Barbara ihren hohen Gast längst erwartet zu haben.

Herrmann war nicht so verblendet wie Graf Cyly, er sah das verdächtige Augenspiel zwischen Siegmunden und der Gräfinn, sah, daß auch Hertingshausen von diesen Geheimnissen wissen müßte, und daß er von der schönen Barbara als ein alter Bekannter behandelt ward. Ihm ward es klar, daß in der letzten Epoche des Aufenthalts auf Helenens Schlosse, da Siegmund [304] und seine Leute nicht mehr wie Gefangene behandelt wurden, Hertingshausen nur darum so öfters abwesend war, weil er ein geheimes Verständniß zwischen dem Könige und der Gräfinn unterhalten mußte, und daß dieser Helenen nicht so wohl aus Ueberdruß des unthätigen üppigen Lebens, als vielmehr aus Sehnsucht nach seiner alten Freundinn der Gräfinn Barbara floh.

Wenig Tage reichten zu, Herrmann zu überzeugen, daß die Auftritte von Soclos hier wieder von vorn angehen würden, und daß er vergebens gehofft hatte, hier endlich in Thätigkeit gesetzt, seinem Glück näher gebracht zu werden.

Seine Entschlüsse, seinen Herrn zu verlassen, wurden erneuert, er fand nichts, das ihn hier zurückhielt. Zwar wurde zuweilen in Siegmunds Kabinet davon gesprochen, daß nächstens ernstliche Schritte gethan werden sollten, ihn wieder auf seinen Thron zu erheben, aber dieses Nächstens ward immer weiter hinaus geschoben, und die Mittel, deren man sich zur Erreichung dieser großen Absichten gebrauchen wollte, waren nicht so wohl das Schwerdt, als List und heimliche Ränke; Dinge, auf welche Herrmann sich nicht verstand, und die er in seiner Einfalt nicht zu billigen vermochte.

[305] Was ihm den Aufenthalt auf Cylys Schlosse noch mehr verbitterte, war der Mangel an irgend einem Freunde, den er lieben oder sich ihm vertrauen konnte. Schon zu Soclos hatte sich Hertingshausen ihm in einem nachtheiligen Lichte gezeigt, aber hier verlor er vollends alles, was einen Herrmann zu seinem Freunde machen konnte. Hertingshausen schien hier nicht nur Unterhändler sondern auch Theilnehmer der verbotenen Liebe seines Herrn zu seyn. Er hatte keine Augen als die schönste Gräfinn von Cyly, und diese legte den ihrigen nur so lange Zwang an, als sie von Siegmunds bemerkt ward, vor Herrmann, den sie anfangs für ein unschädliches unbedeutendes Geschöpf hielt, scheute sie sich hierinn so wenig als vor Peter dem Einfältigen.

Herrmanns unschuldiges Herz hielt einen solchen Leichtsinn, als er an der Gräfinn bemerkte, fast für unglaublich, er traute seinen Sinnen kaum, er kannte die allumfassende Männerliebe dieser Messaline, von welcher die Geschichte noch jetzt zu sagen weis, noch nicht, und ward erst dann überzeugt wer Barbara sey, als sie endlich ihre Augen auch auf ihn warf, auch ihn in ihre Stricke zu ziehen suchte.

Man erlaube mir, alle Auftritte, welche hieher gehören, mit Stillschweigen zu übergehen, genug sey es zu sagen, daß sie Herrmannen Cylys [306] Schloß zur Hölle machten, daß er auf nichts sann, als auf die Flucht, und daß ihn nur noch die Ueberlegung zurück hielt, ob er schweigen, oder seinem Herrn die Augen über die Aufführung seiner Geliebten öfnen sollte.

Das erste verbot ihm die Redlichkeit, und das andere seine Delikatesse, hätte er nicht durch ein solches Gespräch mit Siegmunden gestanden, daß er seine Ansprüche auf Graf Peters treuloses Weib kenne, und gewissermaßen billigte? – Er blieb unentschlossen, bis neue Entdeckungen seinen Abscheu vor Cylys Schlosse und seinen Bewohnern aufs höchste brachten, und ihn fast blindlings von dannen trieben.

Die Verachtung, mit welcher er die Liebe der Gräfinn belohnte, erregten ihren Haß, der bald auch in Siegmunds Herz übergetragen wurde. Herrmann war nicht mehr nächst Hertingshausen, der ihn schon zu Soclos von der ersten Stelle gedrängt hatte, des Königs Vertrauter, er wurde nicht mehr zu den Berathschlagungen gezogen, welche wegen Siegmunds Thronbesteigung gehalten wurden, nur das merkte er aus flüchtig aufgefangenen Worten, daß Siegmunds Absichten jetzt nicht mehr blos auf die ungarische Krone gingen, daß ihm die herrschsüchtige Barbara Begierden nach einer noch höhern einzuflößen gewußt hatte. Ihr war einst der Name Kaiserinn geweissagt worden, [307] sie sah sich schon als Siegmunds Gemahlinn an, wer konnte sich wundern, daß sie ihn antrieb die Stufe zu erreichen, nach welcher sie strebte, und auf welche er sie erheben konnte.

Alle diese Dinge gefielen Herrmannen übel, er hörte Anschläge wider Wenzeln, unter welchen damahls schon der Thron zu schwanken begunnte, Anschläge wider Herzog Friedrichen von Braunschweig, der nebst noch einigen andern große Hoffnung zur Kaiserkrone hatte, und sein Herz zitterte, hier nicht augenblicklich retten und warnen zu können. Er vergaß ganz, daß letzterer sein Mitbuhler war, daß ihn Graf Eberhardt zu Idas Gemahl bestimmt hatte, er sah nur in ihm den meuchelmörderisch verfolgten Fürsten und hätte sein halbes Leben drum gegeben ihn sowohl als Wenzeln aus der Gefahr reißen zu können.

Keine Nacht mehr in dieser Mörderhöle, wie ihn Graf Cylys Schloß jetzt schien, zu bleiben, war sein fester Entschluß. Er machte sich auf die Flucht, aber es war nicht so leicht aus diesem Bezirk zu kommen als er meynte. Der Park, durch welchen sein Weg ging, war mit einer hohen Mauer umgeben, deren Pforte bey Nacht verschlossen und am Tage nie unbewacht war. Es ward ihm immer deutlicher, daß König Siegmund und seine Leute, hier sich im Grunde so wenig der Freyheit zu rühmen hatten, als auf dem Schlosse Soclos.[308] – Herrmann hatte die Nacht zur Ausführung seines Entschlusses gewählt, jetzt mußte er sich entschließen, den Morgen zu erwarten weil er hoffen konnte, durch ein gutes Geschenk den Thorwächter der Parkmauer eher überwinden, als durch seine Stärke die eiserne Pforte erbrechen zu können. – Er lagerte sich in eine Laube, dergleichen in allen Ecken dieses zauberischen Orts angelegt waren, und war hier Zeuge einer Unterredung, welche uns wichtig genug dünkt, dem Leser in einem besondern Kapitel vorgelegt zu werden.

32. Kapitel. Abentheuer in der Laube
Zwey und dreyßigstes Kapitel.
Abentheuer in der Laube.

Herrmann ward bald gewahr, daß er sich in der geräumigen Laube nicht allein befand. Seine Sicherheit erforderte, sich verborgen zu halten, und Nothwendigkeit und Zufall machten ihn zum Lauscher; ein Name, auf welchen er sonst nie Anspruch zu haben wünschte. Wer seine Gefährten waren, werden meine Leser aus dem Fragment einer Unterredung sehen, welche Herrmann durch seine Ankunft veranlaßte.

Horch! Ein Geräusch!

Nicht doch, Gräfinn, es war das Rauschen der Blätter! –

[309] Ich wollte nicht, daß uns jemand belauschte? –

Wer wollte denn? Eure beyden Gemahle hat der Wein in festen Schlummer gewiegt –

Spötter! Meine Gemahle! Bist du eifersüchtig Hertingshausen? –

Die Gemahle mögen es auf den Liebhaber seyn, und dieser nicht auf jene! –

Und sie könnten es werden! Kunzmann! Kunzmann! ein andermahl vorsichtiger! Diesen Abend vergassest du dich ganz und gar. Sey doch zufrieden, unter vier Augen an der Seite deiner Barbara sitzen zu dürfen; aber in Gegenwart des Königs? in Gegenwart Graf Peters? – Gewiß der Wein mußte dich bethören!

Hat nichts zu sagen, Siegmund sah und hörte wenig mehr, und der Graf hatte auch seinen guten Rausch? –

Weißt du nicht, daß die Einfältigen im Rausche klug, die Verzagten muthig werden? –

Ja bey Gott, muthig! – Nüchtern hätte er es nicht wagen sollen, mir einen Kuß auf eure Lippe mit einem Hiebe über meine Schultern zu belohnen. –

Pfui, Kunzmann! jetzt besinne ich mich: dieser Schlag haftet noch auf deinen Rücken. Steh auf von mir! Ich kann keinen Mann an meiner Seite dulden, den Peter der Einfältige schlug. –

[310] Gräfinn!

Du bist noch ein purer lautrer Edelknabe! steh auf sag' ich dir! Herrmann hätte keinen Schlag vom Graf Petern – keinen Schlag vom Könige Siegmunden ungerochen erduldet. –

Herrmann? Gräfinn? macht mich nicht unsinnig! – Der Nichtswürdige! Ihr wißt, was ich einesmahls bemerkte! Nicht wahr, er wäre glücklich bey euch gewesen, wenn er gewollt hätte?

Die Tapfern sind ja allemahl glücklich? –

Zum rasend werden! Herrmann! Herrmann! du mußt sterben! Wo bist du? wo soll ich dich finden? –

O ja doch! wer sich nicht fürchtete! Graf Peter wird morgen unter des tapfern Herrmanns Schutz auf die Jagd gehen! habt ihr etwa Lust euch zugleich an beyden zu rächen? – Geht, geht, wir wollen sehen was euch Liebe und Rache eingiebt; aber ich denke wohl, eure Hände, eure Kleider werden morgen noch so rein seyn wie heute; wer wollte die zarten Pagenhände, die seidnen Hofkleider gern mit Blut besprützen. –

Die Rede der Furie war durch öftere Flüche des aufgebrachten Hertingshausen unterbrochen worden; beym letzten Worte braußte er wie ein Sturmwind zur Laube hinaus, und Barbara schickte ihm ein teuflisches Gelächter nach.

[311] Herrmann war so betäubt, daß er nicht wußte, was er thun sollte; doch hätte ihn der Schluß von Barbaras Rede und Kunzmanns schnelles Hinwegeilen nachgetrieben, wenn er nicht auf einige Augenblicke noch zurückgehalten worden wäre. Er pflegte nie vor seinem Feinde zu fliehen, auch war ihm vor Graf Peters Leben bange, mit welchem er wirklich eine Jagdpartie, auf den nunmehr seiner Flucht geweihten Tag verabredet hatte, und den er mit unter die Unmündigen und Weiber rechnete, die er als Ritter zu schützen verbunden war.

Das was ihn noch auf einige Minuten zurückhielt, war der Eintritt von Barbaras Zofe.

Brecht auf, ihr Liebenden! rief die glattzüngige Dirne, der Tag erwacht! –

Die Losung, erwiederte Barbara, gilt heute nichts, ich bin allein. –

Allein? –

Ich habe Hertingshausen ein wenig aus dem Schlummer geschüttelt. Herrmann und Peter dürfen keinen Tag länger leben; ich habe ihnen den ergrimmten Wolf auf den Hals gehetzt. Ich kenne Kunzmann nicht, oder er tödtet sie, wo er sie findet. –

Aber warum? Gott warum? –

Närrinn! Jeden Tag neue verachtende Blicke von dem einen, und gestern Abend diesen Auftritt mit dem andern? Das fehlte noch, daß Peter [312] der Einfältige Muth bekäme, meine Lieblinge zu schlagen, bald würde die Reihe auch an mir seyn. –

Gräfinn, darf ich noch immer euch nicht blutgierig nennen?

Blutgierig? – Ich erinnere dich zum zweytenmahl an Marien. Lebt sie nicht noch ruhig in ihrem Kloster? verachtete ich es nicht, mein Glück auf ihr Blut zu bauen?

Daß Herrmann diese Worte wohl vernahm und beherzigte, werden wir aus der Folge sehen, uns aber ist es fast unbegreiflich, wie sie bey der Eile, mit welcher er in dem nemlichen Augenblick, da sie gesprochen wurden, die Laube verließ, ihm hörbar seyn konnten.

Was war das? schrie die Zofe, welcher Herrmann im Vorbeystreichen einen gewaltigen Stoß gab.

Gott! rief Barbara, wenn man uns belauscht hätte! – Gerade da ihr von der Königinn spracht, erhub es sich von jener Seite wie ein Sturmwind. – Ach Gräfinn! ich fürchte! ich fürchte! Sind eure Hände rein an Mariens Blut? –

Ich schwöre es dir! – Warum hätte ich eine Nebenbuhlerinn, die mir so wenig Schaden in Siegmunds Herzen that, tödten sollen? ohne Noth vergieße ich kein Blut! –

[313] Es ist schauerlich hier! sprach die Zofe, auch bricht der Tag an. Gefällt es euch nach Hause zu gehen? –

Barbara schwieg, und beyde verließen die Laube.

33. Kapitel. Wer andere aus der Grube ziehen will
Drey und dreyßigstes Kapitel.
Wer andere aus der Grube ziehen will,
fällt oft selbst darein.

Herrmann durchflog den Wald, um seinen Verfolger zu finden, er fand ihn nicht. Er eilte nach dem Schlosse, um Graf Petern zu warnen, auch dieser war nicht zu finden. Seine Kammerdiener sagten, der Ritter von Hertingshausen habe ihn vor einer halben Stunde im Namen König Siegmunds abgefordert; auch nach Herrmann sey gefragt worden, weil er in dem nemlichen Flügel des Schlosses seine Wohnung hatte, und man habe geantwortet, er sey wahrscheinlich auf die Jagd gegangen.

Herrmann konnte errathen, welchen Weg Kunzmann mit dem unglücklichen Grafen genommen habe, Peters Einfalt an jeden Ort zu locken, wohin er wollte, konnte dem schlauen Verräther nicht schwer werden. Der Retter des armen Schlachtopfers verdoppelte seine Schritte, aber er hatte den Schloßhof noch nicht zurückgelegt, [314] als er sich von der Wache umgeben sahe, welche ihm in König Siegmunds Namen das Schwerd abforderte, und ihn bat, ohne Weigerung den Arrest anzunehmen, den man ihm ankündigte.

Herrmann folgte, oder vielmehr er mußte folgen. Seine Weigerung hätte nichts gefruchtet, als daß er vielleicht einige von den unschuldigen Ausrichtern des königlichen Befehls verwundet oder getödtet hätte, ohne sich frey zu machen. Man brachte ihn in einen Thurm, der an der Nordseite des Schlosses stand, zuckte auf seine Frage, was er verbrochen habe, die Achseln, und versprach, auf seine Bitte, Leute in den Wald zu schicken, um Graf Petern aufzusuchen, welcher, wie er sagte, von Lebensgefahr bedroht würde. –

Um den Mittag ward der Gefangene vor seinen Richter gestellt, König Siegmund sah ihn mit einem Blicke an, den er noch nie an ihm wahrgenommen hatte. Herrmann stand vor ihm mit jener festen Miene, die nur der Unschuld eigen ist. – Schleicher! niederträchtiger Heuchler! rief der König endlich. Mußtest du darum den Tugendprediger machen, auf jene erlaubte Lust mit neidischem richtenden Blicke hinschielen, um im Verborgenen nach demjenigen streben zu dürfen, was das Eigenthum deines Herrn ist? –

[315] Mein König! sprach Barbara, die Herrmann jetzt erst gewahr ward, verzeihet, verzeihet seiner Jugend! Er hatte den Wein vielleicht zu oft kredenzt, seine Sinne waren benebelt, und überdies, was ist ein Kuß? –

Ein Kuß? schrie Siegmund, ein Kuß ist euch Kleinigkeit? Verrätherinn! ihr liebt Herrmann, sonst würdet ihr nicht so sprechen! –

Hat man mich vielleicht vor Hertingshausen genommen? fragte Herrmann mit verachtendem Blicke auf die Gräfinn. –

Bist du mit meinem Augen im Bunde? rief der König. – Auch mir stellten sie bey der verruchten That nicht deine, sondern Hertingshausens Gestalt vor; aber ich war im halben Schlummer, und die Gräfinn hat Recht; nicht er, du warest es, der sich an meinem liebsten Kleinod vergriff! –

Mein Herr! mein König! sprach Barbara mit bittendem Blicke, gewiß ihr irrt; ja ja, Hertingshausen war es, nicht der arme unschuldige Herrmann! nur ihn, nur ihn schont, wenn ihr nicht auch mich tödten wollt! –

Fort aus meinen Augen! schrie Siegmund. Nicht der Kuß bringt dich ums Leben, der ist ja Kleinigkeit, wie die Gräfinn sagt, aber, daß sie dich liebt, daß die Schönste der Welt dich liebt, [316] mit dir sterben will, – O entsetzlich! – Fort! Fort aus meinen Augen? – Herrmann ward in sein Gefängniß zurückgeführt. Er durchschaute den ganzen Plan seiner verruchten Anklägerinn: ihre schwankenden Reden, ihre künstlich geäußerte Zuneigung sollte Siegmunds Eifersucht aufs höchste treiben, sie, das wußte sie, konnte sich mit einem Blick, einer Thräne vor dem Zorn ihres Geliebten schützen, aber Herrmann mußte das Opfer desselben werden.

Das war ein Meisterstreich! sagte Barbara, als sie mit ihrer Zofe allein war. Siegmund hatte im Rausche nur allzugut gesehen. Mein Hertingshausen hätte unausbleiblich sterben müssen! Wie gut, daß ich Siegmunds benebelten Augen Herrmanns Bild unterschieben konnte. –

Ich war so froh, sagte die Zofe, als ich ihn hier auf dem Schlosse sah, war so froh, daß er Kunzmanns blutgierigem Schwerdte entgangen war, und nun dieser neue Anfall! O hätte ich euch nur nicht gesagt! –

Weichherzige Närrin! ich glaube, du weinst? –

Und ihr liebtet ihn doch ehemals! –

[317] Komm in meine Lage, und du wirst erfahren, welch einen Haß verschmähte Liebe erzeugt! –

Herrmann könnte ich nicht hassen, wenn er mich tausendmahl verschmähte! –

Hör auf! und sieh nach dem Fenster, das auf die Heerstraße geht – Kömmt Hertingshausen noch nicht? – Er wird doch einen von meinen Aufträgen ausgerichtet haben! –

Die Zofe weinte und sahe durchs Fenster, welches Herrmann zur nemlichen Zeit in seinem Gefängnisse auch that.

Der nördliche Thurm des Schlosses, wo Herrmann war, hatte die Aussicht auf die Heerstraße, die sich vom Walde nach dem Schlosse herauf zog. Der Abend dämmerte heran, ein Trupp Reuter that sich aus dem Wald hervor, und sprengte mit verhängtem Zügel aufs Schloß zu. In ihren Blicken saß Entsetzen, und die Worte, welche sie, als sie sich jetzt am Thor von den Pferden schwangen, mit einander wechselten, waren mehr verworrnes Geschrey, als Gespräch zu nennen. Doch war Herrmanns vergittertes Fenster niedrig genug, um ihn einige abgebrochene Laute verstehen zu lassen. Der entsetzliche Fang, rief der eine[318] von den Reutern, den ihm der Eber in die linke Seite gegeben hat, nie sah ich etwas ähnliches. – Ja wohl! schrie der andere, mehr die Wunde von einem breiten Schwerdte, als von dem Hauer einer wilden Bestie! der Ritter von Unna sagte es wohl, als er uns ihm zu Hülfe schickte, er muß den Geist der Weissagung haben! –

Und ganz ganz todt?

Ja leider! – Er war doch ein guter Herr! betrübte kein Kind! –

Mich jammerte der brave Kunzmann, der muß ihn recht vertheidigt haben! er blutete auch stark!

Stand er nicht wie das lebendige Bild der Verzweiflung neben dem Todten und weinte und raufte sein Haar! nie dachte ich, daß er ihn so liebte! –

Er mag ihn ja geliebt haben! rief einer von denen, welche zuerst geredet hatten, und Herrmann schlug sein Fenster zu und sank fast empfindungslos auf den Boden.

So? So triumphirt das Verbrechen, und die Unschuld muß verderben? O ewiger Richter [319] wo ist deine Rache? So rief Herrmann und verfiel in eine Betäubung, aus welcher er erst nach einer Viertelstunde durch das hole Rasseln eines Wagens geweckt wurde. Das Geschrey, das sich erhub, unter welchem er auch die klagende Stimme der Gräfinn zu vernehmen glaubte, sagte ihm, daß man den Leichnam des unglücklichen Grafen von Cyly brächte. Ein kalter Schauer überlief seine Glieder, und er vermochte nicht ans Fenster zu gehen, und das klägliche Schauspiel mit anzusehen.

Es ist schwer zu beschreiben, mit was für Gedanken und Empfindungen Herrmann die Zeit der fürchterlichen Stille, die auf dieses Trauergetös folgte, zubringen mochte. – Es war weit nach Mitternacht, als er aus seinen schrecklichen Träumereyen durch ein Geräusch an der Gefängnißthür geweckt wurde.

Die Riegel öfneten sich. Eine weibliche Stimme rief, Ritter von Unna, ihr seyd frey! –

Ich frey? auf wessen Befehl? –

Durch Hülfe eines armen Mädchens, welches Mitleid mit euch hat, und ihre schweren Sünden gern durch eine gute That abbüßen wollte. Fliehet! Fliehet! ehe es zu spät wird! –

[320] Ich fliehen! Die Unschuld fliehet nie! –

Gilt eure Unschuld hier etwas? –

Ich muß wenigstens erst Graf Peters Blut rächen, seinen grausamen Mörder entdecken! –

Wird man euch hören? –

Siegmund muß, muß mich hören! Ich will diese Barbara vor seinen Augen entlarven! –

Meine Frau? O ich bitte euch, macht euch nicht unglücklich. –

Deine Frau? Bist du auch eine von ihren Sündengenossinnen?

Ich bin! – ja ich bin! – o ich bitte euch, fliehet! Die Gräfinn hat jetzt allein auf dem Schlosse zu gebieten. Der König hat es vor einer Stunde eilig verlassen. Ein reitender Bote von Prag, brachte Nachrichten. – Man spricht von wichtigen Veränderungen. Aber was mache ich, eilet, ehe es zu spät wird! Ich muß den Thurm wieder verschliessen, in welchem man gesonnen ist, euch durch Hunger zu tödten. Man wird euch nicht gleich vermissen, weil in den nächsten Wochen niemand diese Schlösser wieder öffnen wird, aber mich wird man vermissen, und ihr macht ein [321] Mädchen, welches es gut mit euch meynet, unglücklich, wenn ihr länger zögert.

Es ist wohl zu glauben, daß Herrmann nach dem, was er hier vernahm, nicht länger zögerte, seiner Retterinn zu folgen. Er drückte ihr dankend die Hand und fragte nach ihrem Namen: sie nannte ihn, und erzählte zum Abschied, – (welche Zofe hört auch in den bedenklichsten Augenblicken auf zu erzählen) – erzählte, daß Ritter Kunzmann seiner Verwundung und des Bittens der Gräfinn ungeachtet den König hätte begleiten müssen, und daß dieser vermuthlich aus einem Ueberbleibsel von Verdacht ihn nicht so gnädig wie vordem angeblickt habe.

34. Kapitel. Herrmann wird mit einer Löwenhaut bekleidet
Vier und dreyßigstes Kapitel.
Herrmann wird mit einer Löwenhaut bekleidet.

Herrmann flohe, flohe mit Vorsichtigkeit, denn er wußte, der Zorn eines rachsüchtigen Weibes verfolgte ihn. Auf seinem Weg, der lang genug dauerte, kamen ihm Zeitungen mancher Art [322] entgegen. – Kaiser Wenzel war so gut als abgesetzt, seine Gemahlinn, die vortrefliche Sophie, theilte das Elend, in welchem er lebte, großmüthig mit ihm, sie schien ihn jetzt, da er durch Unglück gedemüthigt war, erst liebzugewinnen, bemitleidete ihn, rechnete es ihm hoch an, daß er Susannens Stelle nicht durch eine neue verächtliche Mitbuhlerinn ersetzte, und war edelmüthig genug, selbst dieses elende Geschöpf zu bedauren. Diese unglückliche Kreatur sollte, um ihrem erhabenen Liebhaber ganz ähnlich, eine würdige Gefährtinn seiner Schwelgereyen zu werden, die Pokale, welche Wenzels tägliches Contingent waren, eben so herzhaft leeren lernen als er, aber sie war zu schwach, und starb in der Lehre, ohne von dem, welcher sie aufopferte, beklagt zu werden. Alles was Wenzel ihr in die Gruft nachrief, war: Es ist doch nichts mit den Weibern, sie sind zu nichts gut, nicht einmal zum Saufen!

Indessen Wenzel auf ein einsames Schloß verbannt, blos durch Sophiens kluge Vorsicht erhalten wurde, und ihr ihre Treue auf die ihm eigene Art vergalt, kam Siegmund in Ungarn wieder empor. Seine Feinde waren gedemüthiget, und er bestieg, durch Hülfe des Grafen Cyly, Graf Peters des Einfältigen Bruders, [323] den Thron von neuem. Barbara ward seine Gemahlinn, und diese Wahl war hinlänglich, alle Treulosigkeit an ihn zu rächen, welche er an der Königinn Marie, an der Fürstinn Helena Gara, und vielleicht an tausend andern begangen hatte. Barbara war in allem seine unumschränkte strenge Gebieterinn, nur dieses konnte sie nicht über ihn erhalten, daß er den Ritter von Hertingshausen in seinen Diensten behalten hätte. Das Andenken an den im halben Schlummer geschehenen Kuß, den er doch immer lieber ihm als Herrmann beymaß, war unauslöschlich. Kunzmann war genöthigt, den Hof zu meiden, und sich in ziemlich armseeligen Umständen in die Dienste des Churfürsten von Köln zu begeben, wo wir ihn vielleicht bald wieder finden werden.

Siegmunds Anschläge auf die Kaiserkrone waren verunglückt, es waren eine Menge Hände nach diesem Kleinod ausgestreckt, unter welchen Pfalzgraf Ruperts, Graf Eberhards und Herzog Friedrichs, schon fast im Zugreifen waren.

Herrmann hörte nicht sobald den Namen des Herzogs von Braunschweig und des Grafen von Würtemberg nennen, erfuhr nicht so bald, [324] daß sie sich nebst allen Competenten zur Krone auf dem Reichstage zu Nürnberg befänden, als sein Zweifel, wohin er seine Schritte lenken sollte, verschwand. Er wußte bisher nicht, wo Ida war, jetzt ward es ihm klar, daß sie seyn müßte, wo ihr Vater und ihr Bräutigam sich befänden. Ida zu sehen, und Friedrichen vor heimlichen Nachstellungen zu warnen, lag ihm beydes am Herzen. Aber, Idas Vater! ihr Bräutigam! was für Worte in Herrmanns Ohren! Ida, die Tochter oder die Braut eines künftigen Kaisers? Armer Jüngling, was für Aussichten für deine Liebe!

Herrmann befand sich jetzt in den Gegenden von Fritzlar. Das Gerücht kam ihm entgegen, Herzog Friedrich von Braunschweig sey von den deutschen Fürsten verworfen worden, und habe sich in vollem Zorn nebst seinem Schwager, Rudolfen von Sachsen, von Nürnberg aufgemacht, um wieder in sein Land zu ziehen. Welch eine Zeitung! Der gefürchtete Nebenbuhler hatte also seine Geliebte verlassen, er sollte nie den Namen Kaiser erlangen, den Graf Eberhard seinem Schwiegersohn so gern gegönnt hätte, wenn er ihn selbst nicht erhalten konnte! Neue Hoffnungen stiegen in Herrmanns Seele auf, er glaubte alles überwunden zu haben, da nur der fürchterliche Herzog[325] vom Schauplatz abgetreten war, und dachte nicht, daß die Tochter eines muthmaßlichen künftigen Kaisers noch immer unerreichbar für ihn blieb.

Er hatte nicht so bald gehört, daß Herzog Friedrich vielleicht hier vorüber ziehen würde, als er begierig ward denjenigen zu sehen, der ihm bisher so viel Furcht eingejagt hatte und ihm einige Warnungsworte vor Gefahr zuzurufen; er interessirte sich doppelt für ihn, seit er ihn nicht mehr für Idas Bräutigam hielt. Er setzte sich unter einen Baum an der Heerstraße, und schaute in die Weite hinaus. Die Gegend war einsam; man war in diesem Bezirk es zu gewohnt große Herrn vorüber ziehen zu sehen, als daß man sich, so wie ietzt, dazu hätte drängen sollen, sich zu überzeugen, daß sie auch Menschen wären.

Das Warten dauerte Herrmann zu lang, er war diesen Tag weit gegangen, und er entschlief. Sein Schlaf konnte wohl etliche Stunden gedauert haben, als er von einem schrecklichen Traum erwachte. Ihm träumte, Herzog Friedrich von Braunschweig sey von einem Löwen zerrissen worden, und man wollte ihn mit der Haut seines Mörders bekleiden. Er ermunterte sich, fuhr auf und sahe neben sich einen langen [326] bleichen Menschen mit verworrenem Haar und ausgezogenem Schwerdte stehen.

Herrmann sprang in die Höhe. Was machst du mit meinem Schwerdte? schrie er, indem er das seinige in der Hand des Fremden gewahr ward. –

Dein Schwerdt? rief der andere, indem er es blitzschnell ins Gebüsch schleuderte, siehe, das ist das deinige; ich fand es neben dir, und der fürchterliche Anblick machte, daß ich bey dir stehen blieb, und weil ich dich für einen Mörder hielt, meinen Degen zog, um mich, wenn du erwachtest, vor dir zu schützen.

Herrmann sah sich um und erblickte an der Stelle, wo er gelegen hatte, ein mit Blut getränktes Schwerdt. – Unseeliger! schrie er, indem er den Fremden bey der Brust faßte und ihn gewaltsam schüttelte, sprich, was ist das? – Aber Gott was sehe ich! Kunzmann? Hertingshausen? Graf Peters Mörder? –

Herrmanns Hände sanken vor Entsetzen nieder, und Kunzmann fühlte sich nicht so bald frey, als er wie ein Pfeil von der Sehne davon floh, [327] und den Ritter von Unna in einer Bestürzung verließ, welche mit nichts zu vergleichen war.

In dem nemlichen Augenblick erhob sich ein fürchterliches Geschrey; Hier, hier muß die That geschehen seyn! fasset, fasset den Mörder! Von allen Seiten stürzten gewaffnete Männer herbey, von denen einige schrieen: Ach unser Herzog, unser theurer Herzog! andere 6: Nein, hier ist er nicht gefallen, wir fanden ihn hundert Schritt weiter im Gebüsch! und noch ein andrer: der Mörder kann nicht weit seyn, ich hatte ihn schon einmal ereilt, aber er entfloh mit dem blutigen Schwerdte.

Herrmann stand noch mit in einandergeschlagenen Armen bey Kunzmanns Schwerdte, als ihn dieses gräßliche Getös aufmerksam machte. Er that einige Schritte vorwärts, um zu fragen, ob das, was er hörte, noch überbliebene Ideen seines Traums, oder Wahrheit wären, aber – –

[3]

Zweiter Theil

1. Kapitel. Ein Verhör
Erstes Kapitel
Ein Verhör

Aber – – Doch, mein Leser, wie können wir dir zumuthen, daß dir das Ende unsers ersten Theils noch so lebhaft vorschweben sollte, daß du vermögend wärest, es vermittelst eines Abers an den Anfang des zweiten anzuknüpfen! – Wisse also, dafern du es vergessen hast, du verließest den ehrlichen Herrmann von Unna in einer der seltsamsten Lagen, die sich denken lassen. Von einem Traume erwacht, der sein Innerstes erschütterte, und beym Erwachen von Dingen umgeben, die den unordentlichen Bildern des wildesten Traums so ähnlich sahen, daß er zweifeln mußte, ob er wirklich erwacht sey. Kunzmanns überraschende Erscheinung, sein Anblick, noch so bleich, zitternd und verstört, als damals, als er von Graf Peters Ermordung zurückkam, das blutige Schwerd, das Geschrey von der Ermordung eines Herzogs, das Herrmann augenblicklich auf Friedrichen von Braunschweig [3] deutete und deuten mußte, das wüthende Herbeyströmen der Gewappneten; was für ein Gewühl von Ideen mußten diese Dinge in dem noch halb schlaftrunkenen Jünglinge machen!

Er that, wie wir im Vorigen gesagt haben, einige Schritte vorwärts um sich zu belehren, aber ehe er noch ein Wort aufzubringen vermochte, tönte ihm aus zwanzig rauhen Kehlen das Gebrüll entgegen: hier ist er! hier ist der Mörder! und zwanzig Schwerdter wurden bloß, sich mit seinem Blute zu tränken.

Ein böser Geist schien es darauf angelegt zu haben, den Unschuldigen zu Rettung des Verbrechers in Verdacht zu bringen; wie wäre es sonst möglich gewesen, in einem anfangs tiefdenkend dastehenden, und dann sich seinen Feinden langsam nähernden Menschen, in einem Jünglinge, mit den Zügen der Unschuld auf dem Gesicht einen Mörder zu ahnden? – Die ganze Aehnlichkeit zwischen ihm und dem eben entflohenen Kunzmann, den man mit Recht als den Vollbringer der abscheulichen That verfolgte, bestand in der Gleichheit der Rüstung, und in dem rosenfarbenen Ermel, den Hertingshausen, der sich eben so wohl als Herrmann zu den Rittern der alten Minne zählte, gleich diesen trug.

Herrmann war nicht gewohnt sich unvertheidigt angreifen zu lassen, er griff nach dem Schwerde, [4] und da ihm Kunzmann das seinige geraubt hatte, so war er freylich genöthigt, das blutige Mordeisen aufzunehmen, welches der Bösewicht ihm zurückgelassen hatte.

Es war in den damahligen Zeiten nichts ungewöhnliches die Tapferkeit so weit zu treiben, daß man statt gutwilliger Uebergabe, wo man Ueberlegenheit der Anzahl oder Stärke sah, lieber fechtend starb, als sich der Gnade des Feindes überließ. Herrmann focht ritterlich, zween seiner Feinde lagen todt zu seinen Füßen, und verschiedene andere hatten Wunden aufzuweisen, welche sie zu weiterm Gefecht untüchtig machten. Endlich stürzte sich der ganze Haufe auf ihn; er ward zu Boden getreten, und würde ohne Zweifel unter den Händen der Rächer des Ermordeten haben das Leben aufgeben müssen, wenn nicht der eine von ihnen dem die andern alle zu gehorchen schienen, ihnen geboten hätte, sein Leben zu schonen.

Haltet ein! rief Kurd, des unglücklichen Herzogs Leibknappe. Der Verruchte verdient nicht den ehrlichen Tod durch Feindes Schwerdt zu sterben!

Ha! schrie einer, der eben dem überwältigten Herrmann noch einen wütenden Stich in die Seite gegeben hatte, ich denke, er wird nicht viel mehr bedürfen; seht, wie mit dem Blute sein Leben [5] aus dem Körper des Verworfenen quillt! O süße süße Rache für Friedrichs entflohnen Geist!

Er muß verbunden, muß gerettet werden! rief Kurd! Was denkt ihr! war er der einige Thäter? – die übrigen sind entflohen, und er darf nicht eher sterben, bis er uns die Verruchten genannt hat!

Herrmann lag ohnmächtig auf dem Boden, man verband ihn, und trug ihn in eine Herberge des nächsten Dorfes, wo man Friedrichs trostlosen Freund, Rudolfen von Sachsen zu treffen versprochen hatte. – Rudolf soll dich richten, schrie Kurd, als der eben sich erholende Herrmann in die Unterstube eines Bauernhauses gebracht ward, deine Seele soll nicht ehe entfliehen, bis du uns die Namen deiner Sündengenossen genannt, uns Stoff zu neuer Rache gegeben hast!

Herrmann antwortete nichts, verstand wahrscheinlich nicht, was ihm Kurd in die Ohren brüllte; er neigte das Haupt mit einer schmerzhaften Miene auf die Seite, und ward, als man ihn auf ein Strohlager brachte, zum zweytenmahl ohnmächtig.

Mittlerweile erkundigten sich die Reuter nach Herzog Rudolfen und seinen Leuten, von deren Ankunft man hier im Dorfe noch nichts wußte. Kurd schickte die Hälfte seiner Reuter aus, Kundschaft einzuziehen, und er blieb mit den Uebrigen [6] zurück, um den Funken des Lebens in dem Verwundeten bis zu dem erpreßten Geständnisse glimmend zu erhalten.

Herrmann erholte sich gegen den Abend, und forderte zu trinken, man reichte ihm Wein, und hielt ihn nach Genuß desselben stark genug auf jede Frage zu antworten, die man ihm vorlegen würde. –

Es ist möglich, sagte Kurd zu seinen Gefärthen, daß er die Ankunft des Herzogs von Sachsen, der vielleicht einen andern Weg gezogen ist, nicht erlebt, ich will ihn selbst befragen, und ihr sollt Zeugen seiner Aussage seyn.

Herrmann ward befragt. – Ich ein Mörder? Friedrichs Mörder? antwortete er mit schwacher Stimme, o Gott! Retter der Unschuld!

Willst du noch leugnen? fragte Kurd. Ueberzeugt dich nicht dieses Schwerd?

Blutig, riefen die Zeugen, blutig sahen wir es ihn vom Boden aufnehmen und wider uns kehren, das Blut unsers Herrn vermischte sich mit dem Unsrigen, das er vergoß! Dies ist noch nicht genug ihn zu überzeugen, rief Kurd. Ein Zufall könnte das Schwerd eines Unschuldigen zu eben der Zeit mit Blut gefärbt haben; aber, daß ich seine Gestalt, seine Kleidung übergehe (die ich, als ich ihn zuerst ereilte, und ihm den Mantel entriß, nur gar zu gut in die Augen faßte) so sehet dieses [7] Schwerd! Ists nicht Herzog Friedrichs Schwerd, das er im Gebüsch von sich gelegt hatte, und das die Meuchelmörder ihm raubten, um es in sein eigen Blut zu tauchen? –

Die Zeugen traten herbey, betrachteten und küßten den Stahl, und alle schrien! Herzog Friedrichs Schwerd, so wahr uns Gott helfe! Rache, Rache über seinen Mörder!

Wie ein fast ausgebrannter Tocht durch allzuschnellen Zufluß von Oel auf einmal hell auflodert um denn gänzlich zu erlöschen, so hatte das starke Getränk, welches für den tödlich verwundeten Herrmann Gift in seiner Lage war, für den gegenwärtigen Augenblick die Würkung ihn neu zu beleben, ihm eine Stärke und Munterkeit einzuflößen, welche fast der eines Gesunden glich. Vielleicht zwar, daß auch die entsetzliche Anklage, die er erst jetzt völlig zu fassen begunte, seine Seele so erschütterte, daß sie noch alle Kräfte der Natur anstrengte, um nicht ungerechtfertigt nicht mit einer Blutschuld befleckt scheiden zu müssen.

Herrmann richtete sich plötzlich auf, und der Wirth, der nebst einigen seiner Leute gegenwärtig war, trat herbey ihn zu unterstützen. Nein! schrie Herrmann, ich bin Friedrichs Mörder nicht! sein Schwerd hatte ich vorher nie gesehen, faßte es zuerst, als ich es aufheben mußte, mich wider euch zu vertheidigen. Lang, – ihr müßt es noch gesehen [8] haben, – lang starrte ich es voll Entsetzen an, ohne es anrühren zu mögen, mir ahndete, daß das Blut der Unschuld daran klebte.

Mensch! rief Kurd, wie kannst du uns dieses bereden? Wie kannst du – –?

Doch meine Leser, es würde theils unnöthig, theils unmöglich seyn, euch das Gespräch zwischen dem verwundeten Herrmann und Herzog Friedrichs Rächern Wort für Wort mitzutheilen. Genug sey es euch, daß die Stimme der Wahrheit aus dem Munde des schon fast sterbenden Jünglings wenigstens so viel vermochte, die Umstehenden in ihrem bisherigen Glauben wankend zu machen. Er erzählte nach der Länge alles, was ihm diesen Tag begegnet war, und der Richter und die Zeugen fanden so viel überredendes in den Worten des Verwundeten, daß sie sich voll Erstaunen ansahen, und einander fragten, was bey dieser zweifelhaften Sache zu thun sey.

Ein Umstand kam dem hier an Richterstelle sitzenden Kurd in den Sinn, den er bisher im Taumel der Wuth gänzlich vergessen hatte und der dem Beschuldigten wunderbar zu statten kam. Wir haben schon erwähnt, daß Kurd Kunzmannen bereits einmahl ereilt und ihm den Mantel entrissen hatte. Der Mantel entschlüpfte seiner Linken, aber die Rechte hatte des Mörders langes schwarzes Haar weit fester gefaßt, und Hertingshausen [9] konnte den Händen seines Verfolgers nicht entfliehen ohne einen Theil desselben in seinen Händen zu lassen. Kurd hatte es sorgfältig aufbewahrt und zog es jetzt hervor, um den Beklagten, dem er fast nichts mehr zu antworten wußte, völlig zu überzeugen, aber er gerieth in neue Verwirrung, als er seine Augen auf die blonden Locken warf, die Herrmanns bleiches Gesicht umschatteten. Was ist dies? rief er, sollte ich würklich irren? sollte dieser würklich schuldlos seyn?

Herr, fieng der Wirth an, der Herrmannen bisher gehalten hatte und ihn jetzt sanft auf sein Lager sinken ließ, wenn ich euch meine Meinung sagen soll, so seyd ihr ganz an den Unrechten gekommen. – Der Ritter da, scheint mir, – kommt her Leute, und seht zu, – ists nicht der junge Mann, den wir alle diese Tage über bey uns gehabt haben? – Ja, ja, er ists! schrien die herbeydringenden Knechte, es ist der gute Ritter von Unna! und das sagen wir euch, Kurd,Herrmann von Unna ist kein Mörder, kann kein Mörder seyn!

Herrmann hatte verschiedene Tage in diesem Dorfe geherbergt und daselbst so wie überall tausend Proben seiner Gutmüthigkeit abgelegt. Ueberall wo er gewesen war, hinterließ er Freunde; kein Wunder also, daß auf den Lärm, der sich auf diese Vertheidigung zwischen den Reutern und Knechten [10] erhub, und auf das Geschrey: der junge Ritter, der diesen Morgen das Dorf verlassen habe, sey der von Herzog Friedrichs Leuten Verwundete, alle Welt herbeylief und ihn sehen und rächen wollte. Die Weiber spielten hiebey die beste Rolle, sie nahmen sich des todschwachen Herrmanns an, der von der heftigen Anstrengung viel gelitten hatte, und den man in dem allgemeinen Lärm, der um seinetwillen entstand, ganz aus der Acht gelassen hatte.

Der besänftigte Kurd gebot endlich Friede. Alle eure Reden, schrie er, sind noch keine Beweise für die Unschuld des Beklagten, wollte Gott, sie wären es, und ich könnte, wenn ich ihm Unrecht that, es wieder gut machen; aber ihr seht selbst, der Mensch kannHerrmann von Unna und euer Wohlthäter, und doch Herzog Friedrichs Mörder seyn. Diese Hand voll Haare beweist mehr als euer Geschrey, und doch nicht genug, um ihn zu retten. Es waren der Mörder mehr, und ist dieser nicht der, dem diese Locke gehört, so kann er einer von den andern seyn! Die Sache muß vor ein höheres Gericht, und ist er denn unschuldig, so braucht ihr vor nichts zu sorgen! Jetzt laß ich ihn in eurer Gewehrsame, zween Reuter bleiben ihn zu bewachen, und wehe euch, wenn ihr einen voreiligen Schritt thut, ihn entkommen zu [11] lassen, er wird ihm nichts helfen, und euch unglücklich machen.

Kurd verließ das Zimmer mit Eile, denn eben war einer von seinen ausgeschickten Reutern mit der Post zurückgekommen, Herzog Rudolf sey gefangen, und seine Leute sammelten sich drey Meilen von Fritzlar, ihm zu Hülfe zu ziehen; ein Zug, bey welchem der brave Kurd, ein so treuer Diener des gefangenen Rudolfs, als des ermordeten Friedrichs nicht fehlen durfte.

2. Kapitel. Wiedersehen
Zweytes Kapitel.
Wiedersehen.

Herrmann blieb unter der liebreichen Wartung seiner alten Wirthe. Ungeachtet er nicht so wohl durch die Gefährlichkeit seiner Wunden, als durch ihre Menge und den großen Blutverlust zu Boden gestürzt, und seine Lage jetzt meistens nur durch heftige Bewegung und den schädlichen Trunk verschlimmert worden war, so schwebte er doch einige Tage zwischen Leben und Tod und nichts als Gutherzigkeit der ehrlichen Landleute konnte ihn retten. Der Schäfer, das Orakel des Dorfs, heilte ihn mit Saft von ausgepreßten Kräutern, unter welchen das Moos, auf von der Sonne gebleichten [12] Hirnschedeln gewachsen, wie unsere Urschrift sagt, das vornehmste war; ein Zeugniß, dem wir nicht zu widersprechen wagen – weil wir uns auf solche Dinge nicht verstehen.

Herrmann fieng an zu genesen, fieng an, nach Verlauf einer ziemlichen Zeit herum zu gehen, vermochte mit seinen freundlichen Wirthen von der schrecklichen Begebenheit zu sprechen, die ihn dem Tode nahe brachte, konnte ihnen danken, ihnen freigebig lohnen, aber für ihre heimlichen Ueberredungen zu fliehen, und der weitern Untersuchung seiner Sache zu entgehn, hatte er keine Ohren. Umsonst stellte man ihm vor, daß es ihm schwer werden würde, seine Unschuld vor vielleicht partheyischen Richtern zu erweisen, umsonst erinnerte man ihn, daß ihn hier nichts aufhielt, weil die Reuter, die man ihm anfangs zur Wache gegeben hatte, längst abgefordert worden waren; er bestand auf den Grundsatz, den er vor kurzem auf dem Schlosse Cyly äusserte: Die Unschuld fliehet nicht; und beschloß seinen Ankläger zu erwarten, oder im Fall dieser aussen blieb, gen Nürnberg zu ziehen und seine Sache den daselbst versammelten Fürsten vorzustellen.

Der letzte Entschluß ward ausgeführt. – Herzog Rudolfs Leute, unter welche sich jetzt auch der treue Kurd zählte, sorgten zu selbiger Zeit mehr für das Beste ihres gefangenen Herrn, als für die [13] Rache des ermordeten Friedrichs, und das erstere gab ihnen so viel zu thun, daß darüber das letzte ganz zu entschlafen schien. Herrmann sahe sich also genöthigt, wenn er nicht den Flecken der schrecklichen Beschuldigung unabgewischt lassen wollte, sich zu Nürnberg bey denen zu melden, auf deren Gerechtigkeit er ein so großes Zutrauen setzte. Seine Wirthe mußten sich endlich die Sache gefallen lassen, sie begleiteten ihn bis weit vor das Dorf hinaus, und er trennte sich erst unter der Tanne von ihnen, wo ihn der betrügerische Schlaf bald in die Arme des Todes geliefert hätte.

Dieser Baum, rief er, als er seine Begleiter entließ, dieser Baum sey Zeuge meiner Unschuld, ihr, ihr Theuren, glaubt sie nur aus Vorliebe für mich, aber, o daß dieser Stamm reden könnte, an den ich sorglos hingelehnt schlummerte, als der Löwe, der Herzog Friedrichen zerfleischte, neben mir stand, und mich mit dem Blute der Unschuld beflecken wollte, o daß diese Blätter Zungen würden die Wahrheit auszusprechen! Daß die Geister, welche Kunzmann und mich hier unsichtbar umschwebten, auftreten möchten wider den Mörder zu zeugen!

Haltet ein, Ritter, unterbrach ihn der älteste unter den Landleuten, was wir von euch halten, daß wißt ihr; aber diese Fürsten, zu denen ihr gedenkt! – Ihre Anzahl besteht nicht aus lauter Ruprechten von der Pfalz und Albrechten von [14] Oesterreich, es gibt viele unter ihnen, die nicht scharfsichtig genug sind, die Unschuld mitten in der Dämmerung zu entdecken, und einen und den andern, der es vielleicht nicht ungern sehen möchte, eigene Schuld auf einen Fremden zu wälzen. Vornehmlich hütet euch vor dem von Maynz. Es gehen seit Herzog Friedrichs Ermordung seltsame Gerüchte in dieser Gegend. – Wenigstens wissen wir alle so viel, daß er und Friedrich nie Freunde waren.

Herrmann kam gen Nürnberg und sein erstes Geschäft daselbst war – nach Ida zu fragen. Sollten meine Leser noch nicht gemuthmaßet haben, daß der Wunsch sie zu sehen, so viel Antheil an seiner Ankunft gehabt habe, als das Verlangen, vor den teutschen Fürsten seine Unschuld zu rechtfertigen?

Er erfuhr, daß der Graf von Würtemberg eine kurze Reise unternommen habe, und daß seine Tochter sich mittlerweile gar einsam und eingezogen auf seinem Schlosse hielte. Herrmann hatte Eile Ida zu sehen: er fühlte es, daß er einen großen Schritt vor sich hatte: sollte er bey dem zweifelhaften Ausgang desselben es darauf wagen, sie nie wieder zu erblicken? –

Die Liebe machte ihn sinnreich und kühn, und der Anschlag, den sie ihm eingab, war so plan und leicht, daß er glücken mußte. – Wie hätte man [15] einem Ritter, der der Gräfinn von Würtemberg Bothschaft von ihrem Vater brachte, den Zutritt versagen sollen! er ward unvorzüglich vorgefordert, und – Herrmann trat ein.

Herrmann! rief Ida, als er vor ihr kniete den Saum ihres Rocks zu küssen, Herrmann, ein Bote meines Vaters? –

Und würde Ida zürnen, wenn er es nicht wäre, wenn ihm die Liebe eingegeben hätte, sich einer unschuldigen List zu bedienen? –

O Herrmann! Herrmann! rief die Gräfinn und beugte sich tiefer zu ihm herab, wo bist du bis jetzt gewesen? Warum dieses todtenbleiche verfallne Gesicht, diese matten Augen? –

Wir haben schon mehr gesehen, daß dem Ritter der treuen Minne bey seiner Ida keine Augenblicke günstiger waren, als die Augenblicke der Ueberraschung; so auch der gegenwärtige. Die Gräfinn zögerte lange, ehe sie sich aus Herrmanns umschließenden Armen wand, und ihn in die Schranken des gebührlichen Wohlstandes zurück wies, und er kannte seinen Vortheil zu gut, um sich durch irgend einen unzeitigen Ausruf zu früh aus der süßen Vergessenheit ihrer selbst zu reißen.

Stehet auf Ritter von Unna, rief endlich die erröthende Ida mit abgewandtem Angesicht, wir spielen hier eine seltsame Rolle. – Ihr sagtet, [16] ihr brächtet mir Post von meinem Vater? wie lebt er, wird er bald zurückkehren?

Man wird sich erinnern, daß Herrmann kein Wort von diesen Dingen gesagt hatte, aber er hielt es nicht für nöthig sie eines bessern zu belehren, nahms für bekannt an, daß sie selbst nicht recht wisse was sie spräch, oder verstand überhaupt in der Entzückung, in der er war, selbst nicht, was sie sagte.

Er nahm auf ihren Befehl Platz an ihrer Seite, und nach einigen Augenblicken, da noch keines von beyden recht wußte, was es sagen sollte, nahm endlich eine Art von Unterredung zwischen beiden Platz, die nach und nach verständiger wurde und alles zum Vorschein brachte, was man in den gegenwärtigen Augenblicken nöthig hatte einander zu sagen.

Idas Erzählung war kurz. Ihr Leben war unter der Aufsicht ihres strengen Vaters so einförmig gewesen, als das Leben aller Jungfrauen ihrer Zeit. Nur selten kamen in jenen rauhen ungebildeten Jahrhunderten die Töchter des Landes zum Vorschein und Fleis und Wachsamkeit ihrer Eltern schützten sie auch vor häuslichen Abentheuern. Obgleich Fürstentöchter hierinn zuweilen eine Ausnahme machten, so blieb doch Graf Eberhard in Ansehung seiner Ida ganz bey der [17] gewöhnlichen Weise: immer noch lag ihm dieserHerrmann von Unna in Gedanken, der ihm einst von Idas Altan in den Garten entsprang, und an der Kaiserinn eine so mächtige Vorbitterinn hatte; – auch war Ida zu schön, um all den üppigen Augen ausgestellt zu werden, deren es auf dem Reichstage zu Nürnberg gab; selbst ihr bestimmter Bräutigam, der nun ermordete Herzog von Braunschweig, hatte sie nur zweymal gesehen, denn auch er durfte sich, nach dem Willen des alten Grafen, nur in so fern Hoffnung auf dieses Kleinod machen, als ihm das Glück in Ansehung der Kaiserkrone günstig war.

Herrmann triumphirte über Idas Erzählung, die sie ihm mit ihrer natürlichen unschuldigen Offenherzigkeit machte, dankte Graf Eberharden im Herzen, daß er so treulich über seinen Schatz gewacht hatte, und lobte sich laut, daß er schlau genug gewesen war, die Wachsamkeit ihrer Wächter zu betrügen. Aber Ida erinnerte ihn, nicht zu kühn zu seyn, weil nur der Zufall, und die Abwesenheit einer strengen Duegna deren Rückkunft aus der Kirche sie alle Stunden erwartete, ihm dieses Glück verschaft habe.

Der wichtigste Theil der Unterhaltung der beyden Liebenden, Herrmanns Geschichte und die Ursach seiner Erscheinung war noch zurück. Man [18] mußte eilen. Herrmann erzählte, und – habe ich noch nöthig den Eindruck zu schildern, den das, was die junge Gräfinn hörte, auf ihr Herz machte?

Unter allen Gefahren, in welchen sie den geliebten Herrmann in seiner langen traurigen Geschichte sah, kam ihr die gegenwärtige als die schrecklichste vor, sie zitterte, daß er sich selbst vor ein Gericht stellen wollte, dessen Beysitzer sie noch lange nicht genug kannte um zu wissen, ob die Unschuld bey ihnen sicher sey. Sie bat, sie flehte mit Thränen, er möchte seinen Ankläger erwarten, und dafern dieser nicht erschien, seine Unschuld vor erwiesen halten, da sie Gott und seinem eigenen Herzen bewußt wär; er möchte doch lieber jetzt gleich fliehen, da Kurd, der einige der nebst seinen Leuten wider ihn auftreten könne, beym Abschied ja selbst von seiner Unschuld überzeugt zu seyn geschienen hätte, da er und seine Gefährten vielleicht bey Herzog Rudolfs Befreyung, von welcher jetzt stark gesprochen wurde, geblieben, und also kein einiger seiner Ankläger übrig seyn könne! – Liebe und Angst sprach aus ihren Blicken, da sie ihm die Nothwendigkeit seiner Flucht so mit wichtigen und unwichtigen Gründen vorstellte, aber Herrmann blieb unbeweglich!

Würde ich deiner würdig seyn? rief er, würde ich einen Blick von dir, du Ebenbild der schuldlosesten[19] aller Jungfrauen verdienen, wenn ich die Blutschuld nicht von mir zu wälzen suchte? – Nein es ist nicht genug, daß Gott, du und ich mich unschuldig wissen, und andere gute Seelen meine Unschuld glauben, die ganze Welt soll sich überzeugen, daß Herrmann von Unna, wenigstens kein Verbrecher ist, wenigstens dieser Ursach wegen, sich nicht scheuen darf, an eine Gräfinn von Würtemberg zu denken.

3. Kapitel. Er ist gerettet!
Drittes Kapitel.
Er ist gerettet!

Die Liebenden schieden. Herrmann machte sich auf, die ersten Schritte zu Ausführung seines Anschlags zu thun, und Ida blieb in dumpfen Trübsinn zurück. Daß ihr Trübsinn nicht Verzweiflung war, machte das Andenken an ähnliches Unglück, das sie selbst vordem erfahren hatte, und dem sie so wunderbar entkommen war. War es nicht ein weit fürchterlicheres Gericht, vor dem ich ehemahls stand, sprach sie zu sich selbst, dieses wird doch noch im Angesicht des Tages, vor den Augen der zuschauenden und selbst richtenden Menge gehalten werden, aber jenes Tribunal der ewigen Nacht! Und doch ward ich erhalten! – Nein, Ida, verzage nicht, er ist unschuldig, stellt [20] sich ohne Ankläger, ist ein Mann, der, wenn alle Vertheidigung fehlt, sein gutes Schwerd noch übrig hat die Sache zu schlichten! Nein, Ida verzage nicht! Die Prüfung, welcher er sich unterwirft, wird zu seiner Ehre, vielleicht zu seinem und deinem Glück ausschlagen!

Herrmann hatte seine traurende Geliebte kaum verlassen, als die Hüterinn erschien, welche Graf Eberhard ihr zugegeben hatte, und die ihr nie von der Seite gieng, als wenn sich das Mädchen etwa durch Vor wand einer Unpäßlichkeit ihrer lästigen Gegenwart auf einige Stunden entledigte. Ida wußte nie zuvor was Unwahrheit und Verstellung war, bis Strenge und argwöhnische Aufmerksamkeit es ihr lehrten – Ida zitterte vor einer Untersuchung, wer der Jüngling sey, der sie eben verlassen hatte. Herrmann war vor den Augen ihrer im Vorzimmer aufwartenden Leute gekommen und gegangen, sie hielt sich zu edel ihren Bedienten Stillschweigen aufzulegen, und konnte also alle Augenblicke aus dem Munde ihrer Hofmeisterinn eine Frage erwarten, die sie nicht zu beantworten wußte. Diese Frage erfolgte nicht, auch schien die ungewöhnliche Schwermuth des Fräuleins gar nicht bemerkt zu werden und erst gegen den Abend des künftigen Tages erfolgte ein Gespräch zwischen ihr und der Duegna, von welchem meine Leser selbst urtheilen mögen, ob es zu [21] Idas Trost gereichen möchte. Werden diese Thränen nie vertrocknen, Gräfinn? mich dünkt, sie fliessen seit gestern weit häufiger! –

Kann wohl seyn! –

Und ihre Ursach? – O warum wolltet ihr mir sie verhelen? Ists ein Schimpf für ein Fräulein in euren Jahren zu lieben, und wenn man so unglücklich liebt wie ihr, den Verlust des Geliebten zu beklagen? –

Ida weinte heftiger!

Armes armes Kind! rief die Alte. Ihn so blutig, so schrecklich zu verlieren! – Doch ein Trost ist euch noch übrig, die Rache! und tröstet euch, ihr sollt gerächt werden, der Thäter hat sich selbst gemeldet.

Ida trocknete die Augen und blickte die Sprechende voll Entsetzen an. Von wem redet ihr? sagte sie in einem ängstlichen Tone. –

Ich sage, der Mörder eures Bräutigams, Herzog Friedrichs, hat sich gemeldet!

Gemeldet? wiederholte Ida – Nun, und er ist zurückgewiesen worden, hoffe ich, ihr wißt, – ich weis, – genug es ist bekannt, daß er unschuldig ist!

Wer denn? Fräulein?

Der Ritter von – O mein Kopf! ich bitte euch, wenn ihr mir etwas zu sagen habt, so [22] sprecht allein, ihr seht, ich bin nicht vermögend euch zu antworten.

Die Alte schüttelte den Kopf und hub eine Erzählung an, die sich meine Leser denken können, die auch Ida zu errathen vermochte, die sie aber dennoch so sehr überraschte, daß sie beym Schlusse derselben ohnmächtig ward. Wie hätte sie es unerschüttert vernehmen können, daß Herrmann sich vor den Fürstenrath gestellt, seine Geschichte erzählt, die Dinge, welche für, und die, welche wider ihn waren, seinen Richtern aufrichtig vorgelegt hatte, und statt der augenblicklichen Lossprechung, die freylich Ida ihm ertheilt haben würde, bis auf weitere Erkenntniß in einen festen Thurm gesetzt worden war.

Ich bitte euch, sagte Ida, als sie wieder zu sich selbst gekommen war, und tausend Fragen über ihren schnellen Zufall angehört und schlecht genug beantwortet hatte, ich bitte euch, erzählt mir eure Geschichte noch einmahl, wenn der Wunsch Herzog Friedrichs Blut gerochen zu sehen, so wie ihr meynt, mir diese Beängstigung verursacht, so könnt ihr denken, daß ich alles wissen muß! Vor allen Dingen, wer sind seine, ich will sagen, wer sind des – des Unbekannten Richter?

Ach daß es Gott und alle Heiligen erbarme! schrie die Alte, solche Richter müssen, seit die Welt steht, noch nicht gefunden worden seyn! Ich nehme [23] den Kurfürsten von Maynz aus, denn dieser that so gleich was er thun mußte, ließ den Mörder beym Kopfe nehmen. – –

Er that? Er ließ? schrie Ida, waret ihr selbst gegenwärtig? O ja, als ich diesen Morgen aus der Messe ging. Das Gericht ward bey offenen Thüren gehalten. –

Nun denn! – Es kann ja nicht die ganze Welt blind gegen seine Unschuld seyn! – Aber weiter! Seine Richter! seine Richter!

Ich hoffe, die meisten waren wider ihn, aber leider behielten die wenigern, die ihn unschuldig nannten, die Oberhand!

O die Herrlichen! – Ihre Namen, Kunigunde! ihre Namen!

Ihr wißt ja, wer hier alles zu sagen hat, wer es ewig hindern wird, daß irgend etwas gutes zu Stande komme; haltet euch nur noch nicht für die Tochter eines künftigen Kaisers, so lang –

O ich bitte euch! bringt mich nicht zur Verzweifelung, laßt Kaiser seyn und Kaiser bleiben wer da will, wenn nur er – –

Fräulein! Fräulein! rief Kunigunde mit aufgehobenem Finger. – Doch ich gebe nach. Die, welche demjenigen wohl wollten, dessen ihr euch so eifrig, Gott weis warum, annehmt, waren der Pfalzgraf Ruprecht, Herzog Albrecht und der alte Jodokus aus Mähren, alle heimliche [24] Feinde und Nebenbuhler eures Vaters, vielleicht Ursacher an dem Tode eures Bräutigams, und darum Vertheidiger des Fremden, der sich ja nicht gestellt haben würde, wenn er nicht schuldig wär.

Und der von Maynz? fragte Ida. –

That allein was recht war, ließ den Mörder gefangen nehmen, so sehr auch seine Freunde, welche immer mehrere der Fürsten an sich zogen, auf seine augenblickliche Lossprechung drangen. –

Und, liebe Kunigunde, glaubt ihr wohl, daß er im Gefängniß vor Gewaltthat sicher ist? –

Der Mörder?

O ich bitte euch, nennt ihn keinen Mörder! wie könnet ihr so wider einen Unbekannten wüthen? –

Ein Unbekannter? Ich denke freylich wohl Fräulein, ihr kennt den Ritter von Unna besser als ich, aber – o daß euer Vater zurück käme!

Es nahm von diesen Augenblick an eine ausserordentliche Kälte zwischen Ida und ihrer Hofmeisterinn Platz. Ida war beschämt sich verredet zu haben, und haßte die Hasserinn des unschuldigen Herrmanns, und diese wußte, was sie wissen wollte, hatte nicht nöthig die unschuldie Gräfinn von neuem auszuforschen, und hütete sich wohl, irgend etwas zu sagen, das ihr hätte erfreulich seyn können, denn leider, wie sie sich ausgedrückt [25] haben würde, leider hatte sie ihr nichts als Gutes zu melden.

Herrmann hatte sich vor dem Fürsten gestellt, seine ungekünstelte Erzählung, die Stimme der Wahrheit, die in derselben unverkennbar war, seine herrliche einnehmende Gestalt, dies ofne Gesicht, der Abdruck der Unschuld und der Herzensgüte, seine freywillige Darstellung, kurz alles, alles hatte für ihn gesprochen, und hätte ihn schon allein Loszählung von dem angeschuldigten Verbrechen auswirken müssen, wenn nicht auch Zeugen gekommen wären, seine Unschuld zu bestätigen. Die Leute aus dem Dorfe, wo Herrmann verwundet gelegen hatte, waren dem, dessen sie sich annehmen wollten, beynahe auf dem Fuß gefolgt, traten jetzt zu seiner Seite vors Gericht, und brachten so viel zu seinem Besten vor, daß nur ein solcher Mann wie Johann von Maynz und einige andere noch daran denken konnten, ihn als einen Verbrecher gefangen zu setzen.

Der Gang der Gerechtigkeit war damals noch nicht so langsam wie jetzt, Herrmanns Freunde, und die Freunde der Tugend, Ruprecht, Albrecht, und Jodokus, waren zu eifrig die Unschuld zu retten, und den von Maynz zu beschämen, als daß nicht die Sache des Beklagten gleich des andern Tages wieder hätte sollen vorgenommen werden, und hier war es, wo seine gänzliche Lossprechung [26] erfolgte. Kurd, der Leibknappe des Ermordeten erschien, er ward absonderlich verhört, seine und Herrmanns Aussagen trafen pünktlich überein, sie wurden einander entgegengestellt, und Kurd betheuerte, daß er seinen Verdacht gegen Herrmann zurück nahm, er zeigte die Haarlocke vor, die er dem fliehenden Mörder entrissen, und die augenscheinlich nicht auf Herrmanns Haupte gewachsen war, er erzählte, daß der schwarzlockigte Kunzmann noch am nemlichen Tage von andern seiner Verfolger ohne Schwerdt ertappt worden sey und behauptete, daß dieses einen Hauptumstand in Herrmanns Aussage bestätigte.

Herrmanns Freunde hörten dieses mit Vergnügen an, aber der Kurfürst von Maynz ward alsdann erst froh, als er vernahm, der gefangene Kunzmann sey entkommen, und man habe weder ihn noch einen an dern von den Mördern wieder ertappen können. – Einige von den Hassern des Unschuldigen wollten zwar einwenden, es sey dennoch möglich, daß Herrmann einer von den andern Entflohenen sey, aber der weise Jodokus behauptete, ihnen würde zukommen dieses zu beweisen, aber keinesweges sey dem Ritter von Unna, noch dem, was bereits zu seinem Besten erwiesen worden, zuzumuthen, den schweren Beweis vom Gegentheil zu führen. –

[27] Es würde zu weitläuftig fallen alles aufzuzeichnen, was für und wider diese Dinge gesprochen wurde, und es sey also genug, daß Herrmann gänzlich losgesprochen, und Johann von Maynz von allen Fürsten mit gehäßigen und verdachtvollen Augen angesehen wurde. Es war gleichwohl bedenklich, daß Kunzmann von Hertingshausen, der sich in 7 maynzischen Diensten befand, Herzog Friedrichs Mörder seyn sollte.

Unter allen Fürsten, deren Herzen der Ritter von Unna bey dieser Gelegenheit an sich gerissen hatte, war keiner so sehr für ihn eingenommen, als der junge Albrecht von Oesterreich, ein Herr, den man, wenn er nicht ein Fürst wär, für den es schimpflich lassen könnte die Kopie eines gemeinen Ritters zu heißen, Herrmanns Ebenbild im kleinen nennen könnte. Die Geschichtbücher erzählen, wie groß, wie edel Albrecht war, und also urtheile, mein Leser, wer Herrmann gewesen seyn müsse. –

»Das Herz Jonathan verband sich mit dem Herzen David,« sagt die alte Geschichte von dem Fürsten, der es nicht zu gering hielt, der Freund eines Hirten zu seyn, und dieses Ausdrucks könnten wir uns auch wohl in Ansehung des edeln Herzogs von Oesterreich bedienen. Herrmanns erster Anblick eroberte ihm das Herz des jungen [28] Prinzen, seine Art zu handeln, flößte ihm Achtung ein, und machte, daß er sich entschloß ihn mit Hintansetzung alles Unterschieds, den Rang und Geburt machten, zu seinem Freunde zu wählen. Seine höhern Vollkommenheiten, die dem bescheidenen Prinzen mehr als jedem andern in die Augen leuchteten, erregten bey ihm keinen Neid, und ein Bund der Freundschaft ward in seinem Herzen beschlossen, der es verdiente mit dem Bunde der ältesten Freunde der Vorzeit verglichen zu werden.

Herrmann ward nach Endigung des Gerichts vor Herzog Albrechten gerufen. Mit Mühe hielt der liebenwürdige Prinz anfangs seine Neigung für den Ritter von Unna in den Schranken des fürstlichen Wohlstands zurück; er fühlte, daß es die Klugheit erforderte, den Jüngling, der ihm gefiel, genauer zu prüfen, und nicht durch Aeußerung allzu grosser Vorliebe, bey ihm Stolz und bey andern Neid zu erregen. – Herrmann ward aufgefordert dem Fürsten, vor dem er stand, einen bestimmten Begriff, von dem was ihm anging, zu geben, er that es, und dies mit so viel Offenheit in dem was ihn allein, mit so viel Schonung in dem was andere in seine Geschichte verflochtene Personen betraf, daß Albrechts gute Meynung von ihm wuchs, und Herrmann das Haus, in welchem vor wenig Stunden über sein Leben und Tod gesprochen wurde, als einer der ersten Diener des [29] Fürsten verließ, den man mit Recht unter die besten seiner Zeit rechnen konnte.

Ida wußte von diesen glücklichen Aenderungen nichts. Ihre Hofmeisterinn hielt es nicht für gut, ihr etwas Angenehmes von dem Ritter von Unna vorzusagen, den ihr Graf Eberhard beym Antritt ihres Amts als denjenigen genannt hatte, vor welchen sie ihre Untergebene am meisten zu bewahren habe, und der doch, wie sie wohl durch Idas Leute wußte, vor wenig Tagen schlau genug gewesen war, ihre Wachsamkeit zu täuschen und sich zu der jungen Gräfinn einzuschleichen. –

Ida wußte von allem, was vorging, nur soviel, daß dieses der Tag war, an welchem Herrmanns Schicksal entschieden werden sollte; war es zu verwundern, daß sie die Nacht, die vor denselben hergieng, ohne Schlaf und den Morgen in einer Unruhe zubrachte, welche sich mit nichts vergleichen läßt?

Ida stand am Fenster, sie hatte am Morgen die Fürsten sich in dem benachbarten Pallaste des alten Jodokus versammeln gesehen, hatte die, welche ihr Kunigunde als Herrmanns Freunde bekannt gemacht hatte, mit inniger Dankbarkeit, und die andern, vornehmlich den von Maynz, mit Entsetzen betrachtet. Der gefangene Herrmann war herbeygebracht worden. Die Leute des ermordeten Herzogs von Braunschweig waren erschienen, [30] die sie an der Rüstung kannte, und deren wahrscheinliches Geschöpf ihr die Duegna auf die boshafteste Art erklärte. Ida hatte gezittert. Das Gericht hatte sich weit bis nach Mittag verzogen und nichts hatte sie vom Fenster hinwegbringen können, als die Mattigkeit, die ihr jetzt kaum mehr verstattete, sich aufrecht zu erhalten.

Man hatte sie zu Bette gebracht, und Kunigunde, welche glaubte, sie schlief, schlich hinaus, Nahrung für ihre Neugier zu holen; sie erfuhr Dinge, die ihre Untergebene augenblicklich neubelebt haben würden, aber sie war zu boshaft, ihr die einige Arzeney zu bringen, die sie hätte erquicken können.

Indessen lag die junge Gräfinn auf ihrem Bette ohne zu schlafen. Ein gewaltiges Geräusch auf der Gasse machte sie aufmerksam, sie vergaß ihre Schwachheit, und flog ans Fenster. Das Volk strömte aus Jodokus Pallast heraus, und sie glaubte Worte zu vernehmen, welche ihr tröstlich waren. Sie riß das Fenster auf, um mehr zu hören, und in dem Augenblicke sah sie, daß sich das Gedräng an der Pforte des Hauses vermehrte, wo über Herrmanns Unschuldge sprochen worden war. –

Herzog Albrecht mit seinem Gefolge stieg zu Pferde, ein Ritter von Herrmanns Gestalt und Kleidung war ihm der nächste. Er ritt [31] mehr ihm zur Seite als hinter ihm. Der Herzog schien beständig mit ihm zu sprechen, und sein Betragen zeugte ganz von herablassender Huld und Wohlwollen.

Ida beugte sich weiter heraus. Jetzt ritten sie unter dem Fenster vorüber. Der Ritter von der treuen Minne, den sie von weitem an den rosenfarbenen unter der Rüstung hervorschwellenden Ermeln erkennen konnte, war kein anderer als der geliebte Ritter von Unna. Ida dachte vor Freude ohnmächtig zu werden. Jetzt blickte er herauf und küßte mit einem Blicke von dem Triumph der Unschuld belebt sein Ordenszeichen, als wollte er sagen: nur dir zu Ehren trage ich es. – Auch Herzog Albrecht sahe herauf und grüßte ehrerbietig, und unter dem Volke erhub sich ein Gemurmel, das bald darauf in ein lautes Jubelgeschrey ausbrach: Heil Herzog Albrechten, dem Freunde der Unschuld, und dem geretteten Ritter, Herrmann von Unna!

Die Gräfinn wußte sich vor Entzücken nicht mehr zu halten! sie wandte sich um und stürtzte der eben eintretenden Kunigunde mit ausgebreiteten Armen entgegen.

Er ist gerettet! rief sie, er ist gerettet! und sank ohnmächtig zu Boden.

[32]
4. Kapitel. Ida entschläft, um zu träumen
Viertes Kapitel.
Ida entschläft, um zu träumen.

Es vergingen Tage und Wochen. Die Gräfinn war froh, ihren Ritter unter Herzog Albrechts Schutze sicher zu wissen, und ihn täglich vorüber reiten zu sehen, auch traurig war sie, denn sie sah Herrmann immer nur von weiten, und alle seine Versuche, sie zu sprechen, wurden durch Kunigundens Wachsamkeit zu nichte gemacht; süßes Gemisch von Freude und Kummer, welches, wie die Kenner versichern, den Hochgeschmack der Liebe ausmacht!

Ida war nicht unglücklich, sie hofte jeden Tag Herrmann zu sehen, und viel weiter erstreckten sich ihre Wünsche nicht. Man konnte doch vielleicht einmal die Wachsamkeit der Duegna betrügen, konnte sich in der Kirche, oder an einem andern der öffentlichen Orte treffen, welche die eingezogene Ida jetzt zu besuchen besondre Lust bezeugte. Aber Kunigunde war unerbittlich, sie konnte nicht begreifen, warum ihr Fräulein jetzt erst Neigung bekam, den öffentlichen Tänzen oder den Uebungen der jungen Ritter beyzuwohnen, oder vielmehr sie stellte sich, es nicht begreifen zu [33] können, und vertröstete sie auf die Wiederkunft ihres Vaters.

Der Graf von Würtemberg kam an. Seine Gespräche mit der Hofmeisterinn waren lang, sein Betragen gegen Ida kalt, und seine Laune, so oft er aus den Versammlungen der Fürsten zurückkam, sie mochten nun wegen Geschäften oder des Vergnügens wegen angestellt werden, mürrisch und ungestüm.

Ida stand eines Tages mit ihrem Vater am Fenster und Herrmann in Herzog Albrechts Gefolge zog vorüber; er küßte den rosenfarbenen Ermel nicht, denn seine Geliebte war nicht allein, aber er verbeugte sich voll Ehrfurcht. – Ida erröthete und schwieg. In dem Augenblicke fiel es ihr ein, daß es gezwungen und verdächtig lasse, den Ritter von Unna, von dessen Geschichte jetzt ein jeder sprach, zu sehen und nicht von ihm zu sprechen. Sie glaubte, durch irgend eine herzhaft über ihn gemachte Anmerkung sich ein besonderes Ansehen geben zu können, und fieng mit zitternder Stimme an: der Ritter von Unna sey – sey zu beklagen – zu loben – sey glücklich zu preisen – daß – daß er so von Herzog Albrechten geliebt werde und – und daß er unschuldig erfunden worden sey –

Graf Eberhard schien das Gesuchte in seiner Tochter Rede und ihre übelgewählten Worte nicht [34] zu bemerken. Mürrisch antwortete er auf den Schluß derselben. Herzog Albrecht sey ein junger Mann, der alles liebe, was ihm gleich sey, und was Herrmanns Unschuld anbelange, so thäten sich immer mehr Um stände hervor, die sie zweifelhaft machten!

Ida wiederholte die Worte ihres Vaters in fragendem Ton, aber er antwortete nicht, und verließ sie. – Die Gräfinn kämpfte diesen und einige folgende Tage mit sich selbst, um zu einer Stimmung zu kommen, in welcher sie mit kaltem Blute von Herrmann sprechen könne, und endlich gelang es ihr. Sie hatte Fragen zu thun, deren Beantwortung sie auf schlaue Art suchen mußte.

Der Ritter von Unna soll nicht so unschuldig seyn? sagte sie eines Tags zu Kunigunden, als sie mit ihr aus der Messe kam, und im Vorübergehen einen Gruß von ihm bekommen hatte.

Was ich euch vom Anfang versicherte, sprach die Alte.

Aber welche neue Beweise sind wider ihn aufgefunden worden? – Genug, Fräulein, genug! – Hat man nicht ein Schwerd mit dem eingegrabenen Namen, Herrmann von Unna, dicht im Gebüsch, nicht weit von dem Orte gefunden, da der Herzog von Braunschweig ermordet ward? – Und ist nicht Kunzmann von Hertingshausen, [35] der vor wenig Tagen den Lohn seines Meuchelmords zu Fritzlar erhielt, auf das Bekenntniß gestorben, daß Herrmann sein Gefährte bey dieser entsetzlichen That gewesen sey?

Ida sah ihre Hofmeisterinn bleich und verstummend an. – Rechnet hierzu, fuhr die Alte fort, rechnet hierzu noch dieses: daß Herrmann lang in König Siegmunds Diensten war, der Herzog Friedrichen auf Anreizen seiner boshaften 8 Gemahlinn haßte, und ihm nach dem Leben trachtete.

Ida ward noch bleicher, denn sie erinnerte sich dieses Umstands aus Herrmanns Erzählung, doch fiel ihr auch zugleich ein, daß ihr Geliebter ja eben darum in diese Gegenden gekommen war, den unglücklichen Herzog vor heimlichen Nachstellungen zu warnen.

Und, fuhr Kunigunde fort, was diesen Herrmann von Unna noch am meisten zum Mitschuldigen der verruchten That machen muß, ist der Vortheil, den er von Herzog Friedrichs Tode haben – was sage ich – sich thörigter Weise versprechen konnte!

Und der wär? fragte Ida, indem sie angstvoll Kunigundens Hand ergriff – Kleine unschuldige [36] Einfalt! rief die Alte, das nicht errathen zu können! Der Herzog von Braunschweig war der Bräutigam der Gräfinn von Würtemberg, und der Ritter von Unna ist ihr Geliebter!

Kunigunde hatte die erstaunte Ida mit einem teuflischen Gelächter in einem Zustande verlassen, der sich schwerlich beschreiben läßt. – Ob der Gift, den die Furie ausstreute, im Stande war einen Zweifel an Herrmanns Unschuld in dem Herzen seiner Liebhaberinn hervorzubringen, ist kaum zu glauben, aber desto gewisser ists, daß sie die Dinge, welche wider ihn an geführt wurden, mächtig genug fand, auf die Gemüther anderer Menschen einen nachtheiligen Eindruck zu machen, und ihren Geliebten in neues Unglück zu stürzen.

Ihre Angst für Herrmann war bey diesen Betrachtungen unglaublich, und nichts konnte sie beruhigen, als daß sie oft gehört hatte: kein Mensch, der einmal vor dem gemeinen Fürstenrath unschuldig befunden worden sey, könnte zum zweytenmal um der nehmlichen Beschuldigung willen, vor demselben belangt werden.

Die Ruhe, die auf diese Erwägung Platz in ihrer Seele nahm, dauerte nicht lange, sie ward bald auf eine fürchterliche Art aus derselben aufgeschreckt. –

Johann von Maynz pflegte den Grafen von Würtemberg oft zu besuchen, und Ida zitterte allemal, [37] so oft sie diesen Feind ihres Geliebten erblickte. Sie sah ihn ungern bey ihrem Vater, und seine Erscheinungen wurden endlich so häufig, daß sie ihr Argwohn machten, und ihr geboten, für Herrmanns Wohl auf ihrer Hut zu seyn. –

Nie hatte sich die redliche Ida, so lang sie noch ein Bürgermädchen war, zum Lauschen herabgelassen; ob sie jetzt durch das Hofleben Talente zu diesem Geschäft erlangt, ob die Liebe sie dazu gebildet hatte, oder ob sie einst blos durch ein Ungefähr in dem Kabinet ihres Vaters hinter einer Tapete eingeschlafen war, als eben der Kurfürst von Maynz ihn eines geheimen Besnchs würdigte, das können wir nicht bestimmen, und müssen es also ganz unsern Lesern überlassen; genug Ida hörte etwas von einem Gespräch, in welchem Herrmanns Name oft genannt wurde, und was sie hörte, was sie dabey dachte, und was sie darauf unternahm, davon wird sich vielleicht etwas aus dem folgenden Kapitel errathen lassen, denn da diese Dinge nie völlig ans Licht gekommen sind, so muß man sich freylich nur mit Rathen behelfen.

[38]
5. Kapitel. Ida von Würtemberg, an Herrmann von Unna
Fünftes Kapitel.
Ida von Würtemberg, an Herrmann von Unna.

Herrmann, ich träumte, oder ich sah ein Gesicht, – es sey, was es sey, genug es war eine Sache, die mir begegnete, und also muß es dir wichtig seyn. Du mußt es annehmen als ob es Wahrheit wär, mußt mir gehorchen, denn deine Ida fordert es von dir. – Fliehe! fliehe Herrmann, die Rache verfolgt dich! – – dein Fürst, er sey so gut und mächtig als er wolle, vermag dich nicht zu schützen, denn unsichtbar sind deine Feinde! – – –

Ich glaubte diese Worte könnten dir zu deiner Rettung genug seyn, umd wollte schließen. Ich muß die Augenblicke, die ich dir gönne, der Nacht abstehlen, und vermag in meiner jetzigen Lage nur wenig zu schreiben. – Aber jetzt fällt mir ein, du möchtest mir nicht gehorchen, möchtest meinen Traum für so einen gewöhnlichen Traum halten, wie ihn die Schlafenden träumen, und darum sollst du alles wissen, und selbst urtheilen.

Ich belauschte zween Männer, die von dir sprachen, der eine schien mein Vater zu seyn, aber er war es nicht; wie könnte Idas Vater ein Feind der Unschuld seyn, wie könnte er dem giftigen Einhauchen eines Unholds, der vielleicht eigene [39] Schuld durch die Deinige bedecken will, Gehör geben. – Ich lauschte im Verborgenen, im Traum meyne ich – du weißt, sonst pflegte Ida wachend nie zu lauschen, und hörte, wie die Männer sprachen: du seyst Herzog Friedrichs Mörder, dein Schwerd nahe bey dem Orte gefunden, wo der Unglückliche 9 fiel, des sterbenden Kunzmanns Aussage, und ach – der heimliche Haß, den du auf Idas so genannten Bräutigam vielleicht gehabt haben könntest, bewiesen deine Schuld, umsonst hätten dich die Fürsten unschuldig genannt, dein Verbrechen gehörte vor ein anderes Gericht, ach – vor jenes Tribunal der Hölle, das deiner Ida nur gar zu wohl bekannt ist.

Mein Traum ist noch nicht zu Ende; du weißt, man pflegt zu Zeiten sehr lang und natürlich zu träumen. – Mich dünkt, ich behielt diese Worte in meinem Herzen, und sann auf deine Rettung. Es vergiengen einige Tage; ich sah viel unbekannte Männer in meines Vaters Hause, auch begegnete mir einesmals Walter mit der einen Hand, der mir aus vergangenen Zeiten nur gar zu kenntlich war. Ich hörte von einer Reise meines Vaters, mir ahndete wohin die Reise gehen möchte, ich bestach einen seiner Knappen mir behülflich zu seyn, daß ich ihn an seiner Statt begleiten [40] könne, es hielt schwer, doch endlich glückte es. – Ich verhüllte mich in die schwarzen Gewänder, die er mir brachte, und stellte mich an meinen Posten. Die Reise ward angetreten, ich und noch ein einiger Knappe waren die Begleiter des Grafen von Würtemberg.

Unser Weg gieng nicht weit. Es war sonderbar, mich dünkte nicht anders als wenn wir an dem wüsten Gebäude abstiegen, das du an der Nordseite dieser Stadt mußt wahrgenommen haben. – Aber um Gotteswillen, Herrmann, bringe dich und mich nicht in Unglück, du weißt, daß man von solchen Dingen schweigen muß, überdieses ists ja nur ein Traum.

Der Graf und sein erster Diener wurden ungefragt eingelassen, meine Gestalt mußte für die drey Hüter der Pforte neu und unbekannt seyn, und sie prüften mich durch seltsame Fragen, sie fragten mich nach den vier Wegen zur Hölle, und ich nannte ihnen Worte, die mich der Knappe, dessen Kleider ich trug, des vorigen Tages gelehrt hatte. Sie fragten, wie viel Stufen man zu Gottes heimlichen Richterstuhl hinabsteigen müsse, und ich antwortete: dreyßig; mir kamen die wohlgezählten Stufen in den Sinn, die ich einst, du weißt wo, in der größten Angst meines Herzen steigen mußte, man schüttelte den Kopf, verband mir die Augen und ließ mich gehen. Die Zahl dreyßig[41] rettete mir das Leben, ich tappte im Dunkeln, mein Weg gieng tief hinab, keine Stütze, kein Führer war mir zur Seite. Ich zählte, und als die Zahl voll war, ward mein Weg ebener und man nahm mir die Hülle von den Augen.

Ich war an einem Orte, wie du vielleicht einen ähnlichen gesehen hast. Das Zeichen ward gegeben, das Gericht hub an, die Kläger klagten und die Zeugen zeugten wider einen Fürsten, und nannten ihn Herzog Friedrichs Mörder, aber einer aus den Richtern stand auf, und schwur, er sey schuldlos. Du weißt, ein solcher Eid konnte einst die Unschuld retten, warum nicht auch einen Verbrecher.

Und andere Zeugen traten auf, und andere Kläger klagten. Dein Name, Herrmann von Unna, dein Name ward genannt! aber keiner war, der deine Unschuld beschwören wollte, ich wollte mich hervordrängen, aber der Mann mit der einen Hand, den ich jetzt erst neben mir gewahr ward, hielt mich zurück und drohte mir mit dem Finger! – Du wardst verklagt, wardst gerichtet, wardst verurtheilt. – »Heimlich schleiche ihm die Rache auf dem Fuße nach! heimlich trete die Strafe auf seine Fersen,« so tönte die gräßliche Stimme vom Throne; »Wachend täusche seine Augen trügliche Gestalt und führe ihn dem Urtheil entgegen, seinen Schlaf belausche das Schwerdt, und richte [42] ihn wo es ihn findet, sein Freund werde sein Mörder; er locke ihn in die Einöde und richte ihn vor den Augen des reinen Himmels, den er durch den Anblick des unschuldigen Blutes beleidigte. Heimlich und ungewarnt fiel Friedrich von Braunschweig, und eben so soll Herrmann von Unna fallen.«

Mein einhändiger Schutzengel verhüllte mir den Mund, der sich nach Endigung dieser Worte zu einem fürchterlichen Geschrey öfnen wollte, auch dünkt mich, er war es, der mich mehr tod als lebendig aus dieser Hölle herauf schleppte, und mich im Fluge nach Hause brachte. – Er hatte mich meiner Verkleidung ungeachtet erkannt, er überhäufte mich mit Vorwürfen wegen meines Vorwitzes, entriß mir meine Hülle, die er mit sich nahm, nahm ein Versprechen von mir, das ich so leistete, daß ich es halten konnte, und ließ mich an der geschlossenen Pforte des Pallasts des Grafen von Würtemberg stehen. – Was sollte ich thun? fliehen? zu dir fliehen? hier bleiben und die Ankunft meines Vaters und seinen Zorn erwarten? – Schon sahe ich in der Ferne beym falben Licht des Mondes ihn und seinen Begleiter zum Vorschein kommen. – Ich erwählte das kürzeste Mittel, ich klopfte an die Thür, man ließ mich ein. Kunigunde erstaunte, daß ich ihre Aufmerksamkeit getäuscht, und indessen sie mich schlafend glaubte,[43] – – doch was mache ich, du weißt, Träume gehen nie so ins kleine, auch ist der meinige hier zu Ende, und ich rufe zum zweiten mal: Fliehe Herrmann! fliehe! der heimliche Rächer tritt auf deine Fersen! – Ich sollte dich nicht warnen, aber einen Traum konnte ich dir ja erzählen!

6. Kapitel. Weitläuftige Folgen eines einzigen [..]
Sechstes Kapitel.
Weitläuftige Folgen eines einzigen
unüberlegten Schrittes.

Herrmann war so glücklich in seinem Herrn einen Freund zu haben. Er hatte sich nicht so bald von dem Entsetzen erholt, das ihm dieser Brief, den er durch einen Unbekannten erhielt, verursachte, als er zu Herzog Albrechten eilte, und ihm denselben vorlegte. Eine lange Berathschlagung erhub sich zwischen beyden, welche sich damit endigte, daß Albrecht den Ausspruch that, es sey eine Unmöglichkeit sich vor den Unsichtbaren, die ihn verfolgten, anders als durch die Flucht zu retten, und auch dieses könne nur so lang helfen als sein Aufenthalt verborgen blieb, oder überlegene Macht ihn schützte. Wir müssen uns trennen, Herrmann, rief er, wir müssen uns trennen; Ida hat recht, dein Fürst ist zu schwach, dich wider den Arm der [44] heimlichen Rächer zu schützen. Fliehen? sprach Herrmann, fliehen? um eines Traums willen? –

Kannst du die Erzählung der Gräfinn im Ernst für einen Traum halten? Fliehen mußt du! Ida gehorchen mußt du! aber – wohin? zum König Siegmunden?

Zum Sklaven eines ruchlosen Weibes? schrie Herrmann, der vergaß, daß Albrecht der Bräutigam der jungen Elisabeth, der Tochter Siegmunds und Mariens war.

Albrecht lächelte, und fragte weiter: Zum Herzog von Sachsen, dem obersten Stuhlherrn aller heimlichen Gerichte? – Er könnte dich am besten schützen, wenn es dir geläng ihm deine Unschuld klar zu machen. –

Herzog Rudolf ist des unglücklichen Herzogs von Braunschweig Freund und Verwandte, ist vielleicht schon zu sehr wider mich eingenommen, um die Stimme der Wahrheit zu hören. –

Dein Name läßt mich muthmaßen, daß du ein Verwandter des alten Grafen von Unna bist, er ist einer der obersten Vorsteher aller westphälischen Gerichte; sollte er dir seinen Schutz entziehen? –

Es ist ein erklärter Feind unsers Hauses, ich darf mich nicht zu ihm wagen. –

Sahst du ihn je zuvor? versuchtest du, wie er gegen dich gesinnt ist? –

[45] Nein! –

Herrmann, der Graf von Unna, ist ein edler vortreflicher Mann, du mußt zu ihm, mich dünkt, du hast ihn nie beleidigt; du kannst auf seinen Schutz rechnen. –

Sein Haß gegen die Herrn von Unna gründet sich auf die Händel der Martinsritter mit dem Grafen von Würtemberg, ich war zu jener Zeit ein achtjähriger Knabe. –

Folge mir, Herrmann! wirf dich in seine Arme, er wird dich schützen, wird deine Unschuld ans Licht bringen.

Herrmann gehorchte, und der nächste Tag, oder vielmehr die Schatten der nächsten Nacht sahen ihn die Reise nach Westphalen antreten, ohne daß ihm seine Bemühungen, der Gräfinn von Würtemberg vorher schriftlich oder mündlich zu danken geglückt wären. Mittlerweile lebte Ida in dem Hause ihres Vaters ein trauriges Leben. Kunigunde bewachte sie sorgfältiger als jemals, und die Augen des Grafen von Würtemberg ruhten oft mit einem sonderbaren argwöhnischen Blicke auf ihr. Herrmanns heimliche Entweichung, welche bald ausbrach, und über welche sich niemand bestürzter bezeugte, als Herzog Albrecht, verschlimmerte ihre Lage, sie ward mit verfänglichen Fragen gequält, mit halb verständlichen Vorwürfen beunruhigt, und lernte jetzt mehr als zuvor je, es [46] bedauren, daß sie nicht mehr Ida Münsterinn, sondern die Gräfinn von Würtemberg war. O Münster, wie viel Seufzer flogen deiner stillen bürgerlichen Wohnung in Prag zu! wie viel Thränen beklagten, daß du nicht wenigstens gegenwärtig warest, um, wie ehedem, Rath und Hülfe in drückenden Verlegenheiten herbeyzuschaffen.

Ach er hatte es versprochen, seufzte Ida, hatte es meinem Herrmann versprochen, mich nicht zu verlassen, und Jahre sind vergangen, ohne daß er sich um mich zu bekümmern scheint! – Die gute Ida wußte nicht, daß ehemals Münster, um ihr Leben zu retten, in eine geheime Gesellschaft trat, welche despotisch über ihre Glieder herrschte, und ihnen unumschränkt jeden Ort vorschreiben konnte, wo sie leben, jede Handlung bezeichnen, die sie thun sollten.

Ehemals gehorchte Münster keinen Geboten, als den Geboten der Tugend und seines Herzens, seitdem er den übereilten Schritt that, in eine Verbindung zu treten, die er nicht kannte, war der Graf von Würtemberg sein Herr, und daß ihn dieser lieber zu Prag als bey seiner Tochter sah, ist bekannt. –

Graf Eberhards Herz schien sich, seit gewissen Dingen, von welchen er und Ida sich zu reden scheuten, ganz von seiner Tochter gewandt zu haben, sie war ihm mehr als gleichgültig, er schien sie [47] fast zu hassen. – Er war unruhig in seinen Handlungen, unstät in seinen Entschlüssen, und trat endlich schnell mit der Erklärung hervor: er müsse Teutschland verlassen und in der Fremde Zuflucht suchen.

Zuflucht? fragte die weinende Ida.

Verrätherinn! rief er mit Unwillen, was treibt mich von hinnen als dein Vorwitz? – Verbrechen der Kinder werden oft den Vätern zugerechnet!

Sollte es möglich seyn? schrie Ida mit gerungenen Händen. –

Du opfertest deinen Vater auf, um deinen unwürdigen Liebhaber zu retten!

Ich kannte nicht die Folgen dessen, was ich that, und – Herrmann war unschuldig!

Wußte ich dies? – Legte man mir nicht sein Verbrechen sonnenklar vor Augen? – Würde ich noch jetzt einen Gedanken haben, daß er schuldlos seyn könne, wenn nicht auch ich unschuldig leiden und doch bekennen müßte, daß der Anschein wider mich ist?

Welcher Anschein? rief Ida, die sich zu seinen Füßen warf.

Dich an einem Orte eingeführt zu haben, wohin du nicht gehörtest, den verurtheilten Herrmann [48] gewarnt, ihm die Hand zur Flucht geboten zu haben. –

Ich, ich bin die Schuldige! schrie Ida, ich will es unter allen Himmeln ausrufen, und euch retten!

Zu spät, zu spät! sprach Graf Eberhard und stieß sie von sich. Leb wohl! sey glücklich, wenn du kannst! ich muß dich deinem Schicksal überlassen!

Der Graf reiste ab, und hinterließ seine Tochter in dem kläglichsten Zustande; Gram über das Schicksal ihrer Geliebten, und die schrecklichsten Selbstvorwürfe brachten sie in kurzer Zeit dem Grabe nahe, und es fehlte nur noch eins, sie völlig elend zu machen; zwar kaum wissen wir, ob Sorge für ihre eigene Sicherheit ein Zusatz ihrer Leiden genannt werden konnte; ihre eigene Person schien ihr jetzt das gleichgültigste Ding von der Welt zu seyn, und sie brauchte Antrieb, starken Antrieb von außen, an sich zu denken.

Es war tief in die Nacht, als Kunigunde, (jetzt da Ida von niemand als sich selbst abhieng) ihre treuste Dienerinn eintrat, einen fremden Mann bey ihrer Gebieterinn zu melden! Der Fremde ward vorgelassen und verlangte mit der Gräfinn allein zu seyn.

[49] Kennt ihr mich? fragte er, als er sie eine Zeitlang starr angesehen hatte. – Ida, welche dieses Gesicht nur selten ganz ohne Hülle gesehen hatte, verzog zu antworten.

Kennt ihr diesen Arm? fragte er weiter.

Ida sah, daß er seinen rechten Arm unter dem Mantel hervorzog, sie bemerkte die fehlende Hand, und rief den Namen Walter aus!

Wisset ihr, was mich hieher bringt? – Eure Sicherheit! – ich will euch warnen. – Ihr seyd nach der Abreise eures Vaters hier keinen Tag sicher. Alte Dinge werden mit den neuen hervorgesucht, auch ihr müßt fliehen. – O Gräfinn, was für Unglück hat euer Vorwitz nach sich gezogen! – Wo ist der Unvorsichtige hin, der euch zu eurem nächtlichen Abentheuer die Kleider lieh? Wo ist euer Vater hin, den man im Verdacht hatte, er habe Antheil an diesen Dingen? und was wird aus mir werden, der von allem nichts wußte, nur aus Mitleid sich eurer annahm? – Ihr wißt, ich erkannte euch dort unten nicht ehe bis es zu spät, bis es unmöglich war, gewisse Dinge eurem Blick zu entziehn, die kein profanes Auge sehen darf.

Auch ihr? auch ihr? schrie Ida mit gerungenen Händen.

Ja auch ich! erwiederte er. Man hat mich im Verdacht, euch eingeführt zu haben, und da [50] man dieses nicht erweisen kann und doch gleichwohl einen verdächtigen Menschen loß seyn will, so sucht man Dinge hervor, die – –

Ich nicht ganz zu leugnen vermag, wollte Walter sagen, aber ein trauriges Achselzucken vertrat die Stelle dieser Worte. Meine Leser werden vielleicht einige Mahl im vorhergehenden Theile bemerkt haben, daß Walter nicht schlau genug war, seine Worte allemal so zu setzen, wie es Männern seiner Art zukam. Ihm waren gegen Münstern, gegen Ida, auch vielleicht gegen den Ritter von Unna zuweilen Dinge entwischt, welche eigentlich nicht für profane Ohren gehörten, auch konnte man ihm erweisen, daß er der 10 Hausmeister des von der heimlichen Acht verfolgten Konrads von Langen sey, und die Muthmaßung war stark, daß vielleicht seine verdeckten Warnungen diesen unglücklichen Mann so oft vor seinen Verfolgern gerettet hatten. Dieses waren eigentlich die Dinge, die ihn stürzten, und Idas Abentheuer nur die Veranlassung dieselben aufzuregen; aber die Unglückliche, gleich als wenn sie nicht an eigenen [51] Leiden genug zu tragen hätte, nahm Walters Winke für bekannt an, nannte sich die Ursach der Verstoßung auch dieses Unschuldigen, und ward dadurch noch eine Stufe tiefer in den Abgrund des Elends gestürzt.

Sie vergaß die Ursach der Ankunft ihres Walters, ihre eigene Sicherheit ließ ihn ungefragt, was ihr zu thun sey, scheiden, und blieb in einer Art von dumpfer Unempfindlichkeit, bis sie des andern Tages durch Herzog Albrechts Besuch ein wenig ermuntert ward.

Der edle Herzog von Oesterreich pflegte die Gräfinn von Würtemberg nach der Abreise ihres Vaters oft zu besuchen; er hatte sie immer hoch geschätzt, und Herrmann hätte nicht nöthig gehabt, ihn bey seiner Flucht zu bitten, er möchte ein wachendes Auge auf sie haben, sie nicht ganz ihrem Schicksale überlassen; dieses waren Dinge, zu welchen er sich schon von selbst geneigt fühlte.

Ida hatte schon seit langer Zeit Zutrauen zu dem Freunde ihres Geliebten gefaßt; ihn zum Theilnehmer ihrer Geheimnisse zu machen, war nichts weiter nöthig, als die einnehmende Art, mit welcher er zu fragen und zu rathen wußte, und auch jetzt erfuhr er nach wenig Minuten alles, was der Gräfinn in voriger Nacht begegnet war.

Herzog Albrecht war kein Mitglied des furchtbaren Gerichts der Nacht, doch war ihm genug [52] von diesen Dingen bekannt, um seine Freundinn zu trösten. Er hatte sie schon zuvor einigermassen wegen des Schicksals ihres Vaters zu beruhigen gewußt, und jetzt that er das nehmliche in Ansehung des ehrlichen Walters, dem Ida zu viel Verbindlichkeiten hatte, um bey seinem Unglück, zu welchem ihre Unvorsichtigkeit die Losung gab, gleichgültig zu seyn. Vom Grafen von Würtemberg hatte er ihr mit Grund der Wahrheit versichern können, daß seine Stelle in der Gesellschaft der Unsichtbaren wahrscheinlich zu hoch sey, um von seinen Mitbrüdern wegen eines blossen Verdachts eine andere Ahndung fürchten zu dürfen als Entsetzung seiner Würden auf einige Zeit, und willkührliche Entfernung an einen Ort, der blos des Wohlstands wegen, blos den Geringern Furcht und strenge Beobachtung ihrer Pflicht einzuflössen verborgen seyn müsse; Dinge, die zwar dem stolzen. Grafen von Würtemberg nicht gleichgültig seyn konnten, da sie ihn vor Ausführung seiner großen Plane aus der Versammlung der Bewerber um die Kayserkrone vertrieben, die aber doch nicht so beschaffen waren, daß sie seiner Tochter Sorge für sein wahres Glück oder sein Leben machen konnten. – Was den gutmüthigen Walter anbelangte, so vermochte Herzog Albrecht die traurende Ida noch besser zu trösten; ein Geringer konnte den Augen der allsehenden eher durch die [53] Flucht entgehen als ein großer Mann. Walters Hauptstrafe war wahrscheinlich die Entsetzung seines Amts: ein Schade, den ihm der Schutz des Herzogs von Oesterreich und seine Freygebigkeit leicht ersetzen konnte.

Es war nöthig, daß Albrecht durch Hinwegräumung dieser Zweifel sich den Weg zu dem Herzen seiner Freundinn machte, wie wollte er im Stande gewesen seyn, sie zu bereden, auf ihre eigene Sicherheit zu denken, so lange sie noch wegen anderer in Unruhe war.

Jetzt wurde diese Materie mit allem Ernst vorgenommen. Er zeigte der Gräfinn, daß ihre Gefahr nicht so geringe sey als sie meynte. Bedenket, sagte er, bedenket Walters Worte; Alte Klagen werden mit den neuen hervorgesucht werden? Wahrscheinlich wird man euch nicht blos wegen, – wie soll ich sagen – wegen eines vorwitzigen Traums in Anspruch nehmen, sondern da ehemals eure Unschuld blos durch den Eid des Grafen von Würtemberg gerettet wurde, da dieser jetzt seiner Würden entsetzt, da vielleicht sein Eid auf die Zeit seiner Entsetzung ungültig gemacht wird, und ihr von neuem euren Verfolgern preis gegeben seyd, so urtheilet, was ihr zu thun habt. – Was kann euch alles begegnen, ehe euer Vater im Stande ist euch zu retten? – Wisset ihr, [54] ob ihr nicht sowohl verborgenen Nachstellungen wie euer Herrmann ausgesetzt seyn, ob ihr nicht vielleicht heimlich und ungewarnt fallen werdet wie er?

Der liebreiche Fürst sprach noch lange auf ähnliche Art mit seiner Freundinn und endlich siegte er. Sie entschloß sich zu fliehen, noch diesen Tag zu fliehen, und jeden Ort zu ihrer Zuflucht zu wählen, den er ihr vorschlagen würde, ob sie gleich zu verstehen gab, daß sie, was das letzte beträf, einige Einfälle hätte, welche ihr besser dünkten als alles was er sagen könnte.

Albrecht lächelte, und fragte wohin ihre Wahl ginge.

Sollte ich, rief Ida, sollte ich nicht verbunden seyn, meine erhabene Freundinn Sophie jetzt in ihrem gefallenen Glück zu besuchen, und ihr zu zeigen, das sie ehemals in vollem Glanz ihrer Hoheit, ihre Gnade an keine Unwürdige verschwendete?

Ein Gedanke, der eurem Herzen Ehre macht, erwiederte der Herzog, aber bedenkt, Gräfinn, daß es Verborgenheit ist, was ihr sucht, und daß ihr diese an einem Ort, wo der schwelgerische Wenzel lebt, nicht finden werdet.

Gut, fuhr Ida fort, so wird denn mein zweyter Vorschlag unverwerflich seyn. Das stille Haus zu Prag, wo ich erzogen ward, wird mir die sicherste [55] Zuflucht gewähren; ich werde meinen ehemaligen Vater, meine gute Mutter wieder sehen, werde wieder Ida Münsterinn, werde glücklich seyn.

Und werden euch eure Verfolger nicht am ersten an diesem Orte suchen? der Gedanke dahin zu fliehen, wo ihr die seligen Tage eurer Kindheit verlebtet, ist so natürlich, daß er jedem so leicht als euch selbst einfallen muß, und ihr sehet also wohl. –

Aber Gott, schrie Ida, wohin, wohin soll ich dann? Ist denn in dieser Welt keine Zuflucht für die verfolgte Unschuld?

Höret, was ich euch sagen will, antwortete der Herzog. – Ich liebe ein Fräulein, eine gute holdseelige unschuldsvolle Seele, mit der ich schon in meiner Kindheit verbunden ward, eine Person, die allein mir es möglich macht, mit der reizenden Ida die kalte Sprache der Freundschaft zu reden, sie ist König Siegmunds Tochter, sie lebt in einem Kloster tief in den waldigten Gebürgen von Ungarn, zu ihr will ich euch bringen lassen, sie wird euch wie eine Schwester lieben. Niemand wird auf den Ort fallen, wohin ihr geflohen seyd, und offenbaret ihn ein Zufall, so schützt euch die Heiligkeit desselben, und die Hoheit der Person, zu deren Freundinnen ihr euch zählen werdet. – O Ida, solltet ihr meine Elisabeth kennen, ihr würdet sie würdig schätzen, eure Freundinn, eure Schüzzerinn [56] zu seyn. – Sie ist noch sehr jung, aber Unglück hat sie frühzeitig weise gemacht, ist vielleicht nicht ganz so schon wie die Gräfinn von Würtemberg, aber ihre Seele, o Gott, ihre große schöne engelreine Seele! was soll ich sagen? – sie ist die andre Helfte der Eurigen!

Herzog Albrecht war sehr bewegt, als er dieses sagte, er stand plötzlich auf, drückte Idas Hand, und verließ sie.

7. Kapitel. Ein Gespräch am Sprachgitter
Siebentes Kapitel.
Ein Gespräch am Sprachgitter.

Auch Ida war bewegt, Dankbarkeit gegen ihren erhabenen Freund durchglühte ihr Herz, ob gleich etwas in seinem Betragen war, welches ihr die Entfernung von ihm erwünscht machte. Die Meynung, die sie von ihren Reitzen hatte, war zu bescheiden, die Gedanken, die sie von fester Ritter- und Fürstentreue hegte, zu groß und weitumfassend, als daß sie hätte fürchten sollen, der verlobte Albrecht würde seiner Elisabeth um Idas willen treulos werden, nein, dieses war in ihrem Sinne eine so ausgemachte Unmöglichkeit als dieses, daß sie je im Stande seyn könne ihren Herrmann zu vergessen.

[57] Aber der gute Engel, der der Unschuld immer zur Seite geht, flüsterte ihr doch oft und auch diesesmal ins Ohr, Herzog Albrechts Aufmerksamkeit für sie sey zu heiß, zu zärtlich, und – Flucht sey das beste.

Herzog Albrecht kam des Nachmittags wieder; Gräfinn, sagte er, ich habe euer Stillschweigen diesen Morgen für Einwilligung genommen, alles ist zu eurer Abreise fertig, sie kann diese Nacht vor sich gehen; werdet ihr mir bis dahin eure Gesellschaft auf einige Stunden gönnen? es wird mir schwer von euch zu scheiden, und ich habe euch so viel, ach so viel zu sagen, das meine Elisabeth durch euch wissen muß. Ihr könntet vielleicht das Werkzeug seyn, sie und mich glücklicher zu machen als wir hoffen konnten je zu werden, uns eine Mutter wieder zu schenken, die wir verloren glaubten, und von deren Leben ich erst vor kurzem durch euren Herrmann einige Winke bekam.

Herzog Albrechts Worte waren von einem Innhalt, wurden mit einem Tone gesprochen, welcher Aufmerksamkeit erregte; Ida verlor nichts von dem was ihr ihr erhabener Freund in dieser und einigen folgenden Stunden vortrug, und wovon wir vielleicht in der Zukunft mehr hören werden. Das Leben der Königinn Maria, Siegmunds erster Gemahlinn, war ihr aus dem was der Ritter von Unna einst von ungefehr aus dem Munde der [58] damaligen Gräfinn von Cyly vernahm, nicht unbekannt, aber wo diese unglückliche Fürstinn lebte, auf welche Art sie aus der Dunkelheit gezogen, und wieder an die Stelle gesetzt werden sollte, welche ihr zukam, und die die unwürdige Barbara jetzt behauptete, dieses waren Dinge, die sie jetzt erst erfuhr, und bey deren Ausführung Herzog Albrecht ihr eine Rolle zudachte, die seiner Meynung von ihr Ehre machte.

Ida fand die Anschläge ihres Freundes schwer und weit aussehend, aber sie versprach zu allem die Hand zu bieten was man von ihr fordern würde, empfieng einige Zeilen von Herzog Albrechts Hand an die Prinzeßinn Elisabeth, und trat unter seinen Wünschen für ihr Glück und für ihre Sicherheit eine Reise an, die durch die Behutsamkeit, mit welcher sie eingericht werden mußte, und durch die Hindernisse, die sich hier und da ihr entgegensetzen konnten, mehr als um die Hälfte verlängert werden mußte.

Herrmanns Reise war kürzer und von weniger Gefahren begleitet. Die Nacht, die er meistens zu derselben brauchte, und eine wohlgewählte Verkleidung, sicherten ihn vor Nachstellungen, und er kam in dem Gebiet des alten Grafen von Unna an, ohne ein einiges Abentheuer erfahren zu haben. –

[59] Der Zweck seiner Reise war ihm zu wichtig, ihm war zu viel daran gelegen, bald die Rechte der Menschheit, Sicherheit und gefahrlose Ruhe von neuem geniessen, mit ofnem Gesicht wieder unter seinen Brüdern wandeln zu können, als daß er seinen Besuch bey dem, der, wie Herzog Albrecht meynte, ihm wieder zu diesen Glückseligkeiten verhelfen konnte, einen Augenblick hätte aufschieben sollen. – Er setzte den Widerwillen, den man ihm von Kindheit an gegen seinen ehrwürdigen Verwandten eingeflößt hatte, gänzlich bey Seite, bemühte sich, ein Zutrauen zu ihm zu fassen, und ließ in der ersten Stunde seiner Ankunft beym alten Grafen um Zutritt für einen Fremden bitten, welcher vom Herzog von Oesterreich in wichtigen Geschäften zu ihm gesandt sey.

Der Graf von Unna war nicht gegenwärtig, neue Streitigkeiten zwischen den Grafen von Tekeneburg und dem Bischoffe von Münster, bey welchen er zum Schiedsrichter erfordert worden war, hatten ihn schon etliche Wochen von seiner Residenz abwesend gehalten, und Herrmann ward zur Geduld verwiesen.

Herrmann bekam Muse über seine seltsame Lage nachzudenken, er befand sich in seinem Vaterlande, sahe tausend Orte um sich her, die er als Knabe gekannt, wenigstens oft ihre Namen gehört hatte und die ihn jetzt als einen zufluchtlosen Fremdling [60] sahen. Er befand sich hier, einen Mann zu suchen, ihn um Hülfe anzuflehen, gegen welchen er mit Vorurtheilen eingenommen war, die er nicht ganz zu überwinden vermochte, und rund um ihn her wohnten seine Schwestern und Brüder, die ihn erzogen hatten, mit denen er aufgewachsen war, und denen er sich jetzt nicht vertrauen durfte.

Meine Leser erinnern sich vielleicht, daß Herrmann in seinem zwölften oder dreyzehnten Jahre dem Kloster entfloh, um Kaiser Wenzels Edelknabe zu werden, ein Schritt, der seinen Verwandten, welche meistens aus geistlichen Herrn und Frauen bestanden, nicht gefallen konnte, und der alles Einverständniß zwischen ihnen und dem entflohenen Knaben aufhob.

Herrmann fand sich in seinem nachmaligen Stande zu glücklich, ward in der Folge in zu mancherley Begebenheiten verwickelt, als daß er sich viel um seine strengen Zuchtmeister hätte bekümmern sollen. Die Klosterjungfern zu Ueberwasser, seine Schwestern Agnes und Petronelle, gutherzige Gespielinnen seiner Kindheit, und von ihm herzlich beklagte Schlachtopfer des Privatnutzens ihrer älteren Geschwister, waren die einigen, mit denen er die ganze Zeit über eine Art von Einverständniß unterhalten hatte.

[61] Die Briefschreiberkunst war damals noch nicht in sonderlichem Flor, und niemand verstand sich weniger darauf, als die Rittersleute, es ist daher wohl zu glauben, daß Herrmann keine weitläuftige Korrespondenz mit seinen Schwestern geführt haben wird, doch meldet die Geschichte, daß nicht leicht etwas wichtiges in dem Leben des Jünglings vorfiel, das er nicht den Nonnen zu Ueberwasser durch Bothschaft oder Schrift kürzlich gemeldet, kein Glück, es mochte auch noch so klein seyn, ihm zustieß, das er nicht mit Agnes und Petronellen getheilt haben sollte.

Ob die Klosterjungfern allemal klug genug waren, mit der Vertraulichkeit ihres Bruders behutsam umzugehen, das will ich nicht entscheiden. Die Freude, auch in der Ferne noch von ihm geliebt, allen seinen andern Verwandten vorgezogen zu werden, machten sie oft geschwätzig, und so geschah es, daß seine ältern Geschwister von den wichtigsten Begebenheiten seines Lebens unterrichtet waren, und daß er einige merkwürdige Sendschreiben in seinem Archiv aufzuweisen hatte, welche bald sein Bruder der Domherr zu Münster, bald seine Schwester die Aebtissinn zu Marienhagen an ihn abgelassen hatten, um ihn von dem Urtheil zu benachrichtigen, das sie in ihrer weiten Entfernung von den Dingen fällten, die in einer Welt vorgingen, welche sie nicht kannten.

[62] Die Ermahnungen, mit welchen diese Briefe angefüllt waren, hatten nie sonderlichen Beyfall, bey dem feurigen Jünglinge gefunden, und er war immer so unartig gewesen, sie unbeantwortet zu lassen, daher er sich vorstellen konnte, daß jetzt alle Ueberreste ehemaliger Liebe in den Herzen seiner ältern Geschwister erstorben seyn und der Haß und Groll, zu welchen er durch seine Flucht an Kaiser Wenzels Hof den ersten Grund legte, hoch empor gewachsen seyn würde.

Auch waren sie keinesweges die Personen, nach welchen er sich jetzt sehnte, oder die er bey seiner Anwesenheit in seinem Vaterlande zu sehen wünschte; ein jüngerer Bruder, ehemals so wie er zum Klosterleben bestimmt, und seine Schwestern Agnes und Petronelle, waren die einigen, nach welchen er sich jetzt in der Zeit der Einsamkeit, und der Erwartung des alten Grafen von Unna zuweilen zu sehnen pflegte. Er zog Erkundigung nach diesen dreyen ein, und erfuhr, daß Bruder Johann dem Kloster entkommen sey, und sich eine Stelle unter den deutschen Ordensrittern errungen habe, indessen die Nonnen zu Ueberwasser noch immer in ihrem Kloster lebten.

Die Reise nach diesem Kloster war beschlossen. Die Ankunft des Grafen von Unna verzog sich zu lange, Herrmann war zu gewohnt wenigstens eine freundschaftliche Seele zu haben, der er [63] sich mittheilen konnte, als daß er es länger zu Unna, wo er unter lauter Fremden lebte, hätte aushalten können.

Herrmann erhielt Zutritt am Sprachgitter, Agnes und Petronelle waren gegenwärtig, aber sie waren nicht allein. Das Herz ihres Bruders wallte ihnen entgegen, aber die Anwesenheit einer Dritten machte, daß er die Nennung seines Namens und die Ergießungen dieses brüderlichen Herzens bis auf die Einsamkeit versparte.

Die Fremde, eine Person mit einem wenig versprechenden doch Herrmann sehr bekannten Gesicht, verwandte kein Auge von ihm, und schien über der Bemühung, aus seinen Zügen seinen Namen zu errathen, die Unterhaltung mit den Nonnen, welche sie zu besuchen gekommen war, ganz zu vergessen.

Auch Herrmann schwieg, und arbeitete unter der peinlichsten Beklemmung.

Ich bin hier überley, sagte die Dame endlich zu den Nonnen, indem sie aufstand, ohne Zweifel ist dieser Ritter nicht gekommen, euch blos anzusehen; oder sind seine Blicke von der Art, daß ihr sie auch ohne Sprache erklären könnt?

Wir kennen ihn nicht, erwiederte Petronelle. Ob wir gleich, fuhr Agnes fort, gewiß alle beyde etwas in seinen Zügen finden. – –

[64] Das euch unendlich gefällt! setzte die Dame mit einem höhnischen Blicke hinzu. Nun wahrhaftig, ein sehr offenherziges Geständniß für ein paar geistliche Frauen!

Ich rufe euch zum Zeugen Ritter, rief Agnes mit Unwillen, ob ihr uns bekannt seyd.

Die Fräuleins von Unna kennen mich also nicht? haben keine Muthmassung? fragte Herrmann in einem zärtlichen Tone.

Nun fort, fort! Kinder! sagte die Dame, welche Herrmannen immer bekannter dünkte, und mit jedem Augenblicke weniger gefiel, Muthmassungen müßt ihr haben! der Ritter gesteht dies ja selbst!

O wenn Muthmassungen, wenn Ahndungen hier etwas gälten! rief Petronelle. Wir hörten so lange nichts von unserm Bruder Herrmann, solltet ihr vielleicht uns Bothschaft – –

Von eurem Bruder? schrie die Dame in einem zornigen Tone, seyd ihr die einigen Schwestern des kleinen Herrmanns? – Zwar eure andern Geschwister könnten euch vielleicht diese Ehre gern allein gönnen!

Und wer ist dieser kleine Herrmann? fragte der Ritter mit einem unwilligen Blicke auf die Sprecherinn.

[65] O verzeihet ihr! rief die sanfte Agnes, man pflegt oftmahls Personen klein zu nennen, welche man als Kinder kannte. Mich dünkt, ihr seyd unsers Herrmanns Freund, ihr müsset ihr ihre Worte nicht übel deuten, sie ist –

Keine Entschuldigungen Fräulein, schrie die Dame, ich werde mich nie zu Entschuldigungen weder gegen Herrmann, noch gegen seinen Freund, herablassen, mich dünkt, er ist es, welcher Entschuldigungen bedarf. Sein ärgerlicher Uebergang von Gott zur Welt, die gänzliche Vernachlässigung seiner Geschwister, die seine Wohlthäter waren, ist noch nicht vergessen; sein bisheriger Lebenswandel ist nicht so beschaffen, Vergessenheit und Vergebung zu erwarten

Katarine, rief Petronelle mit bittendem Blick, was that euch Herrmann, ihn so vor einem Fremden zu beschimpfen.

Vor einem Fremden? fragte Katarine, ihr meynt ja selbst, daß er ein Freund, ein Bote Eures Bruders sey! – Doch er sey es oder nicht, die ganze Welt weiß ja die anstößigen Geschichten mit der Münsterinn, die plötzlich, Gott weis wie, zu Gräfinn ward, seinen Antheil an Herzog Friedrichs Ermordung, und all' die Dinge, die ihn in die heimliche Acht brachten, und das Herz seiner Verwandten auf ewig vor ihm verschlossen.

[66] Katarine war aufgestanden, und verlies den Sprachsaal mit Ungestüm, indeß Herrmann mit in einandergeschlagenen Armen da stand und ihr voll Entsetzen nachsah. – Ich bitte euch, Fräuleins, rief er nach einer langen Pause, wer war diese Furie.

Unsere Schwester Katarine von Senden, schluchzte die weinende Petronelle.

Eure Schwester? rief Herrmann, Gott! eure Schwester? und also auch die Meinige? – Nein, nein! sie ists nicht!

Wer bist du? fragte Agnes, welche dem Gitter näher trat und Herrmann schärfer ins Auge faßte.

O Herrmann! Herrmann! schrie Petronelle mit ausgebreiteten Armen. Ja du bists, mein weißagendes Herz hat mich nicht betrogen!

Bruder! Engel! Tröster in unserer Trübsal! schluchzte Agnes, o könnte ich dich in meine Arme schließen!

Herrmann, den die Freude über das Entzücken, mit dem er hier aufgenommen wurde, stumm machte, näherte seinen Mund dem Gitter, um die Küsse seiner Schwestern aufzufangen, und – doch wer vermag es zu schildern, wie liebende Geschwister sich empfangen, wie Engel Engel begrüßen?

[67] Die Freude der glücklichen Dreye war jetzt ruhiger geworden, und Herrmann kam auf das zurück, was ein Stachel in seinem Herzen war, daß jenes Weib, das so wüthend einen Abwesenden schmähen, ungereizt einen Unschuldigen beschimpfen konnte, seine Schwester seyn sollte, und die Nonnen mußten es ihm auf zehnfache Art beweisen und versichern, ehe er es ganz zu glauben vermochte. –

Gott rief er! wenn all' die Uebrigen dieser gleichen, so segne ich meinen Entschluß, mich niemand als euch zu offenbaren.

Urtheile nicht zu frühzeitig, rief die sanfte Agnes, Katharina ist unglücklich, das Unglück macht oft ungerecht gegen Unschuldige. Gern verschmerzen wir die Beleidigungen, die wir von ihr erdulden müssen, weil wir sie beklagen.

Ein Theil von Herrmanns Unwillen legte sich, als er hörte, daß seine Beleidigerinn unglücklich sey, er fragte weiter, und Petronelle berichtete ihn, daß Katharina eben die Begegnung von der Aebtissinn zu Marienhagen, und den übrigen der Familie erdulden müsse, damit sie andere zu quälen pflege. Du weißt, sagte sie, Katharina war so wie wir zum Kloster bestimmt, sie zog eine unglückliche Verheyrathung dem geistlichen Leben vor, und leidet nun durch Armuth, durch Vernachläßigung ihres Mannes und durch die Vorwürfe ihrer ältern [68] Geschwister, vornehmlich unserer Schwester der Aebtissinn. Katarine ist eine Mutter vieler Kinder, ihre einige Hofnung besteht auf der Gnade unsers ältern Bruders, welcher ohne Kinder lebt. Sie beneidet alles, was sich ihm naht, und sie würde vielleicht jetzt ihre böse Gesinnungen nicht auf so eine fürchterliche Art geäussert haben, wenn ihr Unwille nicht kurz vorher, ehe du erschienst, durch ein Gespräch von dir wär erregt worden. –

Von mir? fragte Herrmann. –

Ja, antwortete sie. Du hast die schrecklichen Dinge gehört, die sie von dir sagte, Gott, sollte es wahr seyn, daß du dich in der heimlichen Acht befändest? –

Gute Seele rief Herrmann, bekümmere dich nicht, und ob es so wär, Gott ist Schützer und Retter der Unschuld!

Die Klosterjungfern weinten, und Herrmanns Tröstungen konnten sie mit Mühe endlich so weit beruhigen, daß die Erzehlung fortgesetzt wurde.

Stelle dir unser Entsetzen vor, fuhr Petronelle fort, als wir aus Katarinens Munde diese schrecklichen Dinge vernahmen, Agnes äußerte den Wunsch, dem ich mit Inbrunst beystimmte, du möchtest in dein Vaterland fliehen, wo du vielleicht Hülfe, wenigstens Unterstützung zur weitern Flucht bey unserm Bruder Bernhard finden würdest. Er muß arm seyn, schrie sie, auch wir sind arm, wo soll [69] er Hülfe suchen, wenn ihm das Haupt seiner Familie, sein Bruder, der ihm Vater seyn sollte, dieselbe versagt? Dieses waren die Worte, welche Katarinen, die alles was Bernhard besitzt für das Erbe ihrer Kinder hält, in die Wuth versetzten, welche sie hernach auf die kleinste Veranlassung erneuerte.

Herrmann sahe seine Schwestern mit einem Blicke an, der alles ausdrücken sollte, wovon sein Herz voll war, die innigste Liebe gegen die guten Seelen, die er vor sich hatte, und den tiefsten Kummer, daß er ihnen nicht so lohnen konnte wie er wünschte!

Der traurige Zug in seinem Gesicht ward falsch verstanden. Gräme dich nicht, mein Herrmann, rief Agnes und streckte ihre Hund wehmuthsvoll nach ihm aus, wir sind nicht so arm als wir sagten, alle deine Geschenke sind noch in unserer Hand, und sie sind, wie du weißt, ansehnlich genug, dich auf deiner Flucht zu unterstützen, aber Gott wohin! wohin! Petronelle, du bist ja immer so reich an Einfällen, rathe! hilf! ersinne! – Hier ist keine Zeit zu sparen.

[70]
8. Kapitel
Achtes Kapitel.

Herrmann hatte Mühe seine bekümmerten Schwestern zu beruhigen, nichts als die umständliche Erzehlung seiner Begebenheiten konnte dieses endlich bewürken, sie sahen aus denselben, daß (wenigstens wie Herrmann meynte) die Gefahr noch nicht so nahe sey als man hier glaubte, daß es ihm nicht an Mitteln zu seiner Sicherheit und Erhaltung fehle, und daß Verschwiegenheit das einige sey, was er zu wünschen habe. –

Die Gespräche der drey Geschwister waren zu wichtig, zu interessant für ihre Herzen um bald geendigt zu werden. Zum Glück war die Regel des Klosters nicht allzustreng, oder die Fräuleins waren beliebt genug unter der Schwesterschaft, um Nachsicht zu erhalten, genug das Gespräch ward durch nichts gestört, als nach einigen Stunden, durch die Erscheinung der Aebtissinn von Marienhagen, welche kam ihre Schwestern zu besuchen, und sich so wie die Frau von Senden über das ausbrechende Gerücht von Herrmanns Unglücke mit ihnen zu bereden.

Sie traf Herrmann noch am Sprachgitter, und – erkannte ihn sogleich, so wie auch sie augenblicklich von ihm erkannt wurde. Man sagt, [71] daß die geistlichen Frauen einen schärfern Blick und ein besseres Gedächtniß als die weltlichen haben. Es war dem Ritter unmöglich sich vor ihr zu verbergen, auch hielt er es seiner unwürdig und für die heilige Frau beschimpfend dieses zu thun. Sollte er Mißtrauen gegen eine Schwester äußern, von ihr verrathen zu werden fürchten, oder derjenigen, die man ihn, als er noch ein Kind war, wie eine Mutter verehren lehrte, die schuldige Achtung versagen?

Ursula umarmte ihn. Ihr Kuß war kalt, aber doch immer noch besser als das Betragen der Frau von Senden, das Herrmann noch nicht genug verschmerzt hatte, um keinen Unwillen gegen die Aebtissinn darüber zu äußern. Ursula schimpfte auf Katarinen, und machte denn einen zierlichen Uebergang ihrem Bruder in frommen Ausdrücken ohngefehr das nehmliche zu sagen, was jene vorher mit Hohn und Scheltworten gethan hatte.

Im Grunde sahe er, daß das Herz der einen so kalt gegen ihn war, wie der andern, doch flößte ihm das anständigere Betragen der Aebtissinn mehr Achtung ein, als die Wuth der Frau von Senden; er überwand sich, ihr seine Geschichte zu erzehlen wie sie war, und dadurch den bösen Verdacht, in welchem er hier gehalten wurde, weil er unglücklich war, gründlich zu vernichten.

[72] Ursula zuckte die Achseln, und wünschte, es möchte alles so seyn wie der Ritter sagte, und er möchte lieber sein Vaterland, wenn es so mit ihm stünde, nie wieder betreten haben, da man ihn hier doch nicht zu schützen wisse, und Beförderung seiner Flucht das einige sey, was man für ihn thun könne.

Herrmann schwieg und gerieth in tiefes Nachdenken über die unnatürlichen Gesinnungen, die er hier bey seinen Geschwistern fand, indessen Petronelle auf Befehl ihrer Schwester der Aebtissinn, Katarinens Gespräch umständlich erzählen mußte und dadurch die heilige Frau in großen Zorn jagte.

Ich merke ihr Absehen, schrie Ursula, sie wird, so bald sie Herrmanns Anwesenheit erfährt, den Herrn von Unna (so ward Bernhard allemahl ehrerbietig von seinen Geschwistern genennt,) abzuhalten suchen, daß er ihn nicht spreche, damit er nicht verleitet werde, etwas für ihn zu thun; aber es soll ihr nicht gelingen, und ungeachtet ich im Grunde das Gegentheil für besser hielt, so muß Herrmann nun einige Tage hier bleiben, muß sich allen seinen Geschwistern zeigen, denn im Grunde hat er eben das Recht auf die Hülfe seines Bruders, als die ungerathene Schwester, diese Katarine!

[73] Herrmann schauderte zurück über die Feindseeligkeit, die Ursula mitten in der Aeußerung wohlwollender Gesinnungen zeigte, und versicherte daß er nicht hieher gekommen sey Hülfe zu suchen, nicht sich Tage lang hier aufzuhalten, und dadurch die Zeit zu seiner nöthigen Flucht zu verlieren, oder mit seiner Erscheinung jemand zu kränken. Die Ursach seiner Reise in sein Vaterland sey der Rath des Herzogs von Oesterreich, welcher ihm Hoffnung gemacht habe, der alte Graf von Unna würde als Oberrichter der Freygerichte in diesen Gegenden vielleicht etwas zu Untersuchung seiner Sache und zum Beweis seiner Unschuld thun können.

Der Name des alten Grafen von Unna war ein elektrischer Schlag für die Aebtissinn von Marienhagen. Sie schwur, sie würde es nimmermehr zugeben, daß ihr Bruder, den sie erzogen, den sie immer wie einen Sohn geliebt habe, Schutz bey dem Feinde ihres Hauses suchte. Alle alte Händel, die Herrmann schon als Knabe bis zum Ueberdruß hatte hören müssen, kamen wieder zum Vorschein, wie der alte Graf die Herrn von Unna wegen der würtembergischen Händel heimlich und öffentlich verfolgt, ihre Güter eingezogen, die meisten von ihnen, und auch sie genöthigt hätte, aus Mangel an Mitteln ihren Stand zu behaupten, das geistliche Leben zu wählen, wie er noch bis diese Stunde sie haßte und verachtete, und [74] fest entschlossen wär, da er ohne Kinder lebte, den Namen und die Güter der Grafen von Unna, eher an ein fremdes Haus zu bringen, ehe dem Kayser zufallen zu lassen, als sie ihnen zu gönnen.

Herrmann ward übertäubt, ward mit seinen Einwendungen nicht gehört, er mußte endlich schweigen und versprechen, vor der Hand zu bleiben, und sich des andern Tages durch sie seinem ältern Bruder Bernhard von Unna, der seinen Sitz zu Plettenburg hatte, vorstellen zu lassen.

Es ward späte, Herrmann mußte die geliebten Schwestern und die ungeliebte verlassen. Ursula schloß ihn beym Abschied zärtlicher in die Arme als anfangs; die Begierde andere zu kränken hatte ihr Herz gegen ihn erweicht, und sie gieng in ihrer Milde so weit, daß sie durch ihr Ansehn die Oeffnung des Sprachgitters bewürkte, damit auch Agnes und Petronelle den geliebten Bruder umarmen konnten.

9. Kapitel. Einige Familiengemälde aus dem Hause Unna
Neuntes Kapitel.
Einige Familiengemälde aus dem Hause Unna.

Wie mußte Herrmann, dessen Herz sich an den Umgang mit dem edlen Herzog von Oesterreich, an die liebenswürdige Ida, an den redlichen Münster [75] gewöhnt hatte, wie mußte ihm zu Muthe seyn, hier unter seinen Geschwistern Gesinnungen zu finden, wie sie ihm fast noch nie vorgekommen waren. Es ist wahr, er hatte schreckliche Charaktere kennen gelernt, hatte Kunzmann und die Gräfinn von Cyly handeln sehen, und sich mit Entsetzen von ihnen zurückgewandt. Hier fand er noch bey weitem nicht jenen hohen Grad von Ruchlosigkeit, aber die Gesinnungen dieser niedrigen gemeinen Seelen flößten ihm eine ganz eigene Empfindung ein, einen Eckel: eine Verachtung, deren schmerzhaftes Gefühl er nur durch einen Blick auf die liebenswürdigen Nonnen zu Ueberwasser lindern konnte; sie waren der einige Ruhepunkt, bey welchem er gern verweilte, und mehr der Wunsch sie noch einmahl zu sehen, als das Versprechen, das er der Aebtissinn zu Marienhagen gegeben hatte, bewog ihn zu bleiben und sich seinen andern Geschwistern vorstellen zu lassen. Er zitterte, noch mehr häßliche Originale in seiner Familie zu finden, und zuletzt an seiner eigenen Herzensgüte zu zweifeln da der Stamm, aus dem er entsprossen war, so wenig taugte.

Der Tag, vor welchem ihn graute, brach an. Er eilte nach Marienhagen, wo er versprochen hatte sich einzufinden, und seine Schwester die Aebtissinn abzuholen. Er fand daselbst die ganze Versammlung seiner Geschwister, bis auf den großen [76] Mann, welchem er vorgestellt werden sollte. Agnes und Petronelle flogen ihm mit schwesterlicher Zärtlichkeit entgegen. Der phlegmatische Domherr von Münster schüttelte ihm kaltherzig die Hand, und die Frau von Senden sollte ihm auf Befehl der heiligen Ursula eine Entschuldigung ihres Vergehens stammeln. Herrmann hatte ihr längst verziehen, und es bereut, daß er einen Augenblick auf die Unglückliche gezürnt hatte. Die tiefe Demüthigung auf ihrem Gesicht beschämte ihn, er schloß sie in seine Arme und nannte sie Schwester.

Neben ihr stand Ulrich von Senden, ihr Gemahl, eine Figur, wie sie die Natur nur selten bildet, das höchste Ideal männlicher Schönheit, mit dem Abdruck einer eben so schönen Seele in seinen sprechenden Zügen; er grüßte den neuen Ankömmling mit Würde, und Herrmann, der wie Jünglinge pflegen, sich leicht von körperlichen Reizen zu Liebe und Freundschaft hinreißen ließ, drückte ihn mit Wärme an seine Brust.

Was ist das? sagte Herrmann zu sich selbst, ein solches Gesicht in diesem Cirkel von Altagsmenschen? ein solcher Mann der Gemahl meiner Schwester Katarine?-Er wandte sich zu den beiden Klosterfräuleins um Auskunft über seine Zweifel zu erhalten, sie lächelten, und sagten, er möchte sich bereiten, heute noch eine Person in seiner Familie [77] kennen zu lernen, welche seine Erwartung übertreffen würde.

Der Zug nach Plettenburg ging vor sich, der Herr von Senden schien sich so ungern wie Herrmann an denselben anzuschließen; er hatte einen ernsten Wortwechsel mit der Aebtissin über die Feyerlichkeit desselben, und gab Winke, daß sich dieselbe nicht zu der Lage des neuen Ankömmlings schicke, doch von diesen Dingen durfte jetzt, seit es der heiligen Ursula beliebte, ihrem Bruder gnädig zu seyn, nicht laut gesprochen werden, und das Gerücht von Herrmanns Unglück, das zuvor niemand unvorsichtiger ausgesprengt hatte als sie und die von ihr so sehr gehaßte und ihr doch so ähnliche Katarine, sollte jetzt da sie gebot, nun sogleich unterdrückt, aus jedem Gedächtniß verlöscht seyn.

Herrmann hatte die Höfe der größten Fürsten seiner Zeit gesehen, war der Diener eines Kaysers und eines Königs von Ungarn gewesen, hatte sich zu Nürnberg oft in einem ganzen Cirkel von Männern befunden, welche alle es wagen durften die Hand nach der höchsten Krone der Welt auszustrecken, aber nirgend hatte er das Gepränge, und den prahlenden Anschein von Größe getroffen, als hier auf dem Schlosse eines gemeinen Edelmanns.

Bernd, bey welchem der Jüngling jetzt eingeführt wurde, mußte glauben, die Ehre, das Haupt [78] der jüngern Linie des Hauses von Unna zu seyn, sey der Gipfel menschlicher Hoheit, wie hätte er sonst diesen lächerlichen Pomp bey sich einführen, sich so von seinen Dienern und Verwandten huldigen lassen, und auf alles, was ihn umgab, so stolz herablächeln können!

Der Hof zu Plettenburg, wie man hier Bernhards Hauswesen zu nennen pflegte, war in der That für einen Herrn von Unna glänzend genug, aber diese Herrlichkeiten, welche Herrmannen, der die Welt gesehen hatte, nicht blenden konnten, trugen in dem Auge des Verständigen ein trauriges Gepräg; dieser Schimmer entsprang von der Aussteuer unglücklicher Schwestern, von der Habe unglücklicher Brüder, die sich selbst aufopferten, oder aufgeopfert wurden, um das angebetete Haupt ihres Hauses wie einen kleinen Fürsten leben zu lassen.

So widrig als Herrmannen das Aeußerliche des Hauses war, das er jetzt betrat, so sehr misfiel ihn der Wirth desselben, ungeachtet er sein Bruder war; auch er schien keine sonderliche Gnade vor Bernden zu finden, er hätte sich tiefer vor ihm beugen müssen, wie vor Kayser Wenzeln und König Siegmunden, wenn er nicht hätte wider den hier eingeführten Wohlstand sündigen wollen; er that es nicht, begegnete Bernharden blos mit der Achtung, die er einem ältern Bruder schuldig [79] zu seyn glaubte, und wurde mit Unwillen angesehen

Herrmann wandte seine Augen bald von dem stolzen Edelmanne hinweg nach einer jungen Dame, welche an seiner Seite saß und die, als die Aebtissinn ihr Herrmanns Namen nannte, sich mit unwiderstehlicher Anmuth erhob, ihn schwesterlich zu grüssen. Sie war die Gemahlinn Bernhards, die Herrmann nicht kennen konnte, weil sie erst nach seiner Flucht aus seinem Vaterlande in das Haus von Unna gekommen war.

Herrmann blickte sie voll Bewundrung an, nie hatte er nach seiner Ida eine hinreißendere Schönheit gesehen, als Alizen oder wie sie hier die verderbte Mundart nannte, Aleken von Langen. Und diese Holdseligkeit, diese Milde, die in allen ihren Gesichtszügen, in ihrem ganzen Betragen lag, und die mit der Aufgeblasenheit ihres Mannes so sonderbar kontrastirte, dieser schwermüthige Zug um die Augen diese rührende Blässe, die ihr schönes Gesicht übergoß und es laut sagte, daß sie nicht glücklich sey, was für Zusätze ihren Anblick unwiderstehlich zu machen.

Aleke ergriff die Hand des bestürzten Herrmanns, und nannte ihn zum zweytenmahl Bruder, that es mit einem Tone, der das Herz des Jünglings mit einem unnennbaren Gefühl ergriff und ihn zu ihren Füßen stürzte.

[80] Bernhard sah dieses Opfer, das er mehr auf die Rechnung der Frau von Unna als der schönen Alize schrieb, mit Beyfall. Er fieng an zu glauben, Herrmann sey noch nicht ganz für die Eitelkeit seines Volks vernachläßigt, und bot ihm mit ziemlich guter Art die Hand ihn aufzurichten. Herrmann küßte die Hand seiner reizenden Schwägerinn, nahm Platz auf dem Sessel, den ihm Bernd herablassend darbot, und ward mit einigen Fragen beehrt, die er gut genug beantwortete, um nicht von neuem den Stolz seines Bruders zu beleidigen.

Bald darauf gerieth der erhabene Herr von Unna in ein Gespräch mit seiner Schwester der Aebtissinn, und Alize winkte die Klosterjungfern von Ueberwasser, ihre Busenfreundinnen herbey, um sie in das Gespräch mit Herrmann zu ziehen.

Nun Bruder, fragte die lächelnde Petronelle, ist unsere Weissagung eingetroffen?

O rief Herrmann, ich bin überrascht, entzückt, glaube Ida zu sehen, und nenne mich glücklich so eine Schwester zu haben!

Alize hatte eine verbindliche Antwort auf der Zunge, aber ein Blick, den sie auf Ulrichen von Senden warf, der ihr gegen über an eine Seule gelehnt dastand, und sich ganz in ihrem [81] Anschauen zu verlieren schien, machte, daß sie verstummte und mit glühender Röthe übergossen ward.

Herrmann war zu sehr mit andern Dingen beschäftigt um dieses zu bemerken, aber er brauchte nur einen Tag in dem Hause seines Bruders zu seyn, um ähnliche Erscheinungen zu sehen, die es ihm bewiesen, daß er die Geschichte seines Hauses bey weitem noch nicht ganz kannte.

Ulrich von Senden war der Mann, den er sich unter allen am wenigsten enträthseln konnte. Seine Gestalt, seine Miene nahm unwiderstehlich für ihn ein, und sein Betragen, wenigstens gegen Herrmannen, war zurückstoßend, er war rauh und kalt, wenn er mit ihm, und sein zärtlicher Freund, sein warmer Lobredner, wenn er von ihm sprach, alle Bemühungen des jungen Ritters ihm das, was er für ihn zu fühlen begunte, mitzutheilen, ihn in einen freundschaftlichen Umgang zu ziehen, waren vergebens, er schien alle Gelegenheit zum einsamen Gespräch mit ihm zu fliehen, und lächelte ihm nur dann mit einiger Ruhe und Heiterkeit, wenn er ihn im Kreise aller Anwesenden sahe. Eben so seltsam war sein Betragen gegen die Frau von Unna; mußte er mit ihr sprechen, so war sein Ton kalt, beynahe verächtlich, und doch [82] hing sein Auge mit unersättlichen Blicken an ihr, so bald er nicht bemerkt zu werden glaubte; er floh ihren Umgang geflissentlich, und konnte sich doch nicht entbrechen nach jeder Bewegung, die sie machte, hinzuschauen, nach jedem ihrer Worte sein Ohr zu neigen.

Daß dieser sonderbare Mann seiner Frau wenig freundliche Blicke verlieh, kam Herrmannen nun eben so außerordentlich nicht vor, viel ausserordentlicher dünkte es ihm, wie diese Frau, diese Katarine überhaupt, Ulrichs Gemahlinn werden konnte. – Der Jüngling nahm bey seinen Zweifeln oft seine Zuflucht zu seinen Schwestern den Nonnen, aber diese zuckten die Achseln, und versicherten, daß sie selbst noch lang nicht genug von diesen Dingen unterrichtet wären, um einem Andern Aufklärung hierinn zu geben.

Die Frau von Unna schien eine besondere Vorliebe für ihren neuen Bruder gefaßt zu haben, er und seine Schwestern Agnes und Petronelle waren ihre Lieblingsgesellschaft. Nie zog sie ihn mit mehrerm Eifer an sich, als wenn sie bemerkte, daß er wieder einen Anfall auf Ulrichs Herz that, und daß dieser fast nicht mehr wußte, wie er seine angenommene Kälte gegen ihn behaupten sollte. Was habt ihr doch endlich, sagte sie eines mahls zu ihm an diesen sonderbaren Menschen? ich bitte euch [83] versprecht mir, euch nie in besondere Vertraulichkeit mit ihm einzulassen, er ist ehrlich genug euch von sich zurück zu schrecken, und ich denke, er wird dazu seine Ursachen haben. Herrmann ergriff diese Gelegenheit einige Fragen über Ulrichen an Alizen zu thun, aber sie beantwortete sie nicht, und suchte mit einem Erröthen das Gespräch auf andere Dinge zu bringen.

10. Kapitel. Herrmann weis nicht, woran er ist
Zehntes Kapitel.
Herrmann weis nicht, woran er ist.

Der Aufenthalt der Geschwister von Unna in dem Hause ihres ältesten Bruders dauerte einige Tage. Bernhard schien nach und nach Geschmack an Herrmannen zu finden. Der junge Mensch wußte so viel von Königen, Kaisern, Herzogen und Fürsten zu erzählen, daß der stolze Herr von Unna begunnte Ehrfurcht vor ihm zu haben, und es ihm weniger hoch anrechnete, daß er sich nicht tief genug vor ihm demüthigte, auch schmeichelte ihm die Achtung, mit welcher der schönen Aleke von ihm begegnet ward, und die die größte Fürstinn nicht in höherm Grade hätte von ihm verlangen können.

Die Aebtissinn von Marienhagen, und die Fräuleins von Ueberwasser hatten jetzt nach ihren Klöstern zurückkehren müssen. Auch der träge Domherr von Münster hatte das Schloß verlassen, und [84] niemand von Bernhards Gästen war mehr vorhanden als Herrmann, und die Familie von Senden.

Katarine nützte die Abwesenheit der Aebtissinn, ihrer feindseeligen Schwester, sich ihrem beleidigten Bruder in einem vortheilbaftern Lichte zu zeigen; sie sahe, daß seine Absichten auf Bernhards Gunst nicht eigennützig waren, einige ansehnliche Geschenke, die er ihren Kindern gemacht hatte, bewiesen, daß er weder Unterstützung suche, noch bedürfe, und dieses war hinlänglich ihr Reue einzuflößen, daß sie einem solchen Bruder unwürdig begegnen konnte. Sie rang um Herrmanns Gunst, und gab vor, sie könne nicht ehe von seiner Aussöhnung überzeugt seyn, bis er ihr versprach sie nach ihrem Schlosse zu begleiten, und ihr daselbst Gelegenheit zu geben das Vergangene zu vergüten.

Herrmanns Sinn stand nach nichts so sehr, als nach der Audienz bey dem alten Grafen von Unna, von welchem er eben Botschaft erhalten hatte, daß er auf seiner Residenz angelangt sey – Ihn zu sprechen, war eigentlich das einzige Geschäft, was er hier hatte; der Besuch bey seinen Geschwistern war blos Nebensache, war fast blosser Zufall, und leider war er durch denselben schon mehr verstrickt worden, hatte sich mehr Zeit durch ihn rauben lassen, als für seine Lage vortheilhaft war. Ohne Zweifel wär also die Bitte der Frau von Senden, welcher ihr Mann mit keinem Worte [85] beytrat, abgeschlagen worden, wenn Herrmann sich nicht gescheut hätte, das Ansehn einer Empfindlichkeit über ehemalige Beleidigungen in den Augen seiner Schwester zu haben. – Er willigte also ein, und stürzte die Frau von Unna, welche dabey stand, dadurch in eine Ungeduld, die sie kaum zu bergen wußte.

Sie sind alle meine Bitten, euch in keine Gemeinschaft mit Ulrich von Senden einzulassen, vergeblich? rief sie, als sie mit ihm allein war. –

Ich besuche nicht ihn, sondern meine Schwester. –

Und werdet ihr es verhüten können, wenn ihr euch auf seinem Schlosse befindet, daß ein vertrauter Umgang unter euch Platz nehme? –

Und wär die Vertraulichkeit so eines edeln Mannes nicht Glück für mich? –

Ich sage euch, ihr dürft es nicht wagen eine Stunde mit ihm allein zu seyn, es ist euer Unglück!

Ich bin irre an euch, Frau von Unna. Wollt ihr mir nachtheilige Winke wegen Ulrichs Redlichkeit geben? –

Das will ich nicht. Ulrich mag wohl redlich seyn, aber – ich kann mich nicht hierüber erklären – ich weis nicht! – genug mich dünkt, ihr thut in eurer Lage am besten, ihr geht zu eurem alten Verwandten, den Grafen [86] von Unna, richtet bey ihm aus, was ihr zu thun habt, und entfernt euch dann so schnell als möglich.

Zum Grafen von Unna will ich ziehen, aber erst meine Schwester besuchen. Es ist hart da sie hier so durchgängig gehaßt wird, daß auch ich ihr übel begegnen soll.

Ich hasse Katarinen nicht, ich beklage sie und schiebe viele ihren Fehler auf ihre traurige Lage! –

Und doch gebt ihr mir zu verstehen, ich habe Ursach von ihr irgend etwas zu befürchten, das mich abhalten soll in ihr Haus zu kommen? –

Nicht von ihr, bey Gott nicht von ihr! Ich halte sie nicht für boshaft genug euch heimlich zu schaden. – Aber Ulrich von Senden! Ulrich von Senden! –

Der edle trefliche Mann? Er in seiner Art das was Alize in der ihrigen ist? –

Er kann gut, kann edel seyn, und doch! – Kannte ich ihn nicht länger als ihr? –

Ja, Alize, ihr müßt ihn gekannt haben, ich habe diese Tage über seine und eure Blicke belauscht, habe Spuren entdeckt, die mich begierig machen mehr zu wissen – Alize! holde offenherzige Alize! Schwester! Freundinn! wollt ihr euch mir nicht entdecken? vielleicht könnte mein Rath euch nützlich seyn, vielleicht könnte [87] die Erfüllung meiner Bitte wenigstens so viel fruchten, daß ich mir eure wahre Meynung von Ulrichen von Senden besser zu erklären wüßte, und euren Warnungen widerspräch oder ihnen folgte, nachdem es meine Ueberzeugung verstattete. – Werdet ihr meiner Bitte statt geben? Werdet ihr mir gewisse Dinge deutlich machen, die –

Dieses hieß Alizen auf ihrer schwächsten Seite angreifen. Sie brach in einen Strom von Thränen aus, machte sich von Herrmanns Händen, welche die ihrigen gefaßt hielten, los, und betheuerte, sie wollte nie wieder mit ihm über diesen Punkt sprechen. Er sey gewarnt, und möge hinfort thun und lassen was er wolle, ohne durch sie gestört zu werden.

11. Kapitel. Katarine ist Alekens und Ulrichs Ehrenretterin
Elftes Kapitel.
Katarine ist Alekens und Ulrichs Ehrenretterin.

Die Frau von Unna schien ernstlich über Herrmanns Zudringlichkeit erzürnt zu seyn, sie enthielt sich diesen Tag, den letzten seines Aufenthalts zu Plettenburg, das kleinste Wort mit ihm zu wechseln, doch hatte sie darum, wie es am Tage lag, ihre Absicht ihn und Ulrichen zu trennen, nicht aufgegeben.

[88] Herrmann blieb entschlossen, seine Schwester Katarine nach ihrem Schlosse zu begleiten, und Ulrich von Senden ward in dem nehmlichen Augenblick, da dieses öffentlich kund gemacht wurde, eingeladen, noch einige Tage nach Abreise der andern zu Plettenburg zu bleiben.

Ulrichs Gesicht hatte sich bey Herrmanns Erklärung, daß er sein Gast auf seinem Schlosse seyn wolle, mit einer Todenblässe überzogen, und schnell kamen bey der Einladung, die er von Bernden auf Alizens Veranlassung erhielt, Leben und Freude in seine Züge zurück; Herrmann sah zum erstenmahle, daß er die Hand seiner schönen Schwägerinn küßte, und ihr einige verbindliche Worte sagte. Alize erröthete und schlug die Augen nieder, indessen Ulrich sie mit einem Blicke ansah, der den höchsten Grad von Dankbarkeit ausdrückte.

Was ist das? sagte Herrmann, der dieses alles bemerkte, zu sich selbst. – Sollte ich mich in Alizen und in diesem Ulrich von Senden geirrt haben ? sollten sie vielleicht nichts von dem allen seyn, wofür ich sie hielt. – Ha! ohne Zweifel findet ein geheimes strafbares Verständniß unter beyden statt. Daß sie sich ehemahls liebten, zeugen ihre verstohlnen Blicke, ihr schnelles Erröthen, ihre widersprechenden Handlungen; daß diese Liebe noch immer dauert, beweißt ihr jetziges Betragen. – [89] War es darum, gleißnerische Alize, daß du Ulrichen von mir zu entfernen suchtest, damit ich nicht etwa eure strafbare Vertraulichkeit entdecken und die Ehre meines Bruders rächen möchte? – Suchst du ihn jetzt darum bey dir zu behalten, damit du, ohne dich vor den Augen einer vielleicht eifersüchtigen Frau und eines argwöhnischen Bruders zu scheuen, ungestört deiner Leidenschaft nachhängen kannst? –

Der Schein war in Herrmanns Augen so gänzlich wider Alizen, daß er sich verwunderte, wie sein Bruder Bernhard so verblendet seyn könne, Dinge nicht zu merken, die, wie er meynte, einem Jeden in die Augen fallen mußten, und ein Glück war es für die beyden Beschuldigten, daß Herrmann nicht voreilig genug war, Bernden seine Gedanken mitzutheilen.

Herrmann reiste mit Katarinen und ihren Kindern ab; gutherzige liebliche Geschöpfe, mehr Abdrücke ihres liebenswürdigen Vaters als ihrer Mutter. Herrmann beschäftigte sich gern mit ihnen, und erholte sich an ihrem Anblicke, wegen des Verdrusses, den ihm Katarinens lästiges Geschwätze machten.

Er überzeugte sich immer mehr von dem schlechten Herzen dieser Frau, ihre Zunge schonte keines einigen ihrer Verwandten, alle suchte sie bey Herrmannen zu verläumden, selbst die unschuldigen [90] Nonnen, Agnes und Perronelle. – Sie rühmte mit inniger Selbstzufriedenheit den ihr ganz besonders eigenen Scharfblick, das Laster in seinen verborgensten Schlupfwinkeln zu entdecken, und führte einige Beweise von diesem Talent an, welche würklich einzig in ihrer Art waren. – Sie war eben in ihrem Sündenregister auf die Frau von Unna gekommen, und Herrmann erwartete nun nichts gewisseres als die Bestättigung seiner in den letzten Augenblicken des Aufenthalts zu Plettenburg gefaßten Meynung, zu hören, Ulrichen der Untreu und Alizen der Verführung angeklagt zu sehen; aber wie erstaunte er, als nichts von dem allen erfolgte, als er ganz das Gegentheil von dem erfahren mußte, was er erwartet hatte.

Diese Alize, sagte Katarine, ein armes Fräulein aus dem durchächteten Hause von Langen, ist recht zum Glück in unsere Familie gekommen, Bernhard würde vielleicht unverheyrathet geblieben seyn, wenn sie nicht gewesen wäre. Sie ist ihm mit eiserner Treue ergeben, geht ihm fast nie von der Seite und wird dadurch die Geissel aller Frauen unserer Gegend, denen sie von den Männern unablässig zum Beyspiel vorgestellt wird. – Sie ist nicht häßlich wie du gesehen haben wirst, auch fehlt es ihr nicht an Anbetern, und ich habe daher immer geglaubt, sie halte sich insgeheim für ihre äußerliche Strenge schadlos; aber so viele Jahre, [91] in welchen ich sie nun unabläßig beobachtete, haben mich endlich überzeugt, daß sie ein Geschöpf ohne Geist und Herz ist, welchem diese Art der Tugend nicht schwer fallen kann.

Herrmann sah Katarinen mit starren verwunderungsvollen Augen an, und wußte nicht, wie er eine Frage einleiten sollte, um sich über das Verhältniß, das er zwischen Ulrich und Alizen wähnte, zu belehren.

Ist sie eine Freundinn von dir und deinem Manne? fragte er endlich mit angenommener Gleichgültigkeit.

Von mir? erwiederte sie, ich glaube ja. Du siehst, ich meyne es gut mit ihr, und verdiene also ihre Freundschaft, auch ist sie freundlich und freygebig gegen die Kinder; aber mein Mann ist, wie es scheint, der Gegenstand ihrer tiefsten Verachtung, wenigstens weis ich, daß sie nie ein freundliches Wort gewechselt haben als heute. Du hast ihre Einladung gehört, ich erstaunte und freute mich, daß sie Ulrich mit Höflichkeit aufnahm; denn die Wahrheit zu gestehen, er macht so wenig aus ihr, als sie aus ihm, er geht ihr überall aus dem Wege, und wie ich glaube, ist er in all den Jahren unsers Ehestandes nicht dreymahl auf Plettenburg gewesen. – Herrmann konnte sich nicht enthalten, den Kopf zu schütteln, und suchte durch eine Menge [92] künstlicher Fragen noch einen Anschein von dem, was er dachte, herauszubringen, aber er erlangte nichts weiter, als zu seinem grossen Vergnügen, die Ueberzeugung, daß er sich in seinem Urtheil von Ulrich und Alizen geirrt habe. Wie hätten sie eine bessere Zeuginn ihrer Unschuld haben können als Katarine.

Selbst in dem Klaglibell wider den Herrn von Senden, welches Katarine nun zu verlesen begunnte, kam nicht ein Wort von Verdacht der Untreu vor, sondern alle ihre Beschwerden zielten nur auf Misvergnügen und üble Bewegungen, an welchen die gute Dame wohl durch ihr eignes schlechtes Herz, davon sie jetzt so deutliche Proben ablegte, schuld seyn mochte.

12. Kapitel. Ulrich ringt nach Unglück
Zwölftes Kapitel.
Ulrich ringt nach Unglück.

Herrmann hatte auf der Reise schon so viel von der Unterhaltung seiner gutmüthigen Schwester Katarine genossen, daß er bey seinem kurzen Aufenthalt auf dem Schlosse von Senden wenig mehr davon begehrte, und sich am liebsten mit ihren Kindern unterhielt, die ihm sein ganzes Herz zu stehlen wußten.

Er sprach viel mit ihnen von ihrem Vater Ulrich, und alles was sie sagten, zeigte ihm [93] diesen Mann auf einer so schönen und edeln Seite, daß aller Verdacht, den er wider ihn gefaßt hatte, in ihm verschwand, und der Wunsch, ihn zu seinem Freunde machen zu können, der bey seinem ersten Anblick rege war, von neuem in ihm erwachte.

Diese Begierde, Alekens räthselhafte Warnungen aufgeklärt, seine eigne Meynung von ihr und Ulrichen berichtigt zu sehen, gesellte sich zu diesem Wunsche; es war beschlossen, eine geheime Unterredung mit ihm zu suchen, und da er dieselbe immer so geflissentlich zu vermeiden schien, alle Mittel zu brauchen, sich dieselbe zu erringen.

Mein Mann scheint entschlossen zu seyn, sagte Katarine, nicht eher zurück zu kommen, bis mir die Einsamkeit seine Gegenwart nothwendig macht. Die Wahrheit zu gestehen, so kann ich bey dem Umgange eines liebreichen Bruders einen mürrischen Gemahl wohl entbehren. Er bleibe zu Plettenburg, und unterhalte dort ein gutes Vernehmen zwischen unsern und Bernhards Hause; dies kann vielleicht in der Zukunft gute Folgen für uns haben.

Herrmann las einen kurzen Brief von Ulrichen, den ihm Katarine darreichte, und der ihr gebot, die Abreise des Ritters von Unna so gleich nach Plettenburg zu melden, weil er nach derselben keine Stunde länger auf Bernhards Schlosse verweilen könne.

[94] Herrman setzte den nächsten Tag zum Abschiede an, letzte sich mit seiner Schwester und ihren Kindern, ließ ihnen Andenken seiner Freygebigkeit zurück, welche fast sein kleines Vermögen erschöpften, und machte sich auf den Weg nach Unna, auf welchem, wie er wußte, der von Plettenburg zurückkommende Ulrich, ihm begegnen mußte.

Er wartete seiner einer ganzen Sommertag lang in den Gebüschen, durch welche er ziehen mußte, und sein Aussenbleiben bewies ihm, daß er alle Vorsicht gebrauche, ihm nicht entgegen zu kommen, ihn auf keine Art wieder zu sehen. – Ewiger Gott! rief Herrmann, welches muß die Ursach dieses unüberwindlichen Widerwillens seyn? Ha! ich las den Haß schon zu Plettenburg zu seinen abgewandten Blicken, hörte ihn in dem kalten gedehnten Ton seiner Worte! Vermochte er mir auch nur einmal frey ins Auge zu sehen? konnte ich ihn bereden mit mir einen einigen Gang durch Wies und Wald zu thun? wars nicht, als wenn Feuer in seinem Innersten brannte, wenn ich bey der Tafel neben ihm saß, oder sonst ein Zufall mich an seine Seite brachte? Ha! dahinter ist ein schreckliches Geheimniß verborgen, ich muß es erfahren, muß mir die bessere Meynung des Edeln erringen, und sollt' es mein Leben kosten. [95] Vielleicht, daß mein Unglück ihn argwöhnisch macht! Vielleicht, daß er meine Unschuld an der schrecklichen That, die mir das Gerücht aufdichtet, nicht begreifen kann! Ich muß ihn finden, ihn überzeugen, um seine Lossprechung kämpfen. Der Beyfall einer ganzen Welt wär mir nichts, wenn Ulrichs Augen eine Blutschuld an mir zu erblicken glaubten!

Ihr, die ihr einst durch eine unwiderstehliche Macht zu einer verschwisterten Seele hingerissen wurdet, ohne den Zauber, der dieses bewirkte, ganz begreifen zu können; ihr, deren Streben nach der Gunst des Einzigen, den ihr unter tausenden wähltet, in dem Maaße zunahm, zum heissen Durste der Leidenschaft wurde, als der Geliebte, der Gesuchte, sich von euch zu entfernen schien, urtheilet über Herrmanns Vorliebe für Ulrich von Senden. Wer nie etwas ähnliches erfuhr, vermag nicht hiervon zu sprechen!

Der Abend brach an, Herrmanns Unruhe wuchs. Das lange vergebliche Warten auf den Kommenden hatte sein Verlangen nach ihm zur heissen Sehnsucht gemacht; die täuschende Nacht verwirrte seine Ideen, ein Gewühl seltsamer düstrer Ahndungen umgaukelte ihn, sein Herz gebot ihm zu bleiben, und eine leise innere Stimme rief ihm zu; fliehe! fliehe! – Warum fliehen? fragte sich Herrmann, und blieb.

[96] Der Mond ging auf, Herrmann war dem von Senden so weit entgegen gegangen, daß er von einem Hügel die Spitzen von Plettenburg erblicken konnte. Die Gegend rund umher war öde, kein Geräusch als das monotonische Sausen des Stroms, der sich nicht weit von da, von einer kleinen Anhöhe hinabstürzte, unterbrach die nächtliche Stille. Es war weit nach Mitternacht, der Mond nahte sich bereits dem Untergange, als der Wartende endlich das enge Thal herauf den Huf von Rossen schallen hörte. Die Reuter kamen näher, Herrmann vernahm von Sendens Stimme, der seinen Leuten befahl voraus nach seinem Schlosse zu reiten und ihm hieher Bothschaft zu bringen, ob der Ritter von Unna noch gegenwärtig sey.

Die Reuter entfernten sich, Ulrich lagerte sich unter einen Baum, und schnell trat Herrmann, der in der Nähe lauschte, hervor! – Und warum fliehst du mich? rief er, was hat dir Herrmann von Unna gethan, daß du dich scheust, einerley Luft mit ihm zu athmen? –

Entsetzlich! schrie Ulrich, der sich in seinem Mantel verhüllte. Ueberall diese Erscheinung, wachend und im Traum, und immer die Stimme in meinem Herzen: ich muß ihn ermorden!

[97] Ermorden? fragte Herrmann und schloß ihn in seine Arme, deinen Bruder ermorden? – Was hab ich gethan? –

Weg von mir, du Peiniger! schrie Ulrich und riß sich von ihm los. – Ha wer bist du? – Kein Nachtgesicht? – Rede, wer bist du?

Dein Bruder, Herrmann von Unna! der um deine Freundschaft oder um den Tod fleht. Von dir verachtet, geflohen zu werden, ist zu schrecklich!

Herrmann von Unna? Du selbst? – O fliehe, fliehe! ich bin dein Mörder! – Doch nein! fliehe nicht! du darfst nicht fliehen! ich darf dich nicht lassen? – Sind wir nicht allein? – Nein wir sinds nicht! – Gott lob! dort kommen deine Retter! Siehe! Siehe!

Herrmann schaute und sahe nichts. Es sind die Schatten der Bäume, mein Bruder! rief er. Ich brauche keine Retter, wenn du bey mir bist! – O Ulrich! du bist krank, sehr krank! dein Gemüth leidet! Gott, das ahndete ich nicht! – ich glaubte Haß wär es, der dich von mir trieb, so ists nur schwarze Phantasie. – Gott lob! du wirst wieder genesen und deinen Bruder lieben!

Dich lieben? Kann ich dich mehr lieben als ich thue? O Herrmann! mein Herz hängt an dir und ich muß dich ermorden!

[98] Warum? schrie Herrmann, den Ulrich erst in seine Arme geschlossen hatte, und bey den letzten Worten gewaltsam von sich schleuderte. Warum ermorden? Was habe ich gethan?

Du mußt sterben! schrie von Senden, der sein Schwerd zog, du bist Herzog Friedrichs Mörder! –

Bey dem der ewig lebt, ich bins nicht! – – Die Kläger haben geklagt, die Zeugen gezeugt, die Richter gerichtet! Du bist Herzog Friedrichs Mörder! Tausend heimliche Henker lauren auf dein Blut, und o Gott, dein Bruder ist der unselige, in dessen Hände du fallen mußt! Aber bey dem Ewigen, ich will dich nicht überleben! – Siehe, ich habe geschworen, dessen nicht zu schonen, den mich der Richter richten heißt. – Hier dieser Stich sey dein, und dieser mein! –

Herrmann zuckte, taumelte und fiel, und Ulrich sank an seine Seite. O mein Bruder, stammelte er, indem er ihn fester umschlang, die Fehde ist zum Ende! – Dein ewig dein! Hinüber, hinüber ins Reich des Friedens und der Liebe!

[99]
13. Kapitel. Etwas von der heiligen Elisabeth
Dreyzehntes Kapitel.
Etwas von der heiligen Elisabeth.

Der Morgen begann heran zu dämmern, die Landleute der Gegend gingen zur Arbeit, und da sie vorüber kamen bey der hohen Eiche, unweit des sausenden Stroms, da lag es vor ihnen im thauichten Grase wie Menschengestalt, und tiefes Röcheln der Sterbenden rauschte ihnen entgegen. – Sie beugten sich tiefer hinab, und ihren Wangen begegnete der kalte Hauch des Todes, sie tappten mit der Hand nach dem, was sie nur dämmernd sahen, und zogen sie in Blut getaucht zurück.

Jedermann drängte sich herbey, man fand zween Jünglinge, die sich fest umschlungen hielten, und die beyde durch einen Mordstahl gefallen zu seyn schienen. Beyde athmeten noch, die gutherzigen Bauren jauchzten, und wurden Raths, sie auf die Plettenburg zur Frau Aleken von Unna zu bringen, die schon so manchen Kranken und Verwundeten durch ihre Pflege dem Tode entriß, und wohl auch diesen würde helfen können.

Alize hatte den von Senden so lang als möglich auf Bernhards Schlosse zurückgehalten, er gehorchte ihr gern, denn das was sie in Geheim bewog seine Abreise zu verzögern, das scheuchte auch [100] ihn von seinem Schlosse zurück, so lang er Herrmannen daselbst wußte. Keins erklärte sich gegen das andere, denn mancherley Betrachtungen hielten sie stets in weiter Entfernung von einander, aber beyde verstanden sich, und eins dankte dem andern im Herzen, daß es sich sowohl in seine Wünsche fügte.

Bernhard, der für nichts Gefühl hatte als seine Größe, dachte bey all diesem nichts, als daß Ulrich von Senden nunmehr die Ehre, auf seinem Schlosse bewirthet zu werden, bis in den fünften Tag genossen habe, und daß er wohl geneigt war, diese unerhörte Gnade zu verdoppeln, wenn Alize, die er wegen des Namens einer Frau von Unna gar hoch verehrte, es also verlangen sollte.

Ulrich hatte Ursachen, sich weit von der schönen Aleke hinweg zu wünschen, und Katarinens Nachricht, der Ritter von Unna würde den Montag nach Mariä Geburt zuverläßig scheiden, that ihm wohl wie dem Gefangenen die Befreyung von den Fesseln.

Die Frau von Unna weinte, als sie von Senden Abschied nahm; sie dachte an vergangene Zeiten, dachte an Herrmann, und ihr ward weh ums Herz. – Sie bat Ulrichen, doch den Weg nach Hause über Ahaus zu nehmen, Bernhard lachte der Bitte, denn es war ein Umweg von mehr als einer Meile, den seine Gemahlinn von Ulrichen forderte, [101] aber dieser versprach alles mehr als gern, weil er die Absicht der Bittenden errieth schwang sich auf sein Pferd, und entfernte sich.

Die Wege über Ahaus waren durch das große Wasser unzugänglich gemacht. Von Senden mußte umkehren und den gewöhnlichen wählen, er fragte seine Leute, was heute für ein Tag sey? –

Mitternacht ist vorüber, antworteten sie, eben ist Mittwoch nach unser Lieben Frauen Geburt angebrochen – Montag und Mittwoch! sagte Ulrich zu sich selbst, und ritt getrost weiter. Wir haben gesehen, was für Vorsicht er demohngeachtet brauchte Herrmannen nicht zu begegnen, und wie ihm das Schicksal den unglücklichen Jüngling dennoch entgegen führte.

Aleke ahndete Unglück auf ihrem nach Abzug aller Gäste nun völlig verödetem Schlosse. Sie war trübsinnig bey der Abendtafel, unruhig in der Nacht, stand von der Seite ihres fest entschlummerten Gemahls auf, ging auf den Balkon, und sah in die düstere vom Mond beglänzte Ferne. Hier fand sie noch der erste Morgenstrahl. Sie betete, um sich von ihren grauenvollen Ahndungen loszureißen, betete ihr gewöhnliches Gebet: Gott möchte es ihr doch an dem eben angebrochenen Tage nicht an Gelegenheit zur Ausübung einer guten That fehlen lassen. Sie wußte es aus [102] der Erfahrung, daß übende Tugend das beste Mittel ist, ein traurendes Herz zu beruhigen.

Sie stand jetzt auf, und wandte ihre Augen vom röthlichen Morgenhimmel in das düstre Thal; da sah sie einen Trupp Leute nach dem Schlosse zu kommen. Ihr Gang war langsam. Einer von ihnen eilte voraus, und schlug an die noch verschlossene Pforte.

Was bringt ihr? rufte Aleke vom Altan herab. – Ach edle Frau, antwortete der Kommende, der ihre Stimme kannte, seyd ihrs, das ist ein gutes Zeichen an diesem frühen Morgen. Wir bringen euch wieder einmahl ein paar arme Gäste. Eben haben wir dort drüben auf dem Hügel bey der hohen Eiche ein paar Verwundete gefunden. Es ist noch Leben in ihnen, wir haben sie ein wenig verbunden, ihr werdet das übrige thun. Gott giebt ja immer Gnade zu euren guten Werken.

Aleke verstand nicht, was der Bauer weiter sagte, sie eilte selbst hinab, das Thor zu öfnen, und weckte im Vorbeygehen einige ihrer Bedienten, die im Vorzimmer schliefen, um Anstalten zur Aufnahme der Kommenden zu machen.

Die Leute der gutherzigen Frau von Unna wußten in dergleichen Fällen schon alles, was zu thun war. Aleke war schon im Fräulein Stande eine liebreiche Wärterinn der Kranken gewesen, und [103] es war ihr Glück, daß sie einen Gemahl hatte, welcher ihr in diesem Stück völlig freye Hand ließ.

Es war in jenen Zeiten eine Ehre, viel gute Werke zu thun, und es schmeichelte Bernhards Stolz nicht wenig, wenn man seine Gemahlinn die zweyte Sankt Elisabeth nannte, deren Glorie in seinen Augen darum viel heller strahlte, weil sie eine Fürstinn gewesen war.

Die Frau von Unna that das Gute nicht aus solchen elenden Bewegungsgründen, aber sie war klug genug, die Schwachheit und Eitelkeit ihres Mannes in diesem Stücke zu nutzen, um nicht von ihm bey ihrer Wohlthätigkeit eingeschränkt zu werden.

Jetzt hatte Aleke die Pforten geöfnet und ging den Trägern der Verwundeten entgegen um zuzusehen, ob man sie auch sanft und behutsam genug herbey schafte. – Sie trat hinzu, sah Ulrichs von den Schatten des Todes umdämmertes Gesicht, sah Herrmann, welcher kaum noch athmete, und sank ohne Empfindung zu Boden.

Ihre Leute kamen herbey, sie eilten ihr zu Hülfe; die Verwundeten wurden ins Schloß geschaft, ihre Helferinn ward ihnen nachgetragen, und im Augenblick waren zwanzig Hände bereit, ihnen beyzustehen, ob gleich die meiste Hülfe sich nach der von allen angebeteten Gebieterinn des [104] Schlosses wandte, und bey den Verwundeten nur die nöthigsten Personen blieben.

Alize schlug die Augen auf, sie sah das Gedräng um ihr Lager, und ein Blick von ihr entfernte alle unnöthige Hülfe von ihr zu Ulrichen und Herrmannen, die derselben so sehr bedurften. Die Angst um sie machte, daß sie sich bald völlig erholte, und in ihr Zimmer eilen konnte, um zu sehen, was man zu ihrer Rettung gethan habe.

Bernhards Hausmeister, ein erfahrner Wundarzt, hatte Herrmannen schon so weit gebracht, daß er die Augen öfnete, und als seine edle Schwägerinn zu ihm trat, sich genugsam besann, ihren Namen zu nennen und ihre Hand an seine Lippen zu ziehen. Aber Ulrich von Senden war noch fast völlig ohne Empfindung, nur der schwache Schlag des Herzens verrieth, daß er noch lebe, seine Wunde war weit tiefer als Herrmanns, es war ihm mehr Ernst gewesen, sich, als seinen Freund tödlich zu verwunden.

14. Kapitel. Geschichte Alekens von Langen und Ulrichs
Vierzehntes Kapitel.
Geschichte Alekens von Langen und
Ulrichs von Senden.

Alizens unermüdete Sorgfalt, und die Geschicklichkeit ihrer Leute, verscheuchte endlich alle Gefahr, [105] so wohl von dem von Senden, als von Herrmann. Dieser war es eigentlich, um dessen Bette sich die Frau von Unna persönlich beschäftigte, dahingegen Katarine von Senden herbeigerufen ward, ihres Gemahls zu warten. Herrmanns Neigung zu seiner liebenswürdigen Schwägerinn und ihr Zutrauen zu ihm, ward durch die Gewohnheit sich täglich zu sehen vermehrt, und bald entstand jene Freundschaft zwischen ihnen, die wir in einem der vorigen Kapitel bey Herzog Albrechten von Oesterreich und der schönen Ida bemerkt haben, nur daß hier auch der entfernteste Verdacht von Liebe wegfiel, der etwa einigen meiner Leser in Ansehung Herzog Albrechts beywohnen möchte. – Wochen waren vergangen, seit sich die Verwundeten auf der Plettenburg befanden, Herrmann konnte wieder außer dem Bette seyn, und auch Ulrich war wohl genug, daß er Katarinen von sich schicken konnte, um Anstalten zu seiner Ankunft auf dem Schlosse Senden zu machen.

Oft war er der Gegenstand des Gesprächs zwischen Alizen und ihrem Kranken, Herrmann hatte in Ansehung seiner manche Frage zu thun, und die Frau von Unna war jetzt nicht mehr so ungeneigt, wie ehemals sie zu beantworten. Sie kannte jetzt ihren Bruder genugsam offenherzig gegen ihn zu seyn. Die Beschäftigung um sie hatte ihn ihr lieber gemacht. Sie gestand, daß Ulrich [106] von Senden einen so großen Antheil an ihrer Geschichte habe, daß es ihr unmöglich seyn würde, ihm das zu erklären, was er zu wissen verlange, ohne ihn gleich zum Vertrauten ihrer eigenen Angelegenheiten zu machen.

Bernd von Unna geruhte zu oft, in dem Zimmer seines kranken Bruders zu seyn, und ihn mit Fragen über die Höfe, welche er gesehen und den Ton, der daselbst herrschte, zu quälen, als daß es Alizen so leicht hätte werden sollen, die nöthige Zeit zu ihrer Erzählung zu gewinnen, aber einsmahls beliebte es ihm nach Engelrading zu ziehen, wo die Herrn von Ravensberg und Meerveld ein Stechen angestellt hatten, und der erste ruhige Tag, den man dadurch bekam, ward so gleich auf die Art genutzt, wie meine Leser sehen werden.

Wie soll ich, fing die Frau von Unna ihre Geschichte an, wie soll ich euch Begebenheiten mittheilen, deren Erwähnung alle alte Wunden meines Herzens aufreißen, mich vielleicht euch in einem falschen Lichte darstellen wird? Doch wir sind allein, und ich weis, ihr verzeiht es der Schwachheit des weiblichen Herzens, wenn beym Andenken vergangener Dinge einige Thränen fließen sollten. Ich versichere euch vor Gott, Ulrich ist mir nicht mehr das, was er mir ehemals war, ob ich ihn gleich nie ohne Erschütterung ansehen kann. Es ist eine eigene Empfindung, die mich bei seinem Anblicke [107] überfällt, nicht blos Ueberbleibsel ehemahliger Liebe, Entsetzen, Furcht, Mitleid, ein Gemisch der seltsamsten Gefühle – doch ihr sollt hören und urtheilen.

Meine liebreiche Schwägerinn Katarine wird nicht ermangelt haben, euch zu sagen, daß ich aus dem seit vielen Jahren von der heimlichen Acht verfolgten Hause von Langen bin. Die Händel meiner Väter mit den Bischöffen von Osnabrück gehören nicht hieher. Mein Vater ward ein Opfer derselben, auch meine Mutter war nicht mehr, der Gram hatte sie frühzeitig getödet, und ich lebte unter der Vormundschaft meines ältern Bruders.

Konrad liebte mich, sorgte für mich wie ein Vater, und sein Zutrauen zu mir war so unumschränkt, daß er mir volle Freyheit in meinen Handlungen ließ; ich spielte auf seinem Schlosse die nehmliche Rolle wie hier, war nicht sein Mündel, nicht die jüngere Schwester des Besitzers, nein, Frau und Gebieterinn.

Konrad war, Gott weis in welchen Geschäften, oft Monate lang abwesend von seinem Schlosse, mich dünkt, er legte damahls den Grund zu dem Unglück, unter welchem er jetzt lebt, seine Handlungen waren oft rasch und unüberlegt, und der Schein, den seine Feinde denselben zu geben wußten, erhöhte ihre Strafbarkeit. Ich hielt es [108] für Pflicht mit Gebet und guten Werken daheim dasjenige abzubüssen, was Konrad auswärts sündigte, und dadurch den göttlichen Zorn von unserm Hause, das ohnedem genug gelitten hatte, abzuwenden. – Meine Uebungen mochten gut und löblich seyn, Armuth, Alter und Krankheit fanden Zuflucht, Hülfe und Pflege auf Konrads Schlosse, aber offenbar dehnte ich meine Mildthätigkeit zu weit aus, und mußte dafür leiden, sie ward der Grund des Verlusts meiner Ruhe!

Ulrich von Senden war nahe bey unserm Schlosse in einem Zweykampf gefallen, seine Leute brachten ihn zu uns, und flehten um Zuflucht und Pflege für ihren Herrn. Der jungfräuliche Wohlstand hätte erfordert, die Sorge für einen so jungen und schönen Ritter, wie Ulrich war, von mir zurückzuweisen, und ihn nach den Mönchen des benachbarten Klosters zu schicken, welche auch reich an guten Werken waren, aber ich erwog bey dem Gegenstande der Mildthätigkeit, den man mir zeigte, nichts als die Gefahr seiner Wunden. Ulrich ward auf unser Schloß gebracht, ward schwesterlich von mir gepflegt, genaß und – Mitleid und Dankbarkeit ward schnell bey uns zur Freundschaft, eben so schnell zur Liebe.

Wir waren glückliche Liebende, Unschuld und Hoffnung gingen uns zur Seite; o Tage des Himmels, wohin seyd ihr geschwunden!

[109] Kurz war Ulrichs Aufenthalt bey mir nach seiner Genesung, seine Geschäfte und der Wohlstand ruften ihn hinweg, aber wir hatten uns lang genug gesehen um den Grund zu einer Liebe zu legen, die, wie wir meynten, ewig dauren sollte. – Wir schwuren einander! Ulrich sollte noch einige Heerzüge thun um Ruhm und Ehre zu erwerben, und ich wollte indessen des Hauswesens meines Bruders warten, bis Fräulein Beate von Meervel, seine Verlobte, das Regiment aus meinen Händen empfangen könnte, alsdenn sollte Ritter Ulrich erscheinen, und gebührlich um mich werben; mein Bruder konnte, durfte mich dem nicht versagen, den ich liebte, sein Herz mußte es ihm verbieten, mein Glück war ihm zu theuer, mein Wille ihm zu heilig, auch hatte er Vermögen genug, das zu ersetzen, was Ulrichen etwa an zeitlichen Gütern abgieng.

Der Winter kam, der ritterlichen Uebungen wurden weniger. Mein Bruder Konrad kehrte in sein Schloß zurück, viele Wagen mit Beute beladen folgten ihm, und ich konnte mich nicht entbrechen zu fragen, ob all' dieses Gut mit Recht erworben sey. – Ein finsterer Blick Konrads, vielleicht der erste, den ich in meinem Leben von ihm erhielt, beantwortete dieses. Weiber, sagte er, verstehen nichts von den Rechten des Schwerds, nichts von den Freiheiten des Adels, und müssen von solchen Dingen schweigen.

[110] Ich schwieg dann, und hatte bald mehr Gelegenheit mich im Schweigen zu üben. Konrad kam diesen Winter nicht von seiner Burg, als wenn ihn die Jagd etwa in die benachbarten Wälder zog. Seine Waffengenossen besuchten ihn fleißig; neue von mir vorher nie gesehene Gesichter, deren Wildheit mich in die Einsamkeit meines Zimmers zurückscheuchte. Das Gebrüll ihrer schwelgerischen Freuden störte des Tages meine Ruhe und des Nachts meinen Schlaf, ich sehnte mich nach Erlösung aus diesem wüsten Leben, sehnte mich nach der Rückkehr der Zeit der Waffen, und noch vielmehr nach jener Zeit, da Ulrich seine heimlich Verlobte heimholen würde! der stille sanfte Ulrich, in dessen friedsamer Burg in einst Tage des Himmels zu verleben hoffte!

Es war den Abend vor Dreykönigentag, als Konrad, der jetzt leichtsinnig genug war, die heiligen Abende mit seinen Schwelgereyen zu beflecken, noch mit einer Schaar wüster Gesellen bey der Tafel saß und zechte. Ich, die meine Ulrichen geweihte Schönheit – ja Herrmann, ich war damals schön – zu heilig hielt um sie frechen Bliken auszustellen, kam nie bey meines Bruders Gelagen zum Vorschein. Ich hatte ge sorgt, daß es den Zechern an nichts gebrach, und zog mich nun nebst meinen Dirnen auf den Altan über der Hinterpforte zurück, um dem wilden Getön, das alle[111] Gewölber des Schlosses durchhallte, zu entfliehen, und die Stille einer hellen Winternacht zu geniessen. Immer war mir die Natur schön auch in ihrem einfachsten Gewande. Der Sternhimmel funkelte auf die beschneite Gegend herab, meine Mädchen zitterten vor Frost und wurden zu Bette geschickt, aber mich wärmte die Liebe und das Andenken an Ulrich. Ich dachte mir die blühenden Lauben, in welchen ich mit ihm gesessen hatte, ich dachte mir den Blumenkranz, in welchem er mich nächstens zum Altare führen würde, und hinweg war Frost und alle Gefühle des Winters.

Ich war so ganz in meinen Träumereyen verloren, daß ich es erst spät gewahr ward, daß sich aus dem benachbarten Gehölz ein paar menschliche Figuren hervorthaten, und auf unser Schloß heran schlichen. Der Widerschein des Schnees bildete mir sie ganz schwarz, und ich, die ich nicht so verwegen war, wie etwa mein Bruder, die Erscheinungen der Geister der Finsterniß zu leugnen, hatte kaum Muth zum zweytenmal die Augen aufzuschlagen. Doch Neugier und gutes Gewissen machten mich beherzt. Ich stand auf und schaute hinab. Jetzt standen die Männer so dicht an der Pforte, daß ich sie von oben nicht sehen konnte. Drey Schläge geschahen an das Thor, die tief in dem gewölbten Gange, den es verschloß, wiederhallten, [112] und schnell entfernten sich die Urheber dieses gräßlichen Getöses und verschwanden in dem nahen Gebüsch.

Augenblicklich ward Lärm im Schlosse. Der Wächter auf dem Thurme fing an zu trommeten, in den Seitengemächern kamen Lichter zum Vorschein, unter mir dröhnte das Gewölbe von dem Fußtritt unserer Reisigen, die herbeyeilten, die Hinterpforte zu öfnen. Zwanzig Stimmen ließen sich hören und verhinderten, daß ich keine einige deutlich vernahm. Bald darauf hörte ich auch meinen Bruder und seine Gäste. Konrad fluchte und die trunkenen Zecher lachten. Mein Herz pochte, ich ahndete etwas schreckliches; ich weckte meine Mädchen und schickte sie aus, Kundschaft einzuziehen; sie kamen zurück, mir zu sagen, daß die Zechgesellschaft schnell aus einander gestoben sey, und daß mein Bruder eben erscheinen würde, mir selbst zu berichten was ihm begegnet sey. – Die Dirnen weinten, und ich weinte mit ihnen vor Angst und banger Erwartung.

Konrad erschien, todenbleich vor Schrecken. Ich erfuhr, o Gott, konnte ich wohl etwas fürchterlicheres erfahren als daß mein Bruder vor den freyen Stuhl zu Osnabrück geladen sey, Rechenschaft wegen gewisser Handlungen zu geben, welche ich schon so oft mit schwesterlicher Bescheidenheit an ihm geahndet hatte. Ich bebte, und doch konnte [113] ich den ganzen Umfang unsers Unglücks nicht einsehen, mein Bruder brachte die halbe Nacht hin, mir alle Schrecknisse dieser heimlichen Gerichte zu schildern, und mir es begreiflich zu machen, daß er auf die Ladung, welche die Schöppen an das Schloßthor geschlagen hatten, nicht erscheinen könne noch dürfe. Ich behauptete das Gegentheil und wir schieden in halben Unwillen von einander.

Die nächsten Tage sahen mich in Thränen, in halber Verzweiflung. Ich warf mich meinem Bruder zu Füssen, ich flehte, er sollte erscheinen. Was verlangst du? rief er, meinen Tod? das was man in Osnabrück mein Verbrechen nennt, ist so gut als erwiesen, erscheine ich, so siehst du nie mich wieder, dahingegen im entgegengesetzten Falle Behutsamkeit, Flucht, oder Tapferkeit mich retten kann!

War eine solche Erklärung wohl im Stande mich zu beruhigen? Sein Verbrechen erwiesen? Sein Tod gewiß? Flucht das einige Rettungsmittel? was für Worte! – Fast brachte mich der Kummer und das Bestreben, hier einen Ausweg zu ersinnen, um Verstand und Leben. Indessen ging mein Bruder frey und ruhig auf seiner Burg aus und ein, niemand beschimpfte oder tastete ihn an. Er ward sicher, die alten Beschäftigungen, die ehemaligen Gesellschaften kamen wie der zum Vorschein. Auch ich ward von seiner Sorglosigkeit [114] angesteckt, und fast hatte ich die ganze Sache vergessen, als die nächtlichen Warner zum zweytenmal anklopften, und meine Gefühle bey ihrer ersten Erscheinung erneuerten.

Meine Empfindung der nahen Gefahr war diesmal heftig aber nicht daurend; ich bemerkte daß die Sonne uns eben so schön glänzte, Natur und Menschen uns eben so freundlich lachten, als zuvor, der Besuch jener nächtlichen Schleicher, wie Konrad sie nennte, dünkte mir endlich Kleinigkeit zu seyn, und ich erschrack kaum als mir meine Dirnen eines Morgens die Bothschaft brachten, die Freyschöppen seyen diese Nacht zum drittenmahl da gewesen, aber mein Bruder habe ihre Ladung so gleich von der Pforte abreissen, und vernichten lassen. Niemand dürfe davon sprechen was geschehen sey.

Auch erwähnte Konrad in der That der Sache gegen mich mit keinem Worte, doch sah ich ihn oft unruhig und nachdenkend; eine Erscheinung die mir so ungewohnt war, daß auch ich von neuem aufmerksam wurde und wieder in meine ehemaligen Besorgnisse zurückfiel. Sie wurden nur gar zu sehr durch den Erfolg bestätigt; Konrad war nur durch Verschweigung seines Unglücks bisher in seinem gewöhnlichen Stande geblieben, jetzt, da es durch die heimliche Flucht eines unserer Bedienten ruchtbar ward, daß er sich unter der heimlichen [115] Acht befinde, jetzt gewann alles ein anderes Ansehen. Schon bey der ersten Ladung hatten, wie ich jetzt erst erfuhr, die mehrsten von Konrads Leuten, welche nicht leibeigen waren, ihm den Dienst aufgekündigt, und nichts als Versprechungen und Geschenke hatten sie zurückhalten können. Nichts war jetzt mehr im Stande sie zu fesseln, selbst meine Mädchen verließen mich bis auf eine einige. Die Fräuleins aus der Nachbarschaft flohen meinen Umgang, und Beate von Meerveld, auf deren Treue Konrad wie auf Felsen gebaut hätte, kündigte ihm den Bund der Liebe auf.

Es ist um mich gethan, rief Konrad eines Tages, als ich auf seine Forderung zu ihm eilte. Hier ist die vierte Ladung. Die Schöppen haben sie bey hellem Sonnenlicht an die Burgpforte geheftet, und drey Steine aus der Mauer mit sich genommen. Ich bin beschimpft, bin verfehmt, wenn ich nicht erscheine; und erscheinen werde ich nun und in Ewigkeit nicht. Ich muß fort, Schwester! habe Mitleid mit mir! verlaß mich nicht auch, wie alles mich verläßt! Befördere meine Flucht, verheimliche sie so lange du kannst, und dann fliehe auch du, nur jetzt, nur in diesem schrecklichen Augenblicke nicht! bleib, bleib, Alize! oder ich muß dich und mich ermorden!

Fliehen? dich verlassen? schrie ich mit Thränen. Sieh ich folge dir, wenn du willst, nehme [116] Theil an deinem Elend, ob ich – ob ich gleich nicht gesündigt habe.

O! schrie er, nicht diese Vorwürfe! Nein du hast nicht gesündigt, hast mich Sünder oft gewarnt, aber Alize, keine Vorwürfe, oder du bringst mich zur Verzweiflung.

Mein Bruder war fürchterlich in diesen Augenblicken! Sein Zustand erfüllte mich zugleich mit Schrecken, Mitleid und inniger schmerzhafter Liebe. Er hing ganz an mir, ich schien sein einiger Trost zu seyn, er ließ mich nicht aus den Augen, und begleitete mich überall, wohin mich die Anstalten zu seiner Abreise trieben.

Endlich war alles bereits, alles was von einiger Kostbarkeit vorhanden war, selbst das, was er mir geschenkt hatte, ward zusammengepackt, um ihm seine Flucht zu erleichtern, ich mochte nichts von den Schätzen behalten, welche vielleicht mit dem Unglück meines Bruders erkauft waren.

Konrad schloß mich beym Abschied mit heißer Zärtlichkeit in seine Arme; er seufzte, daß er mich so ganz ohne Schutz zurücklassen mußte. Hätte ich, sagte er, hätte ich dich nur erst in die Arme eines guten Mannes liefern können! Doch deine Schönheit, deine Tugend, selbst die Treue, die du jetzt an deinen verlassenen Bruder beweisest, werden dir tausend Herzen erwerben, und du kannst noch glücklich seyn.

[117]

Wie könnte ich, schluchzte ich, so lange du elend bist, an Liebe und Heyrath gedenken? siehe, ich gelobe dir, selbst dann, wenn ich den schon kennte, der einst mein Gemahl werden soll, ihm nicht eher die Hand zu geben, bis ich Nachricht von deinem Glück, von deiner Sicherheit habe.

Thue es nicht, Schwester, erwiederte er, gelobe nichts von dieser Art, du brauchst einen Schützer, und o wollte Gott, du liebtest einen edeln Mann, und er wär sogleich hier, daß ich dich ihm anvertrauen könnte.

Ich fühlte, daß mein Gesicht glühte, und ich vermochte nicht zu antworten. Ich dachte an Ulrichen, der kürzlich von seinem Zuge nach Italien zurückgekommen war, und den ich täglich erwartete. Möchte er doch jetzt kommen, seufzte ich, möchte er ihm wenigstens begegnen!

Nur ein Versprechen, sagte Konrad, indem er mich nochmals umarmte, nur eins fordere ich von dir. Beglücke keinen von meinen Verfolgern mit deiner Hand. Du bist zu gut, zu schön, um der Raub eines dieser Unwürdigen zu werden!

Ich schwur ihm was er verlangte, und wir rissen uns von einander; schon hatten wir vielleicht zu lang gezögert, und in unserer Lage war jeder Augenblick kostbar.

[118]
15. Kapitel. Fortsetzung
Funfzehntes Kapitel.
Fortsetzung.

Weinend eilte ich auf mein Zimmer, und fand Trost daselbst, einen Boten von meinem geliebten Ulrich, der in meiner Abwesenheit angekommen war. Ich hatte meinen Bruder zu der hintern Schloßpforte hinausbegleitet und also dem Ueberbringer guter Bothschaft nicht begegnen können.

O! rief ich, wo ist euer Herr! – O daß er nicht eine Stunde eher erschienen ist, wenn er, wie ich hoffe, sich in der Nähe befindet!

Er kommt, erwiederte er, er wird gleich hier seyn, er wünschte insgeheim bey euch eingelassen zu werden; er bittet, daß ihm die Hinterpforte geöfnet werde.

Er kommt diesen Weg? rief ich voll Freude. O so wird er ihm begegnen, wird meinem Bruder begegnen! wird mit ihm von unserer Liebe sprechen können. – Kennt Ulrich meinen Bruder?

Nein, sagte der Bote mit erschrockenem Gesicht, nein, Fräulein, ich denke nicht; aber was sagt ihr, der Herr von Langen zieht den Weg, den mein Herr kommen wird?

Ja! Ja! er wird ihm begegnen, wird ihn sprechen, o wenn sie sich nur kennen, nur einander nicht verfehlen!

[119] Und euer Bruder, schrie der Bote, ist, wie man sagt, in der heimlichen Acht!

Welche Frage! erwiederte ich voll Bestürzung. Wollt ihr? – Doch wie sollte ich Verdacht auf Ulrichs Vertrautesten setzen!

Laßt mich! Laßt mich! schrie Ulrichs Diener, ich muß fort Unglück zu verhüten!

Ich sahe ihm, fast leblos vor Entsetzen nach. Was will er machen? rief ich. Unglück verhüten? Konraden vielleicht vielmehr verrathen? Doch er ist Ulrichs Diener! – – Nein, Ulrichs Leute können so wenig falsch und treulos seyn als er selbst. Ist er nicht der einige Vertraute unserer Liebe? der einige Ueberbringer unserer geheimen Bothschaften? habe ich ihn je auf einer zweifelhaften Handlung betroffen?

Mit unbegreiflicher Unruhe gieng ich in meinem Zimmer auf und nieder, eilte bald ans Fenster, bald an die Hinterpforte, um zu sehen, ob Ulrich käme. – Wo er doch bleiben mag! rief ich. – Sein Bote sagte doch, er würde sogleich hier seyn!

Der Abend kam heran, Ulrich war noch nicht da. Einsam und weinend saß ich im dämmernden Zimmer, da öfnete sich die Thür, ein Mann trat herein, von dem mir der Umriß seiner Gestalt, die ich noch dunkel erkennen konnte, von dem mir mein Herz, das bey seinem Eintritt gewaltiger schlug, [120] gesagt haben würde, es sey Ulrich, wenn er nicht anstatt zu meinen Füßen zu fliegen, langsam eingetreten wär, sich einige Schritte genaht, dann wieder entfernt, und endlich sich mit von mir abgewandtem Gesicht an die Wand gelehnt hätte.

Wer bist du? rief ich mit zitternder Stimme. – Keine Antwort, als ein tiefer Seufzer!

War dieses nicht dein Hauch, Ulrich? schrie ich, und eilte mit offnen Armen auf ihn zu! – Ja du bist, du bist es! Dein Seufzen verräth dich derjenigen die – –

Zurück! zurück Fräulein! schrie er, ihn dürft mich nicht anrühren, meine Hände sind voll Blut!

Voll Blut? wiederholte ich, armer Ulrich, du bist verwundet? O Hülfe! Hülfe!

Ich bin nicht verwundet, ich habe verwundet! rief er im fürchterlich holen Ton.

Und wen? fragte ich zitternd.

Euren Bruder! schrie er, das Unglück führte ihn in meine Hände!

Mein Mädchen, die mich vor einem Augenblick nach Hülfe rufen gehört hatte, kam und brachte Licht.

Ulrich und ich standen gegen einander, lebendige Abdrücke des Entsetzens, er mit todtenbleichem Gesicht, mit entblößtem Degen, seine Hände und die Rüstung mit Blut besprützt und ich mit einem Blicke, der alles sagte, was ich empfand.

[121]

Meinen Bruder? wiederholte ich nach einer langen Pause. Meinen Bruder? das Blut, das an deinen Händen klebt, ist Konrads Blut? – Unseliger! was bewog dich?

Fräulein, schrie er, ich mußte! ein fürchterlicher Eid band mich!

Meinen Bruder zu ermorden? – Ungeheuer!

O daß er mir nicht begegnet wär! Warum mußtet ihr ihn mir entgegen schicken? Ihr wißt, ich suchte ihn zu vermeiden. Hat mein Bote nicht – – –

Dein Bote? du mußtest? Ein fürchterlicher Eid? schrie ich, ohne zu wissen, was ich sagte. – Die Gedanken vergiengen mir, und ich sank leblos in meines Mädchens Arme.

Als ich erwachte, war Ulrich verschwunden, und meine Dirne konnte mir nichts weiter sagen, als daß er noch viel unverständliches gestammelt, und sich endlich mit der Versicherung entfernt habe, er werde sich rechtfertigen, und ich werde ihm verzeihen müssen.

Verzeihen? schrie ich, ihm den Tod meines Bruders verzeihen?

Ich brachte diese Nacht in dem entsetzlichsten Zustande zu. Die Unmöglichkeit, mich aus diesen Labyrinthen zu finden, verwirrte mir beynahe den Verstand.

[122] Der Morgen brachte mir Vermehrung meiner Qual. Das Gerücht breitete sich aus, Ritter Konrad von Langen sey unweit seines Schlosses von den Freyschöppen gefunden und nach Osnabrück lebendig ins Gefängniß geliefert worden.

Ein eiskalter Schweiß überzog meine Stirne bey dieser Post, das schrecklichste Geheimniß fieng an mir klar zu werden, und ich erlag unter der Last dieser Entdeckung.

Ulrichs Diener, welcher wenig Stunden darauf um Zutritt bey mir bitten ließ, und ihn endlich erhielt, machte meine Muthmaßungen zu Gewißheiten. – Er getraute sich nicht, es gerade heraus zu gestehen, daß sein Herr einer der Beysitzer des heimlichen Gerichts sey; ihr wißt, wie geheim diese Dinge gehalten werden, aber seine Aussage bewieß nur gar zu genau, was man hievon zu denken habe.

Er gestand so viel, sein Herr habe von dem Unglück meines Bruders gehört, sey heftig erschrocken, habe geschworen, er müsse mich mit oder wider meinen Willen heimlich entführen, müsse vermeiden, Konraden zu sehen, habe eine fürchterliche Angst bezeugt ihm nicht in den Weg zu kommen, habe eben darum seinen Diener ausgeschickt diese Begegnung zu verhüten.

[123] Leider hatte ihn das Schicksal demohngeachtet Konraden entgegen geführt. Er kannte ihn nicht, sah aber bald einen einzelnen Reuter vom Schlosse herab kommen, den er aus einigen Umständen für meinen Bruder hielt. Er hielt es nicht wider seine Pflicht, da er ihn nicht genau kannte, ihm auszuweichen, und dadurch das Unglück, Hand an ihn legen zu müssen, zu verhüten. Er versteckte sich im Gebüsch und ließ Konraden vorüber ziehn; bald darauf gieng er hervor und dachte seinen Weg zu mir ungestört fortzusetzen. Da gesellte sich ein Mann zu ihm, den er nicht kannte, der sich aber, wie der Diener mir sagte, ihm schnell auf eine 11 Art kenntlich machte, welche Ulrichen mit neuem Entsetzen erfüllte. Er sagte ihm, was er für ein Geschäft in dieser Gegend habe; Ulrich erstarrte. [124] Er gab ihm zu verstehen, er sey demselben nicht allein gewachsen, und fordere seinen Beystand; Ulrich weigerte sich. Der Unbekannte sagte Worte zu ihm, denen er nicht widerstehen durfte. Sie gingen mit einander, und fanden Konraden mit einem andern Ritter unter einem Baum liegen und Mahlzeit halten. Konrads Gefährte schien nur durch den Zufall zu ihm geführt worden zu seyn, mochte denjenigen vielleicht nicht kennen, mit dem er sein Brod theilte, doch hielt er es für Pflicht als er sah, daß dieser von ein paar Unbekannten angefallen ward, die Gefahr mit ihm zu theilen. Man kämpfte. Ulrich und sein Gefährte siegten, Konrads Helfer ward in die Flüche geschlagen, und er schwerlich verwundet, gefangen genommen und nach Osnabrück gebracht.

Ulrich hatte, wie mich sein Diener versicherte, bey diesen Kampfe wie ein Verzagter gehandelt, hatte keinen Theil an Konrads Einführung ins Gefängniß haben wollen, und war sogleich zu mir geeilt, um mir das Verbrechen, das er gezwungen an mir hatte begehen müssen, zu bekennen, und meine Vergebung zu holen. Ich hatte keine Vergebung für ihn. Er mochte gehandelt haben wie es seine grausame Pflicht forderte, aber ich durfte nicht mehr an ihn denken. Konrad stand auf dem Punkte, durch seine That den Kopf auf dem Blutgerüst zu verlieren, ich hatte geschworen, nie das [125] Weib von einem der Verfolger meines Bruders zu werden, und – unsere Liebe war getrennt.

Ulrich drängte sich zu mir, mir seine Unschuld darzuthun, ich hatte eine schreckliche Zusammenkunft mit ihm, wo ich fast in dem Kampfe der Pflicht und der Liebe erlag, aber die Pflicht siegte, und Ulrich ward auf ewig aus meinen Augen verbannt.

Ob mich das, was ich that, nicht nachher gereute, vornehmlich, als mein Bruder aus seinem Gefängniß entkam und mehrere Kenntniß der fürchterlichen Eide, durch welche Ulrich und seine Genossen zu Thaten der Unmenschlichkeit verpflichtet werden, mich ihn entschuldigen lehrte, das gehört nicht hieher.

Zu der Zeit, als diese Reue bey mir hätte Platz finden können, war ich schon Bernhards Frau, und er Katarinens Gemahl, doppelte Bande untersagten es uns auf ewig, an einander zu denken, und nichts blieb uns übrig, als Vergessenheit des Vergangenen.

Daß dieses Vergangene durch eure Geschichte fürchterlich wieder aufgeregt ward, daß ich Ursach hatte, euch für Ulrichs Umgang zu warnen, das brauche ich euch wohl nun nicht erst zu erklären. Ich kannte den von Senden, kannte seine grausame Pflicht, und konnte das erwarten was nun geschehen[126] ist, eine schreckliche Erneuerung der Geschichte meines Bruders!

Dank sey es meinem Schicksal, das euch zu meiner Schwester, zu meiner Retterinn bestimmte! rief Herrmann und drückte Alekens Hand an sein Herz.

Armer Jüngling, erwiederte sie, konnte meine Angst, meine Sorge um dich, dir den kleinsten deiner Schmerzen ersparen? Doch auch ich danke dem Himmel, daß er euch mir zum Bruder gab, daß doch in dem Hause meines Mannes eine Seele ist, die ich wahrhaftig hochschätzen kann, – außer ihm, meyne ich, dem ich Liebe und Hochachtung schuldig bin.

Herrmann nahm die Klausul wohl in acht, welche Aleke aus Pflicht gegen Berndten ihren Worten anhängte. Er fühlte es, daß ihre Achtung gegen ihren Gemahl nicht viel mehr als Pflicht und etwas Dankbarkeit seyn konnte, weil er sie liebte, und er konnte sich der Frage nicht enthalten, auf was für Art sie Frau von Unna geworden sey.

Die Güter meines Bruders, sagte sie, waren verfallen, sie wurden etlichen aus der Ritterschaft zur Verwaltung übergeben, und mir ward ein Vormund gesetzt. Dieser Vormund war euer Bruder Bernhard, ihr errathet das übrige, er liebte mich und warb um mich, ich war arm, verlassen, [127] von meinem Geliebten getrennt, und – ward die Gemahlin des Herrn von Unna.

Unsere Ehe ward immer gut und friedlich. Dankbarkeit vertrat bey mir die Stelle der Liebe, und die seinige ward durch den Stolz, der Schützer einer Verlassenen gewesen zu seyn, und durch den Beyfall, den seine Wahl überall fand, mächtig genährt. – Ich war so glücklich, ihm und jedermann meine frühere Verbindung mit dem Herrn von Senden zu verbergen, ihn dadurch mit mir immer zufrieden zu erhalten, und jede Ursach eines Zwists zwischen ihm und meinem ehemaligen Liebhaber aufzuheben. Ulrich ward bald nach meiner Vermählung mit Berndten, mein Schwager; es wär traurig gewesen, wenn ich Gelegenheit zu Uneinigkeit und Verdacht hätte geben sollen.

Aber ich bitte euch, rief Herrmann, wie war es möglich, daß Ulrich sich über euch so bald trösten, nach einer Alize eine Katarine wählen konnte.

Ich weis von diesen Dingen sehr wenig, sagte sie, doch was ich muthmaße und was ich weis, will ich euch sagen. Das damahlige Fräulein, Katarine von Unna, hatte einen gewaltigen Abscheu vor dem Klosterleben, zu dem sie bestimmt war, und dachte sich nicht besser retten zu können, als wenn sie zu dem Feinde ihres Hauses, dem alten [128] Grafen von Unna flöhe. Mit ofnen Armen ward sie von diesem Schützer der Bedrängten aufgenommen, er fand ihre Sache schlecht und recht, und versprach sie zu verheyrathen. Hier lernte sie den Herrn von Senden kennen und gewann ihn lieb. Katharina war damals nicht häßlich und konnte ihre böse Seite besser verstecken als jetzt. Ulrichs Herz war voll Rache über meine gegen ihn geänderten Gesinnungen und über meine Heyrath. Er dachte wahrscheinlich mich zu kränken, wenn er meine Schwägerinn heyrathete und mir immer als ein lebendiger Vorwurf meiner Unbeständigkeit vor Augen wär. Der Unglückliche kränkte sich selbst! Ihr könnt urtheilen, wie seine Ehe beschaffen seyn muß. Der Graf von Unna war Ulrichen zu gewogen, und kannte Katarinens Charakter zu gut, um mit dieser Verbindung ganz zufrieden zu seyn, er vermählte sie, weil sie es wünschten, und überließ sie ihrem Schicksale.

16. Kapitel. Eine gefährliche Probe
Sechszehntes Kapitel.
Eine gefährliche Probe.

Herrmann fand die Erklärung, die ihm Aleke über verschiedene Dinge gab, nicht ganz befriedigend,[129] doch sie waren von solcher Art, daß man entweder nur muthmaßen konnte, oder nicht laut und deutlich von denselben sprechen durfte; zu der ersten Klasse gehörte Ulrichs und Katarinens Verbindung, und zu der andern der Theil von Alizens Geschichte, welcher in die Geheimnisse jenes furchtbaren Gerichts gehörte, welches nach den gegenwärtigen Zeiten in vieler Betrachtung ein Räthsel ist, und davon die Urkunden, welche uns übrig geblieben sind, nur einen schwachen mangelhaften und in mancher Betrachtung widersprechenden Begriff geben.

So vielfachen Stoff der Ritter von Unna auch in dem, was er gehört hatte, zum Nachdenken fand, so verweilte er doch am liebsten bey Ulrichen von Senden, der durch die traurige Geschichte bey der hohen Eiche bey weiten nicht jene Neigung ausgelöscht hatte, welche Herrmann beym ersten Anblick für ihn zu fühlen begann. Jene That, die ihm beynahe das Leben gekostet hatte, setzte Ulrichen nicht in seinen Augen herab, sie erhöhte vielmehr seine Meynung von ihm! auch seinem Verfahren gegen Konraden von Langen fehlte es, wie er meynte, nicht an Entschuldigung, ein Mann, der dem, was er in seiner Lage für Pflicht halten mußte, auf Unkosten seiner liebsten Neigungen treu bleiben konnte, verdiente nach seinen Gedanken Achtung und Bewunderung, verdiente [130] wenigstens Mitleid statt des Tadels. – Verzeiht, meine Leser, wenn Herrmann falsch urtheilte, er lebte freylich in einem Jahrhunderte, welches ihm andere Begriffe einflößen mußte als euch das eurige.

Aleke war zu schwach Herrmanns Urtheil einen andern Weg zu leiten, sie war vielleicht im Grunde selbst mehr für den unglücklichen von Senden eingenommen, als sie sich gestehen durfte. Sie begnügte sich nur damit, den Entschluß des jungen Menschen, nach Ulrichs Freundschaft anhaltend zu ringen, zu bestreiten, und ihm zu erweisen, daß so lange jener blieb was er war, so lang die Acht noch auf Herrmanns Haupte ruhte, kein vertraulicher Umgang zwischen ihnen möglich werden könne.

Aber er liebt mich, rief Herrmann, er hat mir es in jener schrecklichen Stunde selbst gestanden, daß sein Herz an dem meinigen hängt! – Sollte er seiner schrecklichen Pflicht nicht durch das Blut, das er damahls vergoß, genug gethan haben, und nun friedlich mit mir den Pfad des Lebens gehen können?

Thut was ihr wollt, sagte Aleke seufzend, versucht was euch möglich ist, aber mir verdenkt es nicht, wenn ich euch und ihn nie aus den Augen lasse, und da wo die meinigen nicht hinreichen, euch andere zu Wächtern gebe.

[131] Herrmann nützte den ersten Tag seiner völligen Wiederherstellung Ulrichen zu besuchen. Freude glänzte in Sendens Augen als er den geretteten Jüngling sah, aber schnell ward sie durch eine Thräne verdunkelt. Er gieng ihn mit offenen Armen entgegen, als wollte er ihn an seine Brust drücken, aber schnell besann er sich, und der herzliche Empfang verwandelte sich in eine kalte Verbeugung.

Ists denn unmöglich? rief Herrmann, dieses Herz für mich zu erwärmen? habe ich mir nicht mit meinem Blute deine Freundschaft erkaufen können? – Ulrich wandte sich hinweg seine Bewegung zu verbergen. Vielleicht in Zukunft, rief er, indem er ihm die Hand drückte, nur jetzt, nur jetzt nicht! Glaube mir Herrmann, ich bin unglücklicher als du.

Aleke, welche die ganze Zeit gegenwärtig war, brachte das Gespräch auf Herrmanns Geschichten bey Fritzlar. Er erzählte alles, was ihn in den Verdacht brachte, er sey Herzog Friedrichs Mörder, alles was ihn vor dem Fürstenrath zu Nürnberg lossprach, so umständlich, daß kein Schatten von Schuld mehr auf ihn zu haften schien, aber Ulrich bat ihn, die Ursachen seiner nachmaligen Flucht und seine Geschäfte in diesen Gegenden nicht zu vergessen, und als Herrmann sein Verlangen eben so redlich befriedigte, so verfiel sein Zuhörer in ein [132] tiefes Nachsinnen, aus welchem ihm Herrmanns und Alekens Zureden erst spät empor reissen konnten.

Herrmann, sagte er, bedenke, daß ich dein Richter nicht bin, o Gott, wie günstig würde vielleicht dein Urtheil ausfallen, wenn ich es wär!

Du sollst mein Richter seyn, rief Herrmann, sollst mir sagen, was du im Grunde deines Herzens von mir denkst.

Ulrich zuckte die Achseln, und bat von Dingen nicht mehr zu sprechen, welche nicht hieher gehörten.

Aleke ward unwillig, Herrmann traurig, und so schied man von einander. Bernhard kam von Engelrading zurück, die Zeit vertrauter Unterredungen war verflossen, man sahe sich nicht anders als bey der Tafel, und Herrmann, welcher die volle Stärke der wiederkehrenden Gesundheit empfand, fand es langweilig länger hier zu bleiben. Sein Geschäft beym alten Grafen von Unna lag ihm im Sinne; nur zu lang hatte es bereits verschoben werden müssen, und er drang auf seine Abreise.

Die Frau von Unna hatte ihm gerathen, gegen ihren Gemahl nichts davon zu gedenken, daß er zu dem Feinde seines Hauses ziehen wollte; aber da die Aebtissinn von Marienhagen davon benachrichtigt war, so konnte es Bernhardten nicht verschwiegen bleiben. Man wandte alles an, den Jüngling von seinem Vorhaben abzubringen. Bernhard [133] stellte ihm den Schimpf vor, bey dem Grafen Schutz und Rath zu suchen, da er einen solchen Bruder hätte wie ihn. Ursula erzehlte ihm Katarinens Geschichte, welche auch ehemahls zu dem verhaßten Greise geflohen war und nichts weiter von ihm erhalten hatte, als die Hand eines Mannes, der sie nicht liebte. Man ging so weit, Herrmanns Entschluß, welcher unbeweglich blieb, allerley künstliche Hindernisse entgegen zu setzen. Aber er täuschte sie alle, machte sich in einer Nacht in der Stille davon, flog noch einmahl zu den geliebten Nonnen zu Ueberwasser, sich mit ihnen zu letzen. Eilte nach dem Schlosse Senden Katarinens Kinder zu küssen, und trat dann den Weg zu seinem ehrwürdigen Verwandten an.

Ulrich von Senden, der so wie Herrmann nun völlig hergestellt war, hatte Bernhards Burg noch eher als er verlassen. Herrmann hatte gehoft, ihn auf seinem Schlosse zu finden, und noch einmahl eine Unterredung von Herz zu Herz mit ihm zu haben, aber Katarine sagte, er sey des vorigen Tages abgereist, und sie habe Ursach zu glauben, er sey nach dem alten Grafen von Unna gezogen.

Herrmann erfuhr überall in den Herbergen die Bestättigung von dem, was ihm seine Schwester gesagt hatte. Ulrich war immer einige Stunden [134] vor ihm da gewesen, und als er zu Unna einritt, da sah er von Sendens Reisige im Schloßhof halten.

Der Ankommende wußte nicht was er hiervon denken sollte, doch sein verdachtloses Herz befriedigte ihn bald. Ulrich konnte so wohl Geschäfte beym Grafen von Unna haben als er, er mußte Geschäfte mit ihm haben; der Graf war oberster Stuhlherr der Freygerichte in dieser Gegend, und von Senden ein Einverleibter des heimlichen Gerichts.

Es war in den damahligen Zeiten noch nicht Sitte halbe Tage in den Vorzimmern der Großen zu warten, ohne vorgelassen zu werden. Wer zuerst kam, hatte den ersten Zutritt. Herrmann ward gemeldet und herein gerufen; er trat ein und Ulrich von Senden begegnete ihm in der Thür.

Der Ort, wo man sich befand, machte es unmöglich ein Wort mit einander zu wechseln, er blieb bey einer Begrüssung, aber diese Begrüssung war bey Ulrichen so kalt, daß Herrmanns Herz zu Eis ward, und sich zum erstenmahl der Verdacht bey ihm einschlich, von Senden könne sich um keiner guten Ursachen willen hier befinden.

Der Graf von Unna, ein Greis mit dem Schnee des Alters und der blühenden Röthe der männlichen Jahre geziert, sah den Eintretenden mit [135] scharfem forschenden Blicke an. Wer seyd ihr junger Mensch? rief er in einem ernsten Tone.

Der hohe Anstand des Alten und ein Zug von wahrer Größe in seinem Gesicht nöthigte dem Jüngling eine tiefere Verbeugung ab, als er sie sonst vor Königen zu machen pflegte, und er antwortete; Herrmann von Unna.

Was verlangt ihr! –

Gerechtigkeit! –

Verwegner! wie kann Herzog Friedrichs Mörder Gerechtigkeit fordern, ohne den Kopf verlieren zu wollen? –

Ich bin Friedrichs Mörder nicht!

Beweise! –

Mein Herz und das Zeugniß des Herzogs von Oesterreich. –

Das erste könnt ihr mir nicht vor Augen legen, und das andere ist ungültig, ist nicht Zeugniß, wie mich dünkt, nur Vorbitte. Der Herzog von Oesterreich war nicht bey euch als die That geschahe.

Gott war bey dem Thäter und bey mir, ihn rufe ich zum Zeugen! –

Der Schein ist wider euch! –

Welcher gerechte Richter richtet nach dem Schein? –

Ich sitze hier nicht als euer Richter! –

[136] Denn als mein Freund? der Freund des Unschuldigen?

Als euer Verwandter, wenn ihr wollt, als der, der euch gern gerechtfertigt sähe! Aber junger Mensch, ihr wandet euch spät an mich? Ich finde eine Unstättigkeit in eurem Betragen, die der Unschuld nicht ziemt. Ich höre, ihr wart frühzeitig hier meinen Rath zu suchen, es war euch zu viel meine Ankunft geduldig zu erwarten, ihr wandet euch zu Leuten, welche euch nicht helfen konnten, zu Leuten, die ich hasse, mit denen ihr bisher entzweyet lebtet, nun wie ich höre schnell versöhnt seyd, ich versichere euch, ihr Haß würde euch bessere Dienste bey mir gethan haben als ihre Liebe; ein verworfenes Geschlecht, in welchem seit zwey Menschenaltern kein gesundes Glied war? –

Sie sind meine Geschwister!

Ja leider! ihr würdet mir sonst angenehmer seyn! –

Kann der Graf von Unna, der Vorsitzer des ernstesten Gerichts partheiisch urtheilen? Es giebt unter meinen Geschwistern noch eine Agnese und Petronelle, eine Aleke von Langen, einen Ulrich von Senden. –

Laßt die Weiber auf der Seite bleiben, sie gehören nicht in unsere Rechnung, und was Ulrichen von Senden betrift –

[137] Bey Gott, rief Herrmann mit aufgehobenen Händen, der edelste Mann, den ich kenne!

Er? dessen blutgieriges Schwerd euch dem Tode nahe brachte? – Er that was er mußte! – Freylich ists hart, von ihm gehaßt, vielleicht auch hier verfolgt zu werden.

Der Graf schwieg mit tief zur Erde gesenktem Blick. – Ja, sagte er nach einer langen Weile, Ulrich ist bey mir gewesen, er hat viel mit mir von euch gesprochen, hat viel in der Aufnahme geändert, welche euch bestimmt war; – entfernt euch! – ich werde euch rufen lassen, wenn ich eurer Gegenwart bedarf.

Herrmann entfernte sich, sein Herz mit Empfindungen erfüllt, welche ihm die Worte hemmten.

Hütet euch zu fliehen, rief ihm der Graf von Unna nach eure Verfolger sind überall!

Fliehen? schrie Herrmann mit verächtlichem Ton. Die Unschuld fliehet nicht! So war denn also die Audienz bey dem großen Mann, von dem man sich soviel versprochen, auf welchen der Herzog von Oesterreich das ganze Glück seines Lieblings gebaut hatte, vorüber. Herrmann hatte nichts in ihm gefunden als einen stolzen Verwandten, und einen partheiischen Richter, der sich durch das Einhauchen der Falschheit von zuvorgefaßten vielleicht bessern Entschlüssen abbringen ließ. –

[138] Er hat viel mit ihm von mir gesprochen? hat vieles in der Aufnahme, welche mir bestimmt war, geändert? sagte Herrmann zu sich selbst. O Ulrich von Senden! Ulrich von Senden! das Blut, das du mir aus dem Herzen zapftest, konnte ich dir verzeihen, aber hinterlistige Nachstellung? Verleumdung bey dem, auf den ich meine ganze Hoffnung setzte? – Nein dies verzeihe ich nicht! – Das erste konnte deine Pflicht von dir fordern, aber welche Gesetze waren vermögend, dich zu dem andern zu bewegen? –

Gegen den Abend ward Herrmann zum zweytenmal zu dem Grafen von Unna gefordert.

Ihr wißt jetzt ohne Zweifel was ihr von dem von Senden halten sollt? fragte der Graf.

Ich wußte es bisher nicht, nun habe ich es erfahren.

Ihr müßt aufrichtig mit mir von ihm sprechen, sagt was sind eure Gedanken von ihm? – Glaubt ihr, daß er seiner Pflicht in Ansehung eurer völlige Gnüge gethan hat.

Ich habe keinen bestimmten Begriff von den Pflichten, die ihm und seines gleichen obliegen. –

Erzählt mir die ganze Geschichte seiner That unter der hohen Eiche, erzählt mir auf was für einem Fuß er zuvor und hernach mit euch lebte, ihr wißt, ihr habt keine Ursach ihn zu schonen, auch er schonte eurer nicht.

[139] Herrmann erzehlte umständlich alles was vorgegangen war, der Graf schüttelte den Kopf! das ist entsetzlich! sagte er. Auch keine Warnung vor der Gefahr die euch drohte, nicht ein Wink, daß ihr euch vor ihm zu hüten hättet? –

Er durfte mich nicht warnen, wie ich glaube, wenn er seine Pflicht nicht verletzen wollte. –

Aber er liebte euch, beklagte euch, wie ihr damals meyntet, mich dünkt er hätte euch warnen sollen! –

Ich hielt seine That für das gröste Opfer, das er der grausamsten Pflicht bringen konnte. Ich glaubte in der That, er hätte mich geliebt, und es müsse ihm schwer geworden seyn mir ungewarnt den Dolch ins Herz zu stossen, aber dem, der mich verleumden, mir das Herz meines ehrwürdigen Verwandten stehlen konnte! –

Das gehört nicht hieher, nur noch eine Frage. Man sagt, ihr wäret beyde verwundet worden; – vermuthlich leichte Wunden wie sie einer dem andern auf Verabredung giebt, um sich einer lästigen Pflicht zu entledigen, dann sind gleich Leute da uns zu retten, zu verbinden, und man ist seiner Verbindlichkeit entledigt.

Herrmann fieng von neuem an die schreckliche Geschichte unter der hohen Eiche zu erzehlen, er schilderte Ulrichs Kampf mit sich selbst auf die lebendigste Art, mahlte die Ueberwindung, die es ihm [140] gekostet zu haben schien, sein Schwerd in das Blut seines Bruders zu tauchen, mit den glübendsten Farben, und zeigte dem Grafen am Ende die Narbe von der fürchterlichen Wunde in seiner Seite, die er von Ulrichs Hand empfieng. Und ach, setzte er hinzu, mit mir war er schonender verfahren als mit sich selbst; es schien, er wollte dem, den er in die Gruft hinabschicken mußte, zuvoreilen um seinen Tod nicht zu überleben. Lange hing sein Leben noch an einem Faden, als schon das meinige gerettet war! –

Seine Verwundung rührte also wirklich, wirklich von seiner eigenen Hand, nicht von der eurigen her? rief der Graf.

Ich hätte meine Hand an ihn, an den geliebten Ulrich von Senden legen sollen? fragte Herrmann.

Entsetzlich! schrie der Graf mit zusammengeschlagenen Händen. Brudermord? Selbstmord die Folgen des Gerichts, das eine Nachbildung der göttlichen Gerechtigkeit seyn soll? – O Menschheit, wenn wirst du einmahl diese schreckliche Bande abschütteln! Herrmann! mein Sohn! – mein Liebling! – Ulrich von Senden! mein Freund! unglückliches Opfer deiner Pflicht! – umarmt einander. Eure Fehde habe auf ewig ein Ende!

Der Graf hatte mit diesen Worten eine Nebenthür aufgestoßen, Ulrich stürzte herein, und [141] schloß den erstaunten Herrmann in seine Arme. Mein Bruder! mein Geliebter! rief er, endlich, endlich darf ich meinem Herzen nicht länger wehren, darf dir sagen, was ich für dich fühle, ohne meine Pflicht zu verletzen!

Herrmann stand mit weit geöfneten Augen, ohne das begreifen zu können, was er sah und hörte, ohne Ulrichs Liebkosungen, von welchen er nicht wußte was er halten sollte, erwiedern zu können.

Junger Mensch, sagte der alte Graf, ihr wißt nicht was hier vorgegangen ist. Ihr glaubt wohl nicht, daß ihr und euer Freund euch jetzt auf einer gefährlichen Probe befunden habt? Das Leben des einen und meine gute Meynung für den andern stand auf dem Spiel, aber eure Aussage hat beyde gerettet. Ulrich von Senden, der bey der Sache des Konrad von Langen schon einmal im Verdacht kam, der Pflicht eines Dieners der heimlichen Rache nicht völlig genug gethan zu haben, ward angeklagt, er habe in Ansehung eurer zum zweytenmal gesündigt, habe euch gewarnt, euch Waffen in die Hände gegeben, euch in jener schrecklichen Stunde zu vertheidigen, habe euch nur zum Schein ein wenig verwundet, und von euch eine ähnliche Verletzung bekommen. Leider steht auf solche Vergehungen, welchen die Menschheit eigentlich einen mildern Namen geben sollte, bey uns [142] der Tod. – Ulrich von Senden trug durch seine Erscheinung viel dazu bey, seine Anklage wahrscheinlich zu machen. Er trat auf, und widersprach dem Urtheil, das wider euch gefällt worden ist, ward ein Vertheidiger eurer Unschuld, und verlangte Entlassung von seinem Posten, Entkleidung von der traurigen Würde eines Dieners der göttlichen Gerechtigkeit, um mit dem unschuldigen Herrmann von Unna als Bruder leben zu können. – Eigentlich wär hiedurch sein Urtheil gesprochen gewesen, aber mir schauerte vor den Ungerechtigkeiten, die unter dem heiligen Namen unsers Gerichts ausgeübt werden; ich drang auf Untersuchung. Herrmanns Ankunft gab uns die beste Gelegenheit die Wahrheit zu erfahren: einige Worte von mir gaben ihm Anlaß sich von Ulrichen bey mir verleumdet zu halten, aller Verdacht der Partheilichkeit gegen seinen Freund, ward durch den Unwillen, den dieses in seinem Herzen erregte, aufgehoben. Er antwortete auf meine künstlich verschlungenen Fragen, ohne Vorliebe für Ulrichen, blieb auf der geraden Bahn der Wahrheit, seine Aussage stimmt wörtlich mit dem überein, was wir von Senden erfuhren. Ulrich ist gerechtfertigt, und Herrmann bekömmt zum Lohn für die Redlichkeit seines Herzens die Freyheit, ins künftige Ulrichen ohne Furcht als Freund umarmen zu können. [143] Ulrichs Entlassung wird nun keine Schwierigkeit mehr haben.

Und auch Herrmann wird gerechtfertigt seyn? fragte Ulrich, der Herrmanns Hand fest in die seinige geschlossen hielt.

Wollte Gott! rief der Graf, aber leider ist alles was ich durch euch zu des armen Jünglings Besten erfuhr, nur für mich überzeugend. Herrmann muß fliehen, fliehen unter meinen Schutz. Die Zeit macht Dinge möglich, an die wir jetzt nicht denken dürfen. Allemal ists ein wichtiger Umstand, den ich durch euch, Ritter Ulrich, erfuhr, daß außer Kunzmann, welcher im Tode Herrmann den Mitgenossen seiner Unthat nannte, noch zween oder drey andere Mörder Herzog Friedrichs sind gesehen, und – (vielleicht mit Vorbedacht) zu nachlässig verfolgt worden. Gott weis, wie es möglich gewesen ist diesen Punkt bey dem gesprochenen Urtheil zu übergehen! – Aber die Rache wird diese Ruchlosen ereilen, und ihre Aussage wird Kunzmanns Bekenntniß bestätigen oder widerlegen, wie es die Wahrheit erfordert.

Widerlegen! schrie Herrmann, oder ich verdiene nicht der Verwandte des edlen Grafen von Unna zu seyn.

Du verdienst es, wie ich hoffe! rief der Greis, du sollst mein Verwandter, selbst mein [144] Sohn seyn, wenn die Zeit dich vor den Augen der Welt so rechtfertiget wie vor den meinigen! –

17. Kapitel. Herrmann zieht gen Italien
Siebzehntes Kapitel.
Herrmann zieht gen Italien.

Die Freunde verliessen den Grafen, um in der Einsamkeit die Erstlinge ihres Glücks zu geniessen. Also warst du mein Vertheidiger bey dem Grafen, nicht mein Ankläger wie ich meynte? rief Herrmann, als er sich von seinem ersten Erstaunen erholte.

Konnte der gutmüthige Herrmann sich doch endlich zu bösen Verdacht gegen seinen Ulrich hinreissen lassen? erwiederte von Senden.

Und also kann ich, darf ich dich künftig Freund und Bruder nennen, und du wirst nicht mehr den Unschuldigen verfolgen, und dein Ohr vor der Stimme der Wahrheit verschliessen?

Verschloß ich es je? Wahrheit und Unschuld strahlten mir in die Augen, Todesangst überfiel mich, wenn ich dich mit all deiner Liebenswürdigkeit vor mir sahe, wie du um meine Freundschaft warbst, mir aus vollem Herzen trautest, und der Gedanke in meiner Seele aufstieg, die Richter haben gerichtet, ich muß [145] ihn ermorden! Unaufhörlich, auch wenn du nicht um mich warest, schwebte dein Bild vor mir, bald bleich und blutig, bald lächelnd und bittend, im Auge den vollen Ausdruck der Schuldlosigkeit. – Mein Herz blutete, mein Verstand schwankte, tausendmal wär ich lieber gestorben, aber ich mußte thun, was ich that! – Doch laß uns die Augen auf ewig von dem Vergangenen abwenden! die Fesseln sind gebrochen, du vergiebst mir, und wir sind Freunde auf ewig!

Herrmanns Freude über das Herz, das er gewonnen hatte, wuchs mit der Dauer der Unterredung, aber Ulrich ward am Ende still und nachdenkend. Laß mich! sagte er zu seinem Freunde, ich vergesse, daß mir die Loszählung von meinem Eide erst auf künftige Nacht bevorsteht, und daß bis dahin unsere bisherige Lage noch nicht verändert ist.

Herrmann lächelte ein wenig über die strenge Gewissenhaftigkeit seines Bruders und verließ ihn, um Anstalten zu jener Abreise zu machen, deren Eil ihm der Graf so dringend empfohlen hatte, und die ihm nur darum anstößig war, weil sie den verhaßten Namen Flucht führte.

Was in dieser Nacht mit Ulrichen von Senden vorging, auf welche Art er aus der großen über die halbe Welt ausgebreiteten Gemeinschaft [146] der 12 Geheimnisvollen entlassen, auf welche Weise ihm Wille und Möglichkeit benommen wurde, in Zukunft an ihren Angelegenheiten Theil zu nehmen, oder irgend einen Gebrauch von der Wissenschaft derselben zu machen, dies blieb Herrmann verborgen, und so oft er in spätern Zeiten, als er Muth genug bekam, dieser Dinge in fröhlichen Stunden zu gedenken, eine scherzhafte Frage hierüber an Ulrichen wagte, so scheuchte ihn ein ernster Blick zurück, und gebot ihm Stillschweigen.

Des andern Tages fand Herrmann seinen Freund weit liebenswürdiger als je zuvor, sein Betragen war zutraulich und offen, seine Miene heiter und froh, und wenn der Ritter von Unna nicht von ohngefähr jene Dinge berührte, denen Ulrich diese Nacht entsagt hatte, so schien sich kein Geheimniß in seinem Herzen zu befinden, das er nicht geneigt gewesen seyn sollte ihm zu entdecken.

Selbst über seine ehemahlige, ach leider noch nicht ganz erloschene Liebe zu der reizenden Frau von Unna, und über seine seltsame Heyrath mit [147] Katarinen, sprach von Senden ohne Zurückhaltung. Er erzählte seine Geschichte mit ihr weitläuftiger als es nöthig und den Gränzen dieses Buchs angemessen ist, sie anzuführen. Katarine hatte tausend heimliche Künste genutzt den von Senden für sich einzunehmen, und seine ehemalige Geliebte, deren Namen sie nie erfuhr, aus seinem Herzen zu reissen. Unmuth, und vielleicht auch der Wunsch sich an der unerbittlichen Aleke zu rächen, hatten ihre Bemühungen erleichtert, und Zuredungen und heimliche Ränke dienstfertiger Mittelspersonen das ihrige gethan. Es lebte zu den damahligen Zeiten in jedem angesehenen Hause einer oder etliche Mönche, welche unter dem Titel der Beichtväter allerley Nebengeschäfte trieben, unter welchen die Stiftung unglücklicher übelgewählter Heyrathen nicht das geringste war; von ihnen schreibt sich wahrscheinlich noch das Sprüchwort her, daß Ehen im Himmel geschlossen werden, denn sie pflegten sich desselben allezeit bey den Bündnissen, die sie für gut hielten, zu bedienen. Ihre Geschicklichkeit übertraf alles, was die heutigen Heyrathsstifter verstehen, und was sie wollten, mußte ein Paar werden, es mochten sich auch die größten Hindernisse in den Weg legen. Pater Bonifax, Fräulein Katarinens Beichtiger, übte hier seine Gewalt unumschränkt aus, sie ward Frau von Senden, und das übrige blieb der Fügung des Himmels überlassen.

[148] Der Graf von Unna hatte binnen der Zeit von einem Jahre, welche Katarine aus Furcht vor dem Kloster in seinem Hause zubrachte, Muse genug gehabt, ihre böse Seite kennen zu lernen, die Kenntniß ihres Charakters befestigte das Urtheil, das er von ihrem ganzen Hause zu fällen pflegte, und er gönnte ihr die Hand des redlichen Ulrichs sehr ungern; aber was war zu thun, die Ehe war einmahl im Himmel geschlossen, und auch er mußte einwilligen. Leser, du kannst dir keine Vorstellung von der Gewalt machen, welche die Mönche in jenen unseeligen Zeiten auch über die besten aufgeklärtesten Seelen auszuüben wußten.

Mit recht zähle ich den alten Grafen von Unna unter einen der hellsten Köpfe seiner Zeit, wir haben sein Urtheil über die heimlichen Gerichte gehört, welches ohnstreitig ehe ins achtzehnte als in das funfzehnte Jahrhundert gehörte, dessen ohngeachtet fehlte es ihm nicht an Schwachheiten und Vorurtheilen. Sein unüberwindlicher Haß gegen die Herrn von Unna, seine Vettern, gehörte mit unter dieselben, er war in diesem Stück so hartnäckig, daß alles, was Herrmann zum Besten seiner Geschwister sagen konnte, übel aufgenommen ward, und leicht zu seinem eigenen Nachtheil hätte gereichen können.

Ulrich bat ihn in der Stille, einzulenken, und die Sache nicht zu weit zu treiben, du weißt [149] nicht, sagte er, wie nahe es dir schon war, daß du für den kleinen Anschein von gutem Verständniß zwischen dir und deinen Geschwistern, bey deinem ehrwürdigen Oheim hättest leiden müssen. Seine Worte: Es sey dir ein ganz anderer Empfang bestimmt gewesen, den nur ich verhindert hätte, die du ganz verkehrt auslegtest, waren nur allzuwahr. Der Graf, der dich immer geliebt hatte, ohne dich zu kennen, weil du mit seinen verhaßten Vettern in Uneinigkeit lebtest, der dir blos aus diesem Grunde alle Gnade erzeigt haben würde, war aufs äußerste wider dich aufgebracht, als er erfuhr, du wärest zu ihnen gereist, hättest sie ehe gesprochen als ihn, würdest von ihnen geliebt und mit Lustbarkeiten beehrt. Es kostete mir Mühe, die Vorurtheile, die er wider dich gefaßt hatte, zu tilgen, und es zu verhüten, daß du nicht so wie beschlossen war, ungehört von seiner Thür gewiesen wurdest.

Herrmann erkannte die neuen Verbindlichkeiten, die er Ulrichen hatte, und seufzte, daß auch die besten Charaktere nicht ohne Flecken sind. – Er hielt es in die Länge für schwer sich in die kleinen Eigenheiten des guten Geistes zu fügen und sah es nicht ungern, daß der Tag seiner heimlichen Abreise angesetzt war.

Herrmann hatte den Wunsch geäußert, nach Venedig zu den deutschen Rittern zu gehen, welche [150] damals eben einen Zug wider die Türken vorhatten, und der alte Graf hatte sich demselben nur darum widersetzt, weil er fürchtete, der geliebte Herrmann möchte daselbst seinen Bruder Johann von Unna antreffen, und dadurch in neue Verbindung mit dem ihm verhaßten Hause gerathen. Herrmann wußte, daß dieser Bruder, einer der geliebtesten unter seinen Geschwistern, den deutschen Orden trug, und konnte es sich nicht leugnen, daß der Wunsch ihn zu finden, ihn besonders nach Venedig zog, aber der kluge Ulrich beredete ihn, sich über diesen Punkt nie gegen den eigensinnigen Greis zu erklären, und auf diese Art geschah es, daß der alte Graf in alles willigte, was sein junger Vetter wünschte, und ihn zum Zuge wider die Türken so stattlich ausrüstete, als vielleicht noch kein Herr von Unna ausgerüstet worden ist.

18. Kapitel. Seltsame Nachrichten von der Gräfinn [..]
Achtzehntes Kapitel.
Seltsame Nachrichten von der
Gräfinn von Würtemberg.

So viel auch der Graf von Unna für seinen Neffen that, und vermöge seines Ansehens ungestraft thun konnte, so mußte doch alles unter dem Siegel des Geheimnisses geschehen. Herrmann war noch nicht frey von dem Bann, der ihn heimlich [151] verfolgte, die Schwerdter der Unsichtbaren waren noch immer wider ihn gezückt, und es hätten sich Fälle zutragen können, wo selbst sein Oheim mit aller seiner Macht ihn nicht hätte schützen können.

Der Graf und Ulrich mußten auf die Letzt eine solche Gefahr für ihren Liebling voraus sehen, denn seine Abreise ward mit der äußersten Schnelligkeit betrieben, und von Senden konnte sich kaum überreden, den geliebten Jüngling allein ziehen zu lassen.

Herrmann erinnerte ihn an seine Kinder, die in seiner Abwesenheit ganz der Zucht einer schlechtdenkenden Mutter überlassen bleiben würden, er erinnerte ihn, daß die Einsamkeit die Verbergung seiner Flucht leichter machen würde, und Ulrich gab nach, umarmte seinen Freund und ließ ihn allein ziehen. – Die Leute und das Gepäcke, welches der Graf von Unna seinem Vetter mitgab, wurden um mehrerer Sicherheit willen voraus nach dem Orte seiner Bestimmung gesandt. –

Herrmann hatte sich von jeher zu nichts schlechter geschickt als zum Fliehen, er vergaß gänzlich, daß seine Reise den Namen einer heimlichen Entfernung führte und führen mußte, und setzte sie mit so vieler Ruhe fort, als ob er keine Gefahr zu fürchten habe; das einige was er zu seiner Sicherheit that, war, daß er eine Verkleidung [152] wählte, in welcher er es allenfalls wagen konnte, sich mitten unter seinen Verfolgern sehen zu lassen, und jeden Weg zu reisen, den ihm sein Herz vorschrieb.

Können meine Leser wohl noch zweifeln, welcher dieses war? Liebe und Freundschaft zogen ihn nach Nürnberg, wo er Herzog Albrechten wußte und seine Ida noch vermuthete, ihn war noch nichts von dem bekannt, was der Gräfinn nach seinem Abzug begegnete. Er wußte nicht, daß der kühne Streich, den sie zu seinem Besten wagte, die Belauschung der Geheimnisse jener fürchterlichen Unbekannten, die traurigsten Folgen für sie hatte, ihren Vater, und bald darauf auch sie selbst nöthigte zu fliehen, um der Rache zu entweichen.

Herrmann wußte alle Zugänge des Pallasts, welchen Herzog Albrecht bewohnte, sein erster Gang, als er die Stadt betrat, wo er alles vermuthete was er liebte, war zu ihm, und er stand vor ihm ehe er sich es versahe, ehe ein Kämmerling, deren überdies die Fürsten in jenen Zeiten nur wenige hatten, seine Ankunft meldete.

Herrmanns Verkleidung täuschte seinen erhabenen Freund nur kurze Zeit, nicht lang, so schloß er ihn in seine Arme, und die Worte: Herrmann! theurer! geliebter! unglücklicher Unna! stürzten aus seinem Munde.

[153] Warum unglücklich? fragte der Jüngling. Stehe ich nicht vor meinem geliebten Fürsten? werde ich nicht meine Ida sehen, wenigstens von ihr hören? – wird die Aussicht in die Zukunft mir nicht immer heiterer? o theurer Herzog! Dank euch, daß ihr mich zu meinem ehrwürdigen Verwandten sandtet! welch ein Mann! was hat er bereits für mich gethan! was verspricht er mir in der Folge! ich soll sein Sohn seyn, wenn meine Unschuld an den Tag kömmt, welche ihm bereits so gut als erwiesen ist. Was für Hoffnung für meine Liebe! – Glaubt ihr wohl, daß der Graf von Würtemberg seine Tochter dem Sohne seines alten Freundes, des Grafen von Unna, versagen wird?

Herrmann! rief der Herzog, Freude und Hofnung berauschen dich, du lebst mit deinen Gedanken nur in der Zukunft und siehst nicht den Abgrund, der sich zu deinen Füßen eröfnet. –

Ein Abgrund? – Gut, ich verstehe euch, ich bin hier nicht sicher. Aber nur einen Tag, mein theurer Fürst, nur einen, euch mein Glück zu erzählen – und – und wo möglich Ida zu sehen! –

Ida? – wo ist sie? – Weißt du, wo sie ist? – Ach sie mußte fliehen, ich gab ihr Leute zu, sie an einen Ort der Sicherheit zu bringen, und heute bekomme ich Post, daß ihre Begleitung [154] allein zu Regensburg angelangt, daß sie von ihr getrennt worden ist! Ach Ida ist vielleicht in den Händen ihrer Feinde! ist vielleicht schon todt! – Herrmann, Herrmann! was sollen wir thun unsere Freundinn zu retten!

Der Kummer des Herzogs über den Verlust der Gräfinn war fast so groß als das Entsetzen, welches Herrmann überfiel, als er so unvermuthete, so schreckliche Bothschaften hörte!

Der Entschluß, den man faßte, als man zu ruhiger Ueberlegung kam, war: Herrmann sollte sich unvorzüglich nach Regensburg aufmachen, selbst von diesen Dingen Erkundigung einzuziehen, und nach Maaßgabe dessen zu handeln, was er finden würde. Herzog Albrecht gab ihm eine kurze Nachricht von dem, was sich in seiner Abwesenheit mit Ida und ihrem Vater zugetragen habe, und der bestürzte Jüngling reiste ab – – – –

Das Gerücht von der Rückkunft der Reisigen, welche Ida nach Ungarn hatten begleiten sollen, war gegründet, und bald ward auch Herrmannen die Ursach klar, warum sie zu Regensburg verweilten, und ihrem Herrn die Nachricht von dem, was ihnen und der ihrem Schutze befohlnen Gräfinn begegnet sey, nicht selbst brachten. Unsern Lesern Licht in diesen Dingen zu geben, sind wir genöthigt einen Theil der Erklärung herzusetzen, welche der [155] Führer von Herzog Albrechts Leuten dem fragenden Herrmann hierüber ertheilte.

Die Dame, sagte er, welche unserm Schutz befohlen ward, ist so zu sagen selbst Schuld an ihrem Unglück, sie hat nicht für gut gefunden den Weg zu ziehen der uns vorgezeichnet war, und da ists nun so gegangen, wie es geht, wenn die Weiber klüger seyn wollen als ihre Rathgeber. – An den Gränzen von Oesterreich kam uns das Gerücht entgegen, König Wenzel sey aus der Gefangenschaft entkommen, und die Böhmen seyen nicht ungeneigt, ihn von neuem auf ihren Thron zu heben. Die nächste Nachricht bestätigte dieses, man versicherte, Wenzel und seine Gemahlinn haben schon ihren Einzug zu Prag gehalten, die Huldigung von ihren Unterthanen von neuem angenommen, und das ganze Land erschalle von fröhlichen Festen, die glückliche Begebenheit zu feyern. Ihr wißt, was das Gerücht von Lustbarkeiten für einen Eindruck auf Weiberherzen macht; unsere Dame änderte den ganzen Reiseplan, und die alte Kunigunde, ihre Begleiterinn, bestärkte sie in ihren Einfällen. wir wurden nicht gehört und die Reise nach Prag ging vor sich. –

Herrmann konnte errathen, daß nicht Begierde nach Lustbarkeiten, sondern das Verlangen ihre Pflegeltern und die geliebte Sophie zu sehen, seine Ida nach Prag getrieben hatte, und der Erzähler [156] fuhr fort. – Wir langten zu Prag an. Unsere Dame hielt sich eingezogen, und es ward uns leicht sie, die unser Herr uns so sehr anbefohlen hatte, in guter Obhut zu behalten. Sie lebte meistens in einem kleinen Bürgerhause, kam nicht nach Hofe, sondern ließ der Königinn ihre Anwesenheit kund thun, und ward von ihr besucht. – Wir fanden, daß es ihr um die rauschenden Feste, welche dort gefeyert wurden, nicht so viel zu thun seyn muste als um den Umgang der Königinn. Die beyden Damen fuhren oft zusammen aus, aber ihr Weg ging immer nicht weiter als in die unerbaute Mathäus Kirche oder in das Kloster 13 Bethlehem. Sophie scheint durch ihr Unglück sehr andächtig geworden zu seyn, und unsere Dame fügte sich sehr gut in ihren Geschmack. – Ihre beyderseitigen geistlichen Uebungen mußten dem rechten Glauben nicht ganz gemäß seyn, sie machten den Erzbischoff Subinko aufmerksam, und wir hatten Spuren, daß unserer Dame, welche man anfing für eine Verführerinn der Königinn zu halten, von der Geistlichkeit nachgestellt wurde. Alle unsere Vorsicht konnte nicht verhindern, daß sie eines Morgens auf den Wegen, die sie mit der Königinn zu machen pflegte, und auf welchen wir sie nie begleiten [157] durften, in die Hände ihrer Verfolger gerieth. Alle unsere Bemühungen den Ort zu entdecken, wohin man sie gebracht habe, waren vergebens. Ich ward drey Tage nach ihrem Verlust zur Königinn gefordert, welche eben so besorgt um unsere Dame war als wir selbst. Beruhigt euch, sagte sie, und leset diesen Brief, den ich eben erhalten habe, behaltet ihn und laßt ihn euch zu Erinnerung dessen dienen, was eure Gebieterinn von euch fordert.

Der Erzähler zog bey diesen Worten einen Brief hervor, in welchem Herrmann Züge von der Hand seiner Ida erkannte; er küßte sie, und las folgendes:

»Beruhiget euch, theure Königinn, eure Ida ist außer Gefahr, das ganze Unglück, das mir widerfährt, ist, daß ich in ein Kloster nach Ungarn gebracht werde. Dieses Land war es ja, wohin mich meine Sicherheit und Herzog Albrechts Angelegenheiten bestimmten, selbst meine Verfolger müssen mir die Hand bieten mich an den Ort zu führen, wohin mich das Schicksal ruft. Ich bitte, entlasset meine Begleiter, und heisset sie nach Regenspurg eilen. Ein sonderbarer Zufall entdeckt mir, daß einer von denen, welche ich am meisten liebe, sich dort in einem Zustande befinde, welcher ihm Hülfe nöthig macht; sollte es vielleicht mein Vater, sollte es Herrmann seyn? –

[158]

Die Reisigen müssen einige Tage an dem Orte verweilen, den ich ihnen bestimme, und durch sorgfältiges Nachforschen das zu erfahren suchen, was ich ihnen nur undeutlich melden kann.

O Sophie, Sophie! wenn? wo werden wir uns wieder sehen!«

Und was habt ihr gethan, fragte Herrmann mit Höflichkeit, den Befehl der Gräfinn zu vollziehen. Nichts, antwortete der Anführer lachend, als auf das Geschäft gewartet, welches wir hier haben sollen, und welches sich ohne Zweifel uns von selbst darbieten muß, weil wir nicht geschickt genug sind, Nachforschungen nach ganz unbestimmten Dingen anzustellen! –

Die Liebe der Ritter gegen ihre Damen war in jenen Zeiten noch enthusiastisch genug, ihnen die kleinsten Winke derselben zu Gesetzen zu machen; ein angeblicher Traum der schönen Ida war ehemals kräftig genug gewesen, den Ritter, dessen Wahlspruch war; Die Unschuld fliehet nie! in die weite Welt hinaus zu treiben; kann man sich wundern, daß die räthselhaften Worte ihres Briefs alle seine Kräfte in Bewegung setzten, zu ersinnen, nachzuforschen, auszurichten was sie verlangte? – Seine Gegenwart war fähig alles in Bewegung zu setzen. Die trägen Ausrichter von Idas Befehlen wurden durch seinen Antrieb lebendig, [159] und nicht ein Tag verging, als man schon wußte, daß der sonderbare Zufall, Gesicht, Prophezeyhung, Ahndung oder was es seyn mochte, der ihr Regenspurg als den Leidensort eines ihrer Freunde bezeichnete, so wenig gelogen hatte, als jener wachende Traum von Herrmanns Beurtheilung vor dem heimlichen Gerichte. – – –

Der Graf von Würtemberg, Idas Vater, hatte, wie wir wissen, Nürnberg verlassen, um nach Italien zu flüchten, und sich daselbst einige Zeit wegen gewisser Verdrüßlichkeiten, die er gehabt hatte, zu verbergen. Er war ein Mann von zu grosser Bedeutung, und seiner heimlichen Feinde waren zu viel, als daß er seinen Weg an den Ort, den er zur Sicherheit gewählt hatte, ungestört fortsetzen konnte.

Die Wahrscheinlichkeit, daß er, wenn er sich länger zu Nürnberg aufhalten sollte, vor allen andern Kandidaten zur Kaiserwürde gewählt werden würde, war nicht gering. Ihn nicht allein von da zu entfernen, sondern ihn auch so lang abwesend zu erhalten bis eine andere Wahl geschehen sey, mußte das einmüthige Bestreben aller seiner Gegner seyn. Wer sich zu Erreichung dieser Absicht unter allen, auf welche man rathen kann, am würksamsten erwieß, ist nie kund worden, aber so viel ist gewiß, daß der Anschlag glückte, [160] daß Graf Eberhard auf seiner Reise von Unbekannten feindlich überfallen ward, und jetzt würklich zu Regenspurg gefangen saß.

Die Reichsstädte waren die alten erklärten Feindinnen des Grafen von Würtemberg, sie boten gern zu den Anschlägen seiner andern Widersacher die Hand, eine Jede von ihnen hätte gern hiebey die erste Rolle gespielt, und die stolzen Bürger von Regenspurg triumphirten nicht wenig, daß sie es waren, denen es glückte, ihren alten Hasser in ihre Gewalt zu bekommen; ihnen mußte vorzüglich daran gelegen seyn, daß Eberhard nie zur Kaiserkrone gelangte.

Man trotzte zu Regenspurg auf eigene Macht und auf mächtigen Beystand, man hielt es nicht der Mühe werth aus Graf Eberhards Gefangenschaft ein Geheimniß zu machen, und Herrmann hatte keine große Mühe nöthig, zu erfahren was hier für ihn zu thun sey. Wir getrauen uns nicht zu entscheiden, ob nicht der Ritter der treuen Minne mehr Freude als Schrecken über die erste Nachricht von der Gefangenschaft des Grafen von Würtemberg empfand. Den Vater seiner Geliebten zu befreyen, welch ein Gedanke! und Eberhards Befreyung war in seinem Sinn so gewiß als seine Gefangenschaft! war beydes zusammen für ihn nur eine Idee!

[161] Wie manche Dame wird vom Schicksal nur darum in Feuer und Wasser geworfen, damit ihr Liebhaber sie befreyen könne; war es nicht vielleicht möglich, daß hier ein harter Vater nur darum in Noth gerieth, damit seine Befreyung sein Herz gegen den helfenden Jüngling erweichen möge? – Herrmann glaubte dieses so fest als sein Evangelium. Tausend Anschläge wurden gemacht seine Absicht zu erreichen, tausend verunglückten, aber er ward nicht muthlos. Zwar vergieng viel Zeit unter den vergeblichen Bemühungen, zwar setzten unterdessen Jodokus aus Mähren und Rupert von der Pfalz die Kaiserkrone auf, und an Graf Eberhardten ward nicht mehr gedacht, aber endlich endlich war doch das Glück dem tapfern Herrmann günstig und Idas Vater lag befreyt in seines Retters Armen.

Graf Eberhard dankte dem Ritter von Unna mit Rührung, er nannte ihn mit dem süssen Namen Sohn, dem Herrmann vielleicht eine weitläuftigere Deutung gab als dieser damals im Sinne hatte, aber – doch konnte er ihm nicht bergen, daß ihm seine Rettung lieber gewesen seyn würde, wenn sie einige Monate früher geschehen wär. – Für mich ist hier nichts mehr zu thun, sagte er, bis etwa Deutschland seinen neuen Herrn wieder überdrüssig wird; aber werde ich dieses auch erleben?

[162] Herrmann, der es eben nicht sonderlich gern gesehen haben würde, wenn Ida die Tochter eines Kaisers geworden wär, schwieg zu diesen Dingen, und wünschte heimlich Kaiser Ruperten langes Leben, und nach seinem Tode Siegmunden die Krone, indessen Graf Eberhard traurig neue Anstalten zur Reise nach Italien machte, und es nicht ungern zu hören schien, daß der Ritter von Unna ihn dahin begleiten wollte. – Herrmanns Eifer für seine Befreyung, die Gnade, die er vor den Augen des Grafen von Unna gefunden hatte, die Hoffnung auf seine wahrscheinliche künftige Rechtfertigung, und vor allen die Vernichtung seiner eigenen hochfliegenden Entwürfe machten, daß der Graf den Liebhaber seiner Tochter mit günstigern Augen betrachtete als zuvor, und es sich zuweilen als möglich dachte, ihn einst seinen Eidam zu nennen.

Welch ein Triumph für den Jüngling, wenn er dann und wann einmahl einen solchen Gedanken aus seinen Worten oder aus seinen Blicken schliessen konnte! Freudig ward die Reise nach Italien angetreten, und Herzog Albrechts Reisige, deren man nicht mehr bedurfte, wurden ihrem Herrn zurück gesandt.

Der entzückte Herrmann sorgte fast für nichts mehr, als für seine Ida, doch glaubte er unter [163] einer besondern Protecktion einer wohlthätigen Macht zu stehen, die auch sie zur bestimmten Stunde in seine Arme zurück führen würde.

19. Kapitel
Neunzehntes Kapitel.

Der Bericht, welchen der Anführer von Herzog Albrechts Leuten, Herrmann von den bisherigen Schicksalen seiner Geliebten gegeben hatte, war vollkommen richtig, aber er hatte seine Lücken, und unsere Leser werden uns erlauben, dieselbigen auszufüllen.

Das Gerücht von dem wiederaufblühenden Glück der geliebten Sophie war ihrer Freundinn Ida an den österreichischen Gränzen entgegen gekommen, und das Verlangen Theil an dem Triumph der wiedereingesetzten Königinn zu nehmen, hatte die Gräfinn bewogen, den Reiseplan, den ihr Herzog Albrecht aus weisen Ursachen vorgeschrieben hatte, zu ändern, und sich auf den Weg nach Prag zu machen.

Sie trat in dem Hause ab, das sie noch immer so gern die Wohnung ihres Vaters nannte, und wer kann das Entzücken beschreiben, das ihre Erscheinung daselbst anrichtete! Die gutherzige Münsterinn dachte vor Freude zu sterben, ihre Ida [164] als Gräfinn von Würtemberg und doch noch immer so zärtlich, so kindlich gegen sie gesinnt wie zuvor, wieder zu erblicken. Fast leblos vor Wonne lag sie in den Armen ihrer Tochter, wie die Gräfinn sich noch immer von ihr wollte nennen hören; Idas Thränen flossen in die ihrigen, Thränen der Liebe, des Danks, und mancher frohen und wehmüthigen Erinnerung.

Wo ist mein Vater? rief die Gräfinn, als Thränen und Liebkosungen ihr Zeit zu einer Frage ließen. Die Münsterinn, ohne zu zweifeln wer mit dieser zärtlichen Benennung gemeynt sey, schickte eine treue Magd nach der Matthäuskirche, wo Münster die Aufsicht über den Bau des Hochaltars führte, um ihn abzurufen, ohne die Ursach seiner Abforderung zu melden, aber sie eilte zu Ida zurück, von der sie sich ungern einen Augenblick trennte. Sie saßen neben einander. Mariens Hand ruhte in dem Schoße ihrer Pflegetochter und ward von der Ihrigen festgehalten. Idas Arm umschlang den Nacken ihrer Mutter, ihre Augen waren mit dem Ausdruck unbeschreiblicher Zärtlichkeit auf sie gerichtet, nur wenig Worte wurden gewechselt, aber Thränen und Blicke vertraten die Stelle.

So fand sie der alte Münster. Ida stand auf ihn in ihre Arme zu schließen. Die Scene der sprachlosen Zärtlichkeit erneuerte sich, und erst [165] spät in die Nacht hub jene süße vertrauliche Unterhaltung zwischen den glücklichen Dreyen an, die jeder meiner Leser sich malen kann, welcher Jahre lang von seinen Lieben getrennt war, entfernt von ihnen tausenderley Glück und Unglück erfuhr, das er ihnen nun beym Wiedersehen gern auf einmal vor Augen legen, auch ihre Schicksale hören, und alles alles nachholen möchte, was er bisher versäumen mußte. Das Verlangen, den redlichen Münster und seine Gattinn zu sehen, war vielleicht die Hauptursache der Reise nach Prag, aber nicht die einzige gewesen. Auch Sophie war ein Gegenstand von Idas Sehnsucht. Aber wie sollte sie vor ihr erscheinen? – Sie war in einer Verfassung, welche es ihr verbot, sich öffentlich bey Hofe zu zeigen. – Münster, der seiner Königinn bekannt war und von ihr geschätzt wurde, übernahm das Geschäft, ihr die Anwesenheit der Gräfinn von Würtemberg und ihre Wünsche zu melden. Sophie kam denselben entgegen; sie erklärte sich, sie wolle zu besserer Geheimhaltung der Gegenwart ihrer Freundinn sie nie anders als in dem Hause ihrer Eltern sehen, und diesen Abend sie in Begleitung einer einigen Dame besuchen.

Sophiens sanfter milder Charakter war durch langes Leiden noch mehr veredelt worden. Das Unglück hatte allen Stolz in ihr getilgt, sie hatte [166] zu sehr erfahren, wie ein zufälliges vorübergehendes Gut die Krone sey, als daß sie jetzt, da sie sie von neuem trug, an den kleinen armseligen Ceremoniel hätte hängen sollen, das mit derselben verbunden war. Sie hielt sich nicht für zu erhaben, die Wohnung eines geringen Bürgers zu besuchen. Freundschaft führte sie in Münsters Haus, so wie sie Mildthätigkeit und Menschenliebe oft in noch weit niedrigere Hütten führten. Ida lag in Sophiens Armen, Thränen der Freude strömten aus beyder Augen, aller Unterschied des Standes war vergessen, die Königinn fühlte das Glück eine wahre Freundinn an ihren Busen zu drücken so lebhaft, daß ich glaube, sie hätte sich mit gleicher Herablassung betragen, wenn die, welche sie liebte, auch nicht die Gräfinn von Würtemberg, wenn sie blos Ida Münsterinn gewesen wär.

Vertrauliche Gespräche gingen von Mund zu Mund. Sophie erzählte die lange Geschichte ihres Leidens, und beschloß sie mit der traurigen Bemerkung, wie wenig der Urheber derselben, ihr Gemahl, durch das, was er auch gelitten hatte, gebessert sey. Der einige Gewinst, den sie von den Trübsalen hatte, die ihr an seiner Seite zu Theil wurden, war etwas mehr Liebe und Achtung als sie im Anfange ihrer Ehe von ihm genoß. Wenzel hätte noch weniger Mensch seyn müssen als er war, wenn nicht seine treue Leidensgefährtinn, seine [167] Freundinn, seine Trösterinn, eine Art von Dankbarkeit in seinem Herzen hätte erregen sollen.

Das Gerücht sagte, wie wir bereits gehört haben, von Sophien, sie sey durch ihre Leiden andächtig geworden, und wir können ihm nicht ganz widersprechen. Sophie war andächtig, war vielmehr ernst, aber nicht das, was man bigott nennt. Wem sind die Geschichten des Märtyrers der Wahrheit, des redlichen Johann Huß nicht bekannt? Er fing in den damaligen Zeiten an zuerst aufzutreten; seine Reden waren ganz anders als die der Pharisäer und Schriftgelehrten seiner Zeit. Die Königinn liebte ihn und hörte ihn gern. Die Aufmerksamkeit des Erzbischofs verhinderte, daß sie hierinn nicht allemahl so handeln konnte wie sie wollte, aber der geheime Umgang mit Ida machte, daß sie anfing unter der Decke der Verborgenheit sich auch hierinn mehr zu erlauben als zuvor.

Im schlechten bürgerlichen Gewande, oft ohne alle Begleitung, oft zu Fuß, besuchte die Königinn ihre Freundinn, und beyde traten denn den Weg nach der Matthäuskirche an, wo der Prediger der Wahrheit sich hören ließ. Sophie war in ihrer geringen Tracht nicht so von ihrer Hoheit entkleidet, daß man sie nicht hätte kennen sollen, sie und die schöne Fremde, welche man immer an ihrer Seite sah, erregten Aufmerksamkeit; die Prager [168] Bürgerinnen freuten sich ihre Königinn bey ihren Andachtsübungen mitten unter sich zu haben. Hussens Beyfall vermehrte sich, vornehmlich bey dem weiblichen Geschlecht. Mehrere Damen von Stande machten sich es zur Ehre, ohne allen Schmuck, gleich den ersten Bekennerinnen des Christenthums, in seinen Predigten zu erscheinen, und die Geistlichkeit schrie mit tausend Zungen über den Unfug.

Münsters geschickte Hand hatte bey Ausschmückung der Kirche, wo Huß predigte, ein Meisterstück geliefert, welches aber so beschaffen war, daß nur wenige es sehen durften, und daß es daher in einer abgelegenen Halle verschlossen ward. Verschiedene Gruppen der herrlichsten Bildsäulen, die Italiens Schüler Ehre machten, stellten hier den großen Stifter des Christenthums in den heiligsten Stunden seines Lebens, und auf der andern Seite den Bischoff von Rom mit aller Pracht der Könige umgeben, im Gefolg seiner Kardinäle vor. Welch ein Gegensatz! – Ida beredete ihren Vater es der Königinn zu zeigen. Sophie war entzückt ein Bild wirklich vor Augen zu sehen, das Huß so oft in seinen Reden mit ziemlich kühnen Worten entwarf. Ein künstlicher Mahler mußte dies Meisterstück im Kleinen nachbilden, und die Königinn gab ihm einen Platz in ihrem geheimen Betzimmer. Huß [169] fuhr fort, auf die Sitten der damaligen Geistlichkeit zu schmähen, er spielte oft auf Münsters herrliche Arbeit an, mehrere Personen bekamen sie zu sehen, mehrere ließen sie nach Sophiens Beyspiel nachbilden, und dieses Stück ward bald die öffentliche Zierde der Speisesäle und Betzimmer in unterschiedlichen Privathäusern. Wuth und Rache kochte in dem Herzen der Geistlichkeit, alle sahen auf die Königinn und nannten sie die Ernährerinn dieses Unfugs, aber sie saß zu hoch um sich an ihr zu rächen, und man fand es bequem, ihre Freundinn Ida für ihre Verführerinn zu halten, und die Sache auf sie zu kehren. Huß ward indessen immer öffentlicher angefochten, es kam zu einem Reichsstreit, welcher, weil die Bestechbarkeit Wenzels bekannt war, ihm sehr ansehnliche Geschenke eintrug. Wenzel war nicht undankbar; er sah Hussen als den 14 ersten Urheber dieses Zuflusses in seinen Schatz an, und machte ihn zu seinem Beichtvater. Die beyden schönen Ketzerinnen Ida und Sophie wurden kühner, und auf diese Art geschah es, daß Ida, als sie einst die Reden ihres Lieblingslehrers allein besucht hatte, sich in den Händen des Erzbischofs Subinko befand, ehe es ihr nur einfiel, Gefahr zu ahnden.

[170] Ida ging in tiefen Gedanken nach Hause, als sie in die Gewalt ihrer Verfolger gerieth, sie hatte ein Privatgespräch mit Huß gehabt, welches ihre ganze Seele einnahm. Huß war kein Prophet, aber der große Einfluß, den er überall hatte, sein gewaltiger Anhang durch das ganze teutsche Reich machte, daß ihm Dinge bekannt wurden, welche andern verborgen blieben. Er kannte Ida als die Gräfinn von Würtemberg, er wußte Graf Eberhards Unglück und hatte ihr diesen Abend gesagt, sie solle auf Rettung für den denken, welcher ihr auf der Welt am liebsten wär, und der von seinen Feinden zu Regensburg gefangen gehalten würde. Der fromme Mann glaubte sehr deutlich geredet zu haben; er wußte nicht, daß ein schönes Mädchen wohl einen Mann kennen könne, der ihr so lieb als ihr Vater, und daß sie bey einer solchen Rede zweifelhaft werden müsse, welcher von beyden gemeynt sey.

In den Zweifeln, welche hierüber ihr Herz bestürmten und in dem Vorsatz, den heiligen Mann des andern Tages genauer zu fragen, ging sie vor sich hin und sahe die Gewappneten, welche sich ihr entgegen stellten, ohne Furcht, merkte erst dann, daß sie um ihrentwillen hier wären, da das Schreyen um Hülfe schon zu spät war.

Sie ward vor den Erzbischoff geführt, hörte eine ernste Vorhaltung ihrer Ketzerey und das Urtheil, [171] sie solle nach Ungarn in ein Kloster gebracht werden, mit ziemlicher Gleichgültigkeit an. Nur die Sorge ihrer Freunde um sie machte ihr einigen Kummer, der sich sehr vermehrte, als es ihr einfiel, daß es ihr nunmehr unmöglich seyn würde, etwas zu Rettung desjenigen zu thun, von dessen Gefahr ihr einige Winke gegeben worden waren.

Doch auch hieraus wußte sie sich zu helfen. Ein kostbarer Ring bestach einen von ihrer Wache, brachte den Brief, den wir oben erwähnt haben, in Sophiens Hände, und machte Herrmannen zum Retter ihres Vaters. – Sie hofte das, was wirklich erfolgte, die Ausrichtung ihres unbestimmten Auftrags, und trat ihre Reise mit doppelter Ruhe an, weil sie sie an einen Ort führte, an welchen sie ohnedem gedacht hatte.

Sie fürchtete sich nicht vor ewiger Einkerkerung an dem Orte, wohin man sie bringen wollte, sie hatte keinen Begriff davon, daß man eine Person, welche eigentlich nichts verbrochen hatte, so hart strafen könne, sie hofte in ihrem künftigen Aufenthalte immer einer gewisseren Freyheit zu genießen und vielleicht daselbst ihre Geschäfte eben so gut ausrichten zu können, als wenn sie unter Herzog Albrechts Schutz nach Ungarn gekommen wär; wer kennt nicht die Hofnungen der unerfahrnen Unschuld! Ida wußte ja wenigstens dies, [172] daß sie sich hier nicht unter der Gewalt des heimlichen Gerichts (für sie das einige Schreckliche in der Welt) befand. –

Wir finden es schicklich unsere Leser hier von den Aufträgen zu unterrichten, welche der Herzog von Oesterreich seiner Freundinn bey ihrer ersten Abreise aus Nürnberg gab. Sie betrafen die unglückliche Königinn Marie von Ungarn, König Siegmunds erste Gemahlinn, welche man bisher für tod gehalten hatte, und von deren Leben Herzog Albrecht durch Herrmannen einst einige Winke bekam. Der jungen Prinzessin Elisabeth von dem Leben ihrer Mutter Nachricht zu geben, mit ihr vereint sich zu bemühen das Kloster ausfindig zu machen, in welchem die Königinn Marie lebte, dieses war das hauptsächlichste, was Albrecht von der Gräfinn von Würtemberg in jenen Stunden des Abschieds forderte. Er legte ihr Plane vor, nach welchen sie bey diesen Nachforschungen zu Werke gehen sollte, und wir haben schon damahls bemerkt, daß sie ihr schwer auszuführen dünkten. Ihr war es lieber, nicht an dieselben gebunden zu seyn, und bey Betreibung dessen, was ihr selbst am Herzen lag, so handeln zu können, wie es Zufall und Gelegenheit gab. Auch hielt sie es für grausam, einer unglücklichen Tochter mit dem Leben ihrer Mutter zu schmeicheln, ehe man wüßte, ob man ihr das, was man versprach, würde wahr machen [173] können, eine mit kindlicher Liebe erfüllte Seele in Ungewißheit wegen des Schicksals der Urheberinn ihres Daseyns zu setzen, ohne im Stande zu seyn, ihre Unruhen heben zu können. Ida kannte die Qualen kindlicher Besorgnisse und aus diesen und ähnlichen Gründen war es ihr in manchen Augenblicken fast lieber, daß sie nicht auf die Art nach Ungarn kam, wie anfangs beschlossen war.

Sie hatte sich bey dem Erzbischoffe, als er ihr ihr Urtheil sprach, die Freyheit ausbedungen, den Ort, den man ihr zum Aufenthalt bestimmte, wenn er ihr misfiel, mit einem andern Kloster verwechseln zu können, und er hatte kein Bedenken getragen ein Versprechen zu geben, das er ja jeden Augenblick zurück nehmen konnte. Dieses waren die festen Stützen, auf welchen die Hoffnung der armen Ida ruhte. Sie glaubte auf diese Art unterschiedliche Klöster durchlaufen zu können, ohne daß jemand etwas muthmassen, ohne daß man ihr irgend etwas vorwerfen könne, als allenfalls ein wenig Unbeständigkeit. Hätte sie dann diejenige gefunden, die sie suchte, so sollte eine Bothschaft der Prinzessinn Elisabeth das Leben und den Aufenthalt ihrer Mutter kund thun, Herzog Albrecht und seine Verlobte würden dann, wie sie meynte, herbeyeilen, die Gefundene und die Finderinn frey zu machen, und – und man würde glücklich seyn.

[174]
20. Kapitel. Mancherley
Zwanzigstes Kapitel.
Mancherley.

Ida hatte gute Zeit auf einer langen Reise Plane zu entwerfen, und sich mit Hoffnungen zu schmeicheln, welche gleich in den ersten Tagen ihres Aufenthalts im Kloster zu Sankt Annen, wohin sie gebracht ward, zu schwanken begunnten.

Das Kloster der heiligen Anna lag in einer von der Natur ganz vernachlässigten Gegend. Die hohen Gebürge, die dichten Tannenwälder, in welchen es sich versteckte, konnten keine andern Empfindungen als Gram und Schwermuth nähren. Das tiefe enge Thal, in welchem sich die Klostermauren erhuben, verwehrte jede freye die Seele erhebende Aussicht, das Herz schien sich zu verengen bey der traurigen Einförmigkeit der Gegenstände, die sich hier dem Auge darboten, Unmuth und Menschenhaß saß auf allen Gesichtern, die man hier erblickte, und auf allen Sälen, allen Gängen in der Kirche wie in den Gärten, in den Zellen wie in den Erholungszimmern schlich Aengstlichkeit und Langeweile.

Ida hatte, wie sie meynte, in wenig Tagen das ganze Kloster ausgelernt, und sich überzeugt, daß hier nicht die entfernteste Vermuthung von dem [175] sey, was sie suchte; eine Entdeckung, welche sie sehr schnell aus ihrem traurigen Aufenthalte getrieben haben würde, wenn sie es nicht dem Wohlstande gemäß gehalten hätte, wenigstens einige Wochen an einem Orte zu verweilen, wo man ihr mit ziemlicher Achtung begegnete, und ihr keine Ursach zu einer Klage gab, als diejenigen, welche alle Klosterfrauen mit ihr gemein hatten.

Die Zeit, welche sich die bescheidene Ida bestimmt hatte, vergieng, ohne daß ihr Herz sich an eines der Altagsgesichter, welche ihr hier überall begegneten, hätte fesseln, ohne daß sie eine einige Person hätte finden können, mit welcher es sich auf eine offene oder verdeckte Weise über die Dinge hätte sprechen lassen, welche ihr wichtig waren. Nicht einmahl von den umliegenden Klöstern konnte sie eine befriedigende Nachricht erhalten, nach welcher sie ihre Wahl hätte einrichten können, wenn sie, wie sie gesonnen war, ihren Entschloß, ein anderes Kloster zu beziehen, bekannt machte. –

Alles was man ihr sagte, war, daß sich in der Nachbarschaft ein Kloster der heiligen Nikola befände, welches auf gewisse Art dem Annenkloster unterworfen wär, daher auch die Schutzheilige desselben verbunden sey jährlich einen Besuch bey Sankt Annen ihrer Patroninn zu machen; ein Tag, dem man nächstens entgegen sähe und bey [176] welchem diesesmahl alle Jungfern jenes Klosters ihre Heilige begleiten würden, weil eine Art von Jubelfeyer sie verbänd, der Aebtissinn von Sankt Annen ihre Devotion zu bezeigen.

Diese Erzählung wurde der Gräfinn mit einer Art von Triumph gemacht, und sie vermochte nicht zu urtheilen, ob Freude über den Anschein einer Art von Herrschaft über andere, oder blos das Vergnügen endlich einmal einen Tag zu sehen, der sich durch irgend etwas von seinen langweiligen Brüdern auszeichnete, das Gesicht der Erzählerinn beseelte.

Gern hätte Ida diesen schwachen Sonnenschein, den ersten, den sie in den Augen einer dieser traurigen Jungfern erblickte, einer edlern Ursach zugeschrieben, gern hätte sie geglaubt, man sähe den Ankommenden als lang nicht gesehenen Freundinnen entgegen, aber sie hatte der Damen der heiligen Nikola schon so oft auf eine misbilligende Weise erwähnen hören, daß sie diese Vermuthung nicht fassen konnte.

Der Tag der feyerlichen Prozession erschien, der, wie Ida beschlossen hatte, einer ihrer letzten in diesem Kloster seyn sollte, und die ganze Schwesterschaft rüstete sich, die Kommenden zu empfangen. Die Zurüstungen, welche man machte, bestanden nicht in Hervorsuchung der besten Bewirthung, [177] nicht in Aufheiterung dieser finstern nie lächelnden Besichter, nicht in Ausschmückung der traurigen Zellen, im Gegentheil bemerkte Ida, daß heute die Schleyer noch fürchterlicher aufgethürmt, die Stirnen noch tiefer in Falten gelegt wurden, und daß, um das Ansehen der heiligen Anna gegen ihre Vasallinn noch besser zu behaupten, der Tag ihres Besuchs einer der strengsten Fasttage des Jahrs sey.

Die Gräfinn wunderte sich sehr über diese neumodische Art Freundinnen zu bewirthen, und spannte ihre ganze Aufmerksamkeit, um nichts von dem, was weiter erfolgen würde, zu verlieren.

Die besuchende Heilige erschien in Begleitung ihrer Jungfrauen; freundliche, weißwangigte, wohlgenährte Geschöpfe, ganz das Gegenbild von den ernsten Damen denen sie Cour machen mußten; auch ihre Patroninn hatte ein etwas weniger antikes Ansehn, als Sankt Annen Bild, zu welchem sie auf den Altar gestellt wurde, und das die schönere Schwester mit einem düstern neidischen Blick über die Schulter anzuschielen schien.

Nach gehaltenem Gottesdienste begaben sich die beyden Oberinnen mit ihren vornehmsten Jungfern auf den Versammlungssaal, die Angelegenheiten des Klosters zu berichtigen, und die andern zerstreuten sich in die Kreuzgänge und in den Garten, um zu versuchen, ob sich hier eine Art von Unterhaltung finden ließ. Ida bemerkte, daß die [178] kleinen Gesellschaften, die sich hier bildeten, nur selten aus Nonnen beyder Klöster bestanden, daß meistens die Fremden bey einander blieben, und der größte Theil der Einheimischen ungesittet genug war, die Ankommenden ihrer eignen Unterhaltung zu überlassen. Doch waren die Gespräche beyder Theile eifrig und die Züge der Sprechenden ließen den Inhalt ihrer Reden errathen. Auf den Gesichtern der Dienerinnen der heiligen Anna saß Schmähsucht und hämischer Neid, dahingegen aus den Augen der Nikolaitinnen muthwilliger Spott leuchtete, und ihr Mund sich zum heimlichen Lachen verzog. Diese Erscheinungen mußten etwas gewöhnliches seyn, denn niemand schien sich darüber zu wundern, oder es dem andern übel aufzunehmen, jedes gieng seinen gewohnten Weg und ahndete nichts von den Bemerkungen der beobachtenden Ida.

Ida war eine Fremde im Sankt Annenkloster, und hielt es also für gut, sich nach der hier angenommenen Sitte auch zu den Fremden zu gesellen. Die Jungfern der heiligen Nikola gefielen ihr überdieses tausendmahl besser als ihre Wirthinnen, und fast war es beschlossen, ihr Kloster für die Zukunft zu ihrem Aufenthalte zu wählen. Sie fand den Ton der Gefährtinnen, die sie sich gewählt hatte, leicht und fröhlich, ihre Bemerkungen [179] über Idas Wirthinnen waren ein wenig beissend aber unterhaltend für die Zuhörerinn und ihrem eigenen Urtheile angemessen.

Die Gräfinn fragte nach den umliegenden Klöstern, es wurden ihr eine Menge genannt und mit treffenden Zügen geschildert. Ida sah wenigstens, daß sie in dem Kloster der heiligen Nikola nicht das Ungeheuer, Langeweile, welches ihr hier aus allen Winkeln entgegen gähnte, zu befürchten haben würde, auch war sie nicht ohne Hoffnung, hier zu finden was sie suchte. Die Nonnen, welche ihre Absicht merken und ihre Person für keine unbedeutende Acquisition halten mochten, rühmten, daß ihr Kloster von jeher der Zufluchtsort erlauchter Damen gewesen war, daß noch jetzt eine Fürstinn Gara, ehemahlige Oberhofmeisterinn der Königinn Elisabeth von Ungarn, bey ihnen lebte, und daß die junge Elisabeth, die Enkelinn dieser Königinn, in den ersten Jahren ihres Lebens bey ihnen erzogen worden sey.

Elisabeth? wiederholte Ida, kennt ihr König Siegmunds Tochter? – wir kannten sie, war die Antwort, die Abwesenheit von mehreren Jahren möchte sie uns jetzt wohl unkenntlich gemacht haben, doch lebt sie noch in einiger Verbindung mit unserm Kloster; die Fürstinn Gara hat zuweilen Bothschaft von ihr, auch hat sie sie einst zu Klausenburg besucht. –

[180] Ida wußte, daß Herzog Albrechts Braut zu Klausenburg lebte, sie freute sich hier Bekanntinnen von ihr zu finden, und drückte der gesprächigen Nonne, von welcher sie in einer Viertelstunde mehr wichtiges erfahren hatte, als von ihren schweigenden Wirthinnen in einem Monate, freundlich die Hand. – Sie mußte sich von ihr trennen, denn eben wurden die Gäste zur Mahlzeit gefordert, welche in weichgesottenen Eiern und einer dünnen Suppe von Hafermehl bestand.

Die Gräfinn hatte keine Gelegenheit, ihre Gespräche mit den Fremden von neuem anzufangen, denn man begunnte zu merken, daß sie Wohlgefallen an ihnen fand, und der Neid fieng an, jeden ihrer Blicke, die sie auf dieselben warf, ängstlich zu bewachen.

Die Nikolaitinnen reisten mit ihrer Heiligen ab, und Ida verschob die Erklärung, daß sie gesonnen sey, sich nach jenem Kloster zu wenden, nur wenige Tage. – Man erstaunte, als sie mit derselben hervortrat; man fragte, was ihr hier misfiel, gab Winke von der Ueppigkeit und Weltlichkeit der Nonnen, zu welchen sie gedachte, versicherte, daß es ihr dort noch weniger gefallen würde als hier, und als die Gräfinn mit vieler Bescheidenheit antwortete, daß nicht eben Misfallen an dem Kloster zu Sankt Annen, sondern ihr Charakter, [181] der sie zur Veränderung geneigt machte, und die Erlaubnis des Erzbischoffes sie zu diesem Schritte bewegte, so zuckte man die Achseln, glaubte die Vergünstigung zu einem so herumschweifenden Leben als sie im Sinne zu haben schien, müsse sich auf ein Misverständniß gründen, und das äußerste was man hierbey thun könne, sey eine Bothschaft nach Prag zu schicken, und sich nach der Willensmeynung des heiligen Subinko zu erkundigen.

Ida fand, daß die Plane, welche sie sich gemacht hatte, nicht so leicht auszuführen wären, als sie meynte. Sie mußte sich den langweiligen Aufschub gefallen lassen; was hätte sie thun wollen, wenn ihr ihre Forderung ohne Umschweif abgeschlagen worden wär? doch ermangelte sie nicht, die Schwester Schaffnerinn, auf welcher die Abschickung der Briefe beruhte, und welche überdieses das Herz der Aebtissinn in Händen hatte, sich durch einige kleine Geschenke günstig zu machen, die wenigstens so viel bewirkten, daß es mit der Bothschaft nach Prag ehrlich und ohne Gefährde zuging.

Sehr lang dauerte der ungeduldigen Ida die Zeit bis zu Ankunft der erzbischöfflichen Briefe. Sie erschienen, und brachten alles mit, was sie vor der Hand wünschte, die Erlaubnis nach Sankt Nikola zu ziehen, und daselbst so lang zu verweilen, als sie selbst wollte.

[182] Die Trennung von ihren bisherigen Wirthinnen war so kalt wie alles was in diesem Kloster vorging, aber der Empfang zu Sankt Nikola war desto herzlicher. Innig freuten sich die Nonnen, sich nicht in ihrer Hoffnung auf die Zukunft der Gräfinn geirrt zu haben.

Das Kloster lag in einer freyern lachenden Gegend als das zu Sankt Annen, die Regel, nach welcher man lebte, war zwar die nämliche, aber man wußte sie sich zu erleichtern, fand Auswege, doppelte Deutungen, hatte häufige Dispensationen, und ging bey dem allen doch behutsam genug zu Werke, um keine Ahndung befürchten zu dürfen; auch waren die Nonnen hier alle jünger und schöner, als jene, oder blieben es länger, weil Neid und Mismuth, Alter und Häßlichkeit nicht so früh herbeyriefen, und die reine wohlthätige Luft des Gebirges Gesundheit und frohen Muth einflößte.

Ida ließ sich in den ersten Tagen ihres Aufenthalts der Fürstinn Gara vorstellen, und sie brauchte nur ihren Namen zu nennen, um bey ihr günstig aufgenommen zu werden. Idas Mutter war eine Jugendfreundinn dieser Dame gewesen, als sie noch Rosa Hervott und jene Ida von Dortmund hieß. Tausend angenehme Erinnerungen boten sich der Fürstinn bey ihrem Anblick dar. Idas Name, ihre Gestalt, rief ihr das Bild ihrer Mutter lebendig zurück, sie drückte die junge [183] Gräfinn an ihre Brust und der Anfang zu einer festen Freundschaft war gemacht, wenn anders dieser Gleichheit fördernde Name bey dem Bündniß einer bejahrten Dame und eines jungen Mädchens statt haben kann!

Die Fürstinn war ein lebendiger Schatz alter Geschichten, sie machte Ida mit mancher Anekdote aus der Geschichte ihrer Mutter und Stiefmutter bekannt, welche ihr die Münsterinn nicht hatte mittheilen können, und die uns, wenn sie uns früher bekannt gewesen wäre, sehr zur Aufklärung von Idas Jugendgeschichte gedient haben würde. Auch sprach sie gern von den frühern Schicksalen der jetzt regierenden Fürsten, welche sie fast alle persönlich gekannt hatte. Nur über die einige Geschichte, welche der jungen Gräfinn jetzt am Herzen lag, über die Geschichte der Königinn von Ungarn, um derentwillen Ida vornemlich ihre Bekanntschaft gewünscht hatte, nur über diese, erklärte sie sich nie so deutlich, als diese wünschte, und doch mußte sie, die in den Diensten Mariens und ihrer Elisabeth gelebt hatte, mehr hievon zu sagen wissen, als irgend eine andere Person.

Ida versuchte auf tausenderley Art, die Fürstinn über diesen Punkt zum Sprechen zu bringen, aber wahrscheinlich würde es ihr nie geglückt seyn, wenn nicht ein Zufall sie endlich vertraulicher gemacht hätte.

[184] Man sagt mit Recht: Vertraulichkeit ziehe Offenherzigkeit, Zurückhaltung Argwohn nach sich. Ida strebte von der Fürstinn Gara alles zu erfahren was sie wünschte, und sie selbst hatte ihr noch bey weitem nicht die ganze Beschaffenheit ihrer Lage entdeckt; sie hatte bey den mancherley Zufällen, die sie schon in ihrem kurzen Leben erfahren hatte, Vorsichtigkeit gelernt, hatte sie lernen müssen. Am behutsamsten war sie in Dingen, die sie nicht allein angiengen, in welchen auch andere mit verwickelt waren. Daher kam es, daß sie nie gegen ihre neue Freundinn etwas von Herzog Albrechten oder von seinen Aufträgen, die er ihr gegeben hatte, gedachte. Die Fürstinn hatte Elisabeths Namen zuweilen genannt, Ida hatte merken lassen, daß sie derselbe interessirte, aber dieses war es auch alles gewesen; so gar von der Verbindung, welche zwischen Siegmunds Tochter und dem Herzog von Oesterreich vor war, hatte weder die eine noch die andere der beyden Damen ein Wort verloren. – Die Fürstinn Gara hatte so viel vom Hofton, daß Ida nicht recht wußte, ob ihr Herzog Albrechts Aufträge zu enthüllen wären, ob sie noch ganz auf Mariens Seite, oder vielleicht halb zu ihrer Nachfolgeirnn Barbara übergegangen wär.

Folgende Begebenheit enthüllte ihre Zweifel, und ward der Grund zu neuen Verwickelungen [185] ihres Schicksals. Eines Tages, als Ida sich bey der Fürstinn befand, erhielt sie einen Brief, den sie mit einer vergnügten Miene öfnete, und dabey zu ihrer Gesellschafterinn sagte: Er kommt von Klausenburg, ich habe ihm längst entgegen gesehen.

Was ist das? rief sie, nachdem sie einige Zeilen gelesen hatte, Herzog Albrecht? entsetzlich! –

Was ist Herzog Albrechten begegnet, fragte die bleich werdende Ida.

Ida! sagte die Fürstinn, ihr kennt Herzog Albrechten, und habt dessen nie gegen mich gedacht?

Ida erröthete –

He! schrie die Dame, dein Stillschweigen ist mir Beweis dessen was ich hier lese. Gehe mir aus den Augen, Verrätherinn! – doch nein – vielleicht – du weißt vielleicht nicht. – Bleibet Gräfinn, saget mir; leugnet ihr eure Bekanntschaft mit dem Herzoge?

Sie ist mir Ehre! rief Ida mit einem stolzen Ton, ich werde sie nie leugnen!

Und wißt ihr seine frühern Verbindungen mit einer Andern?

Ich weis sie! – Ich sehe nicht, was für Hindernisse sie unserer Freundschaft bringen können!

[186] Freundschaft? – Immer besser! Erst Bekanntschaft, dann Freundschaft! endlich Liebe!

Fürstinn, rief Ida, indem sie aufstand, ich weis nicht, wie ich diese Begegnung verdiene. Nichts von Liebe zwischen mir und Albrechten, ihr habt Herrmanns Namen oft in meiner Geschichte gehört! –

Aber des Herzogs Namen nie? – Ida! Ida! hier liegt ein Geheimniß verborgen!

Thränen des Unwillens flossen aus Idas Augen, sie wollte und konnte nicht antworten! sie eilte nach der Thür das Zimmer zu verlassen.

Bleibet, Gräfinn, sagte die Fürstinn, welche Ida nachfolgte und ihre Hand ergriff, sie zurück zu führen. Wir müssen uns über diese Dinge erklären, sie sind zu wichtig, als daß sie unentschieden bleiben dürften.

Wahrhaftig, schrie Ida, ich wünsche Erklärung, ich fordere sie, man macht mir Herzog Albrechts Freundschaft zum Verbrechen, und ich begreife nicht warum.

Leset diesen Brief, sagte die Fürstinn, und urtheilet dann, wer von uns beyden Ursach habe, Erklärung zu fordern.

Ida las.


»Theure Fürstinn, das Gerüchte von meines Albrechts Untreue bestätigt sich. – O wie hattet ihr Ursach mich zu warnen, mich an das [187] Schicksal meiner unglücklichen Mutter zu erinnern, die, so wie ich als Kind schon an einem Fürsten verbunden, der sie nur aus Staatsabsichten wählte, die Schrecknisse der Eifersucht ehe als die Freuden der Liebe erfuhr!

Daß Albrecht seit vielen Monaten nicht mehr an mich zu denken schien, daß eine schöne Schlange sich um sein Herz gewunden und mich daraus vertrieben hatte, das wißt ihr, hört nun auch ihren Namen. Es ist Ida, die berufene Ida von Würtemberg, die unter dem Bann des heimlichen Gerichts liegt, von Albrechten zu Nürnberg geschützt wurde und jetzt mit einer ansehnlichen Begleitung von ihm nach Ungarn geschickt wird, Gott weis welche Aenderung des Schicksals daselbst zu erwarten.

Diese Entdeckung habe ich eben derjenigen zu danken, welche mir die erste Warnung gab, meiner Busenfreundinn der Prinzessin von Ratibor. Die Unglückliche hat einst auch durch die schöne Verführerinn einen Geliebten verlohren, Gram und Verzweiflung trieben sie in dieses Kloster und ich vermuthe, daß dieses auch meine letzte Zuflucht bleiben wird.

Ich bin begierig mehr von meiner Freundinn zu erfahren. Die Mutter meiner Imago hat mir die genauesten Nachrichten, selbst den Namen des Orts versprechen lassen, wo Ida hingebracht [188] wird. Die Fürstinn von Ratibor ist eine Dame von grosser Bekanntschaft, und erstaunlichen Einfluß, sie weis fast alles was im teutschen Reiche vorgeht, und man kann ihren Nachrichten trauen!

Boshafte, boshafte Ida! was hatte ich dir gethan mir Albrechts Herz zu rauben! – Noch dazu ist sie eine Ketzerinn! – die weise Fürstinn sucht sie von ihrer Königinn zu entfernen, bey der sie sich jetzt insgeheim zu Prag aufhält, sie will den Erzbischoff aufmerksam machen, und wir wollen sehen was sie ausrichten wird, oder, wollte Gott, nunmehr ausgerichtet hat. Meine Nachrichten aus Prag sind alt, und ich ward nur bisher durch Krankheit und Kummer verhindert sie euch mitzutheilen.

Elisabeth von Ungarn.«


Man erlaube mir den ersten Eindruck zu übergehen, den dieser Brief auf Ida machte. Idas Empfindungen waren stark und feurig, die Art, mit welcher sie dieselben äußerte, heftig, es wär möglich gewesen, daß ihr Betragen bey dieser überraschenden Beschuldigung den Verdacht, den sie zu tilgen wünschte, bey einer weniger verständigen Person als die Fürstinn Gara, bestätigt hätte, aber diese war gelassen genug, den Sturm vorübergehen zu lassen, und dann mit der kalten Stimme der Unpartheilichkeit [189] Fragen zu thun, Beantwortungen anzuhören und denn zu richten.

Ida erzählte ihr ganzes Verhältniß mit dem Herzog einfältig und ohne Ausschmückung, sie sprach von seiner Freundschaft zu ihr, von seinen Aufträgen, von seinen Wünschen, mit der Stimme der Wahrheit. Sie eilte endlich in ihr Zimmer, den Brief zu holen, den ihr Albrecht an seine Braut mitgegeben, und den sie glücklicher Weise am Tage ihrer Entführung bey sich getragen hatte.

Die Fürstinn las. Ida hätte keine gründlichere Vertheidigung finden können als dieses Blatt. Jede Zeile athmete Liebe gegen die, an welche es gerichtet war, und bloße kalte Freundschaft gegen die Ueberbringerinn. Es enthielt eine umständliche Erzählung von dem, was Albrecht in Ungarn durch Idas Hülfe auszurichten hofte, enthielt Nachricht von dem Leben der Königinn Marie, Plane zu ihrer Entdeckung, und am Ende die Bitte, seine und ihre gemeinschaftliche Freundinn, die Gräfinn von Würtemberg zu schützen, sie keinem andern ausfolgen zu lassen, als ihrem Bräutigam, dem Ritter Herrmann von Unna.

Die Fürstinn Gara ward überzeugt, sie umarmte Ida, bat sie um Verzeihung, bat um Herzog Albrechts Brief, den sie der Prinzessinn Elisabeth schicken wollte, um sie zu trösten, und sie von [190] der Unschuld ihrer eingebildeten Nebenbuhlerinn zu überzeugen.

Die Gräfinn überließ ihr das Blatt sehr gern, welches selbst an die Behörde zu überliefern, ihr durch das was sie gehört und gelesen hatte, alle Lust vergangen war. Diese sanfte, unschuldige, engelreine Seele, sagte sie zu sich selbst, ist gleichwohl sehr zur Eifersucht und Ungerechtigkeit geneigt, dieser glänzende Verstand ist sehr lenkbar zum Irrthum, sehr empfänglich für das Einhauchen der Bosheit! Armer Albrecht! Gott gebe Glück zu deiner Verbindung mit Elisabeth!

Ida hatte Unrecht; Elisabeth war wirklich eine gute liebenswürdige Dame, die Fehler, die sie beging, waren im Grunde keine andern, als deren auch Ida fähig war; hatte nicht auch sie einst Freundschaft für diese Schlange diese Imago gefühlt, welche jetzt das Herz der unschuldigen Prinzessinn vergiftete?

21. Kapitel. Geschichte der Königinn Marie von Ungarn
Ein und zwanzigstes Kapitel.
Geschichte der Königinn Marie von Ungarn.

Die Freundschaft der alten und der jungen Dame, ward durch diesen Zufall, der sie beynahe zerstört hätte, gestärkt, ihre Vertraulichkeit gemehrt [191] worden. Ida hatte jetzt kein Geheimniß mehr vor der Fürstin, und diese fertigte ihre Fragen nach der Geschichte der Königinn Marie nicht mehr so kurz ab wie vordem.

Ihr müst mir verzeihen, sagte sie als ihr einst die Gräfinn hierüber einige Vorwürfe machte, ich handelte so wie ich mußte! ich hielt eure Fragen für jugendlichen Vorwitz. Das Unglück meiner Königinn war mir zu heilig, das Andenken desselben zu schmerzhaft, als daß ich es unnöthiger Weise hätte erwehnen sollen. Was eure Anspielungen auf das Leben der erhabenen Dame, damit Albrecht sich schmeichelt, anbelangt, so hielt ich sie immer für Träume und halte sie auch noch dafür, ihr sollt hören, sollt urtheilen und mir eure Meynung sagen.

Ida freute sich, daß die Fürstinn endlich geneigt zu seyn schien ihr Verlangen zu befriedigen, und diese begann folgender Gestalt.

Mit Freude und Kummer gedenke ich der Jahre meiner Jugend, welche ich in eben diesen Mauren, der Zuflucht meines Alters zubrachte. Die Königinn Elisabeth von Ungarn, welche ihren Gemahl selten verließ, und es für unschicklich hielt, die junge Marie ihre Tochter zu frühzeitig an das Geräusch des Hofs zu gewöhnen, bestimmte ihr dieses Kloster zum Aufenthalt, und machte mich [192] zur Aufseherinn ihrer Kindheit, zur ersten Bilderinn ihres Herzens. Meine Jahre waren damahls gerade so wie sie sich für die Gefährthinn eines Kindes schickten, welches nur spielend gelehrt, nicht durch den rauhen Ernst des Alters zurückgeschreckt werden muß, ich hatte den Fräuleinstand erst vor einem halben Jahre verlassen, und war die Gemahlinn des Fürsten Stephans Gara geworden, eines Mannes, der mir, wie ich glaube, nur darum gegeben wurde, damit ich die Stelle der Oberhofmeisterinn einer jungen Prinzessinn mit Anstand bekleiden könne. Der bejahrte Stephanus ward von Reichsgeschäften bey Hofe fest gehalten, und seine junge Gemahlinn vermißte in der süssen Einsamkeit dieses Klosters nicht das Glück an seiner Seite zu glänzen.

Mariens Hofstatt war klein, sie hatte außer mir niemand um sich als meine mir an Jahren fast gleiche Freundinn Ida von Dortmund, nachmahlige Gräfinn von Würtemberg, eure Mutter, und die kleine Barbara von Tirnan, ein Geschöpf, welches schon damahls sehen ließ, was es werden wollte, und Ahndungen in mir erregte, welche nur gar zu richtig eingetroffen sind.

Marte zeigte gleich in den ersten Jahren ihrer Kindheit, daß sie nicht schön werden würde; alles was ihr in der Folge einiges Ansehen gab, [193] war ein vortheilhafter Wuchs, und eine majestätische Miene! Barbara aber war desto schöner. Ich gestehe meine Schwachheit, ich haßte sie wegen dieses Vorzugs, den sie vor meiner Prinzessinn hatte, haßte sie wegen der Ueberlegenheit, welche sie sich überall vor ihr zu geben wußte, wegen ihres mehreren Witzes, ihrer Lebhaftigkeit, und tausend anderer kleinen Gaben, in welchen sie Marien übertraf. Gern hätte ich sie von ihr entfernt, und wie gut wär es gewesen, wenn mir dieses gelungen wär! Beyde hatten noch nicht das achte Jahr erreicht, als Barbara Marien schon einen Tück bewies, welches mit dem Namen eines Kinderstreichs entschuldigt ward, aber im Grunde die ernstliche Bestrafung ganz verdiente, die ich für gut hielt darauf zu legen.

Marie war König Ludwigs einige Tochter, war die Erbinn der Ungarischen Krone; man mußte darauf sinnen, ihre Rechte durch die Vermählung mit einem mächtigen Prinzen zu befestigen, und die Wahl fiel auf den jungen Siegmund, Kaiser Karl des vierten zweyten Sohn. Schon in der Wiege war er mir Marien, vor welcher er nur wenige Jahre voraus hatte, versprochen worden, und man hielt es jetzt für schicklich, ihm seine kleine Braut einmahl zu zeigen.

Siegmund ward zu jung, sein Stand zu erhaben, als daß ihm der Zutritt in unserm Kloster [194] hätte versagt werden sollen, man erwartete ihn bey uns mit Ungeduld. Marie war entzückt denjenigen zu sehen, den man ihren künftigen Gemahl nannte, und den sie sich vermuthlich ohngefehr so wie eine neue schöne Puppe vorstellen mochte. –

Der Prinz war noch sowohl ein Kind als sie, und ich, welche viel auf die Macht der ersten Eindrücke halte, sann Tag und Nacht darauf wie ich ihm die junge Prinzessinn, die ihm ein ganzes Leben hindurch gefallen sollte, zum ersten mahl in einem Lichte zeigen wollte, das seine kindischen Augen blenden, und alles, was er zuvor gesehen hatte, verdunkeln könne.

Meine Einfälle waren gut; Marie war diesen Tag reizender als sonst, Freude und süße Erwartung verschönerte sie, um sie auf keine Art in Schatten zu stellen, hatte ich die kleine Barbara nach Sankt Annen geschickt, und die Klosterfrauen bitten lassen, ihrer wohl wahr zu nehmen.

Aber Barbara war diesen alten langsamen schläfrigen Kreaturen zu listig, sie glaubten sie in ihrer Klausur sicher, indessen sie durch den Garten entschlüpfte, und sich auf den Weg nach Sankt Nikola machte. Sie hatte diesen Ort ungern mit dem Annenkloster vertauscht, sie hatte zu viel von der Erscheinung des jungen Siegmunds reden hören, [195] hatte zu viel von den schönen Kleidern gesehen, welche Marie an diesem Tage tragen sollte, als daß sie es hätte gleichgültig erdulden können, von dem Anblick dieser neuen ausserordentlichen Dinge entfernt zu seyn.

Siegmund war seinen Hofmeistern zu feurig, so wie sie ihren Hüterinnen. Man hatte in einem Dorfe zwischen Nikola und Sankt Annen Ablager genommen; der Prinz brauchte die Zeit, da man Anstalten zur weitern Reise machte, zu einem Spaziergang auf die benachbarten Gebürge, und was war natürlicher, als daß er daselbst der kleinen Pilgerinn Barbara begegnete. Man sahe sich, man nahte einander ohne große Zurückhaltung, man fragte sich mit kindischer Vertraulichkeit wer und wohin. Siegmund antwortete nach der Wahrheit, aber Barbara hatte den Einfall, sich Marie zu nennen und den Prinzen als ihren Bräutigam zu bewillkommen. Siegmund war zu jung um es unwahrscheinlich zu finden, daß ihm die Prinzessinn von Ungarn, einsam ohne Gefolge, ohne allen Schmuck auf diesen Bergen begegnen würde; die Munterkeit, die Schönheit der vorgeblichen Marie gefiel ihm; man hatte ihm eine Menge Dinge gelehrt, die er seiner jungen Braut vorsagen sollte, er wollte damit hervortreten, aber Barbara versicherte ihm, daß diese Umstände nicht nöthig wären und Siegmunden war dieses desto lieber. Man [196] schwatzte, lachte, hüpfte, und kam den Mauern von Sankt Nikola ganz nahe, indessen die Nonnen zu Sankt Annen die ihnen Anbefohlne mit großer Angst vermißten, und die Leute des Prinzen ganz voll Verzweiflung waren, daß ihr junger Gebieter nirgend zu finden war.

Barbara hatte nicht so viel Nachdenken, daß das was sie gethan hatte ihr Verdruß zuziehen würde. Hand in Hand ging sie mit Siegmunden zu den geöfneten Thoren von Nikola ein, und eröfnete ihm erst auf dem Wege nach dem Zimmer der Prinzessinn, ganz beyläufig, daß sie eigentlich gelogen habe, und daß er seine Braut jetzt erst zu sehen bekommen würde, eine Entdeckung, die Siegmunden sehr gleichgültig war; seine kleine Gefärthinn gefiel ihm, sie mochte seyn wer sie wollte, und die gesagte Unwahrheit war ihm ein Scherz, den er leicht verzeihen konnte.

Diese Begebenheit machte große Unordnung in unsern Planen. Die Prinzessinn war noch nicht völlig gekleidet, war nicht auf die Erscheinung ihres Bräutigams gefaßt, als Barbara mit ihm herein hüpfte. Ich und die Leute des Prinzen, welche jetzt eben mit verhängtem Zügel ankamen, waren verdrüßlich, keines wußte recht, was es zu dem andern sagen sollte, Marie und Siegmund gefielen sich nicht sonderlich, Barbara ward ausgescholten, [197] der Prinz suchte sie überall auf, ohne sich an die Prinzessinn zu kehren, und diese weinte.

Barbara ward gleich des andern Tages nach Sankt Annen gebracht. Ich wußte ihr keine härtere Strafe für ihren Vorwitz aufzulegen, als den Aufenthalt an diesem traurigen Orte. Die gutherzige Marie vermißte ihre fröhliche Gesellschafterinn, hatte ihr den Streich, den sie ihr spielte, längst vergeben, wünschte sie zurück, aber ich war unerbittlich, und Barbara blieb wo sie war, bis sie nach einigen Jahren von ihren Verwandten aus dem Kloster genommen und nach Hofe gebracht ward.

Mittlerweile wuchs Marie heran, ihre Gestalt entwickelte sich, sie ward nicht reizend, aber sie konnte gefallen, wenn sie ohne Vorurtheil angesehen ward. Tausend gute Eigenschaften, und vornehmlich ihr edles, sanftes, trugloses Herz, ersetzten reichlich die Schönheit, welche ihr die Natur versagt hatte.

Siegmund besuchte uns oft, er war kein Kind mehr, er wußte, wie er derjenigen begegnen sollte, welche bestimmt war, ihm dereinst die ungarische Krone aufzusetzen, und die Prinzessin, welche ihn herzlich zu lieben begunnte, war geneigt, alles zu glauben, was er ihr vorsagte.

Ich sahe weiter, ich versicherte sie oft, daß nicht Marie, nur die Erbinn von Ungarn vor ihm [198] geliebt würde. – Laßt uns ihn prüfen, erwiederte sie und wir wollen sehen.

Der König besuchte seine Tochter oft in ihrer Einsamkeit, sie hatte sein Herz in Händen, keine Bitte ward ihr abgeschlagen, und bald that sie eine an ihn, welche mehr Spuren ihrer Vorliebe für Siegmund als der Klugheit trug, eine Bitte, die der König nicht so bereitwillig hätte erfüllen sollen. Marie bat: ihr Vater möchte Siegmunden zu seinem Sohn und Reichsnachfolger erklären lassen. – Ich will nicht, daß er mich um der Krone willen liebe, sagte sie, ich will sie lieber von seinen Händen erhalten, als ihm sie aufsetzen. Siegmund liebt mich, er wird nicht ermangeln, das Geschenk meines Vaters mit mir zu theilen. Und man wird nicht mehr sagen können, nicht Marie, nur die Erbin von Ungarn werde von ihm gesucht.

Der König lächelte, und versprach Mariens Bitte zu erfüllen. Bald darauf bekamen wir Nachricht: Prinz Siegmund sey vom König Ludwig an Kindesstatt aufgenommen worden. Die Prinzessin triumphirte über das Glück, daß sie ihrem Lieblinge verschaft habe, sie sahe einem Besuche von ihm und der zärtlichsten Danksagung entgegen. Aber Siegmund erschien nicht, doch vertrat ein Brief seine Stelle, ein Brief, der ein Meisterstück der feinsten Politik war.

[199] Marie fand ihn entzückend, aber ich machte sie auf den Namen Schwester aufmerksam, den ihr Siegmund fast in allen Zeilen gab. Wie kann Siegmunds Schwester seine Gemahlinn werden? fragte ich; die Prinzessinn erschrack, las den Brief noch einmahl, fand, daß ich unrecht hatte, daß Siegmund das nicht so könne gemeint haben, ich schwieg dann und meine Warnungen wurden vergessen.

Man sprach von einer Reise des Prinzen nach Pohlen. Marie erwartete seinen Abschiedsbesuch, aber es erschien an seiner Stelle wieder ein brüderlicher Brief, der sie in Verzweiflung stürzte. Man fieng an zu glauben, daß ich den nunmehrigen Erben von Ungarn besser zu beurtheilen wisse, als die partheiische Liebe.

Meine Gedanken von Siegmunden konnten nicht trügen, sie gründeten sich auf Nachrichten, die mir seinen ganzen Charakter schilderten, die aber freylich so beschaffen waren, daß ich sie Marien nicht mittheilen konnte. Der Prinz war jetzt zu dem Alter herangewachsen, wo die Leidenschaften die Herrschaft zu führen pflegen; und er hatte nicht gelernt sie einzuschränken. Er war schön, und nichts konnte ihn rühren als blendende Schönheit. Er war voll Feuer und Lebhaftigkeit, und stille bescheidene Tugend hatte keine Reize für ihn. Sein Geist strebte nach Ehre, und da er jetzt gewiß [200] war, die Krone ohne Mariens Hülfe erlangen zu können, so war auch das letzte Band aufgelößt, das ihn an sie fesseln konnte.

Barbara, welche jetzt als Hoffräulein bey der Königinn Elisabeth lebte, und die mit allen schwelgerischen Reizen einer üppigen Schönheit blühte, hatte den Eindruck, den sie bereits als Kind auf ihn machte, mächtig erneuert. Seine Neigung für sie war kein Geheimniß; die Königinn Elisabeth, Mariens Mutter, fieng an das zu sehen, was ich längst gesehen hatte, und sie berief ihre Tochter schnell nach Hofe, um durch ihre Gegenwart alle Fehler wieder gut zu machen, welche hier vorgegangen waren.

Sobald sich das Gerücht von Mariens Ankunft ausbreitete, sobald Siegmund zu merken begunnte, daß sein Umgang mit Barbara beobachtet, eingeschränkt, verhindert wurde, so bekam er plötzlich Geschäfte in Pohlen, und Marie fand bey ihrer Erscheinung in der Residenz tausend Herzen, die ihr entgegen wallten, nur das einzige nicht, welches vorzüglich für sie hätte schlagen sollen.

Die treuen Ungarn jauchzten ihrer Prinzessinn entgegen, sie nannten sie Königinn, und forderten den alten König, welcher schon damahls begunnte kränklich zu werden, auf, ihr diesen Namen bey seinen Lebzeiten feyerlich beyzulegen, damit er ihr [201] nach seinem Tode desto weniger könnte geraubt werden.

Siegmunds Erklärung zum Thronerben war nicht so unumstößlich, daß sie nicht hätte können zurückgenommen werden. Die Stimme des Volks, die Vorstellungen der Königinn Elisabeth, und, ich getraue mich zu sagen, auch die meinigen, drangen durch, und Marie ward öffentlich zur Königinn von Ungarn ausgerufen.

Siegmund war einer der ersten, welcher ihr Glück wünschte; kein Brief verrichtete dieses, sondern er selbst. Der Name Schwester war ganz vergessen, er war nicht mehr Mariens Bruder, nein ganz Liebhaber und Bräutigam. – Hätte Marie meinen Einrathen folgen wollen, sie würde ihn so zurückgewiesen haben wie er verdiente; aber wer kennt nicht die Schwachheiten der Liebe! Marie schrieb seine Rückkehr nicht der Krone, sondern ihrer eigenen Person zu, und fing an ihn stärker zu lieben, als je zuvor.

Ihr seht ja, sagte sie zu mir, wie er so innig an mir hängt. Ist wohl nur eine einige Dame, wie schön sie auch sey, die mir nur einen Blick von ihm rauben könnte?

Marie hatte recht. Siegmund schien nur für sie Augen zu haben – denn – Barbara war nicht gegenwärtig. Barbara hatte gehört, daß Siegmund bey den pohlnischen Damen, von welchen [202] er jetzt zurückkam, ihrer ganz vergessen habe, und sie hielt für gut, das nehmliche zu thun. Sie wollte nicht gegenwärtig seyn, als Siegmund bey Hofe erschien, sondern gab endlich den Bitten ihrer Verwandten nach, den üblen Ruf, in welchem sie sich befand, durch eine anständige Heyrath zu tilgen.

Man hatte ihr den Statthalter von Kroatien, Johann Hervott, einen Verwandten von mir, zum Gemahl be stimmt, und sie lebte gegenwärtig als seine Verlobte auf einem seiner Güter.

Siegmunds Augen suchten die geliebte Barbara überall; sie war doch immer diejenige, zu welcher er, nach jeder kleinen und großen Untreue, zurückkehrte, und er vermißte sie ungern. – Er hörte von ihrer bevorstehenden Vermählung, ward traurig, fand daß er Marien nichts mehr zu sagen hatte, und kehrte nach Pohlen zurück.

König Ludwig starb, Marie setzte die Krone auf und würde eine gute Königinn gewesen seyn, wenn sie allein regiert hätte; aber man sagt immer, wo eine Frau herrscht, da führen Männer den Scepter; so auch hier: meine Verwandten die Garas, drängten sich um den Thron, ihr Ansehn war so groß als ihre Kenntniß der Reichsverfassung. Marie gab ihnen Gehör, regierte nur durch sie, zog sie allein hervor, vernachläßigte die andern, und legte dadurch den Grund zu Mismuth und [203] Unzufriedenheit in den Herzen der übrigen Großen. Von dem Volke wurde sie angebetet, so handelte sie gegen die Armen und Geringen im Volk, so gegen den Landmann und den arbeitsamen Bürger, daß noch jetzt die Zeiten der Königinn Marie das goldne Alter der Ungarn geheißen werden.

Die Garas hinderten sie nicht in diesem wohlthätigen Verfahren, es war ihnen genug, die andern Fürsten neben sich zu unterdrücken, der gemeine Mann mochte ihrethalben immer glücklich seyn. – Es ist unmöglich, die Absichten, welche einige von ihnen, vornehmlich der nachmahlige Statthalter des Reichs, Andreas Gara, haben mochten, genau zu bestimmen. Es kann seyn, daß Marie und die Krone das Kleinod war, nach welchen sie insgeheim rangen, wenigstens ist so viel gewiß, daß die Rückkunft des Prinzen Siegmunds aus Pohlen auf alle Art verhindert wurde. Marie sehnte sich nach ihrem Bräutigam, Siegmund war zärtlicher und treuer als jemahls; aber eine Zeit verging nach der andern, ohne daß er da erschien wo er mit so viel Unruhe erwartet wurde.

Indessen die Garas über ihren großen Anschlägen brüteten, kochte Wuth und Rache gegen sie und die Königinn in den Herzen der übrigen Fürsten. Der Gedanke, vielleicht einen Andreas oder Nikolaus Gara zum Könige zu bekommen, war ihnen schrecklich, und lieber war es ihnen auch Marien, [204] die Tochter ihres guten Königs zu stürzen, als ihr auf die Art den Thron zu gönnen.

Die Geschichten der damahligen Zeit können euch nicht so unbekannt seyn, daß ihr nicht wissen solltet, was für eine Partie man ergriff. König Karl von Neapolis ward herein gerufen; Marie sollte die Krone von Ungarn mit ihm theilen, oder sie ihm ganz überlassen.

Die Königinn liebte Siegmunden treuer als sie nöthig gehabt hatte, König Karl, so unansehnlich er auch durch sein Aeußeres war, so wenig sein kleiner Geist, der seinem Körper glich, der edeln Marie gefallen konnte, war doch übrigens ein Fürst, der Ansehen genug besaß, derjenigen, welche ihm die Hand gab, den Thron zu sichern; über dieses liebte er Marien mit so heisser Zärtlichkeit wie sie Siegmunden, verehrte sie wie ein Wesen höherer Gattung, und würde gewiß blos den Gemahl der Königinn von Ungarn, nie den Monarchen vorgestellt haben.

Marie war eine von den Damen, welche bei einer Vermählung nie auf die Liebe sehen sollten, die sie fühlen, nur auf diejenige, welche man für sie empfindet; aber – sie verkannte ihren Vortheil, blieb dem undankbaren Siegmund treu, und verwarf den gutmüthigen König von Neapolis!

[205] Der Thron begunnte unter ihr zu wanken; sie fiel. Ihre Stützen die Garas konnten ihr nicht helfen, und sie kam in die Gewalt ihrer Feinde.

Mit Erröthen gestehe ich, daß mein Verwandter der Statthalter in Kroatien, daß Johann Hervott, einer der vornehmsten derselben war. Barbara, seine Verlobte, haßte Marien, haßte gegenwärtig den ehemals geliebten Siegmund und wollte es ihm unmöglich machen, durch sie die Krone zu erlangen. Sie war es, welche die verrätherischen Anschläge wider die Königinn ausheckte, sie war die Seele aller heimlichen Verschwörungen wider die unglückliche Marie. Sie brauchte ihre Reize die Zahl ihrer Anhänger und der Feinde Mariens zu vergrößern. Sie suchte ihre Gewalt auch über den von der Königinn verschmähten Karl von Neapolis auszudehnen, er sah sie verschiedenemahl insgeheim auf Hervotts Schlosse, keine Künste wurden gespart ihn in ihr Netz zu ziehen, und als diese nur in so weit glückten, daß Karl seiner Verächterinn Rache und Tod schwur, ohne eben darum Miene zu machen, die schöne Barbara an ihre Stelle zu setzen; so war auch ihm der Untergang bestimmt. Ihr wißt, daß Karl nie sein Land wieder sah, man fand ihn ermordet auf seinem Bette, und man rieth vergeblich auf den Thäter. Vielleicht trügen auch meine Muthmaßungen; Gott bewahre mich, daß ich das Sündenregister einer [206] Verbrecherinn ohne Grund mit einer Blutschuld vermehren sollte!

Barbara war noch immer Johann Hervotts Verlobte, war es zu lang gewesen, daß er hätte wünschen sollen, sie zu seiner Gemahlinn zu machen, auch schien sie nicht sonderlich nach dieser Ehre zu streben.

Ihr Beichtiger, ein schmeichelnder Bernhardiner, hatte ihr einst eine Krone, hatte ihr die höchste Krone der Welt geweißagt. Johann Hervott war nicht der Mann, der diese Prophezeihung wahr machen konnte, Karl von Neapolis hätte es vielleicht gekonnt; aber der Anschlag auf ihn schlug fehl, man mußte auf an dere Mittel sinnen.

Hervott ward noch immer fest genug in ihren Stricken gehalten um jeden ihrer Einfälle zu begünstigen. Barbara glaubte ihre hochfliegende Entwürfe nicht würdiger beginnen zu können, als wenn sie diejenigen, welche die Krone trugen, nach der sie strebte, aus dem Wege räumte. List und Verrätherey brachten die beyden Königinnen Elisabeth und Marie in Hervotts Hände.

O Ida, wie soll ich euch die Scene des Schreckens schildern, welche ich in jenen Tagen erlebte! mit welchen Worten von Mariens Qualen, von dem Tode der ehrwürdigen Elisabeth sprechen? vergönnt mir, daß ich verschweige, unterdrücke, übergehe, ins kurze fasse, was euch und mir, zu [207] lebhaft geschildert zu tiefen Schmerz verursachen würde, es giebt Scenen, welche ewig in Schleyer gehüllt bleiben sollten, bis jener große Tag, der Offenbarer aller Geheimnisse der Finsterniß, der Vergelter geheimer Verbrechen und hier nicht gelinderter Schmerzen, erscheint.

Die Fürstinn Gara schwieg bey diesen Worten, ihr tiefdenkender Blick war zur Erde gesenkt, keine Thräne netzte ihr Auge, aber ihr Herz weinte. – Ida wußte nicht genau, was sie sagen wollte, aber sie ahndete schreckliche Dinge und wußte nicht, ob sie um die Entdeckung oder um die Verbergung derselben bitten sollte.

Es sey euch genug, fing die Fürstinn von neuem an, zu wissen, daß jeder Tag den beyden erhabenen Dulderinnen neue Leiden mit sich brachte. Tausend schreckliche Mittel wurden gebraucht, Marien zu Entsagung der Vorrechte ihrer Geburt zu zwingen, tausend Mittel, die ehrwürdige Elisabeth zu nöthigen, ihre Tochter zu verläugnen, und ein finsteres Gewebe von Dichtungen zu begünstigen, welche erweisen sollten, daß Marie nicht König Ludwigs Tochter, nicht rechtmäßige Königinn von Ungarn, nicht Siegmunds bestimmte Braut sey. Die Forderung war lächerlich, und ich glaube, im Grunde hätte Elisabeth alles thun können, was man von ihr verlangte, vielleicht hätte sie ihre Freyheit, [208] ihr Leben damit erkauft, und jedermann würde das ihr abgedrungene Bekenntniß für das genommen haben, was er war, für Würkung der Nothwendigkeit, der äußersten nahmlosesten Angst!

Dieses waren Mariens Wünsche, als ihre Mutter das Opfer ihrer Treue für die Wahrheit und das Glück ihrer Tochter ward, sie verwünschte die Krone, die ihr das liebste, was sie auf der Welt hatte, das Leben ihrer Mutter raubte, verwünschte ihr eignes Leben, weil es vielleicht durch Elisabeths Tod erkauft worden war.

Doch ich sehe, ich muß euch die Dinge ein wenig umständlicher erzehlen. Eine der ausgesuchtesten Qualen, welche für die unglücklichen Königinnen erfunden wurden, war, sie Wochenlang von einander zu trennen, in dem Busen einer jeden die schrecklichsten Besorgnisse wegen des Schicksaals der andern zu nähren, und dann sie schnell und unvermuthet wieder zusammen zu bringen ihnen die Freuden des Wiedersehens, mit der Angst der nahen Trennung und der Furcht vor der düstern Zukunft so grausam zu mischen, als man zu Erreichung der schwärzesten Absichten für nöthig hielt.

An einem dieser Tage, denen man so ängstlich entgegen sah, ob man gleich von jeden derselben keinen andern Gewinn hatte, als verneute Leiden, und die fast gewisse Ueberzeugung, [209] man werde sich heute zuletzt gesehen haben, an einem solchen Tage geschah es, daß ich glücklich genug war, die Unterhaltung meiner unglücklichen Gebieterinnen mit einer beträchtlichen Dosis Trost und Hoffnung zu versüssen. Gleich bey unserer ersten Gefangennehmung – (ich war die einige Gesellschafterinn, die man den Königinnen ließ –) hatte ich den schnellen Einfall ein Körngen auf Hoffnung auszustreuen, daß es vielleicht zu unserer Rettung aufgehen könne. Das was ich that war im eigentlichen Verstande ein hingeworfener Versuch, der so wohl zu Vermehrung unsers Unglücks als zu unsern Besten ausschlagen konnte. Wir waren auf dem Wege nach unserm Gefängniß, dessen Namen ich zum Glück erfahren hatte. Ich riß eine Demantnadel aus meinen Haaren, und grub auf eine kleine Tafel, die ich bey mir trug, folgende Worte; »Wer dieses findet und zum Prinzen Siegmund nach Pohlen bringt, der nehme dieses Kleinod zur Dankbarkeit und erwarte in der Zukunft eine noch größere Belohnung von der Fürstinn Rosa Gara.« In das Innere der Tafel schrieb ich folgendes in gallischer Sprache, welche, wie ich wußte, ausser mir und Siegmunden hier nur von wenigen verstanden wurde.

»Wenn Siegmund noch einiges Menschengefühl, noch Begierde nach der ungarischen Krone, noch Liebe oder Mitleid für eine unglückliche Dame [210] hat, welche er vormals zu lieben schien, so komme er nach Moglay am Flusse Bezra sie aus den Händen ihrer Feinde zu retten.«

Ich gab dieser Schrift, an der das Leben zweyer Königinnen hing, meine vielfach zusammengefalteten Schleyer zur Hülle, heftete ihn mit der Demantnadel zusammen, und warf es, als wir des Nachts durch einen Wald fuhren, auf gut Glück in den Weg.

Die Ungewißheit, ob dieser Versuch von Nutzen seyn würde und der Widerwille in dem Herzen meiner Gebieterinnen eine Hofnung zu nähren, welche vielleicht vergeblich seyn könnte, machte, daß ich von der ganzen Sache nicht eher sprach, als an dem Tage, da ich auf eine Art, welche hier zu weitläuftig seyn würde, zu melden, Nachricht erhielt: Siegmund sey nicht fern, würde vielleicht Morgen, vielleicht diese Nacht schon hier seyn, die Gefangenen zu retten.

Zum erstenmahle in meinem Leben hatte ich heute eine Art von Zuneigung für Siegmunden gefühlt, ich dankte ihm in meinem Herzen für die Bereitwilligkeit, mit welcher er erschien, die vielleicht blos daher entsprang, weil ich in meinem Brief den Namen der zu rettenden Dame nicht genannt hatte. – Doch nein! ich thue Siegmunden Unrecht, was für ein Unmensch hätte er seyn [211] müssen, Marie in Gefahr zu wissen ohne zu ihrer Erlösung herbey zu eilen!

Ich unterhielt an diesem glücklichen Abende, der durch eine Zusammenkunft der Mutter und der Tochter verschönert wurde, meine Königinnen mit meinen frohen Neuigkeiten. Mit Freudenthränen schlossen beyde Damen sich in die Arme. Auch ich bekam meinen Theil von ihren Liebkosungen, sie nannten mich ihre Retterinn, und umarmten sich und mich von neuem.

Wir werden also der Gewalt unserer Feinde entkommen, rief Marie, und mein Siegmund wird unser Befreyer seyn. O Uebermaas des Glücks! kaum vermag ich dir zu glauben! Rosa, ihr täuscht mich! sollte es möglich seyn, das ich diese theure Hand wieder in ruhigen Tagen küssen, dieses ehrwürdige Haupt wieder mit der Krone geziert sehen würde? Marie drückte bey diesen Worten die Hand ihrer Mutter an ihr Herz, indessen diese ihre Rechte liebreich nach mir ausstreckte, und mich mit einem Tone, der mir ewig unvergeßlich seyn wird, zum zweytenmahl ihre Retterinn nannte.

Wir sassen bis tief in die Nacht in Gespräche verwickelt, die man sich nach so langer Trostlosigkeit nicht süß und hofnungsvoll genug denken kann. Endlich kamen unsere Hüter uns zu trennen. Marie bat, man möchte sie doch diese Nacht bey ihrer Mutter lassen. Ich flehte, man möchte wenigstens [212] mir, wie zuweilen geschah, erlauben, die alte Königinn zu bewachen, umsonst, wir mußten scheiden.

Marie kehrte zehnmahl zurück, ihre Mutter von neuem zu umarmen, Elisabeth umfaste die junge Königinn so fest, daß man sie mit Gewalt von ihr reißen mußte, ich umarmte ihre Knie. Vergebens! unsere Henker waren unerbittlich, wir mußten scheiden. Wir sind wohl recht thöricht, sagte Marie bey unserer Rückkunft auf unser Zimmer, indem sie sich lächelnd die Thränen trocknete, wir sind wohl recht thöricht, so viel Flehens bey den Unerbittlichen um eine einige Nacht zu machen! Werden wir nicht bald, ach morgen morgen schon, ungestört beysammen bleiben können? doch dünkt mich, ich hätte um diese, nur um diese Nacht mein Königreich geben wollen; es müßte so süß gewesen seyn, meinen Siegmund in den Armen meiner Mutter zu erwarten!

Wir giengen diese Nacht nicht zu Bette; Angst und süße Erwartung hielten uns wachend; welche Erwartung ist ganz ohne Besorgnisse? tausend Ausrufungen, mit dem Anfang: Wenn nur nicht! gingen aus Mariens Munde. Zwanzigmahl gieng sie nach dem Fenster, um die Fenster der alten Königinn zu sehen, welche mit den unsrigen in einen gemeinschaftlich großen Hof gingen. [213] Ich hoffe, sie schläft, die Theure, rief sie, ich sehe kein Licht in ihrem Zimmer. Oder sagte ich, sie ist auf den Altan gegangen, um die Aussicht auf den Strom zu geniessen, und unsern Rettern entgegen zu sehen. – Marie wollte nicht in diese Vermuthung einstimmen, sie fürchtete Erklärung für die alte Dame, und Verbitterung ihrer morgenden Freude.

Endlich brach der Tag an, und seine ersten Strahlen begunnten kaum unsre Fenster zu röthen, als wir in der Ferne Getön von kriegerischen Instrumenten hörten. Er kommt! rief die Königinn und warf sich in meine Arme, mein Siegmund kömmt seine Marie zu retten? Hinaus, hinaus, ihm entgegen! Wir eilten auf den Altan, der so wie der vor Elisabeths Zimmer die Aussicht auf den Strom hatte. Hier kam uns das Getön heller entgegen, wir sahen von weitem im Strahl der Morgensonne blinkende Waffen, und hörten unten im Schlosse ein unruhiges Hin und Herlaufen, welches uns andeutete, daß man wegen der Ankommenden besorgt sey, und das befürchte, was bald geschehen sollte.

Ach Gott! rief Marte, daß wir nur nicht mitten im Schoos der Hoffnung scheitern! sollten uns unsere Feinde nicht lieber todt als gerettet sehen?

[214] Mir begunnte selbst bange zu werden. Der Sprung vom Altan hinab, sagte ich, ist nicht hoch. Wie wenn wir ihn wagten, ich sehe dort in der Ferne auf dem Strome etwas treiben, mich dünkt, es ist ein kleines Fischerboot, soll ich es herbey winken?

Die Königinn beugte sich tiefer hinab, ach nein! rief sie, indem sie erschrocken die Augen abwendete, es ist kein Boot, es ist – es ist ein menschlicher Körper, es ist – ein langes weißes Gewand – wie – wie – ach Gott ich weis nicht wie mir ist! – Rosa, sieh hinaus! – Ich vergaß nach dem zu sehen, was mir die weite Entfernung und mein schwaches Gesicht als einen Kahn gebildet hatte, vergaß alles, selbst unsere nahe Rettung, denn die Königinn sank ohnmächtig in meine Arme.

Siegmunds Trompeten schallten näher; das Geräusch des Angriffs gellte in meinen Ohren. Ich achtete nicht darauf, denn noch immer war Marie für alle meine Bemühungen unerwecklich. –

Das Schloß war schlecht bemannt und wurde noch schlechter vertheidigt, unsere Feinde hatten geglaubt, keine andere Sicherheit für ihre erhabenen Gefangenen nöthig zu haben, als die Verborgenheit des Orts wo sie lebten, und die öde wüste Gegend, in welcher er lag.

[215] Siegmund hatte bald überwunden, er trat mit den vornehmsten seiner Kriegsbedienten in Mariens Zimmer, als diese zuerst die Augen aufschlug. – Siegmund eilte auf sie zu, ich sahe mehr Liebe in seinen Blicken, als ich je in denselben wahrgenommen hatte. – Marie, anstatt ihn so zu empfangen, wie ich vermuthet hatte, wehrte seine Hand von sich ab, und bemühte sich aufzustehen. Weg! weg! rief sie, nicht ein Wort! – zu meiner Mutter! – Noch einmal bemühte sie sich aufzustehen, aber vergebens!

Siegmund fragte, ob auch die alte Königinn hier verwahrt werde, und eilte auf meine Bejahung so gleich in die Gegend des Schlosses, die ich ihm bezeichnete.

Marie strebte sich zu erheben und vom Altan hinab zu sehen. Siehe hinaus, Rosa, sagte sie, siehe hinaus nach deinem Kahne, es war gewiß ein Kahn wie ich glaube! aber ich träumte fürchterlich, ich träumte – meine Mutter! –

Die Königinn ward bey diesen Worten zum zweytenmahl ohnmächtig, und erholte sich nicht ehr, bis einige von Siegmunds Leuten eintraten, und versicherten, daß sie die Zimmer der alten Königinn nicht hätten finden können.

Marie bezeichnete sie ihnen selbst mit schwacher Stimme.

[216] Da sind wir gewesen, sagten sie, aber es ist alles leer.

Leer? schrie Marie, leer? – o nur allzugewiß! – Augenblicklich, Kähne! Leute! der Strom! Ach gewiß! gewiß! O ich Elende! –

Marie hatte sich bey diesen Worten schnell erhoben, und war nach dem Geländer des Altans geeilt. Eine Bewegung, die sie machte, ließ mich befürchten, sie wolle hinab springen, und mit Mühe hielt ich sie zurück!

Ihre Meynung begunnte mir klärer zu werden, ich gab die Befehle, welche die Unglückliche nicht zusammenhängend vorzubringen vermochte, und führte sie, selbst vor Entsetzen der Ohnmacht nahe, nach dem Zimmer.

Siegmund erschien! – Doch Gräfinn, ich bin bereits zu weitläuftig gewesen! – Hinweg! Hinweg! mit diesen grauenvollen Scenen! – Man hatte auf Elisabeths Fenstergesimsen Spuren von Blut gefunden, in einer Ecke ihren zerrissenen blutigen Schleyer. Die Nachsucher fanden einige Meilen von dem Schlosse endlich Elisabeths Körper, welcher mit den langen Kleidern im dichten Gesträuch hängen geblieben war. Einige Stiche in ihrer Brust zeigten, daß das Wasser, nur die überbliebenen Lebensfunken in der ermordeten Königinn vollends hatte auslöschen, oder vielleicht nur die [217] Greuelthat verbergen sollen, deren Vollbringer noch jetzt niemand bekannt ist als dem Allwissenden!

Johann Hervott, der Herr dieses Schlosses, war im Gefecht geblieben, ich nannte Siegmunden Barbaras Namen, deren Hand, wie ich meynte, alle diese Dinge im Verborgenen dirigirt hatte, ob sie gleich sich, so lang wir uns hier aufhielten, niemals sehen ließ.

Siegmund war beleidigt über die Art, mit welcher ich der geliebten Barbara gedachte. Er gestand, daß er sie hier im Schlosse gefunden habe, aber sie sey so wohl eine Gefangene gewesen wie wir, und theile mit uns die Freude der Befreyung.

Ich schwieg, ich wandte mich zu meiner todkranken Königinn. – Nach langem Lager ward sie wieder gesund, setzte die Krone von neuem auf, ward Siegmunds Gemahlinn, aber nie habe ich sie wieder froh gesehen. Die schreckliche Scene auf Hervotts Schlosse schwebte ihr unablässig vor Augen, und wo sie ging oder stand, flüsterte sie den Namen ihrer ermordeten Mutter.

Marie war nie schön, nie aufgeweckt gewesen, jetzt verlor sie vollends die wenige Anlage, die sie zu beyden hatte, gänzlich. Siegmund, den nichts fesseln konnte, als Reiz und Munterkeit, nennte sie gegen seine Lieblinge eine finstere traurige Träumerinn,[218] ohne an die Schicksale zu denken, die sie zu dem machten, was sie war.

Barbara ward an den Hof gezogen. Marie duldete sie, mußte und konnte sie dulden, denn sie hatte nicht die Gedanken von ihr, die ich in dem Innersten meines Herzens hegte. – Gott verzeihe mir, wenn ich zu viel auf die Rechnung der Sünderinn schreibe, die ich hasse! –

Um König Siegmunds Liebe zu seiner Barbara desto besser zu verdecken, gab man ihr Peter den Einfältigen, Grafen von Cyly zum Gemahl. – Was soll ich weiter sagen. Die Liebe des Königs zu der Gräfinn von Cyly, der Uebermuth dieser unwürdigen Nebenbuhlerinn, trieb Marien vom Hofe in dieses Kloster. Sie war schwanger und ihre Gesundheit war so geschwächt, daß man an ihrem Leben und dem Leben ihres Kindes zweifeln mußte. – Ich begleitete sie hieher, wo sie ihre Wochen halten und ihren Tod erwarten wollte. Ich wollte ihre einige Wärterinn seyn, ich traute niemand außer mir, aber eine fürchterliche Krankheit überfiel mich in den Tagen, da die Königinn ihrer Niederkunft stündlich entgegen sahe. Die gutherzigen Nonnen zu Sankt Nikola waren meine Lebensretterinn, sie sprachen nach meiner Wiedergenesung von wahrscheinlicher Vergiftung! – Sie konnten recht haben, meine Gefahr war groß, meine Empfindungen außerordentlich gewesen, [219] auch ließ es sich denken, daß mein Leben manchem ein Anstoß seyn mußte.

Meine ängstliche Besorgnis war um die Königinn, ich fragte nach ihr, und bekam die Nachricht, die mich von neuem an den Rand des Grabes brachte – sie sey todt! – Ich fragte nach nähern Umständen, die Nonnen zuckten die Achseln, sie erzählten, auf die erste Nachricht von meiner Krankheit, sey die Gräfinn von Cyly erschienen, der Königinn an meiner Statt bey ihrer Niederkunft aufzuwarten. Marie habe sich in ein anderes Kloster bringen lassen, habe daselbst eine Tochter zur Welt gebracht, und – dabey den Geist aufgegeben.

Ich fragte nach dem Kinde, man sagte mir, der König, welcher über den Tod seiner Gemahlinn untröstlich geschienen, sey bald nach der Geburt der jungen Elisabeth in diese Gegenden gekommen, seine kleine Tochter, die nunmehr das einige sey, welches die Liebe des Volks noch an ihn fesselte, in seine Arme aufzunehmen. Ein hinterlassener Brief von der sterbenden Königinn habe ihn gebeten mir die Erziehung des unglücklichen Kindes zu überlassen, und man sage, er sey, alles Einredens der Gräfinn von Cyly ungeachtet, entschlossen, Mariens letzten Willen zu erfüllen.

Wenig Tage vergingen, und ich konnte das geliebte Kind, das theure Vermächtniß meiner Königinn, [220] in meine Arme schliessen. Eine von den Nonnen zu Sankt Annen hatte den Auftrag erhalten, mir es zu überbringen, ein Brief ward mir mit demselben überreicht. Ich öfnete ihn, und fand folgendes.

»Ich sterbe, theure Fürstinn Gara, und habe nur noch so viel Zeit mein Kind mit dem theuren Namen Elisabeth zu nennen, und es euch zu empfehlen, die Nonne, welche dieses in meinem Namen schreibt, wird euch mehr sagen.«

Ich habe nach der Schreiberinn dieses Briefs oft und viel gefragt, aber niemand hat sie mir nennen können: Ich fragte nach dem Begräbniß der Königinn; man wieß mich nach Stuhlweisenburg, wo König Siegmund sie hatte prächtig beysetzen lassen. Der Ort ihres Todes blieb verborgen. Alle ihre Leute waren kurz vor ihrer Niederkunft abgedankt worden, Barbara war allein um sie gewesen.

Der Argwohn, Mariens Tod könne eine Erfindung Barbaras seyn, trieb mich zu Untersuchungen, welche Jahrelang fortgesetzt wurden, und doch vergeblich waren; urtheilet was ihr von euren Bemühungen zu erwarten habt.

Die kleine Elisabeth war das einige, was mich nach dem Verlust meiner geliebten Königinn auf der Welt zurück halten konnte. Sie ward mein Trost, mein Zeitvertreib, meine Hoffnung, wenn [221] es mir zuweilen einfiel, ich könne noch einmahl glückliche Tage in der Welt sehen.

Wundert euch nicht, wenn die Liebe für sie mich vor einiger Zeit ein Betragen gegen euch lehrte, welches ihr mit Recht beleidigend fandet. Es war die Frage von dem Glück der geliebten Elisabeth. Ich war irre an euch, ich sah im Geist die Scenen zwischen Siegmund, Barbara und Marie, in dem Schicksal ihrer Tochter erneuert. Jetzt kenne ich euch besser, und ich hoffe, auch die Prinzessinn von Ungarn wird sich belehren lassen, wird nicht euren Werth ins künftige mehr verkennen.

Laßt uns von andern Dingen sprechen, erwiederte Ida, welche nicht ohne Verdruß an den Verdacht denken konnte, welchen man gewagt hatte auf sie zu werfen. Mich dünkt, wenn ihr der Erzählung meiner Geschichte nur einige Aufmerksamkeit gegönnt hättet, so hätte euch wenigstens der Name der Fürstinn von Ratibor und ihrer Tochter, meinen alten Feindinnen, jedes Wort, das sie wider mich sagten, verdächtig machen sollen.

Die Fürstinn Gara wollte ihre Entschuldigung erneuern, aber Ida bat nochmals, des Vergangenen nicht mehr zu gedenken, und lieber ihre Gedanken über die Geschichte zu vernehmen, welche sie so eben gehört hatte. – Meynt ihr, fuhr die [222] Gräfinn fort, daß mich eure Erzählung von dem gewissen Tode der Koniginn überzeugt hat? – Nein, meine Hoffnung ist stärker als jemals, ich will und muß Mariens Aufenthalt ausfindig machen, und wär es auch nur um – –

Um ihre Tochter mit Wohlthaten zu beschämen, setzte die Fürstinn hinzu. Aber bedenkt, mein Kind, daß ihre eine Art von Ritterzug auf Unmöglichkeiten unternehmt! – Elisabeth ist jetzt sechszehn Jahr, sollte es möglich seyn, daß ihre Mutter in dieser langen Zeit nicht Mittel gefunden hätte sie mit der Nachricht von ihrem Leben zu erfreuen? – Ueberdies bedenkt meine Nachforschungen, bedenkt, daß Marie in den Stunden, in welchen sie ganz hülflos war, sich unter Barbaras Händen befand; sollte diese Boshafte ihre Mitbuhlerinn wohl lebendig aus denselben gelassen haben?

Aber, sagte Ida, wie war es möglich, daß die kleine Prinzessinn von ihr verschont wurde, die sich in jenen Augenblicken der Hülflosigkeit sowohl in der Gewalt ihrer Feindinn befand als ihre trostlose Mutter?

Wär Marie die Mutter eines Sohns geworden, erwiederte die Fürstinn, so möchte es wohl anders gegangen seyn: eine Tochter konnte Barbaras weit aussehenden Planen nicht allzugroße [223] Hindernisse in den Weg legen. Ueberdieses überraschte sie vielleicht Siegmunds Erscheinung zu schnell, sie glaubte sich vielleicht ein Verdienst bey ihm zu machen, wenn sie, – da sie mich, Elisabeths bestimmte Erzieherinn, zu jener Zeit schon vielleicht tod glaubte – Mutterstelle bey der kleinen Prinzessinn verträt.

Es ist schwer, versetzte die tiefdenkende Ida, über diese Dinge zu sprechen, die Zukunft wird alles aufklären.

Die Fürstinn schwieg und setzte am Ende, auf Idas Bitte, noch etwas weniges von Elisabeths Jugendschicksalen hinzu.

Die kleine Prinzessinn war derjenigen welche ihr nach dem letzten Willen ihrer Mutter auf ihr ganzes Leben zur Führerinn dienen sollte, nur wenige Jahre gelassen worden. – Sie ward nach Hofe gefordert um mit dem jungen Albrecht von Oesterreich verlobt zu werden. – Siegmund fühlte es, daß er eine solche Stütze wie Albrechten nöthig habe, um sein gesunkenes Ansehen aufrecht zu erhalten. Die Liebe seines Volks war nach Mariens Tode fast gänzlich verschwunden. Barbara mußte vom Hofe auf die Güter ihres Gemahls, des im vorigen Theile belobten Peter des Einfältigen, entfernt werden. Siegmund zog in den Türkenkrieg, und schickte seine Tochter indessen[224] nach Klausenburg, weil Barbara sein Herz mit Verdacht gegen die Fürstinn Gara und die Nonnen zu Sankt Nikola erfüllt hatte.

Er kam zurück, seine Gefangenschaft, die Begebenheiten auf dem Schlosse Soklos mit der Fürstinn Helena, einer Verwandtinn der Fürstinn Rosa Gara, die Abentheuer auf dem Schlosse Cyly und andere Dinge erfolgten, deren wir im ersten Theile gedacht haben, bis es dahin kam, daß Barbara Königinn, daß sie Elisabeths Stiefmutter ward.

Elisabeths Schicksal wurde dadurch verschlimmert, ihre Einschränkung zu Klausenburg vermehrt, ihre Hoffnungen auf Herzog Albrechten oft verdunkelt. Ihr Herz öfnete sich dem Argwohn und tausend traurigen Vorstellungen. Herzog Albrecht ließ würklich zu der Zeit, da die Reichsangelegenheiten zu Nürnberg und vielleicht auch seine Freundinn Ida ihn zu sehr beschäftigten, weniger von sich hören als sonst. Die Prinzessinn von Ratibor, welche das Unglück nach Klausenburg geführt und zu Elisabeths Freundinn gemacht hatte, ward mit Hülfe ihrer Mutter die Auslegerinn dieser Dinge, und alles nahm die Wendung, die wir gesehen haben, und die Idas zarte Empfindung für die Ehre so schmerzlich verletzte.

[225] Sie nahm die damahligen Entschuldigungen der Fürstinn, welche beym Ende ihrer Erzählung erfolgten, so geneigt auf, als ihr möglich war, und entfernte sich.

22. Kapitel. Liebe wird nicht müde
Zwey und zwanzigstes Kapitel.
Liebe wird nicht müde.

Ida dachte dem nach was sie gehört hatte, und ihr Schluß war am Ende gefaßt, sich der Freyheit zu bedienen, die ihr der Erzbischoff zugestanden hatte, und ihre Nachforschungen in den umliegenden Klöstern fortzusetzen. Ihre nächste Wahl fiel auf Sankt Emri, ein Kloster, das in dem Ruf stand, schon vor uralten Zeiten einer Königinn von Ungarn zum Gefängniß gedient zu haben, und das derhalben, wie Ida meynte, dieses traurigen Vorrechts wohl zum zweytenmal geniessen konnte. Daß Marie lebte, in einem Kloster lebte, war ihr nach dem, was Herrmann einst zufällig aus Barbaras Munde gehört hatte, gewiß, und sie baute darauf alle ihre Hoffnungen, Albrechts Aufträge und ihre menschenfreundlichen Wünsche dereinst erfüllt zu sehen.

[226] Sie hatte gemeynt, ihre Entlassung von den freundlichen Nonnen zu Sankt Nikola ohne Umschweif zu erhalten, und erstaunte nicht wenig, als ihr die Domina, auf ihre Erklärung sie wolle nach Sankt Emri gehen, versicherte, sie müßte hierüber erst zu ihrer Oberinn nach Sankt Annen Bericht erstatten, von welcher sie ihr sehr angelegentlich und unter Bedrohung des erzbischöfflichen Banns, wenn sie die Gräfinn entkommen liesse, anbefohlen sey.

So war also die gute Ida hier so wohl eine Gefangene als in dem traurigen Annenkloster, nur daß hier anmuthigere Lage des Orts, angenehmere Gesellschaft, und mehrere Beschäftigung für ihr Herz, ihr die Einkerkerung nicht hatten fühlbar werden lassen. – Der Bericht nach Sankt Annen ward erstattet, und die Antwort kam zurück: – Der Erzbischoff würde nächster Tage selbst in diesen Gegenden eintreffen, er habe geäußert, daß er die Gräfinn von Würtemberg noch zu Nikola zu treffen und mit ihr über verschiedene Gegenstände zu sprechen hoffte, daher sie zur Geduld zu verweisen und anzuhalten wär, ihm ihre Forderungen selbst vorzutragen, weil sie wahrscheinlich aus ihrem Munde mehr Gewicht bey ihm haben würden als aus jedem andern.

[227] Wir haben noch nicht Gelegenheit gehabt mit unsern Lesern über die Person und das Wesen Bischoff Subinkos umständlich zu sprechen, und auch jetzt sind wir nicht gesonnen von ihm, der nur eine Nebenperson in unserer Geschichte vorstellt, etwas mehreres zu sagen, als daß es gewiß das erste mahl in seinem Leben seyn mochte, daß er von einer so reizenden Dame wie Ida mit Ungeduld erwartet wurde. Man stelle sich in ihm einen kleinen rothäugigten Alten vor, an dem nichts ehrfruchterweckendes war als die Insul, die seine grauen Haare deckte, einen Mann, der zu seinen Zeiten für fromm und gelehrt gehalten wurde, aber im Grunde nichts besaß als altägliche Mönchstugend und Mönchsverstand, einen Greis ohne Charakter, ohne Sitten, kurz ohne alles was die Jugend liebenswürdig und das Alter erträglich macht.

Endlich erschien er zu Sankt Nikola, ließ sich ehr bey der Gräfinn als bey der Domina und der Fürstinn Gara melden, und ward von ihr mit der gewöhnlichen Holdseeligkeit empfangen, die alle ihre Handlungen begleitete, und die diesesmahl durch das Vergnügen über seine endlich erfolgte Ankunft noch erhöht ward.

Endlich, endlich, rief sie, kann ich meine Bitte um Befreyung aus Sankt Nikola, selbst bey euch anbringen!

[228] Befreyung? erwiederte er, ich habe davon gehört! Ihr seyd veränderlich! Dieß ist schon das zweyte Kloster, das ihr während eures kurzen Aufenthalts in dieser Gegend überdrüßig werdet! – Ey ey! was wollte werden, wenn euch Gott für euer ganzes Leben zum heiligen Klosterstand berufen hätte!

Ich hoffe, das hat er nicht! erwiederte Ida lächelnd.

Aber wenn nun? wenn nun, meine Tochter? –

Ida erschrack; ein solches Wort aus dem Munde des Erzbischoffs von Ungarn und Böhmen, mit einem solchen Tone gesprochen, konnte ihr nicht gleichgültig seyn!

Und dies wär leicht möglich, fuhr der Erzbischoff fort, die Sachen eures Propheten zu Prag stehen sehr übel, unser heiliger Vater hat ihn und alle seine Anhänger in den Bann gethan, mit Mühe ist er dem Scheiterhaufen entkommen, den er aber, so Gott will, dessenohngeachtet Zeit genug finden soll!

Ida weinte über das Schicksal des redlichen Huß, aus dessen Munde sie so viel Gutes gelernt hatte.

Pfui! schrie der geistliche Vater, nicht diese Thränen! sie machen euch zur doppelten Ketzerinn! [229] getraut ihr euch die Irrlehren dessen zu vertheidigen, den diese schönen Augen beweinen? –

Nur hören, nur lernen, nur beklagen kann ich, nicht vertheidigen! Gott ist Richter! –

Gut mein Kind, ich sehe ihr seyd sanft und biegsam, eure Sache kann besser werden als ihr denkt. Freylich drohet euch das Schicksal, das alle Anhänger jenes Ketzers betroffen hat. Die gelindeste Züchtigung ist das Kloster auf Lebenszeit. Kein Kloster, mein Kind, das ihr alle vier Wochen mit einem andern vertauschen könnt, wahrscheinlich das zu Sankt Annen, in welchem, wie ich höre, es euch bey eurem weltlichen Sinn sehr übel gefallen hat.

Ida weinte und rang die Hände!

Und, fuhr der Bischoff fort, eure Lage wird noch durch einen Punkt verschlimmert, den ich kaum erwähnen mag. Ich höre, ihr liegt unter dem Bann des heimlichen Gerichts! Ey ey! so jung, so schön, dem Anschein nach so unschuldig und eine so große, so große Sünderinn! – Werdet ihr wohl eine andere Wahl haben, als den Tod oder das Kloster?

Subinko sah Idas Angst und wußte sie nach und nach so hoch zu treiben, daß die Unschuldige seine Knie umfaßte, und ihn um Rettung anflehte. Mich dünkt, rief sie, ihr seyd nicht hart und grausam, eure Augen sagen mir, daß ihr mir wohlwollet, [230] daß ihr mir gern helfen möchtet, wenn es euch möglich wär, und sollte eurer Macht etwas unmöglich seyn können? Nur Flucht oder Verbergung bis auf bessere Zeiten! nur Nachricht an Königinn Sophien, Herzog Albrechten, oder meinen Vater von meinem Zustande! mehr verlange ich nicht! O rettet mich, heiliger Mann! – noch einmahl diesen väterlichen Blick, welcher mir sagt, ihr könnet mein Unglück nicht wollen.

Sagt er das? erwiederte der Erzbischoff mit unbeschreiblicher Freundlichkeit. Und wenn ich euch nun versicherte, daß dieser Blick nicht trügt, daß ich in der Absicht kam, euch zu retten? daß ich euch beym ersten Anblick, da ihr mir zu Prag vorgestellt wurdet, gewogen war? – Ihr hättet das leicht aus der Freyheit schliessen können, die ich euch hier verstattete; keine andere an eurer Statt hätte sich so vieler Nachsicht zu rühmen gehabt. Bedenkt, daß man euch mir als eine Ketzerinn vorstellte!

O so bestättigt meine süssen Hoffnungen, schrie die immer noch kniende Ida, lasset meinem Vater wissen, wo ich bin, bey ihm halte ich mich am sichersten! –

Und warum wollen wir die Hülfe so weit suchen? erwiederte er, indem er ihre Hand ergriff, ist es euch um einen Vater zu thun, so kann ich ja selbst diese Stelle vertreten. Sehet, ich werde [231] alt, zwar noch nicht eben so gar alt, aber doch alt genug, um eine schöne Pflegerinn zu brauchen, wolltet ihr das wohl seyn? – Sehet, ich habe mich jetzt den lästigen Geschäften zu Prag entzogen, lebe in Zukunft auf meinem prächtigen Schlosse am Ufer der Donau, wollet ihr wohl dort die süsse Einsamkeit mit mir theilen, so lang ich lebe, meine Freundinn, und nach dem Tode die Erbinn meiner Schätze seyn?

Ida hörte voll Aufmerksamkeit zu, ohne recht begreifen zu können, was sie gehört habe. Die Tochter eines guten Alten, seine Pflegerinn zu seyn, unter dem Schutze des ungarischen Pabsts bessere Zeiten zu erwarten, war im Grunde für ihr argloses Herz nichts anstößiges, doch sagte ihr ein inneres feines Gefühl, und Kenntniß der Sitten ihrer Zeiten, daß dieses nicht ausführbar sey, auch war ihr seine zunehmende Freundlichkeit und der Blick, mit dem er ihr, weil sie kniete, gerad in die Augen sehen konnte, widerlich. Sie zog ihre Hand aus der Seinigen und stand auf; er hatte sie schon zu lang in dieser demüthigen Stellung gelassen, die ihm vermuthlich darum gefiel, weil sie seine kleine Person mit der ihrigen in eine Art von Gleichheit setzte und ihm das Aufsehen zu ihr erleichterte.

[232] Ihr müßt nicht zürnen, schöne Gräfinn, fuhr er fort, indem er sich gleichfalls erhub, und ihre Hand von neuem ergriff.

Ein Kloster, wenn es seyn muß, sagte Ida wird bis zu glücklichern Zeiten der beste Aufenthalt für mich seyn. Mein Stand –

Redet doch nicht von eurem Stande, unterbrach er sie, wir wissen es, daß ihr eine Gräfinn von Würtemberg seyd; aber die Geschichte zeigt euch Personen von weit höherem Range, welche die Freundschaft eines Bischoffs nicht verschmähten.

Denkt an Mathilden, die Marggräfinn von Toskana, welche es sich zur Ehre schätzte, Pabst Gregor des siebenden geistliche Tochter zu seyn, und derhalben noch jetzt, dreyhundert Jahr nach ihrem Tode hochgepriesen wird.

Hatte der Erzbischoff wohl etwas mehreres nöthig, als dieses Gleichniß, um seine Absichten auf die schöne Ida völlig klar zu machen? – Ida stand starr vor Erstaunen mit niedergeschlagenen Augen, ohne ein Wort zu sprechen. Glühende Röthe und Todenblässe überflogen wechselweise ihre Wangen, indeß der heilige Mann grinzend zu ihr hinauf sah und ein günstiges Urtheil aus ihrem schönen Munde zu erwarten schien.

Mathilde von Tuscien? sagte Ida zu sich selbst. Entsetzlich! ich und Mathilde? –

[233] Es ist wahr, die Geschichte der Marggräfinn von Toskana und ihres geistlichen Liebhabers war in jenen Zeiten noch nicht so verrufen wie jetzt, aber doch ward sie hinlänglich nach der Wahrheit beurtheilt, um jeder guten Seele Widerwillen einzuflössen. – Ida schauerte in sich zurück, schleuderte die Hand des Erzbischoffs, welche unablässig nach der ihrigen tappte, mit Ungestüm von sich, brach in Thränen aus und kehrte ihm den Rücken.

Der verliebte Alte ließ nicht ab mit seinen Vorstellungen. Ida gerieth beynahe in Wuth über seine Zudringlichkeit, wenn sich dieser Ausdruck anders bey ihrer sanften Gemüthsart rechtfertigen läßt. Die Reizung zum Zorn war auf beyden Seiten zu mächtig, man sagte sich Bitterkeiten, und schied aufgebracht und drohend von einander.

23. Kapitel. Auch dem elendesten Stande fehlt es nicht
Drey und zwanzigstes Kapitel.
Auch dem elendesten Stande fehlt es nicht
an Freuden.

Was wird aus mir werden! rief Ida, Gott was wird aus mir werden! Die Rache des Unwürdigen wird mich verfolgen! Nie nie werde ich die wiedersehen, welche ich liebe.

[234] Sie gieng zu der Fürstinn Gara, sie Theil an ihrem Unglück nehmen zu lassen, und ihren Rath zu hören, aber die Worte erstarben ihr auf der Zunge. Sie erröthete, daß jemand außer ihr den schimpflichen Auftrag wissen sollte, den man gewagt hatte ihr zu thun.

Der Erzbischoff ist bey euch gewesen, sagte die Fürstinn, habt ihr keine Veränderung in seinem Wesen gemerkt?

Ich kenne ihn zu wenig um urtheilen zu können! –

Mich dünkt, er war mürrisch, niedergeschlagen, verlegen! – wißt ihr die Ursach?

Ida erröthete; sollte er die Kühnheit gehabt haben von dem, was unter uns vorging, gegen andere zu sprechen? sagte sie zu sich selbst

Doch ihr könnt sie nicht wissen, fuhr die Fürstinn fort, er wird sie niemand sagen und mir hat sie die Aebtissinn nur im höchsten Vertrauen entdekt. Ihr wißt seine Händel mit dem neuen böhmischen Prediger, die auch euch hieher brachten, er hat sie so weit getrieben, daß König Wenzel endlich unwillig geworden ist, und ihm, vermuthlich auf Anrathen seiner Gemahlinn, unter den Fuß geben lassen, er möchte sich entfernen. Er ist seiner Würde in Böhmen so gut als entsetzt. König Siegmund schützt ihn noch; in Ungarn bleibt er noch was er war, aber wie lang? –

[235] Ists möglich? unterbrach Ida ihre Freundinn, die Macht des Nichtswürdigen ist gefallen? und ich habe also nichts zu besorgen?

Die Fürstinn rechnete Idas Schadenfreude blos auf den Unwillen, den sie wegen vergangener Dinge gegen den Erzbischoff haben mußte, und erklärte ihr das deutlicher, was ihr so viel Vergnügen zu machen schien, indessen Ida allen ihren Kummer verschwinden fühlte, und sich vornahm, ihrer Freyheit zu gebrauchen, und des nächsten Tages ihre Reise nach Sankt Emri anzutreten.

Ihr Entschluß, das Kloster zu verlassen, ward den Nonnen nochmals vorgetragen, und diese versicherten, der Erzbischoff habe befohlen, wenn sie denselben von neuem äußerte, sich ihm nicht zu widersetzen! –

So waren also Idas Besorgnisse wegen der ohnmächtigen Drohungen ihres Verfolgers gänzlich gehoben. Der Elende! sagte sie zu sich selbst, so sehr ist seine Macht gesunken, daß er mir nicht einmahl meine kleinen Wanderungen einschränken darf! ich will sie fortsetzen, bis ich gefunden habe was ich suche, und dann ihm und allen Feinden der Unschuld zum Trotz glücklich seyn! – Es ist wahr, ich könnte mich gleich auf den Weg nach Italien zu meinem Vater oder nach einem andern selbstgewählten Sicherheitsort begeben. Aber, nein, ich will meinem Entschluß treu bleiben, will Herzog [236] Albrechts Aufträge ausrichten, und dann erst an mich selbst denken.

Ida reiste ab. Der Weg nach Sankt Emri war nicht klein genug um so wie die schöne Wanderinn wünschte zu Fuße unternommen zu werden; sie bekam einen Wagen. Sie bat um die Begleitung einer der Klosterjungfern, aber man antwortete, der Bischoff habe dieses verboten. Seine Macht ist immer noch groß genug, dachte Ida, als sie den Klosterberg hinabfuhr, und der Wagen in das Thal einlenkte, welches Sankt Nikola und Sankt Annen von einander trennte.

Sie erblickte in der Ferne einige Gewappnete, die gegen ihren Wagen daher zogen; ihre Anzahl war zu klein, ihr Wesen zu friedlich, als daß sie sich über diese Erscheinung hätte beunruhigen sollen. –

Sie kamen näher. Ida erkannte die Rüstung, die sie des vorigen Tages an den Reisigen des Erzbischoffs gesehen hatte. Ein kalter Schauer überfiel sie; so wenig ihrer Freunde, so schwach sie auch seyn mochten, sie war doch eine einzelne Dame allemahl unfähig sich zu widersetzen, wenn hier Absichten auf sie statt haben sollten.

Einer von den Reutern, ein alter Mann mit einem ehrlichen Gesicht, nahte sich dem Wagen. Wir sind gesandt euch zur Begleitung zu dienen, sagte er.

[237] Zur Begleitung? wiederholte sie, wohin? –

Wohin ihr gedenkt. Ins Kloster! –

Gewiß gewiß ins Kloster? fragte Ida Ich beschwöre euch, Alter, sagt mir die Wahrheit.

So wahr mir Gott helfe und die heilige Jungfrau! erwiederte er mit auf die Brust gelegter Hand, und einer Miene voll frommer Einfalt.

Ein ehrliches treuvolles Gesicht hat die Kraft, jeden Argwohn zu stillen. Ida glaubte, was man ihr sagte, und beruhigte sich. Auch hatte sie nicht Zeit lang über ihr Schicksal ungewiß zu seyn, denn die Reise war eher geendigt als sie glaubte. Der Weg nach Sankt Emri war weit, und gleichwohl hörte sie, daß einer ihrer Begleiter sagte: Wir sind bald an Ort und Stelle, dort unten erheben sich schon die Klostermauern.

Ida beugte sich heraus und sahe die Spitzen von Sankt Annen. Wohin bringt ihr mich! schrie sie, – Ins Annenkloster, wir habens euch schon gesagt. – Ich verlange nach Sankt Emri! dazu haben wir keinen Befehl! –

Ida wollte aus dem Wagen springen, der Alte, mit welchem sie anfangs sprach, hielt sie zurück. Sie schalt ihn einen Verräther, ohne zu bedenken, daß sie ihn nicht nach dem Namen des Klosters gefragt habe, und denselben also auch nicht [238] hatte erfahren können. – Der Alte betheuerte, daß er ihr ihn nicht absichtlich verschwiegen habe. Warum hätte ich es thun sollen? sagte er, ihr waret doch in unserer Gewalt und mustet dahin folgen, wohin es uns befohlen war, euch zu begleiten.

Ida lehnte sich zurück, und weinte. Der Wagen fuhr zu den geöfneten Klosterpforten ein, die bekannten Gesichter der verdrüßlichen Nonnen kamen zum Vorschein. Die Gräfinn mußte aussteigen, und befand sich wieder an dem Orte, den ihr der Aufenthalt von wenig Wochen schon so zuwieder gemacht hatte, und den sie jetzt nicht hoffen durfte so bald zu verlassen, als da sie ihn zum ersten mahle sahe.

Sie ward vor die Aebtissinn geführt. Willkommen, Gräfinn, sagte sie. Ich sehe die Nonnen zu Sankt Nikola haben einerley Schicksal mit uns gehabt, ihr seyd ihrer schnell überdrüßig worden. – Doch scheint es, der Vortheil ist auf unserer Seite, wir werden zum zweytenmahle besucht, und jene auf immer verlassen.

Auf immer? fragte Ida. –

Wenn ich den Worten des Erzbischofs trauen darf! – Ihr werdet euch gefallen lassen, die Probezeit bey uns zu halten, und dann soll es euch erlaubt seyn, in unsern Orten zu treten, und [239] Theil an allen Rechten und Freyheiten zu nehmen welche wir geniessen. –

Ich bin nicht gesonnen den geistlichen Stand zu wählen, wenigstens nicht in diesem Kloster. –

Ida, ihr nöthigt mich Dinge zu sagen, welche euch nicht gefallen werden; soll ich laut davon sprechen, daß ihr von der heimlichen Acht verfolgt werdet, daß euch kein anderes Rettungsmittel für euer Leben übrig ist als das Kloster! Keine von meinen Fräuleins wird euch Schwester nennen wollen, wenn dieses kund wird. Solche Personen, wie ihr, gehören in die Klöster der Büssenden. Dankt es der Gnade des Erzbischoffs, daß er euch retten will, daß er von diesen Dingen schweigt, auch mir geboten hat zu schweigen, ich fürchte, ihr würdet sonst selbst in diesen heiligen Mauren nicht sicher seyn!

Ida konnte mit nichts antworten als mit ihren Thränen. Die Domina hielt dieses für Thränen der Busse, versicherte sie ihrer Gnade, und reichte ihr ihre Hand zum Kuß; ein Zeichen, daß sie schon von ihr als eine der Unglücklichen angesehen wurde, welche unter ihrem geistlichen Scepter standen.

Die Geschichte meldet nicht, ob Ida sich bey dieser Gelegenheit gebührlich betrug, und wir haben billige Ursach daran zu zweifeln. Das Unglück, [240] das sie jetzt betraf, war ihr noch zu neu, daß sie sich darin hätte schicken, oder sich gutwillig vor ihrer strengen Oberinn demüthigen sollen.

Ach, seufzte sie, als sie auf ihre Zelle kam, ich Thörinn, daß ich glauben konnte, die Beleidigung eines geistlichen Fürsten würde mir ungestraft hingehen! ich Thörinn, daß ich die guten Nonnen zu Sankt Nikola verließ, um mich selbst in diesen Kerker zu liefern. Dort hätte mich die Grausamkeit des Erzbischoffs nicht so treffen können wie hier, dort hätte ich wenigstens die Fürstinn Gara zur Zeuginn, zur Helferinn in meiner Noth gehabt, und hätte man mich ja zum Klosterleben zwingen wollen; so wär es doch allemahl besser gewesen dort als hier. – O daß ich nicht wenigstens der Fürstinn einen Wink von der Scene zwischen mir und meinem Verfolger gab! dieß hätte sie doch aufmerksam auf mein Schicksal gemacht, hätte ihr doch Muthmassungen eingeflößt, wenn sie nun erfährt, daß ich nicht zu Sankt Emri angekommen bin! – O der thörichten Sucht nach Wanderungen und Abentheuren! o des unüberlegten Bestrebens andern zu helfen, wenn man selbst hülflos ist! – Marie ist tod wie die Fürstinn sagt und wie mir selbst jetzt sehr wahrscheinlich dünkt, ich jage ihrem Gespenst nach und stürze darüber [241] in einen Abgrund, aus welchem nichts mich retten kann!

So klagte Ida, bis sie sich überzeugte, daß Klagen nichts hülfe, und nur Geduld, und Thätigkeit im Stande sey, das Böse zu überwinden.

Schon der erste Anblick des Klosters zu Sankt Annen und seiner düstern Bewohnerinnen hatte, wie wir wissen, der Gräfinn Widerwillen und den Wunsch sich zu entfernen eingeflößt, jetzt da sie diesen traurigen Ort genauer kennen lernte, mehrten sich seine Schrecknisse in ihren Augen. Jenesmahl hatte man ihr mit Achtung begegnet, ihr das beste Zimmer des Hauses gegeben, ihr alle Freyheit gelassen, ihr so viel man sich darauf verstand zu gefallen gestrebt, jetzt war all dieses so ganz anders, jetzt kam zu allen diesen noch der Gedanke: Hier mußt du ewig bleiben! und es fehlte wenig, daß Ida unter ihrem Leiden erlag.

Ihr einiger Trost war noch das Probejahr, das sie erst zurücklegen mußte, ehe sie das unwiderrufliche Gelübde auszusprechen genöthiget ward. Wie viel konnte in dieser Zeit geschehen! Ihr Leben war so voll von wunderbaren und schnellen Aenderungen, daß ihr die Hoffnung zuflüsterte, auch hier würde das Schicksal Zufälle unvorhergesehener Ereignisse einschieben, welche der Sache ein heiteres Ansehen geben könnten!

[242] O Hoffnung, Engel des Himmels, trittst du an die Seite des Leidenden, so ist er schon halb gerettet! Die Schmerzen hören auf an seinem Leben zu nagen, die Ketten werden leicht an seinen Händen. Er fühlt das Gegenwärtige nur halb und lächelt der Zukunft entge gen!

Ida fand es sehr wahrscheinlich, daß ihr binnen Jahresfrist könne geholfen werden, und sie nahm sich vor, um bis zu der glücklichen Rettung, die sie träumte, nicht ganz unglücklich zu seyn, nicht ehe sie erschien vom Gram getödtet zu werden, sich in ihr Schicksal zu fügen, mit heiterer Stirne zu dulden, zu thun, und zu unterlassen, was ihre Zuchtmeisterinnen ihr auflegen und ihr neuer Stand erfordern würde.

Die Kränkungen der unglücklichen Gräfinn in diesem Aufenthalt des Schreckens waren unzählich, wir haben ihn und seine Bewohnerinnen im Vorhergehenden zur Gnüge beschrieben um unsere Leser rathen zu lassen worinnen sie bestanden.

Die Mühseligkeiten des Noviziats wurden der künftigen Ordensschwester doppelt schwer gemacht, weil sie zu einer ganz andern Art von Geschöpfen zu gehören schien als ihre Gefährtinnen. Diese Schönheit, diese Herzensgüte, diesen frohen Muth zu zerstören, sie in Häßlichkeit, Mismuth und Feindseligkeit umzuwandeln, dazu gehörten ungewöhnliche [243] Anstrengungen, und man vergaß nicht sie der Armen in reichlichem Maaße zuzutheilen.

Die erste Hälfte des Probejahrs war die peinlichste für Ida, sie verfloß, wie noch heut zu Tage im Noviziat gewöhnlich ist, unter einer Menge zweckloser vergeblicher Arbeiten, die man mit den Geschäften der Wasserträgerinnen des Erebus vergleichen könnte; ermüdend und ganz ohne Nutzen. – Welch ein Gefühl für eine so edle, schöne, stets nützlich beschäftigte Seele, ihre Kräfte ohne Nutzen verwenden zu müssen, den entfliehenden Tagen kein anderes Zeichen mit geben zu können, daß sie dagewesen waren, als ein paar Thränen, kein Denkmahl von ihrem Besuch aufweisen zu können als allenfalls Wachsthum in der Geduld.

Diese traurige, Ida in ihrem folgenden Leben ganz unvergeßliche nie genug bedauerte Zeit ging endlich auch vorüber, und man fing an, der unglücklichen Gräfinn edlere, vielleicht eben so beschwerliche, eben so traurige aber doch nützlichere Arbeiten aufzutragen als die vorigen.

Ida jauchzte, als man ihr bekannt machte, sie sey zur Wärterinn der Kranken erwählt worden. Bekümmerte zu trösten, Elend zu lindern, und wo sie es nicht konnte mit den Weinenden zu weinen, war ja immer eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen gewesen, wie hätte ihr vor dem Geschäfte [244] bange seyn sollen, zu welchem sie jetzt angewiesen wurde. –

Doch fand Ida, als sie sich näher mit demselben bekannt machte, daß es nicht so leicht sey, als sie meynte, daß es ein anderes ist Werke der Barmherzigkeit blos nach Wohlgefallen zu üben, und sie als sein eigenes Geschäft ansehen zu müssen. – Sie hatte vor dem auch wohl Kranke besucht, Verwundete verbunden, und Sterbende getröstet, wie es die fromme Sitte jener Zeiten mit sich brachte, aber weder Tag noch Nacht andere Gegenstände als Leidende zu sehen, nichts als Seufzer zu hören, stets in der Stille des Todes zu wandeln, welch eine Lage für eines der zärtesten fühlendesten Herzen, die der Schöpfer jemahls bildete!

Die ungesunde Lage des Klosters zu Sankt Annen machte die Anzahl der Kranken für eine einige Wärterinn fast zu groß. Doch Idas weise Sorgfalt minderte sie. Es kamen unter den Gesunden wieder Gesichter zum Vorschein, die man seit Jahren nicht gesehen hatte, und die die Schwesterschaft als von den Toden Erstandene begrüßte. Die Nonnen zu Sankt Annen waren eben nicht die liebreichsten und verständigsten Wärterinnen, durch ihre Vernachlässigung welkte manches hin und starb, was der Fleis der guten Ida wieder zum Aufblühen brachte.

[245] Außer dem Danke der Geretteten ward der Gräfinn noch ein Lohn zu Theil, sie lernte im Krankenzimmer Personen kennen, die sie zuvor nie gesehen hatte, und die in vieler Betrachtung die besten des Klosters waren. Die Gekränkten, die Unterdrückten, die Vernachläßigten, wurden nur gar zu bald, bey schlechter Luft, schlechten und abgekürzten Nahrungsmitteln, Bewohnerinnen der Krankenstube, indessen ihre Freundinnen in voller Gesundheit über sie triumphirten und ihrem Tode entgegen sahen. Ida freute sich, auch an einem Orte wie Sankt Annen, gute Seelen zu finden, sie stärkte sie mit physischen und moralischen Heilmitteln und brachte sie ans Licht, fähiger als zuvor das Böse zu ertragen, das ihnen von neuem bevorstand.

24. Kapitel
Vier und zwanzigstes Kapitel.

Unter den Kranken, deren Anzahl sich jetzt durch die gute Wartung bis auf drey oder viere gemindert hatte, befand sich eine, welche von Anfang Idas besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.

Eine große schweigende Dulderinn, die für alles Worte hatte, nur nicht für ihren Schmerz, [246] ihre Krankheit schien unheilbar zu seyn, eine gänzliche Aufzehrung aller Lebenskräfte, jene Ermattung, die eigentlich nur das hohe Alter herbeyführt, zu welchen die gute Nonne noch nicht den halben Weg zurückgelegt hatte. – Ihr Körper war es nicht allein welcher litt; ihre Seele duldete namlose Qualen, nicht von Sorge für die Zukunft, wie sie zuweilen in Stunden der Vertraulichkeit zu Ida sagte, die Zukunft lag heiter vor ihr in den Gefilden der Ewigkeit ausgebreitet, nein von Erinnerung des Vergangenen, welches, wie zuweilen eines ihrer Worte andeutete, schrecklich für sie gewesen seyn mußte. – Sie mußte alles verloren haben, was ihr lieb war, mußte es auf ungewohnt traurige Art verloren haben, kein Band schien sie mehr an die Erde zu fesseln, und zürnte mit dem Tode, daß er so lang zögerte ihr den Trank des Schlummers und der Vergessenheit zu reichen.

Ida wagte der bescheidenen Fragen viel an sie, aber nie bekam sie befriedigende Antwort. Sie fragte, wie lang sie litte? – Lang! war die Antwort. Wie lang sie unter die Kranken gezählt werde? Seit die Hofnung des nahen Todes mich fast gesund macht. Welchen Stand sie in der Welt behauptet habe? – Den elendesten! Was sie verloren habe? – Alles!

Die Gräfinn hatte den Glauben, daß kein Leiden der Erde ohne Linderung ist, wenn man [247] sich nur nicht scheut seine Wunde der Freundschaft zu enthüllen, sie sann Tag und Nacht darauf, ihrer geliebten Kranken ihr Geheimniß zu entreissen, sie las in ihren Mienen, setzte ihre gebrochenen Worte zusammen, und belauschte ihren Schlummer, ob sie nicht endlich etwas würde ausspähen, ein im Traum entfallnes Wort auffinden können, das ihr entdeckte, auf welcher Seite ihrer kranken Freundinn der lindernde Balsam beyzubringen sey, sie bekam sonderbare Muthmaßungen, aber dieß war auch alles. –

Endlich kam sie auf den glücklichen Einfall, Vertraulichkeit durch Vertraulichkeit zu erwecken, und die geliebte Nonne mit ihren eigenen Schicksalen bekannt zu machen. Die Kranke hatte der schlaflosen Nächte viel, oder vielmehr nur die kleinste Hälfte der Nachtzeit war bey ihr dem Schlafe gewidmet, die andere fiel einer Art von wachenden Träumen anheim, die zu schrecklich waren, als daß sie nicht die menschenfreundliche Ida auf alle Art hätten stören sollen.

Mitternacht ist vorüber, sagte sie einsmahl zu der Kranken, unsere Schwestern schlafen, womit soll ich auch euch den Schlaf herbey rufen? – Schlaf auch du, meine Ida, antwortete sie, und laß mich allein wachen. –

[248] Ach ich habe so manche Nacht in meinem Leben durchwacht, daß ich wohl gelernt haben kann den Schlaf zu entbehren! –

Du? – Glückliche pflegen sanft zu schlafen, wenn die Unglücklichen wachen! –

Haltet ihr mich für glücklich? – O solltet ihr die traurige Geschichte meines Lebens wissen! wie oft ich dem Tode nahe war, wie Schande und Verleumdung hinter mir herjagten, wie das Schwerd an einem dünnen Faden über mir hing, wie ich von denen getrennt wurde, die ich liebte! –

Getrennt? – durch Tod, Untreu, Verrätherey getrennt? – O erzehle! solche Geschichten sind gut für den zu hören, der ähnliches Leiden erfuhr!

Und Ida erzehlte.

Was sie erzehlte und erzehlen konnte, mein Leser, das weißt du, aber die Würkung, welche die Geschichte auf die Zuhörerinn that, ist schwerer zu errathen, blieb selbst Ida in den ersten Tagen ein Geheimniß. – Idas Erzehlung ward zu sehr mit kleinen uns unbekannten Umständen, mit Fragen von der einen, und Betrachtungen von der andern Seite durchwebt, als daß sie in einer Nacht hätte können geendigt werden, auch nutzte die Gräfinn nur die Stunden dazu, von welchen sie wußte, daß sie ihre Freundinn allemahl schlaflos zubrachte; [249] wenn der Morgen anbrach, der so manchen Kranken erst den Schlummer mitbringt, dann schwieg sie, die Augen ihrer Freundinn schlossen sich und auch sie legte sich zu einem kurzen Schlafe an ihre Seite.

Der Haupteindruck, den Idas Geschichte auf die Zuhörerinn machte, bestand anfänglich blos in vermehrter Neigung für die Erzählerinn, bey einigen Stellen merkte die Gräfinn wohl eine Art von Bewegung bey der Kranken, auch wohl einige hervorquellende Thränen, aber sie wußte nicht recht, was sie aus denselben machen sollte. Diese Bewegung, diese Thränen kamen oft an Stellen zum Vorschein, wohin sie gar nicht gehörten, mußten vielleicht durch Nennung eines bekannten Namens, durch Erregung einer verwandten Idee hervorgebracht werden; man kennt die Eigenheiten schwacher Gemüther, auch Ida kannte sie, und war klug genug, sie unbemerkt vorübergehen zu lassen.

Ida war ganz offenherzig gegen ihre Freundinn; was hätte sie für Ursach haben können, ihr einen einigen Umstand ihrer Geschichte zu verschweigen? und wie konnte sie wissen, welcher Theil derselben die Wirkung hervorbringen würde, welche sie wünschte?

Die Gräfinn war in ihrer Geschichte ohngefehr bis dahingekommen, wo Herrmann ihr seine [250] Begebenheiten auf dem Schlosse Cyly erzählte, und ihre genaue Aufmerksamkeit auf die Zuhörerinn hatte gemacht, daß sie sahe, sie dürfe nur einen oder zween Namen nennen um der Kranken einen Seufzer oder wohl gar eine Thräne abzulocken; eine Entdeckung, welche ihr Muthmaßungen einflößte, die sie schon oft aus andern Gründen gehabt, aber immer als unwahrscheinlich wieder verworfen hatte. – Sie machte die Probe einigemahl und ward ihrer Sache gewiß.

Sie wußte noch zwey Personen in ihrer Geschichte, deren Nennung den heftigsten Eindruck auf die Hörerinn machen mußten, wenn sie wirklich diejenige war, für welche Ida sie nach und nach zu halten geneigt wurde. Sie sparte diese theuren Namen, besonders den einen derselben, sorgfältig auf einen Augenblick, vermied, sie zu frühzeitig zu erwähnen, und fuhr, als sie an die Stelle kam, welche sie zu Enthüllung des großen Geheimnisses bestimmt hatte, in ihrer Erzählung, welche sie jetzt bis auf ihre Ankunft im Kloster Nikola gebracht hatte, folgendermaßen fort:

»Ich habe euch gesagt, daß es Herzog Albrecht von Oesterreich war, welcher mich zu Nürnberg in Schutz nahm, und mir in einem ungarischen Kloster Sicherheit zu schaffen versprach. Ich war, wie ihr wißt, durch ganz andere Mittel nach Ungarn gekommen als durch seine Hülfe, [251] aber ich vergaß nicht die Aufträge, die er mir in diesem Lande gegeben hatte. O Schwester! – Aufträge von der größten Wichtigkeit, Aufträge, an welchen das Glück vieler Personen haftete. Soll ich sie euch entdecken? – doch ich kann es ohne Gefahr!

Herzog Albrecht – Mich wundert, daß ihr dieß nicht zu wissen scheint, – war der versprochene Gemahl einer liebenswürdigen Prinzessinn, diese Prinzessinn hatte eine Mutter, die man sechszehen Jahr lang für tod gehalten, von deren Leben man jetzt zu sprechen begunnte; die letzte, diese große unglückliche Dame in diesen Gegenden aufzusuchen, war das mir aufgetragene Geschäft. Herzog Albrechts Braut hieß Elisabeth, ihre Mutter Marie.«

Elisabeth? Marie? wiederholte die Nonne mit einem Tone, der sich besser denken als beschreiben läßt.

Elisabeth König Siegmunds Tochter! fuhr Ida fort, und Marie, der unglückliche Königinn von Ungarn.

Ja wohl unglücklich! rief die Kranke mit zusammengeschlagenen Händen. – Aber ihr sprecht von lauter Toden. Marie ist tod, muß tod bleiben! – und Elisabeth? – sonderbar, sie starb ja in ihren ersten Kinderjahren!

[252] Elisabeth? – ihr irrt. Sie lebt, ist die Erbinn von Ungarn, und die Verlobte des edelsten Fürsten der Welt –

Unmöglich! unmöglich! – O daß ihr wahr reden möchtet, daß ich dieß liebe Kind noch einmal an meinen Busen drücken könnte!

Ida sah jetzt deutlich, was auch meine Leser sehen, vielleicht schon längst gemuthmasset haben werden. Ihr Herz hub sich vor Freude und Kummer hoch empor, aber sie unterdrückte ihre Gefühle und fuhr fort.

Wollte Gott, daß ich euch die Prinzessinn, die euch so lieb zu seyn scheint, augenblicklich darstellen könnte, aber sie lebt weit von hier, lebt im Kloster Klausenburg; doch eine Freundinn von ihr, eine Zeuginn ihres Lebens ist in der Nähe, ist zu Sankt Nikola. Die Fürstinn Rosa Gara. –

Die Fürstinn Gara? – Träumerinn! auch diese ist tod, ihr wißt, sie starb bald darauf als ich – als Marie die junge Elisabeth zur Welt brachte –

Die Fürstinn Rosa Gara lebt, lebt zu Nikola, ich kam aus ihren Armen in dieses Kloster. –

Rosa lebt? meine Rosa Gara lebt? Elisabeth lebt? – O Uebermaß von Freude! – Nein! unmöglich! –

Marie war bey diesen Worten ohne Empfindung zurückgesunken. Die entzückte Ida knietw [253] an ihrem Lager, strebte sie zu erquicken, und netzte ihre Hände mit ihren Thränen. Meine Königinn rief sie, theure unglückliche Marie! erwacht, erwacht zu besseren Tagen! –

Marie erwachte, richtete sich hoch auf, sah wundernd um sich her, that neue Fragen, erhielt ihre Beantwortung, konnte der entzückten Ida nicht mehr verheelen, wer sie war, warf sich in ihre Arme, weinte an ihrem Busen, rief noch tausendmahl, ob es möglich sey, ward überzeugt, und erlag unter dem Uebermaas ihrer Gefühle.

Nicht leicht konnte eine der wichtigsten Entdeckungen besser vorbereitet und mit mehr Schonung behandelt worden seyn als diese, und doch that sie die gefährlichste Wirkung auf das Gemüth der Königinn.

Sie ward todtkrank, Ida weinte an ihrem Lager und hielt es für unmöglich sie zu retten. Ach seufzte sie, hätte ich sie nur erst in die Arme ihrer Geliebten liefern, ihr nur noch diesseit des Grabes die Freuden des Wiedersehens gewähren können!

Die Gräfinn ging zu der Aebtissinn, und bat mit der Demuth, die sie jetzt hatte lernen müssen, man möchte der todtkranken Schwester Veronika – (dies war Mariens Klosternahme) – vergönnen sich nach Sankt Nikola bringen zu lassen, [254] um in der dasigen gesunden Luft eher zu genesen oder ruhiger zu sterben. –

Sie ward mit Ungestüm abgewiesen! – Man fragte sie, ob ihr die Lust zu wandern von neuem ankäme?

Ich bitte nicht für mich, antwortete Ida, nur für die Kranke, man vergönne mir, sie dort hinzubegleiten, und nachdem ich den dasigen Wärterinnen gesagt habe, wie sie zu behandeln ist, in dieses Kloster zurückzukehren, das ich in Demuth als den Ort meiner Bestimmung erkenne

Die Aebtissinn meynte, an dem Leben der elenden Veronika sey nicht so viel gelegen. Ida merkte, daß Marie hier wirklich nicht unter ihrem wahren Namen bekannt sey, wagte es nicht, sie zu entdecken, und ging traurig nach der königlichen Kranken zurück.

25. Kapitel. Die Schwester Veronika
Fünf und zwanzigstes Kapitel.
Die Schwester Veronika.

Die Gräfinn widmete sich ganz der Wartung der erhabenen Marie. Das Schicksal erleichterte ihr dieselbe. Eine der noch übrigen Kranken starb, die andern genaßen, und Ida konnte alle ihre Zeit für die Königinn verwenden.

[255] Man dachte im Kloster menschlich genug, sie hierinn nicht zu stören, ihr Noviciat war bis auf wenige Monate verflossen, sie hatte sich untadelhaft in demselben verhalten, und es war wider die Regel, am Ende der Probezeit noch auf neue Lasten für die künftige Schwester zu sinnen.

Ida sann Tag und Nacht, wie sie Mariens Schicksal verbessern und sie in Elisabeths Arme bringen könne, ihre vornehmste Hoffnung beruhte auf dem Besuche der heiligen Nikola, den dieselbe, wie dem Leser bekannt ist, jährlich bey ihrer ältern Schwester Sankt Annen abzulegen pflegte, und der nunmehr in wenig Wochen gefällig war. Sie wußte, daß die Prozession diesesmahl nicht so feyerlich seyn würde wie des vorigen Jahrs, aber es war doch möglich, daß sich unter den Begleiterinnen der Heiligen eine von den Nonnen jenes Klosters befand, die sie vorzüglich liebte, und durch die sie der Fürstinn Gara ein vertrautes Wort zuentbieten konnte.

Die Königinn erholte sich unter ihrer liebreichen Pflege; Ida stärkte sie mit umständlicher Erzehlung der Dinge, die ihr Freude machen konnten, und gab ihr Theil an ihren Hofnungen. Marie lernte jetzt wieder hoffen, sie glaubte so viel verloren zu haben, fand so viel wieder, wie hätte sie nicht hoffen sollen?

[256] Ida wußte aus der Erzählung der Fürstinn Gara viel von den Schicksalen der unglücklichen Königinn, aber der letztere Theil derselben blieb ihr noch immer ein Räthsel. Niemand konnte es ihr lösen als Marie selbst, aber wie sollte sie einer todtschwachen Person eine Erzählung, wie einem gekränkten Herzen die Erneuerung seiner Leiden zumuthen! – Sie schwieg und verschloß ihr Verlangen bescheiden in ihrem Busen, doch konnte es den Augen der sie liebenden Königinn nicht ganz entgehen.

Ich sehe was du wünschest, meine Ida, sagte sie einsmals, und Gott lob, daß ich dir willfahren kann, ohne mich selbst dabey aufzuopfern, du sollst alles wissen, ich habe es schriftlich verfaßt, ach die Feder war ja mein einiger Trost in dieser traurigen Wohnung! ich freute mich meinen stummen Schmerz doch auf einige Art reden zu lassen, doch ein Denkmal meiner Leiden zurück zu lassen, damit ich dem ungeheuren Strom von Thränen, der auf dieser Welt geweint wird, die meinigen nicht ganz verschlungen, ihre Spur nicht gänzlich ausgetilgt würde!

Und wo soll ich dies kostbare Dokument von den Leiden einer Heiligen finden? fragte Ida. –

Es giebt in diesem Kloster nur einen Ort, der der boshaften Neugier heilig ist! – erwiederte [257] die Königinn, dort habe ich mein trauriges Tagebuch verborgen. – Das Grab verhüllt meine Geheimnisse! – Ich grub mir nach hiesiger Sitte meine Ruhehöle selbst, besuchte sie oft, netzte sie mit meinen Thränen und vertraute ihr meine Leiden, du wirst den Ort mit leichter Mühe finden, das Kreutz mit dem Namen Veronika kann dich nicht täuschen, der Mond zeigt dir den Weg.

Es war Mitternacht, alles ruhte im Kloster, und Ida eilte nach dem Kirchhofe. Marie harrte ihrer lange, endlich erschien sie. Du bist lang geblieben, mein Kind, sprach die Königinn. – Das Grab war eingesunken, erwiederte die Gräfinn mit etwas erschrockenem Ton, es kostete mir Mühe das Kästchen mit der Schrift zu finden, auch weinte ich im Vorübergehen am Grabe der kürzlich verstorbenen Schwestern einige Thränen!

Setze dich, und lies, sagte Marie, vielleicht daß mir meine Leiden erträglicher dünken, wenn ich sie durch deine sanfte Stimme höre, und ach, sie sind ja vergangen, und mir lacht, o Gott, so unvermuthet! noch dies seit des Grabes einige Hoffnung!

Ida las. Die Schrift war sorgfältig in Bley gehüllt und wohl conservirt.

[258] Tagebuch der Königinn Marie.

Ja Schwestern, ich war einst eine Königinn! die arme von euch so verachtete Veronika trug einst eine Krone. – Heil mir! wenn diese Buchstaben vor eure Augen kommen werden, so sind die Leiden, die mir das Diadem brachte, und die Freuden, die ich vergeblich von ihm hoffte, vergessen, der Traum ist geträumt und ich bin zum Leben erwacht. Auch das letzte Ueberbleibsel von mir, dies kleine ruhende Häufchen Asche, auch dies wird erwachen, wird eben so froh erwachen, als eure Gebeine, und wir werden alle Freundinnen seyn!

Schwestern, das hoffe ich gewiß! Ich war keine böse Königinn, weder Blut noch Thränen haften an meiner Krone als die meinigen. Ich kann meinem Richter froh entgegen gehen! – Ich werde selig seyn, Gott, ich werde selig seyn wie ihr!

Ihr wißt den Tag, da ich nach Sankt Annen kam, niemand kannte mich als eure Aebtissinn, die nun auch unter jenem Hügel ruht, und einer andern Platz gemacht hat, welche mich nicht kennt. Ich danke Gott dafür, daß ich ihr und euch allen unbekannt bin. Gott kennt mich, das ist mir genug!

[259] Doch auch ihr sollt einst wissen wer ich war, und durch meine Geschichte Menschlichkeit gegen Unbekannte lernen. – Ich war die Gemahlinn eines großen Königs, ich wage es nicht seinen Namen zu nennen, ihr könnt ihn rathen. – Mein Gemahl liebte mich nicht. – Er war mein alles auf der Welt, ich hatte jeden verloren der meinem Herzen nahe war, hatte meine Mutter auch auf eine schreckliche Art verloren; doch liebte er mich nicht, dachte nicht darauf, mir das verlorne zu ersetzen. Ich war nicht schön, war schwermüthig, andere waren schön und froh; die Hand des Unglücks hatte sie noch nicht getroffen und ihren Reiz verheert; dies war mein Verbrechen! –

O Barbara, Barbara! du triebst mich aus den Armen meines Gatten, aus dem Schooße meines väterlichen Hauses. – Ich kam nach Sankt Nikola einer unglücklichen Waise das Leben zu geben, und dann zu sterben! – Noch hatte ich eine Freundinn, Rosa war ihr Name, sie begleitete mich nach Sankt Nikola, mir in der Stunde des Leidens und des Todes beyzustehen. – Auch dieser Trost war mir entzückt! – Meine Rose neigte sich zu welken, ehe der Augenblick kam, da sie mir Erquickung zuhauchen sollte!

Ach die Fürstinn Gara war eine schöne lieblich blühende Rose, war meine Mutter, meine Schwester, meine Freundinn, und auch sie mußte [260] ich verlieren! Ich glaubte es nicht, daß dieß geschehen würde; trauerte nur darüber, daß sie eben jetzt leiden mußte, so daß weder ich ihr noch sie mir zu helfen vermochte. –

Barbara kam, ich kannte ihre Tücke noch bey weitem nicht so wie jetzt. – Sie brachte mir Befehl von meinem Gemahl, Sankt Nikola zu verlassen und zu Sankt Emri meine Niederkunft zu erwarten. Ich gehorchte, ich war das Gehorchen gewohnt.

Barbara stand in der Stunde des Leidens allein an meinem Bette. Sie war hart und grausam gegen mich Einsame, versagte mir die Stärkungen, derer auch die Geringsten geniessen. Ich gab einer Tochter das Leben, ich dachte an meine unglückliche Mutter, und nannte sie Elisabeth.

Ich sahe dem Tode entgegen, ich sehnte mich nach seinen kühlenden Schatten; nur meine Tochter machte mir Kummer. – Barbara trat zu meinem Bette, ihr Blick war milder als zuvor. Sie sagte mir, das ich sterben würde, und fragte wem ich Elisabeths hülflose Kindheit anvertrauen wollte. – Meinem Gemahl und der Fürstinn Gara, sagte ich! – Warum nicht mir? fragte sie mit wütender Stimme.

Sie streckte ihre Hand nach dem Kinde aus, das ich in meinem Armen hielt. Ich erhob ein [261] Geschrey, welches meine Kräfte zu übersteigen schien, es war die letzte Anstrengung der erschöpften Natur.

Wir waren nicht so einsam als Barbara meynte. Eine Nonne trat herein, und fragte nach meinem Begehren. – Hier, schrie ich, nehmt dieses Kind, und tragt es zu König Siegmunden. Die Nonne schien mich nicht zu kennen, Barbara hatte meine Bedienten entfernt, und mich hier für ein gemeines Weib ausgegeben. – Wird mir der König auch ohne Beglaubigung trauen? fragte die Klosterfrau.

Ich bin Marie, Siegmunds Gemahlinn, schrie ich, und dieß ist seine Tochter!

Entfernt euch heilige Frau, sagte Barbara mit sanfter Stimme, ihr sehet, daß die Unglückliche raset.

Die Nonne schüttelte den Kopf, nahm das Kind aus meinen Armen und forderte nochmals Beglaubigung.

Die Nonne trug das Kennzeichen ihres Klosteramts, ein Schreibzeich an der Seite, ich forderte den Griffel, und quälte mich diese Worte zu schreiben!

»Siegmund nimm dich meines Kindes an, und überlaß es der Fürstinn Rosa Gara!«

Die Nonne wollte sich entfernen! Halt! schrie Barbara, ich bin hier die Stärkste, es ist um dein [262] Leben gethan, wo du mir nicht schwörst nichts von dem bekannt zu machen was du hier gesehen und gehört hast. Ich werde das mir Anvertraute mit meinem Blute behaupten, erwiederte die heldenmüthige Nonne. – Närrinn! schrie Barbara, niemand denkt es dir zu rauben, thue mit dem Kinde was du willst, nur im übrigen, Verschwiegenheit!

Ich rief der Nonne zu, zu gehorchen, und sich dann mit meiner Tochter eilig zu entfernen. Niemand war hier, der sie vor Barbaras Wuth hätte schützen können, die andern Nonnen waren in der Vesper, waren vielleicht meiner Tyranninn heimliche Freundinnen. – Barbara sagte ihr einen der fürchterlichsten Eide vor, sie schwur und entrann aus dem Zimmer!

Ich war nun mit Barbara allein – doch – vor diese Dinge sey ewig ein Vorhang gezogen! – Ich ward noch diesen Abend aus Sankt Emri nach dem Annenkloster gebracht, wo Barbara mehr Macht zu haben schien als dort. Sie begegnete mir grausam wegen dessen was ich mit Elisabeth gethan hatte, sie drohte dem Leben des unschuldigen Kindes; sagte, nichts sollte im Stande seyn es zu retten, wenn ich nicht eine Gelübde thät, das sie mir vorsagte. – Ich war schwach, sehr schwach, gelobte alles was sie wollte, gelobte das Gerücht von meinem Tode zu begünstigen, ewig [263] in den Augen der Welt eine Verstorbene zu seyn, wenn sie nur aufhören wollte, wider mein Kind zu wüten! Ich fühlte bereits den Tod im Herzen, wie hätte ich mich weigern sollen ein solches Gelübte zu thun?

Sie ward besänftigt, ging so weit auch mir das zu beschwören, was ich von ihr verlangte.

Man fing an mir gütiger zu begegnen. Die Aebtissinn theilte meine Wartung mit der Gräfinn von Cyly, sonst bekam ich niemand zu sehen. Nur einst, als ich bey Nacht allein war, klopfte es leise an die Thür und die hülfreiche Nonne aus Sankt Emri trat herein.

O meine Retterinn! rief ich, woher kommst du? und wo ist mein Kind! Bereits in den Händen seines Vaters, antwortete sie.

O noch nicht, noch nicht sicher genug! rief ich. Warum nicht in den Händen der Fürstinn Gara?

König Siegmund liebt seine kleine Tochter, läßt sie nicht aus den Augen, auch habe ich Befehl, sie Morgen nach Sankt Nikola zu bringen. – Durch List gelangte ich bis zu euch, um euch zu fragen, ob ihr nichts weiter an die Fürstinn zu bestellen habt.

Nein! –

Nicht ein Wort von eurem Leben? Mein Schwur drückt mich fürchterlich, und doch darf ich [264] ihn nicht brechen. Ihr habt nicht geschworen, wie wenn ein Brief? –

Ach umsonst! umsonst! auch ich mußte schwören. Das Grab ist bereits über mir geschlossen, ich darf nicht wieder erwachen! Doch! – Ein Brief! – Setze dich und schreib in meinem Namen, ich bin zu schwach! – Ein Brief, der Fürstinn meine Tochter zu empfehlen, kann nicht überflüßig seyn. – Setze dich und schreib! – Richte die Worte ein, daß sie weder deinen noch meinen Eid verletzen, daß sie lauten wie in der Todesstunde gesprochen!

Die Nonne gehorchte, ich billigte, was sie geschrieben hatte, und sie entfernte sich.

Die nächste Nacht erschien sie wieder. Euer Kind ist in den Händen seiner zweyten Mutter, sagte sie.

Was macht sie? was macht meine Rosa? –

Sie ist noch sehr schwach! Gott verlängere ihre Tage zum Besten eurer Tochter! Die Fürstinn liebt und beweint euch sehr, sie fragte mich viel und ich durfte nicht nach der Wahrheit antworten! O mein fürchterlicher Eid! ich werde ihn in die Länge nicht halten können! werde euch mein [265] zeitliches 15 und ewiges Glück aufopfern; mein Mitleid für euch ist zu groß!

Wir weinten lange mit einander! – Endlich fing die Nonne von neuem an zu sprechen. Ich hoffe, sagte sie, ihr werdet mich ins künftige öfter sehen. König Siegmund erlaubte mir eine Gnade von ihm zu bitten, weil ich ihm seine Tochter brachte, ich bat nach Sankt Annen versetzt zu werden, es geschah darum, daß ich nahe um euch seyn, euch trösten und helfen könne! Sehet, ich trage bereits die Kleidung der Schwesterschaft.

Aber ich sahe die hülfreiche Nonne von Sankt Emri nicht wieder. Sie würde meinem Glück alles aufgeopfert haben; man kam vielleicht ihren guten Absichten auf die Spur, und räumte meine Retterinn aus dem Wege. – Mir erlaubte man zu genesen.

Barbara war abgereist. Die Aebtissinn war die einige im Kloster, die mich kannte. Sie ermangelte nicht mich täglich an meinen Eid zu erinnern, und mir Gewissenhaftigkeit zu empfehlen. Die Erinnerung war unnöthig. Auch verschwand mir bald alle Lust meinen Stand zu entdecken, da mir das Schicksal alles raubte was mich in die Welt zurückrufen konnte. Daß Siegmund über [266] meinen Tod getröstet war, und nur an meiner Feindinn hieng, das wußte ich, die Gespräche der Nonnen brachten mir es oft genug zu Ohren, mein Herz blutete, aber ließ sich wohl mein Schmerz mit demjenigen vergleichen, den ich fühlte, als sich das Gerücht von dem Tode meiner Elisabeth verbreitete? als ich bald darauf auch erfuhr, daß Rosa Gara dahin sey? – O Welt! was kannst du noch für Reitze für mich haben? alles ist verblüht, alles ist dahin was mir lieb war! Hinüber, hinüber! ins Land des Wiedersehens und der Unvergänglichkeit!

Am Tage Mariä Himmelfarth
im Jahr unsers Herrn. 1400.

Dieses Blatt sollte ein Tagebuch seyn, wie seine Ueberschrift weiset. Den Anfang dazu schrieb ich 1393 im ersten Jahr meines Aufenthalts zu Sankt Annen, aber wo sollte ich Kräfte hernehmen meine täglichen Leiden zu verzeichnen? Hat nicht der Verlust alles dessen was ich liebe, meine Gesundheit zerstört und meinen Verstand schwankend gemacht? diese Jahre sind mir vergangen wie ein Traum! Gott lob, daß auch schreckliche Träume vergehen, daß unser ganzes Leben ein Traum, und dort das Erwachen ist! – Wir begleiteten heute unsere Aebtissinn zu Grabe, auch sie hat nun ausgeträumt, Gott gebe ihr ein fröhliches Erwachen! – Ihr Gewissen trieb sie nicht in ihren letzten Stunden [267] das zu bekennen, was ich von mir wußte, und ich, Gott, ich muß schweigen! – Ich beklage meinen vorigen Stand nicht, aber mein Leben hier in diesem Kloster ist zu elend, fast zu elend für die, die einst eine Königinn war. – Niemand ist mehr hier der mich kennt, mein Zustand wird dadurch nicht gebessert werden!

Am heiligen Osterabend.
1402

Ach ja er wird schlimmer, täglich schlimmer! ich dachte nicht, daß ich noch einige Stufen tiefer in den Abgrund des Elends hinabsteigen könne. Ich bin krank, bin oft des Verstandes halb beraubt. Die Nachricht, daß König Siegmund sich so weit vergessen konnte, eine Barbara neben sich auf den Thron zu heben, hat mich in diesen Zustand gebracht. Gott verzeihe meiner Schwachheit! Es ist wohl Mangel an Feindesliebe, was mich so denken lehrt, aber – er weis, ich bin ein Mensch, habe menschliche Empfindungen.

O nur im Grabe ist Ruhe für meinen Gram! – Gott lob, stille Ruhehöle, du bist nun zu meinem Einzuge bereit! Nimm hin das einige, was ich auf der Welt habe, meine Geheimnisse und meine Thränen, bald wird auch mein abgezehrter [268] Körper folgen, aber mein Geist wird triumphirend über dir schweben und ich werde glücklich seyn!

26. Kapitel. Abentheuer auf dem Kirchhofe
Sechs und zwanzigstes Kapitel.
Abentheuer auf dem Kirchhofe.

Man stelle sich Idas Empfindungen bey Lesung dieser traurigen Blätter vor! – Sie hatte die erhabene Leidende vor sich, von welcher sie handelten, sah die Züge des Grams und des hier beschriebenen Elends auf ihrem majestätischen Gesicht, kannte zum Theil die Urheber ihrer Leiden; was für Umstände eine Rührung bey ihr hervorzubringen, welche der kalte Leser nicht gefühlt haben kann!

Marie schien weniger von der Erinnerung an diese Dinge gelitten zu haben, das vornehmste ihres Kummers der Verlust ihrer Tochter und ihrer Freundinn war ja, wie ihr Ida versicherte, nur ein Traum gewesen, sie sollte ja diese Lieben wiedersehn! Liebe für den undankbaren Siegmund und Verdruß über die Erhebung ihrer Feindinn, waren durch die Zeit geschwächt worden, das vornehmste, was sie zu betrauren hatte, waren verlorne Jahre und geschwächte Kräfte des Geistes und des Körpers; Dinge, die sie in ihrer gegenwärtigen [269] Verfassung nicht lebhaft genug fühlte, um sich darüber zu grämen. Sie lag ruhig auf ihrem Bette, und tröstete die weinende Ida, welche oft die Schrift hinweglegen mußte, um ihren Thränen freyen Lauf zu lassen.

Ida hatte noch eine, noch manche verborgene Ursach Thränen zu vergießen, außer dem Mitleide gegen die, deren Geschichte sie eben gelesen hatte. Ihre Hoffnung zu Mariens, zu ihrer eigenen Rettung war weit schwächer, als sie sie der Königinn vorstellte.

Die Kranke war nicht so stark, als sie sich bey den neuen Empfindungen der Ruhe und der Hoffnung hielt. Bis zu dem Besuch der heiligen Nikola sollte noch mancher Tag verfließen. Es waren Zufälle möglich, die der Gräfinn allein bewußt waren, und die das ganze Gebäude ihrer Plane zerstören konnten, was für Stoff zu Besorgnissen für die bekümmerte Ida!

Indessen war Marie doch auch nicht ganz ohne Kummer. Die ängstliche Andacht, wie sie zu Sankt Annen gelehrt und von dem besseren Theil der Klosterfrauen geübt wurde, hatte die Begriffe der Königinn von Recht und Unrecht unendlich verfeinert, sie fing an sich Gedanken darüber zu machen, daß Ida durch sie ihren Stand erfuhr, nannte sich eine Eidbrüchige, und klagte über Verletzung ihres Gewissens!

[270] Ida stellte ihr vor, daß sie eigentlich nichts gestanden habe, daß fast alles nur von ihr errathen worden sey. Und hättet ihr, setzte sie hinzu, hättet ihr es leugnen wollen, wer ihr seyd, wie ihr dennoch auch nicht ohne Gewissensverletzung hättet thun können, so würde ich doch bey meiner Meynung geblieben seyn, und jeden Schritt gethan haben, den ich jetzt thun werde. – Glaubt ihr, daß eure zärtliche Freundinn, die Fürstinn Gara, nicht auf die kleinste Möglichkeit euch zu treffen herbey geeilt seyn, und euch erkannt haben würde? würde das Herz eurer Tochter, wenn man sie zu euch gebracht hätte, ihr nicht den Namen ihrer Mutter genannt haben? – Und Herzog Albrecht, euer künftiger Sohn, der so sehr um euch besorgt ist, würde er nicht, ihr hättet gestehen oder leugnen mögen, Himmel und Erde bewegt haben, euch wieder in eure Rechte einzusetzen und eure Feindinn zu stürzen?

Mich in meine Rechte einzusetzen? Barbara zu stürzen? rief die Königinn. Nein Ida, das verlange ich nicht, es wär sündlich es zu verlangen, denn hierauf habe ich in meinem Eide vornemlich Verzicht gethan. Auch ist die Liebe für Siegmund zu sehr erloschen, der Haß gegen meine Feindinn zu sehr durch Dankbarkeit gegen Gott meinen Retter getilgt, als daß ich diese beyden trennen [271] sollte. Könnte mich etwas dazu bewegen, so wär es Sorge für Siegmunds Glück, welcher unbesorgt an der Seite einer Tiegerinn ruht, und endlich auch von ihr könnte zerfleischt werden. Doch nein, Barbara liebt ihn, beging ihm zu Liebe so manches Verbrechen, wie sollte sie ihr eigenes Gebäude zerstören, und auf das Verderben ihres Lieblings denken. Nein, Siegmund ist sicher vor ihren Tücken, auch kann sie sich dereinst bessern, hat sich vielleicht schon gebessert, und ich kann ruhig den Plan ausführen, den ich mir zu meinem Glück gemacht habe. Höre, worin er besteht. Ich werde nach Sankt Nikola gebracht werden, werde meine Rosa, bald darauf auch meine Elisabeth wiedersehen. Bin ich stark genug, die schweren Scenen der Freude, die mir hier bevorstehen, zu überleben, so steht mir noch ein Glück bevor, ich werde Herzog Albrechten, meinen theuren unbekannten Sohn, meinen Retter umarmen. Ja er ists, er ist mein Retter! ohne ihn hätte ich meine Ida, meine Aerztinn, meine Trösterinn, meine Befreyerinn nicht kennen gelernt, – er schickte mir sie zu Hülfe! – Ich lebe dann im Schoos meiner Lieben ganz ruhig zu Sankt Nikola, bis Albrecht Elisabeths Gemahl wird, dann folge ich meinen Kindern verborgen, ganz verborgen nach Oesterreich; ein ruhiges Kloster nimmt mich auf, täglich besuchen mich [272] meine Theuren, und ich sterbe einst froh in ihren Armen. – O welch ein Gebäude von Glückseeligkeit! sollte sich kein Unglückswind erheben es einzustürzen?

Ida bestärkte die Königinn in ihren süssen Träumereyen, und strebte alle ihre Besorgnisse zu vernichten. Die Hoffnung wiegte sie gegen den Morgen in einen süssen Schlummer, aber ihre Trösterinn vermochte nicht zu schlafen. Neue Stürme schienen sich für sie zu erheben, die alle heitere Aussichten zu verdunkeln drohten, sie hatte in dieser Nacht Entdeckungen gemacht, die sie der Königinn aus Furcht sie zu beunruhigen verschwieg; sie waren es, die ihre Rückkunft vom Kirchhofe verzögerten, und ihr einen Anstreich von Bestürzung gaben, der nur für die mit andern Gedanken beschäftigte Marie unmerklich seyn konnte.

Es ist nöthig hier meine Leser einige Schritte zurück zu führen. Ida wandelte, als sie von der Königinn nach dem Kirchhofe geschickt wurde, ruhig mit Gedanken des Todes und der Auferstehung unter den Gräbern dahin, ihre Augen lasen im Mondesschimmer an den weißen Kreuzen den Namen mancher Nonne, die auch sie gekannt hatte, einige unter ihnen waren in dem letzten Theil ihres Noviziats auch von ihren Händen gewartet und zur ewigen Ruhe eingesegnet worden, [273] und ihre Thränen, so wie sie bey ihrer Rückkunft zur Königinn sagte, flossen im Verbeygehen ihrem Andenken. – Den Namen Veronika konnte sie lang nicht finden, die Eigenthümerinn dieser Ruhestätte war zu lang im Krankenzimmer verschlossen gewesen, um sie in Ordnung zu halten, und keine freundschaftliche Hand vertrat ihre Stelle. Der aufgeworfene Hügel war eingesunken, das Kreuz lag auf dem Boden, und Ida hätte es nicht gefunden, wenn sie nicht klug genug gewesen wär, es eben an diesem Umstand zu erkennen. – Sie richtete das Kreuz empor, öfnete die Höle, fand die Schriften, und war eben im Zurückgehen, als ein Geräusch an der Seite der Kirchhofsmauer sie aufmerksam machte.

Es war in den damahligen Zeiten ein doppeltes Verdienst für ein Mädchen, Muth genug zu haben in der Mitternachtsstunde unter Gräbern zu wandeln! die Sage, daß zu dieser Zeit die Geister der Verstorbenen zwischen den Todenhügeln schweben, und ihre modernden Gebeine besuchen, hatte damahls noch nichts von ihrem Ansehen verloren, stellte auf gewisse Art einen Glaubensartikel vor.

Die fromme Ida glaubte diesen Satz so wie jeden andern, der ihrer Tugendliebe nicht widersprach und ihrem Hang zur Schwärmerey etwas verwandt war, von ganzem Herzen; und man hat [274] sich also nicht zu verwundern, daß sie bey dem Säuseln, das sie umwehte, Schauer und Ahndung der Gegenwart eines Unsichtbaren fühlte.

Sie hatte Muth genug nicht zu fliehen; wofür hätte die Unschuld fliehen sollen? diese Gräber konnten, wie sie meynte, nur von seligen Geistern umschwebt werden, und Ida fühlte, daß sie eine Verwandte der Engel sey. Sie stellte sich unter den bejahrten Flieder, der an der Kirchhofmauer stand, und mit ihr an Höhe zu wetteifern schien.

Das Rauschen ward stärker, über ihr wankten die Blätter, und unter ihr der Schatten, den der Mond auf den Boden mahlte. Es war nicht der Wind, der dieses Säuseln verursachte, gewisse Nebentöne mußten ihre Furcht bestärken. Jetzt litt der Stamm, an den sie sich lehnte, einen gewaltigen Stoß, und im nemlichen Augenblicke senkte sich wenige Schritte von ihr mit einem ziemlichem Getöse eine Gestalt herab, die nun lang und fürchterlich im Mondglanz da stand. – Ida wollte und konnte jetzt nicht fliehen. Das, was sie sah und bald darauf hörte, stimmte so wenig mit ihren Ideen von Geistererscheinungen überein, daß eine ganz andere Art von Furcht als die vor Gespenstern in ihr rege ward. Sie war der Erscheinung zu nahe; eine Bewegung konnte sie verrathen, [275] nur der Schatten, in dem sie stand, und die äußerste Stille schätzte sie vor der Entdeckung.

Hier herüber! flüsterte die lange Gestalt, indem sie aufwärts nach dem Gipfel des Baums sah. Haltet euch an diesen starken Ast, und dann ein herzhafter Sprung, so seyd ihr wo ich bin. Das Geräusch über der zitternden Ida vermehrte sich, der vorige Schall ließ sich zum zweytenmahl hören, und noch ein Mann sprang zu dem vorigen herab. – Ihr seht also doch wohl, sagte der Erste, daß unser Unternehmen keine Unmöglichkeit ist! Gott gebe es? sprach der andre mit leiser Stimme. – Nun kommt auch und hört das weitere, fuhr der Erste fort. Sehet dort, die vergitterten Fenster, wo das schwache Lämpgen glimmt, es sind die Fenster des Krankenzimmers, wo sie sich jetzt meistens aufhalten soll, sie sind nicht zu hoch über der Erde, daß wir – die Männer entfernten sich im Gehen und Ida konnte nichts weiter vernehmen. Gern wär sie geflohen, aber einestheils Neugier, anderntheils Furcht hielt sie zurück, sie hätte bey diesen Leuten, welche keine gute Absicht zu haben schienen, vorbey streichen müssen, wenn sie zum Eingang ins Kloster hätte kommen wollen. Der Ort, wo sie verborgen stand, war sicher, und sie blieb.

[276] Die Männer kamen jetzt zurück, das Gesicht des einen schien ihr bekannt zu seyn, der andere hatte sich fest in seinen Mantel gehüllt. Sie selbst mit in unsern Anschlag zu ziehen, wär freylich das beste, sagte der erste im Vorübergehen, aber wie soll man sie treffen? – Das Fest der Heiligen Nikola ist, wie ihr sagt, vor der Thür, war die Antwort, die Nonnen sollen alsdann hier mehr Freyheit haben, man kann sie vielleicht einmahl im Garten, einmahl hier auf dem Kirchhof sprechen! –

Warum erst sprechen? fragte der erste, nicht lieber gleich handeln? – Die Einkleidung wird nicht lang mehr verschoben werden, wir haben keine Zeit zu verlieren! –

Die Männer waren nicht weit von dem Orte, wo Ida sich verbarg, im Mondschein stehen geblieben, sie verstand alle ihre Reden, merkte, daß sie die Person war, von welcher man sprach, und ach, erkannte das Gesicht des einen! es war einer der Reisigen des Erzbischoffs, welche sie in dieses Kloster gebracht hatten.

Sie schauerte in sich zurück, der Urheber des Anschlags war ihr nun kein Geheimniß mehr, es ward ihr klar, daß ihr alter Verfolger, in der Hoffnung getäuscht, daß das elende Leben zu Sankt Annen sie für seine Wünsche erweichen würde, es nicht auf das äußerste kommen lassen, sie lieber [277] vor der Einkleidung entführen, als die, welche er zu seiner geistlichen Tochter erkohren hatte, auf ewig verlieren wollte. – Die Männer, welche weiter gegangen waren, kamen jetzt wieder bey Idas Baume vorbey, sie nannten den Namen des Erzbischoffs, und bestärkten dadurch das zitternde Mädchen in ihren Vermuthungen, die doch im Grunde wenig Wahrscheinlichkeit hatten. – Der Erzbischoff hatte in diesem ganzen Jahre keine Neugier merken lassen, wie sie gegen ihn gesinnt sey, und ob das Leben zu Sankt Annen sie gefälliger gemacht habe; wahrscheinlich war sie, wenn er seine Absichten noch nicht aufgegeben hatte, als Nonne noch mehr in seiner Gewalt, als im weltlichen Stande; warum hatte er also ein so unheiliges Mittel, als die Entführung, ergreifen sollen, sich ihren Besitz zu versichern?

Ida bedachte das nicht, sie nahm den Augenblick wahr, da ihre Entführer auf der entgegengesetzten Seite des Kirchhofs wandelten, schlüpfte schnell in den Kreuzgang, warf die Thür hinter sich zu, und gelangte fast außer Athem bey der Königinn an, welche zwar über ihr Ausbleiben, welches länger als eine Stunde gedauert hatte, befremdet war, die aber doch, wie wir gesehen haben, der Sache nicht weiter nachforschte, sondern sich von ihr die Schriften vorlesen ließ, welche Ida [278] über die letzte Begebenheit fast aus der Acht gelassen, aber zum Glück sie doch fast maschinenmäsig mitgebracht hatte.

Ida las. – Das Schicksal der unglücklichen Königinn machte doppelt starken Eindruck auf sie, wenn sie bedachte, wie man darauf sönne, der erhabenen Leidenden auch ihren letzten Trost zu rauben. Was sollte aus Marien werden, wenn diejenige von ihr genommen würde, welche jetzt ihr ganzes Schicksal in Händen hatte? was würde aus ihr geworden seyn, wenn sie diese Nacht von ihren Verfolgern entdeckt, davon geführt, und von der Kranken vergeblich erwartet worden wär?

Mit Mühe hatte die Gräfinn so lange als die Königinn wachte das Uebermaas ihrer Gefühle unter der Hülle der Rührung über das Gelesene verborgen, jetzt da diese schlief, ließ sie ihren Empfindungen freyen Lauf, und erlag fast unter der Vorstellung desjenigen, was ihr und ihrer königlichen Freundinn bevorstand.

Wenn nur erst der Tag der heiligen Nikola vorbey wär, sagte sie zu sich selbst, daß ich Mariens Geheimniß enthüllt und ihr Schicksal sicher gestellt hätte, mich selbst sollte dann, wenn andere Hülfe zu lang zögerte, wenigstens die Beschleunigung meines Gelübdes schützen. Lieber ewig eine [279] Bewohnerinn dieses abscheulichen Klosters, als die Mathilde dieses Gregors!

Ida schlich ans Fenster, um zu sehen, ob ihre Verfolger noch auf dem Kirchhofe weilten. Alles war stille, doch entging ihr nicht die Bemerkung, daß die Ausführung eines klug ausgedachten Anschlags hier nicht unmöglich sey. Die Fenster waren nicht allzuhoch über der Erde, die Stäbe hier und da vom Rost gefressen, auch konnte sie von oben herab bemerken, daß die Mauer hinter dem Baume, unter welchem sie diese Nacht Schutz fand, schadhaft und nicht schwer zu übersteigen sey.

Ach, Flucht wär bey einer Kühnheit vielleicht ihr selbst möglich gewesen, aber wo ließ sich bey Mariens Schicksal, das an das ihrige gebunden war, nur so ein Gedanke fassen!

27. Kapitel. Ida hat Anfechtung
Sieben und zwanzigstes Kapitel.
Ida hat Anfechtung.

Die Gräfinn wandte den übrigen Theil der Nacht an, ihre Entschlüsse zu fassen, und der Morgen war nicht so bald angebrochen, als sie zu der Aebtissinn eilte dieselben auszuführen Sie meldete die Begebenheit jener Nacht mit Auslassung der Umstände, welche der Leser errathen wird, auch [280] hütete sie sich den Namen des Erzbischofs zu nennen. Es war ihr noch im Gedanken, was sie aus dem Munde des neuen 16 böhmischen Predigers in Prag oft von dem Leben der Geistlichkeit, und dem geheimen Einverständniß der Nonnen mit ihren geistlichen Obern gehört hatte, sie wußte nicht, wie weit man hier die Anschläge, welche sie dem Erzbischof zutraute, begünstigen würde, und ließ es also bey der allgemeinen Nachricht.

Sie ward sehr wohl aufgenommen, man freute sich, daß Ida doch noch endlich ein Gefühl ihres Berufs zum Klosterleben zeigte, und ermahnte sie zur Beständigkeit. – Es ward Anstalt zur Besserung der Klostermauer gemacht, und man hielt es für gut die Wärterinn nebst ihrer Kranken aus dem gefährlichen Zimmer hinwegzunehmen, welches sie bisher bewohnt hatten, und ihnen ein besseres einzuräumen.

Die Gnade, welche die Gräfinn sich durch diesen Zug erworben hatte, war so groß, daß auch Marie derselben genoß, es geschah mehr zu ihrer Erquickung als Ida die ganze Zeit über von dem Geiz der Nonnen hatte erlangen können.

Der Tag der heiligen Nikola brach an. Idas Herz schlug stärker. – Die Nonnen des benachbarten [281] Klosters erschienen. Marie, welche jetzt so viel Kraft hatte am Fenster zu sitzen, sahe sie kommen und hörte ihre Gesänge. Gehe, mein Kind, sagte sie zu der Gräfinn, damit du keine Zeit versäumest, unsern Anschlag auszuführen! wer weis wie wenig der Augenblicke seyn werden, die du zu einem vertrauten Gespräch mit unsern Retterinnen nützen kannst!

Ida ging. Sie hatte besorgt, sie würde als eine Novize von der Versammlung der Nonnen ausgeschlossen werden und sich zu Betreibung ihrer Angelegenheiten nur eines günstigen Ohngefehrs bedienen müssen; aber das Andenken an die Begebenheit auf dem Kirchhofe machte, daß man sie schon im Voraus die Rechte der wirklichen Klosterfrauen genießen ließ. – Sie hatte gefürchtet, man möchte ihre Anwesenheit in diesem Kloster verbergen wollen, weil sie durch eine Art von Entführung dahin gekommen war, aber sie fand, daß sich die Dienerinn Sankt Annens einen Triumph daraus machten, der heiligen Nikola eine Nonne abspenstig gemacht zu haben, und daß sie sich des gar hoch rühmten, der weltlichen Gräfinn von Würtemberg ihren Beruf zum Klosterleben begreiflich gemacht zu haben.

Eine Ankündigung dieser Art mußte einen widrigen Eindruck auf die Nikolaitinnen machen; sie misgönnten ihren Schwestern die Eroberung, [282] sie waren gutherzige Geschöpfe, aber doch nicht ganz frey von jenem Laster, dem Neide, der zwischen Klostermauern wie in seinem eigenen Geburtslande, besonders leicht erwachsen und gedeihen soll. Das hätte ich nicht gemeynt, sagte eine der vornehmsten Nonnen der heiligen Nikola zu Ida, daß die Gräfinn von Würtemberg, wenn es ihr je einfallen sollte, den Schleyer zu nehmen, ein anderes Kloster wählen würde, als das unsrige! – O, erwiederte Ida, solltet ihr meine Geschichte wissen! – Die Blicke der Klosterfrauen, welche anfangs einen Anstrich von verachtendem Unwillen hatten, verwandelten sich in Mitleid! – Noch eine Frage schwebte auf ihren Lippen, und Ida, welche keine Zeit zu verlieren dachte, rüstete sich schon, ihr einige Winke von dem Geheimnisse zu geben, welches ihr auf dem Herzen lag, als eine der Nonnen zu Sankt Annen herzutrat, ihr Gespräch zu stören; man hielt es nicht für gut, die neue Schwester, welche sich so gut anließ, mit den angenehmen Verführerinnen von Sankt Nikola viel allein sprechen zu lassen, und bewachte beyde so sorgfältig, daß Ida zweifelte, ob und wie sie ihr Geschäft würde ausrichten können. – Sie stahl sich auf einige Augenblicke zur Königinn, entdeckte ihr ihre Zweifel, ihre Vorschläge, erhielt Einwilligung, und kehrte wieder zurück.

[283] Um Gotteswillen, flüsterte ihr die Nikolaitinn entgegen, welche in einem Winkel des Kreuzganges auf sie gewartet zu haben schien, um Gotteswillen, wie seyd ihr in dieses Kloster gekommen? die Fürstinn Gara und wir andern alle forschten überall nach euch, und hätten euch an jedem andern Orte eher als hier gesucht! sagt, wie kommt ihr hieher?

Nicht viel besser als durch Gewalt, erwiederte Ida. Sie wollte noch etwas hinzusetzen, aber schnell ward sie zur Aebtissinn gefordert, und das Gespräch hatte wieder ein Ende.

Bey der sparsamen Mahlzeit, wo Ida ebenfalls von hundert Augen bewacht ward, that die Aebtissinn der künftigen Schwester die Ehre, sie öffentlich zu rühmen, wie sie sich so freywillig der heiligen Anna gewidmet, sich im Noviziat so wohl betragen, und jüngsthin so gar einen Anschlag, sie aus dem Kloster zu entführen, entdeckt habe. Ich bitte euch, meine Schwestern, setzte sie mit andächtiger Miene hinzu, bittet Gott und unsere Heiligen, daß sie bis zum Tage ihrer Einkleidung, den wir heute über vier Wochen, – wird seyn Sankt Scholastika Tag – ansetzen, ohne Anfechtung bleibe und dieser bösen Welt gänzlich entrückt werde.

[284] Die Nikolaitinnen wagten die Bitte bey der Feyerlichkeit erscheinen zu dürfen, aber man fand dieselbe wider die Regel, und sie ward abgeschlagen.

Erst gegen den Abend hatte Ida Gelegenheit ihrer Freundinn der Nonne von Sankt Nikola im Fluge diese Worte zu sagen: Meldet der Furstinn Gara, Ida habe Marien gefunden, sie sey hier im Kloster und erwarte schleunige Hülfe! – Die Nonne, welche mehr von diesen Dingen zu wissen schien, als die Gräfinn dachte, hub Augen und Hände mit einem Blick voll Dank und Verwunderung gen Himmel. – Kann ich euch ganz ohne Gefahr trauen? fragte die erfreute Ida? – die Nonne antwortete mit einer jener redlichen truglosen Mienen, welche zu fragen scheinen, wie Mistrauen möglich sey? – Ida forderte keine andere Beglaubigung. So nehmet diese Schriften, fuhr sie fort, und gebt sie der Fürstinn Gara. Empfehlt ihr Eile; noch einmahl: Marie lebt und ist hier im Kloster, aber sie ist sehr schwach.

Kaum hatte die Nonne so viel Zeit das Tagebuch der Königinn, welches ihr die Gräfinn auf Mariens Erlaubniß überreichte, unter ihr Brusttuch zu verbergen, denn eben erschien eine Abgesandte von der Aebtissinn, welche die Novize mit einem verdrüßlichen Tone erinnerte, es würde Zeit seyn, sich in ihre Zelle zu verfügen, man habe sich der heute vergönnten Freyheit mit zu weniger [285] Mäßigung gebraucht um derselben länger genießen zu dürfen.

Ida verfügte sich zur Königinn ihr Nachricht von ihren Verrichtungen zu geben. Sie sprachen bis tief in die Nacht über diesen Punkt, sorgten, zweifelten, ob alles auch recht ausgerichtet, recht verstanden nichts entdeckt worden seyn möchte, und mußten endlich ihre Zuflucht zu der Hoffnung nehmen, der Himmel werde das ausgestreute Saamenkorn, nicht zertreten oder vom Winde verweht werden lassen.

Meine Tochter, sagte die Aebtissinn des andern Tages zu Ida, als diese auf Befehl bey ihr erschien, wir hatten gestern gute Ursach euch vor unsern ausgearteten Schwestern zu Sankt Nikola zu warnen. Es ist nicht unmöglich, daß sie mit euren Entführern ein heimliches Verständniß haben; bedenkt ihr sündliches Verlangen bey eurer Einkleidung zu seyn, und überdies will die Schwester Margarethe gesehen haben, daß die von jenen Nonnen, welche zuletzt mit euch sprach, ein Papier in ihrem Busen verborgen hatte, vermuthlich ein verführerischer Brief von euren Weltfreunden, welche euch zu sich zurück locken wollten.

Ida wußte wohl, was dieses für ein Papier gewesen war; sie zitterte, man möchte Mariens Schriften entdeckt und ihrer Freundinn abgenommen haben. Sie erröthete vor Angst, und konnte kaum [286] die Frage stammeln: ob man würklich etwas verdächtiges von dieser Art bey der Nonne gefunden habe! – Ey bewahre Gott, nicht gefunden! erwiederte die Domina, unsere Hände strecken sich nicht nach solchen unheiligen Dingen aus, alles blos Muthmassung, wahrscheinliche Muthmassung! Aber sagt mir doch, – denn die Veränderung eurer Farbe könnte mich auch wohl auf euch argwöhnisch machen – sagt mir doch, was sprach denn jene Nonne gestern Abend mit euch? –

Sie – sie – sie bat mich einen Spaziergang mit ihr auf den Kirchhof zu machen, stammelte Ida! –

Immer besser! erwiederte die Alte. So wärs dann um euch gethan gewesen; denn wisset, unglückliches Kind, dem der Satan so sehr nachstellt, wisset, unsere Mauern sind euren Feinden nicht zu hoch, gestern Abend ist eine unserer Schwestern von zween Männern erwischt und nach einer angelegten Leiter geschleppt worden. Vor Angst hat sie nicht schreyen können, aber der entfallene Schleyer hat sie gerettet. Der Abdruck der Andacht und Heiligkeit in ihrem Gesicht hat die Entführer zurückgeschreckt. – Fürwahr eins der größten Wunder der heiligen Anna!!! – Der Streich hat ohne Zweifel euch gegolten, und ein entfallner Schleyer hätte euch nicht retten können; euer Gesicht ist noch zu weltlich um diesen Grad von heiliger Ehrfurcht [287] einzuprägen. Nun, grämt euch darüber nicht; Jahre und ernste Kasteyungen werden auch bey euch das ihrige thun!

So traurig und Angstvoll auch Ida war, so konnte sie sich doch bey diesen Worten nur mit Mühe eines kleinen Lächelns enthalten.

Ihr seht, fuhr die Aebtissinn fort, wir fangen an, mit euch vertraulicher umzugehen, euch gleichsam schon als einer Schwester zu begegnen, und ich muß euch daher sagen, daß die Spuren der Nachstellung noch merklicher werden. Diesen Morgen hat man zween Stäbe vor den Fenstern des Krankenzimmers zerfeilt gefunden, ihr werdet euch, bis zum Tage eures Triumphs über die Welt, sehr eingezogen halten müssen. Doch tröstet euch, unser Schutzherr der Erzbischof soll alles wissen, und euch schon Sicherheit schaffen.

Der Nahme des Erzbischoffs machte, daß Ida mit dem höchsten Ausdruck von Angst die Hände zusammenschlug. Die Domina ward durch diese Geberde, deren wahre Deutung sie nicht kannte, sehr erbaut, und entließ die Novize gnädig!

[288]
28. Kapitel. Gelungene und verunglückte Anschläge
Acht und zwanzigstes Kapitel.
Gelungene und verunglückte Anschläge.

Angst und Besorgnisse waren Idas und Mariens Gefährtinnen, in der Zeit der Erwartung, was die erhaltenen Nachrichten zu Sankt Nikola möchten ausgerichtet haben.

Eine lange traurige Woche verfloß, ehe sich nur eine Spur der Hoffnung zeigte. Am Ende derselben ward Ida zu der Aebtissinn gefordert.

Meine Tochter, sagte sie, höret sonderbare neue Zeitungen. Eure Feinde, welche sehen, daß sie euch mit Gewalt nicht eurem heiligen Beruf entreissen können, nehmen ihre Zuflucht zur List, aber der Heiligen Anna sey Dank, daß wir hier listiger sind als sie, und ihre Anschläge zu vernichten wissen.

Ida zitterte; sie sahe ein Schreiben mit dem erzbischöflichen Siegel in den Händen der Aebtissinn.

Daß die Nikolaitinnen zu den Mitverschwornen wider das Heil eurer Seele gehören, fuhr die Domina fort, das ist uns nun unwidersprechlich erwiesen. Die Fürstinn Gara, welche sich in jenem Kloster aufhält, sandte uns diesen Morgen diesen [289] Befehl von der Hand unsers heiligen Vaters, welcher euch mit gebührender Ehrerbietung zu lesen erlaubt wird.

Ida empfing das Blatt, wie sie mußte, mit halbgebognem Knie, und las:

»Heilige und in Gott andächtige Mutter, Frau und Oberinn des Klosters zu Sankt Annen: Unsern Grus, und alles Gute zuvor.

Ihr werdet angewiesen, Angesichts dieses, den Nonnen zu Sankt Nikola euren Schwestern, die in eurem Kloster lebende heilige Frau Sankt Veronika, welcher Schwachheit halber diese Veränderung gestattet wird, samt ihrer Wärterinn, der jungen NovizeN. N. (mit ihrem Weltnahmen Ida von Würtemberg genannt,) unwegerlich ausfolgen zu lassen. Woran, wenn ihr solches thut, geschieht unser ernstlicher Wille.« u.s.w. Subinko, Erzbischof.

Die Gräfinn zitterte vor Freude und vor Angst, sie gab das Schreiben zurück, ohne ein Wort vorbringen zu können.

Euer Zittern, euer Stillschweigen, sagte die Domina, verkündigt uns eure Gedanken, aber sorget nicht, mein Kind ihr bleibet bey uns, der heilige Vater giebt uns in seinem Schreiben selbst einen Wink was wir zu thun haben. – Hier diese Charakter, welche außer mir und seiner Heiligkeit niemand verständlich sind, und die wahrscheinlich [290] die Nonnen zu Sankt Nikola so wenig wahrgenommen haben als ihr, verkündigen uns seine wahre Willensmeynung.

Ida sah in dem ihr zum zweytenmahl dargereichten Schreiben eine Reihe kleiner Figuren, welche sie zu den damals gewöhnlichen Briefzierrathen gerechnet und für unbedeutend gehalten hatte. Ihre Angst wuchs und sie vermochte nichts weiter als die heilige Mutter mit einem furchtsam fragenden Blicke anzusehen.

Ihr versteht nichts von diesen Dingen? sprach die Alte mit einem wichtigen Lächeln, ja ich glaube es euch. – Diese Chiffern heißen ohngefehr soviel, als: Veronika sey den Nikolaitinnen ohne Weigerung zu überlassen, hingegen die junge Novize N. N., welcher Sr. Heiligkeit mit besonderer Hulde zugethan verbleibe, unter einem schicklichen Vorwand zurückzubehalten.

Diesem zu folge, fuhr die Domina fort, wird die kranke Nonne, mit welcher ihr euch lang genug gequält habt, diesen Vormittag den Abgeschickten der Fürstinn überlassen werden; es ist gleich viel, ob sie zu Sankt Nikola oder zu Sankt Annen begraben wird. Ihr aber werdet hier bleiben, und den Tag, der euch vor allen Versuchungen der Welt und des Satans befreyen wird, mit Geduld erwarten. Die Nähe eurer Einkleidung ist der [291] schicklichste Vorwand, den man der abgeschlagenen Forderung, so weit sie euch betrift, geben kann!

Idas Herz wollte bey Anhörung dieser Worte zerspringen. Freude über die Rettung der Königinn, Kummer sich von ihr trennen zu müssen, und halbe Verzweiflung, daß ihr nun nichts übrig sey, als die Annehmung des Schleyers, stürmten auf sie ein, sie schwankte, und schien ohnmächtig zu werden.

Nicht doch mein Kind, sagte die Domina, welche sich herabließ sie selbst aufrecht zu halten, ihr sehet ja, daß es euren Feinden nicht gelingt! Wir wollen sie wacker täuschen. Die kranke Veronika ist offenbar nur der Vorwand euch nebst ihr in ihre Hände zu bekommen; nun dann, wir gewähren ihnen was sie trüglich für das Vornehmste ihrer Forderung angeben, und behalten nur euch, nur die seyn sollende Nebensache zurück. Beruhigt euch. Geht, selbst Anstalt zu Veronikas Ueberlieferung zu machen, und kommt dann zu mir zurück, ihr werdet die ganze Schwesterschaft bey mir finden, euch und mir wegen des ausgeführten Meisterstreichs Glück zu wünschen.

Ida entfernte sich weinend, kündigte der vor Freude fast betäubten Marie ihre Befreyung an, letzte sich mit ihr unter tausend Thränen, empfahl sie der äußersten Sorgfalt der Abgeschickten, und bat, beym Abschied, daß sie in ihrem Elend doch [292] nicht ganz vergessen werden möchte. – Konnte der Königinn ihr Glück durch etwas verbittert werden, so war es dieses, daß sie die Schöpferinn desselben nicht mit sich nehmen, nicht die Freuden, welche ihrer warteten, mit ihr theilen konnte. – Sie versprach alles was sie wünschte, und man mußte sich trennen.

Was werden die Schwestern zu Sankt Nikola, was wird unsere Fürstinn sagen, sprachen die Abgeschickten heimlich zu Ida, daß ihr euch so hartnäckig wegert dieses Kloster mit dem Ihrigen zu vertauschen?

Ich wegre mich? schrie Ida. – Sagt ihnen von meinen Thränen, meiner Verzweiflung, und sie werden das übrige errathen!

29. Kapitel. Fortsetzung der Geschichte Konrads von Langen
Neun und zwanzigstes Kapitel.
Fortsetzung der Geschichte Konrads von Langen.

Kaum konnte sich Ida hinlänglich fassen um die Glückwünsche der neidischen Nonnen – (hier pflegte man einander um alles zu neiden) – und die Liebkosungen der Domina mit Anstand aufzunehmen. Sie machte sich sobald als möglich aus der Versammlung los, und eilte in ihre Zelle, ihren Thränen freyen Lauf zu lassen. – O Herrmann, [293] Herrmann! rief sie, wüßtest du, daß deine Geliebte im Begriff steht dir auf ewig entrissen zu werden! – O daß das Laster andere besorgter um mein Schicksal macht als dich die Liebe! – der Erzbischoff versuchte Dinge, die du nicht zu meiner Rettung versucht haben würdest, wird vielleicht noch Mittel genug wissen mich dem Schleyer zu entreißen und in seine Gewalt zu bringen; aber du? – Doch würde ich dir auch eine gesetzwidrige That verzeihen können? würde ich dir folgen, wenn du mir heute die Hand zur Flucht bötest? – Ach nein! – Leider wünsche ich Rettung aus dem schrecklichsten aller Gefängnisse, ohne Mittel dazu ersinnen zu können, ohne Muth und Gewissenlosigkeit genug zu haben, mich eines jeden zu bedienen das mir der Zufall in die Hand spielen möchte. – O Herrmann! Herrmann!

Herrmann ward von Ida in ihrem Kummer so oft genennt, daß er, den wir um ihrentwillen ganz aus der Acht gelassen hatten, uns schnell wieder in den Sinn kommt; wohl ihm, wenn über der langen Beschäftigung mit andern Dingen, unsere Leser nicht gar vergessen haben, daß er gleichwohl den Helden dieser Geschichte vorstellt. Um dasjenige nachzuholen, was von ihm zu sagen ist, wird es nöthig seyn ein ganzes Jahr in unserer Erzählung zurück zu gehen.

[294] Mit schwerem Herzen verließ er nach der Rettung des Grafen von Würtemberg Regensburg um nach Italien zu gehen; wohin ihn sein Schicksal rief.

Sein halbes Leben hätte er darum gegeben, von seiner Ida nur einige befriedigende Nachricht mit sich zu nehmen, aber die Zeit war zu kurz Nachforschungen anzustellen. Der Graf von Würtemberg durfte und wollte seine Abreise nicht länger verschieben, die väterliche Zärtlichkeit machte ihn um Idas Schicksal lange nicht so besorgt, als Herrmannen die Liebe, er war noch nicht ganz mit ihr ausgesöhnt, wegen der vorwitzigen Schritte, die sie sich bey Belauschung des heimlichen Gerichts zu schulden kommen ließ, und die ihn jetzt aus Teutschland trieben.

Auch Herrmann mußte eilen, er erhielt eines Tages einen Brief, welcher nichts als diese Worte enthielt: »Eile Herrmann! die Rächer treten in deine Fußtapfen!«

Der Schreiber dieser Worte war leicht zu errathen, er nannte sich in der Unterschrift, Alexius von der hohen Eiche, ein Name, der dem Ritter von Unna zu gleicher Zeit die schöne Aleke, und die Begebenheit bey der hohen Eiche unweit des sausenden Stroms in den Sinn brachte, und ihn ganz leicht den redlichen Ulrich von Senden errathen ließ!

[295] Leb wohl, leb wohl! Vaterland der Liebe! rief Herrmann, als er Deutschland verließ, werd ich dich wiedersehen? wird nicht mein Blut vielleicht in entfernten Weltgegenden unbeweint vergossen werden? mein Staub von keiner freundschaftlichen Hand gesammlet, unter fremden Winden verwehen, und Ida, Ida! was wird indessen dein Schicksal seyn! Herrmann langte an dem damaligen Aufenthalt der deutschen Ritter an, sein Name von Unna verschaffte ihm Achtung. Man sagte ihm, er habe einen Namensvetter vielleicht einen Verwandten unter den Rittern, man nannte ihm den Ritter Johann von Unna, welcher einer von den Großkreuzen war, sein Herz schlug stärker, aber er schwieg. Er ward dem großen Manne vorgestellt, man befragte, man erkannte sich, und die beyden Brüder lagen einander in den Armen. – Du, du warst es, den ich hier suchte! rief Herrmann, du allein zogst mich an diesen Ort! O Glück, dich so bald zu finden!

Ritter Johann drückte seinen Bruder mit nicht minderer Zärtlichkeit an seine Brust. Der Knabe Herrmann, denn als einen solchen hatte er ihn zuletzt gesehen, war ihm immer der liebste unter seinen Brüdern gewesen, so wie Agnes und Petronelle die geliebtesten seiner Schwestern: tausend Fragen über den Zustand seines Hauses wurden an Herrmann gethan und von ihm beantwortet, und [296] Herrmanns Schicksale sollten erst der Gegenstand der Unterhaltung für die künftigen Tage seyn. Der geistliche Ritter schien mit allem, was seinem jüngern Bruder begegnet war, unbekannt zu seyn; auch nicht eine Silbe davon hatte ihm das Gerücht zu Ohren gebracht.

Herrmann hatte viel Ehrfurcht für seinen ältern Bruder, sein Stand und sein ganzes Wesen heischte sie. Er ward über die Ursach seiner Ankunft in diesen Gegenden befragt; fünf Worte: Die Verfolgung des heimlichen Gerichts! wären hinlänglich gewesen, dieses zu beantworten, aber Herrmann konnte sich nicht überwinden, diese Worte zu sprechen, sich durch dieselben seinem Bruder gleich zu Anfang in einem nachtheiligen Lichte vorzustellen. Er antwortete: Mein Unglück! – Ritter Johann nahm es für bekannt an, daß dieses Unglück, es bestehe nun worin es wolle, den Wunsch in ihm erregt haben würde, die Ordenskleidung zu tragen, und er versprach ihm alle Beförderung.

Herrmann schwieg. Die Brüder trennten sich. Der folgende Tag ward zu umständlicher Erklärung über diese Dinge ausgesetzt, und der Ritter von der treuen Minne sann die ganze Nacht darauf, wie er all den weiten Umfang seiner Begebenheiten so ins kurze fassen, so zusammen drängen wolle, daß Ritter Johann ihn auf einmahl [297] in seinem wahren Lichte erblicke, keinen Raum zu einem augenblicklichen Zweifel gegen seine Rechtschaffenheit behalte. Herrmann wußte nicht, daß die plansten ungesuchtesten Erzählungen die vortheilhaftesten sind, er hatte zu oft das Unglück gehabt, von denen, die er liebte, verkannt zu werden, um nicht furchtsam zu seyn.

Indessen waren seine Hoffnungen auf das Glück im Umgange seines Bruders, und seine Besorgnisse, wie er sich seiner vollen guten Meynung versichern wollte, gleich vergeblich. Des andern Morgens bekam er die Bothschaft: Ritter Johann sey in Angelegenheiten des Ordens eilig verschickt worden, und alles, was er vor seiner Abreise für ihn habe thun können, sey nachdrückliche Empfehlung bey dem Hochmeister gewesen.

Herrmann ward dem erhabenen Oberhaupt des Ordens, Ulrich von Jungingen vorgestellt, ward wohl empfangen, man nahm es für bekannt an, daß es seine Absicht sey das Kreuz anzunehmen, man legte ihm die gewöhnlichen Bedingungen vor, es war in den damaligen Zeiten noch schwerer, Zutritt zu erlangen als in den gegenwärtigen.

Der Ritter von Unna konnte sich den Aufschub einer Sache, nach welcher er eigentlich gar kein Verlangen trug, sehr leicht gefallen lassen. Ihm war es genug, Erlaubniß zu erhalten, auf gewisse Art Theil an den Thaten des Ordens zu [298] nehmen, und er nahm sich vor, sich bey jeder Gelegenheit so zu zeigen, daß er, wenn gewisse Dinge offenbar würden, das Vorurtheil für, nicht wider sich haben möge.

Unsere Urschrift sagt nicht deutlich, welches die Begebenheiten unsers Ritters binnen einer Zeit von sieben Monaten waren, welche er in diesen Gegenden zubrachte, sie meldet nur, daß Herrmann sich überall wie ein kluger und tapfrer Mann erwieß, daß das Schicksal ihn sehr genau in die Angelegenheiten der beyden Jungingen des damahligen und des vorigen Großmeisters verflocht, daß auch der diesem folgende, der bekannte Heinrich Reus, welcher nachmahls abgesetzt ward, mit ihm in Verbindungen stand, welche wenigstens ihm, unserm Herrmann Ehre machten, und daß man Ursach zu glauben hatte, das Ordenskreuz könne ihm nicht lang mehr vorenthalten werden, als sich eine Geschichte ereignete, welche ihn auf einmal aus dem Hafen der Sicherheit hinweg riß und ihn wieder in jenes stürmische Meer zurückschleuderte, welchem er kaum entkommen war.

Herrmann hatte unter den Rittern, welche so wie er dem Orden nicht wirklich einverleibt waren, die Bekanntschaft eines Mannes gemacht, der ihn außerordentlich interessirte; ein rauher wilder Krieger, mit den Zügen ausgestandenen Unglücks [299] auf der Stirne, still und verschlossen gegen jedermann, nur gegen den nicht, der sich ihm durch tausend Dienste verbindlich gemacht hatte, gegen Herrmann, der ihm mehr als einmahl im Streit das Leben rettete, ihn durch sein Ansehen beym Hochmeister oft gegen die Kabale seiner Feinde aufrecht erhielt, und der ihn eben aus der Ursache aufzusuchen schien, aus welcher er von andern geflohen ward, ihn darum liebte – weil er nicht glücklich war.

Lange hatte Herrmann, der so gern Bedrängte tröstete, wie seine Ida, den Quellen seines Kummers nachgespürt, um desto besser zu wissen, ob Rath und Hülfe möglich sey, und endlich erschien die Stunde offenherziger Erklärung.

Herrmanns Freund nannte seinen Namen, er war jener Konrad von Langen, der Bruder der schönen Aleke, welcher von der heimlichen Acht verfolgt, endlich hier eine Art von Zuflucht gefunden hatte. Das Andenken an seine edle Schwägerinn Konrads Schwester, die Gleichheit ihrer Schicksale, machte, daß Herrmann den Ritter von Langen mit doppelter Zärtlichkeit an seine Brust drückte, ihn Bruder nannte, ihm offenbarte, (welches Konraden bey seiner langen Entfernung verborgen war) wie nahe sie verwandt waren, und ihm zusagte, ihm nächstens auch eine umständliche Erzählung von seinen Schicksalen zu geben.

[300] Herrmann hielt sein Versprechen, er erzehlte seine Geschichte offenherziger, und also vortheilhafter als er sie seinem Bruder dem Groskreuz Johann vorgetragen haben würde. Kein Scheu vor strengem Tadel konnte ihn bey Konraden von Langen nöthigen seine Worte abzuwiegen. Konrads Geschichte zeugte, daß er bey weiten nicht in allem, warum er von der Rache verfolgt wurde, zu entschuldigen sey, aber Herrmann war ganz schuldlos, konnte kühnlich auftreten und sagen: ich bin rein von aller Uebelthat. Nur unzeitige Furcht vor Johanns strenger nie durch Verleumdung angegriffener Tugend konnte ihn schüchtern machen.

Konrad schwieg eine Weile, nachdem Herrmann geendigt hatte. Ihr seyd gerechter als ich, fing er endlich an, eure Sache ist mit der meinigen nicht zu vergleichen, und doch ist unser Schicksal so ziemlich das nehmliche; sollte man sich nicht scheuen die Tugend zu wählen, wenn sie und das Laster so oft einen Weg führen? – Das beste für uns wird seyn, wenn wir dieses Land bald verlassen, ehe die strengen Ritter des deutschen Ordens unsere Lage kennen lernen; ihr Blick durchforschet am Ende alles, sie sind fast so all wissend wie unsre Feinde die heimlichen Richter. Hoffet nicht in den Orden aufgenommen zu werden, bis sie die kleinsten Umstände eures Lebens kennen, und werden ihnen diese bekannt, so ist euer Urtheil[301] eben sowohl gesprochen. Beschuldigung ist ihrer Reinigkeit oft so viel als erwiesenes Verbrechen! –

Glaubt denn Konrad, erwiederte Herrmann, daß ich nach dem Ordenskreuze strebe?

Ich glaubte es, weil ich meynte, wir, deren Schicksale so viel Aehnlichkeit haben, müßten uns in allen gleichen. –

Also ihr betratet dieses Land in einer solchen Absicht? –

Höret den Theil meiner Geschichte, der euch noch unbekannt ist. – Als mich die Verfolgung der heimlichen Rächer aus meiner Burg trieb, mich nöthigte meine unglückliche Schwester, eure nachmahlige Schwägerinn, unberathen und hülflos zurückzulassen, da schenkte mir das Schicksal mitten im Gedränge des Elends einen Schatz, den es oft seinen ersten Lieblingen versagt, einen Freund! – O Gott! mein Retter, mein theurer Johann von Unna erschien mir, und ward mein Schützer vor dem Teufel, der mich zu erwürgen, mich mitten in meinen Sünden ins ewige Verderben zu stürzen drohte! –

Johann von Unna? mein Bruder? –

Ja, eben er. Höret weiter. Angst und schlaflose Nächte hatten meine Kräfte aufgezehrt, ich war noch nicht drey Meilen von meinem Schlosse, so überfiel mich der Schlaf, ich mußte meinem [302] Triebe nachgeben, oder die Hofnung zu entkommen fahren lassen. Ich langte in einem Walde an, der mir oft in glücklichen Tagen nach der Arbeit seinen Schatten zur Ruhe geliehen hatte. Ich wußte, hatte ich ihn zurückgelegt, so traf ich viele Meilen weit nichts als offenes Land, wo ich ohne die Umschattung eines schützenden Baums hätte schlummern müssen; Dörfer und Herbergen genug, aber unter welchem Dache kann ein Reisender meiner Art sicher schlummern?

Ich legte mich unter den nächsten Schatten und entschlief. Da dünkte es mir im Traum, ein Mörder stünde bey meinem Lager, seine Hand risse das Schwerd aus der Scheide, und er riefe mir zu mit schrecklicher Stimme: Konrad! erwache! die Rache ist vor der Thür! – Ich fuhr aus dem Schlafe empor, mein Traum war Wahrheit! Erwache Konrad! rief der Grausame, der vor mir stand zum zweyten mahl! Dich klagen die zahllosen Zungen deiner Sünden, dich klagen die Zeugen des heimlichen Gerichts vor dem ewigen Rächer an; ich bin sein Diener! du mußt sterben! Ich hatte unter meinen Leuten einen Diener, einen Einverleibten des fürchterlichen Tribunals, der mir von solchen Dingen, so weit er durfte, Winke genug gegeben hatte, um mir es klar zu machen, wen ich hier vor mir hatte; keinen gemeinen Mörder, dessen That die Gerechtigkeit straft, wo sie ihn findet, [303] nein, einen von jener geheimen Gesellschaft unbekannten Henker, die unter dem heiligen Namen der Rächer des Ewigen Thaten begehen, die nur er richten kann, weil sie hier keinen Richter finden.

Ich sprang auf, ich setzte mich zur Wehr, er war mir überlegen, ich hätte unterliegen müssen, wenn nicht plötzlich ein Ritter aus dem Gebüsch hervorgedrungen wär, und sich zur Vertheidigung an meine Seite gestellt hätte. Es war Johann von Unna, euer Bruder; nie sahe er mich zuvor, aber ihm war es genug einen Nothleidenden zu finden, um sich seiner anzunehmen, er war tapfer und edelmüthig wie Herrmann!

Mein Gegner ward durch unsere vereinte Macht bald vertrieben. Ich dankte eurem Bruder, wie man einem Schutzengel dankt, wir umarmten uns, und nannten einander unsre Namen. Der meinige, der Name eines Unglücklichen, Durchächteten, (als einen solchen kannte mich das ganze Land,) vermochte nicht sein Herz von mir abzuwenden.

Er nannte mich Bruder, und war freundschaftlich genug, sich mit mir in eine Reihe zu setzen. Auch ich bin ein Flüchtiger, sagte er, ich fliehe vor der Gewalt meiner Verwandten, die mich zu einem Stande nöthigen wollen, den ich verabscheue. [304] Hin! mein Bruder! Hin zu den deutschen Rittern! das Ordenskreuz kann uns vor Gewalt schützen, und einst zu Ehren bringen! – Ich gab ihm den Handschlag ihm zu folgen, und wir lagerten uns ins Gras zu einer sparsamen Mahlzeit, die euer edler Bruder aus seiner Reisetasche auftrug. Ein Trunk aus der Quelle labte uns, und wir redeten den Plan unsers künftigen Lebens vollends ab, ohne zu ahnden, wie viel Gefahren unsere Anschläge vereiteln könnten – Gefahr! Gefahr des Todes war vor der Thür! der Unschuldige mußte sie theilen, weil er sich zu dem Schuldigen gesellt hatte. – Der Feind, von welchem mich Johann gerettet hatte, erschien plötzlich von neuem, er hatte einen 17 Gefährten mit sich genommen, um wider zweye desto sicherer zu fechten! Wir sprangen auf, es war uns unmöglich, uns unserer Schwerdter zu bemächtigen, welche wir in thörichter Sicherheit einige Schritte von uns ins Gras gelegt hatten, wir hatten keine andern Waffen in den Händen als die Messer, welche wir bey unserm Mahle gebraucht hatten.

[305] Der Kampf war ungleich, ob gleich der eine unserer Gegner, der Gefährte, den sich der Erste geholt hatte, schlecht und fast mit Unwillen focht. Ohne Zweifel war es jener Ulrich von Senden, Alekens Geliebter, welcher sein Schwerd gezwungen wider mich kehren mußte, und auf alle Weise vermied, mich zu verletzen. Er wandte seine Waffen gegen meinen Vertheidiger, und trieb ihn, weil sie von besserm Nachdruck waren als Johanns Brodmesser, endlich in die Flucht, indessen ich der Raub des andern ward, der mich gefangen nach Osnabrück schleppte. Gott weis, was seinen Entschluß änderte, mir auf der Stelle das Leben zu nehmen!

Ihr wißt das übrige, ich entkam einem schmählichen Tode durch die Flucht. Ich eilte dahin, wo ich muthmaßen konnte, meinen Freund den Ritter von Unna zu finden. Er trug bereits das Ordenskreuz, aber auch mir dazu zu verhelfen war unmöglich. Er kannte die Gesetze der deutschen Ritter jetzt besser als im ersten Anfang unserer Freundschaft, er rieth mir meine Wünsche aufzugeben, und dadurch einer strengen Untersuchung meiner Geschichte, und einer ernsten Ahndung zu entgehen. Auf seinen Rath änderte ich meinen Namen; der meinige würde meine Sicherheit bald geendigt haben, mein Unglück war zu bekannt, schlummerte nicht so wie das Eurige noch unter [306] einer gewissen Hülle, es wär um mich gethan gewesen, hätte man den Namen Konrad von Langen nur einmahl gehört.

Euer edler Bruder konnte mich nicht auf die Art schützen, versorgen, und erheben wie er wünschte, aber demohngeachtet that er viel zu meinem Glück. Ihm bin ich Ehre, Leben und Güter, ach ihm bin ich die weit kostbarere Gelegenheit zu rühmlichen Handlungen schuldig! Ich war emsig in Ausübung des Guten, vielleicht daß es mir dereinst gelingt, durch die überlegene Anzahl edler Thaten ehemahliche Verbrechen zu tilgen.

Ordensgeschäfte haben, wie ihr wißt, euren und meinen Bruder auf lange Zeit von uns gerissen. Gott weis, ob ich ohne Schutz hier lang hätte bestehen können, aber, ihr vertratet die Stelle des Ritters Johann bey mir; so lang eure Begebenheiten unbekannt bleiben, kann mich euer Name und das Ansehen, in welchem ihr bey dem Orden steht, schützen – O ihr Brüder von Unna! edle großmüthige Seelen! Freunde des Verfolgten von aller Welt Verlassenen! Führer bey der Rückkehr zur Tugend! werde ich euch jemahls jemahls danken können? wird es hinlängliche Vergeltung für euch seyn, wenn ich dieses Blut, dieses Leben für euch aufopfre?

[307] Konrads Herz floß von Dankbarkeit über. Herrmann drückte ihn an seine Brust, und beyde vereinigten sich nun in Berathschlagungen, was in der Zukunft für sie zu thun seyn würde; Berathschlagungen, deren Resultat nie bekannt worden ist, weil ihnen das Schicksal die Ausführung ersparte.

30. Kapitel. Düstere Wolken, hinter welchen die Sonne glänzt
Dreyßigstes Kapitel.
Düstere Wolken, hinter welchen die Sonne glänzt.

Es wär zu wünschen gewesen, daß die beyden Ritter bey ihren Berathschlagungen mehr Behutsamkeit gebraucht hätten, sie lebten in einem Lande, wo weder die Nacht noch die Abgelegenheit des Orts sie vor Verrätherey zu schützen vermochte. Ihre beyderseitige Tapferkeit, die Achtung des Großmeisters und der Ritterschaft, der Wahn, daß beyde nach dem Ordenskrenz trachteten, und daß es ihnen nicht entstehen könne, erregte Neid, man suchte sie zu stürzen, belauschte ihre Schritte, und jauchzte, Dinge von ihnen erfahren zu haben, die sie mit Schimpf und Schande bedecken und auf einmal von dem Orte entfernen mußten, wo sie andern im Lichte standen.

[308] Der Grosmeister erfuhr alles was Konrad und Herrmann einander in der Stille der Nacht vertraut hatten. Henrich Reus war kein sonderlicher Freund des Ritters der treuen Minne, und man würde wider die beyden unglücklichen Opfer der heimlichen Rache, vornehmlich wider Herrmannen, den unschuldigsten, ziemlich streng verfahren haben, wenn sich nicht der Graf von Würtemberg ins Mittel geschlagen hätte.

Graf Eberhard hatte all diese Zeit über mit Herrmann an einerley Orte gelebt, er hatte so wohl als dieser Antheil an den Thaten der deutschen Ritter genommen, hatte den tapfern Jüngling bey tausend Gelegenheiten auf der rühmlichsten Seite kennen gelernt, und begunnte jetzt den ernstlich zu lieben, den er vordem gehaßt und verfolgt hatte. Herrmann hatte, die regenspurgische Befreyung des alten Grafen gar nicht gerechnet, oft Gelegenheit gehabt sich den Vater seiner Geliebten verbindlich zu machen. Dankbarkeit für eigene dem Grafen geleistete Dienste muste ja wohl endlich den Groll auslöschen, den er wegen der Beleidigungen seines längst verstorbenen Vaters und Bruders auf ihn geworfen hatte! –

Graf Eberhard sprach ernstlich für den jungen Ritter von Unna, der Großmeister mußte nachgeben, und vielleicht wär es geglückt, den Angeklagten durch Darstellung der wahren Beschaffenheit [309] seiner Sache völlig zu retten, wenn der Graf von Würtemberg nicht in einer Art von Bann gelebt hätte, der seinem Vorspruch einen Theil seiner Kraft benommen hätte, und der erst in einem Monat völlig zu Ende war.

Ueberall das fürchterliche Tribunal, dessen Verfolgung Herrmann und Konrad ausgesetzt waren, seine Einverleibten; auch hier ward das, was man von dem Zustand der beyden Ritter erlauscht hatte, nicht sobald kund, als die Arme der heimlichen Rächer sich nach ihnen ausstreckten. Weder der Grosmeister noch der Graf konnten sie schützen, das einige, was der letzte durch das Ansehn ausrichten konnte, das er ehemahls in diesen Dingen hatte, und das er nun bald wieder erlangen sollte, war, daß Herrmann ohne weitere Beleidigung nach Westphalen vor seinen Vetter den alten Grafen von Unna gebracht werden sollte, von welchem sich mit Wahrscheinlichkeit, Schonung, oder vielmehr Gerechtigkeit für den Unschuldigen erwarten ließ.

Graf Eberhards Hoffnungen, – denn würklich war es jetzt so weit gekommen, daß Herrmanns Glück ein Gegenstand seiner Hoffnungen war, – wurden durch das Gerücht, welches sich auszubreiten begunnte, beynahe zu Gewißheiten gemacht, daß man den Mördern des Herzogs von Braunschweig immer besser auf die Spur komme. Einer [310] von ihnen, ein gewisser Falkenberg, sey bereits in den Händen der Gerechtigkeit, und es sey kein Zweifel, man werde durch ihn auch die übrigen Mitverschwornen erfahren.

Ziehet hin, mein Sohn, sagte der Graf zu Herrmann, habt ihr mich nicht getäuscht, könnt ihr den Verdacht, Theil an einer der schändlichsten Thaten der Finsterniß genommen zu haben, gänzlich von euch wälzen, euch so vor den Augen der ganzen Welt rechtfertigen als vor den Meinigen, so biete ich zu Erfüllung eurer liebsten Wünsche die Hand – so –

Ist Ida mein? fragte der entzückte Jüngling, der sich dem Grafen zu Füßen warf.

Gemach! gemach! rief der alte Graf, den seine Rede halb zu reuen schien. Ihr fordert zu viel! Ein Ritter von Unna und eine Gräfinn von Würtemberg wär ein zu ungleiches Paar: – sollte aber der Graf von Unna sein Versprechen erfüllen, sollte er euch zum Sohn annehmen, – ja dann – dem Erben eines so großen Namens so großer Güter, dem Sohne meines alten Freundes meine Tochter abzuschlagen würde unrecht seyn.

Eberhard lächelte bey diesen Worten, und Herrmann sank zum zweytenmahl zu seinen Füssen. O sie ist mein! rief er, Ida ist mein! Vater! wie soll ich euch danken!

[311] O der schwindelnden Jugend! rief der alte Graf. Wo sind die Beweise eurer Unschuld? Wer bürgt euch für die Versprechungen eures Verwandten? – endlich – wo ist Ida, die ihr schon in euren Armen zu halten glaubt? –

Ida? schrie Herrmann halb außer sich vor Freude. – O wär sie im Fegefeuer, ich wollte sie suchen und finden! sie lebt in einem ungarischen Kloster, wie sie in dem zurückgelassenen Briefe an die Königinn von Böhmen sagte, ich durchlaufe sie alle, bitte, drohe, besteche, raube, wenn es so seyn muß, bis ich sie treffe und mich mit ihr zu euren Füßen werfen, euch um die Einsegnung unserer Liebe bitten kann!

Der alte Graf schüttelte den Kopf. Die Dinge, welche den Jüngling so leicht zu übersteigen dünkten, hatten in dem Auge des weisern Greises immer noch gewaltige Schwürigkeiten. – Er gab einige Winke, daß auch sie, auch Ida durch seine Entfernung wieder unter die Gewalt ihrer Verfolger gefallen wär, daß nichts sie habe retten können als die weite Entfernung nach Ungarn, welche er aus dieser Ursach nicht ungern gesehen habe.

Und wird nicht, fragte Herrmann, wird nicht die Wiederkunft ihres Vaters, die Wiedereinsetzung in seine Rechte, Idas Rechtfertigung mit sich bringen? – Nein, edler Graf, es glückt euch nicht, [312] meine liebsten Hoffnungen zu verdunkeln; ist euer Herz zu meinem Besten gewonnen, so hat die ganze Welt keine Schrecken mehr für mich!

Der Graf und der Ritter trennten sich, der erste voll Entzücken, der andere nur halb froh. Er hatte höhere Aussichten für seine Ida im Sinne gehabt! sie zu einer Herzoginn von Braunschweig vielleicht zur Kaiserinn zu machen, wär freylich seiner Eitelkeit schmeichelhafter gewesen als der Name, Gräfinn von Unna. – Doch wie viel hatte er nicht bereits von seinen Hoffnungen aufgeben mussen! –

Kaiser Ruprecht saß fest auf dem Throne, dem er einst so nahe zu seyn geglaubt hatte; es ließ sich nicht an, als wollten die teutschen Fürsten ihre Wahl bereuen. Alles war so eingerichtet, daß nach ihm König Siegmunden die Krone nicht entgehen konnte, und dieser hatte dann an seinem künftigen Eydam, Herzog Albrechten von Oesterreich, einen Nachfolger, der zu gut war um von einem andern ausgestochen, zu jung, um von einem Greise wie Graf Eberhard überlebt zu werden.

[313]
31. Kapitel. Herrmann, Graf von Unna
Ein und dreyßigstes Kapitel.
Herrmann, Graf von Unna.

Herrmann von Unna und Konrad von Langen wurden den Händen ihrer Verfolger übergeben; der erste wurde, vielleicht aus einer Ahndung, er könne unschuldig erfunden werden, mit Schonung behandelt, und der andre, ungeachtet eine größere Last von Beschuldigungen auf ihn haftete, hatte auf gewisse Art des Glücks seines Freundes zu geniessen.

Er kannte indessen seine Lage besser, als vielleicht selbst die, welche ihn seinen Richtern entgegen führten, er wußte, daß er in den Gegenden, wohin er gebracht wurde, nur erscheinen durfte, um alle alte halb vergessene Beschuldigungen, vornehmlich die Händel mit dem Bischoff von Osnabrück wieder rege zu machen. Er wußte, daß er vor der Hand keine Hoffnung hatte als die Flucht und diese war ihm in ähnlichen Fällen schon so oft geglückt, daß er auch jetzt nicht verzagte.

Konrad war ein Meister in listigen Anschlägen, war, wie wir vielleicht in der Folge aus einem Beispiel sehen werden, in der Wahl der Mittel zu Erreichung seiner Absichten nicht allzu gewissenhaft; wie hätte es ihm fehlen können?

[314]

Eines Abends umarmte er beym Abschied seinen Freund, dessen Umgang man ihm verstattete, mit ungewöhnlichem Feuer, sprach etliche dunkle Worte von Trennung und von Wiedersehen, und – am Morgen war er verschwunden.

Seine Begleiter suchten ihn, Herrmann trauerte um seine Entfernung und freute sich seiner Befreyung, aber dies war auch alles was bey dieser Sache geschehen konnte, – denn, keine Nachforschungen vermochten den entflohnen Konrad auszuspähen.

Herrmann ward nun desto strenger bewacht damit man bey ihm nicht etwas ähnliches erfahren möchte; eine unnöthige Vorsicht! Konrad hatte ihm oft Vorschläge zur Flucht gethan, welche grosmüthig von ihm verworfen wurden, und im Grunde, warum hätte auch Herrmann fliehen sollen. Sein gutes Gewissen machte ihn furchtlos, der Richter, vor den er gestellt werden sollte, war sein Freund, und fast an allen Orten, durch welche er zog, kamen ihm Gerüchte entgegen, welche ihm Hoffnung zum völligen Erweis seiner Unschuld machten. Selbst seine Hüter machten endlich kein Geheimniß vor ihm aus diesen Dingen, der eine von ihnen brachte ihm eines Tages die Bothschaft: der entdeckte Mörder des Herzogs von Braunschweig, Friedrich von Falkenberg, habe Wernern von Hanstein, und dieser Henrichen Grafen von Waldeck als seine Mitgehilfen [315] angegeben. Von allen diesen war es erwiesen, daß sie sich in maynzischen Diensten befanden, und auf wen also der Hauptverdacht fiel, das konnte kein Geheimniß bleiben. Herrmanns war bey der ganzen Untersuchung mit keinem Worte gedacht worden.

Herrmann triumphirte über die herrlichen Beweise seiner Unschuld; auch seine Hüter waren nicht unempfindlich gegen dieselben, sie stellten es ihm frey, sich zu begeben wohin er wolle, aber der biedere Ritter lachte des Vorschlags: Die Unschuld fliehet nicht! sagte er abermahls und ließ sich ruhig nach der Residenz seines Oheim des alten Grafen von Unna führen.

Nicht wie ein Gefangner, sondern wie ein besuchender Freund ward der Ritter von Unna bey seinem erhabenen Verwandten eingeführt, und von ihm mit offenen Armen empfangen. – Kommt ihr so früh euch eures Triumphs zu erfreuen? rief ihm der alte Graf entgegen. Zwar habe ich bereits nach Italien geschrieben, euch die Entdeckung der Wahrheit zu melden, aber wie diese Nachricht euch so bald erreichen konnte. – –

Herrmann unterbrach seinen Oheim mit der Erzehlung, auf was für Art er hieher gebracht worden sey. – Ich freue mich, erwiederte der Graf, daß ich euch versichern kann, daß diese seltsame Weise euch eurem Glück entgegen zu führen, [316] das letzte Leiden seyn wird, welche euch fremde Verbrechen zugezogen haben. Die Hansteine, die Falkenberge, die Waldecke, sind die Vollbringer jener That, welche euch so unglücklich gemacht hat; keiner von ihnen will etwas von euch als einem Mitschuldigen wissen, alle betheuern, daß sie euren Namen nur durch den Ruf und aus Hertingshausens Reden kennen, welcher euch oft beym Trunk seinen Feind genannt, und geschworen haben soll, er wolle sich an euch rächen, und solle er sein zeitliches und ewiges Heil aufs Spiel setzen; kein Wunder also, als ihr ihm jenesmahl, in den Gegenden von Frizlar in den Weg geworfen wurdet, daß sein immer zum Bösen fertiger Geist euch schnell in die Sache zu verflechten wußte, welche ihm den Untergang brachte, daß er noch im Tode auf der Aussage beharrte, welche euch so unglücklich gemacht hat.

Herrmanns redliche Seele zitterte bey der umständlichen Erzählung von der Verschwörung wider Herzog Friedrichs Leben, zitterte über die Namen der Theilnehmer an dieser That. – Und welches ist die Strafe der Meuchelmörder? fragte er hastig. – Geldbuße! erwiederte der Graf und zuckte die Achseln, Geldbuße? – und ich sollte um des bloßen Verdachts willen sterben? Es sind die Waldecke, versetzte der Graf, sind vielleicht [317] noch höhere! ihr waret blos Herrmann von Unna!

Der alte Graf sprach mit seinen Neffen noch viel über diesen Gegenstand, Herrmann erzählte ihm dagegen von seinen Schicksalen bey den deutschen Rittern, und von der erworbenen Gnade des Grafen von Würtemberg. – So sehr dem Oheim das letzte zu gefallen schien, so wenig fand er Geschmack an dem ersten, und Herrmann hatte ein schweres Examen auszustehen, ob er mit dem Ritter Johann seinem Bruder in besondere Gemeinschaft gelebt hatte Der Haß des alten Grafen von Unna wider die jüngere Linie seines Hauses war unauslöschlich, und nichts konnte den Neffen vor den Unwillen des eigensinnigen Greises schützen, als die Versicherung, die er ihm mit Grund der Wahrheit geben konnte, er habe den Ritter Johann nur ein einiges Mahl gesprochen.

Und in was für einem Zustande lebt er? fragte der Alte. Ich vermuthe, er wird nicht in sonderlichem Ansehen bey dem Orden seyn.

Er ist Großkreuz und Kommenthur zu * * * antwortete Herrmann. Ha, ich weis, was ihn so gehoben hat! rief der Graf, nicht seine Verdienste, nein die Sage, die er auszubreiten wußte, er könne wohl einmahl nach meinem Tode Graf von Unna werden, aber ich will sie täuschen, will ihn und den übermüthigen Bernd täuschen! – Ja sie [318] haben recht, ich habe keine Kinder, euer Haus oder das Reich müssen meine Erben seyn. Aber Geduld ich will den wählen, auf welchen sie am wenigsten denken, den jüngsten und verachtetesten unter ihnen, den, den sie im Staube des Klosters zu begraben, und ihr Glück auf sein Verderben zu bauen gedachten.

Der Greis war bey diesen Reden in heftigen Zorn gerathen, er befahl Herrmannen mit einer verdrüßlichen Art sich zu entfernen und dieser konnte sich in diese Erscheinung nicht finden, bis einer der alten Hausbedienten, dessen Redlichkeit er schon bey seinem ersten Aufenthalt zu Unna kennen gelernt hatte, ihm Aufklärung hierinnen gab:

Bernhard von Unna und die Aebtissinn zu Marienhagen hatten während einer Krankheit, welche der alte Graf vor wenig Monaten überstanden hatte, und die seinen Tod vermuthen ließ, so laut von ihren Hoffnungen gesprochen, daß es dem Greise zu Ohren gekommen war und den Entschluß in ihm bestätiget hatte, welcher in wenig Tagen zu Herrmanns Besten zur Reife kam.

Herrmanns feyerliche Lossprechung von dem angeschuldigten Verbrechen, welche öffentlich geschahe, konnte von dem alten Grafen, der ihn liebte, nicht besser verherrlicht werden, als dadurch, daß er ihn am nemlichen Tage zum Sohn annahm, und ihm den Namen eines Erbgrafen von Unna [319] beylegte. Herrmanns Dankbarkeit für diesen Erweis seiner Achtung, dessen wichtigen Einfluß auf sein ganzes Glück niemand besser kannte, als er selbst, rührte den Greis, er glaubte nichts als Erstaunen, nichts als Ueberraschung in den Blicken des Jünglings zu lesen, keine Ansprüche auf ein Recht zu der erzeigten Gnade, und dies wars, was ihm gefiel.

Der alte Unna irrte nicht, Herrmann war erstaunt, war überrascht, sich so schnell am Ziel seiner Wünsche zu sehen. Er wußte, daß er hier nichts seinen Rechten, alles der Gnade seines Oheims zu danken hatte, aber er hatte nicht ohne Erwartung eines solchen Glücksfalls gelebt. Die ehemahligen Versprechungen seines Oheims hatten dieselbe in ihm erregt, die Reden des Grafen von Würtemberg sie ihm von neuem in die Gedanken gebracht, aber eben diese, eben die Vorstellung von dem Umfang seines Glücks, den sein großmüthiger Verwandter selbst nicht ganz übersehen konnte, weil ihm von Herrmanns und Idas Liebe nur wenig bekannt war, brachte jenen hohen Grad von Entzücken und Dankbarkeit in ihm hervor, der dem Greise so wohlgefiel.

Ja du bist es, du bist ganz mein Sohn! rief er, indem er ihn an seine Brust drückte. Die Welt soll erfahren, wie ich dich liebe, ich bin stolz [320] auf dich, und ich will den Glanz, mit dem ich dich umgeben kann, brauchen, deine Neider und die Erwarter meines Todes zu demüthigen.

Es ist zu errathen, was der alte Graf mit diesen Worten meynte. Herrmann ward von ihm aufgefordert, nächster Tage eine Reise zu seinen Geschwistern zu thun, und zu derselben auf eine Art ausgerüstet, welche seinem guten Herzen den empfindlichsten Kummer machte. Welch eine Rolle für einen Jüngling wie diesen, ausgeschickt zu werden über seine Geschwister zu triumphiren! Er nahm den Besuch an, welchen man ihm auftrug, aber seine Bitten, seine Vorstellungen fruchteten so viel, daß alles bey dieser Gelegenheit hinweggelassen wurde, was andern hätte kränkend seyn können.

Agnes und Petronelle genossen die meiste Freude von seiner Erscheinung und der Nachricht von seinem Glück, Ulrich warf sich entzückt in die Arme seines Herrmann. Die Aebtissinn und der Domherr waren voll geistlicher Glückwünsche, indessen Berndten und Katarinen heimlicher schlecht verstellter Neid aus den Augen leuchtete. Herrmann strebte alle zufrieden, alle glücklich zu machen, besonders Aleken von Unna, seine Schwägerinn, welche er mit Nachrichten von ihrem Bruder erfreute. Konrad war sicher vor seinen Verfolgern nach Ungarn an König Siegmunds Hof gekommen, [321] welcher ihn in seine Dienste nahm, ungeachtet der Ritter von Langen ihm nichts von der wahren Lage seiner Sachen verschwiegen hatte. Siegmund hegte zuweilen so wenig Bedenklichkeit in der Wahl seiner Diener als seiner Liebschaften, und Barbara seine Gemahlinn, sahe ihren Hofstaat gern mit jedem ansehnlichen Ritter vermehrt, dessen Eroberung sie mit der Zeit zu machen hoffen konnte.

So lieb unserem Herrmann der Umgang Agnesens, Petronellens, Alekens und Ulrichs war, so konnte er doch nicht lang bey ihnen verweilen. Ein stärkerer Trieb als Freundschaft, Sehnsucht nach seiner Ida, Wunsch, ihren Aufenthalt zu erforschen, Besorgnisse wegen ihres Schicksals, riß ihn aus den Armen seiner Geliebten.

Er hatte seinem Oheim seine Liebe und seine Hofnungen jetzt umständlich bekannt gemacht, und von ihm die Erlaubnis erhalten, die Gräfinn von Würtemberg aufzusuchen. Auf den Flügeln der Liebe eilte er nach dem Orte, wo er den Weg zu erfahren hofte, den er zu seinem Glücke zu nehmen hatte, eilte nach Prag zur Königinn Sophien, um zu fragen, ob sie keine Nachricht von ihrer Freundinn Ida zu geben wisse; – aber Sophie war so besorgt und so unwissend wie er. – Er eilte nach dem Geburtsort seiner Liebe, nach dem Hause des redlichen Münsters, hier fand er Thränen statt der Antwort.

[322] Sie ist in den Händen des alten Erzbischofs, sagte Idas ehemahliger Vater, aus welchen keine menschliche Macht sie zu reißen vermag. Subinko übt die Gewalt, welche ihm in Böhmen genommen ward, in Ungarn mit desto größerer Strenge. Er lebt an König Siegmunds Hof, Barbara ist seine Freundinn, und niemand ist, welcher seinen Gewaltthätigkeiten Einhalt zu thun vermöge!

Auf diese Erklärung ward die Reise nach Ungarn keinen Tag länger verschoben. Der feurige Herrmann schwur, Himmel und Erde zu bewegen, seine Geliebte aus den Klauen ihres Verfolgers zu reißen. Er machte sich Vorwürfe, daß er bisher wegen ihres Schicksals so unbesorgt hatte seyn können. Ein Kloster hatte ihm die sicherste Freystatt für ein unschuldiges Mädchen gedünkt, ein Bischof konnte seinen Gedanken nach, keine andere Absichten bey Gefangennehmung einer Irrenden haben, als Belehrung und Schutz vor weitern Irrthümern. Münsters Gespräche lehrten ihn hierüber anders denken, und die Tage, welche zwischen diesem Augenblick und Idas Rettung verliefen, schienen ihm zu Jahren zu werden, die Entfernung von ihr mit jedem Schritt, der ihn ihr näher brachte, zu wachsen. – Zum Glück war Münster sein Begleiter, dessen ruhiger Ernst die Fehler verhütete, oder verbesserte,[323] welche des Jünglings ungestüme Eile hätte verursachen können.

Siegmunds Hof, welcher ihm durch den Anblick eines undankbaren Königs und einer nichtswürdigen Königinn, der ihm dort bevorstand, und durch alle Erinnerung an die Begebenheiten auf dem Schlosse Cyly verhaßt gemacht werden mußte, war jetzt der Ort, nach welchen er sich lieber durch einen Schlag der Zauberruthe, durch einen einigen Wunsch versetzt hätte. Dort hofte er Nachricht von Ida zu finden, und dort stand ihm noch ein Glück bevor, nach welchem er sich seit der Entwickelung seines Schicksals unablässig gesehnt hatte. Das Gerücht sagte, Herzog Albrecht von Oesterreich würde zu Presburg erwartet. Ihn zu sehen, unter seinem Schutze, von seinem Rath, seinem Beystand begleitet, Idas Befreyung fortzusetzen, welch ein Gedanke für Herrmann, der diesen Fürsten so innig verehrte, von ihm überzeugt war, daß er sich mit Eifer und Entzücken zu Ausführung seiner Absichten verwenden würde!

Herrmann erschien am ungarischen Hofe, und ward als Graf von Unna freylich mit mehrerer Achtung aufgenommen, als damals, da er nichts weiter war, als der Ritter der treuen Minne.

Königinn Barbara begegnete ihm mit Höflichkeit, und hatte das Herz, nach allem was ihm von ihr bekannt seyn mußte, ihm zuversichtlich [324] in die Augen zu sehen. Es war ihre Art, jedermann ein schlechteres Gedächtnis zuzutrauen als sich selbst, und sich von den Zeugen ihrer alten Vergehungen einzubilden, diese Dinge wären ihnen so altäglich als ihr selbst, würden von ihnen eben so leicht aus dem Sinne geschlagen als von ihr.

Mit Mühe konnte sich Herrmann bequemen, ihr die Ehrerbietung zu erzeigen, welche der Königinn von Ungarn zukam. Ein Gedanke an das Bekenntnis, das er einst aus ihrem eigenen Munde hörte, diejenige, welche das erste Recht auf diesen Namen habe, lebe noch, stieg in ihm auf, und er wandte sich mit Abscheu von Mariens Kerkermeisterinn hinweg, ungeachtet er nicht den zehnten Theil soviel von diesen Geschichten wußte als meinen Lesern bekannt ist.

König Siegmund begegnete dem jungen Grafen von Unna mir auszeichnender Gnade, er mußte entweder den auf Barbaras Lippen gedrückten Kuß ganz vergessen haben, der Herrmann ehemahls so unschuldig beygemessen wurde und ihn in solche Ungnade brachte, oder es war ihm seit der Zeit geläufiger geworden seine Gemahlinn von andern Lippen als den seinigen geküßt zu wissen, wenigstens ging die Rede, daß Barbara keine Feindinn fremder Liebe sey, und es war fast unmöglich, daß dieses ihrem Gemahl ganz verborgen seyn könne.

[325] Herzog Albrechten, den künftigen Eidam des Königs, fand Herrmann nicht zu Preßburg; man sagte, er sey nach Klausenburg gereist, seine Braut, die Prinzeßinn Elisabeth zu besuchen, und habe sich dann mit ihr auf eine Lustreise nach einem andern Kloster zu einer Busenfreundinn der Prinzessinn begeben. Man schien bey Hofe nicht gänzlich mit dem Betragen der jungen Verlobten zufrieden zu seyn; die Prinzeßinn von Ratibor, welche bey der Prinzeßinn von Ungarn in Ungnade gefallen war, und sich zu ihrer Mutter, die vor kurzem ein ähnliches Schicksal bey der Königinn Sophie erfahren hatte, in ein deutsches Kloster verfügen mußte, war durch Preßburg gereist, und hatte, wie sie überall pflegte, wo sie hinkam, Verleumdung ausgestreut, und Argwohn zurückgelassen. Die Reise zu der Fürstinn Gara ward hochempfunden! –

O hätte Herrmann wissen sollen, das diese Freundinn der jungen Elisabeth, auch Idas Freundinn sey, daß sie nur wenig Meilen von dem Aufenthalte der unglücklichen Gräfinn lebe, daß diese in der höchsten Gefahr schwebe, während andre sich des Glücks freuten, das sie ihnen durch ihre menschenfreundlichen Bemühungen verschaft hatte, ein Raub endloses Elends zu werden, hätte er dieses gewußt, wie würde er ihr zu Hülfe geflogen seyn, alle ihre Freunde [326] aufgefordert haben, sich zu ihrer Rettung mit ihm zu vereinigen!

32. Kapitel. Rückkehr zu Ida
Zwey und dreyßigstes Kapitel.
Rückkehr zu Ida.

Die Königinn Marie war, wie meine Leser aus dem vorigen wissen, gerettet, genoß zu Sankt Nikola der Pflege und des Umgangs ihrer Freundinn der Fürstinn Gara, und sahe dem entzückenden Augenblick der Umarmung ihrer Tochter entgegen. Boten mit geheimen Nachrichten an die Prinzeßinn Elisabeth waren schon längst nach Klausenburg abgegangen. Herzog Albrecht, welcher damahls eben seine Braut besuchte, hatte sich schon längst nebst ihr auf den Weg gemacht die frohe, die fast unglaubliche Nachricht von der Rettung Mariens durch eigene Augen zu bestättigen, ja was sage ich? in dem Zeitpunkte, den meine Geschichte gegenwärtig berührt, war die erste für jede Schilderung unerreichbare Zusammenkunft der Mutter und der Tochter schon vorüber, man konnte sich bereits nach dem ersten Sturm der Freude ein wenig fassen, vermochte sein Glück ganz zu übersehen, ohne bey dem Anblick seines Umfangs zu erliegen; aber man denke nicht, daß bey allen [327] diesen frohen Gefühlen, die Schöpferinn derselben, die gute Ida ganz vergessen wurde. Und hätten alle sie vergessen können, so wär doch dieses der dankbaren Königinn, der durch sie geretteten Marie unmöglich gewesen.

Sie nannte ihrer Tochter den Namen der Gräfinn von Würtemberg mit Entzücken, forderte sie und Herzog Albrechten zur Dankbarkeit gegen diejenige auf, welche sie ihre eigene Retterinn, ihren Schutzengel nannte. Albrecht und Elisabeth errötheten; warum der erste, das wissen wir nicht genau zu sagen, aber Elisabeths Erröthung war wahre innige Beschämung, daß sie von derjenigen die größte Wohlthat erhalten hatte, welche sie auf Einhauchen einer Schlange, deren Falschheit ihr jetzt vor Augen lag, ehemals so schimpflich verkennen, so falsch beurtheilen konnte.

Die Fürstinn Gara nützte die Bewegung, welche sie in Elisabeths Herzen wahrnahm, zu Idas Besten. Keine List, keine Gewalt konnte sie retten, das war ausgemacht, man mußte andere Wege einschlagen. Nur die Einwilligung des Erzbischofs konnte die Gefangene frey machen, und diese zu erlangen, wurden die schnellsten Anstalten gemacht; man wußte noch nicht was dieser für Nebenursachen bey der Einkerkerung dieser Unschuldigen haben konnte; die bescheidene [328] Ida hatte sie nie deutlich über diesen Punkt gegen Marien erklärt.

Mitlerweile lebte Herrmann zwar in heimlicher Unruhe über die Ungewißheit von dem Schicksal seiner Geliebten, aber seine Empfindungen waren doch nicht mit denen zu vergleichen, welche er gehabt haben würde, wenn er gewußt hätte, wie nahe ihr das Unglück, wie unkräftig die Mittel wären, welche man zu ihrer Rettung anwendete. Nur noch vierzehen Tage waren bis zu Idas Einkleidung, und ach Herzog Albrechts Bitte an den Erzbischoff war mit einer leeren unbedeutenden Antwort abgefertigt worden, welche eine Gegenantwort erforderte, und so dachte man die Sache hinzuziehen, bis das damahls in den meisten Fällen unwiderrufliche Gelübde ausgesprochen, und die grosse Scheidewand zwischen Ida und der Welt gezogen wär, welche Herrmanns Glück unmöglich machen mußte.

Herrmann saß eines Abend im dumpfen Gefühl seines Unglücks, auf seinem Zimmer. Vor seinen Augen gingen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten vorüber, Ahndungen auf Ahndungen bestürmten ihn, und tief im Innersten seiner Seele rief eine Stimme: Sie wird nie nie die Deine werden! Die Empfindung des Jünglings grenzten in diesem Augenblicke an Verzweiflung. Er riß sich schnell empor! Wie? schrie er, Ida für mich [329] verloren? – Sie nie die Meine? Welch ein Traum! Nur erst ihren Aufenthalt, und sie ist in meinen Armen! Gehe ich nicht Morgen nach Klausenburg? wird nicht Herzog Albrecht mir die Hand zu jedem bieten, was ich für meine Ida, ach für mein eigenes Glück thun kann? So suchte er sich aufzurichten, aber schnell kehrten seine Zweifel mit doppelter Stärke zurück, und es war in einem der fürchterlichsten dieser Augenblicke, als die Thür sich öfnete, und ein Mann vor ihm stand, den er an König Siegmunds Hofe vermuthete, mit Unruhe daselbst gesucht und nicht getroffen hatte.

O Konrad! mein Konrad von Langen! rief Herrmann, indem er ihm mit offnen Armen entgegen flog. O du kommst in einer meiner trübsten Stunden mich zu trösten, mir vielleicht zu helfen!

Wollte Gott, ich könnte das, rief Konrad, indem er Hut und Schwerd mit Ungestüm von sich legte (und sich athemlos auf einen Sessel warf), aber leider komme ich, komme in der äußersten Eil dir zu sagen! daß – daß dir nicht zu helfen ist! –

Herrmann stand mit herabgesunkenen Händen und starrem Blick vor seinem Freunde als ob er das Urtheil des Todes aus seinem Munde vernommen hätte, bis ihm plötzlich einfiel, daß die traurige Post, die ihm Konrad zu bringen habe, doch wenigstens Idas Angelegenheiten nicht betreffen [330] könne, weil diese erst in der Zeit der Trennung von ihm, den Grad von Wichtigkeit erlangt hatten, der Herrmann so beunruhigte.

Entdecke mir was du willst, sagte er, mir wird es in dem gegenwärtigen Augenblicke Kleinigkeit seyn, da blos Ida mich beschäftiget, von der du ja nichts wissen kannst.

Eben von ihr, von ihr rede ich! schrie Konrad, von dem Orte ihres Aufenthalts, von dem Kloster zu Sankt Annen komme ich, dir zu sagen, daß alles aus, daß sie für dich verloren ist, wenn nicht – doch welche Möglichkeit läßt sich denken, in der Zeit von so wenig Tagen das auszurichten, was ich in so vielen Wochen nicht vermochte? –

Du kennst Idas Aufenthalt? kommst von ihr? bringst mir Nachricht von ihr? und sprichst sie sey für mich verloren? Unmöglich, unmöglich! Glück und Unglück zugleich? – das kann nicht seyn! nein, wissen wir wo sie ist, so wollen, so müssen, so werden wir sie retten, da ist kein Zweifel.

Herrmann war bey diesen Worten aufgesprungen, warf seine Nachtkleider ab, gürtete das Schwerd um, und rief nach seinen Dienern, ihn zu wappnen!

Glaube doch nur, rief Konrad, der ihn auf seinen Sitz zurück zog, glaube doch nur, daß ich vor [331] der Hand alles gethan habe was gethan werden muß!

Aber, schrie Herrmann, du sprichst, noch wenige Tage, und mir ist dann nicht mehr zu helfen? – dürfen wir einen Augenblick verlieren? fort! fort! Ida zu Hülfe!

Und was willst du thun? – Weißt du auch nur soviel, worinn Idas Gefahr eigentlich besteht! – Weißt du etwas mehr als den Namen des Orts wo sie lebt? – Ich sage dir, diese Nacht ist schlechterdings nichts zu unternehmen, wir müssen erst den Erfolg dessen erwarten, was bereits geschehen ist, und du hast nichts weiter zu thun, als mir ruhig zuzuhören, was ich dir von Ida zu sagen habe!

Herrmann ging halb außer sich im Zimmer auf und ab. Konrads Vorstellungen mußten ihn endlich abhalten, auf gut Glück auszuziehen, er wußte nicht wohin, um Dinge auszurichten, die ihm eben so unbekannt waren, da er noch nichts von der eigentlichen Lage der Sache wußte.

Erzehle nur! erzehle nur! rief er endlich mit hastigem Ton, du siehst ja, ich bin ruhig genug dich zu hören!

[332]
33. Kapitel. Freundschaft und Unvorsichtigkeit
Drey und dreyßigstes Kapitel.
Freundschaft und Unvorsichtigkeit.

Du weißt, fieng Konrad an, du weißt, wie ich mich an den Grenzen von Deutschland von dir trennte; du wolltest nicht mit mir fliehen; meine Gegenwart konnte dir weiter nichts nützen, und ich wußte andere Gegenden, wo ich zu deinem Besten thätig seyn kannte.

Ida, deine Ida lag mir im Sinne. – Er wird zu seinem Oheim kommen, sagte ich zu mir selbst, seine Unschuld wird offenbar, sein Glück gesichert werden, und es wird ihm nichts mehr fehlen, als der Besitz seines Mädchens; traurige Beschäftigung, wenn er sie denn erst suchen, vielleicht lang vergeblich suchen muß!

Hui Konrad! – Hier eine Gelegenheit, den ehrlichen Herrmann für seine Treue zu lohnen! – Hin nach den Gegenden, wo Ida lebt? – Welch ein Triumph für dich, ihm seine Braut in die Arme zu führen, ehe er sich ihre Erscheinung als möglich denken kann!

Ida lebte in einem ungarischen Kloster, so viel wußte ich, um meinem Wege einige Richtung zu geben; ich hielt mich nur so lang in Prag auf, als ich nöthig hatte, einige vorläufige Erkundigungen einzuziehen. – Ich erfuhr nichts weiter, als [333] daß der Erzbischoff sie aus Verdacht der Ketzerey vielleicht auch aus Wohlgefallen an ihren schönen Augen auf die Seite geschaft habe. – Die Gerüchte, welche vom heiligen Subinko gingen, waren mancherley, Gott weiß, ob sie täuschten!

Subinko war vom König Wenzeln auf Sophiens Veranlassen seines Ansehens in Böhmen beraubt, er lebte gegenwärtig in Ungarn an König Siegmunds Hof; Veranlassung genug für mich, dahin zu eilen und meine Nachforschungen fortzusetzen.

Ich ward ohne Schwierigkeit in königliche Dienste genommen, mir war es nicht so viel um diese Ehre, als um Zutritt im Hause des Erzbischofs zu thun, und ich fand denselben eben so leicht, als ich das erste gefunden hatte. – Ich machte Bekanntschaft mit seinen Leuten, zechte mit ihnen, und erzählte ihnen von meinen Ritterzügen. Du weißt, wie die Reisigen der Bischöffe, die wenig von eignen Thaten wissen, sich so gern an der Anhörung fremder Abentheuer laben.

Mein Anschlag glückte, die Männer wurden treuherzig. – Sie waren unzufrieden mit ihrem Herrn, und ich erfuhr in kurzer Zeit mehr von seinen Angelegenheiten als ich wissen mochte. – Alle meine Gedanken blieben bey der Gräfinn von Würtemberg stehen, deren Aufenthalt ich durch schlaue Fragen schnell erfuhr, und von deren Schicksal die [334] Männer nichts weiter zu sagen wußten, als daß der Erzbischoff nach einem Besuch in einem benachbarten Kloster von Sankt Annen, sehr erzürnt auf sie geschienen habe, und gegen seinen Kammerdiener geschworen habe, er wolle sie nicht ehr wieder sehen, bis sie den Schleyer trüge. –

Seit diesem Schwur war fast ein Jahr vergangen, ich wußte, daß Ida nach Sankt Annen gebracht worden war, daß sie daselbst die Probezeit hielt, und es ward mir klar, daß ich keinen Augenblick zu versäumen hatte, wenn ich sie retten wollte.

Ich hatte unter den Knechten des Bischofs einen besondern Freund, einen Mann, bey dem sich durch Geld und Versprechungen alles ausrichten ließ. – Rudger konnte der Neigung einer Hand voll goldner Schilde nicht widerstehen, er gab mir den Handschlag, mich nach Sankt Annen zu führen, und daselbst alles auszurichten, was ich von ihm verlangen würde.

Wir reisten ab; wir kamen an. Ich trat mit einem Anschlag zu Idas Entführung hervor. Mir war bange, ihn möchte vor dem Raube einer Nonne grauen, aber ich fand daß ihm Dinge von dieser Art schon geläufig waren! er hatte in seinen jüngern Jahren ein ähnliches Abentheuer bestanden, und rühmte sich, selbst in dem Kloster zu Sankt Annen, in vorigen Zeiten ein Verständniß [335] mit einer Layenschwester gehabt zu haben, welches sich zwar nicht bis auf die Entführung ausgedehnt habe, aber das mit mehrerer Gefahr, als ein einiger kühner Streich haben konnte, ein ganzes Jahr lang fortgesetzt worden war.

An der Kirchhofmauer dieses Klosters, sagte er, steht ein uralter Baum, der mit seinen Aesten einige Lücken bedeckt, durch welche man mit einiger Wagniß füglich auf- und absteigen kann; finde ich diese noch, so ist unser Anschlag so gut als ausgeführt. Ich will hin, um die Sache zu erforschen, will zugleich geheime Erkundigung einziehen, wie sonst der gegenwärtige Zustand des Klosters ist, und welches die Lieblingswege, welches der eigentliche Aufenthalt eurer Nonne ist. Auch in Klöstern fehlt es nicht an Personen, mit denen es sich handeln läßt, die geschwätzigen Pförtnerinnen, die Einkauferinnen, die Besucherinnen, sind nie unempfindlich gegen die Reize einer kleinen Erkenntlichkeit.

Rudger kam zurück und brachte mir gute Nachricht. – Die Lücken in der Mauer waren zum Trost bedrängter Nonnen, noch die nemlichen, wie vor zehen Jahren. Ida hielt sich meistens im Krankenzimmer auf, dessen Fenster auf den Kirchhof gingen, auch pflegte sie zu Zeiten kleine nächtliche Spatziergänge unter die Gräber zu machen, [336] bey welchen sie leicht davon zu bringen seyn müßte.

Meinen einigen Zweifel, daß ich die Nonne nicht kannte, die ich zu entführen dachte, hob mein treuer Gefährte durch die Versicherung, daß ihm die Gräfinn nicht unbekannt sey. Ich selbst, sagte er, war unter denen, die sie nach Sankt Annen brachte. – Ihr schlanker majestätischer Wuchs muß sie gleich verrathen, und entreißen wir ihr den Schleyer, so macht uns das himmlische Gesicht, vielleicht das einige in seiner Art, unserer Sache vollends gewiß.

Herrmann seufzte bey diesen Worten; wer konnte Idas Reize nur einmal gesehen haben, und ihrer ohne Bewegung gedenken hören!

Konrad fuhr fort: – Rudger führte mich des nächsten Abends zur Probe auf den Klosterkirchhof. Das Einsteigen war leicht, seine Vorschläge waren gut, aber ich stellte mich mit Willen zweifelhaft und verzagt, um seinen Muth anzufeuern. – Er selbst war jetzt der, welcher mich zuredete, und mir die Sache leicht machte; er versicherte, daß wir eilen müssen, weil der Erzbischof in Ausführung seiner Anschläge schnell zu Werke gieng, und Idas Einkleidung wahrscheinlich nicht lang verschoben bleiben möchte – Er machte mir Hoffnung, unsere Dame vielleicht auf[337] einen bevorstehenden Festtag, wo die Nonnen dieses Klosters mehrere Freyheit hatten, davon zu bringen, aber ich blieb auf dem Vorschlage, wir müßten sie selbst mit in unsern Anschlag zu ziehen, und uns ihn dadurch zu erleichtern suchen.

Wie bald sind an jenen Fenstern einige Stäbe zerfeilt, sagte ich zu ihm, wir steigen zu ihr ein, sagen ihr unsere Absicht, führen sie entweder gleich davon, oder treffen aufs wenigste mit ihr Abrede.

Rudger hatte seine Einwendungen, wir kehrten noch einmal zurück, um uns die Gelegenheit abzusehen, und schnell flog etwas im weißen glänzenden Gewand bey uns vorbey und verlor sich in einer geöfneten Thür, die wir nicht wahrgenommen hatten, und die jetzt hinter der Fliehenden mit Geräusch zugeschlagen wurde.

Was war das? sagte ich voll Erstaunen zu meinem Gefährten. Ich will sterben, rief er, wenn sie es nicht selbst war! Ihr schlanker Wuchs, ihre leichte Bewegung! – die Nonnen dieses Klosters haben den muntern Schritt längst verlernt, niemand darf hier hüpfen oder laufen, als etwa eine Novize, und die Gräfinn ist hier die einige.

O wir Thoren, schrie ich, daß wir so unser Glück versäumen konnten! welcher Zufall wird es uns wieder so wie heute in die Hände spielen?

[338] Kommt, kommt, erwiederte er, wir dürfen nicht verzagen, morgen ist auch ein Tag, an welchem sich etwas ausrichten läßt! –

Wir verliessen den Kirchhof, um ihn in der nächsten Nacht von neuem zu besuchen. Wir fanden die Mauer hinter dem freundschaftlichen Baume zu unserm Entsetzen gewaltig erhöht, man mußte unsern Anschlag ausgekundschaftet haben und ihn zu verhindern suchen. Wir forschten weiter. Die bekannten Lücken, der eigentliche Ort unsers Aus und Einsteigens waren noch die nehmlichen, man hatte sie nicht wahrgenommen, oder ihrer mit Willen geschont.

Wir wagten uns mit kühnem Muthe hinein, unser Anschlag mußte jetzt gerathen oder verderben. Wir erstiegen die Fenster des Krankenzimmers; zwar vermißten wir in demselben unsern Leitstern, die glimmende Lampe, aber sie konnte verloschen seyn, die Dunkelheit konnte uns vielleicht unsern Anschlag erleichtern.

Wir zerbrachen die eisernen Stäbe, wir stiegen ein, aber – welch Entsetzen! – Alles war öde, weder Kranke noch Wärterinn ließ sich finden, und die Thür nach dem Kloster war mit tausend Schlössern versperrt.

Traurig nahmen wir den Rückweg; es war offenbar, daß man darauf sann unsere Anschläge zu vereiteln! – – –

[339] Noch einen kühnen Streich wagten wir am Tage der heiligen Nikola, wo, wie mich Rudger versicherte, die Nonnen dieses Klosters mehrerer Freyheit genossen, wo es wahrscheinlich war, Ida leichter zu finden, sie sicherer davon zu bringen.

Wir lauerten fast den ganzen Tag im Verborgnen, wir sahen viele Truppe Nonnen, die uns wenig interessirten, aber spät am Abende erblickten wir eine einsam Wandelnde, deren schlanke Gestalt uns bewegte, ihr den Namen Ida zu geben. Wit eilten auf sie zu, und brachten sie davon, ohne daß sie sich weigerte oder ein Geschrey machte; schon hatten mir sie auf der Hälfte der Leiter, als ihr zum Glück der Schleyer entfiel, und uns ein Gesicht zeigte, welches so ganz von Idas blendenden Reizen, die mir Rudger beschrieben hatte, entblößt war, daß nicht viel fehlte, wir selbst hätten uns durch ein schreckenvolles Geschrey verrathen.

Wir liessen unsern Raub fahren, fluchten unserm Schicksal, und entfernten uns mit Eil, aber nicht um unsere Anschläge aufzugeben, sondern sie immer kühner und verzweifelter auszudenken. Das Glück führte mir zur selbigen Zeit einen Menschen zu, der mir meine Unternehmungen merklich erleichtern konnte, meinen alten treuen Walter, der jetzt seiner geheimen Verbindungen entnommen, sich öffentlich meinen Diener nennen, [340] mir rathen und dienen konnte, wie er wollte. Er kannte Ida, wünschte sie gerettet zu sehen, und war er gleich nicht geschickt Anschläge zu ersinnen, nannte er gleich die meinigen oftmals tollkühn, so war er doch immer bereit meinen Planen fortzuhelfen.

Es würde zu weitläuftig seyn, sie euch alle zu nennen, nur des letzten will ich gedenken, weil ich besorge, er diente dazu das Schicksal der Gräfinn zu verschlimmern, und ihm diejenige Wendung zu geben, welche jetzt fast ihre Rettung unmöglich macht.

Konrad! schrie Herrmann bey diesen Worten, indem er seinen Freund wüthend bey der Brust faßte und ihn fürchterlich schüttelte, bist du rasend? du willst mir dienen und machst mich durch deine Unvorsichtigkeit nur noch elender? Sprich, wo ist Ida, und laß uns keinen Augenblick säumen, ihr zu Hülfe zu eilen!

Es kostete Konraden Mühe seinen aufgebrachten Freund zu besänftigen, und ihn endlich dahin zu bringen, das Ende seiner Geschichte vollends zu hören.

Um dir die Sache kurz zu melden, fieng Konrad von neuem an; ich kam auf den Einfall, das Kloster in Brand zu stecken, und deine Ida auf diese Art davon zu bringen!

[341] Rasend! Rasend! schrie Herrmann mit zusammengeschlagenen Händen.

Rudger und Walter, meine Gefährten, fuhr jener fort, hatten mehr Ueberlegung als ich, der Anschlag ward gemildert, geändert, umgeschmolzen, und endlich beschlossen wir, in einem Hofe des Klosters, in welchen wir durch den Kirchhof kommen konnten, von Stroh und Stoppeln ein leichtes bald zu löschendes Feuer anzuzünden, welches unter den Nonnen allen Auflauf anrichten konnte, den wirkliche Gefahr nach sich zieht, ohne darum schlimme Folgen zu haben.

Wir führten aus, was wir uns vorgenommen hatten. Die Flamme loderte fürchterlich himmel an. Rudger rief mit dumpfer Stimme Feuer, alle Nonnen wurden wach, alle Zellen öfneten sich, es gelang uns im Gedränge abermals eine von den Jungfern davon zu bringen, die wir in der Dämmerung für Ida hielten. Walter löschte indessen das Feuer, und schlich uns durch unsern gewöhnlichen Ausweg nach; wir entschleyerten unsere ohnmächtige Nonne, sahen uns zum zweytenmal getäuscht, ließen unsern Raub an der Kirchhofmauer liegen und entflohen.

Dieser Streich war zu kühn, er mußte Folgen nach sich ziehen. Klosterfrauen durch angelegtes Feuer zu schrecken, eine aus ihrem Mittel entführen, und sie dann verächtlich liegen lassen, das [342] waren der Beleidigungen zu viel. Die ganze Gegend ertönte vom Geschrey wider die Kirchenräuber. Der Pöbel würde uns zerrissen haben, wenn man Verdacht auf uns hätte fassen können. Alle fernere Versuche wurden vereitelt; das Kloster ward mit Gewaffneten besetzt, und das Gerücht breitete sich aus; die Nonnen zu Sankt Annen wüßten wohl, auf welche aus ihrem Mittel alle diese Anschläge gingen, und sie wollten die Unglücksstifterinn aus ihren Mauren stoßen, und in ein Kloster liefern, welches unbekannt und weit entfernt genug seyn sollte, um ihre Entführung unmöglich zu machen.

Ists möglich, dir die Verzweiflung zu schildern, die mich bey diesen Aussichten befiel? Sie war derjenigen nicht ungleich, die ich jetzt in deinen Augen lese!

Herrmann war außer sich, er vermochte wirklich kein Wort hervorzubringen, und Konrad konnte seine Geschichte ungestört endigen.

Zum Glück, fuhr er fort, kundschaftete Rudger aus, daß Herzog Albrecht von Oesterreich sich in dem benachbarten Kloster zu Sankt Nikola befände, wohin er seine Braut geführt habe. Ich kannte Albrechten aus deiner Geschichte als deinen und Idas thätigen Freund. Ich eilte zu ihm, erzählte ihm alles und forderte ihn zu Rath und Hülfe auf!

[343] Er hatte schon mächtige aber bis jetzt noch vergebliche Schritte zu Idas Hülfe gethan. Meine Erzählung machte ihn noch aufmersamer, machte die Gefahr dringender in seinen Augen, und er traf eilig Anstalt, so wohl Idas wahren Zustand auszuforschen, als schleunige Verfügungen zu ihrem Besten zu treffen. Es war gewiß, daß Ida doch nicht aus Sankt Annen hinweg geschaft war, und Herzog Albrecht schickte mich mit einem nachdrücklichem Brief an den Erzbischof, von welchem er behauptete, er müsse durchdringen, wenn nicht Subinko alles, was ihm lieb sey, in die Schanze schlagen wollte. – Diesen Brief zu überbringen, ward ich hierher gesandt, wie konnte man einen treuern und eiligern Boten finden als mich!

Und sage! sage was richtetest du aus? unterbrach ihn Herrmann mit einem Tone, der die Verzweiflung ausdrückte, in welcher er sich befand.

Die Antwort, die ich erhielt, war sehr sonderbar, erwiederte Konrad mit Achselzucken, der künftige Morgen wird erklären, was wir davon zu denken haben. – Ich fand in dem Erzbischöflichen Pallast alles voll Bestürzung: nur der Name des Herzogs von Oestreich verschaffte meinem Briefe Aufnahme. Man versicherte, der Erzbischof sey sehr krank, befinde sich nicht in dem Zustande, Briefe zu lesen oder zu beantworten. – [344] Ich wich nicht von der Stelle. – Endlich erschien der Großalmosenier des heiligen Mannes, und versicherte, der Erzbischof befände sich in der That sehr schlecht, aber demohngeachtet sollte ich morgen mit dem frühsten Antwort auf das Begehren des Herzogs haben. – Ich mußte denn den Pallast verlassen, um zu dir zu eilen. Man versicherte mich beym Weggehen im Vertrauen, der Erzbischof liege in den letzten Zügen, werde den Morgen nicht erleben, und ich kann nicht glauben, daß durch diesen Umstand unsere Sache verbessert werde. – Und warum nicht? schrie Herrmann. Ist Idas Verfolger tod, wer will ihre Rettung hindern?

Kennst du Subinkos Nachfolger? – Die Neulinge pflegen die Rechte der Kirche mit mehrerer Hartnäckigkeit zu verfechten, als die Ausgedienten! –

Aber wir werden dann keine Privatabsichten auf Ida zu bestreiten haben! – und sollte, wie man immer vermuthete, der geitzige Albikus, Subinkos Stelle ersetzen, er, dem alles käuflich ist! – O Konrad, ich hoffe, ich hoffe! Sieh'! du wolltest mich tödten mit deiner Nachricht, und Leben und Freude hast du mir durch sie ins Herz gegossen!

So brachten die beiden Freunde eine schlaflose Nacht voll Zweifel, Hoffnungen und Entwürfe [345] zu; sie bauten das Letztere auf einen Erfolg, auf den sonst kein Gutdenkender sein Glück zu bauen pflegt. – Doch der Tod des Erzbischofs war ein Glück für manche Bedrängte, und Idas Freunde waren zu entschuldigen. – Auch fügte das Schicksal ihren Wünschen.

Der Morgen brachte die Post von Subinkos Absterben, und das Gerücht von Albinkus wahrscheinlicher Erhöhung! – Der neue Erzbischof lebte zu Prag, Herrmanns Entschluß war gefaßt. – Eile, sagte er zu Konrad, eile nach dem Orte, der meine Ida einschließt, wache, daß sie mir nicht gänzlich entrückt, vielleicht an Orte geführt werde, wo ich sie in Jahren nicht zu finden wüßte. Ich fliege nach Prag, zu dem, welchem alles käuflich ist, von ihm Idas Befreyung mit allem was er fordert, mit meinem gegenwärtigen Vermögen und künftigen Hoffnungen zu erhandeln. Der Graf von Würtemberg ist, wie ich höre, an König Wenzels Hofe angelangt, er wird, er muß meinen Wünschen an die Seite treten. – Und erlange ich, was ich suche, dann auf Flügeln des Sturmwinds hin zu ihr! Ihren Vater, Herzog Albrechten, dich, alle alle die mir und ihr lieb sind, fordere ich auf, sie im Triumph aus ihrem Kerker zu führen! – Herrmann war außer sich, seine Entschlüsse waren Feuer und Flamme, die Ausführung das nehmliche!

[346]
34. Kapitel. Fast war es zu spät
Vier und dreyßigstes Kapitel.
Fast war es zu spät.

Die Freunde der Gräfinn von Würtemberg hatten Ursach wegen ihrem Schicksal besorgt zu seyn; ihre Lage war, seit wir uns von ihr trennten, mit jedem Tage bedenklicher geworden.

Meine Leser wissen aus Konrads Erzählung, daß die tausend verunglückten Anschläge zu ihrer Entführung nicht wie sie wähnte von dem Erzbischofe, sondern von dem treuen Freunde ihres Herrmanns herrührten, der denen zu gefallen, welchen er dienen wollte, alles – selbst Klugheit und Vorsichtigkeit in die Schanze schlug.

Konrads Versuche hätten glücken müssen, wenn er weniger hastig zu Werke gegangen wär, und wenn nicht diejenige, welche sie am meisten hätte begünstigen sollen, sie geflissentlich vereitelt hätte; aber Ida wußte nicht, welche Hand sie aus dem Kerker zu reißen strebte, auch zweifeln wir billig, ob, hätte sie es gewußt, nicht ihre Grundsätze ihr dennoch diese Art der Befreyung verhaßt gemacht haben würden. Hinterlistige Flucht aus einem Kloster, Flucht an der Seite eines Mannes, war einmahl in jenen Zeiten ein Schritt, vor welchem die weibliche Delikatesse [347] zurückschauerte, ein Schritt, der ein Fräulein auf Lebenszeit mit Schande brandmarken konnte.

Ida hoffte und erwartete ihre Befreiung auf dem geraden Wege, durch sorgfältige Verwendung ihrer Freunde. Sie wußte nicht, wie kalt oft bloße altägliche Freundschaft in Ansehung verwickelter Anschläge ist. Die Fürstinn Gara und die Prinzessinn Elisabeth waren neue Freundinnen der Gräfinn von Würtemberg, waren zu glücklich in Mariens Besitz zu beschäftigt ihre hingesunkenen Kräfte durch mühsame Pflege zu erhöhen, als daß sie an die Geberinn ihrer Freuden, an Ida anders, als an eine Nebensache hätten denken sollen. Sie trösteten einander mit der Hoffnung, es würde sich auch schon mit ihrem Schicksal zum Besten fügen, und ersparten sich dadurch die Mühe zu handeln.

Die schwache Königinn nannte den Namen ihrer Retterinn unaufhörlich, aber man wußte sie durch Hoffnungen zu befriedigen, deren Ungrund sie nicht untersuchen konnte.

Herzog Albrecht, Idas warmer Verehrer, that mehr als die andern alle, aber er mußte seine Sorgfalt für das Schicksal seiner Freundinn einschränken, wenn er nicht wollte, daß kaum ausgerottete Eifersucht von neuem Wurzel schlagen sollte.

[348] Konrad, der unvorsichtige Konrad, war es also allein, der das Beste der Bedrängten mit Eifer betrieb, und wie es ihm glückte, das haben wir gesehen.

Der letzte Streich, den er wagte, hatte gewaltigen Aufruhr im Kloster gemacht. Die ganze Schwesterschaft vereinigte sich wider die unschuldige Ursacherinn dieser Dinge zu schreien. Täglich neue Schrecknisse! versuchte Entführungen! Einbruch in die Zellen! angelegtes Feuer! was für Dinge! Sollten wir alle das Opfer einer einigen werden? – Hinweg mit ihr aus unserm Heiligthum! Man schicke sie in eine entfernte Gegend, wo niemand sie finden, wo sie bis an ihr Ende für das Herzleid, das Unschuldigen um ihret willen zugefügt wurde, büssen kann: dies war die gemeinschaftliche Stimme der heiligen Schwestern zu Sankt Annen.

Die Aebtissinn, von Idas fehlerloser Aufführung, von ihrer eingebildeten Neigung zu einem Stande, den sie anfangs verabscheute, eingenommen, war ihr nicht ungewogen, hätte sie gern geschützt. – Aber eben ihre aufkeimende Liebe für die Unglückliche machte diese zu einem doppelten Gegenstande des Neides für die Nonnen. Sie mußte hinweggeschaft werden, um allen Nachtheil, den man von ihr besorgte, zu verhüten!

[349] Ida war genöthigt sich auf ihrer Zelle eingezogen zu halten, so gar der Besuch des Chors war ihr versagt; man wußte nach und nach die Oberinn mit Verdacht einzunehmen: ob sie auch so ganz unschuldig an den Begebenheiten sey, welche man bisher ihret wegen erfahren hätte; ob nicht vielleicht ihr Abscheu vor der Entführung verstellt sey; ob man nicht bey ihr ein geheimes Verständniß mit den Feinden besorgen müsse, welches über lang oder kurz zum Verderben des Klosters ausschlagen könne?

Beschuldigungen dieser Art waren unwahrscheinlich, waren geradezu unvernünftig, doch wurden sie gehört, und zogen endlich das nach sich, was man in Klöstern ein Hauptverhör nennt. –

Ida ward vorgefordert, man legte ihr tausend Fragen vor; sie beantwortete sie alle zu Ehren ihrer Unschuld, und zu Beschämung ihrer Feindinnen. Nur eine konnte sie nicht so beantworten, wie es in dieser Lage ihr Vortheil verlangte, und dieser eine Punkt stürzte sie.

Wie hätte Ida, auf Befragung, ob sie ihren Beruf für rechtmäßig hielt, ob sie gern den Schleyer ergriff, das Kloster zu Sankt Annen den Herrlichkeiten der ganzen Welt vorzöge, wie hätte sie mit Ja antworten können? würde wohl eine einige ihrer Richterinnen es gekonnt haben? Ida gestand aufrichtig: ihr wären nur die Mittel, [350] welche man zu ihrer Befreyung gebraucht, nur der Ort, wo man sie wahrscheinlich habe hinbringen wollen, widerlich gewesen; sonst würde sie mit Freuden in die Welt zurückkehren, und die Verbindungen mit ihren liebsten Freunden erneuern. Sie erkläre hiermit feyerlich, daß sie nur aus Nothwendigkeit das Gelübde ablegen werde, und in sich nicht den mindesten Beruf zum Klosterleben fühle.

Man faltete die Hände vor Entsetzen, und aus aller Munde ertönte der Name Heuchlerinn! Man warf ihr vor, sie habe vor kurzem anders gesprochen, habe wenigstens durch Stillschweigen zu verstehen gegeben, daß sie gern zu Sankt Annen verbleibe. – Ida zuckte die Achseln und schwieg. Freylich um Mariens willen, um diese zu unterstützen, diese zu retten hatte sie eine Zeitlang gern in diesem Kerker gelebt, aber wie durfte sie dieses bekennen, ohne das Geheimnis der guten Königinn kund zu machen? und was würde ihr ein solches Bekenntniß geholfen haben? –

Ihr schweigt? sagte die Domina. – Hier liegen Dinge verborgen, die wir nicht ergründen können!

Und, sagte eine von den Schwestern, was mag sie mit dem Orte meynen, an welchen sie fürchtete, bey ihrer Entfliehung gebracht zu werden? – Sie weis, sie vermuthet ihn? – ist [351] nicht schon hieraus ein geheimes Verständniß mit der Welt erwiesen? –

Man setzte der bedrängten Gräfinn sehr ernstlich zu sich über diesen Punkt zu erklären, und Ida – war endlich genöthigt, den Namen des Erzbischofs zu nennen, und einige Winke von seinen ehemaligen gegen sie geäußerten Absichten zu geben. –

Durch dieses Bekänntniß war ihr Urtheil gesprochen. Man nannte sie eine boshafte lügnerische Verläumderinn, welche nicht werth sey länger über der Erde geduldet zu werden, und der man deswegen die Wohnung anweisen müsse, welche Verbrecherinnen ihrer Art zukäme. – Die Aebtissinn schien besonders durch die Beschuldigung des Erzbischofs beleidigt zu seyn; sie behauptete, es sey schlechterdings unmöglich, daß ein so alter, ernster, heiliger Mann, durch die irdischen Reitze eines solchen Kindes sollte gerührt worden seyn; sie wandte der Gräfinn voll Unwillen den Rücken, und befahl sie hinweg zu führen. Alle ihre bisherige Reigung für Ida war verschwunden, und die Bitten ihrer wenigen Freundinnen wurden nicht gehört.

Man brachte sie in eins von jenen unterirdischen Gefängnissen, von denen man noch heut zu Tage in Klöstern genugsame Spuren findet, welche [352] aber zu jenen Zeiten wahrscheinlich noch fürchterlicher waren als man sie sich jetzt aus diesen Ueberbleibseln denken kann. Ihre Führerinnen waren die beyden Nonnen, die in den letztvergangenen Tagen beynahe das Schicksal gehabt hatten, an Idas Statt entführt zu werden, und die sich bey ihrer Verurtheilung besonders geschäftig erwiesen hatten. – Sie hatten Ursach auf Rache zu denken. – Welch ein Schimpf für ein paar geistliche Jungfern, den heiligen Mauern ihres Klosters mehr als halb entrückt zu werden und – dann sich verächtlich wieder zurück geschickt zu sehen!

Idas Gefangenschaft ward durch nichts unterbrochen, als durch ein nochmaliches Verhör – Erzbischof Subinko, vielleicht in Ahndung seines baldigen Todes, hatte das Kloster in diesen Tagen besucht, hatte mit der jungen Novize, von deren gegenwärtigen Zustande man ihm nichts wissen ließ, eine Privatunterredung gefordert, und die Aebtissinn, welche viel Gewalt über ihn zu haben schien, hatte es für gut gehalten, ihm dieselbe abzuschlagen, und Ida in seiner Gegenwart, vor die ganze Versammlung zu fordern.

Man nöthigte Ida, in seiner Gegenwart das zu wiederholen, wovon sie schon zuvor einige Winke gegeben hatte; sie that es mit Muth und Bescheidenheit, indem sie zugleich versicherte, daß sie in Ansehung der Entführung auf bloße Muthmassung baue.

Der heilige Mann ereiferte sich gewaltig, er bewies seine Unschuld wenigstens in Ansehung des letzten, und die Verläumderinn Ida ward entlassen.

[353] Auch die andern Nonnen mußten sich entfernen, und der Erzbischof und die Aebtissinn blieben allein. Man weiß nicht, was zwischen diesen beyden vorgefallen ist, aber so viel ist gewiß, daß der heilige Mann das Kloster schnell und in der äussersten Gemüthsbewegung verließ. Alte verjährte Rechte machten es der Aebtissinn vielleicht erlaubt, mit ihm über gewisse Dinge aus einem beleidigenden Tone zu sprechen, der nachtheilige Folgen für die Gesundheit des Greises haben mußte.

Er war insgeheim von Presburg hinweg gereist, eben so geheim kam er zurück. Das Gerücht von seiner Krankheit bereitete sich aus, bald darauf die Nachricht von seinem Tode, – und mit dieser nahm Hoffnung zu Idas Befreyung in dem Herzen ihrer Freunde Platz.

Idas Schicksal ward indessen immer fürchterlicher, die Aebtissinn schien sie tödtlich zu hassen. Ihre Kerkermeisterinnen liessen zuweilen Worte fallen, welche sie mit Todesahndung erfüllen mußten, man sprach von Eröffnung gewisser Gemäuer in dem untersten Keller des Klostergebäudes, Ida hatte oft von der Bestimmung dieser abscheulichen Grüfte gehört, sie wußte, daß sie seit zwanzig Jahren nicht gebraucht worden waren, und sie konnte muthmaßen, daß sie nunmehr die erste Unglückliche seyn würde, die daselbst verschmachten sollte.

Ihr Zustand gränzte nahe an Verzweiflung, war zuweilen völlige Sinnlosigkeit. – Ach! seufzte sie in ihren hellern Augenblicken; von allen verlassen? – Herrmann? Albrecht? Marie? mein Vater? keine keine Hülfe?

Der Tag des Schreckens war angebrochen, kein weiteres Verhör! sie erwartete ihr Urtheil![354] – Die Thüren des Kerkers öffneten sich! – Die Aebtissinn in eigner Person stürzte herein! und Ida ward ohnmächtig bey ihrem Anblick!

Ich muß sie selbst sehen! schrie die Domina – Gott, so ein Zufall! – Wo ist sie! – Wie? auf der Erde ohne alle Empfindung ausgestreckt? – Wohl gar tod? –

Gott sey uns gnädig! nur das, nur das nicht! – Man fasse sie eilig und bringe sie in eins der obern Zimmer!

Heilige Mutter! rief eine von ihren Begleiterinnen! Gönnt ihr die Ruhe! – Sollte sie tod seyn! – ihr wißt, die Todten sprechen nicht! –

Ja, aber diese fürchterliche Gestalt! Dieser ausgezehrte Körper! – Alles, alles wird wider uns zeugen! – Laßt sehen! – Ja, sie lebt noch, es ist noch Athem in ihr! – Eilig hinauf! und alles herbey geschaft, was das Kloster an Erquickungen aufbringen kann!

Ida erholte sich nach einer Stunde; sie erstaunte, sich an einem hellen und reinlichen Orte zu sehen; sie glaubte, es sey ein Traum! Sie strebte sich von dem weichen Lager, auf welchem sie sich befand, aufzurichten: es war das eigene Bette der Aebtissinn, auf welches man sie gebracht hatte. –

Ruhig! ruhig! meine Theure! rief die Domina, welche neben ihr saß und ängstlich nach ihrem Puls fühlte, mit sanfter Stimme.

Wo bin ich? rief Ida!

Unter lauter Freunden; – Eure Prüfungen sind geendigt! Nur prüfen, nicht strafen wollten wir euch! Ihr wißt, wie sehr wir euch lieben.

[355] Ida wandte sich unwillig auf die Seite.

Sie bedarf der Ruhe, sagte die Aebtissinn zu einer anwesenden Klosterfrau, ich verlasse sie, um Anstalten zu machen. Lasset es ihr an nichts fehlen, und ruft mich, wenn sie erwacht ist.

Ida bedurfte der Ruhe, aber nicht des Schlafs, die Dinge, welche sie umgaben, waren zu ausserordentlich, um ihr denselben zu gönnen. Sie war zu schwach zu fragen; sie drückte der um sie beschäftigten Nonne die Hand, und verweilte mit mattem Blicke auf den bethränten Wangen ihrer Wärterinn; es war eine von Idas Freundinnen, eine von denen, welche durch ihre liebreiche Sorgfalt dem Tode entrissen wurden.

Was ist dies? fragte Ida nach einer Weile, welche Aenderung! –

Still! Still! winkte die Nonne, und schlich nach der Thür um zu sehen, ob ein Horcher vorhanden sey.

Wir erwarten, sagte sie beym Zurückkehren, morgen unsern neuen Erzbischof in unsern Mauren, er kommt in Begleitung des Grafen von Würtemberg, Herzog Albrechts, und des Grafen von Unna, eine unschuldig Leidende zu befreyen.

Ida wußte nichts von dem Tode des alten Erzbischofs, und konnte also die Erscheinung des neuen nicht begreifen. Ihren Vater wußte sie weit entfernt, und den Grafen von Unna kannte sie gar nicht; sie wußte nicht, daß ihr geliebter Herrmann hiermit gemeynt sey. – Sie hielt die Sage der Nonne für Traum, und schloß die Augen um weiter zu träumen.

Sie öffnete sie von neuem, und wandte sich [356] mit einer zweyten Frage an die Nonne, diese schwieg, und deutete auf auf die Thüre. Bald darauf trat die Domina herein.

Habt ihr geschlafen, mein Kind? fragte sie.

Sie ist so eben erwacht, sagte die Nonne.

Schlafet, schlafet! meine Theure! fuhr die Aebtissinn fort, diese bleichen Wangen müssen morgen blühen, diese matten Augen mit dem vorigen Feuer glänzen. Ihr wißt nicht, wen ihr morgen sehen werdet. – Einen Vater, einen Freund, – einen – einen – wie soll ich sagen? –

Die heiligen Lippen der Aebtissinn vermochten das Wort, Bräutigam, das ihr auf der Zunge schwebte, nicht auszusprechen, – auch hatte Ida genug gehört, um mit Entzücken erfüllt zu werden!

Also ists dennoch dennoch wahr? rief sie mit zusammengeschlagenen Händen.

Was denn, mein Kind? – hat man euch schon gesagt? –

Nein! aber mir träumte so etwas. –

Die Aebtissinn meynte, der Himmel pflegte seinen Heiligen mancherley im Traum zu offenbaren. – Auch sie habe einst geträumt, Ida müsse geprüft werden, scharf geprüft werden, um dereinst glücklich zu seyn. –

Um dieses Traums, und um der langen Predigten willen, welche ihr diesen Tag über von der Versöhnlichkeit, von der Verschweigung der Klostergeheimnisse und dem dankbaren Genuß des Glücks gehalten wurden, mußte sich Ida endlich zu dem Versprechen bequemen, gegen ihre ankommenden Freunde nichts von der Art der Leiden zu gedenken, die sie betroffen hatten, auf keine Rache zu sinnen und fleißig zu erwegen, das alles nur Prüfung, [357] nicht Strafe, nur Wirkung der Liebe, nicht des Hasses gewesen sey.

Diese abgezehrte Gestalt, diese Todtenmattigkeit, die der Domina im Grunde so viel Sorge machte, konnten, wie sie Ida versicherte, eben so wohl einer überstandenen Krankheit, als andern Dingen beygemessen werden. – Gern hätte sie alle ausgestandenen Leiden selbst ihr aus dem Sinne geschwatzt, sie ihr für Phantasien eines hitzigen Fiebers angerechnet! –

Lieber Leser, unsere Urkunden beginnen hier am Ende unserer Laufbahn mangelhaft zu werden, wir müssen unsere Zuflucht zur Lebhaftigkeit deiner Einbildungskraft nehmen ihre Lücken zu ersetzen.

Der frohe Tag, der Tag des Wiedersehens brach an! Man hatte der schwachen Ida so unabläßig von ihrem Glück vorgeredet, daß ihr die Idee davon anfing geläufig zu werden. Die kostbarsten Stärkungen, mit welchen man Sorge getragen hatte sie zu erquicken, gaben ihr wenigstens so viel Kraft, daß sie ausser dem Bette seyn, und sich den Kommenden entgegen leiten lassen konnte. Sie sank in die Arme ihres Vaters, ihres Herrmanns, eine schöne hinwelkende Rose, die der Morgenthau zu erfrischen beginnt. Welche Ausrufungen, welche Fragen! welch ein Gewirr von tausenderley auf mannichfaltige Art geäusserten Gefühlen! – Herrmann und Ida waren meistens sprachlos, die Freude des Grafen von Würtemberg hatte mehrere Worte. Herzog Albrecht wandte sich auf die Seite eine Thräne zu verbergen. Und Erzbischof Albikus schien so wohl mit dem Kaufpreis zufrieden zu seyn den er für Idas Befreyung erhalten hatte, daß er sich erbot, sie noch heute zur [358] Gräfinn von Unna zu machen, ein Vorschlag, welchem sich die Aebtissinn mit allen Kräften widersetzte. Wie hätte ein solches in den heiligen Klostermauern gestattet werden sollen? zu geschweigen, daß Ida, der Kleidung nach, noch eine Nonne war.

Der nächste Tag brachte die Gräfinn von Würtemberg in Mariens, Elisabeths und Rosas Arme, auch Münster war nicht fern, und der hülfreiche Konrad! – O Uebermaaß von Freude, wer vermag dich zu schildern!

Ida ward Herrmanns Gemahlinn, er stellte sie seinem ehrwürdigen Oheim dem Grafen von Unna vor, machte sie mit seinen Geschwistern, mit Aleken, Agnesen und Petronellen bekannt, auch Ulrich ward ihr Freund, auch der Ritter Johann erschien Theil an dem Glück seines Bruders zu nehmen, und es gelang Herrmannen den alten Grafen von Unna zu seinem Freunde zu machen! – Doch, mein Leser, wie soll ich dir einen Auszug von den abgerissenen Dokumenten liefern, welche von diesen und vielen folgenden Dingen handeln.

Nur zweye davon zeichnen sich dadurch vor den andern aus, daß sie von dem nagenden Zahn der Zeit ziemlich verschont worden sind, und das ganz liefern, was sie melden sollen. Das eine ist ein Brief der Münsterinn an ihren Mann, vom Jahr 1419, in welchem sie ihm die Niederkunft der jungen Gräfinn von Unna mit einem jungen Herrlein berichtet. Ida befand sich damals an dem Hofe ihrer Freundinn der Königinn Sophie; ach es war das letzte Jahr, in welchem Sophie die Krone trug! Wenzels Tod machte sie zur Wittwe und ließ sie die Ruhe, welche sie in so [359] langen Jahren auf dem Throne nicht schmeckte, endlich im Kloster finden.

Das andere Blatt, dessen wir gedenken müssen, ist eine Einladung Herrmanns Grafen von Unna, an Aleken von Senden, und ihren Gemahl Ulrich, gen Regenspurg zu kommen und bey seinem zweyten Sohn Pathenstelle zu vertreten. – Es scheint also, daß das Schicksal Berndten und Katarinen nöthigte vom Schauplatz abzutreten, damit ein paar der edelsten vom Schicksal getrennten Seelen, glücklich werden sollten.

Noch einige dunkle Spuren zeigen sich, daß Herrmann auf Zureden seines Schwiegervaters und Oheims, den Entschluß faßte, ein Mitglied jener Gesellschaft der im Verborgenen Richtenden zu werden, die sein vergangenes Leben mit so viel Schrecknissen erfüllt hatten; ein Wink, der uns nicht unwahrscheinlich dünkt. Wer in jenen Zeiten seines Lebens sicher seyn wollte, strebte immer darnach, sich oder einen seiner Freunde an die große Kette anzuschließen, welche alles umfaßte und allen unsichtbar war.

Herrmann ward ein nachdrücklicher Vertheidiger seines Freundes Konrad, den die Ehre des nunmehrigen Kaisers, Siegmunds, Diener zu seyn nicht vor seinen Verfolgern schützen konnte! Er brachte ihn an Herzog Albrechts von Oesterreichs Hof, der mit seiner Gemahlinn Elisabeth sich gern von Siegmunds und der gehaßten Barbara Anblick entfernte, um den Umgang der von allen tod geglaubten Marie im Stillen zu geniessen.

Da alles, was wir hiervon finden, nur dunkel und unzusammenhängend ist, so können wir nur wenig davon sagen, und – unsere Geschichte erreicht ihr Ende.

Fußnoten

1 Eine Art damaliger Münze.

2 Wenzel hatte sich, wie bekannt, erkühnt, eigenmächtig Beisitzer und Richter des heimlichen Gerichts zu schaffen, welche von den Aechten nicht anerkannt wurden, dieses dient vielleicht zu Erklärung dieser That.

3 Ueberhaupt liegt diese ganze Reise in tiefes Dunkel gehüllt, und wir haben in der wahren Geschichte nur wenig Spuren von ihr oder ihrer Veranlassung entdecken können.

4 Nach andern Johann von Langen.

5 Die gewöhnlichen Worte, an welchen die heimlich Verbundenen des Vehmgerichts sich erkennen, waren: Steil, Stein, Gras, Grein, doch wollen einige behaupten, daß bey verschiedenen Gelegenheiten auch andere Losungen gewählt wurden.

6 Herzog Friedrich entfernte sich, wie die Geschichte sagt, allein ins Gebüsch, so weit ein Mann mit einem Bogen schießen mag. Kurd, sein Leibknappe, fand sein Ausbleiben zu lang, und folgte ihm, fand ihn ermordet, und sahe die Mörder noch entfliehen, deren einen, den Hertingshausen, er noch ereilte.

7 Im maynzischen nicht wie am Ende des ersten Theils durch einen Druckfehler steht, im köllnischen.

8 Siegmunds Gemahlinn Barbara, welche ein Druckfehler im ersten Theile zu frühzeitig zur Kaiserinn gemacht hat, ward dieses erst lange nachher, und hieß jetzt nur erst Königinn von Ungarn.

9 Man erinnere sich, daß Kunzmann Herrmanns Schwerd in das Gebüsch schleuderte, wo Friedrich gefallen war.

10 Fürsten und Edle suchten in jenen Zeiten entweder selbst Beysitzer des heimlichen Gerichts zu werden, oder ihre Diener zu Freyschöppen machen zu können, es war dieses das einige Mittel in jener fürchterlichen Epoche, einer Art von Sicherheit zu genüßen.

11 Alle Mitglieder des Vehmgerichts oder die Wissenden, wie sie sich nannten, waren einander, und wenn sie sich auch nie zuvor gesehen hatten, auf eine Art kenntlich, welche uns ein Geheimnis ist, so wie ihre ganze Verfassung. Ein Verfehmter, das ist, einer, der auf viermalige Ladung nicht erschien, oder über welchem beschlossen war, er solle ungewarnt sterben, war gleichsam vor allen Freyschöppen vogelfrey erklärt; welcher von ihnen ihn fand, der mußte ihn tödten, ein jeder war verbunden, ihm nachzuforschen, und konnte er ihn nicht allein treffen, oder er war sonst zu schwach, ihn zu überwältigen, so war jeder seiner Mitbrüder, den er um Hülfe rief, durch die fürchterlichsten Eide gebunden, ihm beyzustehen.

12 Die Geheimhaltung dieser Dinge ging, wie Möser sagt, so weit, daß nicht allein die geringste Warnung des Verfehmten todeswürdiges Verbrechen war, sondern das selbst der Kaiser nichts von dem erfuhr, was im heimlichen Gericht vorging. Er durfte nicht fragen: wer ist in den heimlichen Acht? Auf die Frage, ist der oder jener darin, erhielt er allenfalls ja oder nein zur Antwort.

13 Auch die Mathäus und Mathias Kirche führte den Namen Bethlehem; von einem Kloster dieses Namens findet man nur wenig Spuren.

14 O rief er, o der schönen Gans, die mir so viel güldene Eier legt!

15 Man verzeihe den frommen Seelen jener Zeit ihre Irrthümer. Man wußte damals noch keine Ausflüchte wider die Bündigkeit der Eide!

16 Eins von Hussens Hauptverbrechen war, die Freiheit, mit welcher er, wohl sogar auf der Kanzel, von den Ausschweifungen des Clerus zu sprechen pflegte.

17 Die Freyschöppen verfolgten den Durchächteten so lang, bis sie ihn einsam trafen, oder ihre Zahl hinlänglich war, sein und seiner Helfer mächtig zu werden, in dem eigentlichen Mutterlande dieser Grausamkeiten, auf der rothen Erde, wie Westphalen sinnbildlich von ihnen genannt wurde, war ihre Gewalt am größten, niemand konnte ihr entgehen.

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TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Romane. Herrmann von Unna. Herrmann von Unna. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5E8C-2