[5] Fünfter Theil

»Siehe, wir sind ja in der Hand unserer Feinde! Was kann sie hindern uns zu tödten, wenn die Gottheit uns nicht schützt!« Dies waren die Worte, womit ich meine letzte Erzählung schloß; und Gott weis, wie oft sie mir in dem Kerker in Sinn kamen, in welchen man mich nach dem letzten Verhör geworfen hatte. Ich war in der Hand meiner Richterin, warum nahm sie mir nicht das Leben? warum behandelte sie mich nicht härter, als geschah? – Konnten Vorbitten sie versöhnen? Wer hätte für mich bitten sollen, als Menes? und war dessen Theilnahme an meinem Geschick, wenn sie sich würklich äußerte, nicht Erschwerung meines Verbrechens? Ach nur zu bald ward ich [5] ja gewahr, nur zu bald merkte ich ja beym letzten Verhör, wo Menes gegenwärtig war, daß nicht sowohl Verdacht die Tochter verführt zu haben, als vielmehr die schlecht verhehlte Liebe des Sohns, mir die Qualen bereitete, die ich hier erdulden mußte.

Ich rede von Qualen, aber ihr dürft nicht wähnen, meine Leserinnen, als sey eurer Almé zum zweytenmahl der Aufenthalt in der Eisgrube geworden, oder, als habe man andere Mittel ersonnen, einem nun seit einem Jahr in dem Hause der Wollust verzärtelten Körper wehe zu thun; meine Qualen waren Qualen der Seele, nur zu gut kannte die rächerische Termuthis ihr Opfer, um ihre schwächere Seite zu verfehlen; man wußte mein Gewissen wider mich rege zu machen, man schilderte mir die einst unschuldige Zaide, durch meine Geschichten der Liebe verführt in des unwürdigen Amuns Armen, und die Hölle brannte in meinem[6] Herzen, ich dachte nicht mehr daran, meine Erzählungen, wie schuldlos sie mir geschienen haben mochten, und wie schuldlos sie euch, ihr unschuldigen Leserinnen, ewig nicht allein scheinen, sondern auch seyn mögen, zu rechtfertigen, ich fluchte jedem Worte, das ich gesagt hatte, und war so vernichtet, daß ich, als einst Termuthis selbst in meinem Kerker erschien, mein Gesicht vor ihr, wie vor dem Strahl der mittäglichen Sonne Aegyptens verbarg, und ihre Fragen tief aus dem Staube, wie der Sünder den Ruf der richtenden Gottheit beantwortete.

Rusma, sagte meine Richterin, nachdem sie eine Weile, ich weiß nicht, ob stillschweigend über meine Demüthigung triumphirt, oder stillschweigend andere Gefühle in ihrem Herzen hatte vorüber gehen lassen – Rusma, sagte sie, du weißt dein Verbrechen, und kannst von ihm auf deine Strafe schließen, noch ein oder das andere Mittel wäre [7] vielleicht übrig, beyde zu mindern, du dauerst mich, und ich werde dich, mit dem, was zu deiner Rettung möglich ist, bekannt machen. Der Anfang dessen, was ich von dir fordere, sey das Gebot, mir nochmahls die Geschichte von Pythicus und der aethiopischen Prinzessin zu erzählen, welche vornehmlich diejenige ist, welcher wir unser Unglück danken. Siehe, ich weis, daß du den Abend vor der schändlichen Entführung, ehe du kamst, die Glucke mit schmeichelnder List in Schlummer zu wiegen, damit du ungerochen ihre Küchlein dem Raubvogel preis geben könntest, ich weis, daß du in jenen entscheidenden Augenblicken, da Zaide und Amun die letzten Anschläge zur Flucht bey dir holten, beyden noch die verführerische Erzählung wiederholtest, und ich will sie jetzt mit den nehmlichen Worten hören, die meine Lauscher damahls aus deinem Munde vernahmen, und die mein unglückliches Kind in unwiederbringliches Verderben stürzten.

[8] Ich war sehr gedemüthigt, mein Gewissen stand mit meinen Feinden im Einverständniß, ich glaubte, diese könnten mir nichts sagen, was nicht das erste in schrecklichem Echo wiederholen müßte, auch tönte die richtende Stimme in mir würklich manches von den Worten der Prinzessin fruchtbar wieder, aber doch nicht jedes; bey vielen derselben war mir es, als richtete sich mein besseres Bewußtseyn wieder empor, ich gewann Muth mich zu erheben, und meiner Richterin zu antworten.

Prinzessin, sagte ich, indem ich meine Thränen trocknete, was eure Lauscher euch hinterbrachten, weis ich nicht; weis ich doch nicht einmahl, so verwirrt sind meine Gedanken, ob jene Geschichte in den verhängnißvollen Augenblicken, die über mein und Zaidens Glück entschieden, von mir gefordert und von mir gegeben wurde. Ihr sollt sie haben, wie mir sie mein Gedächtniß giebt; [9] denn zuviel wär' es wohl von eurer Milde verlangt, das Buch des weisen Sophers, das man mir geraubt hat, wieder meinen Händen zu vertrauen, und mich dadurch in den Stand zu setzen, das, was ihr von mir fordert, besser zu leisten.

Ach nur zu wahr war es, daß, als man mich zum Kerker verurtheilte, und mir die Erlaubniß gab, einige Kleinigkeiten zu meiner Nothdurft aus meinen Zimmern mit mir zu nehmen, ich dort das Buch des weisen Sophers nicht fand. Ob Hermunthis es mit sich genommen, ob Termuthis mir es hatte entwenden lassen, wußte ich nicht, meine Richterin schwieg, und ich begann.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Märchen. Alme oder Egyptische Märchen. Fünfter Theil. [Überleitung]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5EA6-6