Die Legende von St. Julian

In einigen Gegenden Deutschlands, besonders in denjenigen, welche sich an Galliens Gränzen hinziehen, pflegt man verirrten Reisenden das Gebet St. Julians zu empfehlen; eine Gewohnheit, deren Ursprung wir in der alten Sage zu finden gemeint haben, deren Erzählung wir jetzt beginnen. –

Verfolgung oder andere Unfälle trieben zu Kaiser Sigmunds Zeiten einen edlen Ritter aus Frankreich in den Schoos des deutschen Reichs; bald glaubte er sich an der Gränze seines Geburtslandes nicht mehr sicher, er drang tiefer vorwärts in die Gegenden, die ihn schützen sollten, veränderte seinen Wohnort und veränderte ihn wieder, bis er endlich festen Fuß faßte in der Grafschaft Mannsfeld, unweit Eisleben auf einem Schlosse Ekkardsberg genannt. Er baute und besserte es nach seiner Weise, und änderte viel und mancherlei an demselben, nur seinen Namen nicht, der ihm so wohl gefiel, [67] daß er ihn zu seinem Geschlechtsnamen erwählte, daher alle seine Abkömmlinge die Edlen von Eckardsberg genannt werden, bis auf diesen Tag.

Herr Gangolf von Eckardsberg, der Anherr dieses alten Hauses, war in Folge vielfachen Unglückes, durch Dulden und Leiden, Verleugnen und Meiden zum lebendigen Heiligen geworden, und begann auf seiner neuen Residenz ein Leben, das man exemplarisch nennen konnte. Nach ihm bildete sich sein ganzer Hofstaat, sowohl derjenige Theil desselben, den er mit aus Gallien herüber gebracht, als auch der, den er in Deutschland in seine Dienste gezogen hatte, und man hätte bei der ersten Uebersicht des Wandels derer von Eckardsberg glauben sollen, unter lauter Engeln zu sein; ein süßer freundlicher Wahn, der Niemanden so lange täuschte, als Herrn Gangolf selbst.

Fremde sahen oft noch wenigen Tagen ein, was er nie sehen wollte, daß es unter seiner Herde manches räudige Schaf, unter seinen Engeln manchen Teufel gab. Und ach! daß gerade diejenige, welche in seinen Armen ruhte, sie, die von ihm wenigstens der Heiligen, deren Namen sie führte, an die Seite gesetzt wurde, daß eben diese unter die Zahl der Verworfensten unter der ganzen Sündergenossenschaft gehören mußte, die der betrogne Gangolf in seinem Schlosse nährte!

Frau Cäcilie war – zur Ehre der Töchter Germaniens sei es gesagt, – nicht teutscher Abkunft; mit dem verjagten Gangolf war sie als eine verlassene Verwandte aus Gallien [68] herüber gekommen, und nun in den Zeiten der Ruhe sein Weib geworden.

Sie dankte ihm den Schutz, den er ihr ehemals gewährte, und die Theilnahme an seinem Glück, die er sie nun finden ließ, durch die zügelloseste Lebensart, und glaubte hinlänglich für seine Ruhe dadurch zu sorgen, daß sie ihre Ausschweifungen mit einem Schleier verhüllte, welcher dicht genug war, ihn zu täuschen.

Der Edle von Eckardsberg war ein bejahrter Herr, Cäcilie war jung und schön; er, wie zuvor gesagt, ein lebendiger Heiliger, sie eine Freundin der Lust und der Liebe. Geistliche Uebungen waren für ihn vollkommen genügend, die lange Weile zu verscheuchen, die auf seinem Schlosse haußte, aber die junge Dame brauchte zu ihrem Zeitvertreib etwas mehr, und daher kam es, daß hier manche Intrigue angesponnen und ausgeführt wurde, welche zu beschreiben wir nicht berufen sind.

Unter Gangolfs Edelknaben gab es zierliche, goldlockichte Cherubins, unter seinen Freunden und Nachbaren tapfere stattliche Ritter, und selbst unter seinen Beichtvätern Männer, deren Augen die Sprache der Liebe nicht verlernt hatten; alle diese sahen, daß Frau Cäcilie schön war, und sie war nicht so streng, daß sie ihnen das Geständniß ihrer Bewundrung hätte schwer machen, nicht so grausam, daß sie es hätte unbelohnt lassen sollen.

Ueberzeugt, daß der fromme Gangolf kein Arges aus ihrem Ein- und Ausgang bei seiner schönen Gemahlin haben könnte, ließen sie sich ohne Scheu vor ihm, bei Tag [69] und bei Nacht, bald in dem Vorzimmer, bald bei der Toilette, bald im Schlafgemach der Dame betreten; er fragte kaum danach, welches die Ursache ihrer Anwesenheit sei, und that er ja einmal eine so wunderliche Frage, so war es so gewiß, daß die Edelknaben durch ihren Dienst, die Beichtväter durch Andacht, und die Ritter durch irgend einen Irrthum hierher gerathen sein mußten, daß sich wider ihre Ausflüchte nichts einwenden ließ, und Herr Gangolf immer mit Allem gar wohl zufrieden blieb. – Nie, nie muß es einen gefälligern und nach seinem eignen Urtheile glücklichern Ehegatten gegeben haben, als den Edlen von Eckardsberg!

Aber unter Cäciliens Verehrern gab es einen, welcher vor allen andern den Vorrang behauptete, der sich also an obbenannten verbotenen Orten weit öfterer blicken ließ als die andern, und der endlich, in Folge einiger Winke vom eifersüchtigen Beichtvater gegeben, selbst bei St. Gangolf ein unwilliges Kopfschütteln und einigen Verdacht hervorbrachte.

»Ich sehe Nimrod von Wettin ungern so oft an eurer Seite, mein trautes Gemahl,« sagte der Herr von Eckardsberg eines Tages zu Cäcilien.

»Und warum?« fragte sie.

»Ich besorge,« erwiederte er mit aufgehobenem Finger, daß man euch zu verführen trachtet, »daß – –«

Cäcilie war längst über die Verführung hinweg, und konnte also Gangolfs Warnung mit einem Gelächter unterbrechen, welches so ziemlich natürlich herauskam. »Ritter Nimrod,« sagte sie, »hat nichts mit mir abzuthun [70] als Jagdgeschäfte; ihr seid ja zu mildherzig, das Blut der Thiere fließen zu sehen, ihr habt ihm ja selbst die Aufsicht über eure Wälder anvertraut, wie könnt ihr euch wundern, daß ich ihm Rechnung von Dingen abfodre, die so weit unter eurer Sorge sind? –« Aus diesem Gespräche, ja aus Nimrods Namen schon, den er sich selbst gewählt hatte, läßt sich schließen, daß er ein gewaltiger Jäger war, aber in welchem Grade er diesen Namen verdiente, kann gewiß keiner von meinen Lesern muthmaßen. Schon sein Aeußeres verkündigte ganz das, was er war. Seine Riesengestalt, sein nerviger Arm, von welchem gerühmt ward, daß er das stärkste Wild nicht durch Schuß, sondern lieber durch Hieb zu fällen pflegte, sein Gesicht, von den Strahlen der Sonne zur Mohrenphysiognomie umgeschaffen, seine rauhe donnernde Stimme, und die noch rauheren Sitten des wüsten Weidmanns, würden ihn für jedes andere Weib zum Gegenstand des Abscheues gemacht haben, nur für Frau Cäcilie nicht.

Seine Thaten entsprachen seiner Außenseite; er suchte seine Laster nicht zu verbergen, und doch war das, was man sich von ihm ins Ohr sagte, noch schrecklicher, als was man vor Augen sah.

In der ganzen Umgegend ging nämlich die Sage, Nimrod von Wettin sei einst am Donnerstage nach Fastnacht, wenn das wüthende Heer in dieser Landschaft vorüberzieht, mit dem Bösen in Bündniß getreten, und habe seit dieser Zeit täglich drei freie Schüsse, welche ihm das seltenste Wild lieferten, daß in allen Theilen der Welt zu [71] finden sei. Man erzählte sich hiervon noch wunderliche Dinge, und versicherte, daß einst die Frau von Eckardsberg, welche in einer vertraulichen Stunde aus Muthwillen die Sache bezweifelte, von Wettin an einem Abend mit einem frischgeschossenen afrikanischen Löwen, einem Rennthier und einem seltsamen Ungeheuer beschenkt wurde, welches Niemand zu nennen wußte, und das vermuthlich irgend einem Welttheil angehörte, welcher bis jetzt noch unendeckt ist.

An diesem Mährlein mochte nun so viel oder so wenig wahr sein als da wollte, so war doch dieses gewiß, daß Cäcilie den rauhen wilden Nimrod zärtlicher liebte, als alle ihre Buhlen, und auch weit zärtlicher als den frommen, sanften, einfältigen, truglosen Gangolf, welcher fortfuhr, an die Tugend seines Weibes zu glauben, ungeachtet jeder Tag ihm neue Proben ihrer Treulosigkeit brachte.

Eine derselben mußte indeß doch diesen starken Glauben ungewöhnlich erschüttert haben, denn es kam bei einem Spaziergange, den der Herr von Eckardsberg mit Cäcilien machte, wirklich so weit, daß er sich erkühnte, ihr ernstliche Vorstellungen zu thun. Die Dame vertheidigte sich durch Lachen, Spott, Betheurungen und Thränen, so gut, als sie vermochte, und erbot sich am Ende gar mit unglaublicher Frechheit, ihre Tugend durch Feuer- und Wasserprobe zu erhärten.

»Spottet nicht, Cäcilie,« sagte Gangolf mit ungewöhnlichem Ernste, »ich weiß, daß die Kinder dieser Welt wenig an solche Dinge glauben, und trotzt ihr vielleicht [72] darauf, daß Prüfungen dieser Art in unsern Zeiten fast ganz abgeschafft sind, so bedenkt, daß Gott auch noch heut zu Tage Wunder thut; das, was ihr nun sehen werdet, ist nicht das erste, welches durch mein Gebet bewirkt wurde. Getraut ihr euch, euern Finger in diese sprudelnde Quelle zu tauchen und ihn, im Vertrauen auf eure Tugend, unverzehrt heraus zu ziehen?«

Cäcilie kannte die frommen Grillen ihres Mannes, und hätte gern, um der Probe, die man ihr zumuthete, und die sie sehr leicht auszuhalten dachte, ein ernsthaftes Ansehen zu geben, dem Spott, der auf ihren Lippen schwebte, Einhalt gethan, aber ein unwillkührliches Lachen brach aus ihrem Munde hervor, und sie hüpfte mit muthwilligem Blick hin nach dem steinernen Becken, das die rinnende Quelle in seinen Schooß aufnahm, Gangolfs Forderung zu erfüllen.

»Nicht einen meiner Finger, nein, wenn ihr wollt, meine ganze Person will ich diesem unschädlichen Wasser anvertrauen, in welchem ich so oft gebadet habe!« so rief Cäcilie, und steckte ihre schneeweisen Arme in die spielenden Wellen. Gangolf, welcher wußte, daß die Sache ernsthafter war, als sie dachte, eilte ihr nach, sie von dem kühnen Unternehmen abzuhalten, aber er kam zu spät, denn schon war sie ohnmächtig auf den Rasen zurückgesunken, und hatte aus dem verrätherischen Becken ihre Arme in einem Zustande zurückgezogen, als wenn sie in dem siedenden Quell von Island abgebrüht worden wären; doch nein, nicht so, noch ärger war die Strafe der [73] Sünderin. Nicht kochendes Wasser, fließendes Feuer schien in das Becken zu strömen; es dampfte und rauchte jetzt himmelan, und Cäciliens Alabasterhaut, die seine Kraft empfunden hatte, war nicht nur geborsten, nicht nur gerunzelt, nein, keine Spur von dem, was der Arm ehemals war, konnte man mehr erblicken. Haut und Fleisch waren bis auf die Knochen verzehrt, und selbst diese schienen der Zerstörung nahe zu sein.

Die Strafe war zu streng, wie der weichherzige Gangolf meinte; darum hatte er nicht gebetet, und der Anblick seines leidenden Weibes machte, daß er Alles vergaß, was er ihr nach der unglücklichen Probe mit allem Rechte vorzuwerfen hatte.

Er warf sich an ihre Seite nieder, und netzte die Ohnmächtige mit tausend Thränen. Er brauchte alle Künste, sie aus ihrer Bewußtlosigkeit zu sich selbst zu bringen, und bebte schnell zurück, als er bedachte, zu was für unsäglichen Schmerzen er sie erwecken würde.

Doch sollte ein Heiliger, welcher eine solche Strafe herabzubeten vermag, nicht auch übernatürliche Heilmittel in seiner Gewalt haben? – Im Vertrauen auf die Macht seines Gebetes, unternahm es St. Gangolf, das Wasser, welches der Himmel zur Entdeckung der Sünderin gebraucht hatte, zu ihrer Rettung anzuwenden. Es war jetzt wieder still geworden, und floß kühl und ruhig, wie zuvor, in seinem Becken. Der trauernde Gemahl überströmte die Ohnmächtige mit einer Fluth desselben, und brachte sie nicht allein dadurch wieder zu sich selbst, sondern [74] gab auch den beschädigten Gliedern auf diese Art einige Linderung.

Gangolf hätte mehr, hätte die völlige Herstellung desjenigen gewünscht, was die göttliche Rache verzehrte; doch dieses wurde ihm versagt; langsame Heilung war das einzige, was er von dem erzürnten Himmel erflehen konnte. Cäcilie wurde von der Unglücksquelle nach Hause gebracht. Ihr Gemahl kam in vielen Wochen nicht von ihrem Bette, wo sie in unleidlichen Schmerzen lag, und es dauerte lange, ehe sein Gebet, seine Thränen, und das Wasser aus der Quelle der Prüfung, die Arme, welche ihn so oft verrätherisch umfangen hatten, völlig so schön wieder herstellen konnte, als sie ehemals waren.

Nach Cäciliens Genesung fing Gangolf an, ganz andere Gefühle für seine Gattin zu hegen; er hatte bisher nur Mitleid für sie gefühlt, jetzt begann er jenen Unwillen, jenen Abscheu zu empfinden, der sich endlich der geduldigsten Seele bemächtigt, wenn sie zu lange und heftig gereitzt wird. Die letzte Begebenheit hatte ihm völlig die Augen über die Laster seiner Gemahlin geöffnet und jetzt zweifelte er nicht mehr daran. Sie, eine überwiesene Sünderin? ich, ein Mensch, dessen Gebete die Erhörung auf dem Fuße folgt? Also ein Heiliger? Welch ein Paar! Trennung ist hier unvermeidlich, wenn Besserung unmöglich ist, doch laßt uns das Letzte zuerst versuchen. So dachte Gangolf und so handelte er.

Aber Cäcilie genaß und besserte sich nicht. Die Ritter, die Beichtväter und die Edelknaben, und vor allen [75] der wilde Jäger Nimrod von Wettin blieben ihre vertrauten Freunde. Gangolf wurde jetzt, da man wußte, daß ihm die Augen geöffnet waren, noch weniger geschont, und im Vertrauen auf seine unermüdbare Geduld geschah manches öffentlich, was man sonst vor ihm und aller Welt zu verbergen suchte.

Gangolfs Entschluß war gefaßt; er bestellte sein Haus, traf einige Verfügungen zum Besten eines unmündigen Knaben, der vorhanden war, und den er für seinen Sohn hielt, und verließ darauf sein Schloß, ohne von Jemand Abschied zu nehmen, um in irgend einer unbewohnten Gegend die höchste Stufe der Heiligkeit zu erlangen, und seine Leiden zu vergessen.

Seine Entfernung wurde weder beachtet, noch betrauert. Die Frau von Eckardsberg setzte ihr gewöhnliches Leben fort, und beklagte nichts, als daß sie sich nur zur Hälfte eine Witwe nennen konnte, weil dieses sie hinderte, den geliebten Nimrod von Wettin zu St. Gangolfs Nachfolger zu machen. Doch für baares Geld ist Alles in der Welt zu haben, und Cäcilie ging schon ernstlich damit um, sich von Rom Dispensation zur Erfüllung ihrer Wünsche herbeizuschaffen, als sie der Tod dieser Mühe überhob.

Eine von den damaligen preußischen Wüsteneien war der Schauplatz von den letzten Lebensscenen des Einsiedler Gangolfs und von den Wundern gewesen, welche er noch bei lebendigem Leibe that. Das Gerücht von seinen [76] Thaten breitete sich schnell aus, und die häufigen Pilgerfahrten, welche zu ihm geschahen, brachten ihn um seine geliebte Einsamkeit. Er entfloh oft dem Geräusch der ihn verehrenden Menge, um in der Stille eines Gebürges, wohin nur Wenige kamen, zu beten, und hier war es, wo man ihn einst vom Blitz getödet fand; eine Todesart, welche seinen Werth unter der abergläubischen Menge noch vermehrte.

Man verscharrte den heiligen Leichnam, und seine Freunde hatten große Mühe, zu verhindern, daß die Reliquiensucht ihnen nicht das Begräbniß unnöthig machte.

Bei seinem Grabe geschahen große Wunder, welche welche man in Gesängen verherrlichte, und sie zum Trost der Andächtigen an allen Orten hören ließ.

Cäcilie, die sich wenig um ihren beleidigten und nun unter die Heiligen versetzten Gemahl bekümmerte, hätte vielleicht von diesen Dingen nie etwas erfahren, wenn sie nicht durch eins von diesen, St. Gangolfo zu Ehren verfaßten Liedern davon benachrichtigt worden wäre. Sie liebte Gesang und Saitenspiel, und ließ es bei ihren Festen nie an dieser Würze der Frohlichkeit fehlen, und so geschah es einst, daß ein unwissender Neuling in der damaligen Singekunst ihr statt eines Gesangs, wie sie und ihre Gesellen sie gern hörten, St. Gangolfi Wunderthaten sang, und sie dadurch zugleich von seinem Tode und dem Range unterrichtete, den er nun im Himmel einnahm.

Eine falsche Sage, welcher wir keinen Glauben beizumessen [77] haben, meldet, Frau Cäcilie habe sich nach Anhörung dieser Dinge große Lästerworte wider St. Gangolfen verlauten lassen, und dafür eine schimpfliche Strafe erlitten, aber wir versichern, daß sie den Wohlstand so ziemlich bei dieser Nachricht beachtete, daß sie sogar nach Witwenart ein paar zierliche Thränen fallen ließ, und hoch betheuerte, daß sie sich nicht eher wieder öffentlich sehen lassen, oder irgend einem fröhlichen Mahle beiwohnen wollte, bis es Gott gefiele, ihr eine Aenderung ihres Standes aufzulegen; ein Gelübde, das sie als eine Frau von Ehre hielt. Denn erst acht Tage nach erhaltner Trauerpost, als sie Nimroden von Wettin ihre Hand gab, ging sie wieder hervor, und zeigte, daß die Thränen um ihren kanonisirten Gemahl den Glanz ihrer Augen nicht verdunkelt hatten.

Cäciliens zweiter Gemahl wußte zu gut, wie es dem ersten ergangen war, als daß er nicht für sich ein gleiches Schicksal hätte befürchten, und daher seine Maßregeln nehmen sollen. Er hatte keine Lust, die Liebe seiner leichtsinnigen Gattin, so wie bisher geschehen war, mit Andern zu theilen, und führte eine Etiquette in seinem Hause ein, welche der Neuvermählten ganz fremd war. Der wilde Jäger Nimrod hatte bisher in ihren Armen gern seine rauhen Sitten gemildert, jetzt hielt er diesen Zwang für unnöthig; er war so rauh und ungestüm in dem Schooße seiner Familie, als draußen, wenn er Feld und Wald bluttriefend durchzog, und in dem Eckardsbergischen Gebiete trotz dem wüthenden Heere toste. Alle [78] lieben Freunde Cäciliens wurden abgedankt, er bewachte sie mit tausend Augen, und was er nicht vermochte, das ersetzten einige alte Basen, die er ihr zu Hüterinnen gab, und die noch ärger waren als er selbst.

Nimrod war ein trefflicher Rächer Ganglofs; er machte die Quälerin dieses unschuldigen Heiligen, die boshafte Cäcilie, ganz unglücklich, und ließ sie jeden Seufzer, jede Thräne bezahlen, die sie diesem ausgepreßt hatte. Ohne Zweifel war dies seine Absicht nicht, er handelte nach seinem eignen wilden Temperamente, sorgte für die Sicherheit seiner eignen Ehre, und es war daher blos Zufall, oder Schickung zu nennen, daß sich Cäcilie durch ihren Leichtsinn ihre Strafe selbst zugezogen hatte.

Nur in einem Stücke verdiente Gangolfs Nachfolger Ruhm: er liebte Cäciliens Sohn, den jungen Julian, den man den Herrn von Eckardsberg nannte, als wäre er sein eignes Kind gewesen. Er schützte ihn bei den Rechten und Gütern, die ihm St. Gangolf hinterlassen hatte, that ein Ansehnliches von seinen eignen hinzu, entfernte ihn von allen verführerischen Auftritten, gab ihn unter die Zucht eines frommen Mönchs, und zeigte in allen Stücken, daß er gesonnen war, einen besseren Menschen aus ihm zu bilden, als er selbst war.

Dieses rühmliche Verfahren hinderte ihn nicht, für seine Person Laster auf Laster zu häufen; das Land seufzte unter seinen Bedrückungen. Der Schweiß der Armen nährte seine Jagdhunde und Pferde, das Wild, was sich in seinen Gehegen wie durch Zauberkunst mehrte, verwüstete [79] die Erndten des Landmanns. Die Mittel, welche die Bedrängten insgeheim zu ihrer Rettung brauchten, wurden mit unerhörter Grausamkeit bestraft, und nicht selten mußte ein Unglücklicher, der sich auf der That ertappen ließ, den Kopf eines Wildes mit seinem eignen bezahlen.

Die Leiden der Elenden riefen die Rache des Himmels herab, und Frau Cäcilie, die das, was sie von ihrem Tyrannen erdulden mußte, getrost dem unverschuldeten Jammer der übrigen Bedrängten gleich achtete, vereinigte insgeheim ihre Gebete mit dem allgemeinen Klaggeschrei, das Tag und Nacht zum Thron des Richters aufstieg. Sie war Nimrods von Wettin herzlich müde, und wünschte nichts so sehnlich, als durch seinen Tod bald aus ihrer unleidlichen Sclaverei befreit zu werden.

Aber die Wiedervergeltung sollte die Verbrecherin und den Verbrecher mit einem Streiche treffen. Cäcilie, welche ihrem mißtrauischen Gemahl, der alle ihre Schleifwege gegenau kannte, nie von der Seite kommen durfte, begleitete ihn eines Tages auf die Jagd, ohne zurück zu kommen. Nimrods Jagdgefolge langte erschrocken auf der Eckardsburg an, ohne Nachricht geben zu können, wo ihr Herr und ihre Frau geblieben wären. Es war an einem von den Tagen, an welchen, der alten Sage zu Folge, die Eckardsbergischen Gehölze von einer unsichtbaren Waidgenossenschaft durchzogen werden, und wo sich kein irdischer Jäger in denselben mit Geschoß und Horn blicken lassen darf.

[80] Die in diesen Dingen wohl erfahrnen Diener Nimrods hatten ihren Herrn gewarnt, Cäcilie hatte knieend gefleht, aber der Ruchlose, der weder auf das eine noch das andere achtete, hatte seinen Knechten donnernd geboten, ihm zu folgen, und seine weinende Gemahlin ungestüm mit sich tief in den Wald hineingerissen, woher ihnen schon das gellende Jagdgeschrei der ätherischen Jäger entgegen schallte. Der Dienerschaft gelang es, sich noch zeitig durch Flucht zu retten, aber Nimrod und Cäcilie erlitten wahrscheinlich die Strafe ihres Vorwitzes und ihrer Ruchlosigkeit, denn weder diesen noch die folgenden Tage konnte man sie, oder auch nur ihre Leichname ausfindig machen. Nur ihre Kleider und Waffen, von denen man Fragmente hier und da an den höchsten Aesten der Bäume flattern sah, gaben Muthmaßungen von dem, was ihr Schicksal gewesen sein mochte.

So war denn die Erde von zwei Ungeheuern befreit, die ihr zur Schande gereichten, und die Eckardsbergischen Gebiete begannen sich unter der sanften Regierung eines unmündigen Knaben, oder vielmehr seines frommen Vormunds zu erholen, den ihm der längst verfaßte letzte Wille seiner beiden Väter, Gangolfs und Nimrods, in dem Prior des benachbarten Augustinerklosters gegeben hatte.

Julian war zu jung, um den Verlust seiner Eltern zu betrauren, oder sich über die Todesart, welche ihnen die gemeine Sage zutheilte, zu entsetzen. Erst als er besser heranwuchs, gab ihm zuweilen der warnende Prior [81] einige Winke von den Strafen, welche auf Verbrechen, wie diejenigen folgten, deren sich Nimrod und Cäcilie schuldig gemacht hatten, und wenn dann der weichherzige Knabe über das Schicksal seiner Eltern weinte, so setzte der fromme Mönch immer tröstend hinzu, wie er hier nur eine unglückliche Mutter zu betrauern habe, welcher vielleicht noch durch Almosen und Seelenmessen zu helfen sei, und wie nicht Nimrod, sondern Sankt Gangolf, der Einsiedler, die Ehre habe, sein leiblicher Vater zu heißen.

Die Verwandtschaft mit einem kanonisirten Heiligen, bei dessen Grabe noch viel herrliche Wunder geschahen, machte besondern Eindruck auf das Gemüth des Knaben, und rief bei ihm den Wunsch hervor, auch ein Heiliger zu werden. Die Anlage dazu war da, seine Gemüthsart war sanft und gut, seine Erziehung klostermäßig, und alle seine Begriffe so, daß sie mehr in eine andere, als die gegenwärtige sublunarische Welt taugten. Er wuchs unter der Aufsicht seines redlichen Vormunds in frommer Unschuld heran, und würde herzlich gern, als er die Jahre erreicht hatte, da er sich einen Stand wählen sollte, ins Kloster gegangen sein, wenn der Prior des Augustinerklosters eigennützig genug gewesen wäre, es ihm zu verstatten. »Ihr seid zum Leben in der Welt bestimmt, mein Sohn,« sagte er. »Die arme Welt! sie braucht fromme Menschen noch nöthiger, als das Kloster! Führt in ihr ein exemplarisches Leben, und ihr werdet dadurch mehr Gutes schaffen, als bei uns, denen es nicht an Heiligen fehlt.«

[82] Julian ließ sich gefallen, was man ihm auferlegte, wie er sich in Folge seiner sanften Gemüthsart Alles gefallen ließ, und fing auf seinem Schlosse, das er nun in seinem zwanzigsten Jahre in Besitz nahm, wirklich einen Wandel an, der einem Weltheiligen Ehre machte.

Der gute Prior hatte ihn gelehrt, Frömmigkeit und Tugend nicht in müssigen rastlosen Gebeten, oder unnützen geistlichen Uebungen, sondern in froher Thätigkeit zum Wohl Anderer zu suchen, und daher kam es, daß er unablässig bemüht war, Gutes zu stiften, und immer dasjenige am eifrigsten, was ihm Aufopferung oder mühsame Anstrengung kostete.

Schade war es, daß diese wohlthätigen Gesinnungen mit schlechter Urtheilskraft verbunden waren; Julians Herz war edel, aber sein Verstand war schwach, und sein Gemüth zur Schwermuth und Schwärmerei geneigt. Er begnügte sich nicht, Wohlthaten mit sinnloser Verschwendung auszustreuen, und Blut und Leben zu wagen, wo wohlfeilere Hülfe möglich gewesen wäre, sondern er drang Rath, Trost, Hülfe und Unterricht oftmals da auf, wo Niemand sie bedurfte oder verlangte, und grämte sich dann, wenn ihm seine Gutherzigkeit übel belohnt wurde. Ganze Bücher wären hievon zu schreiben, aber mir, der ich mich nicht zu weit von dem Plane meines Mährleins entfernen darf, ist nur erlaubt, eines einzigen Abentheuers zu gedenken, das den Grund zu allen übrigen legte, mit welchen die Legende von St. Julian angefüllt ist.

Die Gemeinde von Eckardsberg blühte unter der Regierung ihres guten Herrn. Armuth und Elend waren [83] durch seine Milde fast ganz verscheucht worden, und die allgemeine Klage betraf nur die Verwüstung, welche unsichtbare Feinde, die keine irdische Macht zu bannen vermochte, in diesen Gegenden anrichteten.

Wir haben schon früher gesagt, daß diese Landschaft alljährlich von einer Rotte böser Geister heimgesucht wurde, welche man das wüthende Heer nannte; aber seit einiger Zeit ließen sich diese wilden Gäste jeden Monat wenigstens einmal, wohl gar auch noch öfterer blicken. Der Unfug, den diese umherziehende Dämonengesellschaft anrichtete, bestand nicht blos in dem höllischen Getös, mit welchem sie sich anzukündigen pflegte, und das manchen ehrlichen Mann auf Lebenszeit um sein gesundes Gehör brachte, nicht blos in dem Schrecken, welchen die Ankunft der tobenden Luftgeister bei den Schwachen und Weiblein erregte, nein, dieses Gespenstwerk hatte weit wichtigere Folgen, und machte das Land, das demselben unterworfen war, wirklich elend. Reisende, welche von diesen Dingen nichts wußten, und sich zu der gefährlichen Zeit auf offner Straße befanden, mußten dies mit dem Leben bezahlen, selbst Kinder, welche sich in ihrer unschuldigen Unwissenheit von ihren Eltern verlaufen hatten, wurden nicht geschont. Im Walde wurzelten die Unholde die Bäume aus, tobten über die Felder und Fluren, und verdarben alles Gewächs. Ueberall erkannte man ihren Fußtritt so deutlich, als wären sie nicht von ätherischer Natur gewesen. Am Morgen nach den Nächten, in welchen sie tobten, waren die Gegenden voll von dem getödteten Wild, das sich von dem Weidwerk irdischer Jäger [84] dadurch auszeichnete, daß es auf keine Weise zu brauchen war, und die Luft mit giftigem Gestank erfüllte. Was dem Zuge der höllischen Verderber im Wege war, Häuser, Ställe oder Scheuern, wurde der Erde gleichgemacht, und alle lebendige Geschöpfe, die sich daselbst befanden, waren Opfer des Todes.

Wie hätte der gutmüthige Julian von Eckardsberg das Leiden seiner Kinder, wie er seine Unterthanen zu nennen pflegte, kaltblütig ansehen, wie hätte er nicht auf Rettung denken sollen? Mit Gebet und Segen war hier nichts auszurichten, man mußte auf andere Mittel sinnen. Er fragte hundert alte, in den Angelegenheiten der Geisterwelt hocherfahrne Männer und Frauen um Rath, las in hundert noch ältern Bücher, die von diesen Dingen handelten, und fand endlich, was er suchte.

In der Bibliothek des Augustinerklosters, wo Julian oft ganze Tage zubrachte, fanden sich Manuscripte seltner Art, die oft von ihm in obbemeldeter Absicht vergebens durchblättert worden waren, bis er endlich in einer Nacht des einsamen Forschens in Deutberti Büchlein von den Wundern der Geisterwelt, auf folgende Stelle stieß:

»So deine Hände rein sind von aller Missethat, so du nie gemordet, geraubt, oder verbotener Liebe gepflogen, so dein Ueberfluß den Verschmachteten labte, und dein Kleid den Nackenden wärmte, so der Arme, die Witwe und ihre Waisen, der Kranke und der Pilger deine Milde segnen, so tausend Stimmen deinen Namen dankend vor Gott nennen, und keine wider dich zum ewigen Richter [85] schreit, so magst du es wagen, des Nachts, wenn das wüthende Heer umherzieht, seiner auf einem Kreuzwege zu warten, und es im Namen Gottes und seiner Heiligen mit einem Schuß oder zwei zu bannen, ohne daß es dir an Leib und Leben schade. Doch um die Ruhe deines Herzens ist's auf jeden Fall gethan, denn auch der Heiligste darf es nicht in diesem Leben der Dunkelheit ungestraft wagen, die Gränzen zwischen der Geister- und Körperwelt zu verletzen.«

Julian jauchzte über den Fund, den er endlich gethan hatte, und er war schnell entschlossen, sich für das gemeine Beste aufzuopfern. Ein tiefes Nachdenken über die vorgelegten Bedingungen, eine ernste Gewissensprüfung folgte dem Entschlusse, und das Resultat von Beiden war Befestigung des heldenmüthigen Vorsatzes, welcher gleich des andern Tages dem Prior, als seinem Beichtvater und ehemaligen Vormunde, vorgetragen wurde.

Dieser Weise, welcher nie besonderes Wohlgefallen an der seltsamen Wendung gehabt hatte, welche alle Handlungen Julians nahmen, widerlegte, rieth und warnte aus allen Kräften, aber der Jüngling beharrte auf seinem Vorhaben, und machte sich in der nächsten schauervollen Nacht auf, seinen gewagten Entschluß auszuführen.

Es war einer der spätesten Herstabende, da er den Eckardsbergischen Forst betrat, um die Feinde, welche in der Mitternacht hier vorüber ziehen sollten, zu erwarten. Furcht vor dem Fürsten der Luft, der hier seine [86] Jagdlust zu haben pflegte, hatte den weiten Wald verödet, kein menschlicher Fußtritt ließ sich hören, auch das Wild hielt sich still in seinen Höhlen und zitterte dem allmächtigen Rufe des Jägerhorns entgegen, der es nun bald aufscheuchen sollte. Der Wind heulte durch die kahlen Wipfel der Bäume und wühlte in dem dürren Laube, das den Boden bedeckte. Am Himmel thürmten sich Regenwolken auf, und drohten die angeschwollenen Wasser zur Alles überscheumenden Fluth zu machen, doch kam am bleifarbigen Horizont der Mond wie eine schmale Sichel herauf, den einsamen Wanderer zu geleiten. Die Stunden flogen dahin, die Dunkelheit nahm zu, der Mond verhüllte sich in den Wolken, welche sich in Regen aufzulösen begannen. Mitternacht war vorüber, und Julians Herz erbebte zum erstenmal, als er von Weitem den kommenden Feind vernahm, den er aufzufordern gedachte. Das ätherische Hifthorn schallte, Jagdgeschrei, Hundegebell und Wiehern der Rosse tönte hinter dem fliehenden Wilde her, das von unwiderstehlichem Zuge getrieben, sich aus allen Revieren des Forstes erhob, und vor dem kühnen Julian, der sich unter den Schutz einer Eiche gestellt hatte, vorüberzog. Ihm folgte das unsichtbare Jagdgefolge mit dem Brausen eines Sturmwindes, mit dem Brüllen des Donners. Julian sank von dem schrecklichen Getös, das ihn umhallte, und von einem seltsamen Druck der Luft, den er empfand, betäubt zu Boden, und vergaß auf einige Zeit, warum er hier war; doch besann er sich schnell, empfahl sich Gott und seinen [87] Heiligen, richtete sich muthig empor, und that einen doppelten Schuß in das Heer von Schattengestalten, das er jetzt, da er aufwärts blickte, über sich hinziehen sah; ein buntes, immer abwechselndes Gewühl der seltsamsten Gebilde, wie sie nur die wildeste Phantasie erdenken und nur die kühnste Feder nachzeichnen kann.

Es war die äußerste Anstrengung, welche Julians zitternde Hand regierte, die letzte Kraft einer durch Entsetzen, banger Erwartung und schwärmerischem Heldenmuthe geschwächten Seele. Nachdem er gethan hatte, was er hier glaubte thun zu müssen, sank er sinnlos zu Boden, und blieb in diesem Zustande bis zum nächsten Morgen liegen, wo ihn seine Diener und die Mönche des Augustinerklosters, die ihn bisher vergebens gesucht hatten, von Regen triefend und erstarrt aufhoben und nach dem Kloster brachten.

Mit ihm hatte man zwei Stücke gefälltes Wild, einen weißen Hirsch und eine Hündin von derselben Farbe hereingebracht, welche sich in einiger Entfernung von ihm gefunden hatten, und wahrscheinlich von seinem doppelten Schusse getroffen sein mochten. – Als Julian die Thiere erblickte und erfuhr, wo man sie gefunden hatte, sah er sie traurig an, denn es war seine Absicht nicht gewesen, gemeines Wild zu tödten. Er betrachtete das, was er erlegt hatte, genauer, und glaubte auf dem Gesicht der getödteten Thiere so seltsame Züge fast menschlicher Traurigkeit zu sehen, daß ihm das Herz brach. Er [88] gebot, sie augenblicklich hinweg zu schaffen, und in die Klosterküche zu bringen.

Er war zu schwach, nach seinem Schlosse zurückzukehren und mußte diesen Tag bei seinen lieben Augustinern bleiben. Man setzte ihn bei der Abendtafel unter andern Gerichten einen feisten Wildpretsbraten auf, den er mit der ängstlichen Frage von sich schob, ob er von seinem gefällten Wilde sei? und die Betheurung hinzusetzte, er könne sich nicht überwinden, von demselben zu essen.

Der Pater Küchenmeister hieß ihn außer Sorgen sein, und versicherte lachend, daß von seinem Wilde schlechterdings nichts zu brauchen gewesen sei. »So schön diese Thiere auch aussahen,« setzte er hinzu, »so bestand doch ihr ganzer Körper aus nichts als Haut und Knochen, und das Eingeweide war so sonderbar beschaffen, als ich es nie beim Wilde gesehen habe; besonders die Herzen, die ich aufbewahrt habe, sie irgend einem Zergliederer zu zeigen, der, wie ich meine, nicht im Stande sein wird, sie von menschlichen Herzen zu unterscheiden.«

Dem guten Julian lief ein kalter Schauer über die Haut; er legte die Messer aus der Hand, stand auf, und eilte nach seinem Schlafgemache, wo er sich fast ohnmächtig auf sein Lager warf. »Ach,« sagte er, als er sich ein wenig erholt hatte, »Gott weiß, welch ein Wild ich gefällt, Gott weiß, welches Verbrechen ich auf meine Seele geladen habe! Ruhe und Friede sind auf ewig aus meinem Herzen gewichen!«

Ein Heer von wilden Träumen umgauckelte ihn in[89] dieser Nacht, von denen einer, mit welchem er erwachte, deutlich genug war, um ihn unvergeßlich zu bleiben, und einen nachtheiligen Einfluß auf seine ohnedem zerrüttete Seele zu äußern.

Die ganze Scene von voriger Nacht schwebte noch einmal vor ihm vorüber; er sah noch einmal das Heer der wüthenden Dämonen über sich hinziehen, that nocheinmal mit zitternder Hand den doppelten Schuß, den er damals gewagt hatte, aber er sollte diesmal zu seinem Schrecken noch mehr erblicken: er sah, wie der Hirsch und die Hündin, von seinen Schüssen getroffen, niederstürzten, wie sie sich aufrafften, sich bis zu seinen Füßen zu schleppen, und da das Leben auszuhauchen. Ein Strom von Blut, der aus ihren Wunden floß, bezeichnete ihren Pfad, und sie sanken mit kläglicher Geberde vor ihm nieder. In den gebrochenen Augen des Hirsches lag Wuth, und er machte eine schwache Bewegung, sein Geweih wider seinen Mörder zu kehren, aber die Hündin legte ihren Kopf in seinen Schooß, leckte sterbend seine Hände, und aus ihren Augen schienen Thränen zu quellen. »Unglücklicher!« rief eine Stimme eines Unsichtbaren neben ihm, »Mörder deines Vaters und deiner Mutter! Zur Büßung ihrer Sünden wurden ihre Seelen in diese Körper gebannt; bis auf wenige Wochen war die Zeit der Strafe für sie verflossen, und deine grausame That stürzt sie von Neuem in den Abgrund des Verderbens, läßt sie von Neuem beginnen, was nun bald geendigt war!« Ein schallendes Gelächter aus der Luft ertönte[90] nach Endigung dieser Worte auf ihn herab. Der vor Schrecken fast bewußtlose Julian sah auf, und erblickte das Schattenheer, das wie mit Wohlgefallen über ihm verweilte, und durch gräuliches Schlangengezisch und spottende Geberden über den Ausgang seiner Frevelthat zu frohlocken schien.

Die Namen »Elternmörder und gefallner Heiliger« tönten ihm von allen Seiten in die Ohren, das Gesicht verschwand und er erwachte. Aber welch ein Erwachen! – Die genaue Ueberlegung des Traums, die Vergleichung desselben mit Wahrheit und Wahrscheinlichkeit würde bei jedem Andern Beruhigung hervorgebracht haben, bei dem schwachen schwärmerischen Jünglinge bewirkten sie das Gegentheil. Ihm war das Unwahrscheinlichste nicht unglaublich, er dachte über das klägliche Ende Cäciliens nach, das ihm, seit er erwachsen war, so manche schwermüthige Stunde gemacht hatte, reimte es mit der Stimme des Traums zusammen, und glaubte seines Unglücks immer gewisser zu werden. Seine Vernunft begann zu schwanken, und der Prior, welcher am Morgen kam, ihn zu besuchen, fand ihn in völliger Raserei.

Der redliche Mönch that alles mögliche zur Pflege des beklagenswürdigen Jünglings, dessen Krankheit sich von Stunde zu Stunde vermehrte; nur Schade, daß Alles, was er unternahm, blos zum Besten des Körpers des Leidenden, nichts für seine ungleich kränkere Seele bestimmt war. Der Prior sah hier nichts, als ein gewöhnliches hitziges Fieber, die Phantasien des Kranken wurden [91] wenig beachtet, und als nach seiner Genesung, welche nach achtzehn gefahrvollen Tagen erfolgte, immer noch Elternmord und unaustilgbare Blutschuld seine fixe Idee blieb, so sprach man so ernstlich über diesen Punkt mit ihm, warnte ihn so nachdrücklich, nichts mehr von Dingen vorzubringen, welche nur in einer von Krankheit geschwächten Seele Platz haben könnten, daß er endlich schwieg, und den Entschluß faßte, seinem geängstigten Gewissen auf andere Art Rath zu schaffen.

In der Stadt Eisleben lebte in einem Franziskanerkloster ein neunzigjähriger Mönch, welcher weit und breit wegen seiner Heiligkeit und seinen ausgezeichneten Beichtigertalenten berühmt war. Auf diesen hatte Julian sein Vertrauen gesetzt, und kaum durfte er es wagen, sich der Winterluft auszusetzen, als er sich auf den Weg machte, sein Herz in den Schooß des geistlichen Vaters auszuschütten und Trost bei ihm zu holen.

Er fand in dem einfältigen Franziskaner ganz einen solchen Beichtiger, wie er sich ihn gewünscht hatte. Sein schwärmerisches Sündenbekenntniß wurde nicht allein mit großer Geduld angehört, sondern die ganze abentheuerliche Geschichte auch nicht im mindesten bezweifelt. Den Zweifel, den Julian selbst aufwarf, wie sein Vater, der heilige Gangolf, dazu gekommen sein möchte, nach seinem Tode mit der lasterhaften Cäcilie einerlei Strafe zu leiden, wußte der heilige Mann auch gar wundernswürdig aufzulösen, und stürzte dadurch seinen schwermüthigen Beichtsohn in neuen Jammer. »Seid ihr denn so kühn,« sagte [92] er, »euch für einen Sohn Gangolfi, des Einsiedlers, zu halten? Kennt ihr die verbotene Liebe nicht, welche so lange zwischen eurer Mutter und dem ruchlosen Nimrod von Wettin herrschte? Er, er ist euer Vater! ihn habt ihr in seiner Thiergestalt getödet! St. Gangolfs Gebeine werden wohl ruhen, wo sie liegen, bis der große Engel sie hervorruft, aber Nimrods und Cäciliens Körper wurden von dem Bösen in den Lüften davon geführt, und mit ihren Seelen kann es leicht so stehen, wie ihr im Traume gesehen habt.«

»Aber welchen Rath wisset ihr für mein beängstigtes Herz?« schrie der verzweifelnde Julian mit gerungenen Händen. Der Beichtiger bedachte sich und sprach von harten Bußen, welche der unschuldige Sünder so willig auf sich nahm, daß er seinen Richter ganz irre machte.

»Mein Sohn,« sagte er endlich, »alle diese Dinge werden euch, wie es scheint, so leicht, daß sie bei euch unmöglich Büßungen heißen können. Ihr müßt durch eine lange Reihe schmerzhafter Verläugnungen, wie sie euch die Gelegenheit darbietet, eure Sünden zu tilgen suchen, und wenn ihr endlich das höchste Beispiel der Selbstüberwindung gezeigt habt, so wird sich die Ruhe in euerm Herzen wohl wieder einstellen, so werdet ihr wohl fühlen, daß die Blutschuld, welche euch drückt, getilgt ist.«

Julian ging traurig nach Hause ob der unbestimmten untröstlichen Antwort, und begann von nun an sich zu kasteien, wie der strengste Mönch aus dem Orden de la [93] Trappe. Alles, was ihm die kleinste Freude machen konnte, unterließ er, und unterwarf sich freiwillig den größten Leiden. Er verging wie ein Schatten, und sein Freund, der Prior des Augustinerklosters, der ihn aufrichtig liebte, grämte sich unendlich, ihn so verblühen zu sehen. Er wußte nicht, was ihn quälte; wie hätte er im Stande sein sollen, ihm zu helfen? und welch ein schreckliches Gefühl, einen Freund ohne Hülfe verderben zu sehen!

»Mein Sohn,« sagte er eines Tages, nach einer fruchtlosen Unterhaltung über diesen Gegenstand, »ich glaube den Grund eurer Schwermuth zu errathen. Ihr seid zu einsam! Gedenket an die Worte des Schöpfers im Paradiese: es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. Ihr seid jung, liebenswürdig und reich; seht euch um nach den schönsten Töchtern des Landes, und wählt euch unter ihnen eine Gattin. Schönheit ist oft mit Tugend, Unschuld mit frohem Sinn gepaart; ihr werdet an eurer Gemahlin, wenn ihr vorsichtig wählt, einen tröstenden Engel haben, der nach und nach allen euern Trübsinn zerstreuen, und euch der Welt wieder schenken wird.«

Julian erbebte, einen so irdischen Rath aus dem Munde eines Mönchs zu hören. »Warum,« fragte er mit einigen Unwillen, »rathet ihr mir nicht lieber das Kloster zur Beruhigung meiner Seele?«

»Weil ihr,« erwiederte der Prior, »das Mönchsleben eurer zerrütteten Phantasie angemessener findet, als den Stand eines nützlichen Weltbürgers, so glaubt ihr [94] diesen verwerfen und jenes wählen zu müssen; aber dürfen wir allemal nach unsern Neigungen handeln? Müssen wir uns nicht Gewalt anthun, um unsere Pflicht zu erfüllen?«

Julian sah den Prior voll Verwunderung an. Ohne es zu wissen, hatte der gute Mönch eine Saite berührt, die bei den jungen Menschen sehr laut ansprach. »Wie?« sagte er zu sich selbst, als er allein war, »sollte dieses nicht etwa die Verleugnung sein, die mir mein Beichtiger in Eisleben empfahl? Ich kenne keinen Stand, der mir widriger wäre als der Ehestand, keinen, den ich williger ergreifen würde als das Klosterleben; nun gut, so sei dieser verworfen und jener erwählt; kein größeres Ofer wüßte ich dem Himmel zu bringen, keine größere Verleugnung auszuüben!«

Der Prior, welcher sich nicht darum bekümmerte, aus was für Gründen sich sein junger Freund nach dem Rathschlage bequemte, den er ihm gegeben hatte, und der sich tausend Gutes von seiner Verbindung mit einem schönen und guten Mädchen versprach, baute bei einigen späteren Unterhaltungen mit so gutem Erfolge auf dem Grunde fort, den er gelegt fand, daß der Entschluß, für den jungen Herrn von Eckardsberg eine Gemahlin zu suchen, bald fest gefaßt, und eben so schnell ausgeführt ward.

Unter den Vasallen der Herren von Eckardsberg bebefanden sich drei, welche der Himmel mit hübschen Töchtern gesegnet hatte, und diese jungen Mädchen waren es, welche der Prior seinem Mündel zur Wahl vorschlug. »Ich [95] wünschte nicht,« sagte er, »daß ihr euch ein Weib aus großen Städten nehmen möchtet; von ungefähr könntet ihr auf eine Cäcilie stoßen, die euch so elend machen dürfte, als euer Vater durch eure Mutter ward. In den Schatten des Landlebens wohnt Unschuld und Tugend. Ein solches Weib, wie wir sie hier in unsern Gegenden erziehen, wird euch beglücken, und habt ihr gewählt, so verspreche ich, selbst für euch den Brautwerber zu machen. –«

Der Pater Prior hatte, wie mehrere seines Standes, eine gute Gabe zum Heirathstiften. Die Eltern der Jungfrauen wurden noch am nämlichen Tage von den Absichten des Herrn von Eckardsberg unterrichtet, und am folgenden schon brachte ein bloßer Zufall, wie er bei dergleichen Gelegenheiten gewöhnlich ist, den jungen Edelmann und einen seiner vornehmsten Diener, Namens Robert, in das Haus, wo zwei der obgedachten Mädchen, die ihre Mutter verloren hatten, als Gespielinnen der dritten erzogen wurden.

Julian sah die Mädchen und sein Herz war nicht so unempfindlich, daß er nicht ein kleines Beben bei dem Anblick dreier jungen Geschöpfe gefühlt haben sollte, unter denen er wählen konnte, und die alle nicht unliebenswürdig waren. Sein Gefühl entschied indessen für die eine, welche gerade am wenigsten reizend war, weil er einen gewissen Ausdruck von Unschuld und Gutmüthigkeit in ihren Augen fand, der ihm gefiel. Da aber die Wahl des Priors auf die zweite fiel, und es hier nach [96] Julians Grundsätzen immer auf Ueberwindung ankam, so bezwang er seine Neigung und gehorchte seinem Freunde. Die dritte von den Schönen wurde von Allen verworfen; der Prior fand sie zu schön für seinen blöden Mündel, und dieser sie zu feurig, zu weltlich, um eine Neigung für sie fassen zu können.

Man besprach sich einige Minuten unter vier Augen über die Sache, und wie denn zu den Zeiten unsrer einfältigen Vorfahren Alles ohne viel Umstände zuging, so fand es der Prior hier für gut, noch an demselben Abende die Eltern des Fräuleins folgendermaßen anzureden: »Meine Freunde! Mein ehemaliger Mündel, der Julian von Eckardsberg, ist in euer Haus gekommen, sich ein Weib zu holen, und weil ihm nun eure Tochter Rosamunde besser als ihre beiden Muhmen gefällt, so bitte ich euch in seinem Namen, gebet ihm die Jungfrau an die Hand, daß er sie zum Altar führe!«

Um die alten löblichen Sitten nicht zu verletzen, erbat man sich einige Bedenkzeit, und nach Verlauf von acht Tagen ward Jungfer Rosamunde dem Edeln von Eckardsberg zugesagt, welcher noch mehr erröthete, als die junge Braut, als der Prior nebst dem Brautvater seine Hand in die Hand seiner Verlobten legte, und ihm erlaubte oder vielmehr gebot, sie zu umarmen. Er zog sich so schnell als möglich von ihr zurück, und gab dadurch dem jungen Mädchen Veranlassung, nicht ganz zufrieden mit seinem Betragen zu sein.

Ueberhaupt war es mit dieser ganzen Brautschaft eine [97] eigne Sache. Julian fing wirklich an, Rosamunden gewogner zu werden, als es mit der Pflicht der Verleugnung bestehen konnte, aber dennoch würde die Sache zehnmal zurückgegangen sein, hätte er nicht an seinem Diener Robert einen treuen Unterhändler gehabt. Unablässig ging dieser Bote der Liebe ab und zu, das Einverständniß zwischen zwei Personen zu erhalten, welche sich mit einander nicht recht verständigen konnten. Schade, daß er den Lohn für seine treuen Dienste nicht einerndten, daß er nicht wenigstens den frohen Hochzeittag mit feiern konnte! – Ehe derselbe erschien, verschwand er aus der Eckardsbergischen Feldmark und hinterließ seltsame Muthmaßungen über die Ursache seines Verschwindens; einige riethen auf freiwillige Entweichung, und andere sagten ihn todt, aber keiner von beiden Theilen konnte seine Meinung erweisen.

Julian war nicht gleichgültig bei dem Verluste seines lieben Dieners, den er wie einen Freund hielt; aber dem Hause seiner Braut begegnete ein noch herberer Unfall durch den kläglichen Tod der schönsten von ihren beiden Muhmen, deren wir bei der Erzählung von Julians Brautschau gedacht haben. Der Pater Prior, welcher nach Roberts Verschwinden sah, wie schläfrig es mit er Liebe der beiden Verlobten zuging, beschleunigte die Hochzeit, um die Fehlschlagung seiner guten Absichten für den schwermüthigen Julian unmöglich zu machen. Vielleicht in Folge der Eilfertigkeit, mit welcher Alles bei diesem frohen Feste zuging, geschah es, daß in der ersten [98] Nacht der Vermählung ein Feuer im Hochzeithause auskam, welchem die Braut und der Bräutigam mit Mühe entgingen, und das der Kousine Hildegard, welche vielleicht zur Rettung herbeigeeilt war, das Leben kostete; wenigstens war soviel gewiß, daß man sie nach diesem Vorfall nirgends finden konnte, ungeachtet die Flamme an keinem andern Orte gewüthet hatte, als im Brautgemach, und sehr schnell gelöscht worden war. Auch hierüber gingen gar seltsame Sagen, deren Grund oder Ungrund wir vielleicht in der Folge auseinander setzen werden. Wahrscheinlich hätte der Bräutigam manchem räthselhaften Umstande am ersten auf die Spur kommen können, aber er war ein Mensch, der mit sehenden Augen blind zu sein schien, und der in der Welt, in welcher er lebte, immer nur halb gegenwärtig war.

So blind der Herr von Eckardsberg auch gegen alles Irdische zu sein pflegte, so konnte doch eines seinen Augen nicht entgehen, ungeachtet er in der That später aufmerksam darauf wurde, als jeder andre. Frau Rosamunde, ein junges Geschöpf, das im ledigen Stande von lauter Lust und Lachen zusammengesetzt zu sein schien, war seit ihrer Vermählung von einer Schwermuth befallen, welche ihres Gleichen suchte. Sie weinte, wo sie ging und stand, rang die Hände gen Himmel empor, wenn sie glaubte nicht beobachtet zu werden, und verbarg in Gesellschaft ihren Gram in jene gezwungene Heiterkeit, welche so leicht zu durchschauen ist; sie betrug sich in Summa so, daß der Pater wohl sah, daß sie nicht der [99] tröstende Engel war, den er seinem Mündel zu geben dachte, um seine Melancholie zu verscheuchen.

Julian war in der That seither durch die Hochzeitgeschäfte, denen er sich unumgänglich unterziehen mußte, ein wenig von seinem alten Grame abgezogen worden; aber, als er jetzt die Augen aufthat, und seine Gemahlin, die er wirklich auf seine Art liebte, eben so schwermüthig sah, als er früher selbst war, da verfiel auch er wieder in seinen alten Zustand, und man kann sich nichts Kläglicheres denken, als dieses junge Ehepaar, von denen jedes vor dem andern seinen Gram verbergen wollte, und jedes die Stunde der Einsamkeit kaum erwarten konnte, um sich ihm ohne Rückhalt zu überlassen. Der Kummer eines jeden ward durch den des andern vermehrt; sie schlichen einander nach, sich bei ihren Thränen zu belauschen, drangen mit zärtlichem Ungestüm in einander, versagten einander beiderseits hartnäckig die Entdeckung, und sanken sich am Ende mit der Versicherung in die Arme, daß ihr großes undenkbares und unheilbares Leiden ein ewiges Geheimniß bleiben müsse.

Der Prior trauerte mit seinen Kindern, wie er die beiden unglücklichen Gatten zu nennen pflegte, aber er trauerte nicht blos, sondern er dachte auch auf Rettungsmittel. »Mein Sohn,« sagte er eines Tages zu Julian, »ich zweifle nicht, daß das Leiden eurer Frau eben sowohl ein Hirngespinst ist, als das eurige; aber wir müssen es ihr entreißen und an das Licht bringen, wenn wir ihr helfen wollen. Verborgner Gram wüthet am fürchterlichsten [100] und zieht nicht selten Verzweiflung nach sich, wenn auch sein Grund blos Chimäre sein sollte. Versprecht mir, euch meiner Vorschrift in Allem zu unterwerfen, so denke ich, soll Rosamunden wohl geholfen werden.«

Julian versprach, was man forderte, und hörte darauf folgenden Vorschlag: »Ihr müßt,« sagte der Prior, »eure Frau bereden, ihren heimlichen Kummer durch Buße und Beichte zu lindern; ohne Zweifel wird sie einen Geistlichen unsers Klosters zu ihrem Vertrauten erwählen, und wollte Gott, daß ihre Wahl auf mich fiele. Erkießt sie aber einen Andern, so hört, was ich euch sagen will. Die Geheimnisse der Frau sind nirgends sichrer als in dem Herzen des Mannes; ich werde Sorge tragen, daß Rosamunde keinen Andern an heiliger Stätte finde als euch. Die Dunkelheit und die Ordenskleidung, welche ich euch verschaffen will, werden euch unkenntlich machen. Ihr werdet Alles erfahren, was sie auf dem Herzen hat, werdet eure Maaßregeln danach nehmen, und eure Absolution wird, denke ich, in diesem Falle so kräftig sein, als die des heiligen Vaters selbst.«

»Behüte Gott, mein Vater!« schrie der sich kreuzende Julian, »was rathet ihr mir! Profanation eines unsrer heiligsten Sacramente? Eingriffe in die Rechte des Klerus?«

Der rechtschaffene Mönch wußte Julians Scrupel glücklich zu beseitigen, und da bei diesem die Neugierde, an deren Verleugnung er jetzt nicht gleich dachte, auch [101] das ihrige that, so ward die Sache beschlossen und noch am nämlichen Tage der Anfang zur Ausführung gemacht.

Die bekümmerte Rosamunde war leicht zu einem Schritte zu bewegen, der Personen ihres Zustandes gewöhnlich großen Trost gewährt. Einem Manne, ausgerüstet mit den göttlichen Vorrechten, zu vergeben und zu beruhigen, sich zu entdecken, war für die Bedrängte, die unter der Last des Kummers zu Boden zu sinken meinte, ein willkommener Vorschlag.

Rosamunde machte sich eines Tages nach dem Augustinerkloster auf, und verlangte, wie man vermuthet hatte, nicht den Pater Prior, sondern einen Mönch zu sprechen, welcher seit wenigen Tagen als Gast in diesem Kloster war, und es eben sobald wieder zu verlassen gedachte. Man konnte hieraus schließen, wie theuer ihr ihr Geheimniß, und wie besorgt sie war, es Niemanden zu entdecken, als Einem, der auf keine Weise gefährlich werden konnte.

Der Prior hatte Sorge getragen, daß sie keinen Andern fand als denjenigen, den et allein zur Wissenschaft ihrer Geheimnisse berechtigt glaubte, und die Düsterheit des Beichtgewölbes, nebst der herabgezogenen Kapuze des Beichtvaters, machte es ihr unmöglich, die unschuldige Täuschung zu entdecken.

Sie brach in einen Strom von Thränen aus, als sie die Lippen öffnen wollte, ihr Geständniß zu beginnen, und diese Thränen fielen so heiß auf das Herz des Beichttigers, [102] daß auch er zu weinen anfing, und dadurch das volle Zutrauen der knieenden Sünderin erlangte.

»Ihr seid so barmherzig, mein Vater,« sagte sie, als sie zu reden vermochte, »als derjenige, dessen Stelle ihr vertretet, und dies macht mir Muth, euch nichts zu verschweigen. Ihr sollt ein umständliches Bekenntniß von dem haben, was mein Gewissen drückt, damit ihr mir gründlich rathen könnt. Was hülfe es mir auch am Ende, euch kurz zu sagen, daß es Blutschulden sind, die ich auf der Seele habe, daß eine zwiefache Mörderin sich jetzt zu euern Füßen windet?«

»Blutschuld?« rief Julian, der sich zu verstellen vergaß, mit einer Stimme, welche nur der Ton des Entsetzens unkenntlich machen konnte!

»Ach,« erwiederte sie, »ihr zittert schon bei dem bloßen Namen meines Verbrechens, was wird geschehen, wenn ihr es erst ganz kennen werdet? – Doch mein Bekenntniß ist lang, und ich muß wissen, ob mir hinlängliche Zeit gegönnt werden wird, es abzulegen.«

Julian, welcher vor Entsetzen kaum sprechen konnte, versicherte ihr mit wenig Worten, daß es seine Pflicht sei, ihr Bekenntniß ganz zu hören, und richtete sie von dem Boden auf, wo sie knieend lag, damit sie ihre Geschichte desto bequemer erzählen könnte. »Gott! Gott!« sagte er zu sich selbst, als er ihr schönes mit Thränen überschwemmtes Gesicht, voll Züge sprechender Unschuld betrachtete, »dieser Engel eine Mörderin? – Doch wir sind [103] gut gepaart; auch an meinen Händen haftet Blut, und wir können nur hingehen, und mit einander büßen!«

»Mein Vater,« fing jetzt Rosamunde an, die ihre Thränen getrocknet und sich ein wenig erholt hatte, »die Wege zum Verbrechen sind gar sehr verschieden; werdet ihr wohl glauben, daß diejenigen, welche ich gegangen bin, Unschuld, die keine Gefahr kannte, und höchstens etwas Eitelkeit waren?

Ich spottete vormals oft derjenigen, welche behaupteten, Gelegenheit sei die Mutter der schwärzesten Verbrechen, und ein eitler Wunsch, vom Schicksal im Augenblick des Zorns erhört, könne uns unwiederbringlich elend machen: jetzt habe ich Beides erfahren. Höret meine Geschichte von dem Zeitpunkte an, da ich durch einen übereilten Wunsch den ersten Schritt zu meinem Unglück that.

Ich und meine beiden Muhmen, Marie und Hildegard, welche mit mir in meines Vaters Hause erzogen wurden, waren drei junge Dirnen, an Jahren, Unschuld und frohen Hoffnungen gleich. Der erste Tag des Maies lockte uns einst ins Freie; die blühende Natur goß Freude in unsre Seelen, und die Gesänge der Vögel munterten uns zu frohen Liedern auf. Wir sangen, wanden Kränze und scherzten mit einander nach der Weise junger Mädchen darüber, welche von uns den Brautkranz am ersten tragen würde. Das Spiel der Wünsche fing an, und wir wurden nach einigem Bedenken einig, einander den Hauptwunsch unsers Herzens im Ernst zu gestehen, und dann [104] seine Erfüllung unsern Schutzheiligen nach der Weise des Spiels angelegentlich zu empfehlen.

Ich, sagte ich, muß es euch gestehen, bin es überdrüßig, hier im Dunkeln ungesehen zu blühen. Daß ich schön bin, sagt mir manches Auge, aber keines dieser Augen steht hoch genug, um mir zu gefallen; ich wünschte wohl, daß der größte Herr dieser Gegend mich sehen und lieben möchte, dann wollte ich die große Frau spielen und stolz auf euch andere herabsehen.

Hm, versetzte Hildegard, wär' ich so schön wie du, so hielt ich es nicht der Mühe werth, einen solchen Wunsch zu thun! Wo Schönheit ist, bleibt Bewunderung, Rang und Glück nicht außen. Schönheit, Schönheit ist mein Wunsch! O heilige Hildegard, meine Namensträgerin! erfülle mir ihn, und mache mich so schön, als dein Bild auf dem Hochaltar in unserer Kirche häßlich ist, dann will ich mit einem einzigen meiner Blicke meine Gespielinnen um all' ihre Eroberungen betrügen!

Wir lachten über den Enthusiasmus, mit welchem die Dirne sprach, und es fiel uns bei unsern Lachen und Scherzen erst spät ein, unsre dritte Gespielin um ihren Wunsch zu fragen. Maria, die wir wegen ihrer Stille und Sittsamkeit nur immer die Nonne zu nennen pflegten, fing nach einer Weile an: Ihr müßt mir verzeihen, daß ich mich diesmal von eurem Spiel ausschließe, denn ich mag sinnen, wie ich will, so will mir keiner der Wünsche, die sich etwa in meinem Herzen regen, gut genug sein, ihn über meine Lippen kommen zu lassen. Sich den Brautkranz [105] zu wünschen, hat wohl keine mehr Ursache als ich, da mir der Schleier bestimmt ist, zu welchem ich, ihr mögt mich nun zehnmal die Nonne nennen, so wenig Neigung habe als ihr; auch wüßte ich wohl, wen ich mir zum Gemahl wünschen wollte, doch fern sei es von mir, einen kühnen Wunsch zu thun! – Schön möchte ich wohl auch sein, denn es ist mir im Grunde nicht gleich, daß ich, wenn ich in eurer Gesellschaft irgend wo bin, immer unbeachtet gelassen werde und daß man nur euch Aufmerksamkeiten erweißt; aber noch einmal, ich wünsche nichts. Das Glück wird wohl kommen, wenn es mir beschieden ist, und kommt es nicht, nun gut, so bin ich auch zufrieden. Ich wäre des großen Namens meiner Schutzheiligen nicht werth, wenn ich ihr nicht in stiller hoffender Gelassenheit gleich werden, und das Uebel, das mir vielleicht einmal bestimmt ist, geduldig übernehmen wollte.

Seht doch die Predigerin! rief Hildegard, aber sie soll uns die lange Weile, welche uns ihre Moral machte, durch das Geständniß des Namens ihres Erwählten bezahlen, den sie zu verschweigen sucht.

Ich will ihn euch nennen, sagte Marie, doch mit der Bedingung, daß keine von den unsichtbaren Mächten, die uns vielleicht umschweben, das, was ich von dem, der mir gefällt, gesagt habe, für Wunsch annehme, und mir ihn, vielleicht zu meinem Nachtheil erfülle. Der, der mir dem Rufe nach, (gesehen habe ich ihn nie) vor allen andern gefällt, ist der Lehnsherr meines Vaters, Julian [106] von Eckardsberg. O was sagt die Welt nicht Alles von seiner Güte und Frömmigkeit! wie glücklich würde ich mit so einem Engel leben! Meint ihr nicht, daß dieser gute Jüngling sich wohl für eure stille Marie schicken würde?

O ja, sagte Hildegard, ein Engel und eine Heilige wären ein treffliches Paar! und würde dein Wunsch erfüllt, so hättest du gerade Alles erlangt, was wir mit den unsrigen zu erreichen suchen.

Ich wiederhole nochmals, sagte Marie, daß ich nichts gewünscht habe; ich bin zu unwissend, um zu errathen, ob die Erfüllung meines Wunsches ein Glück für mich sein würde. –

Ich schwieg zu dem Gespräch der beiden Mädchen, doch fiel mir der Name des jungen Mannes, dessen Vasallen unsere Väter waren, aufs Herz; er war unstreitig der größte Herr in unserer Gegend, und ich hatte mir in ihn den Worten, die ich Anfangs sagte, gewünscht, ohne es zu wissen, oder zu bedenken.

Es muß Stunden geben, wo der Himmel geneigt ist, jeden unvorsichtigen Wunsch zu erfüllen, wenigstens scheint mein und Hildegardens Beispiel es zu beweisen. Sie erfuhr die Folge ihres dringenden Gebets um Schönheit zuerst, denn die Veränderung, welche man in wenig Wochen an ihr wahrnahm, war außerordentlich. Sie war nie häßlich gewesen, aber nun wurde sie entzückend. Ohne etwas von ihren Zügen zu verlieren, ohne unkenntlich zu werden, verwandelte sie sich in eine ganz andere Person. Ihre Augen bekamen ein Feuer, das [107] sich Jedem, der sie anblickte, ins Herz stahl, ihre Wangen blühten mit höherm Roth, ihre Locken drangen mit verschwenderischem Wuchs unter ihrem Schleier hervor, ihre Züge und ihre Gestalt verfeinerten sich, und ihr ganzes Wesen nahm eine Anmuth an, welche man mit Recht unwiderstehlich nennen konnte.

Doch blieb es immer bei Allen, die sie sahen, bei bloßer Bewunderung, und keine ihrer Bemühungen, ein Herz auf ewig zu fesseln, gelang. Ueberhaupt schien es mir, als habe Hildegard durch ihre Schön heit mehr verloren als gewonnen. Das Bewußtsein ihrer Vorzüge gab ihr ein stolzes Wesen, welches die Wirkungen ihrer Reize vernichtete. Koketterie und Eitelkeit wurden die Hauptzüge ihres Charakters. Ihr Herz und ihre Sitten verschlimmerten sich, und statt des Gebetbuchs oder der Spindel, sah man immer nur den Spiegel in ihrer Hand; doch trennte dies unsre Freundschaft nicht, und sie und Marie, so verschieden auch unsre Gesinnungen waren, blieben immer meine unzertrennlichen Gefährtinnen.

Um diese Zeit war es, daß der Herr von Eckardsberg in unser Haus kam, sich eine Gattin zu wählen. Keine von uns war gleichgültig bei der Sache, jede hatte ihre Wünsche und Hoffnungen, aber keine war lauter und zuversichtlicher mit denselben, als Hildegard. – Sie irrte sich, er ging vor ihr vorbei und wählte mich. Welches ihre Empfindungen hierbei waren, kann ich euch nicht sagen, nur die Folge hat mich sie muthmaßen lassen.

Wir gingen am Tage nach der Entscheidung meines [108] Glücks unsern gewöhnlichen Weg durch Flur und Wald, und Hildegard war die erste, welche das Stillschweigen brach.

Für eine Neuverlobte, sagte sie, bist du ziemlich trübsinnig.

Ja, Hildegard, erwiederte ich, das bin ich. Ich habe nun erlangt, was ich wünschte, bin die Braut des größten Herrn im Lande, aber ich fühle mich doch nicht ganz glücklich, denn mein Bräutigam gefällt mir nur halb; sein ernstes, blödes Wesen stößt zurück, er wird durch jeden verdunkelt, der neben ihm steht, selbst durch seinen zierlichen Diener Robert.

So würdest du diesen lieber gewählt haben?

Ja, wenn er Julian von Eckardsberg wäre?

Was thut der Name! nimm den Robert, und überlaß mir deinen Julian! – Hildegard, welch ein Vorschlag! Fast sollte ich glauben, Neid über mein Glück habe dir ihn eingegeben.

Neid? nein, mein Kind; beneidet dich Jemand, so bin ich es nicht, sondern unsre stille fromme Marie.

Marie hatte die ganze Zeit über geschwiegen, und in ihren Schleier gehüllt vor sich niedergesehen. Jetzt erhob sie ein paar vom Weinen getrübte Augen, und wandte sich zu mir. Ja, Rosamunde, sagte sie, ich gestehe es, ich halte dich neidenswerth, wegen eines Glücks, das du nicht zu schätzen weißt. Julian wäre ganz derjenige gewesen, den ich gewünscht hätte; selbst das, was du Fehler nennst, sein Ernst, seine Zurückhaltung würden in [109] meinen Augen Vorzüge sein. Aber glaube nicht, daß ich einer Neigung nachhängen werde, die ich für Thorheit halte, da sie vergeblich ist; sie soll mir leicht zu besiegen sein, und um hierzu den Anfang zu machen, verlasse ich morgen dieses Haus, und beziehe das Kloster, wo du mich bald völlig getröstet wieder finden wirst.

Mariens Geständniß war edel; wir sanken einander in die Arme, und sagten uns tausend zärtliche Dinge, indeß Hildegard mit verbissenen Lippen und einer Miene dastand, welche unerklärbar war.

Nach Mariens Abschied, welchen sie nicht lange verschob, quälte mich Hildegard unaufhörlich mit den flüchtigen Worten, welche mir zu Roberts Besten entwischt waren; es war lächerlich! Ich wußte, was ich meinem Bräutigam schuldig war, und würdigte keinen Andern eines Anblicks.

Mein Herz gewöhnte sich an meinen stillen Bräutigam, an dem ich nichts auszusetzen fand als die Kälte, mit welcher er mir begegnete; doch man sagte mir, Temperament, nicht Mangel an Liebe sei die Ursache seines Betragens, und ich gab mich zufrieden.

Die Botschaften, die er mir täglich durch Robert thun ließ, ersetzten Alles; doch hütete ich mich wohl, sie selbst von diesem anzunehmen, weil ich Hildegardens Spott fürchtete, und überließ es ihr, Alles, was mir mein Verlobter sagen ließ, anzuhören und zu beantworten.

Endlich, sagte sie eines Tages zu mir, endlich scheint doch das kalte Herz deines Julians aufzuthauen. Robert [110] sprach heute viel von dem Feuer, mit welchem dein Bräutigam dich liebt und von seiner Ungeduld, dich allein zu sprechen; er hat künftige Nacht zu einem geheimen Besuch bei dir bestimmt, und ich habe ihm versprochen, du würdest zu seinem Empfange bereit sein.

Wie, Hildegard, schrie ich, ein nächtlicher Besuch? wie verträgt sich das mit der Sitte züchtiger Jungfrauen? und so etwas konntest du in meinem Namen bewilligen? – Nun gut, was du versprochen hast, magst du auch selbst halten; ich werde diese Nacht in dem Zimmer meiner Mutter schlafen.

Auch gut, versetzte die Freche, ich habe längst bemerkt, daß mich der Herr von Eckardsberg nicht mit ungünstigen Augen betrachtet, und vielleicht wird es mir nicht schwer werden, dich bei einer Privatunterhaltung gänzlich zu verdrängen.

In diesem Tone fuhr meine falsche Freundin den ganzen Tag fort, suchte durch künstlich geschraubte Worte bald meine Eifersucht, bald meine Liebe zu erregen, bald mir das Unschickliche einer Nachtvisite hinwegzuräsonniren, und bald sich auf eine schlaue Art zu stellen, als ob sie meinen Gründen nachgäbe und ihren Vortheil daraus ziehen wollte, bis ich endlich, kurz vor der bestimmten Stunde, mich entschloß, Julian in meinem Kämmerlein zu erwarten, und zu hören, was er, der mich alle Stunden öffentlich sehen konnte, mir insgeheim zu sagen habe.

Es war eine dunkle, stürmische Nacht, von keinem[111] Mondenlicht erhellt; auch in meiner Kammer war es dunkel, weil Hildegard aus Versehen meine Lampe mit sich genommen hatte. Ich hörte den Finger meines nächtlichen Besuchers an der Thür, und zog leise den Riegel hinweg, ihn einzulassen. Mit zitternder Blödigkeit trat er über die Schwelle, und stammelte mit kaum hörbarer Stimme Entschuldigungen seiner Zudringlichkeit. Nach und nach wagte er, sich mir zu nahen. Er sprach jetzt, immer noch flüsternd, von unserer nahen Verbindung und von seiner Liebe in einem so feurigen, leidenschaftlichen Tone, daß ich ganz entzückt davon war. – O Julian! Julian! rief ich, wie hätte deine Braut bisher glauben können, so von dir geliebt zu werden! – Dir dies zu entdecken, sagte er, war der Zweck meines nächtlichen Besuchs; das Licht ist eine Feindin der Liebe.

Mein Herz fing an, lauter für meinen Verlobten zu schlagen, da ich sah, daß das seinige nicht von Eis war, und die Nacht entfloh uns unter dem süßesten Geplauder der Zärtlichkeit. Der Mond, welcher erst gegen Morgen aufging, warf einen Blick in meine Kammer, als ich mich eben aus einer zu feurigen Umarmung meines Geliebten loswand und ihn an den Abschied erinnerte. Ein Lichtstrahl fiel auf sein Gesicht und entdeckte mir, daß nicht Julian, sondern der treulose Robert, in den Kleidern meines Bräutigams, derjenige war, mit welchem ich die Stunden der Einsamkeit getheilt hatte. Ich stieß ein lautes Geschrei aus und bot alle meine Kräfte auf, [112] mich von ihm loszureißen. Aber umsonst; er setzte jetzt Julians Blödigkeit ganz aus den Augen, und umschloß mich mit einer Stärke, die mir den Athem benahm Sträube dich nicht, schönes Mädchen! schrie er, ich weiß es, du vergißt deinen ungeliebten Bräutigam gern in meinen Armen; der wackre Robert gefiel dir gleich Anfangs besser als der blöde Julian. Dank sei es der Freundin, die mir mein Glück entdeckte, und die mir diese Gelegenheit gab, es vollkommen zu machen!

Ich verdoppelte mein Geschrei, und er versicherte mir, daß Hildegard Sorge getragen habe, daß es von Niemand vernommen werden könne. Die Kraft meiner Arme, mit welcher ich mich den seinigen zu entreißen strebte, ließ nach; ich vermochte nur soviel, eine große stählerne Nadel aus meinem Haar zu ziehen, und mich mit derselben seines Ungestüms zu erwehren; ein Stoß mit derselben gerieth so glücklich, oder so unglücklich, daß er mich auf ewig von meinem Verfolger befreite. Seine Hände ließen von mir ab, ich fühlte mich von seinem warmen Blute überströmt, er strauchelte, und sank mit einem unartikulirten Lallen zu Boden.

Ich weiß nicht, wie mir nach dieser schauervollen Begebenheit geschah. Ohne Zweifel vergingen auch mir die Sinne, und ich lag eine geraume Zeit neben dem, den ich der Treue für meinen Verlobten zum Opfer gebracht hatte. Hildegardens Stimme war es endlich, die mich erweckte. Sie ließ mir keine Zeit zu den Vorwürfen, die ich ihr zu machen Ursache hatte, da ich sie für die Urheberin [113] dieses ganzen Handels halten mußte, sondern gab mir selbst alle die schrecklichen Namen, die mir mein eignes Gewissen zurief. Ohne Zweifel war ein solcher Ausgang nicht ihre Absicht gewesen; sie wünschte nichts, als mich durch die Hand des ruchlosen Robert von meinem Bräutigam zu entfernen, und dann an meine Stelle zu treten, weil die Ehre, Frau von Eckardsberg zu heißen, ihr das höchste Ziel zu sein dünkte, welches ihre Eitelkeit je erreichen konnte.

Doch war sie es selbst, welche, nachdem der erste Sturm vorüber war, mir die Nothwendigkeit zeigte, die schreckliche That zu verbergen, zu welcher ich, wie sie jetzt selbst gestand, unverschuldet gekommen war. Sie schlug mir vor, den Körper des Ermordeten in einen verfallnen Brunnen zu schleppen, wollte sich aber unter keiner andern Bedingung verstehen, mir bei dieser Arbeit, die für meine Kräfte zu schwer war, einige Hülfe zu leisten, als bis ich ihr die Gewährung einer freien Bitte verspräche, die sie mir an meinem Hochzeittage nennen wollte. Ich sagte ihr Alles zu, was sie verlangte, und wir benutzten die letzten Stunden der Nacht, die grauenvolle That zu verbergen, die sich in ihren Schatten zugetragen hatte.

Man vermißte am Morgen den Bösewicht, der sich an der Verlobten seines Herrn hatte vergreifen wollen; auch in unserm Hause geschah Nachfrage, mein Gewissen mahnte laut, ich sollte die unglückliche That bekennen, aber Hildegard wehrte mir, und brauchte tausend einschläfernde Mittel, mich zu beruhigen.

[114] Der Tag meiner Hochzeit kam heran, und ich trat mit tief verwundeter Seele zum Altar; der Schatten des Ermordeten umschwebte mich überall, trug mir beim Brautzuge die Fackel vor, und drängte sich zwischen meinen Verlobten und mich, als der Priester unsere Hände in einander legte.

Zum Vortheil gereichte mir die Sitte unsers Landes, welche den Bräuten bei dem Hochzeitmahl den Schleier gönnt; wie sehr würde sonst meinem Gemahl die Verzweiflung befremdet haben, die auf meinem Gesicht geschrieben stand!

Mache dich gefaßt, sagte Hildegard, die mich am Abend entkleidete, sobald du mit deinem Bräutigam allein bist, ihm alle Fragen zu beantworten, die er dir über diese rothgeweinten Augen und über dein seit einiger Zeit so seltsames Benehmen vorlegen wird, das ihm gewiß aufgefallen ist. Pfui der Schande! so wenig sich bemeistern zu können, daß Jeder unsre Gefühle in den Augen lesen muß. Welches denkst du wohl, das dein Loos sein wird, wenn Julian nun die That erfährt, die er, ein lebendiger Heiliger, nicht so entschuldigen wird, wie er sollte? – Verächtliche Verstoßung und das Kloster!

Ich weinte bei dieser Rede noch heftiger, und rief mit gerungenen Händen: O Gott, was soll aus mir werden! O daß eine menschenfreundliche Seele meine Vertheidigung auf sich nehmen, oder geschickt genug sein [115] möchte, das, was nie offenbar werden darf, in ewiges Dunkel zu hüllen.

Du erinnerst dich, sagte Hildegard, daß ich dir in jener Nacht, deren Begebenheiten ich dir nicht wiederholen will, meine Hülfe unter einer Bedingung gewährte, die du nun erfüllen mußt. Die freie Bitte, welche ich mir bei dir ausbedung, zielte auf dein eignes Bestes. Gieb mir deinen Schleier und dein Nachtgewand, ich will an deiner Statt zu deinem Bräutigam hineingehen und deine Sache führen, wenn es Noth thut, – dies ist es, was ich von dir fordern wollte, und ich denke wohl, du wirst nichts dawider einzuwenden haben. – Daß ich mein Incognito zu behaupten wissen werde, brauche ich dir nicht zu sagen.

Thue, was du willst, rief ich, indem ich meinen Schleier und mein Gewand ablegte und ihr Beides überwarf, nur rette mich von der Angst, die mich befallen würde, wenn mich Julian jetzt um die Ursache der Thränen fragen sollte, die seinen Augen nicht gänzlich entgangen sein können. In einer Stunde schleiche ich hinein, dich abzuholen, damit der Tag nicht unsern Betrug entdecke.

Hildegard hüllte sich in meine Kleider und eilte in das Brautgemach, an dessen Schwelle ich mich niedersetzte, um mich in der Zeit, die mir noch zu meiner Erholung gegönnt war, völlig zu fassen, und dann zu sehen, was meine Fürsprecherin zu meinem Besten ausgerichtet hätte.

Der Morgen brach an, ehe ich es wagen konnte, in das Zimmer zu schleichen; endlich öffnete ich leise die [116] Thür und trat vor das Bett. Julian und Hildegard schliefen, ohne mich gewahr zu werden. Ich weckte leise meine Freundin und fragte, wie sie meine Sache geführt habe.

Nicht ein Wort ist deinetwegen unter uns gewechselt worden, sagte Hildegard.

O wie gut! rief ich, und nun siehe, ich bin gefaßt, ich habe mein Herz beruhigt. Ich werde morgen meinem Gemahl ganz so begegnen können, wie ich muß. Auch hoffe ich, die Zeit wird mich endlich beruhigen, Roberts Schatten mich endlich zu verfolgen aufhören. Gott weis, ich handelte, wie ich mußte!

Aber stehe auf, siehe, der Tag bricht an, Julian könnte erwachen, dich entdecken, und unsern verborgenen Händeln auf die Spur kommen. Der Morgen ist schön, komm mit mir ins Freie, dort will ich dir noch ganz danken für all die Freundschaft, die du mir erzeigtest.

Aber Hildegard lachte, und sagte, daß diese Entdeckung nur mir, nicht ihr schädlich sein könne.

Stehe auf! rief ich nochmals, mein Gemahl möchte sonst dir und mir übel danken.

Dein Gemahl? sagte sie, wer ist dein Gemahl? Glaubst du noch einigen Anspruch auf Julian zu haben, den du verachtest, ihn um eines Roberts willen verschmähen konntest?

O Gott! rief ich, was sind dies für Reden? stehe auf, um Gottes willen, und mache dich und mich nicht unglücklich.

[117] Und ich werde bleiben, sagte sie, um dir zu zeigen, daß das Schicksal nicht dir, sondern mir das Glück beschied, die vornehmste Frau im Lande zu werden. Entferne dich augenblicklich, wenn du nicht willst, daß ich die Begebenheiten jener Nacht, da du meine Hülfe brauchtest, meinem Gemahl vollkommen auf die Art erzähle, wie es mir selbst beliebt.

Ich rang weinend und schluchzend die Hände, und Hildegard wandte sich auf die Seite und fing an so ruhig zu schlafen, als ob sie von dem bösen Spiel, das sie angerichtet hatte, nichts besorgen dürfe. Auch Julian schlief fort, ohne zu erwachen, und ich schlich unruhig auf und ab, ohne zu wissen, was ich in dieser seltsamen Verlegenheit zu thun habe, bis mir endlich mein böser Geist den Einfall in den Sinn gab, eine von den Fenstergardinen in Brand zu stecken, dann Feuer zu schreien, und in der Unruhe, welche hierüber entstehen würde, die Verwirrung wieder gut zu machen, die Hildegardens Bosheit angerichtet hatte.

Mein Anschlag glückte vollkommen, aber er kostete meiner beklagenswerthen Muhme das Leben. Das Feuer loderte hell empor. Mein Geschrei erweckte meinen Gemahl. Ich drängte mich dicht an seine Seite. Er glaubte, daß ich mich so eben erst, gleich ihm vom Feuer aufgeschreckt, vom Lager erhoben hätte. Er faßte mich in seine Arme, und trug mich aus dem mit Rauch und Flammen angefüllten Zimmer; er wußte nicht, daß hier noch eine dritte Person sei, für deren Leben zu sorgen war.

[118] So bald ich mich von der raschen That erholt hatte, dachte ich an Hildegarden, aber Niemand wollte von ihr etwas gehört haben. Meine Verzweiflung über ihren wahrscheinlichen Tod, an welchem ich schuld war, preßte mir Klagen aus, die leicht alle Geheimnisse der Finsterniß hätten verrathen können, welche ich auf dem Herzen hatte; aber wer hätte Dinge dieser Art nur muthmaßen können? Man bemühte sich, mich zu trösten, und schob meinen ganzen Gram auf den unglücklichen Verlust einer geliebten Gespielin, ohne zu wissen, daß ich sie selbst dem gräulichen Flammentode geopfert hatte.

Ach, unaussprechlich sind die Qualen, die ich seitdem leide! Die Schatten meiner Ermordeten schweben unabläßig vor mir, doch ängstigt mich Hildegardens Geist weniger, als das Gespenst des unglücklichen Robert, das jede Nacht sich auf mein Lager schmiegt, mich mit seinen kalten Armen umfaßt, und mir die blutende Wunde zeigt, welche ihm meine Hand versetzte! – –«

Rosamunde weinte sehr nach Endigung ihres grauenvollen Bekenntnisses, auch Julian weinte, und ließ sie vergebens auf die Lossprechung von ihren Sünden warten. Theils scheute er sich, die heiligen Worte mit ungeweihten Lippen auszusprechen, theils war er zu sehr über das, was er vernommen hatte, außer sich, als daß er hier hätte trösten oder rathen sollen. Alles, was er that, war, daß er Rosamunden rieth, gen Eisleben zu ziehen, und sich da bei dem neunzigjährigen Franziskaner Raths zu erholen, dem er einst seine Sünden bekannt hatte, [119] und der, wie er hoffte, vielleicht bessern Trost und Rath für sie haben möchte, als er für ihn gehabt hatte.

So kam also Rosamunde ungetröstet nach Hause, und fand ihren Gemahl, der vor ihr daselbst angelangt war, in einem noch viel schrecklichern Zustande. Was mußte eine solche Geschichte, wie die ihrige, für Eindruck auf die Seele eines Julian machen!

Rosamunde zog nach Eisleben, um sich Trost bei dem Franziskaner zu holen. Ihr Bekenntniß, das sie ihm that, war nicht so umständlich, als das, welches sie, ohne es zu wissen, ihrem Gemahl abgelegt hatte, und des Franziskaners Rath war eben so unbestimmt, wie der, welchen er einst jenem ertheilt hatte. Nur die härtesten Büßungen, die strengsten Verläugnungen und Ueberwindungen sollten ihre Sünden abwaschen können, und sie sollte deshalb fortwährend auf Kasteiungen sinnen.

Julian hatte über die Vergehungen seines unglücklichen Weibes fast seine eignen Leiden vergessen; nur in den Augenblicken, wo er geneigt war, die Arme zu streng zu richten, kamen sie ihm wieder in den Sinn, und er dachte, daß es eine neue Stufe der Verläugnung und Ueberwindung sei, sich nicht von einer Person zu trennen, die den Glanz einer Heiligen, in welchem sie früher vor ihm schwebte, so ganz verloren hatte.

Wäre er aufrichtig gegen den Prior gewesen, so würde er vielleicht die unschuldige Sünderin milder haben beurtheilen lernen, aber dieser erfuhr wenig von Rosamundens [120] Beichte, und konnte also auch wenig rathen und helfen.

Julian fühlte jetzt zuweilen eine neue Art von Anfechtung. Die stille Marie, welche, wie er aus Rosamundens Geschichte wußte, einst eine so herzliche Zuneigung zu ihm hegte, und sie so heldenmüthig überwand, sie, für die er einst selbst, bei ihrem ersten Anblick, ein größeres Wohlwollen, als für ihre schönen Gespielinnen gefühlt zu haben glaubte, kam ihm oft in den Sinn; er schilderte sich die seligen Tage, die er mit dieser unschuldigen Seele verlebt haben würde, und trauerte, jenesmal so unglücklich gewählt zu haben. Warf er denn wieder die Augen auf sein unglückliches trauerndes Weib, die er unmöglich hassen konnte, so ward er von einer andern Seite auf das schrecklichste gefoltert, und es kam mit ihm endlich dahin, daß er an keinem Orte Ruhe fand.

Zu seiner innern Qual kamen noch äußerliche Leiden. Der gute Prior, er, der noch am ersten im Stande war, Balsam in seine Wunden zu gießen und seinen schwankenden Schritten zum Führer zu dienen, ward von einer ansteckenden Krankheit hingerafft, welche die Gegend umher verwüstete. Der Sage nach war diese Seuche eine Folge von den nächtlichen Besuchen der wüthenden Dämonen, von welchen diese Gegend noch immer heimgesucht wurde, ungeachtet der gutmüthige Julian sich aufgeopfert hatte, dieselben zu verbannen.

Dem Verluste seines Freundes folgte der Verlust seiner Güter. Flammen verzehrten seine Schlösser, Hagel [121] und Ungewitter verdarben seine Erndten, nicht blos freiwillige Entsagung, sondern Nothwendigkeit war es, die ihn endlich aus seinem Geburtslande trieb, um in der weiten Welt als wandernder Fremdling umher zu irren.

Rosamunde, welche ihren Gemahl zu aufrichtig liebte, um ihn in den Tagen der Noth zu verlassen, und die, so wie er, von heißer Begierde getrieben ward, durch mannichfaltige Büßungen sich von ihren Missethaten zu reinigen, ergriff gern nebst ihm den Pilgerstab, und wanderte als eine treue Gefährtin an seiner Seite durch alle Gegenden Germaniens, in welche ihn sein Schicksal trieb.

Es ist unmöglich, euch, meine Leser, in den wenigen Blättern, die ein Märchenerzähler füllen darf, ohne lästig zu werden, Alles mitzutheilen, was diesem unglücklichen Ehepaare auf seinen Wanderungen zustieß. Nur so viel muß ich euch sagen, daß sie sich durch tausend Uebungen der größten Heldentugenden aus dem Stande der Sünder, zu welchem ihre Vergehungen sie erniedrigt hatten, schnell zum Range der Heiligen erhoben, und daß die Glorie wirklich, nur ihnen unsichtbar, schon lange um ihre Häupter schwebte, als sie noch immer im Staube ihre Sünden beweinten, und von der Nothwendigkeit schmerzhafter Büßungen träumten.

Die wundervolle Begebenheit, bei welcher sie die letzte Probe ihrer Verläugnung ablegten, und die ihnen die volle Ueberzeugung von dem Ende ihrer Prüfungen gab [122] ist indessen zu wichtig, ganz übergangen zu werden, und ich will sie euch daher mittheilen.

Nach jahrelangen Wanderungen war das büßende Ehepaar an die Gränzen von Frankreich gekommen, einer Gegend, welche Julian als das Geburtsland seiner Väter liebte und zu durchreisen gedachte. Sie bauten sich Hütten am Ufer eines gewaltigen Stroms, der Germanien und Gallien damals zur Gränzscheidung diente. Ihr Geschäft war es nicht, wie es bei den Einsiedlern gewöhnlich der Fall ist, sich durch müßige Gebete den Unterhalt abzustehlen, nein, sie waren gewissenhaft genug, sich denselben durch die Arbeit ihrer Hände zu erwerben, und so sparsam von ihrem Erwerb zu leben, daß sie immer noch genug übrig hatten, den Dürftigen und Verschmachtenden zu bedenken.

Eine ihrer Hauptbeschäftigungen war, in der wüsten Gegend, welche sie bewohnten, den verirrten Reisenden aufzunehmen, und des kranken Pilgers zu pflegen. Tausende betraten matt und elend ihre Hütte, und verließen sie so munter und gestärkt, daß man schon damals anfing, St. Julian bei lebendigem Leibe zum Schutzpatron der einsamen Waller zu machen.

In einer der stürmischsten Nächte des Wintermonats, als das heilige Ehepaar, von Geschäften der Wohlthätigkeit ermüdet, sanft schlummerte, ohne von dem Geheul des Nordwinds, der ihre schlecht verwahrte Wohnung umzureißen drohte, geweckt zu werden, erwachte Julian von dem Winseln und dem Hülferufe eines Nothleidenden, [123] der laut genug ertönte, um trotz des brausenden Sturmes gehört zu werden. –

Julian erhob sich eilig von seinem Lager und zündete die Leuchte an, ungeachtet Frau Rosamunde ihn durch Bitten zurück zu halten suchte. »Es ist,« sagte sie, »vielleicht einer von den Wölfen des nahen Waldes über das Eis herüber gekommen, und sucht uns, wie diese Unholde zu thun pflegen, durch erkünsteltes Wimmern zu täuschen und dann zu erwürgen. Oder ein boshaftes Nachtgespenst lauert in Menschengestalt, dich zu verderben, und dann sich deines verlassenen Weibes zu bemächtigen, oder ein Räuber, der in der Wohnung der Wohlthätigkeit Schätze vermuthet, sucht sich durch List herein zu schleichen und uns zu ermorden. –« Aber Julian, welcher sich während dessen zur Nothdurft bekleidet hatte, achtete nicht auf die Warnungen seines Weibes, sondern öffnete die Thür, und leuchtete in die stürmische Nacht hinaus, um zu sehen, wer seiner Hülfe bedürfe.

Er erblickte Niemand, doch das Wimmern eines Sterbenden tönte ihm aus weiter Ferne immer bänger und bänger entgegen. Der ausgetretne, mit Eis belegte Strom hatte den Weg bis dicht an seine Hütte mit Spiegelglätte überzogen, die den Schein seiner Leuchte verrätherisch zurück gab. Kein fester Schritt ließ sich auf dem glatten Boden thun, doch eilte der wohlthätige Heilige herzhaft hinüber, durch die schneidende Kälte, wohin ihn die Stimme des Nothleidenden rief.

[124]

Der Wiederhall täuschte ihn, er irrte die halbe Nacht vergebens umher, weil es ihn immer von verschiedenen Seiten zu rufen schien, bis er endlich, kurz vor Tagesanbruch, auf dem jenseitigen Ufer des Stromes, dessen Eisdecke er nicht ohne Gefahr so oft betreten hatte, eine kaum noch athmende Menschengestalt erblickte, die er ohne weiteres Bedecken, was hier zu thun sei, auf die Schultern lud, und mit seiner Last den gefährlichen Eisweg von Neuem begann. Seine Leuchte verlöschte, er sank mehrmals unter seiner immer schwerer werdenden Bürde nieder und raffte sich mühsam auf, weil der Frost und die Anstrengung seine Glieder fast eben so starr gemacht hatte, als derjenige war, den er zu retten suchte.

Indessen sah Rosamunde der Rückkehr ihres so ungewöhnlich lange ausbleibenden Gemahls ängstlich entgegen; nur ihre eigne Schwachheit konnte sie abhalten, ihm nachzugehen und seine Gefahren zu theilen; auch war sie wirklich im Begriff, sich so gut als sie vermochte zu ererheben, als sie die Thür öffnen hörte und ihren Gemahl beim Schein ihrer Lampe mit seiner Bürde hereintreten sah.

»Ich fürchte,« sagte er, indem er den Kranken sanft von den Schultern herabließ, »ich bringe euch einen Toden. Ich selbst bin halb todt vor Kälte, wie sollte der Frost in diesem schwachen Körper noch einen Lebenshauch übrig gelassen haben!«

[125]

»Ach nein,« sagte der Kranke, mit widrig klingender, krächzender Stimme, »ich bin nicht todt oder dem Tode nahe; ein gewärmtes Bett wird mir Leben und Kräfte wieder geben. Laßt mich an die Seite eures Weibes legen, daß mein kranker Körper durch ihre Wärme geheilt werde.«

Julian bebte ob dem unbescheidenen Verlangen des Pilgers, dessen Erfüllung durch einen Umstand, den er eben beim Lichte entdeckte, fast zur Unmöglichkeit gemacht wurde. Ich weis nicht, meine Theuern, ob ihr je ein wohlgetroffenes Gemälde des heiligen Lazerus gesehen, oder sonst jemals einen solchen Gegenstand des äußersten Abscheus in Natura erblickt habt, aber so viel muß ich euch sagen, daß dieser Anblick, wenn ihr ihn auch gehabt hättet, euch noch lange nicht all das Eckelhafte schildern würde, was der gerettete Fremdling in seiner Person vereinigte.

Doch es war hier nicht allein die Rede von Ekel und Abscheu; was wußte Julian für ein zärtlich geliebtes Weib befürchten, wenn er ihr, da sie selbst schon unpäßlich war, einen mit dem scheuslichsten Aussatze bedeckten Menschen an die Seite legte.

Dennoch behielt das Mitleid und der Grundsatz der höchsten Verläugnung, den er überall anzuwenden wußte, die Oberhand. Er sah Rosamunden mit bittenden Blick an, welche seinen Wink verstand, und zitternd Platz [126] machte, um das häßliche Gerippe an ihre Seite aufzunehmen.

Der kranke Pilger, welcher, wie es schien, nicht so schwach war, als der arme Julian, der ihm die ganze Nacht durch hatte nachlaufen müssen, denken mochte, half sich schnell genug an die Seite der schönen Frau, die er mit seinen dürren Armen hastig umschlang und an die keuchende Brust drückte.

Rosamunde, welche vor Ekel zu sterben vermeinte, und den sündlichen Gedanken hegte, daß dies die christliche Liebe fast zu weit treiben heiße, wollte ein ängstliches Geschrei ausstoßen, aber ein Kuß von dem fremden Gaste verschloß ihre Lippen. »Nimm hin,« sagte er, »die Belohnung all deiner Edelthaten, all deiner schmerzhaften Verläugnungen. Dich und deinen Gatten auf die äußerste Probe zu stellen, ward ich herabgesandt; ihr habt sie heldenmüthig bestanden und seid nun belohnt. Eure Sünden sind von euch genommen, so wie der Aussatz, der euch so vielen Abscheu einflöste, ohne euer Mitleid zu mindern, von meinem Körper getilgt ist; rein und weiß sind eure Seelen gewaschen von allen Blutschulden, und so schön, wie ihr mich jetzt vor euren Augen stehen seht.

Der Pilger hatte in demselben Augenblicke seine Arme von Rosamunden zurückgezogen, das Bett verlassen, und stand jetzt vor den Augen des heiligen Ehepaars in der [127] Gestalt eines glänzenden Engels, mit allen Reizen himmlischer Jugend, mit aller Anmuth des Paradieses geschmückt.

Julian und Rosamunde betrachteten ihn mit anbetendem Erstaunen, aber seine Lichtgestalt ward immer blässer und blässer, und zerfloß endlich wie Nebel in der Luft, wo sie nur noch einem leichten Schimmer glich, dem Schimmer eines verschwindenden Regenbogens.

Was die beiden begnadigten Sünder einander nach dieser herrlichen Erscheinung sagten, was sie fühlten und was sie dachten, ist nicht zu beschreiben. Ihre lebhafteste Empfindung war die Ueberzeugung von der Wahrheit der Worte des Engels. Alles, was sie vorher gequält hatte, Wahrheit oder Hirngespinst, Alles, warum sie bisher sich den peinlichsten Büßungen unterwerfen zu müssen glaubten, war aus ihrem Gedächtniß hinweggelöscht. Der Himmel gewährt ihnen nicht allein völlige Vergebung, sondern auch völlige Vergessenheit ihrer Sünden, ein Glück, welches wenig Heiligen, selbst St. Petern nicht zu Theil ward.

Mit frohem heitern Sinn traten sie die Rückreise in ihr Vaterland an, wo es ihnen ein Leichtes war, die Trümmer ihres Vermögens zusammen zu suchen, und sich damit ein Glück zu gründen, das durch den Segen des Himels mit jedem Jahre zunahm.

Marie, welche während dieser Zeit die Frau eines[128] zärtlichen, fleißigen und klugen Mannes geworden war, der ihr die geträumte Glückseligkeit an der Seite des schwärmerischen Julians ganz vergessen ließ, hatte sich des Nachlasses Julians und ihrer Freundin angenommen, und durch gute Wirthschaft den Grund zu dem Wohlstande gelegt, den der Herr von Eckardsberg und seine Gemahlin bis zu einem hohen Alter genossen. Da faßten diese plötzlich den Entschluß, zum zweitenmale die Welt zu verlassen, und ihr Leben in der Einsamkeit zu beschließen.

Hier war es, wo Julian den Namen eines Heililigen völlig errang, den ihm die Nachwelt beilegte, und sich zum Schutzpatron der bedrängten Waller herrlich qualificirte. Das Kloster, in welchem er lebte, war eine Herberge aller Pilger; er gab jedem beim Scheiden ein Ansehnliches an Reisegeld mit auf den Weg, und lehrte ihm noch zum Ueberfluß einen kräftigen Segen wider das wüthende Heer, das er trotz aller seiner Heiligkeit doch nicht ganz aus dieser Gegend bannen konnte; doch brachte er es durch seine Gebete endlich dahin, daß es in seinen Schranken bleiben mußte, und sich, wie vor Zeiten des wilden Jägers Nimrods von Wettin, nur allemal am Donnerstage nach Fastnachten sehen lassen durfte.

Einige von Julians Geschichtschreibern behaupten sogar, daß dieser im Verläugnen geübte Heilige seine Aufopferung so weit getrieben habe, dem vollen Genuß der ewigen Ruhe bis auf den jüngsten Tag zu entsagen, und sich zum sichtbaren Schutzgeist irrender Wanderer zu bestimmen. [129] Mit einem weißen Stabe in der Hand soll er noch bis auf diesen Tag vor dem Zuge des wüthenden Heeres hergehen, und die Reisenden warnen, den Unholden auszuweichen; das Landvolk nennt ihn in diesen Gegenden den getreuen Eckard, welche Benennung sich vermuthlich von seinem Geschlechtsnamen Eckardsberg herschreibt. Aber in andern Ländern ruft ihn der Pilger unter dem Namen St. Julian an, und die Spottsucht, welche auch die heiligsten Dinge befleckt, erwähnt des Gebets zu St. Julian für verirrte Reisende nie ohne boshafte Beziehung auf einen gutwilligen Wirth und eine schöne und gefällige Wirthin, was vermuthlich seinen Grund in der Geschichte von dem Aussätzigen haben mag, den Julian in Rosamundens Armen genesen ließ.

Von der Heiligkeit Rosamundens ist nie so viel Aufhebens gemacht worden, als von der ihres Gemahls; auch habe ich nie gehört, daß sie zur Schutzheiligen irgend einer Art Bedrängten erkoren worden sei. Ueberhaupt ist die Zeit ihres Klosterslebens in Dunkelheit gehüllt; nur das meldet die Geschichte, daß sie die unerwartete Beruhigung hatte, die unglückliche Hildegard, an deren Tode sie schuld zu sein glaubte, hier als eine büßende Sünderin wieder zu finden. Furcht vor Entdeckung ihrer Bosheiten hatte jene damals zur Flucht bewogen, und o wie glücklich wäre Rosamunde gewesen, hätte sie zeitiger erfahren, daß diese Elende nicht ein Raub der Flammen geworden sei!

Vergessenheit vergangener Dinge verband Marien,[130] Rosamunden und Hildegarden zu neuer Freundschaft, und es lassen sich keine seligern Tage denken, als diejenigen, welche sie bei gegenseitigen Besuchen mit einander verlebten; doch war, unsers Erachtens, Marie unter allen dreien immer die Glücklichere. Sie hatte alle Ursache, mit ihrem Schicksale zufrieden zu sein, sie verstand es, Leidenschaften zu überwinden und auch die schwersten Pflichten zu üben, und wußte sich in allen Lagen des Lebens jene Gemüthsruhe zu bewahren, die allein ein wahres Glück hervorrufen kann.

[131][132][1]

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TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Märchen. Volksmährchen der Deutschen. 3. Bändchen. Die Legende von St. Julian. Die Legende von St. Julian. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5EA3-C